Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 09. Apr. 2019 - 21 B 18.33075
vorgehend
Tenor
I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 10. Oktober 2017 wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Gründe
ra.de-Urteilsbesprechung zu Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 09. Apr. 2019 - 21 B 18.33075
Urteilsbesprechung schreiben0 Urteilsbesprechungen zu Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 09. Apr. 2019 - 21 B 18.33075
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Urteil einreichenBayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 09. Apr. 2019 - 21 B 18.33075 zitiert oder wird zitiert von 10 Urteil(en).
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
(1) Der Vorsitzende entscheidet, wenn die Entscheidung im vorbereitenden Verfahren ergeht,
- 1.
über die Aussetzung und das Ruhen des Verfahrens; - 2.
bei Zurücknahme der Klage, Verzicht auf den geltend gemachten Anspruch oder Anerkenntnis des Anspruchs, auch über einen Antrag auf Prozesskostenhilfe; - 3.
bei Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache, auch über einen Antrag auf Prozesskostenhilfe; - 4.
über den Streitwert; - 5.
über Kosten; - 6.
über die Beiladung.
(2) Im Einverständnis der Beteiligten kann der Vorsitzende auch sonst anstelle der Kammer oder des Senats entscheiden.
(3) Ist ein Berichterstatter bestellt, so entscheidet dieser anstelle des Vorsitzenden.
(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.
(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.
(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.
(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
Die Verfolgung kann ausgehen von
- 1.
dem Staat, - 2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder - 3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
(1) Ein Ausländer wird in der Regel nicht als Asylberechtigter anerkannt, wenn die Gefahr politischer Verfolgung auf Umständen beruht, die er nach Verlassen seines Herkunftslandes aus eigenem Entschluss geschaffen hat, es sei denn, dieser Entschluss entspricht einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung. Satz 1 findet insbesondere keine Anwendung, wenn der Ausländer sich auf Grund seines Alters und Entwicklungsstandes im Herkunftsland noch keine feste Überzeugung bilden konnte.
(1a) Die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 zu erleiden, kann auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist.
(2) Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines Asylantrags erneut einen Asylantrag und stützt diesen auf Umstände, die er nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrags selbst geschaffen hat, kann in einem Folgeverfahren in der Regel die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden.
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.
(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.
(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.
(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. März 2017 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Hinsichtlich der Kosten des gesamten Verfahrens ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der auf Grund des Urteils vollstreckbaren Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe der zu vollstreckenden Kosten leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
- 1
Der Kläger, nach eigenen Angaben ein am ... Januar 1998 in Khan Amaba/Region Qunaitra geborener Staatsangehöriger der Arabischen Republik Syrien, tscherkessischer Volkszugehörigkeit und moslemischen (sunnitischen) Glaubens, begehrt über den gewährten subsidiären Schutz hinaus die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
- 2
Der Kläger reiste nach eigenen Angaben am 14. Januar 2016 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein, meldete sich am 29. Januar 2016 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und beantragte am 13. Mai 2016 die Gewährung von Asyl. Er legte einen Reisepass der Arabischen Republik Syrien vor, der am 30. Dezember 2015 im „Qunaitra-Center“ mit einer Gültigkeitsdauer von 2 Jahren ausgestellt worden ist und als Geburtsort „Qunaitra“ angibt. Zugleich legte er einen vom Innenministerium der Arabischen Republik Syrien am 3. Oktober 2012 ausgestellten Personalausweis vor, wonach er in Khan Amaba geboren und in Bariqa wohnhaft ist.
- 3
In seiner Anhörung am 28. Juli 2016 vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gab der Kläger an, Syrien am 6. Januar 2016 auf dem Luftweg von Damaskus über Beirut verlassen zu haben und über Istanbul, Griechenland, die Balkanroute und Österreich in das Bundesgebiet eingereist zu sein. Die Reise habe 1 Mio. syrische Lira gekostet. Das Geld stamme von seinen Eltern. Er habe Syrien legal verlassen. Am Flughafen habe eine Kontrolle stattgefunden. Er habe seinen Reisepass vorgelegt. Es habe keine Probleme gegeben. Er habe zuletzt in Damaskus mit seinen Eltern und seinen Geschwistern gelebt. Seine Schwester sei mit ihm ausgereist und befinde sich im Bundesgebiet. Sein Bruder lebe bei seinen Eltern in Damaskus. Er selbst habe die 11. Schulklasse abgeschlossen, die Schule aber ohne Abitur verlassen, weil er Angst gehabt habe, ggf. Wehrdienst verrichten zu müssen. Im Dezember 2015 sei eine Regelung in Kraft getreten, wonach der Geburtsjahrgang 1998 zum Wehrdienst eingezogen werden könne. Er habe eine Zwangsrekrutierung an einer Kontrollstelle beobachtet, sich selbst aber noch schnell entfernen können. Vertreter des Militärs hätten ihn weder aufgesucht noch schriftlich kontaktiert. Er hätte aber sein Wehrdienstbuch am 2. Januar 2016 abholen sollen. Dies habe er nicht getan. Bei der Ausreise sei er am Flughafen gefragt worden, ob er abhauen wolle. Er habe gesagt, er begleite seine Schwester. Er habe zu keinem Zeitpunkt in Syrien Probleme mit Behörden oder offiziellen Stellen gehabt und habe sich nie politisch engagiert. Er befürchte, bei seiner Rückkehr willkürliches Opfer des Krieges zu werden und zum Wehrdienst eingezogen zu werden. Im Falle einer Rückkehr würde man ihn unverzüglich inhaftieren.
- 4
Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 30. August 2016 wurde dem Kläger der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt und im Übrigen der Asylantrag abgelehnt (Ziffer 2. des Bescheids). Zur Begründung wird u.a. ausgeführt, der Kläger habe eine Furcht vor einer Einberufung zum Wehrdienst weder konkret noch substantiiert dargelegt. Er habe auch keine geeigneten Beweismittel vorgelegt, die eine begründete Furcht unterstreichen würden. Der Bescheid ist dem Kläger am 8. September 2016 zugestellt worden.
- 5
Am 21. September 2016 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben. Er macht geltend, ihm drohe eine die Flüchtlingseigenschaft begründende Bestrafung, weil er sich dem Wehrdienst entzogen habe. Zudem sei beachtlich wahrscheinlich, dass er im Falle einer Rückkehr nach Syrien allein wegen der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung sowie des längeren Auslandsaufenthalts verfolgt werde; es würde vermutet werden, dass er gegen das Assad-Regime eingestellt sei. Insoweit sei die Flüchtlingseigenschaft auch ohne individuelle Verfolgungsgeschichte zuzuerkennen. Diese Gefährdungslage sei für wehrpflichtige Männer erhöht. Jedenfalls sei beachtlich wahrscheinlich, dass er nach Rückkehr zum Militärdienst eingezogen und damit gezwungen werde, sich in eine Armee einzufügen, aus deren Reihen heraus im aktuell herrschenden Bürgerkrieg Kriegsverbrechen und Folter begangen würden. Zudem weise er nochmals vorsichtshalber darauf hin, dass er Tscherkesse sei.
- 6
Ergänzend hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass er nicht zum Militär wolle, weil er niemanden umbringen und nicht getötet werden wolle. Sein Wehrbuch habe er nicht abholen können. An Kriegsverbrechen wolle er nicht teilnehmen, würde aber wohl dazu gezwungen werden. Das Militär habe sich nach seiner Ausreise nicht an seine Eltern gewandt. Er sei Tscherkesse und werde als solcher in Syrien nicht gemocht. Er habe in Syrien viele Sachen verloren. Seine Familie sei derzeit in Syrien.
- 7
Der Kläger hat beantragt,
- 8
unter Aufhebung des Bescheids vom 30. August 2016 in Ziffer 2 die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen.
- 9
Die Beklagte hat beantragt,
- 10
die Klage abzuweisen.
- 11
Mit Urteil vom 15. März 2017 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Dem Kläger drohe im Falle einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr nach Syrien nicht beachtlich wahrscheinlich Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG. Der Kläger habe vor seiner Ausreise keine Verfolgung in Syrien erlitten. Dem Kläger drohe auch nicht wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längeren Auslandsaufenthalts beachtlich wahrscheinlich eine Verfolgung. Es gebe keine zureichenden tatsächlichen Erkenntnisse, dass die syrischen Sicherheitsbehörden letztlich jedem Rückkehrer, der Syrien (illegal) verlassen, einen Asylantrag gestellt und sich längere Zeit im Ausland aufgehalten habe, der Opposition zurechnen würden. Dies erscheine lebensfremd, da angesichts von fast 5 Millionen Flüchtlingen auch aus der Sicht des syrischen Staates erkennbar sein dürfte, dass der Großteil der Ausgereisten das Land nicht als Ausdruck politischer Gegnerschaft zum Staat und seiner Regierung, sondern aus Angst vor dem Bürgerkrieg verlassen habe. Obwohl in den Jahren 2013 bis 2015 ca. 127.800 Syrer nach erfolgter Ausreise in ihr Heimatland zurückgekehrt seien und trotz der engagierten und intensiven Beobachtung durch oppositionelle Gruppen, internationale Helfer und Hilfsorganisationen fehle es an Informationen, die eine Gefahrenlage für rückkehrende Syrer wegen ihres Asylantrages und Aufenthalts im Bundesgebiet und wegen illegalen Verlassens Syriens belegen würden. Vor diesem Hintergrund könnten Berichte über Einzelvorkommnisse nicht von ausschlaggebender Bedeutung für die Begründung einer beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit sein. Dem Kläger drohe auch nicht in Bezug auf eine mögliche Wehrdienstentziehung, die er begangen haben könnte, weil er Syrien ohne die notwendige Ausreisegenehmigung verlassen habe, beachtlich wahrscheinlich eine Verfolgung. Es bestünden keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass ihm eine erhebliche Verfolgungshandlung wegen einer aufgrund der Wehrdienstentziehung vermuteten oppositionellen Einstellung drohen würden. Denn unter den 4,9 Millionen Flüchtlingen, die Syrien bis Ende 2015 verlassen hätten, dürften sich Hunderttausende junge Männer befinden, die noch nicht einberufen worden seien. Jedenfalls hinsichtlich dieser Personen dürfte es dem syrischen Staat vor allem darum gehen, die Betroffenen schnellstmöglich dem Militärdienst zuzuführen. Auch die Zahl der Rückkehrer, unter denen sich auch Militärdienstpflichtige befinden dürften, spreche gegen eine solche Gefahr. Schließlich stelle der mögliche Umstand, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr zum Militär einberufen würde und an Kriegshandlungen teilnehmen müsste, die sich als Kriegsverbrechen darstellen könnten, keine geschlechtsspezifische Verfolgung der Gruppe der Männer im wehrpflichtigen Alter dar. Eine Verfolgungswahrscheinlichkeit ergebe sich auch nicht daraus, dass der Kläger eigenen Angaben zufolge vor der Ausreise in Damaskus gelebt habe und dem sunnitischen Glauben angehöre. Das Urteil ist der Klägervertreterin am 24. März 2017 zugestellt worden.
- 12
Auf den klägerischen Antrag vom 24. April 2017 hat der Senat mit Beschluss vom 19. Juli 2017 die Berufung zugelassen. Der Beschluss ist dem Kläger am 24. Juli 2017 zugestellt worden. Auf den klägerischen Antrag vom selben Tag ist die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 11. September 2017 verlängert worden. Mit am 11. September 2017 eingegangenem Schriftsatz trägt der Kläger vor, die Klage sei begründet. Ihm stehe ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu, da ihm bei Rückkehr nach Syrien begründete Furcht vor Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG drohe. Es sei beachtlich wahrscheinlich, dass ihm Strafverfolgung oder Bestrafung drohe wegen der Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, in dem der Militärdienst Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylG umfassen würde. Angesichts der fehlenden Möglichkeit, den Wehrdienst in Syrien zu verweigern und einen zivilen Ersatzdienst zu leisten sowie der damit drohenden möglichen Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung im Falle einer Verweigerung eines militärischen Einsatzes, sei die Flucht die einzig sichere Möglichkeit, sich dem Wehrdienst zu entziehen. Eine aktive Wehrdienstverweigerung gegenüber der syrischen Armee könne unter diesen Umständen nicht verlangt werden. Dies entspreche den Richtlinien des UNHCR zum internationalen Schutz (Nr. 10), nach welchen auch Personen, die sich vorsorglich, also vor Einberufung, dem Wehrdienst entziehen würden, unter die Schutzvorschrift fallen würden. Nach der Shepherd-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes sei die Inanspruchnahme des internationalen Schutzes nicht nur denjenigen vorbehalten, die persönlich die als Kriegsverbrechen einzustufenden Handlungen begehen müssten, insbesondere den Kampftruppen. Vielmehr sei der Schutz auch auf andere Personen auszudehnen, wenn es bei vernünftiger Betrachtung plausibel erscheine, dass sie sich bei der Ausübung ihrer Funktionen in hinreichend unmittelbarer Weise an solchen Handlungen beteiligen müssten bzw. dass sie durch die Ausübung ihrer Funktion eine für die Vorbereitung oder Durchführung der Verbrechen unerlässliche Unterstützung leisten würden. Verübe wie in Syrien die gesamte Armee und nicht nur einzelne Einheiten Kriegsverbrechen, so sei es hinreichend, dass das „Militär als solches“ Kriegsverbrechen begehe. Insoweit unterscheide sich die syrische Armee von den US-Streitkräften, zu der die Shepherd-Entscheidung ergangen sei. Vor dem Hintergrund, dass die gesamte syrische Armee Kriegsverbrechen verübe, sei es offenkundig „hinreichend plausibel“, dass jeder Militärdienst, der bei der syrischen Armee abgeleistet werde, die Vorbereitung oder Durchführung der Handlungen nach § 3 Abs. 2 AsylG unerlässlich unterstütze. Hierzu zähle auch die Rekrutierung und Ausbildung neuer Streitkräfte, auch wenn noch nicht bekannt sei, welcher Einheit der Wehrpflichtige angehören werde. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass der Nachweis der sicheren eigenen Teilnahme an Verbrechen oder systematischen Rechtsverstößen der Einsatzeinheit nicht erforderlich sei, da dies den Prognosemaßstab der begründeten Furcht überdehnen würde. Entsprechendes ergebe sich auch aus den Zurechnungsmaßstäben des Bundesgerichtshofes zur strafrechtlichen Beihilfe an staatlich organisierten Massenverbrechen. In Bezug auf die syrische Armee sei insoweit maßgeblich zu berücksichtigen, dass die gesamte Armee als Apparat staatlich organisierte Kriegsverbrechen begehe und nicht nur bestimmte Einheiten oder gar Personen an diesen beteiligt seien. Sei eine Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG beachtlich wahrscheinlich, so bedürfe es keiner Verknüpfung mit einem Anknüpfungsmerkmal i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG. Insoweit finde die Verpflichtung aus dem humanitären Völkerrecht und dem internationalen Strafrecht, bestimmte Handlungen in bewaffneten Konflikten zu unterlassen, ihre Entsprechung im internationalen Flüchtlingsrecht im Fall von Personen, die eine Bestrafung zu gewärtigen hätten, weil sie die von ihnen gemäß Völkerrechts erwartete Zurückhaltung geübt hätten. Selbst wenn man jedoch die Erfüllung eines Anknüpfungsmerkmales im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG verlangen würde, so läge ein solches in der sozialen Gruppe von Männern, die sich der Einberufung oder Mobilisierung entzogen hätten. Den diversen sachverständigen Berichten, Auskünften und Stellungnahmen könne auch nicht die eigene „Lebenserfahrung“ entgegengehalten werden. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof habe insoweit zutreffend ausgeführt, dass der syrische Staat in Anbetracht der unbeschreiblichen Menschenrechtsverstöße ein willkürlich handelndes Unrechtssystem darstelle, das sich der Messung an Maßstäben wie der Lebenserfahrung entziehe. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass der UNHCR von Gerichten weltweit als maßgebliche Instanz zitiert werde und ihm unstreitig eine Aufsichtsfunktion über die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention zukomme. Auch ein internationaler Rechtsvergleich ergebe, dass der Flüchtlingsstatus zuzuerkennen sei, wenn der Flüchtling den Wehrdienst verweigere, um derzeit oder in einem späteren Kriegsfall keine Kriegsverbrechen begehen zu müssen. Ergänzend wird auf den Schriftsatz der Klägervertreterin vom 2. Januar 2018 Bezug genommen.
- 13
Der Kläger beantragt,
- 14
unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 15. März 2017 (Az: 16 A 5081/16) und des Bescheides vom 30. August 2016 - soweit dieser entgegensteht - die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
- 15
Die Beklagte beantragt,
- 16
die Berufung zurückzuweisen.
- 17
Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, aus der Quellenlage lasse sich nicht tragfähig ableiten, dass im Rahmen der Einreisekontrollen oder in der Folgezeit wehrdienstpflichtige Rückkehrer, die bislang noch keinen Einberufungsbefehl erhalten hätten, deshalb mit dem Grad der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen befürchten müssten, weil sie nun im militärpflichtigen Alter zurückkehrten. In den vom Kläger angeführten Erkenntnisquellen werde insoweit letztlich übereinstimmend nur ausgeführt, dass Verfolgungsfälle überwiegend im Zusammenhang mit oppositionellen Aktivitäten oder einem nicht abgeleisteten Wehrdienst stünden. Den Quellen fehle jede nähere zahlenmäßige Konkretisierung. Dabei sprächen andere Quellen erkennbar gegen eine hinreichende Gefährdung. Denn laut Schätzungen der Vereinten Nationen und der Regierungen der Länder, die Flüchtlinge aufgenommen hätten, reisten jedes Jahr Hunderttausende von Flüchtlingen nach Syrien, die meisten, um nach ihrem Hab und Gut zu schauen, Dokumente einzuholen oder zu erneuern oder um Familienmitgliedern und Freunden lebenswichtige Hilfe zu geben, bevor sie wieder in benachbarte Länder einreisen würden. Eine solch umfangreiche Reisetätigkeit zeige, dass die in den benachbarten Ländern lebenden syrischen Flüchtlinge trotz des extrem repressiven Charakters des syrischen Staates davon ausgingen, im Rahmen der auch an den übrigen Grenzübergängen zu Syrien strengen Grenzkontrollen keiner besonderen Gefährdung ausgesetzt zu sein. Es liege dabei nahe, dass solche zeitweisen Rückreisen nicht nur Frauen und nicht bzw. nicht mehr wehrdienstpflichtige Männer unternähmen, sondern dass sich unter diesen zeitweisen Rückkehrern auch ein erheblicher Anteil an grundsätzlich wehrdienstpflichtigen Männern befinde, jedenfalls soweit diese noch nicht einberufen worden seien. Aus den klägerischen Ausführungen sei zudem nicht erkennbar, dass die Ableistung des Militärdienstes zwangsläufig als Teilnahme an Kriegsverbrechen und anderen völkerrechtswidrigen Handlungen einzustufen sei. Die Einberufung zu einer bestimmten Einheit, deren Angehörige allesamt durch die Ausübung ihrer Funktionen eine für die Vorbereitung oder Durchführung von Kriegsverbrechen zumindest unerlässliche Unterstützung leisten würden, sei weder behauptet noch nach den Umständen des Einzelfalls naheliegend. Trotz der Berichte über völkerrechtswidrige Handlungen zeige sich nach der Auskunftslage kein Bild von einem landesweit in solchem Ausmaß praktizierten Vorgehen, dass jedweder Militärangehörige bereits durch seinen Dienst zwangsläufig eine unerlässliche Unterstützung für die Vorbereitung oder für die Durchführung dieser Verbrechen leisten müsste bzw. würde. Auch nach der vom Kläger zitierten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes sei es erforderlich, dass bei vernünftiger Betrachtung plausibel erscheine, dass der Betreffende durch die Ausübung seiner Funktionen eine für die Vorbereitung oder Durchführung der Verbrechen unerlässliche Unterstützung leiste. Nicht zu teilen sei die Auffassung des Klägers, dass es bei einer Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG keines festzustellenden Verfolgungsgrundes bedürfe, mit dem die Verfolgungshandlung verknüpft sei. Das Gegenteil ergebe sich ohne weiteres aus der eindeutigen gesetzlichen Regelung in § 3a Abs. 3 AsylG. Im Übrigen erfordere die tragfähige Prognoseerstellung, dass eine wenngleich notwendig hypothetische, so doch möglichst realitätsnahe Rückkehrsituation zugrunde gelegt werde. Von daher könne nicht unberücksichtigt bleiben, dass dem Kläger bereits der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt sei, er daher allein dann einer Einreiseüberprüfung durch die syrischen Sicherheitskräfte ausgesetzt sein könne, wenn er freiwillig zurückkehre. Es sei nicht anzunehmen, dass die syrischen Sicherheitskräfte dem (hypothetisch) freiwillig zurückkehrenden Kläger eine oppositionelle Gesinnung unterstellen würden.
- 18
Hinsichtlich des Vortrags der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung, insbesondere in Bezug auf die Anhörung des Klägers, wird ergänzend auf das Protokoll Bezug genommen. Das Gericht hat u.a. die das Asylverfahren der Schwester des Klägers betreffende Akte beigezogen. Die vom Gericht beigezogenen Akten sowie die im Protokoll der mündlichen Verhandlung näher genannten Erkenntnisquellen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
- 19
Die zulässige, insbesondere fristgerecht begründete Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Die zulässige Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu.
A.
- 20
Die Klage ist zulässig. Das Rechtsschutzbedürfnis für die auf Gewährung des Flüchtlingsstatus gerichtete Verpflichtungsklage bei vorhandenem subsidiärem Schutzstatus ist im Hinblick auf die unterschiedliche Ausgestaltung des nachfolgenden Aufenthaltsstatus (vgl. Aufenthaltsstatus nach § 25 Abs. 2 Satz 1 1. Alt. [Flüchtling] oder 2. Alt. [subsidiärer Schutz] AufenthG; § 26 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG) sowie dessen Verfestigungsmöglichkeiten (vgl. § 26 Abs. 3 und 4 AufenthG) unzweifelhaft gegeben (vgl. auch: OVG Lüneburg, Urt. v. 27.6.2017, 2 LB 91/17, juris Rn. 24).
B.
- 21
Die Klage ist nicht begründet. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach § 3 Abs. 1 AsylG zu.
- 22
In großen Teilen Syriens herrscht ein komplexer Bürgerkrieg (vgl. insgesamt: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich - nachfolgend: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bzw. BFA -, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Syrien, v. 5.1.2017, G 26/17; IFK [das Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement - IFK - ist eine Forschungsabteilung der Landesverteidigungsakademie, der höchsten Lehr- und Bildungsstätte des Österreichischen Bundesheeres], Fact Sheet Syrien, Nr. 59 – 65 v. 10.02.2017, 27.03.2017, 28.04.2017, 09.06.2017, 25.07,2017, 15.09.2017, 13.10.2017). Daran beteiligt sind eskalierend seit 2011 neben einer sehr großen Anzahl kleinerer Gruppierungen nach derzeitigem Erkenntnisstand folgende größere Machtblöcke:
- 23
- der syrische Staat mit verschiedenen z.T. selbständig agierenden regierungsfreundlichen syrischen Milizen; diese werden durch Russland und den Iran sowie dem Iran nahestehende bzw. von diesem finanzierte überwiegend schiitische Milizen gestützt,
- 24
- unterschiedlich ausgeprägte islamistische Gruppierungen, die u.a. die Rebellenallianz der „Freien Syrischen Armee“ (FSA) gebildet haben, von denen ein Teil mit der Unterstützung der Türkei im Nordwesten Syriens agiert,
- 25
- der Islamische Staat (Al-Dalls al-Islamiyaa -DAISH; nachfolgend: IS), sowie
- 26
- die Volksverteidigungseinheiten der kurdischen Partiya Yekitiya Demokrat (Partei der demokratischen Union, PYD), die durch die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützt werden.
