Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Juli 2018 - 1 StR 156/18

bei uns veröffentlicht am17.07.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 156/18
vom
17. Juli 2018
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:170718B1STR156.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführerin am 17. Juli 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Coburg vom 15. Dezember 2017 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Das auf die Sachrüge gestützte Rechtsmittel der Angeklagten führt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs.
2
Das Landgericht hat die Maßregel nicht unerörtert lassen dürfen. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift dazu ausgeführt: "1. Die Kammer hat festgestellt, dass die Angeklagte bereits im Alter von 14 Jahren Marihuana und sodann ab dem Alter von 15 Jahren regelmäßig Crystal-Speed und Ecstasy konsumiert hat (UA S. 8, 14).
Sowohl die Konsummenge als auch die Konsumfrequenz hat sich im Laufe der Zeit gesteigert (UA S. 14). Zuletzt hat die Angeklagte bis zu ihrer Festnahme im Februar 2017 täglich ein Gramm CrystalSpeed konsumiert. Nachdem der gegen sie erlassene Haftbefehl unmittelbar nach ihrer Festnahme außer Vollzug gesetzt worden ist, gelang es der Angeklagten zwar, den Betäubungsmittelkonsum ohne die Empfindung von Suchtdruck einzustellen. Sie erlitt allerdings bereits im März 2017 einen Rückfall mit Crystal-Speed (UA S. 8 f.). Derzeit nimmt die Angeklagte einmal monatlich an Sitzungen des 'Blauen Kreuzes' teil. Dementsprechend hat die Kammer einen schädlichen Missbrauch von Betäubungsmittel angenommen, eine Abhängigkeit hingegen verneint (UA S. 8, 14 ff.). 2. Dass die Kammer gleichwohl das Vorliegen eines Hanges im Sinne des § 64 StGB nicht erörtert hat, lässt besorgen, dass die Kammer von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist. Für einen Hang ist ausreichend eine eingewurzelte , auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren , wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss (BGH, Beschluss vom 23. August 2017 - 1 StR 269/17). Diese Voraussetzung ist durch den festgestellten schädlichen Gebrauch von Betäubungsmitteln gegeben. … 6. Anhaltspunkte dafür, dass die Angeklagte nicht gefährlich im Sinne des § 64 StGB ist und keine hinreichend konkrete Aussicht besteht, sie durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt von ihrem
Hang zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren (§ 64 Satz 2 StGB), bestehen nicht. 7. Vor diesem Hintergrund bedarf es der Prüfung, inwieweit die Anordnung einer - ggf. zur Bewährung auszusetzenden (§ 67b Abs. 1 StGB) - Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) erforderlich ist. … II. Die unterlassene Prüfung der Maßregelanordnung nach § 64 StGB zieht gemäß § 5 Abs. 3 JGG die Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs nach sich. 1. Nach dieser Vorschrift ist, soweit die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anzuordnen ist, von der Verhängung einer Jugendstrafe abzusehen, wenn die Maßregelanordnung die Ahndung durch Jugendstrafe entbehrlich macht. Da eine entsprechende Prüfung und Entscheidung im angefochtenen Urteil fehlt, führt dies zur Aufhebung des Ausspruchs über die Jugendstrafe (BGH, Beschluss vom 3. Januar 1997 - 3 StR 549/96; Beschluss vom 25. November 2014 - 5 StR 509/14).
2. Auf die Ausführungen der Revision zur Frage der Erforderlichkeit der Verhängung einer Jugendstrafe kommt es daher nicht mehr an."
3
Dem tritt der Senat bei. Raum Jäger Cirener Fischer Hohoff

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafgesetzbuch - StGB | § 67b Aussetzung zugleich mit der Anordnung


(1) Ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt an, so setzt es zugleich deren Vollstreckung zur Bewährung aus, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, daß der Zweck der Maßrege

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 5 Die Folgen der Jugendstraftat


(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden. (2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen. (3) Von Zuchtmitteln un

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Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Aug. 2017 - 1 StR 269/17

