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Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 269/17
vom
23. August 2017
in der Strafsache
gegen
wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:230817B1STR269.17.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 3. auf dessen Antrag – am 23. August 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 21. Februar 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln und mit vorsätzlichem Besitz einer verbotenen Waffe zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt sowie eine Einziehungs- und eine Verfallsentscheidung getroffen.
2
Hiergegen richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
3
Die Nichtanordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
4
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts (UA S. 6) begann der Angeklagte nach eigenen Angaben im Alter von 15/16 Jahren mit dem Konsum von Cannabis, steigerte diesen und ergänzte ihn später durch den Konsum von Alkohol und anderen Stimulanzien. Vor der Festnahme im vorliegenden Verfahren konsumierte er Cannabis und Amphetamin in nicht genau feststellbaren Mengen. Bei dem Angeklagten liegt weder eine Abhängigkeitserkrankung noch eine rauschmittelbedingte Persönlichkeitsveränderung vor. Der Betäubungsmittelkonsum hat – so die Feststellungen des Landgerichts – das psychische und soziale Leistungsvermögen des Angeklagten nicht eingeschränkt und nicht zu einer Gesundheitsgefährdung geführt.
5
Hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Tat hat das Landgericht festgestellt, dass diese auch dazu dienen sollte, den Eigenkonsum des Ange- klagten „in der Größenordnung von bis zu einem Gramm pro Tag“ zu finanzie- ren (UA S. 10).
6
Ohne weitergehende Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des gerichtlich beauftragten Sachverständigen mitzuteilen, geht die Kammer im Rahmen der Ausführungen zu den Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt davon aus, dass bei dem nicht betäubungsmittelabhängigen Angeklagten ein Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen , nicht festzustellen sei. Es hätten sich – wie im Rahmen der Ausführungen zum Betäubungsmittelkonsum und zur Schuldfähigkeit des Angeklagten dargestellt – keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Angeklagte aufgrund einer psychischen Abhängigkeit von Marihuana oder anderer Betäubungsmittel sozial gefährdet oder gefährlich sein könnte (UA S. 22 f.).
7
2. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des § 64 StGB im Hinblick auf den Konsum von Marihuana ausgegangen ist. Sie enthalten zudem keine umfassende und widerspruchsfreie Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls bei der Entscheidung über die Maßregel.
8
Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Januar 2017 – 1 StR 604/16, StV 2017, 672 und vom 14. Juni2016 – 1 StR 219/16, BGHR StGB § 64 Hang 4; Urteile vom 10. November 2004 – 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210 und vom 15. Mai2014 – 3 StR 386/13, NStZ- RR 2014, 271). Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 und vom 14. Dezember 2005 – 1 StR 420/05, NStZ-RR 2006, 103). Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hanges aus (BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 und vom 2. April2015 – 3 StR 103/15).
9
Diesem Maßstab genügen die Ausführungen des Landgerichts nicht. Das Landgericht hätte sich nicht damit begnügen dürfen, allein darauf abzustellen , ob der Angeklagte aufgrund einer psychischen Abhängigkeit von Marihuana oder anderer Betäubungsmittel sozial gefährdet oder gefährlich sein könnte. Es hätte vielmehr auch prüfen müssen, ob eine durch Übung erworbene Neigung , immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, vorliegt, wobei es insbesondere die lange Konsumdauer, die Vorahndungen des Angeklagten wegen Betäubungsmitteldelikten , die (auch) dem Eigenkonsum dienten, den Aufenthalt im Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim im Jahr 2013 zur Entgiftung im Hinblick auf eine dort angenommene Abhängigkeit von Cannabis (UA S. 18) und die Passivität des Angeklagten mit einem überwiegenden Verbleib in der Wohnung (UA S. 18) in den Blick hätte nehmen müssen. Hinzu kommt, dass die Feststellungen des Landgerichts zum Umfang des Betäubungsmittelkonsums nicht widerspruchsfrei sind (UA S. 6 und 10).
10
3. Da das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen nicht von vornherein ausscheidet, muss über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt – gegebenenfalls ergänzend unter Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen – neu verhandelt und entschieden werden. Dem steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH, Urteil vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 9; Beschluss vom 19. Dezember 2007 – 5 StR 485/07, NStZ-RR 2008, 107); er hat die Nichtanordnung des § 64 StGB auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.
11
4. Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt den Strafausspruch unberührt. Es ist im vorliegenden Fall auszuschließen, dass das Landgericht bei einer Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auf eine niedrigere Freiheitsstrafe erkannt hätte. Raum Cirener Radtke Bär Hohoff