- 27
Diese Akteure stehen wieder in Allianzen mit anderen kleineren Verbänden. Die „Frontlinien“ sind nicht scharf abtrennbar, jede Gruppe verfolgt ihre eigenen Interessen, die sich teilweise mit denen anderer Gruppierungen überlappen können (vgl. Gerlach, „Was geschieht in Syrien“, Bundeszentrale für politische Bildung, Aus Politik und Zeitgeschichte, 8/2016 S. 6 ff.). Die örtlichen Grenzverläufe unterliegen bisher einem ständigen Wandel (vgl. auch: Auswärtiges Amt [AA] v. 2.1.2017 an VG Düsseldorf, Az.508-9-516.80/48808, zu 5 K 7480/16.A, 2017/1; Deutsches Orient-Institut [DOI] v. 22.2.2017 an VGH Baden-Württemberg, G 1/2017; DOI, v. 1.2.2017 an Hessischen VGH, G 6/17). Im Mai 2017 wurden unter der Vermittlung Russlands, des Irans und der Türkei vier Deeskalationszonen eingerichtet (Idlib, Nord-Hama, Nord-Damaskus, Südsyrien), in denen die Kampfhandlungen zunächst für sechs Monate eingestellt werden sollten. Dennoch kam es in einigen Deeskalationszonen weiterhin zu deutlichen Kampfeinsätzen. Im Laufe des Jahres 2017 ist der Einflussbereich des durch den IS kontrollierten Gebiets erheblich zurückgedrängt worden. Nach Pressemeldungen hat Russland den Krieg gegen den IS Anfang Dezember 2017 für beendet erklärt; kurz darauf erklärte der Irak den IS für besiegt. Seitdem scheint es zu einer Konsolidierung der Machtbereiche des syrischen Regimes und der durch die Volksverteidigungseinheiten der kurdischen PYD kontrollierten Gebiete zu kommen (Truppendienst - herausgegeben vom Bundesminister für Landesverteidigung, Österreich -, Der syrische Bürgerkrieg - Update 06 12 2017). Der UNHCR (Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien von Februar 2017, Deutsche Version April 2017, G 7/17) spricht u.a. davon, dass „Regierungskräfte und ISIS ... weiterhin Verbrechen gegen die Menschlichkeit (begehen). Es werden hemmungslos Kriegsverbrechen begangen“ (vgl. Fn. 102). Diese Einschätzung ist im Wesentlichen gestützt auf die Berichte der im August 2011 von der vom Menschenrechtsrat der Generalversammlung der Vereinten Nationen (Human Rights Council der UN-Generalversammlung, UNHRC, nachfolgend: HRC) eingesetzten unabhängigen Untersuchungskommission betreffend die Arabische Republik Syrien (Independant International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic; nachfolgend: COI; u.a. Berichte vom 8.8.2017 - Fassung 6.9.2017 -, A/HCR/36/55, G 25/17; v. 10.3.2017, A/HRC/34/CRP.3, G 24/17; v. 2.2.2017, A/HRC/34/64, G 14/17; v. 11.8.2016, A HRC/33/55, G 14/16).
- 28
Der Machtbereich des Assad-Regimes ist gekennzeichnet durch ein System von Geheimdiensten, die versuchen, vom Assad-Regime abweichende Stimmen zu unterdrücken. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führt zu diesen aus (BFA v. 5.1.2017, G 26/17, S. 17):
- 29
„Syrien verfügt über eine Myriade von Sicherheits- und Geheimdiensten mit überlappenden Mandaten zur Sammlung von Informationen über die innere Sicherheit. Diese Einheiten können Gegner des Regimes festnehmen und neutralisieren (...). Die zahlreichen syrischen Sicherheitsbehörden arbeiten autonom und ohne klar definierte Grenzen zwischen ihren Aufgabenbereichen (...).
- 30
Es gibt vier Hauptzweige der Sicherheits- und Nachrichtendienste. Der Militärische Nachrichtendienst, der Luftwaffennachrichtendienst und das Direktorat für Politische Sicherheit unterstehen dem Innenministerium. Das Allgemeine Nachrichtendienstdirektorat ist eine alleinstehende Organisation und untersteht direkt dem Präsidenten. Diese vier Dienste arbeiten unabhängig voneinander und größtenteils außerhalb des Justizsystems, überwachen einzelne Staatsbürger und unterdrücken Stimmen innerhalb Syriens, die vom Regime abweichen (...). Der Staatssicherheitsapparat wird verwendet, um den Aufstand zu unterdrücken (...). Die größeren Organisationen haben ihre eigenen Gefängniszellen und Verhörzentren (...).“
- 31
Eine homogene bürgerliche Zivilgesellschaft und ein Verständnis von Staat als Solidaritätsgemeinschaft gibt es in Syrien eher nicht. Im Vordergrund steht regelmäßig der Zusammenhalt über den Clan/den Stamm. Besonders riskant ist diese Situation jeweils für diejenigen, die in ihrem Aufenthaltsbereich von Bevölkerungsgruppen mit anderen Merkmalen dominiert werden, und für diejenigen, die ohnehin im Verhältnis zu ihren Mitbürgern „schwach“ sind. Hinzu kommt, dass die Eingruppierung als Täter bzw. als Opfer in einer solchen Bürgerkriegssituation schwankend sein kann, je nachdem, in welchem Umfeld sich der Betreffende gerade behaupten muss.
- 32
In diesem Gesamtkontext hat die Beklagte dem Kläger den subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 AsylG zuerkannt, da davon auszugehen sei, dass dem Kläger bei Rückkehr nach Syrien ein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG drohe, d.h. eine ernsthafte individuelle Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit als Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts vorliege.
- 33
Vorliegend ist allein die davon zu trennende Frage der Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach § 3 Abs. 1 AsylG Streitgegenstand. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft setzt über die zuvor bestehende Gefahr hinausgehend voraus, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr nach Syrien beachtlich wahrscheinlich eine zielgerichtete Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe droht; aufgrund des dem Kläger gewährten subsidiären Schutzstatus ist eine Rückkehr dabei nur gedanklich - hypothetisch - zu unterstellen.
- 34
Zur Überzeugung des Gerichts sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus (nachfolgend I.) nicht erfüllt. Der Kläger ist unverfolgt aus Syrien ausgereist (nachfolgend II.). Ihm droht bei einer gedanklich zu unterstellenden Rückkehr nach Syrien nach der Erkenntnislage zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung keine Verfolgungshandlung - Inhaftierung oder Rekrutierung - wegen eines die Flüchtlingseigenschaft begründenden Verfolgungsgrundes, weil er sich dem Wehrdienst entzogen hat (nachfolgend IV.), oder wegen anderer Anknüpfungspunkte, wie u.a. seines sunnitischen Glaubens (nachfolgend III.). Ihm ist auch nicht der Flüchtlingsstatus zuzuerkennen, weil ihm aus den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG beschriebenen flüchtlingsrelevanten Anknüpfungsmerkmalen Bestrafung oder Strafverfolgung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt droht, in dem der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach § 3 Abs. 2 AsylG ausschließen würden (wie z.B. Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit), vgl. §§ 3 Abs. 1 i.V.m. 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG (nachfolgend V.).
I.
- 35
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftslands) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft setzt demnach die begründete Furcht vor einer Verfolgungshandlung voraus, die wegen eines für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft relevanten Verfolgungsgrundes erfolgt.
- 36
Gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG gelten Handlungen als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Gemäß § 3c Nr. 1 und 2 AsylG sind Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, u. a. der Staat oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen.
- 37
Zwischen den Verfolgungsgründen und Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Dabei ist unerheblich, ob der Ausländer tatsächlich z.B. die religiösen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG). Für den Bereich des Asylrechts hat das Bundesverfassungsgericht diese Verknüpfung von Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund dahingehend konkretisiert, dass es für eine politische Verfolgung ausreiche, wenn der Ausländer der Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet wird, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist. Unerheblich ist dabei, ob der Betreffende aufgrund der ihm zugeschriebenen Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung (überhaupt) tätig geworden ist (BVerfG, Beschl. v. 22.11.1996, 2 BvR 1753/96, juris, Rn. 5; BVerwG, Beschl. v. 27.4.2017, 1 B 63.17, 1 PKH 21 PKH 23.17, juris Rn. 11). Maßgebend ist im Sinne einer objektiven Gerichtetheit die Zielrichtung, die der Maßnahme unter den jeweiligen Umständen ihrem Charakter nach zukommt (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.1.2009, 10 C 52.07, BVerwGE 133, 55, Rn. 22, 24; Marx, AsylG, 9. Auflage 2017, § 3a Rn. 50 ff.).
- 38
Eine „begründete Furcht“ vor Verfolgung liegt vor, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, 10 C 23.12, BVerwGE 146, 67, juris Rn. 19). Der danach maßgebliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Zu bewerten ist letztlich, ob aus Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Schutzsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in das Herkunftsland als unzumutbar erscheint; insoweit geht es also um die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat (BVerwG, Urt. v. 6.3.1990, 9 C 14.89, BVerwGE 85, 12, juris Rn. 13). Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung gegeben ist. Ergeben die Gesamtumstände die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung, wird ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert (BVerwG, Urt. v. 5.11.1991, 9 C 118.90, BVerwGE 89, 162, juris Rn. 17). Auch in solchen Fällen müssen aber die festgestellten Verfolgungsfälle nach Intensität und Häufigkeit zur Größe der Zahl der Verfolgten als ins Gewicht fallend angesehen werden können, wenn das Anknüpfungsmerkmal für eine mögliche Verfolgung auf eine Vielzahl von Personen zutrifft (hier: Entziehung vor Einberufung bzw. Wehrdienstverweigerung); es muss dann also - vergleichbar einer Gruppenverfolgung - eine entsprechende Verfolgungsdichte vorliegen. Hiervon kann nur dann abgesehen werden, wenn ein staatliches Verfolgungsprogramm besteht, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht und das deshalb hinreichend wahrscheinlich eine Verfolgung erwarten lässt (vgl. Berlit, ZAR 2017, 110, 115 m.w.N.; vgl. zur Gruppenverfolgung, Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit und gruppengerichteter Verfolgung: Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Auflage 2012, § 30 Rn. 8 ff. ). Die Schwere des befürchteten Eingriffs kann dabei je nach Einzelfall, insbesondere im Zusammenhang mit willkürlich handelnden Staatsmächten, nur bedingt Erkenntnisse zur Gerichtetheit der Verfolgung geben. Dabei entspricht die zunächst zum nationalen Recht entwickelte Rechtsdogmatik zur Frage der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ auch dem neueren europäischen Recht, welches hierfür den Begriff des „real risk“ verwendet (vgl. BVerwG, Urt. v. 1.6.2011, 10 C 25.10, BVerwGE 140, 22, juris Rn. 22; Berlit, ZAR 2017, 110, 117).
- 39
Bei der Bewertung, ob die im Einzelfall festgestellten Umstände eine die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz nach § 3 AsylG rechtfertigende Verfolgungsgefahr begründen, ist zwischen der Frage, ob dem Ausländer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungshandlung gemäß den §§ 3 Abs. 1, 3a AsylG droht, und der Frage einer ebenfalls beachtlich wahrscheinlichen Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund zu unterscheiden.
- 40
Beim Flüchtlingsschutz gilt für die Verfolgungsprognose ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Das gilt unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Die Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU, nicht (mehr) durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Nach dieser Vorschrift besteht eine tatsächliche Vermutung, dass sich eine frühere Verfolgung bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen wird. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften (vgl. BVerwG, Urt. v. 1.6.2011, 10 C 25.10, BVerwGE 140, 22, juris Rn. 21 f.; vgl. auch OVG Münster, Urt. v. 4.5.2017, 14 A 2023/16.A, NVwZ 2017, 1218, juris Rn. 21 f., OVG Saarlouis, Urt. v. 11.3.2017, 2 A 215/17, NVwZ-RR 2017, 588, juris Rn. 19; Berlit, ZAR 2017, 110 ff.)
- 41
Hinsichtlich der Anforderungen an den Klägervortrag muss unterschieden werden zwischen den in die eigene Sphäre des Asylsuchenden (bzw. hier: des um Flüchtlingsschutz Nachsuchenden) fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, und den in den allgemeinen Verhältnissen seines Herkunftslandes liegenden Umständen, die seine Furcht vor Verfolgung rechtfertigen sollen.
- 42
Lediglich in Bezug auf erstere muss er eine Schilderung geben, die geeignet ist, seinen Anspruch lückenlos zu tragen. Dabei ist die besondere Beweisnot des nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsprozessrechts mit der materiellen Beweislast beschwerten Klägers zu berücksichtigen, dem häufig die üblichen Beweismittel fehlen. Insbesondere können in der Regel unmittelbare Beweise im Verfolgerland nicht erhoben werden. Daher kann den eigenen Erklärungen des Klägers größere Bedeutung beizumessen sein, als dies meist sonst in der Prozesspraxis bei Bekundungen einer Partei der Fall ist. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Klägers und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu. Zur Anerkennung kann schon allein sein Tatsachenvortrag führen, sofern seine Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne "glaubhaft" sind, dass sich das Tatsachengericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann. Dem Klagebegehren darf jedenfalls nicht mit der Begründung der Erfolg versagt werden, dass neben der Einlassung des Schutzsuchenden keine Beweismittel zur Verfügung stehen. Der Richter ist aus Rechtsgründen schon allgemein nicht daran gehindert, eine Parteibehauptung ohne Beweisaufnahme als wahr anzusehen; das gilt für Asylverfahren (bzw. wie hier in Verfahren auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft) mit seinen typischen Schwierigkeiten, für das individuelle Schicksal des Antragstellers auf andere Beweismittel zurückzugreifen, in besonderem Maße. Einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO wird der Richter hierdurch jedoch nicht enthoben. Das Fehlen von Beweismitteln mag die Meinungsbildung des Tatsachengerichts erschweren, entbindet es aber nicht davon, sich eine feste Überzeugung vom Vorhandensein des entscheidungserheblichen Sachverhalts zu bilden. Dies muss - wenn nicht anders möglich - in der Weise geschehen, dass sich der Richter schlüssig wird, ob er dem Kläger glaubt (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.1981, 9 C 251.81, InfAuslR 1982, 156; Urt. v. 22.3.1983, 9 C 68.81, juris Rn. 5; Urt. v. 16.4.1985, 9 C 109.84, BVerwGE 71, 180, juris Rn. 16; OVG Koblenz, Urt. v. 16.12.2016, 1 A 10922/16, juris Rn. 32; Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Auflage, S. 289).
- 43
Hinsichtlich der allgemeinen politischen Verhältnisse im Herkunftsland reicht es hingegen wegen seiner zumeist auf einen engeren Lebenskreis beschränkten Erfahrungen und Kenntnisse aus, wenn der Kläger Tatsachen vorträgt, aus denen sich - ihre Wahrheit unterstellt - hinreichende Anhaltspunkte für eine nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung für den Fall einer Rückkehr in das Herkunftsland ergeben (BVerwG, Urt. v. 24.11.1981, 9 C 251.81, InfAuslR 1982, 156; Urt. v. 22.3.1983, 9 C 68.81, juris; Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Auflage, S. 288 ff.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: 3/2017, B 1 Rn. 255). Hier ist es Aufgabe der Beklagten und der Gerichte, unter vollständiger Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen, die Gegebenheiten im Herkunftsstaat aufzuklären und darauf aufbauend eine von Rationalität und Plausibilität getragene Prognose zu treffen (Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, aaO., S. 295 f.).
- 44
In Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsland sind die Gerichte regelmäßig darauf angewiesen, sich durch eine Vielzahl unterschiedlicher Erkenntnisse gleichsam mosaikartig ein Bild zu machen. Da Abschiebungen nach Syrien jedenfalls seit 2012 nicht mehr erfolgen, hat die Prognose, ob bei Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG droht, - wie oben dargelegt - aufgrund einer wertenden Gesamtschau aller Umstände zu erfolgen.
- 45
Führt diese Betrachtung zu keinem für den Schutzsuchenden günstigen Ergebnis, verbleibt es bei allgemeinen Beweislastregeln. Die humanitäre Schutzrichtung des Asyl- und Flüchtlingsrechts gebietet weder eine Umkehr der objektiven Beweislast noch eine Folgenabwägung im Sinne eines „better safe than sorry“ (vgl. hierzu Ellerbrok/Hartmann, NVwZ 2017, 522, 523). Diesem Ansatz kann vorliegend auch deshalb nicht gefolgt werden, weil es allein um die genaue Ausprägung des Schutzstatus, nicht aber um das Ob der Schutzgewährung geht. Eine denkbare gerichtliche Fehlbeurteilung bei der Frage der Gewährung des Flüchtlingsstatus birgt kein persönliches Risiko für den Schutzsuchenden, weil er infolge des zuerkannten subsidiären Schutzes nachhaltigen Schutz genießt und nicht in Gefahr ist, nach Syrien zurückkehren zu müssen. Die hypothetische Rückkehr ist vielmehr im Rahmen der vorzunehmenden rechtlichen Bewertung ein allein gedanklicher Ansatz, der der Sicherstellung eines einheitlichen Prüfungsmaßstabs geschuldet ist. Gefahrenperpetuierende Auswirkungen kann eine fehlerhafte Verneinung einer politischen Verfolgung allerdings für Angehörige des Schutzsuchenden haben, die derzeit befristet von einem Nachzug ausgeschlossen sind.
- 46
Nach Auffassung des Senats ist der dargelegte Wahrscheinlichkeitsmaßstab auch dann anzuwenden, wenn ein effektiver Menschenrechtsschutz bereits durch die Gewährung des subsidiären Schutzstatus gewährleistet ist (zweifelnd, aber offen gelassen: VGH Mannheim, Urt. v. 21.8.2017, A 11 S 513/17, S. 13 UA, juris).
- 47
Unter Anwendung dieser Maßstäbe steht dem Kläger kein Anspruch auf Gewährung des Flüchtlingsstatus zu.
II.
- 48
Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Nach seinen eigenen Angaben hat er Syrien über den Flughafen Damaskus offiziell und ohne Probleme verlassen.
- 49
Eine beachtliche Verfolgung wegen seiner tscherkessischen Volkszugehörigkeit ist nicht vorgetragen. In seiner Anhörung beim Bundesamt hat der Kläger vorgebracht, dass er wegen seiner Volkszugehörigkeit nicht wirklich Probleme gehabt habe. Er sei schon einmal angesprochen worden, was er denn in Syrien wolle, das seien aber keine Probleme gewesen (Bl. 81 Beiakte A). In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat er ausgeführt, im „Dorf“ seien die Leute nicht nett zu den Tscherkessen gewesen. Militär und Zivilleute hätten sie für Verräter gehalten. Auch diesem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung ist keine beachtliche Verfolgungshandlung zu entnehmen. Zudem steht dem entgegen, dass der Vater des Klägers Beamter war und die Familie nach Angaben des Klägers im Jahr 2013 nach Damaskus gezogen ist und dort vom Assad-Regime unbehelligt gelebt hat; sie ist damit aus dem von der Freien Syrischen Armee gehaltenen Gebiet weggezogen in ein Gebiet, das durch das Assad-Regime gehalten wird. Seine Eltern und sein Bruder leben weiterhin in Damaskus. Von aktuellen Verfolgungshandlungen gegen seine in Damaskus lebenden Familienangehörigen hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht berichtet.
III.
- 50
Der Senat hat nicht die Überzeugung gewinnen können, dass dem Kläger bei einer gedanklich zu unterstellenden Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung in Anknüpfung an flüchtlingsrechtlich erhebliche Merkmale wegen seiner Ausreise, der erfolgten Asylantragstellung, seines längeren Aufenthalts im westlichen Ausland, seiner Zugehörigkeit zum sunnitischen Glauben, seiner tscherkessischen Volkszugehörigkeit oder/und seiner Abstammung aus der Region Qunaitra - einer seit ca. 2012 von der Freien Syrischen Armee gehaltenen Region - droht. Der Senat sieht es nicht als beachtlich wahrscheinlich an, dass dem Kläger wegen der zuvor genannten Umstände - einzeln oder in ihrer Gesamtheit - durch staatliche Stellen eine regimefeindliche Haltung unterstellt wird.
- 51
Dass Rückkehrer (gegenwärtig nur aus dem arabischen Raum, zu dem noch Flugverbindungen bestehen) am Flughafen von Damaskus und ggfls. Latakia intensiven Kontrollen ausgesetzt werden und dass Personen, bei denen der Verdacht besteht, dass diese gegen das Assad-Regime eingestellt sind oder sich oppositionell betätigt haben, den Flughafen nicht wie beabsichtigt wieder verlassen können und ihnen Folter und schlimmste Misshandlungen drohen, wird allgemein angenommen und dürfte hinreichend gesichert sein (vgl. Amnesty International - AI -, Report 2017, Syrien, v. 19.2.2017, G 16/17; AI, Human Slaughterhouse, v. Februar 2017, G 15/17; AI, It breaks the human – torture, disease and death in Syria’s prisons, v. August 2016, G 13/16; Human Rights Watch – HRW -: Syrien: Die Geschichten hinter den Fotos getöteter Gefangener - Opfer auf den „Ceasar“-Fotos -, Dezember 2015, G 21/16; ECCHR, Sondernewsletter Menschenrechtsverbrechen in Syrien, Teil I: Folter unter Assad, Strafanzeige in Deutschland gegen hochrangige Angehörige der syrischen Geheimdienste, Oktober 2017, G 48/17; ECCHR, Portraits, Strafanzeige von syrischen Folterüberlebenden zu Folter durch Syriens Luftwaffengeheimdienst, November 2017, G 47/17).
- 52
1. Der Senat hat nicht die Überzeugung gewinnen können, dass dem Kläger im Hinblick auf seine Ausreise, die erfolgte Asylantragstellung, seinen längeren Aufenthalt im westlichen Ausland, seine Zugehörigkeit zum sunnitischen Glauben und/oder seine Abstammung aus einer Region, die von regierungsfeindlichen Gruppen gehalten wird (hier: Qunaitra), bei Rückkehr nach Syrien eine (Verfolgungs-)Handlung i.S.d. § 3a AsylG - hier: Befragung mit der konkreten Gefahr einer Verhaftung und/oder einer schwerwiegenden Misshandlung bis hin zur Folter und willkürlichen Tötung - beachtlich wahrscheinlich droht (die Gefahr einerVerfolgungshandlung mit beachtlichen Gründen verneinend: OVG Münster, Urt. v. 21.2.2017, 14 A 2316/16, DVBl. 2017, 639, juris, Rn. 35 ff.; aufgrund der Zweifel eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungshandlung verneinend: OVG Lüneburg, Urt. v. 27.6.2017, 2 LB 91/17, juris Rn. 44; Beschl. v. 12.9.2017, 2 LB 750/17, juris Rn. 40; zweifelnd, aber offenlassend: OVG Koblenz, Urt. v. 16.12.2016, 1 A 10922/16, juris Rn. 48 ff., OVG Saarlouis, Urt. v. 2.2.2017, 2 A 515/16, juris Rn. 22; zuletzt v. 17.10.2017, 2 A 365/17, juris Rn. 22; offen gelassen zur einer rückkehrenden Syrerin: VGH Mannheim, Urt. v. 21.8.2017, A 11 S 513/17, S. 13 Urteilsabdruck - UA- in juris).