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 269/17
vom
23. August 2017
in der Strafsache
gegen
wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:230817B1STR269.17.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 3. auf dessen Antrag – am 23. August 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 21. Februar 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln und mit vorsätzlichem Besitz einer verbotenen Waffe zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt sowie eine Einziehungs- und eine Verfallsentscheidung getroffen.
2
Hiergegen richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
3
Die Nichtanordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
4
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts (UA S. 6) begann der Angeklagte nach eigenen Angaben im Alter von 15/16 Jahren mit dem Konsum von Cannabis, steigerte diesen und ergänzte ihn später durch den Konsum von Alkohol und anderen Stimulanzien. Vor der Festnahme im vorliegenden Verfahren konsumierte er Cannabis und Amphetamin in nicht genau feststellbaren Mengen. Bei dem Angeklagten liegt weder eine Abhängigkeitserkrankung noch eine rauschmittelbedingte Persönlichkeitsveränderung vor. Der Betäubungsmittelkonsum hat – so die Feststellungen des Landgerichts – das psychische und soziale Leistungsvermögen des Angeklagten nicht eingeschränkt und nicht zu einer Gesundheitsgefährdung geführt.
5
Hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Tat hat das Landgericht festgestellt, dass diese auch dazu dienen sollte, den Eigenkonsum des Ange- klagten „in der Größenordnung von bis zu einem Gramm pro Tag“ zu finanzie- ren (UA S. 10).
6
Ohne weitergehende Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des gerichtlich beauftragten Sachverständigen mitzuteilen, geht die Kammer im Rahmen der Ausführungen zu den Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt davon aus, dass bei dem nicht betäubungsmittelabhängigen Angeklagten ein Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen , nicht festzustellen sei. Es hätten sich – wie im Rahmen der Ausführungen zum Betäubungsmittelkonsum und zur Schuldfähigkeit des Angeklagten dargestellt – keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Angeklagte aufgrund einer psychischen Abhängigkeit von Marihuana oder anderer Betäubungsmittel sozial gefährdet oder gefährlich sein könnte (UA S. 22 f.).
7
2. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des § 64 StGB im Hinblick auf den Konsum von Marihuana ausgegangen ist. Sie enthalten zudem keine umfassende und widerspruchsfreie Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls bei der Entscheidung über die Maßregel.
8
Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Januar 2017 – 1 StR 604/16, StV 2017, 672 und vom 14. Juni2016 – 1 StR 219/16, BGHR StGB § 64 Hang 4; Urteile vom 10. November 2004 – 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210 und vom 15. Mai2014 – 3 StR 386/13, NStZ- RR 2014, 271). Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 und vom 14. Dezember 2005 – 1 StR 420/05, NStZ-RR 2006, 103). Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hanges aus (BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 und vom 2. April2015 – 3 StR 103/15).
9
Diesem Maßstab genügen die Ausführungen des Landgerichts nicht. Das Landgericht hätte sich nicht damit begnügen dürfen, allein darauf abzustellen , ob der Angeklagte aufgrund einer psychischen Abhängigkeit von Marihuana oder anderer Betäubungsmittel sozial gefährdet oder gefährlich sein könnte. Es hätte vielmehr auch prüfen müssen, ob eine durch Übung erworbene Neigung , immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, vorliegt, wobei es insbesondere die lange Konsumdauer, die Vorahndungen des Angeklagten wegen Betäubungsmitteldelikten , die (auch) dem Eigenkonsum dienten, den Aufenthalt im Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim im Jahr 2013 zur Entgiftung im Hinblick auf eine dort angenommene Abhängigkeit von Cannabis (UA S. 18) und die Passivität des Angeklagten mit einem überwiegenden Verbleib in der Wohnung (UA S. 18) in den Blick hätte nehmen müssen. Hinzu kommt, dass die Feststellungen des Landgerichts zum Umfang des Betäubungsmittelkonsums nicht widerspruchsfrei sind (UA S. 6 und 10).
10
3. Da das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen nicht von vornherein ausscheidet, muss über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt – gegebenenfalls ergänzend unter Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen – neu verhandelt und entschieden werden. Dem steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH, Urteil vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 9; Beschluss vom 19. Dezember 2007 – 5 StR 485/07, NStZ-RR 2008, 107); er hat die Nichtanordnung des § 64 StGB auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.
11
4. Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt den Strafausspruch unberührt. Es ist im vorliegenden Fall auszuschließen, dass das Landgericht bei einer Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auf eine niedrigere Freiheitsstrafe erkannt hätte. Raum Cirener Radtke Bär Hohoff

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt an, so setzt es zugleich deren Vollstreckung zur Bewährung aus, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, daß der Zweck der Maßregel auch dadurch erreicht werden kann. Die Aussetzung unterbleibt, wenn der Täter noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, die gleichzeitig mit der Maßregel verhängt und nicht zur Bewährung ausgesetzt wird.