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafprozeßordnung - StPO | § 358 Bindung des Tatgerichts; Verbot der Schlechterstellung


(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. (2) Das angefochtene Urte

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 604/16
vom
12. Januar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags
ECLI:DE:BGH:2017:120117B1STR604.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO am 12. Januar 2017 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 10. August 2016 mit den Feststellungen aufgehoben; die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bleiben jedoch aufrechterhalten. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte gehörte zu einer aus ca. 10 - 15 Personen bestehenden Clique von gleichaltrigen Heranwachsenden bzw. jungen Erwachsenen aus dem Gebiet der Stadt L. („L. er Gruppe“), die teilweise in Kon- flikt mit der ebenfalls aus ca. 10 - 15 gleichaltrigen Personen bestehenden Clique aus dem Gebiet der Gemeinde B. („B. er Gruppe“) geriet. Nachdem beide Gruppen bereits am 19. Oktober 2015 aufeinander getroffen waren, sollte am Abend des 23. Oktober 2015 ein weiteres Treffen erfolgen. Vor diesem Treffen hatte sich der Angeklagte ein von ihm verliehenes Springmesser mit einer ca. 10 cm langen einschneidigen und spitz zulaufenden Klinge zurückgeben lassen, das er ab diesem Zeitpunkt mit sich führte, um es ggf. einsetzen zu können.
4
Nachdem sich die beiden Gruppen zunächst erfolglos im Gemeindegebiet von B. gesucht hatten, trafen sie gegen ca. 23.30 Uhr in der Ortsmitte beim Rathaus sukzessive aufeinander, wobei sich zwischen einzelnen Mitgliedern der beiden Gruppen eine Schlägerei entwickelte. Dabei griff der Angeklagte zunächst W. an und es entwickelte sich eine körperliche Auseinandersetzung. In das Geschehen griff der mit einer AnonymousGesichtsmaske maskierte La. schlichtend ein. Dem körperlich überlegenen Angeklagten gelang es, La. an der Kapuze zu packen und gegen einen Pfeiler zu drücken, bevor beide schließlich in einem anschließenden Gerangel das Gleichgewicht verloren und in einen Busch fielen, wobei La. auf dem Angeklagten zum Liegen kam. In dieser Situation zog der Angeklagte das von ihm mitgeführte Springmesser, ließ die Klinge herausfahren und stach La. sinngemäß mit den Worten „Ich stech dir das Messer in die Seite“ in die rechte Brustseite, wo- bei dem Angeklagten bewusst war, dass dieser Stich geeignet war, den Tod des Opfers herbei zu führen, was er billigend in Kauf nahm. Durch den Stich wurde in lebensgefährlicher Weise der obere rechte Lungenlappen verletzt und der Herzbeutel nur um ca. 1 cm verfehlt. Trotz der Stichverletzung gelang es La. , der vom Angeklagten nach dem Stich am Boden festgehalten wurde, sich loszureißen, aufzustehen und weg zu rennen, bevor er entkräftet zusammenbrach.
5
Wenige Augenblicke danach wollte der mit einer Sturmhaube maskierte E. , der aus einigen Metern Entfernung zwar den Sturz des Angeklagten , nicht aber den Messerangriff beobachtet hatte, den Angeklagten mit einem Pfefferspray angreifen, das aber nicht funktionsfähig war, weswegen er die Dose dem Angeklagten entgegen schleuderte, der nun auf ihn zustürmte. Nachdem der Angeklagte den ihm körperlich unterlegenen und nunmehr unbewaffneten E. erreicht hatte, packte er diesen mit der linken Hand am rechten Oberarm, holte mit der rechten Hand aus und stach mit dem Springmesser in der Hand mit nicht unerheblicher Wucht auf E. ein, der sich in diesem Moment selbst nicht zur Wehr setzte. Der Stich durchdrang das Bauchfell und verursachte bei E. vier Perforationen des Dünndarms auf einer Länge von 6 cm, wobei große Blutgefäße und die Hauptschlagader nur knapp verfehlt wurden. Anschließend versetzte der Angeklagte E. noch zwei weitere schmerzhafte Stiche in beide Oberarme, bevor es diesem gelang, sich mit einer Rechtsdrehung aus dem Griff des Angeklagten zu winden, in Panik davon zu rennen und bis zu einer Bushaltestelle zu flüchten, wo er schließlich zusammenbrach.
6
2. Das Landgericht geht bei den zum Nachteil der Geschädigten La. und E. ausgeführten Messerstichen jeweils von einem versuchten Totschlag aus, wobei beide Taten auf Grund der zeitlichen Zäsur zwischen den Verletzungen in Tatmehrheit zueinander stehen. Angesichts der hochgradigen Gefährlichkeit der durch den Angeklagten geführten Messerstiche habe dieser jeweils mit dem Tod des Opfers gerechnet. Einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch verneint das Landgericht. Es geht jeweils von einem beendeten Versuch aus, da der Angeklagte nach seiner Vorstellung das Versterben der beiden Geschädigten allein auf Grund der äußerst schweren Verletzungen zumindest für möglich hielt. Unabhängig davon habe der Angeklagte jedenfalls nicht freiwillig von möglichen weiteren Messerattacken Abstand genommen, da er die beiden Geschädigten auch nach den Stichen weiter festgehalten habe und es beiden erst gelungen sei, wegzurennen, nachdem sie sich losgerissen hatten.