- 53
Dem Senat liegt keine hinreichend dichte Erkenntnislage vor, auf die die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer entsprechenden Verfolgungshandlung gestützt werden könnte. Über die Behandlung von Rückkehrern nach Syrien liegen dem UNHCR (Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien, von Februar 2017, deutsche Übersetzung von April 2017, G 7/17, S. 5) „kaum konkrete Informationen“ vor. Dem Auswärtigen Amt (Auskunft v. 2.1.2017 an VG Düsseldorf, zu 5 K 7221/16.A, Az.: 508-9-516.80/48840, 2017/2; v. 7.11.2016 an das OVG Schleswig, 2016/4) liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass unverfolgt Ausgereiste nach Rückkehr systematisch befragt werden.
- 54
Der UNHCR (April 2017, G 7/17, S. 15 ff.) sieht Personen, die aus einem Ort stammen, der in einem Gebiet liegt, das sich derzeit oder vormals unter der Kontrolle von regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen befindet oder befand, in der Gefahr, Opfer von Verfolgung durch das Assad-Regime zu werden. Die dort benannten Referenzfälle (vgl. Fn. 75, 78 - 83) beziehen sich überwiegend auf Angriffe auf die Zivilbevölkerung im Rahmen von Rückeroberungen von Gebieten durch die Regierungstruppen - wie z.B. die Angriffe auf die Zivilbevölkerung in Ost-Aleppo oder Ar Raqqah während der Belagerung -, auf die Rückführung von Bevölkerung aus belagerten Gebieten aus von Regierungstruppen eingenommenen Nachbarorten sowie auf Personen, die regierungsfeindlichen Gruppen Schutz geboten oder die Informationen über regierungsfeindliche Personen haben könnten, etwa im Rahmen von Verhaftungswellen unmittelbar nach der Rückeroberung von Gebieten durch die Regierungstruppen. In einer ähnlichen Situation befindet sich der ins Ausland geflüchteten Kläger, der sich seit ca. 2 Jahre außerhalb Syriens aufhält, nicht. Gegen eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgung allein in Anknüpfung an den sunnitischen Glauben sowie die Herkunft aus einer Region, die von regierungsfeindlichen Gruppen gehalten wird, spricht auch die Vielzahl von Binnenvertriebenen. Bei Beginn des Bürgerkrieges waren ca. drei Viertel der syrischen Bevölkerung sunnitischen Glaubens (AA, Lagebericht vom 27.9.2010, 2010/4). Angesichts dessen dürfte eine Vielzahl der 6,3 Millionen binnenvertriebenen Syrer (UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Syrian Arab Republic, update V, HCR/PC/SYR/17/01, November 2017, G 35/17, S. 7) sunnitischen Glaubens sein und ursprünglich aus Regionen stammen, die derzeit oder zeitweise während des Bürgerkrieges in der Hand regierungsfeindlicher Gruppen sind bzw. waren. Von diesen sind im 1. Halbjahr 2017 ca. 440.000 in ehemals von regierungsfeindlichen Gruppen gehaltene Gebiete zurückgekehrt, insbesondere nach Aleppo, Hama, Homs und Damaskus (UNHCR, „UNHCR meldet Anstieg bei Rückkehrern nach Syrien“, v. 30.6.2017, G 21/17, S. 2).
- 55
Zweifel an einer Verfolgung von aus dem Ausland zurückkehrenden Asylbewerbern sunnitischen Glaubens, die aus Gebieten stammen, die derzeit oder ehemals unter der Kontrolle von regierungsfeindlichen Gruppen stehen oder standen, ergeben sich zudem angesichts der ständig gestiegenen Zahl - derzeit insgesamt ca. 6,4 Millionen - der in den letzten Jahren aus Syrien Geflohenen (Ende 2011: 19.900; Ende 2012: rund 728.000; Ende 2015: rund 4.800.000; zitiert nach OVG Lüneburg, Urt. v. 27.6.2017, 2 LB 91/17, juris Rn. 44; Ende 2017 - rund 5,44 Mio. in die Nachbarstaaten der Region und zusätzlich ca. 1 Mio. in Staaten des westlichen Europas, vgl. UNHCR, Syria, Regional Refugee Response, abgerufen am 13.12.2017, G 36/17). Dies ist mehr als ein Viertel der Bevölkerung von rd. 22 Millionen Einwohnern Syriens bei Beginn des Bürgerkrieges (vgl. AA, Länderinformation Syrien, August 2016, 2016/1). Auf die weit überwiegende Zahl der ins Ausland Geflüchteten werden die oben genannten Kriterien zutreffen.
- 56
Des Weiteren ergeben sich Zweifel an einer beachtlich wahrscheinlichen Verfolgung jedes Rückkehrers bzw. einer beachtlichen Größenordnung von Rückkehrern aus der nicht geringen Zahl freiwilliger Rückkehrer aus dem Ausland. So sollen im August 2015 mehrere tausend Personen über die syrisch-jordanische Grenze zurückgekehrt sein und im Juli 2015 rd. 2300 aus dem Irak (vgl. SFH, Syrien: Rückkehr, v. 21.3.2017, G 5/17, S. 4; DOI, v. 22.2.2017, G 1/17; DOI, Auskunft an VGH Kassel v. 1.2.2017, G 6/17, S. 1). Andere Berichte (vgl. Immigration and Refugee Board of Canada - IRB -, Syria: Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, v. 19.01.2016, G 5/16, S. 2 - zitiert nach der deutschen Übersetzung -) gehen davon aus, dass „Hunderttausende von Flüchtlingen jedes Jahr nach Syrien reisen, meistens um nach ihrem Hab und Gut zu schauen, Dokumente einzuholen oder zu erneuern oder um Familienmitgliedern und Freunden lebenswichtige Hilfe zu geben, bevor sie wieder in benachbarte Länder einreisen“. Nach Angaben des UNHCR (v. 30.6.2017, G 21/17) sind seit 2015 insgesamt 260.000 syrische Flüchtlinge aus den angrenzenden Nachbarländern nach Syrien zurückgekehrt, davon die meisten aus der Türkei in den Norden Syriens; im 1. Halbjahr 2017 sind 31.000 Syrer aus den angrenzenden Nachbarländern nach Syrien zurückgekehrt. Die vielfach beobachtete Land-Einreise über die Staatsgrenzen (u.a. aus Jordanien, Irak, Türkei) lässt zwar keine zwingenden Rückschlüsse auf die Umstände einer Einreise über den für Rückkehrer derzeit vor allem in Betracht zu ziehenden Flughafen Damaskus, ggfls. auch den Flughafen Latakia (vgl. SFH v. 21.3.2017, G 5/17, S. 6) zu, sie zeigt aber, dass diese Personen trotz der vorherigen Flucht das Risiko einer Rückkehr auf sich genommen haben.
- 57
Das Auswärtige Amt (v. 2.1.2017, 2017/2) führt ebenfalls aus, dass ihm Fälle bekannt sind, in denen syrische Staatsangehörige nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus dem Bundesgebiet für mehrere Monate nach Syrien zurückgekehrt sind.
- 58
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das vorstehend Ausgeführte noch in verstärktem Maße gelten würde, wenn im Rahmen einer gedanklichen Rückkehrsituation zu berücksichtigen wäre, dass die Situation, in der sich der Kläger befindet, auf eine Vielzahl von ins Ausland geflüchteten Syrern zutrifft und daher gedanklich die Rückkehr einer Vielzahl dieser Personen zu unterstellen wäre.
- 59
2. Der Senat hat nicht die Überzeugung gewinnen können, dass dem Kläger bei Rückkehr nach Syrien im Hinblick auf seine tscherkessische Volkszugehörigkeit eine (Verfolgungs-)Handlung i.S.d. § 3a AsylG beachtlich wahrscheinlich droht.
- 60
Hiergegen spricht bereits, dass der Kläger unverfolgt ausgereist ist, die Familie des Klägers weiterhin in Damaskus lebt und der Kläger auch in Bezug auf diese nicht von Verfolgung berichtet hat. Aus der von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht eingereichten Anfragebeantwortung von ACCORD vom 21. Mai 2014 ergeben sich für den Senat keine anderen Erkenntnisse. Diese lässt eher den Schluss zu, dass dem Kläger durch das Assad-Regime aufgrund der tscherkessischen Volkszugehörigkeit keine Regimegegnerschaft zugeschrieben wird. Dort wird die Einschätzung wiedergegeben, dass sich das Assad-Regime auf die Loyalität der Minderheiten in Syrien habe verlassen können, zu denen auch das Volk der Tscherkessen zähle. Unter Baschar al-Assad habe es sogar einen tscherkessischen General gegeben, der zum Innenminister ernannt worden sei. Die Unterstützung des Assad-Regimes durch die Tscherkessen schwinde aber im Laufe des Bürgerkrieges. Auch die Tscherkessen müssten im Bürgerkrieg u.a. durch die Kriegshandlungen im Bereich der von Tscherkessen besiedelten Golanhöhen Partei ergreifen und sich auf die Seite des Assad-Regimes oder die Seite anderer Bürgerkriegsparteien stellen. Über die Lage von nach Syrien zurückkehrenden Tscherkessen lägen keine Informationen vor.
- 61
In Übereinstimmung mit der so beschriebenen Situation der Tscherkessen ist die Familie des Klägers wegen der Kriegshandlungen in der Region Qunaitra nach Angaben des Klägers im Jahr 2013 von dort nach Damaskus verzogen. Sie haben sich damit in ein Gebiet begeben, das durch das Assad-Regime gehalten wird und damit - wenn überhaupt - zum Ausdruck gebracht, dass sie nicht auf Seiten der regimefeindlichen Kräfte stehen. Dass sich nach Aussage des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat die Familie des Klägers nicht umgemeldet habe, ändert daran nach Einschätzung des Senats nichts. Zudem bestehen an der Richtigkeit dieser Einlassung des Klägers durchgreifende Zweifel. Insoweit wird auf die Ausführungen hierzu unter IV. 2. c) Bezug genommen.
- 62
3. Selbst wenn das Gericht die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a AsylG bei Rückkehr bejahte, fehlt es an der beachtlichen Wahrscheinlichkeit bezüglich der nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund i.S.d. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG. Um als Flüchtling anerkannt zu werden, müsste zu einer Verfolgungshandlung hinzukommen, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit diese Verfolgungshandlung aus flüchtlingsrelevanten Verfolgungsgründen i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG erfolgt. Die dem Senat zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen lassen einen solchen hinreichend verlässlichen Schluss auf das Bestehen der notwendigen Verknüpfung nicht zu.
- 63
a) Es lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht feststellen, dass das Assad-Regime mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit jedem unverfolgt für längere Zeit ausgereisten syrischen Staatsbürger, der im Ausland ein Asylverfahren betrieben hatte und wieder zurückkehrt, pauschal unterstellt, ein Regimegegner zu sein bzw. in Verbindung mit oppositionellen Kreisen im Exil zu stehen, sofern nicht besondere, individuelle gefahrerhöhende Merkmale vorliegen (wie hier auch: OVG Münster, Urt. v. 21.2.2017, 14 A 2316/16.A, DVBl. 2017, 639, juris; Urt. v. 4.5.2017, 14 A 2023/16.A., NVwZ 2017, 1218, juris; OVG Koblenz, Urt. v. 16.12.2016, 1 A 10922/16, juris; OVG Saarlouis, Urt. v. 2.2.2017, 2 A 515/16, juris; Urt. v. 17.10.2017, 2 A 365/17, juris; OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.9.2017, 2 LB 750/17, juris; zu einer Syrerin: VGH Mannheim, Urt. v. 21.8.2017, A 11 S 513/17, S. 13 UA, juris; OVG Schleswig, Urt. v. 23.11.2016, 3 LB 17/16, juris; VGH München, Urt. v. 12.12.2016, 21 B 16.30338, juris; a.A. UNHCR, v. 04/2017, G 7/17, S. 30; allerdings führt der UNHCR diese Gruppe im Bericht vom November 2017, G 35/17, S. 35 f. -, nicht mehr auf).
- 64
Allerdings entsprach es für die Zeit vor Ausbruch der Unruhen in Syrien und bis in die Anfangszeit des Bürgerkriegs hinein wohl weitgehend gesicherter Erkenntnis, dass nach der ständigen Praxis der syrischen Sicherheitskräfte (im weitesten Sinn) bei der offiziellen Wiedereinreise nach einem längeren Auslandsaufenthalt Rückkehrer regelmäßig einem intensiven Verhör unterzogen wurden, das je nach den Umständen auch Stunden dauern konnte. Insbesondere im Falle einer Verbringung der Betreffenden in ein Haft- oder Verhörzentrum der (vier) syrischen Geheimdienste drohte zudem konkret die Anwendung von Folter und menschenrechtswidriger Behandlung, wobei hiermit regelmäßig auch Informationen über eventuelle eigene regimekritische Handlungen im Ausland, aber auch über die Exilszene im Allgemeinen herausgepresst werden sollten. Diese Gefahr wurde etwa vom Auswärtigen Amt als sehr hoch eingeschätzt (vgl. Lagebericht vom 27.9.2010, 2010/4, S. 16). In der Rechtsprechung wurde deshalb z.T. angenommen, dass den staatlichen Maßnahmen auch die erforderliche Gerichtetheit zukam (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 19.6.2013, A 11 S 927/13, juris; a.A. aber etwa OVG Münster, Beschl. v. 7.5.2013, 14 A 1008/13.A, juris).
- 65
Im Laufe des Bürgerkriegs haben sich jedoch in verschiedener Hinsicht Veränderungen in Syrien ergeben. So kann insbesondere aus verschiedenen Berichten von Amnesty International eine endemische Zunahme von Misshandlungen und Folter einschließlich Verschwindenlassen der Betroffenen entnommen werden (vgl. AI, 8/2016, G 13/16, S. 12 ff.; AI, v. 2/2017, G 15/17; AI, Report 2016/2017, v. 22.2.2017, G 17/17 – vgl. auch dt. Übersetzung v. 19.2.2017, G 16/17, S. 9 f.). Es handelt sich um Praktiken, die von Seiten des syrischen Regimes im Grundsatz schon seit vielen Jahren systematisch eingesetzt werden, um jede Opposition und jeden Widerstand zu unterdrücken bzw. zu zerschlagen (vgl. BFA, v. 5.1.2017, S. 19 f., G 26/17). Zudem ist die Zahl der im Ausland lebenden syrischen Flüchtlinge seit dem Beginn des Bürgerkriegs auf ca. 6,4 Millionen gestiegen ist (s.o.; vgl. auch OVG Münster, Urt. v. 21.02.2017, 14 A 2316/16.A, DVBl. 2017, 639).
- 66
Bei dieser Ausgangslage kann der Senat nach Auswertung der vorliegenden Erkenntnisquellen nicht die Überzeugung gewinnen, dass syrische Sicherheitskräfte unterschiedslos jedem rückkehrenden Asylbewerber unterstellen, (vermeintlich) ein Regimegegner zu sein, sofern nicht besondere, individuelle gefahrerhöhende Merkmale vorliegen. Vor diesem Hintergrund ist ein Rückschluss von vor Beginn oder zu Anfang des Bürgerkriegs vermutlich stattgefundenen flüchtlingsrelevanten Eingriffen im Kontext der Einreise auf die heutigen Verhältnisse nicht tragfähig und kann die weitgehend fehlenden Erkenntnisse nicht ersetzen. Aus diesem Grund bestehen auch keine weiteren erfolgversprechenden Ermittlungsansätze.
- 67
Wie ausgeführt liegen nur wenige Dokumente vor, die die hier interessierende Fragestellung der aktuellen Behandlung von Rückkehrern erörtern. Ihnen lassen sich ausnahmslos keine konkreten und nachvollziehbaren Gesichtspunkte entnehmen, die einen verlässlichen Schluss auf die erforderliche Gerichtetheit zulassen. Hierzu führt das OVG Lüneburg in einem die Rückkehr eines Syrers betreffenden Verfahren nach Ansicht des Senats zutreffend aus (Urt. v. 27.6.2017, 2 LB 91/17, juris Rn. 53 - 67):
- 68
„Der vom UNHCR 4/2017 gezogenen Folgerung, sein Bericht belege eine politische Verfolgung durch staatliche Kräfte bei Rückkehr nach Syrien (vgl. S. 30 unter 5. mit Fußn. 146), vermag der Senat nicht zu folgen. Belastbare Erkenntnisse, dass die syrischen Sicherheitsbehörden dem Grunde nach diesen Rückkehrern eine oppositionelle Haltung zuschreiben, sind dem Bericht nicht zu entnehmen. Zum einen beruhen die vom UNHCR 4/2017 wiedergegebenen - teilweise lediglich telefonisch (vgl. hierzu IRB Canada v. 19.1.2016) erfolgten - Einschätzungen nur auf Berichten/ Wertungen einzelner Personen und dabei wiederum vor allem auf „Hörensagen“, nicht aber auf zurechenbaren Äußerungen von Personen, die aus eigener Erfahrung Mitteilung über verschiedene Einzelfälle machen können; Einzelschicksale sind danach nicht nachprüfbar. So wird - unter Hinweis auf das Immigration and Refugee Board of Canada (IRB Canada v. 19.1.2016) - eine emeritierte Professorin für Anthropologie und erzwungener Migration an der Oxford Universität, vormals Leiterin des Refugee Studies Centre in Oxford erwähnt, die ihre Einschätzung wiedergibt, aber keine konkreten Fälle benennt. Auch der Executive Direktor des Syria Justice and Accountability Center benennt keine konkreten, nachprüfbaren Einzelfälle, sondern teilt seine Bewertung der Lage mit, wobei er einerseits darauf hinweist, ein rückkehrender Asylantragsteller gelte als regierungsfeindlich, was als Zuschreibung eines Verfolgungsgrundes zu bewerten wäre, andererseits aber auch ausführt, Rückkehrer würden gefoltert, weil der Staat über andere Asylbewerber/Oppositionelle Informationen gewinnen wolle - was auf ein lediglich wahllos routiniertes Zugreifen mit dem Ziel, möglicherweise verwertbaren Informationen über regimegegnerische Bestrebungen überhaupt erst zu erlangen („fischen“) weist und als solches keine auf einen Verfolgungsgrund „gerichtete“ Maßnahme darstellen würde (vgl. dazu unten). Die dritte genannte Quelle, ein Gastwissenschaftler des Kings College London, der Spezialist für Syrien sei und Sachverständigenaussagen in Asylverfahren von Syrern in Großbritannien gemacht haben soll, trägt die Folgerung des UNHCR schon deswegen nicht, weil diese Quelle lediglich erklärt hat, ein rückkehrender Asylbewerber könne festgenommen werden, dies geschehe aber nicht automatisch; einige Regierungsmitarbeiter betrachteten Rückkehrer als Regierungskritiker, andere Regierungsmitarbeiter würden dagegen anerkennen, dass es auch andere Gründe gebe, das Land zu verlassen (vgl. Fußn. 146). Hinsichtlich der weiteren Ausführungen des IRB Canada (v. 19.1.2016) hat bereits das OVG NW (Urt. v. 21.2.2016 - 14 A 2316/16 -, juris Rnr. 51 ff) festgehalten, dass der dort unter Nr. 3 geschilderten Fall eines aus Australien rückkehrenden Asylbewerbers besonders liege, weil dieser wegen des mitgeführten Geldes in den Verdacht eines Revolutionsfinanciers gekommen war (vgl. auch OVG Rheinl.-Pfalz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16.OVG Rnr. 91) und weiter zutreffend ausgeführt:
- 69
„Weitere Meldungen über Festnahmen bei Einreise (die Rede ist in der genannten Antwort von etwa 35 nach Ägypten geflohenen Palästinensern) lassen mangels Kenntnis der Einzelumstände keinen Rückschluss auf den Anlass der Festnahmen zu. Das Immigration and Refugee Board of Canada zitiert im Weiteren lediglich die Meinung eines Oxford-Professors, eines Forschers am Londoner King's College und eines Funktionärs einer Menschenrechtsorganisation (Syria Justice and Accountability Centre, vgl. die Selbstdarstellung im Internet unter https://syriaaccountability.org/about/), dass abgelehnte Asylbewerber wegen ihres Asylantrags verfolgt würden, ohne dass dafür tatsächliche Anhaltspunkte aufgezeigt würden. Daher kann dies nicht als relevante tatsächliche Erkenntnis, sondern als nicht weiter begründete Meinung gewertet werden.“
- 70
Das vom UNHCR 4/2017 weiter zitierte US Departement of State führt in seinem „Country Report on Human Rights Practices for 2015“ für Syrien (S. 34, ebenso Country Report on Human Rights Practices for 2016, S. 36) zwar aus, dass Personen, die erfolglos Asyl in anderen Ländern beantragt hätten, verfolgt worden seien, jedoch ohne Nennung konkreter Vorfälle. Zudem verweist der Bericht auf ein Gesetz, dass denjenigen mit Verfolgung bedroht, der in einem anderen Land Zuflucht sucht, um einer Strafe in Syrien zu entgehen. Auch aus dieser Fundstelle kann daher nicht die Erkenntnis gewonnen werden, dass dem Grunde nach jeder rückkehrende Asylbewerber als vermeintlicher Oppositioneller vom syrischen Staat Verfolgungshandlungen zu befürchten hat (so zutreffend OVG NW, Urt. v. 21.2.2017, aaO., Rnr 54 f).
- 71
Soweit UNHCR 4/2017 (Fußnote146) zum anderen auf Quellen aus der Zeit vor 2011 verweist, die die Gleichstellung einer illegalen Ausreise und Asylantragstellung mit einer regimefeindlichen Gesinnung belegten (vgl. dazu OVG Sachsen-Anh., Urt. v. 18.7.2012 - 3 L 147/12 -, juris; kritisch zu dieser Einschätzung Bay. VGH, Urt. v. 12.12.2016 - 21 B 16.30371 -, juris, OVG Rheinl-Pfalz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris), kann auf diese Einschätzungen aus jener Zeit schon aufgrund der gravierenden Veränderung der politischen Situation und des infolgedessen - ohne die rd. 6,6 Mio. Binnenflüchtlinge (vgl. AI, Report 2016/2017, Syrien) - auf rd. 4,8 Mio. angewachsenen Flüchtlingsstroms (Ende 2011 waren es lediglich rd. 19.900, s.o.) nicht mehr zurückgegriffen werden (vgl. nunmehr auch OVG Sachsen-Anh., Beschl. v. 29.3.2017 - 3 L 249/16 -, juris).
- 72
Der Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH v. 21.3.2017 Syrien: Rückkehr) sind ebenfalls keine konkreten individualisierbaren Einzelfälle zur Behandlung von Rückkehrern zu entnehmen. Die SFH verweist vielmehr ihrerseits u.a. auf das IRB Canada (v. 19.1.2016) und auf die darin erwähnten Informationen sowie auf die Stellungnahme des US Department of State (s.o.). Letztlich beziehen sich mithin eine Vielzahl von Quellen aufeinander, ohne den Erkenntnishorizont durch neue belastbare Erkenntnisse erweitern zu können.
- 73
Ein erhebliches Indiz dafür, dass Rückkehrer vom syrischen Staat nicht ohne weiteres als Regimegegner eingeschätzt werden, ergibt sich für den Senat aus der genannten Stellungnahme des IRB Canada unter Nr. 1 „Overwiew“, wonach Hunderttausende Flüchtlinge aus den Anrainerstaaten jedes Jahr nach Syrien einreisen sollen, um dort persönliche Angelegenheiten zu regeln, meistens um nach ihrem Hab und Gut zu schauen, Dokumente einzuholen oder zu erneuern oder um Familienmitgliedern und Freunden lebenswichtige Hilfe zu geben, bevor sie wieder in die benachbarten Länder zurückkehren. Eine solche umfangreiche Reisetätigkeit zeigt, dass die in die benachbarten Ländern Geflohenen trotz des (extrem) repressiven Charakters des syrischen Staates davon ausgehen, im Rahmen der Grenzübergänge zu Syrien keiner gravierenden Gefährdung ausgesetzt zu sein (vgl. auch OVG NW, Urt. 21.2.2017, aaO., Rnr. 53, Bay VGH, Urt. v. 12.12.2016, aaO, Rnr. 78).
- 74
Die Annahme, erfolglose Asylbewerber aus dem westlichen Ausland würden - im Gegensatz zu den in die Anrainerstaaten Syriens Geflüchteten - deshalb (unterschiedslos) als Oppositionelle betrachtet, weil die syrische Regierung eine von außen organisierte und finanzierte Verschwörung gegen das Land für den Ursprung des Bürgerkriegs verantwortlich mache, ist eine bloße Vermutung, die angesichts der hohen Zahl in das westliche Ausland geflüchteter und hypothetisch zurückkehrender Syrer dem Senat nicht plausibel erscheint. Mag es bei einer überschaubaren Anzahl von Flüchtlingen wie vor 2011 noch nachvollziehbar gewesen sein, dass diese vom syrischen Regime durchweg als potentielle Gegner angesehen werden könnten, kann dies nicht mehr bei den heutigen Zahlen gelten. Im Gegensatz zur damaligen Lage ist die Zahl derer, die Syrien verlassen haben, heute nicht mehr relativ gering. Zudem ist es mittlerweile nicht mehr erforderlich, eine etwaige von außen organisierte Verschwörung aufzudecken. Die Beteiligung zahlreicher anderer (Groß-)Mächte an den Auseinandersetzungen, die jeweils eigene unterschiedliche Ziele verfolgen, steht vielmehr fest (vgl. oben).
- 75
Den Verfassungsschutzberichten (zitiert bei OVG Rheinl.-Pfalz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris Rnr. 121) lässt sich eine systematische Beobachtung aller mittlerweile im Bundesgebiet lebenden Syrer ebenfalls nicht entnehmen. Ihre Beobachtung gilt in erster Linie oppositionellen Tätigkeiten. Eine umfassende Beobachtung wäre angesichts der großen Zahl hier aufhältiger Personen aus Syrien schon faktisch ausgeschlossen (vgl. OVG Rheinl.-Pfalz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 - juris, Rnr. 121).
- 76
Die generell nicht auszuschließende Anwendung von Misshandlung oder Folter bei Rückkehr stellt als solche schließlich kein wesentliches Indiz für eine politische Motiviertheit der Verfolgung dar; denn es ist zu bedenken, dass dieses Verhalten nicht erst anlässlich der aktuellen bürgerkriegsähnlichen Situation seit 2011 entstanden ist, sondern in Syrien die Sicherheitsdienste aufgrund des seit 1963 bestehenden Ausnahmezustandes in der Praxis immer schon weder parlamentarischen noch gerichtlichen Kontrollmechanismen unterworfen und auch in der Vergangenheit verantwortlich für willkürliche Verhaftungen, Folter und Isolationshaft waren. Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste hatten schon in der Vergangenheit systematisch Gewalt angewandt, ohne dass die Möglichkeit effektiver strafrechtlicher Abwehr bestand. Schon unter Hafis al-Assad wurde jegliche Opposition brutal unterdrückt und es verschwanden Personen, so sollen seit 1980 bis 2010 rd. 17.000 Personen verschwunden sein (AA, Lagebericht v. 27.9.2010; allg. vgl. Lange „Ein historischer Überblick“, Bundeszentrale für politische Bildung, Aus Politik und Zeitgeschichte, 8/2013 S. 37, 42 f.; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 - juris, Rnr. 154; zur langjährigen Praxis von Misshandlungen und Folter vgl. auch VGH Bad.-Württb., Urt. v. 2.5.2017 - A 11 S 562/17 -, juris Rnr. 48).
- 77
Soweit Rückkehrer unter Drangsalierungen bis hin zur Folter befragt werden sollten, würde sich dies daher in Anlehnung an die Ausführungen des OVG Rheinland-Pfalz auch nach Auffassung des Senats um ein willkürliches, von keiner irgendwie gearteten Gerichtetheit bestimmtes Verhalten der in rechtsfreien Räumen agierenden verschiedenen Sicherheitskräfte handeln, möglicherweise auch um ein wahllos-routiniertes Fischen nach Informationen, wodurch einen konkreten Verdacht überhaupt erst begründende Hinweise gewonnen werden sollen, aufgrund derer sodann eine Zuschreibung von Verfolgungsgründen erfolgen könnte (vgl. OVG Rheinl.-Pfalz, Urt. v. 16.12.2016, aaO. Rnr. 121, vgl. auch OVG d. Saarl. v. 11.3.2017 - 2 A 215/17 -, juris).
- 78
Schon das Auswärtige Amt (Ad-hoc-Bericht v. 17.2.2012) hat auf willkürliche Verhaftungen und darauf hingewiesen, dass die Sicherheitskräfte im Zuge der Bekämpfung der Opposition von dem syrischen Regime eine „carte blanche“ erhalten hätten, jeder agiere für sich im rechtsfreien Raum.
- 79
Dieses willkürlich-wahllose Verhalten bei etwaigen Rückkehrer-Befragungen wird auch durch den UNHCR-Bericht 4/2017 selbst deutlich. So heißt es dort, dass Personen „ohne bestimmten Grund entsprechend der weit verbreiteten Willkür und des Machtmissbrauchs durch Sicherheitsbeamte inhaftiert und misshandelt“ werden (S. 6), das System sei „äußerst unvorhersehbar“, es seien „alle Personen“ einem Misshandlungsrisiko durch Grenzbehörden ausgesetzt (Fußnote 32), die einzelnen regierungstreuen Sicherheitsbereiche hätte gleichsam freie Hand erhalten, es erfolgten Übergriffe auf Einwohner Syriens, die tatsächliche oder vermeintliche regierungskritische politische Ansichten „im weitesten Sinn“ verträten, es seien „zahlreiche Protesteilnehmer, Aktivisten, Wehrdienstentzieher, Deserteure, Laienjournalisten, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, Ärzte und andere Personen, denen regierungsfeindliche Haltungen zugeschrieben wurden, willkürlich verhaftet worden“. Ein unterschiedsloses Vorgehen belegt auch der Hinweis, dass die International Crisis Group (ICG) den Einsatz von Luftschlägen durch die syrische Regierung als „Teil einer Strategie der verbrannten Erde und der kollektiven Bestrafung“ bezeichnet habe (S. 18).
- 80
Die SFH sprich in ihrer Stellungnahme ebenfalls von „Willkür“ (vgl. Überschrift Punkt 5.2) und weist unter Bezugnahme auf AI (Between Prison and the Grave, v. 5.11.2015) auf den „verbreiteten Opportunismus der syrischen Sicherheitsbeamten (hin), die entweder aus Profitgier oder aus persönlicher Rache Menschen verhaften und verschwinden lassen“. Der Verweis auf die Möglichkeit, sich mit Hilfe von Bestechung zu arrangieren (im Korruptionswahrnehmungsindex steht Syrien an 173. Stelle von 176 untersuchten Ländern, UNHCR Fußnote 9), bestätigt die Annahme rein willkürlichen/wahllosen Verhaltens.
- 81
Gleiches ergibt sich aus dem vom IRB (v. 19.1.2016, S. 5) zitierten OHCHR-Report 2014, der zwar zunächst verschiedene, möglicherweise noch unterscheidbare in das Blickfeld des syrischen Staates geratene Gruppierungen nennt (u.a. activists, students, humanitarian workers), letztlich aber die Bedrohung unterschiedslos ausdehnt auf „those who were in the wrong place at the wrong time“.
- 82
Erfolgen etwaige Übergriffe aber unterschiedslos, so geschehen sie letztlich wahllos, mithin ohne Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund (vgl. hierzu, BVerwG, Beschl. v. 27.4.2017 - 1 B 63.17 -, juris, vgl. OVG Rheinl.-Pfalz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris, OVG d. Saarl., Urt. v. 11.3.2017 - 2 A 215/17 -, juris).“
- 83
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der UNHCR in seinem Bericht von November 2017 (G 35/17, insbesondere S. 35 ff.) nicht mehr erwähnt, dass aus dem Ausland zurückkehrenden syrischen Asylbewerbern allein aufgrund des im Ausland betriebenen Asylverfahrens beachtlich wahrscheinlich eine oppositionelle Haltung zugeschrieben werde. Auch das Auswärtige Amt spricht in seiner Stellungnahme vom 17. Oktober 2017 (Auskunft an VG Magdeburg, 2017/10) davon, dass die Willkür von Inhaftierungen, auch zum Erpressen von Lösegeld etc. extrem hoch sei.
- 84
b) Die Zugehörigkeit zum sunnitischen Glauben stellt zur Überzeugung des Senats keinen risikoerhöhenden Faktor dar, aufgrund dessen dem Kläger bei einer Rückkehr nach Damaskus beachtlich wahrscheinlich die Gefahr einer Verfolgung drohen würde, weil ihm deshalb eine regimefeindliche Haltung zugeschrieben werden würde.
- 85
Soweit der UNHCR in seiner Stellungnahme von November 2015 (Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, G 15/15, S. 26) davon ausgeht, dass die Mitgliedschaft in religiösen Gruppen - darunter auch die Sunniten - ein gefahrerhöhendes Moment sein könne, kann dieses nicht generell gelten, sondern muss jeweils im regionalen Kontext und in der ggf. spezifischen Konfliktsituation beurteilt werden. Dies gilt zur Überzeugung des Senats gerade in Bezug auf Personen sunnitischen Glaubens, da knapp drei Viertel der syrischen Bevölkerung bei Ausbruch des Bürgerkriegs sunnitischen Glaubens waren und Angehörige des sunnitischen Glaubens innerhalb des Assad-Regimes hohe Stellungen einnehmen.
- 86
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der UNHCR in seiner Stellungnahme von November 2017 (G 35/17, S. 54 ff.) die Angehörigkeit zum sunnitischen Glauben nicht mehr als per se risikoerhöhenden Faktor ansieht und auch nicht als ein Merkmal, aufgrund dessen der Person regierungsfeindliche Absichten unterstellt werden (ebenso: VGH Mannheim, Urt. v. 9.8.2017, A 11 S 710/17, DVBl. 2017, 1317, juris Rn. 48). Vielmehr geht der UNHCR davon aus, dass die Verfolgungsgefahr für Mitglieder religiöser und ethnischer Gruppen von Region zu Region variiert und von den spezifischen Konfliktbedingungen der jeweiligen Region abhänge. Eine Verfolgungsgefahr ergebe sich insbesondere für Angehörige religiöser und ethnischer Gruppen, die aus Gebieten stammten, die von regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen kontrolliert werden würden, so dass diesen abhängig von den individuellen Umständen des Einzelfalles der Flüchtlingsschutz zu gewähren sei. Hierunter fällt der Kläger als Sunnit nicht. Zu berücksichtigen ist dabei zudem, dass der Kläger seit 2013 bis zu seiner Ausreise in Damaskus gelebt hat. Dafür dass Sunniten in Damaskus wegen ihrer Religionszugehörigkeit durch das Assad-Regime verfolgt werden, liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor.
- 87
c) Der Senat hat keine belastbaren Erkenntnisse, dass die tscherkessische Volkszugehörigkeit Anknüpfungspunkt für eine Verfolgung durch das Assad-Regime ist. Insoweit wird ergänzend auf die vorstehenden Ausführungen unter 2. Bezug genommen.
- 88
d) Das Gericht hat auch keine belastbaren Erkenntnisse, dass die Herkunft des Klägers aus der Region Qunaitra, die ca. seit 2012 von der Freien Syrischen Armee gehalten wird, beachtlich wahrscheinlich Anknüpfungspunkt für eine Verfolgung durch das Assad-Regime ist, weil ihm deshalb eine regimefeindliche Haltung zugeschrieben werden würde. Hiergegen spricht bereits, dass die Familie des Klägers nach seinen eigenen Angaben 2013 nach Damaskus umgezogen ist und seitdem dort lebt, ohne in Schwierigkeiten mit dem Assad-Regime gekommen zu sein. Der Kläger ist nach seinem eigenen Vorbringen bis zu seiner (offiziellen) Ausreise über den Flughafen Damaskus zur Schule gegangen; insoweit geht das Gericht davon aus, dass er in Damaskus zur Schule gegangen ist (vgl. zur Herkunft aus Aleppo: VGH Mannheim, Urt. v. 9.8.2017, A 11 S 710/17, DVBl. 2017, 1317, juris Rn. 49). Auch seine Schwester hat in Damaskus gelebt und dort von 2013 - Mitte 2015 studiert.
- 89
e) Nach Ansicht des Senats begründet auch die Gesamtheit dieser Umstände keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung in Anknüpfung an die aufgeführten Umstände; insbesondere liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass beachtlich wahrscheinlich dem Kläger bei Rückkehr in Anknüpfung daran eine regimefeindliche Haltung unterstellt werden würde.
IV.
- 90
Eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgung des Klägers in Anknüpfung an asylrechtlich erhebliche Merkmale wegen seines Auslandsaufenthalts im wehrdienstfähigen Alter konnte - auch in Verbindung mit den vorgenannten Umständen - zur Überzeugung des Senats nicht ermittelt werden. Aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse zu den Regelungen über den Wehr- und Militärdienst und die Praxis deren Umsetzung (1.) geht der Senat davon aus, dass der Kläger bisher nicht gegen Vorschriften des syrischen Rechts im Zusammenhang mit der Wehrpflicht verstoßen hat (2.). Aber auch wenn der Senat unterstellt, dass das Assad-Regime den Kläger aufgrund des längeren Aufenthalts im wehrdienstfähigen Alter bei einer hypothetischen Rückkehr wie einen Wehr- bzw. Militärdienstentziehber bzw. -verweigerer behandeln würde, bestehen zur Überzeugung des Senats keine hinreichenden Erkenntnisse, dass dem Kläger bei Rückkehr in Anknüpfung daran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen (3.) wegen flüchtlingsrechtlich erheblicher Merkmale (4.) drohen würden.
- 91
1. Zum Wehr- bzw. Militärdienst geht der Senat von Folgendem aus (soweit nicht besonders aufgeführt, liegen der Einschätzung folgende Erkenntnisquellen zugrunde: AA, v. 2.1.2017, 2017/1; Dt. Botschaft Beirut, Auskunft an das BAMF v. 3.2.2016, 2016/1; BFA, v. 5.1.2017, G 26/17; BFA, Fact Finding Mission Report Syrien v. August 2017, G 11/17; DOI, v. 1.2.2017, G 6/17; DOI, Auskunft an das OVG Schleswig v. 8.11.2016, G 3/16; Danish Refugee Council - DRC -, Syria v. August 2017, G 23/17; SFH, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion v. 23.3.2017, G 19/17; SFH v. 21.3.2017, G 5/17; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee v. 28.3.2015, G 8/15; SFH, Syrien: Die National Defense Forces v. 28.3.2015, G 9/15; SFH, Syrien: Umsetzung der Amnestien v. 14.4.2015, G 10/15; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, v. 30.7.2014, G 3/14; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“ v. 20.10.2015, G 13/15; Finnische Einwanderungsbehörde, Syria: Military Service, National Defense Forces, armed groups supporting Syrian Regime and armed opposition, v. 23.08.2016, G 15/16; UNHCR, April 2017, G 7/17; UNHCR, November 2017, G 35/17):
- 92
In Syrien besteht allgemeine Wehrpflicht, die grundsätzlich für alle syrischen Männer unabhängig von ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund wie auch für Palästinenser, die in Syrien leben, gilt; auch Oppositionelle werden einberufen. Die Registrierung für die Wehrpflicht erfolgt im Alter von 18 Jahren. Nach Auskunft des BFA (08/2017, G 11/17, S. 18) sind junge Männer im Alter von 17 Jahren aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von mindestens 18 Jahren werden die Männer per Einberufungsbescheid zum Ableisten des Wehrdienstes aufgefordert. Zudem werden junge Männer an Kontrollstellen oder bei Razzien auf öffentlichen Plätzen (zwangs)rekrutiert (AA, 2.1.2017, 2017/1; BFA, 08/2017, G 11/17,S. 18; DRC, 08/2017, G 23/17, S. 13,). Jeder Mann im Alter zwischen 18 und 42 Jahren ist verpflichtet, einen zweijährigen Militärdienst abzuleisten. Allerdings weisen einzelne Quellen darauf hin, wonach die Wehrpflicht in der Praxis in Einzelfällen bis zum 50. bzw. sogar bis zum 60. Lebensjahr ausgeweitet wird bzw. jeder Mann in einem im weitesten Sinne wehrfähigen Alter rekrutiert werden kann; daneben soll es auch zu Zwangsrekrutierungen von Minderjährigen kommen (BFA, 08/2017, G 11/17, S. 18; DRC, 08/2017, G 23/17, S. 8; SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 5 ff.).
- 93
Ausnahmen von der Wehrpflicht werden - von Bestechungen abgesehen - bei Personen jüdischen Glaubens oder bei Untauglichkeit gemacht. Zudem bestehen Regelungen über Ansprüche auf Aufschub vom Antritt des Grundwehrdienstes etwa für Einzelkinder oder Studenten - hier je nach Art des Studiums gestaffelt, regelmäßig höchstens bis 27 Jahre. Diese Regelungen gelten zwar formal weiter, in der Praxis finden sie allerdings aufgrund des stark zunehmenden Personalbedarfs nur eingeschränkt und zunehmend willkürlich Anwendung. Für im Ausland lebende Männer gibt es z.T. die Möglichkeit, sich gegen Zahlung einer Geldkompensation vom Militärdienst zu befreien (vgl. BFA, 08/2017, G 11/17, S. 19 f.; DRC, 08/2017, G 23/17, S. 8 f.; SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 8).
- 94
Es besteht keine Möglichkeit, den Wehrdienst zu verweigern bzw. zivilen Ersatzdienst zu leisten. Entlassungen aus dem Militärdienst sind nach den verwerteten Erkenntnisquellen seit dem Jahre 2011, dem Beginn der militärischen Auseinandersetzung, eher zur Ausnahme geworden; viele Wehrpflichtige sind über Jahre hinweg in der Armee tätig und oftmals wäre Desertion die einzige Möglichkeit, den Militärdienst zu beenden.
- 95
Gediente Wehrpflichtige müssen nach Beendigung des Wehrdienstes als Reservisten jederzeit abrufbar sein. In der Vergangenheit wurden alle Männer bis zum Alter von 42 Jahren als Reservisten geführt; aufgrund der prekären Personalsituation gibt es gegenwärtig kein festgesetztes Höchstalter für die Aktivierung von Reservisten mehr, vielmehr werden nach den vorliegenden Auskünften im Einzelfall - je nach Ausbildung und bisheriger Tätigkeiten für die Armee - Männer im Alter von bis zu 50 oder sogar 60 Jahren erneut zum Dienst verpflichtet.
- 96
Über die aktuelle Praxis der Rekrutierung wird berichtet (vgl. insgesamt zum Nachfolgenden: BFA, 5.1.2017, G 26/17, S. 23; DRC, 08/2017, G 23/17, S. 8, 13), dass es im Zeitraum von März 2016 bis März 2017 keine Generalmobilmachung gegeben hat. Jedoch wurden offenbar in verschiedenen Wellen die Bemühungen intensiviert, Wehrpflichtige und Reservisten einzuziehen; nach einigen Quellenangaben erfolgte dies deshalb, weil nur wenige Männer auf die Einberufung reagiert und sich zum Dienst eingefunden haben (DRC, 08/2017, G 23/17, S. 8). Die regulären Rekrutierungsmethoden würden immer noch angewendet werden, weil das Regime zeigen wolle, dass sich nichts verändert habe. So würden Rekrutierungsschreiben verschickt, wenn Männer das wehrfähige Alter erreichen. Es gebe aber auch Männer im wehrpflichtigen Alter, die frei in Syrien lebten (BFA, 5.1.2017, G 26/17, S. 23). Insgesamt sei schwer zu sagen, in welchem Ausmaß die Rekrutierung durch die syrische Armee tatsächlich durchgesetzt werde. In der syrischen Armee herrsche zunehmende Willkür und die Situation könne sich von einer Person zur anderen unterscheiden (BFA, 5.1.2017, G 26/17, S. 22). So wird über die im Land errichteten Kontrollstellen beispielsweise berichtet (UNHCR, April 2017, G 7/17, S. 24 ff.; UNHCR, Auskunft an VGH Kassel v. 30.5.2017, G 9/17, S. 2), dass an diesen in großem Maße Männer im wehrdienstfähigen Alter, die einen Einberufungsbescheid erhalten hätten, aber auch solche, bei denen dies noch nicht der Fall gewesen sei, eingezogen würden, während an anderer Stelle berichtet wird, an diesen würden massenhaft Bestechungsgelder verlangt (vgl. zur finanziellen Lage: Truppendienst, Der syrische Bürgerkrieg - Update 06 12 2017, S. 7, und Truppendienst, Der syrische Bürgerkrieg - Update 15 07 2017, S. 3, ca. 2000 Kontrollstellen; Truppendienst, Streitkräfte des Assad-Regimes, Februar 2017, S. 2: „... während die Armee Bestechungsgelder an Kontrollpunkten kassiert ...“).
- 97
Männer im Alter zwischen 18 und 42 Jahren dürfen seit März 2012 nur mit einer offiziellen Beglaubigung des Militärs, mit der bescheinigt wird, dass sie von der Wehrpflicht bzw. vom Militärdienst freigestellt sind, das Land verlassen; seit Herbst 2014 besteht darüber hinaus für Männer, die zwischen 1985 und 1991 geboren sind, ein generelles Ausreiseverbot. Jungen Männern vor Erreichen des 18. Lebensjahres wird die Ausreise erschwert, indem Reisepässe nur für eine kurze Gültigkeitsdauer ausgestellt werden (BFA, 5.1.2017, G 26/17, S. 24).
- 98
Neben den Streitkräften des Assad-Regimes, der Syrisch-Arabischen Armee (nachfolgend: syrische Armee), besteht eine Vielzahl von dem Assad-Regime treuen Milizen und Kampfverbänden, die vom Assad-Regime unterstützt werden. Sie werden von politischen Akteuren wie der Syrisch Arabischen Baath Partei, von Palästinensern, reichen Geschäftsmännern oder ethnischen Akteuren angeführt. Auch die verschiedenen Geheimdienste rekrutieren ihre eigenen paramilitärischen Gruppen. Die lokalen Verteidigungsmilizen sind oft nach Konfession organisiert und kämpfen, um ihre Herkunftsregion zu verteidigen (SFH v. 23.3.2017, G 19/17, S. 3). Das Assad-Regime hat mit der Unterstützung des Irans versucht, diese Milizen in den 2013 gegründeten Nationalen Verteidigungskräften (National Defense Forces, NDF) zu bündeln und unter die Kontrolle der syrischen Armee zu bringen. Dabei scheint es so zu sein, dass die NDF als Dachorganisation konzipiert wurde, unter dem regimefreundliche Milizen unter der Kontrolle der syrischen Armee organisiert wurden (DRC, 08/2017, G 23/17, S. 15; BFA, 5.1.2017, G 26/17, S. 25). Die genaue Mannstärke der NDF ist nicht bekannt, Schätzungen reichen von 60.000 bis 100.000 Mitglieder. Kämpfer der NDF gelten als dem Regime loyaler als die Wehrdienstleistenden in der Armee. Indem man der NDF beitrete, könne man den Wehr- bzw. Militärdienst bei der syrischen Armee vermeiden und den Einsatzort besser beeinflussen. Der Beitritt zu den NDF sei grundsätzlich freiwillig, allerdings solle es auch Zwangsrekrutierungen gegeben haben. Daneben gibt es auch Hinweise, dass das Assad-Regime versucht, Männer in den Militärdienst einzuziehen, die sich gemäß ihrem Versprechen anstelle des Militärdienstes bereits einer lokalen Miliz angeschlossen haben (vgl. BFA, 5.1.2017, G 26/17, S. 25 f.; SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 3, 6). Die NDF unter der Führung des Assad-Regimes sollen 2016 weitgehend auseinandergebrochen sein. Da die paramilitärischen Gruppen von unterschiedlichen Geldgebern mit eigenen Zielen geführt wurden, ist es auch zu direkten Konfrontationen mit dem Assad-Regime gekommen (SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 3; DRC, 08/2017, G 23/17, S. 15). Aktuell wird berichtet, dass den Milizen der NDF etwa 100.000 Männer angehören, die mit der syrischen Armee kämpfen, diese Milizen jedoch inzwischen durch den Iran bezahlt werden und unter deren Befehlsgewalt eingegliedert sind (vgl. Truppendienst, Der syrische Bürgerkrieg - Update 06 12 2017, S. 7). Hinzu kommen Lokale Verteidigungskräfte (LDF), die Teil der vom Iran finanzierten und kontrollierten Hisbollah/Syrien sein sollen, die vom Assad-Regime als „Mitglieder der syrischen Streitkräfte“ angesehen werden, obwohl diese nicht unter dem Kommando des Assad-Regimes stehen (vgl. Truppendienst, Der syrische Bürgerkrieg - Update 06 12 2017, S. 7).
- 99
Wehrdienstverweigerung wird nach dem Military Penal Code geahndet (vgl. AA, 2.1.2017, 2017/1; Dt. Botschaft Beirut, 3.2.2016, 2016/1; SFH, 30.07.2014, G 3/14; SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 8 f.). Nach dessen Artikel 98 wird, wer sich der Einberufung entzieht, mit Haft zwischen einem und sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft. Wer das Land verlässt, ohne eine Adresse zu hinterlassen, unter der er immer erreichbar ist, und sich so der Einberufung entzieht, wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Für Desertion im eigentlichen Sinn werden in Artikel 101 fünf Jahre Haft angedroht bzw. fünf bis zehn Jahre, wenn der Deserteur das Land verlässt. Erfolgt die Desertion in Kriegszeiten oder während des Kampfes, beträgt die Haftstrafe 15 Jahre; Desertion im Angesicht des Feindes wird gemäß Artikel 102 mit lebenslanger Haft bzw. bei Überlaufen zum Feind mit Exekution bestraft. Berichten zufolge kann auch ein Wehrdienstentzug durch illegale Ausreise von nicht gemusterten bzw. nicht einberufenen Wehrpflichtigen mit Geldbuße oder Gefängnis bestraft werden (AA, 02.01.2017, 2017/1, S. 5).
- 100
Die Umsetzung der Bestrafung scheint willkürlich zu sein (SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 10 f.). Insoweit gibt es einerseits Stellungnahmen, dass zurückkehrenden Wehrdienstpflichtigen Haft, Folter, Misshandlungen, Einsatz an der Front sowie dauerhaftes Verschwinden bzw. Tod drohe (vgl. DOI, 8.11.2016, G 3/16, wonach bei Wehrdienstentziehung eine harte Strafe bis hin zu Todesstrafe, aber oft auch Folter drohe; Dt. Botschaft Beirut, 3.2.2016, 2016/1, wonach im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst Fälle von Haft oder dauerndem Verschwinden bekannt geworden seien; IRB Canada, 19.1.2016, G 5/16, wonach Wehrdienstpflichtige eine sehr vulnerable Gruppe darstellen; Danish Refugee Council, SYRIA, Update on Military Service, September 2015, G 11/15, S. 18, wonach das syrische Regime bei Wehrdienstentziehung mit Einberufung nach Arrest, Einsatz an der Front, Bestrafung, Misshandlung reagiert; SFH v. 28.3.2015, G 8/15, wonach es bei ergriffenen Wehrdienstverweigerern in der Haft zu Folter komme). Andererseits wird aber auch berichtet, dass die Bestrafung häufig von der Position und dem Rang des Betreffenden, seinem Profil, aber auch dem Bedarf an der Front abhänge (SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 10). Weiter wird ausgeführt, dass einige der Verhafteten zwar zu Haftstrafen verurteilt und dann eingezogen würden, andere aber lediglich verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt würden (SFH, 28.3.2015, G 8/15; BFA, 5.1.2017, G 26/17, S. 27). Das DRC berichtet unter Berufung auf verschiedene Quellen, u.a. C. Kozak (DRC, 08/2017, G 23/17, S. 13 f., Fn. 62), dass Wehrdienstentzieher, wenn sie aufgegriffen werden, riskieren in den Militärdienst gesandt zu werden, während Deserteuren härtere Strafen drohten, wie z.B. Haft oder Todesstrafe. Der UNHCR (11/2017, G 35/17, S. 39 unten/S. 40 oben) führt hierzu aus, dass unabhängige Beobachter bemerken, dass Wehrdienstentziehung von der Regierung wahrscheinlich als politischer, gegen die Regierung gerichteter Akt betrachtet werde, der zu einer Bestrafung führen könne, die über die strafrechtlich vorgesehenen Sanktionen hinausgehe, einschließlich härterer Behandlung bei der Inhaftierung, während der Haft und Befragungen sowie während des militärischen Einsatzes, wenn sie wieder eingesetzt werden. In der Praxis würden Berichten zufolge Wehrdienstentzieher aber eher, als dass sie nach dem Militärstrafgesetzbuch bestraft würden, innerhalb von Tagen oder Wochen nach ihrer Verhaftung an die Front geschickt, oft nach nur minimaler Ausbildung. Nach anderen Berichten gebe es aber auch Deserteure, die nachdem sie wieder aufgegriffen worden seien, in den Militärdienst bzw. an die Front geschickt worden seien (DRC, 08/2017, G 23/17, S. 14 mit Fn. 67 - 69). Insgesamt ist die Zahl der Wehr- bzw. Militärdienstverweigerer sehr hoch (DRC, 08/2017, G 23/17, S. 13; UNHCR, 30.5.2017, G 9/17, S. 2; UNHCR, April 2017, G 7/17, Fn. 117). Nicht in jedem Einzelfall würden Nachforschungen betrieben (DRC, 08/2017, G 23/17, S. 13).
- 101
2. Der Kläger konnte den Senat nicht davon überzeugen, dass er durch seine Ausreise und seinen Auslandsaufenthalt gegen Vorschriften des syrischen Strafrechts verstoßen hat, weil er sich dem Militärdienst entzogen habe.
- 102
a) Eine Entziehung von der Wehrpflicht setzt nach den vorstehenden Ausführungen voraus, dass der Kläger einen Einberufungsbescheid erhalten hat. Der Umstand, dass der Kläger sein Wehrbuch nicht abgeholt hat, ist insoweit nicht ausreichend. Nach seinem Vorbringen hat der Kläger bis zu seiner Ausreise keinen Einberufungsbescheid erhalten. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger erklärt, seinen Eltern sei nach seiner Ausreise kein Einberufungsbescheid zugegangen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat er dies nicht weiter ergänzt.
- 103
b) Angesichts des Umstandes, dass der Kläger am 6. Januar 2016 Syrien über den Flughafen Damaskus legal verlassen hat, geht der Senat zudem davon aus, dass der Kläger vom Militärdienst freigestellt war. Zum Zeitpunkt der Ausreise war der Kläger bereits 18 Jahre alt. Nach den vorstehend genannten Quellen ist eine legale Ausreise für Männer ab 18 Jahren nur mit Genehmigung der Militärbehörden möglich. Am Flughafen Damaskus finden umfangreiche Personen- und Grenzkontrollen statt, so dass eine illegale Ausreise nahezu unmöglich sein dürfte (vgl. AA, Auskunft an VG Trier v. 12.10.2016, 2016/5). Soweit der Kläger in der Befragung bei dem Bundesamt berichtet hat, dass er am Flughafen in Damaskus von Kontrollbeamten befragt worden sei, ob er sich der Wehrpflicht entziehen wolle, und er dies verneint habe und man ihn dann habe passieren lassen, ist dies für das Gericht nicht glaubhaft. Die Schilderung ist detailarm und erfolgte erst auf Nachfrage, obwohl dies für den Kläger auch angesichts der drohenden Verhaftung eine sehr prekäre Situation gewesen sein muss. Soweit der Kläger seinen Vortrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht bekräftigt und ergänzt sowie mit der Aussage seiner Schwester harmonisiert hat, die erklärt hat, der Kläger habe sich am Flughafen nicht geäußert, ist auch diese Aussage zur Überzeugung des Berufungsgerichts nicht glaubhaft. Hinsichtlich der Frage, wann der Reisepass von den syrischen Beamten gestempelt worden ist, ist sie zudem in sich widersprüchlich und auch deshalb unglaubhaft. Beide Aussagen widersprechen der oben ausgeführten Faktenlage, wonach bei der Ausreisekontrolle - gerade auch am Flughafen Damaskus - gezielt überprüft wird, ob eine ggf. notwendige Genehmigung der Militärbehörden vorliegt.
- 104
Da der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht zudem erklärt hat, dass er keine Bestechungsgelder für seine Ausreise geleistet hat, geht der Senat davon aus, dass der Kläger von der Wehrpflicht freigestellt war, da er nur so Syrien legal verlassen konnte. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht Gegenteiliges behauptet hat, hält der Senat dies angesichts der vorstehenden Ausführungen nicht für glaubhaft.
- 105
c) Es ist auch nicht zu erkennen, dass der Kläger das Land entgegen den gesetzlichen Bestimmungen verlassen hat, ohne eine Adresse hinterlassen zu haben, unter der er erreichbar ist, und sich so der Einberufung entzogen hat. Der Senat geht vielmehr davon aus, dass der Kläger bis zu seiner Ausreise bei seinen Eltern in Damaskus wohnhaft und den syrischen Militärbehörden dies auch bekannt war. Unabhängig von der Frage, ob der Kläger dort offiziell gemeldet war, haben die syrischen Behörden mit dem Kläger in Hinblick auf die Abholung seines Wehrbuches Kontakt gehabt. Dass der Kläger hierbei nicht seine Wohnadresse in Damaskus genannt haben will, erscheint nicht nachvollziehbar. Hinzu kommt, dass die gesamte Familie Anfang 2016 seit mehr als zwei Jahren in Damaskus gelebt hat. Zudem ist der Kläger dort zur Schule gegangen, seine Schwester hat nach ihren Angaben in der Anhörung vor dem Bundesamt dort am 10. November 2013 ihr Studium aufgenommen sowie ca. 18 Monate in Damaskus studiert und sein im Ruhestand befindlicher Vater wird dort seine Rente bezogen haben. Dies legt es nahe, dass die Familie des Klägers sich dort auch offiziell angemeldet hat und der Kläger in der Anhörung vor dem Bundesamt zutreffend erklärt hat, seine letzte offizielle Wohnanschrift sei die in Damaskus benannte Anschrift gewesen, wie dies im Protokoll der Anhörung niedergelegt ist. Soweit der Kläger demgegenüber in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht erklärt hat, bei der Anhörung vor dem Bundesamt sei nur nach der letzten Wohnanschrift, nicht aber nach der letzten offiziellen Anschrift gefragt worden, erscheint dies nicht glaubhaft. Hiergegen sprechen die zuvor genannten Umstände.
- 106
3. Aber auch wenn der Senat unterstellt, dass das Assad-Regime den Kläger aufgrund des längeren Auslandsaufenthalts im wehrdienstfähigen Alter bei einer hypothetischen Rückkehr wie einen Wehr- bzw. Militärdienstentzieher behandeln würde, der der Einberufung nicht gefolgt ist, ohne Genehmigung des Militärs das Land verlassen hat und keine Adresse hinterlassen hat, unter der er für die Militärbehörden erreichbar ist, lässt sich nach Ansicht des Senats den vorliegenden Erkenntnisquellen nicht hinreichend verlässlich entnehmen, dass dem Kläger beachtlich wahrscheinlich eine Verfolgungshandlung aus den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Gründen, insbesondere wegen einer unterstellten Regimegegnerschaft, droht. Insoweit kann nicht beachtlich wahrscheinlich festgestellt werden, dass dem Kläger eine Bestrafung bzw. Inhaftierung (nachfolgend a)) droht und ihm insoweit eine regimefeindliche Haltung unterstellt werden würde (nachfolgend b)). Ebenso liegen keine hinreichenden Erkenntnisse dazu vor, dass dem Kläger sonstige Verfolgungshandlungen wie eine härtere Behandlung während des Militärdienstes oder ein unmittelbarer Fronteinsatz aus den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Gründen droht (nachfolgend c)). Die dem Kläger drohende Rekrutierung erfolgt ebenfalls nicht in Anknüpfung an die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe.
- 107
a) Den Erkenntnisquellen lassen sich zur Überzeugung des Senats keine Anhaltspunkte in hinreichender Dichte dafür entnehmen, dass der Kläger bei der gedanklich zu unterstellenden Rückkehr nach Syrien bestraft bzw. inhaftiert werden würde, selbst wenn das Assad-Regime dem Kläger die Erfüllung der Straftatbestände der Wehrdienst- bzw. Militärdienstentziehung unterstellen würde. Insoweit liegen uneinheitliche Erkenntnisse darüber vor, ob einem Wehrdienst- bzw. Militärdienstentzieher allein eine Einziehung zum Wehrdienst und ein Militäreinsatz oder allein oder zusätzlich eine Inhaftierung bzw. ein Strafverfahren droht; es scheint eher wahrscheinlich zu sein, dass diesen Personen allein eine Einziehung zum Wehr- bzw. Militärdienst droht. Gleichzeitig lassen sich den Erkenntnisquellen nicht in hinreichender Dichte Verfolgungsfälle - d.h. konkrete Berichte über Fälle und Anzahl von Inhaftierung und ggf. Misshandlungen aufgrund von Wehr- bzw. Militärdienstentziehung - entnehmen, die im Verhältnis zu den erheblichen Rekrutierungsanstrengungen des Assad-Regimes z.B. an im Land errichteten Kontrollpunkten als ins Gewicht fallend angesehen werden können.
- 108
aa) Die dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen beurteilen die Folgen einer Entziehung vor dem Wehrdienst bzw. Militärdienst uneinheitlich. Ihnen lassen sich zudem keine hinreichenden Fakten dafür entnehmen, dass (ggf. zurückkehrenden) Wehr- bzw. Militärdienstdienstverweigerern beachtlich wahrscheinlich eine Bestrafung und/oder Inhaftierung droht, sofern keine weiteren individuellen Anhaltspunkte auf eine Regimegegnerschaft hindeuten.
- 109
Berichte zu aus dem Ausland zurückkehrenden Personen, die sich durch Ausreise dem Wehrdienst bzw. dem Militärdienst entzogen haben, liegen nicht vor. Auch aufgrund der Erkenntnisse zu den in Syrien aufgegriffenen Wehr- bzw. Militärdienstentziehern hat der Senat keine hinreichend belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass diesen beachtlich wahrscheinlich Inhaftierung und Misshandlung droht.
- 110
(1) Der UNHCR führt in seiner Stellungnahme von November 2017 (G 35/17, S. 40, Fn. 227 unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des UNHCR von Februar 2017) sowie vom 30. Mai 2017 (G 9/17, S. 2) aus, dass Berichten zufolge in der Praxis Wehr- bzw. Militärdienstentziehern eher als strafrechtliche Sanktionen (Inhaftierung) nach dem Militärstrafgesetz innerhalb von Tagen bzw. Wochen nach ihrer Festnahme ein Einsatz an vorderster Front droht, oft nur mit einer minimalen Ausbildung. In der deutschen Übersetzung von April 2017 (G 7/17, S. 23 und Fn. 113) der in Bezug genommenen Stellungnahme vom Februar 2017 heißt es, dass berichtet werde, dass Wehrdienstentzieher in der Praxis festgenommen und unterschiedlich lange inhaftiert würden und danach in ihrer militärischen Einheit Dienst leisten müssten. Aus Berichten gehe hervor, dass sie während der Haft dem Risiko von Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt seien. Als Referenz wird eine Anwältin von Human Rights Watch (HRW) mit der Äußerung zitiert, HRW wisse, dass Menschen in Syrien aufgrund ihrer Weigerung, in der Armee zu dienen, inhaftiert seien. Zudem wird ein Bericht von Al Jazeera vom Juni 2016 angeführt, wonach mögliche Folgen für Wehrdienstentzieher umgehende Einziehung nach der Festnahme, Einsatz an vorderster Front, Untersuchung und Folter und/oder Inhaftierung seien. Welche Konsequenz(en) die Wehrdienstentziehung habe, könne vom Profil der betreffenden Person, ihren Verbindungen und dem Gebiet abhängen. Wenn die Behörden die betreffende Person verdächtigten, Verbindungen zu Oppositionsgruppen zu haben, dann würden Ermittlungen und Misshandlungen, einschließlich Folter folgen.
- 111
Der Bericht von Al Jazeera deutet eher darauf hin, dass eine Inhaftierung mit Misshandlung und Folter droht, wenn aufgrund weiterer Umstände von einer oppositionellen Haltung ausgegangen wird. Ob dies auch den von der Anwältin von HRW zitierten Fällen zugrunde liegt, lässt sich dem Zitat nicht entnehmen; dies kann der Senat nicht ausschließen. Dem Bericht ist nicht zu entnehmen, auf welche Faktenlage er gestützt ist. Eine zahlenmäßige Größenordnung, die für eine beachtliche Wahrscheinlichkeit von Inhaftierung und Folter insbesondere angesichts der Tatsache, dass Wehrdienstentziehung in Syrien weit verbreitet ist, sowie angesichts der nachstehend unter bb) aufgeführten Erwägungen notwendig wäre, kann dem Bericht nicht entnommen werden.
- 112
Soweit ein Einsatz an vorderster Front innerhalb von wenigen Tagen und Wochen nach der Festnahme berichtet wird, führt der UNHCR in seiner Stellungnahme von April 2017 an anderer Stelle (vgl. G 7/17, S. 25 und Fn. 122) aus, dass es gängige Praxis sei, Wehrpflichtige und Reservisten nach begrenzter oder ganz ohne militärische Ausbildung an den Frontlinien einzusetzen. Als Referenz wird in der Fußnote 122 der Syrienexperte des Institute for the Study of War (ISW), Herr Kozak, zitiert, wonach Reservisten fast grundsätzlich an die vorderste Front und neu eingezogene Wehrdienstleistende fast ohne Ausbildung in den Kampf geschickt würden. Angesichts dessen kann nicht beachtlich wahrscheinlich festgestellt werden, dass Militärdienstentzieher nach ihrer Festnahme härter behandelt werden als Personen, die der Einberufung zum Wehrdienst bzw. der Einberufung als Reservist gefolgt sind (vgl. zum sog. Politmalus: BVerfG, Beschl. v. 29.4.2009, 2 BvR 78/08, juris Rn. 18 m.w.N.; BVerwG, Beschl. v. 24.4.2017, 1 B 22.17, juris Rn. 14).
- 113
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Inhaftierung ergibt sich auch nicht aus der Stellungnahme von Herrn Kozak, die in der Stellungnahme des UNHCR von November 2017 sowie vom 30. Mai 2017 wiedergegeben wird (UNHCR, 11/2017, G 35/17, S. 40, Fn. 226 - E-Mail v. C. Kozak v. 6.10.2017; UNHCR, 30.5.2017, G 9/17, S. 3 Fn. 14 - E-Mail v. C. Kozak v. 18.5.2017 -, vgl. auch S. 6, E-Mail v. 24.5.2017). Herr Kozak wird dahingehend zitiert, er habe Berichte gehört, dass das Verhalten eingezogener Wehrdienstentzieher durch Militäroffiziere und andere Offizielle als verräterisch und regierungsfeindlich angesehen würde. In der Stellungnahme des UNHCR vom 30. Mai 2017 (G 9/17, S. 6) wird er dahingehend zitiert, dass die Regierung in der Praxis aufgrund des anhaltenden Bedarfes an Streitkräften ein begrenztes Interesse daran zeige, Wehrdienstentzieher den geltenden rechtlichen Sanktionen zu unterziehen. Anstatt langjähriger Gefängnisstrafen scheine die rasche Einberufung in den Wehrdienst die bevorzugte Reaktion auf Wehrdienstentziehung zu sein und zwar selbst bei Personen, die in Regionen wohnten, die zuvor unter der Kontrolle von Oppositionsgruppen gestanden hätten. Die meisten Wehrdienstentzieher befänden sich daher vermutlich nicht für lange Zeit im Strafverfolgungssystem. Die brutalen Bedingungen der Einziehung zum Militärdienst mit haftähnlicher Internierung auf Militärstützpunkten und minimalem Training vor dem Fronteinsatz blieben jedoch bestehen. Den Äußerungen ist nicht zu entnehmen, auf welcher Faktenlage sie beruhen, ob es sich um eine wertende Einschätzung handelt oder diesen Äußerungen Erkenntnisse über entsprechende Inhaftierungen und ggf. in welcher Größenordnung bzw. unter welchen Umständen zugrunde liegen. Die Angabe einer die Einschätzung stützenden Faktenlage ist zur Überzeugung des Gerichts auch angesichts der nachfolgend unter bb) ausgeführten Erwägungen - insbesondere des hohen Personalbedarfs des Assad-Regimes - notwendig, die dafür sprechen, dass Wehrdienstentzieher nach einer Festnahme ohne vorangegangenes Strafverfahren oder Strafhaft umgehend zum Militärdienst eingezogen werden, d.h. auf Militärbasen verbracht, dort ausgebildet und dann an der Front eingesetzt werden.
- 114
Die weiteren vom UNHCR in der Stellungnahme vom 30. Mai 2017 (G 9/17, S. 6 f.) genannten Referenzquellen (J. Landis, R. Davis und L. Fakih) gehen nach ihrem Verständnis des Assad-Regimes bzw. auf der Grundlage von nicht näher genannten Interviews davon aus, dass Wehrdienstverweigerung als regierungsfeindlich angesehen werde. Den Äußerungen lässt sich - soweit es sich nicht nur um Wertungen handelt - keine Faktengrundlage entnehmen.
- 115
Die vom UNHCR genannten zusätzlichen Risikofaktoren knüpfen an eine vermutete Regimegegnerschaft an. Anhaltspunkte ergeben sich insoweit in Bezug auf den Kläger nicht. Aus der Region Qunaitra ist er mit seinen Eltern nach Damaskus und somit in ein von dem Assad-Regime kontrolliertes Gebiet geflohen. Seine Eltern leben dort nach den Angaben des Klägers unbehelligt. Soweit die Stellungnahme des UNHCR dahin zu verstehen sein sollte, dass sich allein die Stellung eines Asylantrages bzw. die Registrierung als Flüchtling risikoerhöhend auswirkt, vermag der Senat dies - wie unter III. ausgeführt sowie angesichts der Zahl von ca. 6,5 Mio. Flüchtlingen - nicht zu teilen. Wie ausgeführt fehlen belastbare Erkenntnisse über den Umgang des Assad-Regimes mit zurückkehrenden syrischen Staatsangehörigen im wehrdienstfähigen Alter.
- 116
(2) Das DRC (08/2017, G 23/17, S. 13 unter Hinweis auf C. Kozak) geht davon aus, dass die individuelle Verfolgung von einzelnen Personen, die sich dem Wehrdienst bzw. dem Militärdienst entzogen hätten, auch angesichts der Vielzahl derjenigen, die der Einberufung nicht gefolgt seien, nicht im Vordergrund stehe. Weiter wird dort (S. 13 f., Fn. 62) unter Berufung auf C. Kozak und andere Quellen ausgeführt, dass Wehrdienstentzieher, wenn sie festgenommen werden, riskieren zum Militärdienst eingezogen zu werden, während Deserteuren eher schwerere Konsequenzen drohen, wie Inhaftierung (imprisonment) oder die Todesstrafe.
- 117
(3) Das Auswärtige Amt (2.1.2017, 2017/2, S. 2 f.) berichtet über Befragungen von Rückkehrern aus dem Ausland durch Sicherheitsdienste sowie, dass die Sicherheitsdienste im rechtsfreien Raum agieren würden; es führt jedoch gleichzeitig aus, dass zu einer systematischen Anwendung von schwerwiegenden Eingriffen bei derartigen Befragungen keine Erkenntnisse vorlägen. Zur speziellen Verfolgungsgefahr für zurückkehrende Wehrdienstentzieher äußert sich das Auswärtige Amt in seiner Stellungnahme vom 13. September 2017 an das VG Köln (2017/9, S. 1). Es führt aus, dass über die Exekution von desertierten Soldaten berichtet werde, sowie über willkürliche Verhaftungen von Männern, die sich nicht ausweisen könnten und aus umkämpften Gebieten geflohen seien. „Dies gilt auch für Männer im wehrpflichtigen Alter, die sich dem Militärdienst entzogen haben“. Selbst wenn sich diese Äußerung nicht nur auf willkürliche Verhaftungen, sondern auch auf die Exekution beziehen sollte, ist diese nicht weiter belegte Äußerung auch angesichts der gegenteiligen Erkenntnisse, dass die Rekrutierung von Wehrpflichtigen im Vordergrund stehe, nicht belastbar.
- 118
In der Auskunft der deutschen Botschaft Beirut (3.2.2016, 2016/1, S. 1) wird von Fällen berichtet, bei denen Rückkehrer befragt, zeitweilig inhaftiert und dauerhaft verschwunden seien. Dies stehe aber überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten. Der erkennende Senat geht - wie nachfolgend unter b. ausgeführt - nicht davon aus, dass Wehrdienstentziehern allein aufgrund der Wehrdienstentziehung eine Regimegegnerschaft zugeschrieben wird.
- 119
(4) Das Deutsche Orient-Institut führt in seiner Auskunft vom 8. November 2016 (G 3/16, S. 1, 2) zwar aus, dass wenn die Ausreise u.a. dem Zweck gedient habe, sich dem Wehrdienst zu entziehen, dies eine harte Bestrafung nach sich ziehe. Dem stehen aber die anders lautenden neueren Stellungnahmen des UNHCR entgegen, wonach derzeit die Einziehung zum Militärdienst im Vordergrund stehe. Zudem führt das DOI aus, dass die ihm zur Verfügung stehende Datenlage aufgrund der aktuellen Lage in Syrien hinsichtlich behördlicher Aktivitäten und Vorgehensweisen des syrischen Staates nicht immer belastbar sei.
- 120
(5) Das Immigration and Refugee Board of Canada (IRB Canada) berichtet in seiner Stellungnahme vom 19. Januar 2016 (G 5/16, S. 8 f. dt. Übersetzung) von einer Gefährdung nicht gedienter Männer bei Einreise über die Flughäfen. Es bleibt aber unklar, auf welcher Faktenlage die benannten Referenzquellen (CIVIC, Executive Direktor, Emeritus Professor) zu der Einschätzung gekommen sind und ob es bei den inhaftierten Personen weitere Anhaltspunkte für eine mögliche oppositionelle Einstellung oder die Zuschreiben einer regimefeindlichen Einstellung gab. An anderer Stelle wird im Bericht ausgeführt (G 5/16, S. 5 dt. Übersetzung), dass es nur „limitierte“ Informationen bezüglich der Behandlung von syrischen Rückkehrern seit 2011 gebe bzw. es „sehr schwer“ sei, Informationen über die Behandlung von Rückkehrern durch Grenzbeamte zu erhalten, da die Presse darüber nicht berichten könne. Jedoch habe man bruchstückhafte Darlegungen von Syrern in Damaskus gehört, von Leuten, die nach Syrien zurückgekehrt und dann verschwunden seien; in manchen Fällen hätten sie auch Verwandten von ihren Plänen zurückzukehren berichtet, sie seien dann aber niemals angekommen und hätten auch nicht mehr erreicht werden können. Eine Frau habe berichtet, dass im Juni 2012 zwei Verwandte verhaftet und verschwunden seien, als sie nach Syrien zurückgekehrt seien. Derartige vereinzelte Referenzfälle können angesichts der Vielzahl von Wehrdienstentziehern nach Ansicht des Senats nicht als ausreichende Faktenlage für die Annahme einer beachtlich wahrscheinlichen Verfolgung dienen.
- 121
(6) Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (21.3.2017, G 5/17, S. 8) zitiert im Wesentlichen den Bericht des IRB Canada vom 19. Januar 2016 (G 5/16, S. 8 f. dt. Übersetzung), wonach Männer im wehrdienstfähigen Alter besonderes gefährdet seien, Opfer von Misshandlungen zu werden. Auf die vorstehenden Ausführungen unter (5) zu dieser Stellungnahme wird Bezug genommen.
- 122
(7) Das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA, 5.1.2017, G 26/17, S. 27) führt unter Berufung auf den Danish Immigration Service aus, dass ein Wehrdienstverweigerer, der aufgegriffen würde, zum Dienst in der Armee geschickt werden könnte. Die Konsequenzen hingen jedoch vom Profil und den Beziehungen der Person ab. Wenn es eine Verbindung zu einer oppositionellen Gruppe gebe, wären die Konsequenzen ernster. Im Bericht des BFA von August 2017 (G 11/17, S. 20 und Fn. 51) geht dieses unter Berufung auf Interviews mit einer europäischen diplomatischen Quelle in Beirut am 18.5.2017 sowie vom selben Tag mit Lama Fakih davon aus, dass bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung die Meinungen der Quellen auseinandergingen. Während die einen darin eine „Foltergarantie“ und ein „Todesurteil“ sähen, würden andere sagen, dass Verweigerer sofort eingezogen würden.
- 123
bb) Zudem begründen die nachfolgenden Erwägungen Zweifel daran, dass zurückkehrenden Wehrdienstverweigerern beachtlich wahrscheinlich eine Bestrafung und/oder Inhaftierung droht, wenn keine individuellen Anhaltspunkte auf eine Regimegegnerschaft hindeuten.
- 124
(1) Die syrische Armee ist personell erheblich geschwächt, so dass ein hoher Personalbedarf an einsatzbereiten Soldaten besteht.
- 125
Die syrische Armee ist durch Todesfälle, Desertionen und Überlaufen zu den Rebellen deutlich geschwächt und hat einen Mangel an Soldaten zu verzeichnen. Es wird berichtet (BFA, 5.1.2017, G 26/17, S. 23; DRC, 08/2017, G 23/17, S. 8,), dass viele Männer ihrer Einberufung nicht Folge leisten. Berichten zufolge sollen die kampffähigen Truppen der syrischen Armee von ehemals 300.000 Soldaten auf ca. 125.000 bis 175.000, nach einer Angabe sogar auf aktuell 25.000 - 30.000 Soldaten reduziert sein, da sich das Assad-Regime finanziell mehr nicht leisten könne (SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 2; Truppendienst, Der syrische Bürgerkrieg - Update 06 12 2017, S. 7; vgl. zum Zerfall der Armee auch: Truppendienst, Der syrische Bürgerkrieg - Update 15 07 2017, S. 3; Truppendienst, Der syrische Bürgerkrieg - Update 19 04 2017, S. 2, 9, 13). Bereits im Jahr 2014 soll das Assad-Regime nur noch über 100.000 Soldaten verfügt haben (UNHCR, 30.5.2017, G 9/17, S. 2, Fn. 7 unter Verweis auf C. Kozak), von denen nur 30.000 - 40.000 tatsächlich in der Lage gewesen seien, militärische Operationen durchzuführen (SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 2); im November 2016 soll die syrische Armee nur noch über 50.000 Soldaten verfügt haben (SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 2). Daneben besteht - wie bereits ausgeführt - eine Vielzahl von regierungstreuen Milizen.
- 126
Russland versucht seit Beginn seiner Intervention in Syrien im September 2015, die syrischen Sicherheitsapparate und die syrische Armee zu stärken. So sollten auf Initiative Russlands mit neuen Kommandostrukturen die paramilitärischen Gruppen unter die Kontrolle der syrischen Armee gebracht werden; dazu sollen im Oktober 2015 bzw. November 2016 das IV. Angriffskorps (Fourth Storming Corps - Latakia) bzw. das V. Angriffskorps (Fifth Storming Corps - Damaskus) gegründet worden sein. Im IV. Angriffskorps sollten lokale Milizen und reguläre syrische Einheiten vereint werden; dieser Ansatz konnte nicht umgesetzt werden. Im V. Angriffskorps sollen Personen, die sich dem Wehrdienst entzogen haben, Deserteure und Beamte aufgeboten werden, um unter der gemeinsamen Führung der syrischen Armee, der Hisbollah und Russlands zu kämpfen (DRC v. 08/2017, G 23/17, S. 8; SFH v. 23.3.2017, G 19/17, S. 4; Truppendienst, Streitkräfte des Assad-Regimes, v. 15.2.2017).
- 127
Der Zerfall der syrischen Armee scheint sehr weitgehend zu sein; so soll diese im Wesentlichen nur noch aus der Division der Republikanischen Garde und der 4. Panzerdivision bestehen, die beide fast ausschließlich aus Alawiten bestehen, die unterstützt werden durch dem Assad-Regime treue unter verschiedenen Kommandos stehende syrische Milizen. Zugleich berichten verschiedene Quellen, dass inzwischen die syrische Armee in große Militäroperationen nur zu einem Bruchteil involviert sei. In solchen verlasse sich das Assad-Regime auf eine Mischung aus Elite-Einheiten, loyalen Milizen und ausländischer Unterstützung, insbesondere die iranischen „Islamischen Revolutionsgarden“ (IRGC), afghanische und irakische schiitische Milizen und die libanesischen Hisbollah-Milizen. Diejenigen Einheiten, in denen Wehrpflichtige überwiegend eingesetzt würden, seien daran nicht beteiligt (DRC v. 08/2017, G 23/17, S. 9; Truppendienst, Streitkräfte des Assad-Regimes, v. 15.2.2017; vgl. zur Unterstützung durch iranische und russische Kampfverbände sowie von durch den Iran gestützte schiitische Milizen aus dem Irak und Libanon: Gerlach, Herrschaft über Syrien, 2015, S. 215 ff. [zu schiitischen Milizen aus dem Irak], S. 237 ff. [zu libanesischen Hisbollah-Milizen], S. 257 ff. [zu iranischen Truppen und Milizen], S. 282 ff. [zum Einfluss Russlands]; IFK, Fact Sheet Syrien Nr. 63, Internationales Konflikt- und Krisenmanagement sowie Militärische Entwicklungen; IFK, Fact Sheet Syrien Nr. 61, Internationales Konflikt- und Krisenmanagement; IFK, Fact Sheet Syrien & Irak, Jahresrückblick 2016, v. 31.1.2017, Internationales Konflikt- & Krisenmanagement, Syrien; Streitkräfte des Assad-Regimes, v. 15.2.2017; Truppendienst, Der syrische Bürgerkrieg - Update 06 12 2017, S. 5 ff., Update 15 07 2017, S. 3 f., Update 19 04 2017, S. 2 f., 9, 13, Update 15 02 2017, S. 7 f., Update 15 12 2016, S. 2).
- 128
(2) Gleichzeitig hat das Assad-Regime verschiedene Maßnahmen ergriffen, um die in der Armee entstandenen Lücken wieder zu schließen. Zum einen werden Verhaftungen von Deserteuren und von Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen, sowie Zwangsrekrutierungen berichtet (SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 2). Darüber hinaus wird berichtet, dass das Assad-Regime bei Kapitulationsverhandlungen über Gebiete, die von der Opposition besetzt waren, verlange, dass die jungen Männer der Region in die syrische Armee eintreten. So sollen nach der Eroberung von Ost-Aleppo 5000 Männer in den Wehrdienst eingezogen worden sein. Selbst Häftlinge sollen unter Druck gesetzt werden, in die syrische Armee einzutreten (vgl. SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 7). Andererseits versucht das Assad-Regime, mit Amnestien und der Erhöhung des Soldes Anreize für den Eintritt in den Militärdienst zu schaffen (SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 3, 12; BFA, 08/2017, G 11/17, S. 23). Dem Bestreben des Assad-Regimes nach einer Erhöhung der Zahl seiner Militärangehörigen durch Rekrutierung würde es auch angesichts der Berichte darüber, dass den Einberufungen im großem Umfang (nach Angaben der SFH sollen zwischen 70.000 - 110.000 Soldaten desertiert sein oder sich dem Wehrdienst entzogen haben) nicht Folge geleistet wird (DRC, 08/2017, G 23/17, S. 8; SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 2), zuwider laufen, wenn die so rekrutierten Soldaten zunächst inhaftiert, misshandelt und im schlimmsten Fall getötet würden.
- 129
Dieser Einschätzung steht nicht entgegen, dass ein hoher Vertreter des Militärs eine harte Bestrafung der Zurückkehrenden angekündigt hat (Spiegel v. 11.9.2017, Assads Top-General droht Flüchtlingen). Es handelt sich um eine einzelne Äußerung, bei der schon fraglich ist, ob die Person für das Assad-Regime sprechen kann.
- 130
Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass nach Ansicht des Senats bei der erforderlichen Prognose zudem zu berücksichtigen ist, dass nach Angaben des UNHCR (v. 13.12.2017, G 36/17) insgesamt mehr als 5,4 Millionen Syrer als Flüchtlinge in den Ländern Türkei (3,38 Mio.), Libanon (ca. 1 Mio.), Jordanien (ca. 655 T.), Irak (ca. 247 T.), Ägypten (ca. 126 T.) und in Nordafrika (ca. 30 T.) registriert waren. Hinzu kommen ca. 1 Mio syrische Flüchtlinge, die ins westliche Europa geflüchtet sind. Allein unter den vom UNHCR erfassten 5,4 Mio. Flüchtlingen befinden sich ca. 25 % männliche Flüchtlinge im Alter zwischen 18 und 59 Jahren. Bei der nach Ansicht des Gerichts prognostisch zu unterstellenden Rückkehr einer Vielzahl dieser Flüchtlinge nach Syrien ist nach Auffassung des Gerichts nicht zu prognostizieren, wie das Assad-Regime sich diesen gegenüber verhalten wird. Insbesondere eine Bestrafung auch nur eines beachtlichen Teils dieser mehr als 1,5 Mio. männlichen Rückkehrer ist für das Gericht nicht hinreichend wahrscheinlich. Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch der Umstand, dass seit 2015 260.000 Syrer, davon 31.000 im 1. Halbjahr 2017, zumindest zeitweise nach Syrien zurückgekehrt sind – darunter dürften auch Männer im wehrdienstfähigen Alter sein - Zweifel daran begründet, dass beachtlich wahrscheinlich eine Inhaftierung einer beachtlichen Zahl von Rückkehrern im wehrdienstfähigen Alter erfolgen wird.
- 131
b) Den Erkenntnisquellen lassen sich zur Überzeugung des Senats auch keine hinreichend verlässlichen Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass Wehrdienstverweigern beachtlich wahrscheinlich durch das Assad-Regime eine regimefeindliche Haltung unterstellt wird und ihnen daher in Anknüpfung an die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Gründe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine relevante Verfolgung droht.
- 132
aa) Den Erkenntnisquellen lassen sich keine hinreichenden Fakten für die Annahme einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit der Zuschreibung einer Regimegegnerschaft entnehmen.
- 133
(1) Die Schweizerische Flüchtlingshilfe berichtet, dass die Bestrafung von Wehrdienstverweigerern häufig von der Position und dem Rang des Betreffenden, aber auch von dem Bedarf an der Front abhängt (SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 10). Ebenfalls wird berichtet, dass einige der Festgenommenen zwar zu Haftstrafen verurteilt und dann eingezogen würden, andere aber lediglich verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt würden (SFH, 28.3.2015, G 9/15; DRC 9/2015, G 11/15, S. 18). An anderer Stelle weist die Schweizerische Flüchtlingshilfe (v. 21.3.2017, G 5/17, S. 10) darauf hin, dass prinzipiell davon ausgegangen werden müsse, dass jede Person, die nach Syrien zurückkehre, verhaftet und misshandelt werden könne. Die Willkür zeige sich auch darin, dass sich einzelne mit Bestechung freikaufen könnten. Amnesty International beschreibe den weit verbreiteten Opportunismus der syrischen Sicherheitsbeamten, die entweder aus Profitgier oder aus persönlicher Rache Menschen verhaften und verschwinden ließen. Auch seien viele Menschen in Haft, weil sie aus persönlichen Gründen von Informanten diffamiert worden seien. Diese Willkür spiegelt sich auch in der Struktur der Sicherheitsdienste wieder (s.o. S. 10).
- 134
(2) Hingegen geht der UNHCR davon aus, dass nach Stellungnahmen unabhängiger Beobachter Wehrdienstentziehung „wahrscheinlich“ als politischer Akt gegen die Regierung aufgefasst werde, was die Behandlung, der Wehrdienstentzieher ausgesetzt seien, ganz oder teilweise motivieren könne (11/2017, G 35/17, S. 39 mit Fn. 224; 30.5.2017, G 9/17, S. 3 mit Fn. 13 und 14, S. 6 f.). Allerdings führt der UNHCR in seiner Stellungnahme vom 30. Mai 2017 (G 9/17, S. 3) weiter aus, dass „oft nicht zu unterscheiden und festzustellen“ sei, ob die gegen die Betroffenen angewandten Sanktionen als Antwort auf die Straftat der Wehrdienstentziehung oder auf die unterstellten oppositionellen Überzeugungen erfolgten. Die vom UNHCR angeführten Referenzquellen lassen nicht erkennen, auf welcher Faktenlage diese zu der Einschätzung der Unterstellung einer regimefeindlichen Haltung gelangt sind; der Senat sieht sich angesichts der dargelegten Stellungnahmen, die von willkürlichen Behandlungen ausgehen, der dargelegten Interessenlage, der Vielzahl von Wehr- und Militärdienstentziehern nicht in der Lage, diese Einschätzung zu teilen und Inhaftierung und Misshandlung wegen einer (unterstellten) regimefeindlichen Haltung als beachtlich wahrscheinlich anzusehen:
- 135
Der vom UNHCR als Referenzquelle genannte Herr Kozak hat erklärt (UNHCR, 30.5.2017, G 9/17, S. 3, Fn. 14, E-Mail von C. Kozak v. 18.5.2017), er habe gehört, dass das Verhalten von bereits einberufenen Wehrdienstverweigerern von Militäroffizieren und anderen Beamten als verräterisch und regierungsfeindlich angesehen werde könne. In der Stellungnahme des UNHCR vom November 2017 (G 35/17, S. 39, Fn. 224) wird Herr Kozak dahingehend zitiert (E-Mail v. 6.10.2017), dass nach seiner Einschätzung die Regierung Sanktionen gegen Wehrdienstentzieher verhänge als strafrechtliche Ahndung, aber auch weil sie die Wehrdienstentziehung als politische oder regierungsfeindliche Tätigkeit ansehe.
- 136
Die in der Stellungnahme des UNHCR vom 30. Mai 2017 (G 9/17, S. 6) aufgeführten weiteren Referenzquellen (J. Landes, R. Davis und L. Fakih) geben z.T. ihre subjektive Einschätzung wieder. Für den Senat ist nicht erkennbar, auf Grundlage welcher Fakten (genannt werden von R. Davis „Interviews“) diese Einschätzung erlangt worden ist.
- 137
(3) Die Unabhängige Untersuchungskommission für Syrien führt im Bericht vom 11. August 2016 (A/HRC/33/55, G 14/16, S. 13 Rn. 75) aus, dass Zivilisten, hauptsächlich Männer im kampffähigen Alter, weiterhin von den Straßen Syriens verschwinden würden. Zehntausende von Syrern würden vermisst, viele unter Umständen, die vermuten ließen, dass sie gewaltsam verschwunden seien. Nicht näher referiert ist, ob es sich um (Zwangs-)Rekrutierungen oder Inhaftierungen handelt und aus welchen Gründen diese erfolgen.
- 138
bb) Auch allgemeine Erwägungen lassen zweifeln, ob Wehr- bzw. Militärdienstentziehern beachtlich wahrscheinlich eine regimefeindliche Haltung unterstellt werden wird. Hierfür spricht insbesondere der Umstand, dass berichtet wird, im Rahmen von Kapitulationsverhandlungen über Gebiete, die von der Opposition besetzt waren, werde verlangt, dass die jungen Männer in die syrische Armee eintreten, und sogar Häftlinge unter Druck gesetzt werden, in die Armee einzutreten (SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 7; HRC COI, 2.2.2017, G 14/17, S. 18 zu Ost-Aleppo). Das Verhalten des Assad-Regimes scheint insoweit primär durch Überlegungen zur Erhaltung seiner Macht gekennzeichnet zu sein. In diesem Kontext fehlen hinreichend verdichtete Erkenntnisse darüber, wie das Assad-Regime mit einer Vielzahl zurückkehrender Männer, die sich der Einberufung zum Wehrdienst oder dem Wehrdienst durch Flucht ins Ausland entzogen haben, umgehen würde.
- 139
Ergänzend nimmt der Senat auf die im Urteil des Verwaltungsgerichts (S. 17 ff. UA) angeführten Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts Koblenz vom 16. Dezember 2016 (1 A 10922/16, juris Rn. 150 ff.) Bezug.
- 140
c) Nach Ansicht des Senats lässt sich den Erkenntnisquellen nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, dass dem Kläger beachtlich wahrscheinlich andere Verfolgungshandlungen wie ein unmittelbarer Fronteinsatz aus den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Gründen, insbesondere wegen einer unterstellten Regimegegnerschaft, droht.
- 141
Insoweit wird - wie ausgeführt - berichtet, dass die Ausbildungszeit der Wehrpflichtigen oft kurz (45 Tage) sei (BFA, 08/2017, G 11/17, S. 18) und die Betreffenden häufig unverzüglich an die Front geschickt würden (UNHCR, April 2017, G 7/17, S. 25 f.). Es ist für den Senat angesichts der Schilderungen, dass dies alle Wehrpflichtigen und Reservisten treffe (vgl. UNHCR, April 2017, G 7/17, S. 25 und Fn. 122), nicht hinreichend belastbar erkennbar, dass dies nur Wehrdienstverweigerer oder Reservisten trifft, die sich der Einberufung entzogen haben. Für den Senat ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dies in Anknüpfung an eine aufgrund der Wehrdienstentziehung dem Kläger zugeschriebene regimefeindliche Haltung erfolgt.
