Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Juli 2017 - 1 ARs 20/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:270717B1ARS20.16.0
bei uns veröffentlicht am27.07.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 ARs 20/16
vom
27. Juli 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
hier: Anfragebeschluss des 2. Strafsenats vom 1. Juni 2016 – 2 StR 150/15
ECLI:DE:BGH:2017:270717B1ARS20.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Juli 2017 beschlossen:
Der Senat stimmt der Auffassung des anfragenden Senats zu, dass bei einem vorsätzlichen Tötungsdelikt die Feststellung von Tötungsabsicht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werden kann.

Gründe:


1
Der Senat stimmt der Auffassung des anfragenden 2. Strafsenats grundsätzlich zu, dass bei einem vorsätzlichen Tötungsdelikt die Feststellung von Tötungsabsicht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werden kann. Die im Anfrageverfahren formulierte Fragestellung lässt jedoch offen, ob im Einzelfall die strafschärfende Berücksichtigung des direkten Tötungsvorsatzes in Form des dolus directus 1. Grades bei undifferenzierter Betrachtungsweise nicht auch rechtsfehlerhaft sein kann.
2
Entscheidend für die strafschärfende Berücksichtigung der Tötungsabsicht ist, ob dem Täter angesichts seiner Handlungsweise eine höhere Tatschuld vorzuwerfen ist, sei es im Sinne einer besonders verwerflichen Gesinnung oder einer besonderen Stärke des verbrecherischen Willens (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Juni 2016 – 2 StR 150/15, Tz. 27 und vom 17. September 1990 – 3 StR 313/90, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 4). Das Tatgericht hat sich daher in den Urteilsgründen mit den Vorstellungen und Zielen des Täters auseinanderzusetzen und zu bewerten, ob ihm eine höhere Tatschuld vorzuwerfen ist. Ist dies der Fall, bestehen mit Blick auf § 46 Abs. 3 StGB keine Bedenken gegen die strafschärfende Berücksichtigung der Vorsatzform der Tötungsabsicht. Insoweit und unter dieser Maßgabe hält der Senat an etwaiger entgegenstehender eigener Rechtsprechung nicht mehr fest.
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Strafgesetzbuch - StGB | § 46 Grundsätze der Strafzumessung


(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. (2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Um

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Bundesgerichtshof Beschluss, 01. Juni 2016 - 2 StR 150/15

bei uns veröffentlicht am 01.06.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 150/15 vom 1. Juni 2016 in der Strafsache gegen wegen Totschlags ECLI:DE:BGH:2016:010616B2STR150.15.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1. Juni 2016 gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG
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Bundesgerichtshof Urteil, 17. Jan. 2018 - 2 StR 334/15

bei uns veröffentlicht am 17.01.2018

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 334/15 vom 17. Januar 2018 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen Mordes u.a. ECLI:DE:BGH:2018:170118U2STR334.15.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 20.

Bundesgerichtshof Urteil, 10. Jan. 2018 - 2 StR 150/15

bei uns veröffentlicht am 10.01.2018

Nachträglicher Leitsatz Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja BGHR: ja Veröffentlichung: ja StGB § 46 Abs. 2 und 3 1. Der Umstand, dass der Täter mit Tötungsabsicht gehandelt hat, kann beim vorsätzlichen Tötungsdelikt strafschärfend berücksichtigt

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 150/15
vom
1. Juni 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
ECLI:DE:BGH:2016:010616B2STR150.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1. Juni 2016 gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG beschlossen:
1. Die Hauptverhandlung wird unterbrochen. 2. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden: Beim vorsätzlichen Tötungsdelikt kann die Feststellung von Tötungsabsicht zu Lasten des Angeklagten strafschärfend berücksichtigt werden. 3. Er fragt deshalb bei den anderen Strafsenaten an, ob dem zugestimmt oder an entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf Verfahrensbeanstandungen und sachlich-rechtliche Einwendungen gestützte Revision des Angeklagten.

A.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts beschloss der 74 Jahre alte Angeklagte R. am 22. Oktober 2013, seine erheblich jüngere und Trennungsabsichten hegende Ehefrau R. zu töten. In Ausführung dieses Tatentschlusses griff er sie auf der Kellertreppe des gemeinsamen Wohnanwesens an und schlug ihr einen Gegenstand gegen den Kopf, wodurch sie die Kellertreppe hinunterstürzte und zu Boden fiel. Nunmehr ergriff der Angeklagte einen etwa 2,8 Kilogramm schweren Feuerlöscher und schlug damit in Tötungsabsicht mindestens fünf Mal wuchtig auf den Kopf seiner am Boden liegenden Ehefrau ein. Sie erlitt durch diese mehrfachen, massiven Gewalteinwirkungen multiple offene Schädel-Hirn-Verletzungen. Weitere stumpfe Gewalteinwirkungen gegen den Oberkörper des Tatopfers führten zu zahlreichen Rippenbrüchen , die linksseitig zu einer mehrfachen Durchsetzung der Brusthöhle und zu Einblutungen in die Lunge führten. Die Ehefrau des Angeklagten verstarb aufgrund der erlittenen massiven Verletzungen innerhalb weniger Minuten.
3
Nach der Tat benachrichtigte der Angeklagte den Rettungsdienst und behauptete in dem Bemühen, ein Sturzgeschehen vorzutäuschen, er habe seine Ehefrau nach Gartenarbeiten blutüberströmt und verletzt im Keller aufgefunden.

B.

4
Dem Antrag des Generalbundesanwalts folgend hält der Senat die Revision des Angeklagten für unbegründet. Allerdings hat das Schwurgericht im Rahmen der Strafzumessung bei der Prüfung der Frage, ob die Tat als ein (sonst) minder schwerer Fall des Totschlags im Sinne des § 213 StGB anzusehen ist, zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass „der Angeklagte den Tod seiner Ehefrau absichtlich und zielgerichtet herbeiführen wollte“.Auch im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne hat das Schwurgericht neben der brutalen Tatausführung strafschärfend „die Tatsache“ berücksichtigt, dass der Angeklagte seine Ehefrau „absichtlich getötet hat“. Die strafschärfende Be- rücksichtigung der – rechtsfehlerfrei festgestellten – Tötungsabsicht erweist sich nach bisher gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als rechtsfehlerhaft , weil dem Angeklagten damit strafschärfend allein das subjektive Tatbestandsmerkmal direkten Tötungsvorsatzes zur Last gelegt wird und dies gegen das in § 46 Abs. 3 StGB verankerte Verbot der Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen verstößt (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 7; Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 5 StR 355/15; Senat, Beschluss vom 25. Juni 2015 – 2 StR 83/15; BGH, Beschluss vom 11. März 2015 – 1 StR 3/15, NStZRR 2015, 171; Senat, Beschluss vom 23. Oktober 1992 – 2 StR 483/92, StV 1993, 72).
5
Demgegenüber hat der Senat in seinem Beschluss vom 28. Juni 2012 (2 StR 61/12, NStZ 2012, 689) seiner Auffassung Ausdruck verliehen, dass es zwar „in der Regel“ gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB verstoße, wenn der Tatrichter das Vorliegen direkten Tötungsvorsatzes straferschwerend bewerte, dies jedoch nicht für Tötungsabsicht gelte. Der Umstand, dass der Täter handelt, um den tödlichen Erfolg herbeizuführen, dürfe strafschärfend berücksichtigt werden.
6
Zu dieser Rechtsauffassung will der Senat zurückkehren und beabsichtigt zu entscheiden, dass beim vorsätzlichen Tötungsdelikt die Feststellung von Tötungsabsicht zu Lasten des Angeklagten strafschärfend berücksichtigt werden kann. Er fragt deshalb wegen Divergenz bei den anderen Strafsenaten an, ob diese ihm folgen oder an ihrer bisherigen Rechtsprechung festhalten.

I.

7
1. a) Ausgehend von dem in § 46 Abs. 3 StGB verankerten Doppelverwertungsverbot von Tatbestandsmerkmalen haben der 3. und der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs bereits früh entschieden, dass das Tatbestandsmerkmal des Tötungsvorsatzes bei der Strafzumessung nicht noch einmal strafschärfend berücksichtigt werden dürfe (BGH, Urteil vom 28. Juni 1968 – 4 StR 226/68, unveröffentlicht; Beschluss vom 16. September 1986 – 4 StR 457/86, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 1; Beschluss vom 26. April 1988 – 4 StR 157/88,NStE Nr. 41 zu § 46 StGB; Beschluss vom 30. Juli 1998 – 4 StR 346/98, NStZ 1999, 23; Beschluss vom 3. Februar2004 – 4 StR 403/03). Der Tatbestand des Totschlags setze vorsätzliche Tatbegehung voraus, deren „Regelfall“ die Tötung mit direktem Vorsatz sei (BGH, Beschluss vom 5. Oktober 1977 – 3 StR 369/77 –, juris Rn. 6; BGH, Urteil vom 14. August 2008 – 4 StR 223/08, NStZ 2008, 624). Der Tötung mit direktem Tötungsvorsatz komme deshalb kein gesteigerter Unrechtsgehalt zu, während die Tötung mit bedingtem Tötungsvorsatz eine geringere Tatschwere aufweise (BGH, Beschluss vom 19. März 2009 – 4 StR 53/09, NStZ 2009, 564). In seinem Beschluss vom 17. September 1990 (3 StR 313/90; BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 4 – dolus directus) hat der 3. Strafsenat allerdings darauf hingewiesen , dass die strafschärfende Wertung direkten Vorsatzes im Zusammenhang mit den Vorstellungen und Zielen des Angeklagten nicht rechtsfehlerhaft sein müsse.
8
b) Der Rechtsauffassung des 3. und des 4. Strafsenats, wonach die strafschärfende Berücksichtigung des direkten Tötungsvorsatzes gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB verstoße, sind der 1. Strafsenat (Beschluss vom 11. März 2015 – 1 StR 3/15) und der 5. Strafsenat (Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 5 StR 355/15, NStZ-RR 2016,
8) beigetreten.
9
c) Der Senat hatte sich der Auffassung des 3. und 4. Strafsenats zunächst angeschlossen (Beschluss vom 1. Dezember 1989 – 2 StR 555/89, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 3 – dolus directus) und in der strafschärfenden Berücksichtigung direkten Tötungsvorsatzes einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot von Tatbestandsmerkmalen gesehen (§ 46 Abs. 3 StGB). Dabei hat er – auch hierin der Rechtsprechung des 3. und 4. Strafsenats folgend (vgl. Beschluss vom 13. Mai 1981 – 3 StR 126/81, NJW 1981, 2204) folgend – die Anerkennung einer strafzumessungsrelevanten Schuldabstufung innerhalb des direkten Vorsatzes und eine Schuldabstufung zwischen Absicht und Wissentlichkeit abgelehnt.
10
d) In seinem Beschluss vom 28. Juni 2012 – 2 StR 61/12 (NStZ 2012, 689) – hat der Senat demgegenüber die vom Tatrichter strafschärfend berücksichtigte Vorsatzform von Tötungsabsicht unbeanstandet gelassen.
11
e) Der 4. Strafsenat hat in seiner Entscheidung vom 26. April 2016 – 4 StR 104/16 die Frage, ob die strafschärfende Berücksichtigung von Tö- tungsabsicht gegen § 46 Abs. 3 StGB verstoße, ausdrücklich offen gelassen.
12
2. Die Rechtsauffassung, wonach die Vorsatzform als eine selbstständige Strafzumessungstatsache ausscheide oder gegen das Verbot des § 46 Abs. 3 StGB verstoße, hat in der Literatur Zustimmung, aber auch Kritik erfahren (zustimmend Fischer StGB, 63. Aufl. § 46 Rn. 30 aE und § 212 Rn. 18; LK StGB/Jähnke, 11. Aufl. § 212 Rn. 45; LK StGB/Theune, 12. Aufl. § 46 Rn. 77; MüKoStGB/Miebach § 46 Rn. 86; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., S. 173, 174; Bruns, Recht der Strafzumessung , 2. Aufl., S. 214; Lackner/Kühl StGB, 28. Aufl. § 46 Rn. 33; zweifelnd Jescheck/Weigend Strafrecht AT, 5. Aufl. S. 887; ablehnend SSWStGB /Eschelbach, 2. Aufl. § 46 Rn. 93, 185; Frisch in 50 Jahre Bundesgerichtshof , Festgabe aus der Wissenschaft, 2000, S. 269, 290 f.; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, 1999, S. 260, 263; Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt , 2010, S. 148 ff.; Foth, JR 1985, 397, 398; Bruns, JR 1981, 512, 513). Ihr ist entgegen gehalten worden, dass der Tatbestand des § 212 StGB bereits bei Vorliegen bedingten Tötungsvorsatzes erfüllt sei und die Feststellung direkten Tötungsvorsatzes als eine Schuldsteigerung anzusehen sei, welche die Tatschuld erhöhe (vgl. Bruns aaO). Die strafschärfende Berücksichtigung der hierin liegenden Schuldsteigerung gerate mit dem in § 46 Abs. 3 StGB verankerten Doppelverwertungsverbot von Tatbestandsmerkmalen deshalb nicht in Konflikt (SSW-StGB/Eschelbach, 2. Aufl. § 46 Rn. 93, 185). Darüber hinaus ist darauf hingewiesen worden, dass einem Täter, dem es auf die Beseitigung oder Zerstörung eines durch die Strafrechtsordnung geschützten, fundamentalen Rechtsguts ankomme, die Rechtsordnung nachhaltiger in Frage stelle als der nur bedingt vorsätzlich handelnde Täter (Frisch, BGH-FG, 269, 290; ders., Vorsatz und Risiko, 1983, 498, 499; ZStW 99 (1987) 349, 387 f., 768 ff.; Grünewald aaO S. 154 ff.). Insbesondere der mit „Absicht“ Tötende erschüttere das Vertrauen der Bevölkerung in die Normgeltung in besonderem Maße. Darüber hinaus könne sein zielstrebig auf die Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges gerichtetes Verhalten auf seine besondere Gefährlichkeit hindeuten (Frisch, BGH-FG, aaO). Schließlich wurde darauf hingewiesen, dass das Handlungsunrecht zwischen bedingt vorsätzlichem Handeln einerseits und absichtlichem bzw. wissentlichem Handeln andererseits sich auch deshalb in erhöhter Tatschuld niederschlage, weil das Ausmaß der Bedrohlichkeit des Täterhandelns aus Opferperspektive unterschiedlich sei (Hörnle, aaO, S. 263).

II.

13
Handelt der Angeklagte mit Tötungsabsicht, so ist dies eine die Tatschuld erhöhende und damit taugliche Strafzumessungstatsache. Die strafschärfende Berücksichtigung von Tötungsabsicht verstößt nicht gegen das in § 46 Abs. 3 StGB verankerte Doppelverwertungsverbot von Tatbestandsmerkmalen.
14
1. Tötungsabsicht als tauglicher Strafschärfungsgrund
15
a) Gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB ist die Schuld des Täters Grundlage für die Zumessung der Strafe. Zur Ermittlung der für die Straffrage maßgeblichen Strafzumessungsschuld sind alle Umstände heranzuziehen, die den Unrechts - und Schuldgehalt der Tat im Einzelfall kennzeichnen. § 46 Abs. 2 StGB benennt beispielhaft und nicht abschließend einige Bereiche derjenigen Umstände , die für die Strafzumessung aussagekräftig sind. Bewertungsrichtung und Gewicht dieser Strafzumessungstatsachen bestimmt in erster Linie der Tatrichter, dem hierbei ein weiter Entscheidungsspielraum eingeräumt ist.
16
b) Zu den Umständen, die § 46 Abs. 2 StGB beispielhaft als für die Strafzumessung im Einzelfall relevante Tatsachen aufführt, zählen die „Beweggründe und die Ziele des Täters“. Der damit angesprochene subjektive Bereich, die innere Einstellung des Täters zu seiner Tat und die mit ihr verfolgten Absichten, ist für die Strafzumessung bedeutsam. Er umfasst nicht nur die vom Täter mit seiner – tatbestandsmäßigen – Handlung verfolgten weiteren Ziele, sondern auch seine innere Einstellung zum Taterfolg. Die unterschiedlichen, in Rechtsprechung und Schrifttum überwiegend anerkannten, nach heute herrschender Dogmatik nicht mehr der Schuld, sondern dem Unrecht zuzurechnenden unterschiedlichen Vorsatzformen sind daher strafzumessungsrelevant.
17
aa) Nach herrschender, terminologisch nicht in jeder Hinsicht einheitlicher Auffassung sind im Bereich des Vorsatzes drei Vorsatzformen zu unterscheiden. Der bedingt vorsätzlich handelnde Täter hält bei Vornahme der – rechtsgutsgefährdenden – Handlung den Eintritt des tatbestandlichen Erfol- ges für möglich und findet sich mit seinem Eintritt ab, auch wenn er auf dessen Eintritt weder abzielt noch ihm dieser auch nur erwünscht ist. Demgegenüber sieht der mit unbedingtem Vorsatz handelnde Täter den Eintritt des tatbestand- lichen Erfolges sicher voraus (dolus directus 2. Grades oder „Wissentlichkeit“) oder er hält den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges für sicher oder möglich und erstrebt seinen Eintritt in dem Sinne, dass es ihm auf die Erreichung des tatbestandlichen Erfolges ankommt (dolus directus 1. Grades).
18
bb) Die gesetzgeberische Anerkennung einer Schuldschwereskala gerade auch im Bereich des subjektiven Tatbestands steht außer Frage. Sie zeigt sich nicht nur in den unterschiedlichen gesetzlichen Strafrahmen, die das Strafgesetzbuch für die vorsätzliche (§§ 211, 212 StGB) und die fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) bereitstellt. Der Gesetzgeber differenziert auch in einer Reihe weiterer Vorschriften des Strafgesetzbuchs je nach der Vorsatzform. So sieht der Qualifikationstatbestand des § 226 Abs. 2 StGB in Fällen absichtlicher oder wissentlicher Erfolgsverursachung einer schweren Folge im Sinne des § 226 Abs. 1 StGB einen höheren Strafrahmen vor. Eine Vielzahl von weiteren Straftatbeständen (vgl. nur §§ 87 Abs. 1, 145, 167a, 183a, 258 ff. StGB) setzt bereits auf der Ebene des Straftatbestands absichtliches oder wissentliches Handeln voraus. Eine Reihe von Staatsschutzdelikten wiederum (§§ 88 Abs. 1, 89, 90 Abs. 3 (Qualifikation des § 90 Abs. 1), 90a Abs. 3 (Qualifikation des § 90a Abs. 1), 90b Abs. 1 StGB) stellt ausdrücklich „absichtliches“ Handeln unter Strafe. Mit Absicht sind „gezielte Handlungen“ gemeint, also solche, die mit dolus directus 1. Grades ausgeführt werden (Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BT–Drucks. V/2860, S. 11).
19
Auch sah der Entwurf eines Strafgesetzbuches 1962 in § 16 eine Definition der drei Vorsatzformen und in § 17 eine Differenzierung zwischen Absicht und Wissentlichkeit vor (BT-Drucks. IV/650, S. 14: „Der Entwurf unterscheidet nach alledem scharf zwischen Absicht und Wissentlichkeit“).Die Normen sollten wissenschaftliche Herleitung und Richterrecht kodifizieren (BTDrucks. IV/650, S. 101) und wurden allein aus redaktionellen Gründen nicht Gesetz.
20
Insbesondere die gesetzgeberische Entscheidung, Qualifikationstatbestände für absichtliches oder wissentliches Handeln bereit zu stellen, zeigt eindrucksvoll , dass nach der Wertentscheidung des Gesetzgebers diesen beiden Vorsatzformen ein höherer Schuldgehalt beizumessen ist als bedingt vorsätzlichem Handeln.
21
cc) Die gesetzgeberischen Formulierungen belegen zugleich die Anerkennung der unterschiedlichen Vorsatzarten innerhalb des unbedingten oder unmittelbaren Vorsatzes. Die generelle gesetzliche Differenzierung zwischen Absicht und Wissentlichkeit ist ein Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber auch insoweit eine graduelle Schuldabstufung als selbstverständlich voraussetzt (ablehnend Dencker, aaO, S. 220; Jakobs, Strafrecht AT, 2. Aufl., S. 261). Denn anderenfalls hätte es näher gelegen, den beide Vorsatzformen umfas- senden Begriff des „unbedingten Vorsatzes“ zu verwenden.
22
dd) Diese grundsätzliche gesetzgeberische Anerkennung einer Schuldschwereskala im Bereich des subjektiven Tatbestands gilt – ungeachtet des Umstands, dass der Gesetzgeber insoweit auf eine ausdrückliche Differenzierung im Rahmen der §§ 211, 212 StGB verzichtet hat – auch und gerade für die Tötungsdelikte.
23
(a) Zwischen Absicht, Wissentlichkeit und bedingtem Vorsatz besteht ein strafzumessungsrelevanter Unterschied (in diesem Sinne Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, 2010, S. 157 ff.). Während der mit bedingtem Vorsatz handelnde Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges zwar als naheliegend voraussieht und sich um der von ihm verfolgten Handlungsziele willen mit dessen Eintritt abfindet, sieht der wissentlich handelnde Täter den Eintritt des tat- bestandlichen Erfolges als sicher voraus. Er handelt „trotz besseren Wissens“ und kalkuliert die Verwirklichung des tatbestandlichen Erfolges und die hierin liegende Verletzung des strafrechtlich geschützten Rechtsguts überlegt ein. Das Handeln trotz sicherer Voraussicht des Erfolgseintritts erhöht das Handlungsunrecht gegenüber dem bedingt vorsätzlich handelnden Täter, bleibt jedoch seinerseits hinter dem des absichtlich Handelnden, den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges erstrebenden Täters zurück.
24
(b) Zwar haben die Verfasser des Entwurfs 1962 die beiden Vorsatzformen des dolus directus als in der Regel gleich strafwürdig bezeichnet (BT– Drucks. IV/650, S. 131: „Die beiden verschiedenen Fälle werden sich jedoch regelmäßig an Strafwürdigkeit gleichkommen. Der bösen Absicht im einen Falle steht das sichere Wissen im anderen gegenüber“), zugleich jedoch darauf hin- gewiesen, dass „die Gleichstellung von Absicht und Wissentlichkeit nicht immer passt.“ (BT-Drucks. IV/650, S. 131).
25
Dies gilt in besonderem Maße für die Tötungsdelikte. Der mit Tötungsabsicht handelnde Täter setzt sich nicht nur über die durch § 212 StGB strafbewehrte Verhaltensnorm, Handlungen zu unterlassen, durch die eine andere Person zu Tode kommen kann, hinweg und nimmt dabei den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges in Kauf. Es kommt ihm vielmehr auf die Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges an. Sein Handeln zielt im Wortsinne auf die Herbeiführung des Todes einer anderen Person ab, diese ist nicht nur billigend in Kauf genommene oder wissentlich herbeigeführte Folge, sondern Ziel seines Handelns. Dieses Streben ist im besonderen Maße mit einem sozialen Unwerturteil belegt. Dass der auf die Rechtsgutsverletzung gerichtete Wille eine höhere Gefahr für das geschützte Rechtsgut darstellt, weil der mit dolus directus 1. Grades handelnde Täter sein Handlungsziel zielstrebig verfolgt, liegt auf der Hand.
26
c) Das (unbedingte) Streben nach der Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges ist – je nach den konkreten Umständen des Einzelfalls – geeignet , die individuelle Tatschuld zu erhöhen (vgl. auch Theune, StV 1985, 205,

206).

27
Zwar deutet ein Handeln mit direktem Tötungsvorsatz für sich genommen nicht stets und schlechthin auf eine besonders verwerfliche Gesinnung oder auf eine besondere Stärke des verbrecherischen Willens eines Täters hin. Eine mit bedingtem Tötungsvorsatz begangene Tat kann – je nach den Umständen des Einzelfalls – eine höhere Tatschuld aufweisen als eine mit direktem Tötungsvorsatz begangene Tat. Deshalb kann der (isolierte) Hinweis auf die Vorsatzform im Einzelfall zur Beschreibung höherer Tatschuld zu kurz greifen (Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl. Rn. 618; Theune, aaO; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 498, 499; ablehnend Foth, JR 1985, 397, 398; SSW-StGB/Eschelbach, 2. Aufl. § 46 Rn. 185 aE). Darüber hinaus empfiehlt es sich, die Vorsatzform stets im Zusammenhang mit den Vorstellungen und Zielen des Täters und seinen Handlungsmotiven zu würdigen (BGH, Beschluss vom 29. August 1984 – 3 StR 353/84; Urteil vom 25. Oktober 1989 – 3 StR 180/89, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Strafzumessung 1; BGH, Beschluss vom 17. September 1990 – 3 StR 313/90, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 4). Die grundsätzliche Tauglichkeit der Strafzumes- sungstatsache Tötungsabsicht als Strafschärfungsgrund ist damit jedoch nicht in Frage gestellt.
28
2. Die strafschärfende Berücksichtigung von Tötungsabsicht verstößt nicht gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB.
29
a) Nach dem in § 46 Abs. 3 StGB verankerten „Doppelverwertungsverbot von Tatbestandsmerkmalen“ dürfen Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestands sind, im Rahmen der Strafzumessung nicht noch einmal berücksichtigt werden. Das Doppelverwertungsverbot von Tatbestandsmerkmalen hindert den Tatrichter jedoch nicht daran, im Rahmen der Strafzumessung zugunsten oder zum Nachteil eines Angeklagten den Ausprägungsgrad oder die konkrete Modalität eines – objektiven oder subjektiven – Merkmals des gesetzlichen Tatbestands zu berücksichtigen, wenn dieses steigerungsfähig ist (vgl. Fahl, ZStW 111 (1999), 156; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, 1991, S. 205; Bruns, aaO). Sind Tatbestandmerkmale steigerungsfähig, so kann die Form ihrer Verwirklichung im Einzelfall im Rahmen der Strafzumessung (§ 46 Abs. 2 StGB) berücksichtigt werden. Darüber hinaus greift das Doppelverwertungsverbot auch dann nicht ein, wenn ein Straftatbestand zwei unterschiedlich schwer wiegende Alternativen zur Verfügung stellt (BGH, Urteil vom 30. Januar 1980 – 3 StR 471/79, NJW 1980, 1344; RG GA 56 (1909), 96).
30
b) Gemessen hieran verstößt die strafschärfende Berücksichtigung von Tötungsabsicht nicht gegen § 46 Abs. 3 StGB.
31
Jedenfalls bei Tötungsabsicht handelt es sich um gegenüber dem zur Tatbestandserfüllung hinreichenden bedingten Tötungsvorsatz um eine Schuldsteigerung , die den Unrechtsgehalt der Tat erhöht. Sie kann zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werden.
32
c) Zwar wird die Unzulässigkeit der strafschärfenden Berücksichtigung von Tötungsabsicht auch damit begründet, dass es sich in beiden Spielarten des dolus directus Absicht und Wissentlichkeit um den „Regelfall“ des Totschlags im Sinne des § 212 StGB handele, der dem Gesetzgeber bei Schaffung des Strafrahmens für die vorsätzliche Tötung eines anderen Menschen vor Augen gestanden habe (BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 5 StR 355/15, NStZ-RR 2016, 8: “normativer Regelfall“; Senat, Beschluss vom 25. Juni 2015 – 2 StR 83/15, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 7; BGH, Beschluss vom 19. März 2009 – 4 StR 53/09, NStZ 2009, 564, 565; BGH, Urteil vom 14. August 2008 – 4 StR 223/08, NStZ 2008, 624; BGH, Beschluss vom 3. Februar 2004 – 4 StR 403/03, juris; BGH, Beschluss vom 30. Juli 1998 – 4 StR 346/98, NStZ 1999, 23; Senat, Beschluss vom 23. Oktober 1992 – 2 StR 483/92, StV 1993, 72; Senat, Beschluss vom 1. Dezember 1989 – 2 StR 555/89, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 3;BGH, Beschluss vom 15. November 1983 – 3 StR 447/83, EzSt StGB § 212 Nr. 7; BGH, Beschluss vom 13. Mai 1981 – 3 StR 126/81, NJW 1981, 2204; BGH, Beschluss vom 8. Februar 1978 – 3 StR 425/77, juris; BGH, Beschluss vom 5. Oktober 1977 – 3 StR 369/77, juris). Dies erscheint aber schon aufgrund der praktischen Erfahrung zweifelhaft, wonach in der überwiegenden Zahl der Fälle bedingter Vorsatz und nur in seltenen Einzelfällen Absicht festgestellt wird. Im Übrigen ist es auch nicht naheliegend, die ganz unterschiedlichen Motivationslagen des direkten Vorsatzes (Inkaufnehmen auch des unerwünschten, aber als sicher vorausgesehenen Erfolges um eines weiteren Ziels willen) und der Absicht (Tatmotivation gerade mit dem Ziel der Erfolgsherbeiführung) zu einem einzigen „normativen Regelfall“ zusammenzufassen. Fischer Krehl Eschelbach Zeng Bartel

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.