II.


7
Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei jeweils vom beendeten Versuch eines Tötungsdelikts nicht strafbefreiend zurückgetreten (§ 24 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. StGB), hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
8
1. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft die zur Korrektur des Rücktrittshorizonts entwickelten Grundsätze (vgl. dazu BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 - 4 StR 158/14, NStZ 2014, 569 f.; Beschluss vom 17. Dezember 2014 - 2 StR 78/14, NStZ-RR 2015, 106 f. jeweils mwN) nicht beachtet, obwohl die Feststellungen zum unmittelbaren Nachtatgeschehen zur Prüfung dieser Frage drängten.
9
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt ein unbeendeter Versuch auch dann in Betracht, wenn der Täter nach seinem Handeln den Erfolgseintritt zwar für möglich hält, unmittelbar darauf aber zu der Annahme gelangt, sein bisheriges Tun könne den Erfolg doch nicht herbeiführen und er nunmehr von weiteren fortbestehenden Handlungsmöglichkeiten zur Herbeiführung des Erfolges absieht (st. Rspr.; vgl. dazu BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 - 4 StR 158/14, NStZ 2014, 569 f.; Beschluss vom 17. Dezember 2014 - 2 StR 78/14, NStZ-RR 2015, 106 f.; Urteil vom 19. Juli 1987 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224; Beschlüsse vom 7. November 2001 - 2 StR 428/01, NStZ-RR 2002, 73 und vom 8. Juli 2008 - 3 StR 220/08, NStZ-RR 2008, 335). Die Frage, ob nach diesen Rechtsgrundsätzen von einem beendeten oder unbeendeten Versuch auszugehen ist, bedarf insbesondere dann eingehender Erörterung, wenn das angegriffene Tatopfer nach der letzten Ausführungshandlung noch - vom Täter wahrgenommen - zu körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen, das Opfer sei bereits tödlich verletzt. So liegt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs etwa in dem Fall, dass das Opfer noch in der Lage ist, sich vom Tatort wegzubewegen (BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 - 4 StR 158/14, NStZ 2014, 569 f.; Beschluss vom 17. Dezember 2014 - 2 StR 78/14, NStZ-RR 2015, 106 f. jeweils mit zahlr. Nachw.). Ein solcher Umstand kann geeignet sein, die Vorstellung des Täters zu erschüttern, alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs getan zu haben (BGH jeweils aaO).
10
b) Diese Grundsätze hat das Landgericht in beiden Fällen des versuchten Totschlags nicht erörtert, obwohl die Feststellungen zum unmittelbaren Nachtatgeschehen zur Prüfung dieser Frage drängten. Beiden Geschädigten war es nach den letzten vom Angeklagten ausgeführten Stichen gelungen, sich noch aus eigener Kraft vom Angeklagten loszureißen und wegzurennen, bevor sie letztlich entkräftet zusammenbrachen. Konkrete Feststellungen dazu, wel- che Distanz die beiden Geschädigten bis zu ihrem Zusammenbruch zurückgelegt hatten und ob der Angeklagte dies beobachtet und wahrgenommen hat, werden vom Landgericht nicht getroffen. Die bisherigen Feststellungen lassen es jedenfalls als möglich erscheinen, dass der Angeklagte, sofern er das Verhalten der Geschädigten alsbald nach der letzten Tathandlung beobachtet hat, nicht mehr davon ausging, diese tödlich verletzt zu haben. Das gilt auch für die Tat zum Nachteil des Geschädigten La. . Trotz des sehr knappen Zeitraums bis zum Beginn der Auseinandersetzung mit dem GeschädigtenE. (UA S. 16), ist nicht sicher ausgeschlossen, dass der Angeklagte das Weglaufen des Geschädigten La. wahrgenommen hat. Damit kann der Senat auf Grund dieses Erörterungsmangels das Vorliegen eines unbeendeten Versuchs nicht ausschließen.
11
3. Der dargelegte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Schuld- und Rechtsfolgenausspruchs insgesamt. Die Aufhebung erfasst auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen jeweils tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung (BGH, Urteile vom 17. Juli 2014 - 4 StR 158/14, NStZ 2014, 569 f. und vom 20. Februar 1997 - 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1).
12
4. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bleiben aber aufrechterhalten , da sie vom aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht hat jedoch zusätzliche Feststellungen zur Frage des strafbefreienden Rücktritts vom Versuch des Totschlags zu treffen, die mit den bisher getroffenen Feststellungen nicht in Widerspruch stehen.

III.

13
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
14
1. Nach den bisherigen Feststellungen des Landgerichts (UA S. 6/7) liegt bei dem Angeklagten spätestens seit Mitte 2015 ein polytoxikomaner Substanzmissbrauch vor, wobei der Angeklagte seit Juli 2015 seinen Konsum auf täglich 1,5 g Kokain steigerte und zum „Runterkommen“ und Entspannen auch seinen Cannabiskonsum zumindest am Wochenende aufrecht erhielt. Weiter konsumierte der Angeklagte in erheblichem Umfang auch Alkohol, wobei sich dies bei regelmäßigen „Feiern“ am Wochenende auf bis zu einer halben Fla- sche Wodka (0,7 l) steigerte. Im Rahmen seiner Ausführungen zur Unterbringung in einer Entziehungsanstalt geht das Landgericht (UA S. 53/54) davon aus, dass bei dem Angeklagten zwar ein schädlicher Gebrauch von Betäubungsmitteln oder Alkohol vorliegt, aber weder eine körperliche noch ein psychische Abhängigkeit gegeben ist, so dass es bereits an einem Hang fehlt, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, weil der Angeklagte seinen Betäubungsmittel- und Alkoholkonsum in seinen Alltag „eingepasst“ und dieser keine wesentlichen Beeinträchtigungen des beruflichen und sozialen Lebensbereichs bewirkt hat. Auch bestünden „erhebliche Zweifel“ am Vorliegen eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen Tat und Hang im Sinne des § 64 StGB, obwohl das Landgericht feststellt, dass beim Angeklagten ein sein Gehalt übersteigender Finanzbedarf bestand, den er durch Einnahmen illegaler Art und Weise zu steigern suchte (UA S. 9) und die vom Angeklagten gegenüber der B. er Gruppe geforderte „Schutzgeldzahlung“ von 5.000 Euro(UA S. 12) letztlich Auslöser für die körperlichen Auseinandersetzungen war.
15
2. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges und eines symptomatischen Zusammenhangs im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist.
16
a) Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Urteile vom 14. Oktober 2015 - 1 StR 415/15; vom 10. November 2004 - 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210 und vom 15. Mai 2014 - 3 StR 386/13). Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit, Arbeitsund Leistungsfähigkeit des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008 - 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 und vom 14. Dezember 2005 – 1 StR 420/05, NStZ-RR 2006, 103). Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hanges aus (BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008 - 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 und vom 2. April 2015 - 3 StR 103/15).
17
b) Ein symptomatischer Zusammenhang liegt vor, wenn der Hang allein oder zusammen mit anderen Umständen dazu beigetragen hat, dass der Täter eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat und dies bei unverändertem Verhalten auch für die Zukunft zu erwarten ist (BGH, Beschlüsse vom 25. November 2015 - 1 StR 379/15, NStZ-RR 2016, 113; vom 6. November 2013 - 5 StR 432/13 und vom 25. Mai 2011 - 4 StR 27/11, NStZ-RR 2011, 309), mit- hin die konkrete Tat in dem Hang ihre Wurzel findet (vgl. BGH, Beschluss vom 28. August 2013 - 4 StR 277/13, NStZ-RR 2014, 75). Dieser Zusammenhang liegt bei Delikten, die begangen werden, um Rauschmittel selbst oder Geld für ihre Beschaffung zu erlangen, nahe (BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 - 1 StR 693/96, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Rausch 1; Beschluss vom 28. August 2013 - 4 StR 277/13, NStZ-RR 2014, 75). Raum Bellay Radtke Fischer Bär