- 142
d) Insgesamt erscheint es dem Gericht zwar beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger nach seiner Rückkehr nach Syrien - wie er es befürchtet - rekrutiert würde. Die Heranziehung zur Wehrpflicht bzw. Rekrutierung volljähriger Männer stellt aber keine flüchtlingsrelevante Verfolgung dar, weil diese nicht wegen eines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale erfolgt, sondern alle Männer trifft, die Wehrdienst abzuleisten haben oder als Reservist wieder eingezogen werden könnten (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.8.1986, 9 C 322/85, DVBl. 1987, 47, juris Rn. 11; OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.9.2017, 2 LB 750/17, juris Rn. 63). Es kann daher offen bleiben, ob vorliegend die Rekrutierung eine Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a AsylG darstellt. Jedenfalls fehlt es in Bezug auf die Gewährung der Flüchtlingseigenschaft daran, dass die Rekrutierung zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen eingesetzt wird, die durch die Maßnahmen gerade wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe getroffen werden sollen. Insbesondere ist die Gruppe der Männer, die sich dem Wehr- bzw. Militärdienst entzogen haben, keine soziale Gruppe i.S.d. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG. Insoweit fehlt es jedenfalls daran, dass die Gruppe dieser Männer in Syrien eine abgegrenzte Identität hat; es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die syrische Gesellschaft die Männer, die sich dem Wehr- bzw. Militärdienst entzogen haben, als soziale Gruppe wahrnimmt. Auch liegt insoweit keine Anknüpfung an das (männliche) Geschlecht vor. Da in Syrien nur Männer wehrdienstpflichtig sind, ist es selbstverständlich, dass sich Sanktionen wegen Verletzung dieser Pflicht nur gegen Männer richten.
- 143
4. Andere Obergerichte (vgl. VGH München, Urt. v. 14.2.2017, 21 B 16.31001, juris; VGH Mannheim, Urt. v. 28.6.2017, A 11 S 664/17, Asylmagazin 2017, 349, juris; VGH Kassel, Urt. v. 6.6.2017, 3 A 3040/16.A, juris - für rückkehrende Wehrdienstentzieher, die aus einem regierungsfeindlichen Gebiet stammen) sind zu der Überzeugung gelangt, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nach Syrien zurückkehrenden Männern eine Inhaftierung und menschenrechtswidrige Misshandlung droht, weil das Assad-Regime ihnen eine regimefeindliche Haltung zuschreiben werde. Da keine Erkenntnisse über nach Syrien zurückkehrende Männer vorlägen, die sich dem Wehr- bzw. Militärdienst durch Flucht ins Ausland entzogen haben, wird dies zum Teil aus der Brutalität des Vorgehens des Assad-Regimes gegenüber Regimegegnern, insbesondere aus dem Vorgehen der Geheimdienste, geschlossen sowie aus dem Charakter des um seine Existenz kämpfenden Staates zur Wiederherstellung seines Herrschaftsmonopols abgeleitet (vgl. VGH München, a.a.O., Rn. 83). Zugleich wird angenommen, dass eine harte und menschenrechtswidrige Bestrafung von Männern, die sich dem Wehr- bzw. Militärdienst entzogen haben, belegt sei, und von der erforderlichen Gerichtetheit auf Merkmale i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG im Hinblick auf den gegen die Zivilbevölkerung geführten Vernichtungskrieg, das dominierende Freund/Feind-Schema und wegen der Intensität der Verfolgungsmaßnahmen auszugehen sei (VGH Mannheim, Urt. v. 28.6.2017, A 11 S 664/17, Rn. 59 ff.). Zum Teil werden die vom UNHCR genannten Referenzquellen als hinreichende tatsächliche Faktenlage angesehen.
- 144
Dem folgt der Senat nicht. Wie ausgeführt ist nach Auffassung des Senats den Erkenntnisquellen eher zu entnehmen, dass Rückkehrer im wehrdienstfähigen Alter allein rekrutiert und dem Militärdienst zugeführt werden; zudem fehlt es an einer hinreichend verlässlichen Faktenlage, auch im Hinblick auf die Frage, aus welchen Gründen eine Inhaftierung erfolgt. Der erkennende Senat gründet seine Ansicht, dass insoweit schon nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer Verfolgungshandlung ausgegangen werden kann, darauf, dass in den Erkenntnisquellen gewichtige Hinweise vorhanden sind, dass Personen, die sich dem Wehr- bzw. Militärdienst entzogen haben, im ausgeführten Gesamtkontext und angesichts des Bedarfs an Soldaten in das Militär eingezogen werden. Die fehlende beachtliche Wahrscheinlichkeit eines an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal anknüpfenden Verfolgungsgrundes beruht auf einer anderen Bewertung des Assad-Regimes und auf insoweit nicht in hinreichender Dichte vorhandenen Referenzfällen. Als handlungsleitendes Muster des Assad-Regimes vermag der Senat ein Freund/Feind-Schema nur bedingt zu erkennen; neben der Willkür einzelner handelnder Akteure dürften die Handlungen des Assad-Regimes vor allem dadurch bestimmt sein, was der Machterhaltung bzw. dem Vorteil des Regimes dient. Der z.T. menschenrechtswidrige und mit großer Härte geführte Krieg gegen die Zivilbevölkerung in Gebieten, die von Oppositionellen gehalten werden, zielt nach Überzeugung des Senats im Wesentlichen auf die Vernichtung des im Schutz der Zivilbevölkerung kämpfenden Gegners. Auch wenn die jeweilige Zivilbevölkerung dafür bestraft werden sollte, dass diese dem kämpfenden Gegner „Schutz bietet“, so würde auch dieser Umstand keinen Schluss darauf zulassen, wie das Assad-Regime mit Personen umgeht, die sich dem Wehr- bzw. Kriegsdienst entzogen haben. In diesem spezifischen Gesamtkontext kann die Intensität möglicher Verfolgungshandlungen nicht die Gerichtetheit der Verfolgung indizieren.
V.
- 145
Dem Kläger ist nicht deshalb der Flüchtlingsstatus zuzuerkennen, weil ihm in Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG eine Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes droht, der Verstöße gegen das Völkerstrafrecht i.S.d. § 3 Abs. 2 AsylG umfassen würde. Insbesondere kann er sich nicht auf § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG berufen.
- 146
1. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG lautet:
- 147
„Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:
- 148
(...)
5. Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 fallen,...“
- 149
Der in § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG in Bezug genommene § 3 Abs. 2 AsylG lautet:
- 150
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling (...), wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 151
1. ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2. vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3. den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
- 152
a) § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG setzt die Vorgaben aus Art. 9 Abs. 2 lit. e) i.V.m. Art. 12 Abs. 2 lit. a) RL 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) um. Aus den Materialien zur Entstehung der Qualifikationsrichtlinie ist dabei ersichtlich, dass die Richtlinie grundsätzlich das Recht der Staaten auf Durchsetzung einer Wehrpflicht bzw. eines Militärdienstes respektiert. Denn ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen, wie ihn die EU-Kommission im Entwurf der Qualifikationsrichtlinie vorgeschlagen hatte, ist in Art. 9 Abs. 2 lit. e) RL 2011/95/EU nicht übernommen worden (vgl. Marx, AsylG, 9. Auflage 2017, § 3a Rn. 36 f.). Hiervon macht Art. 9 Abs. 2 Buchst. e) RL 2011/95/EU (bzw. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG) eine Ausnahme und privilegiert die Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des Art. 12 Abs. 2 lit. a) RL 2011/95/EU (vgl. § 3 Abs. 2 AsylG) fallen, also im Rahmen des Militärdienstes Kriegsverbrechen i.S.d. § 3 Abs. 2 AsylG begangen werden würden.
- 153
Auch bei Vorliegen einer Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG ist es nach § 3 Abs. 3 AsylG erforderlich, dass die Verfolgungshandlung - vorliegend eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes - wegen einer der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Gründe besteht (vgl. OVG Münster, Urt. v. 4.5.2017, 14 A 2023/16.A, NVwZ 2017, 1218, juris Rn. 100; offen gelassen: OVG Lüneburg, Urt. v. 12.9.2017, 2 LB 750/17, juris Rn. 70 ff.).
- 154
Da die Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG an die (drohende) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes anknüpft, wird insoweit regelmäßig eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen einer politischen Überzeugung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG vorliegen. Denn die Verweigerung des Militärdienstes, um nicht an Kriegsverbrechen i.S.d. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG mitzuwirken oder diese zu unterstützen, dürfte regelmäßig Ausdruck einer politischen Überzeugung sein (vgl. Treiber in: GK-AufenthG, Stand April 2011, § 60 AufenthG Rn. 169).
- 155
Die gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG privilegierte Verfolgungshandlung knüpft an eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes an, wenn der Militärdienst die Begehung von Kriegsverbrechen i.S.d. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG umfassen würde. Unter den Anwendungsbereich der Regelung fallen Ausländer, die ihrer gesetzlich angeordneten Wehrpflicht folgen, freiwillig Wehrdienst oder als Berufssoldaten Militärdienst leisten (Marx, Handbuch zum Flüchtlingsrecht, 2. Auflage 2012, § 14 Rn. 176), sofern die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind. Nicht jeder Dienst von Wehrpflichtigen umfasst dabei auch Militärdienst (vgl. zu den unterschiedlichen Begriffen: UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz Nr. 10 vom 12.11.2014, S. 3, unter II. Terminologie). Im Hinblick auf Wortlaut und Zielrichtung der Norm liegt ein „Militärdienst“ nicht vor, wenn und solange nur eine militärische Ausbildung erfolgt, in der der Soldat nicht in Teile des Militärs eingebunden ist, die an einer militärischen Auseinandersetzung beteiligt sind.
- 156
Der Europäische Gerichtshof (Urt. v. 26.2.2015, C-472/13, Shepherd, EuGRZ 2015, 160, juris Rn. 34; dem folgend: OVG Lüneburg, Urt. v. 27.6.2017, 2 LB 91/17, juris Rn. 102 ff.; vgl. auch: OVG Münster, Urt. v. 4.5.2017, 14 A 2023/16.A, NVwZ 2017, 1218, juris Rn. 95 ff.) hat zum persönlichen Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 lit. e) i.V.m. Art. 12 Abs. 2 lit. a) RL 2004/83/EG, der identisch ist mit Art. 9 Abs. 2 lit. e) i.V.m. Art. 12 Abs. 2 lit. a) RL 2011/95/EU, entschieden, dass in Anbetracht des Ziels der Qualifikationsrichtlinie, die Personen zu bestimmen, die wegen besonderer Umstände tatsächlich internationalen Schutz benötigten und rechtmäßig in der Union darum ersuchten, „die Eigenschaft als Militärangehöriger eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung“ (Unterstreichung nur hier) darstelle, um den Schutz zu genießen, der mit den Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie verbunden sei. Dabei sei die Inanspruchnahme des internationalen Schutzes nicht allein denjenigen vorbehalten, die persönlich als Kriegsverbrechen einzustufende Handlungen begehen müssten, insbesondere den Kampftruppen. Dieser Schutz könne auf andere Personen aber nur dann ausgedehnt werden, wenn es bei vernünftiger Betrachtung plausibel erscheine, dass der Betroffene durch die Ausübung seiner Funktionen eine für die Vorbereitung oder Durchführung der Kriegsverbrechen unerlässliche Unterstützung leisten würde (Tenor 2. Spiegelstrich) bzw. er sich in hinreichend unmittelbarer Weise an solchen Handlungen beteiligen müsse (Rn. 38; vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 27.6.2017, 2 LB 91/17, juris Rn. 102 ff.; s. auch: Treiber, GK-AufenthG, April 2011, § 60 Rn. 169). Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Begehung von Kriegsverbrechen erfordert dabei nicht, dass der Internationale Strafgerichtshof bereits Handlungen der Einheit, der der Antragsteller angehört, geahndet hat oder feststeht, dass Kriegsverbrechen begangen wurden (ebenso: Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 14 Rn. 192 ff.; Treiber, GK-AufenthG, § 60 Rn. 265 S. 215); insoweit ist vielmehr hinreichend, dass der Antragsteller darzulegen vermag, dass solche Verbrechen mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Einheit, der er angehört, begangen wurden oder werden (EuGH, Urt. v. 26.2.2015, C-472/13, Shepherd, EuGRZ 2015, 160, juris Rn. 43).
- 157
Diesem Ansatz folgt der erkennende Senat und wendet diese Grundsätze auf die Auslegung der vorliegend maßgeblichen Regelungen in Art. 9 Abs. 2 lit. e) i.V.m. Art. 12 Abs. 2 lit. a) RL 2011/95/EU bzw. §§ 3a Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG an. Demnach ist nicht Voraussetzung, dass dem Kläger eine persönliche Verantwortung für die Teilnahme an Kriegsverbrechen nachgewiesen wird, wie es der Fall sein müsste, wenn dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft im Hinblick auf die Ausschlusstatbestände des § 3 Abs. 2 AsylG versagt werden würde (Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 14 Rn. 201 ff.; UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz Nr. 10, vom 12.11.2014, S. 12 Ziffer 23); vielmehr handelt es sich um eine präventive Norm, die diejenigen Militärangehörigen schützen will, die Verbrechen gegen das humanitäre Völkerrecht nicht begehen wollen.
- 158
b) Voraussetzung für die Anwendung von § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG ist jedoch, dass im maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Kläger entweder Militärangehöriger ist bzw. vor seiner Flucht war, und sich dem Militärdienst durch Flucht entzogen hat bzw. entzieht. Dies setzt jedenfalls eine Einberufung zum Militärdienst voraus, da nur dann der Kläger im weitesten Sinne als Militärangehöriger angesehen werden könnte und der persönliche Anwendungsbereich der Regelung eröffnet wäre. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
- 159
2. Selbst wenn man § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG - entgegen der Ansicht des Senats - darüber hinaus dahingehend auslegen wollte, dass es hinreichend wäre, dass bei Rückkehr nach Syrien beachtlich wahrscheinlich eine Rekrutierung drohen und sodann eine Verweigerung des Militärdienstes erfolgen würde, so würde auch dann dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft im Hinblick auf diese Vorschrift nicht zuzusprechen sein.
- 160
Denn es ist nicht beachtlich wahrscheinlich davon auszugehen, dass der Kläger sich einer Rekrutierung durch Verweigerung des Militärdienstes widersetzen würde. Der Kläger hat ausgeführt, dass er sich wie alle syrischen Männer einer Rekrutierung nicht entziehen könnte, weil dies dazu führen würde, dass die syrischen Organe ihn inhaftieren und in diesem Zusammenhang misshandeln und/oder der Folter unterwerfen oder ihn töten würden. Würde er rekrutiert werden, sähe er sich gezwungen, dem zu folgen. Damit droht ihm auch bei einer gedanklich zu unterstellenden Rückkehr nach Syrien keine Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes.
- 161
Soweit der Kläger demgegenüber unter Berufung auf Literatur und Rechtsprechung ausländischer Gerichte vorbringt, dass eine präventive Entziehung vor der Rekrutierung und Teilnahme an Kriegsverbrechen die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begründe, folgt der Senat dem nicht. Wie ausgeführt erfolgt die Rekrutierung durch das Assad-Regime nicht beachtlich wahrscheinlich wegen eines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG erfolgten Merkmale; ihm fehlt die im Sinne dieser Regelung notwendige (politische) Gerichtetheit. Dem dennoch bestehenden Schutzbedürfnis des Klägers - auch wegen der geltend gemachten drohenden Rekrutierung und ggf. Teilnahme an Kriegsverbrechen - hat die Beklagte durch die Zuerkennung subsidiären Schutzes umfassend Rechnung getragen.
- 162
3. Es kann daher offen bleiben, ob der Kläger hinreichend plausibel dargelegt hat, dass er, wenn er rekrutiert würde, in einer Einheit Dienst leisten müsste, in der er hinreichend unmittelbar an Kriegsverbrechen beteiligt wäre.
C.
- 163
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt; insbesondere kann eine grundsätzlich klärungsbedürftige Tatsachenfrage die Zulassung der Revision nicht begründen (BVerwG, Beschl. v. 24.4.2017, 1 B 22.17, NVwZ 2017, 1204, juris).
Tenor
I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 10. Oktober 2017 wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Gründe
(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die
- 1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder - 2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.
(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:
- 1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, - 2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, - 3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, - 4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, - 5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen, - 6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.
(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.
(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:
- 1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe; - 2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind; - 3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird; - 4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn - a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und - b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
- 5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.
(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die
- 1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder - 2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.
(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:
- 1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, - 2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, - 3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, - 4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, - 5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen, - 6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.
(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.
(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:
- 1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe; - 2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind; - 3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird; - 4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn - a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und - b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
- 5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.
(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
Tenor
I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Gründe
(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.
(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.
(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.
(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.
Tenor
I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 10. Oktober 2017 wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Gründe
Tenor
I. Der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 14. November 2017 wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Gründe
Tenor
I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 4. Oktober 2017 wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Gründe
Tenor
I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 6. April 2017 wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Gründe
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 28. September 2016 – 12. Kammer, Einzelrichter – geändert. Die Klage wird auch hinsichtlich der Klägerin zu 1) abgewiesen.
Die Klägerin zu 1) trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin zu 1) darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
- 1
Die ausweislich der vorgelegten Identitätspapiere am … 1975 in Damaskus (Suburb) geborene Klägerin zu 1) ist syrische Staatsangehörige, arabischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens. Sie reiste mit ihren Kindern, den 2009, 2010 und 2012 geborenen Klägern zu 2) bis 4) am 17. November 2015 auf dem Landweg (über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien, Österreich, mit Boot, Bus und Bahn) in das Bundesgebiet ein und stellte am 6. Juli 2016 einen Asylantrag. Am 24. August 2016 wurde die Klägerin angehört.
- 2
Mit Bescheid vom 31. August 2016 erkannte die Beklagte die Klägerin zu 1) und ihre Kinder (die Kläger zu 2) bis 4) als subsidiär Schutzberechtigte an und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab.
- 3
Mit ihrer am 14. September 2016 erhobenen Klage haben die Kläger zu 1) bis 4) zur Begründung ausgeführt: Bei ihnen lägen die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft vor, denn in Syrien herrsche Bürgerkrieg, sodass sie allein aufgrund ihrer Nationalität um Leib und Leben fürchten müssten.
- 4
Die Kläger zu 1) bis 4) haben beantragt,
- 5
die Beklagte unter entsprechender Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides vom 31. August 2016 zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
- 6
Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
- 7
Mit Gerichtsbescheid vom 28. September 2016 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, der Klägerin zu 1) die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und den angegriffenen Bescheid in Bezug auf die Klägerin zu 1) in Nummer 2, soweit er dem entgegensteht, aufgehoben. Die Klägerin zu 1) könne sich auf beachtliche Nachfluchtgründe berufen. Bei einer Rückkehr in ihre Heimat drohe ihr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit – unabhängig von individuellen Gründen – eine staatliche Verfolgung, weil der syrische Staat das Stellen eines Asylantrages im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfungspunkt und Ausdruck einer politisch missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System ansehe. Hinsichtlich der Kläger zu 2) bis 4) hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen, weil aufgrund ihres Alters nicht angenommen werden könne, dass der syrische Staat ihren Auslandsaufenthalt und die Asylantragstellung als Ausdruck einer oppositionellen Gesinnung ansehe.
- 8
Zur mit Beschluss vom 7. Februar 2018 zugelassenen Berufung trägt die Beklagte vor: Die vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegte Quellenlage ließe sich hinsichtlich der Frage, ob bei Konstellationen der vorliegenden Art die nötige Anknüpfung an ein Verfolgungsmerkmal feststellbar sei, unterschiedlich interpretieren. Rückkehrer unterlägen zwar allgemein der Gefahr der Folter oder unmenschlicher Behandlung. Es gebe jedoch keine gesicherten Anhaltspunkte dafür, dass abgeschobenen Rückkehrern grundsätzlich ungeachtet besonderer persönlicher Umstände oppositionelle Tätigkeit unterstellt werde und die Befragungen und damit teilweise einhergehende Misshandlungen in Anknüpfung an ein asylrelevantes Merkmal erfolgten. Vielmehr beschränkten sich die zur Verfügung stehenden Auskünfte auf die Schilderung von Einzelfällen, aus denen sich für die Motivation des syrischen Staates – ungeachtet des Unrechtsgehalts dieses staatlichen Handelns – nichts ableiten lasse. Eine vorherige Asylantragstellung oder der längerfristige Auslandsaufenthalt seien deshalb für sich allein kein Grund für Verhaftung oder Repressalien.
- 9
Die Beklagte beantragt,
- 10
den Gerichtsbescheid des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts – 12. Kammer, Einzelrichter – vom 28. September 2016 hinsichtlich der Klägerin zu 1) zu ändern und die Klage insoweit abzuweisen.
- 11
Die Klägerin zu 1) beantragt,
- 12
die Berufung zurückzuweisen.
- 13
Sie sieht im Verfahren den Umstand unberücksichtigt, dass sie als Staatsbedienstete tätig gewesen sei und daher mit einer persönlichen Verfolgung bei einer Rückkehr nach Syrien rechnen müsse. Weil Staatsbediensteten ohne Erlaubnis ihrer Beschäftigungsbehörde die Ausreise grundsätzlich untersagt sei, sie aber ohne Erlaubnis aus Syrien geflohen sei, müsse sie bei einer Rückkehr mit einer Untersuchung rechnen. Dabei würde ihre illegale Ausreise festgestellt und ihr eine oppositionelle Haltung unterstellt werden. Als Lehrerin habe sie eine hervorgehobene Position im Verwaltungsapparat inne, weshalb man von ihr loyales Verhaltens erwarte. Allein aufgrund des Loyalitätsbruchs werde ihr eine oppositionelle Haltung unterstellt und sie müsse deshalb Repressalien befürchten, die über die bloße Strafverfolgung hinausgingen.
Entscheidungsgründe
- 14
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, der Klägerin zu 1) die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, so dass das Urteil zu ändern war. Die Klägerin zu 1) hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 4 AsylG.
- 15
Nach § 3 Abs. 1 des Asylgesetzes (AsylG) ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Verfolgungsgründen) außerhalb des Landes (Herkunftslands) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist nach § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.
- 16
Gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG gelten Handlungen als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG kann als eine solche Verfolgung insbesondere die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt gelten. Als Verfolgung kann gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 3 AsylG auch eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung gelten. Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind u. a. gemäß § 3c Nr. 1 und 2 AsylG der Staat und Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen.
- 17
Zwischen den genannten Verfolgungsgründen und den genannten Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG), wobei es unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG). Erforderlich ist ein gezielter Eingriff, wobei die Zielgerichtetheit sich nicht nur auf die durch die Handlung bewirkte Rechtsgutsverletzung selbst bezieht, sondern auch auf die Verfolgungsgründe, an die die Handlung anknüpfen muss. Maßgebend ist im Sinne einer objektiven Gerichtetheit die Zielrichtung, die der Maßnahme unter den jeweiligen Umständen ihrem Charakter nach zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2009 – 10 C 52.07 – juris, Rn. 22, 24). Die Schwere des befürchteten Eingriffs kann dabei je nach Einzelfall, insbesondere im Zusammenhang mit willkürlich handelnden Staatsmächten, nur bedingt Erkenntnisse zur Gerichtetheit der Verfolgung geben. Dabei entspricht die zunächst zum nationalen Recht entwickelte Rechtsdogmatik zur Frage der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ auch dem neueren europäischen Recht, welches hierfür den Begriff des „real risk“ verwendet (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011 – 10 C 25.10 – juris, Rn. 22 m.w.N.).
