Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Juli 2019 - 1 StR 169/19

published on 23/07/2019 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Juli 2019 - 1 StR 169/19
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 169/19
vom
23. Juli 2019
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:230719B1STR169.19.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 23. Juli 2019 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 17. August 2018 – soweit es den Angeklagten betrifft – mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in zwei tatmehrheitlichen Fällen, wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen sowie wegen dirigierender Zuhälterei in drei tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Der Mitangeklagte Z. wurde wegen derselben Taten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Gegen beide Angeklagte hat das Landgericht gesamtschuldnerisch die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 19.957,50 Euro angeordnet.
2
Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
3
1. Die Revision hat mit der zulässig erhobenen Verfahrensrüge der Verletzung von § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO Erfolg.
4
a) Der Rüge liegt folgender Verfahrensgang zu Grunde:
5
Im Termin zur Hauptverhandlung vom 20. Juni 2018 unterbreitete das Landgericht – nach einer Vorbesprechung mit den Verfahrensbeteiligten in einer Sitzungspause – in der Hauptverhandlung einen Verständigungsvorschlag, der entsprechend protokolliert wurde. Das Landgericht wies darauf hin, dass eine Einlassung der Angeklagten im Termin vom 11. Juli 2018 erwartet wird, falls der Verständigungsvorschlag des Gerichts akzeptiert werden sollte.
6
In den folgenden Hauptverhandlungsterminen vom 11. Juli 2018 und vom 13. Juli 2018 finden sich keine Erklärungen des Angeklagten zur Sache und dazu, ob er dem Verständigungsvorschlag der Kammer zustimmt. Der Angeklagte wurde aber am 11. Juli 2018 gemäß § 257c Abs. 4 und 5 StPO belehrt.
7
Im weiteren Hauptverhandlungstermin vom 6. August 2018 machte der Angeklagte Angaben zur Sache. Es ergingen dann verschiedene rechtliche Hinweise und das Landgericht hat mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft durch Beschluss Verfahrensbeschränkungen nach § 154a Abs. 2 StPO und nach § 154 Abs. 2 StPO vorgenommen.
8
Im folgenden Hauptverhandlungstermin am 10. August 2018 erklärte der Verteidiger des Angeklagten, dass die im letzten Hauptverhandlungstermin abgegebene Erklärung zur Sache im Rahmen des Verständigungsvorschlags des Gerichts abgegeben wurde. Anschließend erklärte die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft, dass dem Verständigungsvorschlag der Kammer zuge- stimmt wird. Eine Zustimmung des Angeklagten zum Verständigungsvorschlag des Gerichts ist nicht erfolgt.
9
Das Landgericht ist im Urteil (UA S. 6) hinsichtlich beider Angeklagter von einer wirksamen Verständigung gemäß § 257c StPO entsprechend dem Vorschlag des Gerichts vom 20. Juni 2018 ausgegangen.
10
b) Damit wurde gegen § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO verstoßen, da keine wirksame Verständigung zu Stande kam, weil der Angeklagte dem Vorschlag des Gerichts nicht zugestimmt hat.
11
Die Regelung des § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO gestattet eine Verständigung nur nach dieser Vorschrift. Danach kommt eine Verständigung in der Hauptverhandlung zustande, wenn das Gericht ankündigt, wie die Verständigung aussehen könnte (§ 257c Abs. 3 Satz 1 StPO), und wenn der Angeklagte sowie die Staatsanwaltschaft zustimmen (§ 257c Abs. 3 Satz 4 StPO). Eine solche Zustimmung bewirkt das formwirksame Zustandekommen der Verständigung. Sie ist als gestaltende Prozesserklärung unanfechtbar und unwiderruflich (BGH, Urteil vom 21. Juni 2012 – 4 StR 623/11, BGHSt 57, 273 Rn. 13 f.). Die Zustimmung zum Verständigungsvorschlag muss deshalb – nicht zuletzt wegen der Bindungswirkung – ausdrücklich erfolgen. Eine nur konkludente Erklärung des Angeklagten reicht hierzu nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2016 – 5 StR 39/16, NStZ-RR 2017, 87; Urteil vom 14. Mai 2014 – 2 StR 465/13 Rn. 8; Jahn/Kudlich in MüKo-StPO, 2016, § 257c Rn. 143; Moldenhauer /Wenske in: KK-StPO, 8. Aufl. 2019, § 257c Rn. 25).
12
Ein solcher Ablauf hat nach dem durch das Protokoll der Hauptverhandlung belegten Vortrag des Beschwerdeführers nicht stattgefunden. Zwar hat die Vertreterin der Staatsanwaltschaft ausdrücklich dem Verständigungsvorschlag des Gerichts zugestimmt, die für das Zustandekommen der Verständigung not- wendige weitere Zustimmungserklärung des Angeklagten ist aber nicht abgegeben worden. Auch aus der Erklärung des Verteidigers vom 10. August 2018 kann eine solche ausdrückliche und eindeutige Zustimmung nicht abgeleitet werden, da hierdurch nur klargestellt wird, dass die Einlassung des Angeklagten auch im Rahmen des Verständigungsvorschlags erfolgt ist. Die dienstlichen Stellungnahmen der Berufsrichter reichen insoweit nicht.
13
2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf der fehlenden Zustimmung des Angeklagten beruht. Das Geständnis des Angeklagten kann durch das rechtsfehlerhafte Verfahren zur Verständigung beeinflusst sein.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen, 1. wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Bes

(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt. (2) Gegenstand dieser Verstä
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein.

(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen.

(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen.

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren.

(1) Fallen einzelne abtrennbare Teile einer Tat oder einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen, die durch dieselbe Tat begangen worden sind,

1.
für die zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung oder
2.
neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat,
nicht beträchtlich ins Gewicht, so kann die Verfolgung auf die übrigen Teile der Tat oder die übrigen Gesetzesverletzungen beschränkt werden. § 154 Abs. 1 Nr. 2 gilt entsprechend. Die Beschränkung ist aktenkundig zu machen.

(2) Nach Einreichung der Anklageschrift kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft die Beschränkung vornehmen.

(3) Das Gericht kann in jeder Lage des Verfahrens ausgeschiedene Teile einer Tat oder Gesetzesverletzungen in das Verfahren wieder einbeziehen. Einem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Einbeziehung ist zu entsprechen. Werden ausgeschiedene Teile einer Tat wieder einbezogen, so ist § 265 Abs. 4 entsprechend anzuwenden.

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein.

(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen.

(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen.

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren.