Bundesfinanzhof Beschluss, 03. Juni 2011 - VII B 203/10
Tatbestand
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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war zusammen mit Herrn R Mitgeschäftsführer einer GmbH. Dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) hatte die GmbH bezüglich fälliger Lohnsteuern eine Einzugsermächtigung erteilt. Zudem hatte R gegenüber einer Bank eine Bürgschaftserklärung abgegeben, wonach er für den der GmbH in Höhe von 140.000 € gewährten Kontokorrentkredit zur Hälfte dieses Betrages bürge. Am 18. November 2002 ging beim FA die vom Steuerberater der GmbH erstellte Lohnsteueranmeldung für den Monat Oktober 2002 ein. Aufgrund der Einzugsermächtigung erfolgte die Abbuchung der geschuldeten Steuern am 22. November 2002. Am selben Tag kündigte R den mit der Bank geschlossenen Bürgschaftsvertrag mit sofortiger Wirkung, worauf die Bank die Lastschrift des FA stornierte. Am 11. Dezember 2002 stellte die GmbH einen Antrag auf Insolvenzeröffnung. Die vom Amtsgericht mit Zustimmungsvorbehalt eingesetzte vorläufige Insolvenzverwalterin widersprach sämtlichen Lastschrifteinzügen. Das Insolvenzverfahren endete mit der Feststellung der Masseunzulänglichkeit. Die Insolvenzverwalterin teilte dem FA mit, dass mit einer Quote nicht zu rechnen sei. Daraufhin nahm das FA den Kläger und R nach § 69 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 34 AO für die Lohnsteuer Oktober 2002 nebst steuerlichen Nebenleistungen als Haftungsschuldner in Anspruch.
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Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass der Kläger es schuldhaft unterlassen habe, die Lohnsteuer für den Monat Oktober 2002 rechtzeitig anzumelden und an das FA abzuführen. Die Pflichtverletzung werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass der für die GmbH tätige Steuerberater die Lohnsteueranmeldung verspätet zur Unterschrift vorgelegt habe und dass die GmbH höchstwahrscheinlich bereits am 11. November 2002 zahlungsunfähig gewesen sei. Angesichts der von der Insolvenzverwalterin per 28. Februar 2003 festgestellten Überschuldung der GmbH in Höhe von über 500.000 € habe der Kläger durch Kürzung der auszuzahlenden Löhne die entsprechende Lohnsteuer-Abführung für November 2002 sicherstellen müssen. Zwischen der Pflichtverletzung und dem Schadenseintritt bestehe auch ein adäquater Kausalzusammenhang, der nicht dadurch entfalle, dass die Insolvenzverwalterin Zahlungen der GmbH nach § 130 der Insolvenzordnung hätte anfechten können. Der maßgebliche Zeitpunkt der Pflichtverletzung liege zudem außerhalb des in § 64 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung festgelegten Zeitraums.
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Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen offensichtlicher Rechtsfehler und einer greifbar gesetzwidrigen Entscheidung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG habe nicht beachtet, dass der ihm vorgeworfene Pflichtverstoß für den Schadenseintritt deshalb nicht kausal gewesen sei, weil der Mitgesellschafter R den Bürgschaftsvertrag ohne sein Wissen gekündigt habe. Die daraufhin erfolgte Stornierung habe allein R zu verantworten. Der Kausalverlauf sei mit der "heilenden" Abbuchung des von der GmbH geschuldeten Betrages durch das FA unterbrochen worden.
Entscheidungsgründe
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II. Bei Zweifeln an der Erfüllung der Darlegungserfordernisse des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erweist sich die Beschwerde jedenfalls als unbegründet. Entgegen der Auffassung des Klägers hat das FG bei seiner Entscheidungsfindung keinen schwerwiegenden Rechtsfehler begangen, der das Urteil als greifbar gesetzwidrig erscheinen lässt.
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1. Eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung kann dann in Betracht kommen, wenn das angefochtene Urteil auf einem so schweren Rechtsfehler beruht, dass sein Fortbestand das Vertrauen in die Rechtsprechung beschädigen könnte (Senatsbeschluss vom 7. Juli 2004 VII B 344/03, BFHE 2006, 226, BStBl II 2004, 896). Das ist der Fall, wenn sich die Entscheidung als objektiv willkürlich darstellt oder greifbar gesetzwidrig ist. Dafür reicht es jedoch nicht aus, dass sie im Ergebnis Zweifeln begegnet oder sogar eindeutig fehlerhaft ist (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 4. November 2004 I B 43/04, BFH/NV 2004, 707, m.w.N.). Eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO kommt vielmehr nur dann in Betracht, wenn das Urteil unter keinem Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist und sich deshalb der Schluss aufdrängt, dass es auf sachfremden Erwägungen beruht (BFH-Beschluss vom 13. Oktober 2003 IV B 85/02, BFHE 203, 404, BStBl II 2004, 25).
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2. Im Streitfall weist das Urteil des FG einen solch schwerwiegenden Rechtsfehler nicht auf. Vielmehr beruht es auf nachvollziehbaren Erwägungen und Schlussfolgerungen, die rechtlich vertretbar sind und sachfremde Überlegungen nicht erkennen lassen. Dies trifft insbesondere auf die Rechtsansicht des FG zu, dass zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung des Klägers und dem dadurch entstandenen Vermögensschaden ein adäquater Kausalzusammenhang besteht. Zutreffend hat das FG ausgeführt, dass aufgrund der Rechtsprechung des BFH eine haftungsausschließende Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe nicht in Betracht kommt. Es entspricht auch der Rechtsprechung des Senats, dass der Geschäftsführer in der Krise der GmbH --die nach den nicht angefochtenen Feststellungen des FG zum Fälligkeitszeitpunkt der Lohnsteuer für Oktober 2002 bereits vorlag-- die für die Lohnsteuer-Abführung erforderlichen Beträge bei der Lohnzahlung zurückbehalten muss. Frei von Willkür ist ferner die Annahme, dass ein Vertrauen in die Überbrückung von Liquiditätsengpässen --mögen sie auch durch das Verhalten eines Mitgesellschafters verursacht worden sein-- in der Risikosphäre des Geschäftsführers liegt. Erst recht ist es nicht greifbar gesetzwidrig, wenn das FG trotz der Kündigung des Bürgschaftsvertrags und der Stornierung der Lohnsteuerabbuchung von einem Verursachungszusammenhang zwischen der nicht fristgerechten Abgabe der Lohnsteueranmeldung bzw. der Nichtentrichtung des geschuldeten Betrags und dem Schadenseintritt ausgegangen ist. Zutreffend hat das FG schließlich hervorgehoben, dass zwischen dem Kläger und R keine schriftlich fixierte Aufgabenteilung vereinbart worden ist, die nach der Rechtsprechung des BFH die Haftung beschränken könnte. Somit waren beide Geschäftsführer der GmbH für die fristgerechte Anmeldung und Abführung der Lohnsteuern bzw. für eine evtl. vorzunehmende Kürzung der Löhne und sorgsame Mittelverwendung gleichermaßen verantwortlich. Dies gilt insbesondere in Anbetracht der finanziellen Krise der GmbH, die schließlich zur Insolvenz führte.
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Referenzen - Gesetze
Finanzgerichtsordnung - FGO | § 115
Insolvenzordnung
Finanzgerichtsordnung - FGO | § 116
Insolvenzordnung - InsO | § 130 Kongruente Deckung
Abgabenordnung - AO 1977 | § 34 Pflichten der gesetzlichen Vertreter und der Vermögensverwalter
Abgabenordnung - AO 1977 | § 69 Haftung der Vertreter
Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.
(1) Die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen haben deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten.
(2) Soweit nicht rechtsfähige Personenvereinigungen ohne Geschäftsführer sind, haben die Mitglieder oder Gesellschafter die Pflichten im Sinne des Absatzes 1 zu erfüllen. Die Finanzbehörde kann sich an jedes Mitglied oder jeden Gesellschafter halten. Für nicht rechtsfähige Vermögensmassen gelten die Sätze 1 und 2 mit der Maßgabe, dass diejenigen, denen das Vermögen zusteht, die steuerlichen Pflichten zu erfüllen haben.
(3) Steht eine Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern des Vermögens oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter die in Absatz 1 bezeichneten Pflichten, soweit ihre Verwaltung reicht.
(1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat,
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wenn sie in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, wenn zur Zeit der Handlung der Schuldner zahlungsunfähig war und wenn der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte oder - 2.
wenn sie nach dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und wenn der Gläubiger zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte.
(2) Der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder des Eröffnungsantrags steht die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen.
(3) Gegenüber einer Person, die dem Schuldner zur Zeit der Handlung nahestand (§ 138), wird vermutet, daß sie die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte.
(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.
(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
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die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.
(1) Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.
(2) Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder Abschrift des Urteils, gegen das Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht im Falle der elektronischen Beschwerdeeinlegung.
(3) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. In der Begründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 dargelegt werden. Die Begründungsfrist kann von dem Vorsitzenden auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag um einen weiteren Monat verlängert werden.
(4) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.
(5) Der Bundesfinanzhof entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch den Bundesfinanzhof wird das Urteil rechtskräftig.
(6) Liegen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann der Bundesfinanzhof in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
(7) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt, wenn nicht der Bundesfinanzhof das angefochtene Urteil nach Absatz 6 aufhebt; der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt für den Beschwerdeführer die Revisionsbegründungsfrist, für die übrigen Beteiligten die Revisions- und die Revisionsbegründungsfrist. Auf Satz 1 und 2 ist in dem Beschluss hinzuweisen.
(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.
(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
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die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.