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 56/08
vom
1. April 2008
in der Strafsache
gegen
wegen räuberischen Angriffs auf einen Kraftfahrer u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 1. April 2008 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 16. Oktober 2007 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten u.a. wegen schweren Raubes in Tateinheit mit räuberischem Angriff auf Kraftfahrer und Freiheitsberaubung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es hat ferner eine isolierte Sperre für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von zwei Jahren angeordnet. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
2
Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Das Rechtsmittel hat jedoch insoweit Erfolg , als das Landgericht davon abgesehen hat, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB anzuordnen.
3
1. Nach den Feststellungen konsumiert der Angeklagte bereits seit seinem 16. Lebensjahr in großen Mengen Alkohol. Ab Anfang des Jahres 2007, mithin auch während des Tatzeitraums, hatte er zwei- oder dreimal wöchentlich einen Vollrausch. Insbesondere an den Wochenenden trank er acht bis zehn halbe Liter Bier und bis zu einer Flasche Wodka täglich. Mit 17 Jahren begann er zusätzlich Haschisch zu rauchen und ab dem 20. Lebensjahr zeitweise täglich Kokain zu schnupfen. Bei Begehung sämtlicher Taten war der Angeklagte alkoholisiert und stand teilweise zusätzlich unter erheblichem Drogeneinfluss. Während des ca. 1 ½ Stunden dauernden Raubgeschehens zum Nachteil der Nebenklägerin trank der Angeklagte mindestens vier Flaschen Bier. Bei Begehung der letzten Tat, bei der es anlässlich seiner Festnahme zu Widerstandsund Körperverletzungshandlungen kam, wies der Angeklagte eine Blutalkoholkonzentration von über 2 ‰ auf. Der wegen Körperverletzungsdelikten vorgeahndete Angeklagte weiß, dass er unter Alkoholeinfluss zu aggressivem Verhalten neigt. Bei drei der fünf ausgeurteilten Taten hat das Landgericht nicht auszuschließen vermocht, dass der Angeklagte infolge einer akuten Alkohol- bzw. Drogenintoxikation im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert steuerungsfähig war.
4
Das Landgericht hat in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen einen Hang des Angeklagten, berauschende Mittel, nämlich Alkohol und Drogen, im Übermaß zu sich zu nehmen, "noch nicht" anzunehmen vermocht. Zwar lie- ge beim Angeklagten ein problematischer Umgang mit Suchtmitteln vor, eine erhebliche Beeinträchtigung der Arbeits-, Gesundheits- und Leistungsfähigkeit im Sinne einer schweren süchtigen Fehlhaltung könne bei ihm jedoch noch nicht festgestellt werden.
5
2. Diese Begründung lässt besorgen, dass das Landgericht von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist.
6
Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH NStZ 2005, 210). Insoweit kann auch dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betroffenen erheblich beeinträchtigt ist, indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 103). Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen dürften, schließt deren Fehlen nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hanges aus.
7
Dies zu Grunde gelegt, drängt sich das Vorliegen eines Hanges hier schon angesichts der getroffenen Feststellungen zum Konsumverhalten des Angeklagten auf. Aber auch die festgestellte Neigung des Angeklagten, unter Alkoholeinfluss Aggressionshandlungen zu begehen, deutet auf eine abhängigkeitsbedingte soziale Gefährdung und Gefährlichkeit des Angeklagten hin, zumal dieser in der Vergangenheit bereits mehrfach wegen Körperverletzungsde- likten verurteilt worden ist. Der Bejahung eines Hanges steht demgegenüber nicht entgegen, dass der Angeklagte nach seiner Inhaftierung körperliche Entzugserscheinungen nicht aufwies, mithin eine körperliche Abhängigkeit (noch) nicht festgestellt werden konnte. Ebenso wenig ist für die Annahme eines Hanges - entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts - erforderlich, dass bei dem Täter infolge der Rauschmittelabhängigkeit bereits eine Persönlichkeitsdepravation eingetreten ist (vgl. BGH NStZ 2007, 697; BGH NStZ-RR 2008, 8).
8
Auch der Symptomwert der festgestellten Taten für den Hang des Angeklagten liegt - entgegen der Auffassung des Landgerichts - nahe mit Blick auf dessen Neigung, nach übermäßigem Rauschmittelkonsum Aggressionshandlungen - wie sie hier mit Ausnahme der Trunkenheitsfahrt durchweg vorliegen - zu begehen. Anhaltspunkte dafür, dass eine stationäre Therapie bei dem vergleichsweise jungen und bislang noch nicht behandelten Angeklagten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 64 Satz 2 StGB), oder dass andere Voraussetzungen der Maßregelanordnung offensichtlich nicht vorliegen, ergeben die bisherigen Feststellungen nicht.
9
Die Frage der Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf deshalb der erneuten Prüfung und Entscheidung. Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls § 67 Abs. 2 StGB n.F. zu beachten haben.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 420/05
vom
14. Dezember 2005
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Dezember 2005 beschlossen
:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Stuttgart vom 24. Juni 2005 wird verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


I.


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Erwerb in 20 Fällen, unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen Erwerbs von Betäubungsmitteln in 24 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

II.


1. Die Überprüfung des Schuldspruchs aufgrund der von der Verteidigung nicht näher ausgeführten Sachrüge hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
2. Der Generalbundesanwalt hat hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs beantragt, das Urteil aufzuheben, weil eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterblieben ist. Der Senat vermag diesem Antrag nicht zu entsprechen.

a) Die Revision erwähnt § 64 StGB nicht. Die Feststellungen des Landgerichts ergeben kein vollständiges Bild zur Abhängigkeit des Angeklagten und damit zum "Hang" im Sinne des § 64 StGB. Der Senat kann den Urteilsgründen nicht entnehmen, dass eine neue Verhandlung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Unterbringungsanordnung führen wird (vgl. BGHSt 37, 5, 9). Auf der Grundlage der Einlassung des Angeklagten hat die Strafkammer einerseits festgestellt, dieser habe während der Zeit bei der Bundeswehr große Mengen Alkohol getrunken. Am Ende der Bundeswehrzeit und während seiner Ausbildung zum Bürokaufmann habe er mit dem Konsum von Kokain begonnen, den Konsum von sich aus wieder eingestellt und im Oktober 2001 erneut damit begonnen. Auch danach habe er immer wieder, auch für längere Zeit, den Konsum unterbrochen. Im Frühjahr 2003 sei er mit Amphetaminen und Ecstasy in Berührung gekommen, die er regelmäßig konsumiert habe. Ein Leben ohne Drogen habe er sich nicht mehr vorstellen können. Von Januar bis mindestens Ende August 2004 habe er täglich Kokain konsumiert, zudem unregelmäßig auch Amphetamin und Ecstasy; er habe sich ständig in einem berauschten Zustand befunden, wobei er schnell höhere Dosen an Kokain benötigt habe, um
eine ausreichende Wirkung zu verspüren. Er habe bis zu vier Gramm täglich konsumiert und seine Persönlichkeit habe sich durch den Missbrauch verändert. Die abgeurteilten Taten habe er begangen, um seinen Kokainkonsum zu finanzieren. Das Landgericht hat aber auch festgestellt, dass der Angeklagte im Sommer 2004 seinen Kokainkonsum beendet habe (UA S. 4). Im Spätsommer 2004 habe er (nur noch) größere Mengen Medikamente eingenommen, weil er depressive Phasen gehabt habe. Einer Drogentherapie hat sich der Angeklagte bisher nicht unterzogen.

b) Voraussetzung für eine Unterbringung gemäß § 64 ist (unter anderem) ein Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Von einem Hang ist auszugehen, wenn eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung besteht, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad physischer Abhängigkeit erreicht haben muss (vgl. nur BGHSt StGB § 64 Abs. 1 Hang 5; Körner BtMG 5. Aufl. § 35 Rdn. 297; Hanack in LK 11. Aufl. § 64 Rdn. 40 jew. m.w.N.). "Im Übermaß" bedeutet, dass der Täter berauschende Mittel in einem solchen Umfang zu sich nimmt, dass seine Gesundheit, Arbeitsund Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt wird (Körner aaO; Hanack aaO Rdn. 44 m.w.N. in Fußn. 12). Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof auch die unterbliebene Erörterung einer Unterbringung bei einem Täter gebilligt, bei dem zwar "eine Tendenz zum Betäubungsmittelmissbrauch ... jedoch keine Depravation und erhebliche Persönlichkeitsstörung" vorlag (BGHR StGB § 64 Nichtanordnung 1).