(2) Mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden.

(2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen.

(3) Von Zuchtmitteln und Jugendstrafe wird abgesehen, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt die Ahndung durch den Richter entbehrlich macht.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 509/14
vom
25. November 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Raubes u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. November 2014 beschlossen
:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Saarbrücken vom 16. Juli 2014 nach § 349 Abs. 4 StPO
mit den zugehörigen Feststellungen im Rechtsfolgenausspruch
aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit sexueller Nötigung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs. Im Übrigen ist sie unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Begründung, mit der die Jugendkammer die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgelehnt hat, erweist sich als rechtsfehlerhaft. Der zweifelsfrei alkoholkranke Angeklagte hat im Zustand alkoholbedingt verminderter Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB eine schwere Gewalttat begangen. Vor diesem Hintergrund ist die Wer- tung der Jugendkammer nicht verständlich, es fehle an einer Gefahr künftiger erheblicher Straftaten aufgrund des Hangs. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird die von § 64 Satz 1 StGB geforderte Gefahr nämlich in aller Regel allein durch eine hangbedingte schwere Gewalttat als Anlasstat hinreichend belegt (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juni 1988 – 2 StR 200/88, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Gefährlichkeit 2; Beschlüsse vom 18. Juli 2000 – 5 StR 289/00, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Gefährlichkeit 7; vom 20. Janu- ar 2004 – 4 StR 464/03, NStZ-RR 2004, 204, 205). Dass der mehrfach vorbelastete Angeklagte bislang nicht gerade durch Gewalttaten aufgefallen ist, steht der Annahme seiner Gefährlichkeit mithin genauso wenig entgegen wie dessen Selbsteinschätzung, er könne sich seine Aggressivität nicht erklären. Da Beeinflussungssituationen auch in Zukunft eintreten können, trägt auch die Überlegung der Jugendkammer nicht, der Mittäter des Angeklagten sei die „treibende Kraft“ gewesen.
3
Der Frage der Gefährlichkeit des Angeklagten muss deshalb nochmals nachgegangen werden. Dabei wird die Entwicklung des Angeklagten seit der nunmehr schon geraume Zeit zurückliegenden Tat sorgfältiger darzulegen und zu würdigen sein als im angefochtenen Urteil geschehen.
4
2. Bereits wegen des durch § 5 Abs. 3 JGG vorgegebenen sachlichen Zusammenhangs zwischen Strafe und Unterbringung ist der Strafausspruch aufzuheben. Insoweit hätten jedoch auch für sich genommen Bedenken bestanden. Ausweislich der Feststellungen (UA S. 4) hat der Angeklagte die im angefochtenen Urteil bei der Prüfung der schädlichen Neigungen (UA S. 26) sowie bei der Bemessung der Jugendstrafe (UA S. 28) in Ansatz gebrachten Hafterfahrungen erst nach der verfahrensgegenständlichen Tat gemacht. Gleiches gilt für die Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe, sofern sich die in den Urteilsgründen angesprochene „Erzwingungshaft“ (UA S. 26) hierauf beziehen sollte. Davon bleibt unberührt, dass die vier Verurteilungen des Angeklagten wegen nach der erlittenen Untersuchungshaft und während des laufenden Verfahrens begangener Straftaten nach allgemeinen Regeln zu berücksichtigen sein werden.
5
3. In Bezug auf die zahlreichen Verurteilungen des Angeklagten zu Geldstrafen wird sich die neu entscheidende Jugendkammer ausdrücklich dazu zu verhalten haben, ob insoweit Erledigung eingetreten ist (vgl. § 105 Abs. 2 i.V.m. § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 JGG).
Sander Schneider Dölp
König Bellay