c) Auf der Grundlage der im Revisionsverfahren allein maßgeblichen Urteilsgründe zu den Auswirkungen des Rauschgiftkonsums auf Sozialverhalten und Gesundheit des Angeklagten liegt die Annahme eines Hangs i. S. d. § 64
StGB beim Angeklagten eher nicht nahe. Eine Unterbringungsanordnung gemäß § 64 StGB kommt jedoch nur in Betracht, wenn das Vorliegen eins Hangs sicher ("positiv") festgestellt ist.
3. Der Senat ist nicht gehindert, gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu entscheiden. Der Aufhebungsantrag hinsichtlich der Entscheidung über eine Maßregelanordnung nach § 64 StGB wirkt zu Lasten und nicht zu Gunsten des Angeklagten im Sinne des § 349 Abs. 4 StPO (BGH NStZ-RR 2003, 106, 107 m. w. Nachw.).
Nack Wahl Boetticher Hebenstreit Graf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 56/08
vom
1. April 2008
in der Strafsache
gegen
wegen räuberischen Angriffs auf einen Kraftfahrer u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 1. April 2008 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 16. Oktober 2007 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten u.a. wegen schweren Raubes in Tateinheit mit räuberischem Angriff auf Kraftfahrer und Freiheitsberaubung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es hat ferner eine isolierte Sperre für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von zwei Jahren angeordnet. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
2
Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Das Rechtsmittel hat jedoch insoweit Erfolg , als das Landgericht davon abgesehen hat, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB anzuordnen.
3
1. Nach den Feststellungen konsumiert der Angeklagte bereits seit seinem 16. Lebensjahr in großen Mengen Alkohol. Ab Anfang des Jahres 2007, mithin auch während des Tatzeitraums, hatte er zwei- oder dreimal wöchentlich einen Vollrausch. Insbesondere an den Wochenenden trank er acht bis zehn halbe Liter Bier und bis zu einer Flasche Wodka täglich. Mit 17 Jahren begann er zusätzlich Haschisch zu rauchen und ab dem 20. Lebensjahr zeitweise täglich Kokain zu schnupfen. Bei Begehung sämtlicher Taten war der Angeklagte alkoholisiert und stand teilweise zusätzlich unter erheblichem Drogeneinfluss. Während des ca. 1 ½ Stunden dauernden Raubgeschehens zum Nachteil der Nebenklägerin trank der Angeklagte mindestens vier Flaschen Bier. Bei Begehung der letzten Tat, bei der es anlässlich seiner Festnahme zu Widerstandsund Körperverletzungshandlungen kam, wies der Angeklagte eine Blutalkoholkonzentration von über 2 ‰ auf. Der wegen Körperverletzungsdelikten vorgeahndete Angeklagte weiß, dass er unter Alkoholeinfluss zu aggressivem Verhalten neigt. Bei drei der fünf ausgeurteilten Taten hat das Landgericht nicht auszuschließen vermocht, dass der Angeklagte infolge einer akuten Alkohol- bzw. Drogenintoxikation im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert steuerungsfähig war.
4
Das Landgericht hat in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen einen Hang des Angeklagten, berauschende Mittel, nämlich Alkohol und Drogen, im Übermaß zu sich zu nehmen, "noch nicht" anzunehmen vermocht. Zwar lie- ge beim Angeklagten ein problematischer Umgang mit Suchtmitteln vor, eine erhebliche Beeinträchtigung der Arbeits-, Gesundheits- und Leistungsfähigkeit im Sinne einer schweren süchtigen Fehlhaltung könne bei ihm jedoch noch nicht festgestellt werden.
5
2. Diese Begründung lässt besorgen, dass das Landgericht von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist.
6
Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH NStZ 2005, 210). Insoweit kann auch dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betroffenen erheblich beeinträchtigt ist, indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 103). Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen dürften, schließt deren Fehlen nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hanges aus.
7
Dies zu Grunde gelegt, drängt sich das Vorliegen eines Hanges hier schon angesichts der getroffenen Feststellungen zum Konsumverhalten des Angeklagten auf. Aber auch die festgestellte Neigung des Angeklagten, unter Alkoholeinfluss Aggressionshandlungen zu begehen, deutet auf eine abhängigkeitsbedingte soziale Gefährdung und Gefährlichkeit des Angeklagten hin, zumal dieser in der Vergangenheit bereits mehrfach wegen Körperverletzungsde- likten verurteilt worden ist. Der Bejahung eines Hanges steht demgegenüber nicht entgegen, dass der Angeklagte nach seiner Inhaftierung körperliche Entzugserscheinungen nicht aufwies, mithin eine körperliche Abhängigkeit (noch) nicht festgestellt werden konnte. Ebenso wenig ist für die Annahme eines Hanges - entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts - erforderlich, dass bei dem Täter infolge der Rauschmittelabhängigkeit bereits eine Persönlichkeitsdepravation eingetreten ist (vgl. BGH NStZ 2007, 697; BGH NStZ-RR 2008, 8).
8
Auch der Symptomwert der festgestellten Taten für den Hang des Angeklagten liegt - entgegen der Auffassung des Landgerichts - nahe mit Blick auf dessen Neigung, nach übermäßigem Rauschmittelkonsum Aggressionshandlungen - wie sie hier mit Ausnahme der Trunkenheitsfahrt durchweg vorliegen - zu begehen. Anhaltspunkte dafür, dass eine stationäre Therapie bei dem vergleichsweise jungen und bislang noch nicht behandelten Angeklagten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 64 Satz 2 StGB), oder dass andere Voraussetzungen der Maßregelanordnung offensichtlich nicht vorliegen, ergeben die bisherigen Feststellungen nicht.
9
Die Frage der Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf deshalb der erneuten Prüfung und Entscheidung. Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls § 67 Abs. 2 StGB n.F. zu beachten haben.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

5 StR 485/07

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 19. Dezember 2007
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Dezember 2007

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten E. wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 15. Mai 2007 nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Unterbringung dieses Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten E. , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision des Angeklagten E. und die Revision der Angeklagten M. werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
4. Die Angeklagte M. hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
G r ü n d e
1
Das angefochtene Urteil weist lediglich betreffend den Angeklagten E. einen sachlich-rechtlichen Mangel auf, als das Landgericht die Prüfung einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB unterlassen hat, obwohl sich dies aufdrängte. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 18. Oktober 2007 zutreffend ausgeführt:
2
„Hat ein Täter den Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen , und wird er wegen einer auf den Hang zurückzuführenden rechtswidrigen Tat verurteilt, so muss nach § 64 StGB das Gericht eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass er auch in Zukunft infolge seines Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Ob von einer Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu Recht abgesehen worden ist, kann vom Revisionsgericht auf die Sachrüge hin überprüft werden, auch wenn – wie hier – nur der Angeklagte Revision eingelegt und die Nichtanwendung des § 64 StGB nicht vom Revisionsangriff ausgenommen hat (vgl. BGHSt 37, 5; BGHR StGB § 64 Ablehnung 5). Anlass hierfür besteht allerdings nur dann, wenn es nach den Urteilsfeststellungen nahe liegt, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringungsanordnung gegeben sind (vgl. BGHR StGB § 64 Ablehnung 10).
3
Dies ist hier der Fall.
4
Der Angeklagte ist alkohol- und betäubungsmittelabhängig (UA S. 9). Zur Finanzierung seines Kokainbedarfs war er insbesondere ab Februar 2006 auf die Erschließung zusätzlicher Einnahmequellen angewiesen (UA S. 11), wobei er sich gerade durch den verfahrensgegenständlichen Transport von Betäubungsmitteln eine solche erhoffte (UA S. 21). Für die Strafkammer steht fest, dass die Tathandlungen nicht nur im Zusammenhang mit seiner Abhängigkeitserkrankung standen (UA S. 60), sondern durch diese ersichtlich begünstigt wurden (UA S. 67). Die Feststellungen ergeben weiter, dass der Angeklagte weiterhin ein Verlangen nach dem Konsum von Kokain empfindet und therapiewillig ist (UA S. 11).“
5
Die Frage der Unterbringung des Angeklagten E. in einer Entziehungsanstalt bedarf daher unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) der Prüfung und Entscheidung durch ein neues Tatgericht. Für den Fall, dass es die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anord- nen sollte, wird gemäß der jetzt geltenden Fassung der Vorschrift des § 67 Abs. 2 StGB auch über die Reihenfolge der Vollstreckung von Freiheitsstrafe und Maßregel zu entscheiden sein.
Basdorf Gerhardt Raum Brause Jäger

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.