- 18
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 – juris, Rn. 19). Der danach relevante Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Zu bewerten ist letztlich, ob aus Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Schutzsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in das Herkunftsland als unzumutbar erscheint; insoweit geht es also um die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat (BVerwG, Urteil vom 6. März 1990 – 9 C 14.89 – juris, Rn. 13). Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung gegeben ist. Ergeben die Gesamtumstände die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung, wird ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert (BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 – 9 C 118.90 – juris, Rn. 17). Auch in solchen Fällen müssen aber die festgestellten Verfolgungsfälle nach Intensität und Häufigkeit zur Größe der Zahl der Verfolgten als ins Gewicht fallend angesehen werden können, wenn das Anknüpfungsmerkmal für eine mögliche Verfolgung auf eine Vielzahl von Personen zutrifft (hier: Asylantragstellung und Aufenthalt im westlichen Ausland sowie ungenehmigte Ausreise als Staatsbedienstete); es muss dann also – vergleichbar einer Gruppenverfolgung – eine entsprechende Verfolgungsdichte vorliegen. Hiervon kann nur dann abgesehen werden, wenn ein staatliches Verfolgungsprogramm besteht, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht und das deshalb hinreichend wahrscheinlich eine Verfolgung erwarten lässt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Februar 2010 – 10 B 18.09 – juris, Rn. 2 m.w.N.; vgl. zu den Prognosegrundsätzen bei gruppengerichteten Verfolgungen: Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, 2009, § 27).
- 19
Beim Flüchtlingsschutz gilt für die Verfolgungsprognose ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal "C. aus der begründeten Furcht vor Verfolgung C." des Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2011/95/EU (ABl. L 337/9) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) auf die tatsächliche Gefahr abstellt ("real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. März 2012 – 10 C 7.11 – juris, Rn. 12).
- 20
Das gilt unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Die Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, nicht durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Nach dieser Vorschrift besteht eine tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Verfolgungshandlungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgungshandlungen entkräften (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5.09 – juris, Rn. 23). Dabei gilt als vorverfolgt, wer seinen Heimatstaat entweder vor eingetretener oder vor unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat (vgl. BVerwG, Urteil 14. Dezember 1993 – 9 C 45.92 – juris, Rn. 8).
- 21
Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab erfordert die Prüfung, ob bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 – juris, Rn. 32).
- 22
Die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 21. März 2018 – 2 L 238/13 –, juris,
- 23
dass auch dann eine volle richterliche Überzeugung der Prognose beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohender Verfolgung vorliegen kann, wenn wegen der Schwierigkeiten der Erkenntnisgewinnung eine eindeutige Faktenlage nicht ermittelt werden kann, sondern in der Gesamtsicht der vorliegenden Erkenntnisse ausreichende Anhaltspunkte für eine Prognose sowohl in die eine wie in die andere Richtung vorliegen, also eine Situation vorliegt, die einem non-liquet vergleichbar ist,
- 24
teilt der Senat nicht, soweit sie dahin verstanden werden können, dass bei offener Verfolgungsprognose eine beachtliche Wahrscheinlichkeit zu bejahen sei (ablehnend auch OVG Münster, Urteil vom 1. August 2018 – 14 A 619/17.A – juris, Rn. 55 ff.). Darin läge eine Umkehrung der Beweislastverteilung, die im Gesetz keine Stütze findet. Bei der Erstellung einer Gefahrenprognose zieht das Tatgericht auf der Basis von Erkenntnissen, die es aus Vergangenheit und Gegenwart gewonnen hat, zukunftsorientierte Schlussfolgerungen (BVerwG, Beschluss vom 8. Februar 2011 – 10 B 1.11 – juris, Rn. 7 zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG). Jede Prognose setzt daher zunächst eine hinreichend zuverlässige Tatsachengrundlage voraus (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. März 2017 – 1 VR 1.17 – juris, Rn. 20 zu § 58a AufenthG). Schwierigkeiten bei der Erkenntnisgewinnung entbinden das Tatgericht nicht, sich von der Prognosebasis die Überzeugungsgewissheit i.S.d. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu verschaffen. Bei unübersichtlicher Tatsachenlage und nur bruchstückhaften Informationen aus einem Krisengebiet darf ein Tatsachengericht auch aus einer Vielzahl ihm vorliegender Einzelinformationen eine zusammenfassende Bewertung vornehmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 2009 – 10 C 11.08 – juris, Rn. 19 zur Gruppenverfolgung). Auf der Grundlage der festgestellten Prognosebasis ist dann zu bewerten, ob dem Ausländer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht. Auch von der Prognose selbst muss das Tatgericht i.S.d. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO überzeugt sein (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2010 – 10 B 7.10 – juris, Rn. 8; und vom 8. Februar 2011 – 10 B 1.11 – juris, Rn. 7). Die Überzeugung bezieht sich darauf, dass der angenommene zukünftige Geschehensverlauf mindestens so wahrscheinlich ist, wie es der vorgegebene materiell-rechtliche Gefahrenmaßstab verlangt, hier also, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung droht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Februar 2011 – 10 B 1.11 – juris Rn. 8, juris; Urteil vom 16. April 1985 – 9 C 109.84 – juris, Rn. 17). Kann sich das Tatgericht auf der Grundlage der festgestellten Prognosebasis keine Überzeugung davon bilden, ob dem Ausländer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, besteht kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juni 1999 – 9 C 36.98 –, juris, Rn. 13; OVG Münster, Urteil vom 1. August 2018 – 14 A 619/17.A –, juris, Rn. 57 ff.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 12. Januar 2018 – 2 LB 1620/17 –, BeckRS 2018, 11721, beck-online). Nach allgemeinen Grundsätzen geht in diesen Fällen ein non-liquet zu Lasten des Ausländers, da das Bestehen einer beachtlich wahrscheinlichen Verfolgungsgefahr – aus Rechtssicht – eine für ihn günstige Tatsache ist und das Asylgesetz keine abweichende Beweislastverteilung regelt. Diese Beweislastverteilung kann nicht dadurch umgangen werden, dass ein non-liquet bei der Gefahrenprognose als Grundlage gewählt wird, um eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr zu begründen.
- 25
1. Ausgehend von diesen Maßstäben ist die Furcht der Klägerin zu 1) vor einer Verfolgung wegen eines flüchtlingsrechtlich relevanten Grundes unbegründet.
- 26
Zu bewerten ist allein eine Verfolgung durch den syrischen Staat. Bezugspunkt für die Gefahrenprognose ist der tatsächliche Zielort des Ausländers bei seiner Rückkehr. Das ist in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 – 10 C 15.12 – juris, Rn. 13 ff. m.w.N.). Der Heimatort der Klägerin zu 1), Jayrud, steht ausweislich einer Information des „Military Advisor“ auf Twitter seit dem 24. April 2018 wieder unter syrischer Flagge, d.h. unter der Herrschaft des Assad Regimes. Zuvor war er – wie auch von der Klägerin zu 1) im Asylverfahren berichtet – in den Händen der Opposition. Inwiefern der Military Advisor“ auf Twitter eine verlässliche Quelle ist, kann der Senat dahinstehen lassen, denn es ist auch zu prüfen, ob der Ausländer seinen Herkunftsort gefahrlos erreichen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Februar 1993 – 9 C 31.92 – juris, Rn. 9). Unabhängig davon, unter wessen Kontrolle der Heimatort der Klägerin zu 1) im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung steht, ist der in der Nähe von Damaskus gelegene Heimatort nur über einen Reiseweg bzw. über Gebiete erreichbar, die vom syrischen Regime kontrolliert werden. Dies gilt in erster Linie für eine – hypothetische – Rückführung der Klägerin zu 1), die derzeit allein über eine Flugverbindung denkbar ist. Insoweit kommt nach aktuellem Erkenntnisstand nur Damaskus in Betracht (vgl. Auswärtiges Amt [AA], Auskunft vom 12. Oktober 2016 an VG Trier zu den beiden allein geöffneten Flughäfen Damaskus und dem im Kurdengebiet gelegenen Qamishly. Daneben soll auch noch der unter Kontrolle des syrischen Regimes stehende Flughafen Latakia für internationale Flüge offen stehen, vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe [SFH] vom 21. März 2017, Syrien: Rückkehr, S. 6.). Dies gilt aber auch für eine (legale) Rückkehr auf einem anderen Reiseweg. Nach der aktuellen Auskunftslage werden Damaskus selbst und die Region um Damaskus fast ausschließlich vom syrischen Regime kontrolliert (siehe kartographische Darstellungen bei Spiegel Online, Assad zielt ins Herz der Revolution, Karte Stand 12. April 2018, und Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich [BFA] Länderinformationsblatt Syrien vom 25. Januar 2018, S. 12). Auch die vereinzelten noch von den syrischen Rebellen-Milizen kontrollierten Bereiche werden danach ausschließlich von Gebieten umschlossen, die unter der Kontrolle des syrischen Regimes stehen.
- 27
2. Die Klägerin zu 1) ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Ausweislich ihrer Angaben beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist ihr vor ihrer Ausreise persönlich nichts passiert; sie ist mit ihren Kindern vor dem Bürgerkrieg geflüchtet. Ihr drohte vor der Ausreise zudem keine unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung wegen ihrer Religions- und Volkszugehörigkeit oder ihrer regionalen Herkunft, siehe sogleich unter 3. b).
- 28
3. Eine Flüchtlingsanerkennung der Klägerin zu 1) kommt auch nicht wegen Ereignissen und einer damit einhergehenden Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG in Betracht, die eingetreten sind, nachdem sie ihr Herkunftsland verlassen hat (vgl. § 28 Abs. 1a AsylG, sog. Nachfluchttatbestände). Die Klägerin zu 1) kann sich zur Begründung der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht auf die illegale Ausreise und/ oder den längeren Aufenthalt im westlichen Ausland und eine dort erfolgte Asylantragstellung berufen (a). Bei ihr liegen zudem weder im Hinblick auf ihre Glaubenszugehörigkeit noch wegen ihrer regionalen Herkunft, risikoerhöhende Umstände vor (b). Etwas anderes folgt auch nicht aus ihrer Tätigkeit als Lehrerin in Syrien und der fehlenden Ausreisegenehmigung für sie als Staatsbedienstete (c). Selbst wenn man alle Umstände im Rahmen einer Gesamtwürdigung gemeinsam betrachtet, ergibt sich nichts Abweichendes (d).
- 29
a) Die Begründung des Verwaltungsgerichts, dass allein der Aufenthalt des Klägerin zu 1) im westlichen Ausland und die Asylantragstellung in der Bundesrepublik vom syrischen Staat als Ausdruck einer regimefeindlichen Gesinnung angesehen werde und die Klägerin zu 1) im Falle einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aus diesem Grund mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste, wird vom Senat angesichts der aktuellen Erkenntnislage und weiterer Erwägungen nicht geteilt und rechtfertigt daher die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht.
- 30
Unter Beachtung der vorgenannten Maßstäbe ist bei der Prüfung danach zu differenzieren, ob einem Rückkehrer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungshandlung droht und – falls dies bejaht wird – zwischen der Verfolgungshandlung und einem Verfolgungsgrund (hier: politische Überzeugung wegen einer vermeintlich oppositionellen Einstellung gegenüber dem syrischen Regime) eine Verknüpfung besteht. Für beides fehlt es an hinreichend gesicherten Erkenntnissen.
- 31
Der Senat hat hierzu mit am 4. Mai 2018 verkündeten Urteilen (u.a. 2 LB 17/18, juris Rn. 36 ff.) unter Verweis auf das Urteil vom 23. November 2016 (3 LB 17/16, juris) ausgeführt, dass nach der gegenwärtigen Erkenntnislage keine hinreichende Grundlage für die Annahme besteht, dass der totalitäre Staat Syrien jeden Rückkehrer, auch solche, die ihr Land unverfolgt verlassen haben, pauschal unter eine Art Generalverdacht stellt, der Opposition anzugehören, sofern nicht besondere, individuell gefahrerhöhende Umstände vorliegen, die auf eine oppositionelle Einstellung hinweisen. Wegen der Begründung im Einzelnen, insbesondere der Bewertung der vorliegenden Erkenntnismittel wird auf das Urteil vom 4. Mai 2018 – 2 LB 17/18 –, juris Rn. 36 bis 75 verwiesen. Hieran hält der Senat fest und dies auch in Ansehung des von der Klägerin zu 1) in der mündlichen Verhandlung in Bezug genommenen, vor seiner Entscheidung ergangenen und sich mit der Entscheidung des 3. Senats kritisch auseinandersetzenden Urteils des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 13. Juni 2017 (7 A 167/18, juris, Rn. 29 ff.). Neue Erkenntnisse haben sich seit dem Urteil des Senats vom 4. Mai 2018 – 2 LB 17/18 – nicht ergeben.
- 32
b) Im Falle der Klägerin zu 1) liegen keine solchen besonderen, risikoerhöhenden Faktoren für die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung bzw. einer Verfolgung wegen einer vermeintlich oppositionellen Einstellung vor. Anknüpfend an die vorliegenden Erkenntnisse und den vor allem in den Berichten des UNHCR aufgeführten Risikoprofilen sind bei der Klägerin zu 1) insbesondere die Aspekte ihrer Religionszugehörigkeit (aa) sowie ihrer regionalen Herkunft (bb) zu erörtern (zu ihrer Tätigkeit als Lehrerin s.u. c).
- 33
aa) Die Zugehörigkeit zum sunnitischen Glauben allein stellt keinen risikoerhöhenden Faktor dar, aufgrund dessen der Klägerin zu 1) bei einer Rückkehr nach Syrien beachtlich wahrscheinlich die Gefahr einer Verfolgung drohen würde, weil ihr deshalb eine regimefeindliche Haltung zugeschrieben werden würde. Der Senat hat zu diesem Aspekt im Urteil vom 4. Mai 2018 (Az. 2 LB 17/18, juris Rn. 77 bis 81) Folgendes ausgeführt:
- 34
Nach Berichten des UNHCR bestehe zwar die von der Regierung bekämpfte Opposition größtenteils aus sunnitischen Arabern (vgl. UNHCR vom November 2017, S. 54). Die Zugehörigkeit zur Religionsgruppe der Sunniten erhöhe daher die Gefahr, Opfer staatlicher Verfolgung zu werden (so bereits UNHCR vom April 2017, S. 5; SFH vom 21. März 2017, S. 11; siehe auch UNHCR vom November 2015, S. 26, wonach die Mitgliedschaft in religiösen Gruppen – darunter auch die Sunniten – ein gefahrerhöhendes Moment sein könne). Anderen Berichten zufolge seien alle Rückkehrer von Misshandlungen am Flughafen und Grenzübergängen bedroht. Ethnizität und Religion seien keine Aspekte, die sich auf die Gefährdung durch Misshandlung auswirkten (vgl. IRB vom 19. Januar 2016, S. 7).
- 35
Trotz des vor allem vom UNHCR definierten Risikoprofils kann eine generelle Gefährdung sunnitischer Syrer bereits deshalb nicht angenommen werden, weil 74 % der syrischen Bevölkerung der Glaubensgruppe der Sunniten angehören (Stand 2006, siehe http://m.bpb.de/nachschlagen/lexika/fischer-weltalmanach/65805/syrien). Ferner sind Sunniten sowohl im Regime als auch in den Streitkräften – zum Teil in hohen Stellungen – vertreten (vgl. Gerlach, „Was in Syrien geschieht“, Bundeszentrale für politische Bildung, vom 19. Februar 2016; vgl. auch OVG Münster, Urteil vom 21. Februar 2017, a.a.O., Rn. 83 f.; OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017, a.a.O., Rn. 68). Allenfalls kann die sunnitische Religionszugehörigkeit ein weiterer Faktor bei der Bestimmung des Risikoprofils in dem Sinne sein, dass eine aus anderen Gründen den Regierungskräften verdächtig erscheinende Person als umso verdächtiger wahrgenommen werden wird, wenn sie sunnitischer Glaubenszugehörigkeit ist (in diese Richtung ebenfalls UNHCR vom Februar 2017, S. 2).
- 36
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der UNHCR in seiner Stellungnahme von November 2017 (S. 54 ff.) die Zugehörigkeit zum sunnitischen Glauben nicht mehr als per se risikoerhöhenden Faktor ansieht und auch nicht als ein Merkmal, aufgrund dessen der Person regierungsfeindliche Absichten unterstellt werden (ebenso: VGH Mannheim, Urteil vom 9. August 2017 – A 11 S 710/17 – juris, Rn. 48). Vielmehr geht auch der UNHCR davon aus, dass die Verfolgungsgefahr für Mitglieder religiöser und ethnischer Gruppen von Region zu Region variiert und von den spezifischen Konfliktbedingungen der jeweiligen Region abhänge. Eine Verfolgungsgefahr ergebe sich insbesondere für Angehörige religiöser und ethnischer Gruppen, die aus Gebieten stammten, die von regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen kontrolliert werden, so dass diesen abhängig von den individuellen Umständen des Einzelfalles der Flüchtlingsschutz zu gewähren sei.
- 37
An diesen Ausführungen hält der Senat fest.
- 38
bb) Eine der Klägerin zu 1) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung wegen einer ihr seitens des syrischen Regimes zugeschriebenen politischen Überzeugung ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass sie aus einem Gebiet stammt, das unter Kontrolle von oppositionellen Truppen gestanden hat bzw. steht.
- 39
Die Klägerin zu 1) hat in der Anhörung vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, dass ihr Herkunftsort Jayrud jedenfalls im Zeitpunkt ihrer Ausreise in den Händen von Jabhat Al-Nusra Kämpfern gewesen sei. Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Angaben der Klägerin zu 1) nicht zutreffen. Vielmehr bestätigen vorhandene Berichte, dass sowohl Vororte als auch Stadteile von Damaskus und die Bergregion zwischen Damaskus und Palmyra (Jayrud liegt in den Qalamoun-Bergen, nordöstlich von Damaskus) zeitweise von Oppositionsgruppen eingenommen, zumindest aber zwischen den Truppen des Assad-Regimes und anderen Konfliktparteien umkämpft sind bzw. waren (vgl. beispielhaft Spiegel-Online vom 21. April 2018, Viertel Jarmuk in Damaskus, Zwei Quadratkilometer Bürgerkrieg; Spiegel-Online vom 16. Dezember 2016, Bürgerkrieg in Syrien – Assad lässt Damaskus bombardieren).
- 40
Der UNHCR meint, aus Unruhegebieten stammende Personen würden von der Regierung mit oppositionellen Gruppen in Verbindung gebracht und als regierungsfeindlich betrachtet (UNHCR vom November 2017, S. 33, 37; und vom Februar 2017, S. 16). Willkürliche Festnahmen basierten häufig allein auf der Herkunft aus einem Ort, in dem oppositionelle Kräfte aktiv sind (UNHCR vom November 2017, S. 37; Februar 2017, S. 21). So sei es in Gebieten, in denen die Regierung die Kontrolle wiedererlangt habe, zu Festnahmen von Männern und Jungen über 12 Jahren allein wegen der ihnen von der Regierung zugeschriebenen Unterstützung für regierungsfeindliche bewaffnete Kräfte gekommen (UNHCR, Februar 2017, S. 20). Einigen Auskünften zufolge erhöhe daher die Herkunft aus von der Opposition besetzten oder umkämpften Regionen die Gefahr, Opfer staatlicher Verfolgung zu werden (UNHCR vom Februar 2017, S. 5; vgl. SFH vom 21. März 2017, S. 11).
- 41
Es gibt allerdings keine dahingehenden Informationen, dass aus dem Ausland nach Syrien Zurückkehrende allein aufgrund ihrer Herkunft aus einer vermeintlich regierungsfeindlichen Region Verfolgung ausgesetzt gewesen wären. Zumeist ist nur von gefahrerhöhenden Umständen die Rede. Der Senat schließt sich zudem der in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen Auffassung an, dass viel dafür spricht, dass diejenigen, die vor den Auseinandersetzungen zwischen dem Assad-Regime und Konfliktparteien in ihrer Region ins Ausland geflohen sind, sich also dem Konflikt gerade entzogen haben, auch aus Sicht des syrischen Regimes nicht als Bedrohung aufgefasst werden (so OVG Bremen, Urteil vom 24. Januar 2018 – 2 LB 194/17 – juris, Rn. 66 ff.; OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris, Rn. 71; vgl. auch OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16 – juris, Rn. 160 ff.).
- 42
cc) Ungeachtet der voranstehenden Ausführungen genügt allein die pauschale Bezugnahme auf eines oder mehrere vom UNHCR definierten Risikoprofile nach Auffassung des Senats nicht, um die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten (politischen) Verfolgung durch das Assad-Regime begründen zu können. Es bedarf stets einer konkreten Einzelfallbetrachtung. Die Zugehörigkeit zu den vom UNHCR in den International Protection Considerations with Regards to People Fleeing the Syrian Arab Republic, Update V, vom November 2017 benannten Risikogruppen indiziert zwar nach wie vor die Wahrscheinlichkeit, dass die betroffene Person internationalen Schutz benötigt; dies wird jedoch durchweg durch die Worte relativiert: "depending on the individual circumstances of the case". Es ist also schon nach dem eigenen Anspruch der "Considerations" nicht angängig, die Annahme einer politischen Verfolgung allein auf die pauschale Zuordnung zu einer oder mehreren der Risikoprofile zu stützen, insbesondere ohne Rücksicht auf die Frage, in welches Umfeld der Betroffene hypothetisch zurückkehren müsste. Erforderlich ist vielmehr auch danach stets eine hinreichend substantiierte Einzelfallbetrachtung (ebenso OVG Lüneburg, Beschluss vom 14. März 2018 – 2 LB 1749/17 – juris, Rn. 118; OVG Saarlouis, Beschluss vom 11. April 2018 – 2 A 147/18 –, juris Rn. 9).
- 43
Die Klägerin zu 1) hat keine konkreten Umstände vorgetragen, weshalb ihr vom Assad-Regime eine oppositionelle Einstellung unterstellt werden könnte und ihr deshalb Verfolgungsmaßnahmen drohen könnten. Auf die Ausführungen unter 2. und nachfolgend unter c) wird Bezug genommen. Im Gegenteil: In ihrer Anhörung vor dem Bundesamt hat sie angegeben, Mitglied einer nichtstaatlichen, bewaffneten Gruppierung oder in einer sonstigen politischen Organisation sei sie nicht gewesen. Augenzeuge, Opfer oder Täter von begangenem Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Übergriffen (Folter, Vergewaltigung oder andere Misshandlungen) von kämpfenden Einheiten auf die Zivilbevölkerung; Hinrichtungen bzw. Massengräbern oder Einsätzen von Chemiewaffen sei sie auch nicht geworden. Sie habe auf dem Weg nach Deutschland bzw. in Deutschland ebenfalls keine Person kennengelernt, die sie als Unterstützer bzw. Mitglieder von extremistischen bzw. terroristischen Organisationen einschätzte.
- 44
c) Etwas anderes ergibt sich auch nicht vor dem Hintergrund, dass die Klägerin zu 1) als Lehrerin im Dienst des syrischen Staates stand und ohne die für Staatsbedienstete erforderliche Genehmigung ausgereist ist. Auch insoweit ist es angesichts der Auskunftslage ebenfalls nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Klägerin zu 1) wegen ihrer illegalen Ausreise als Staatsbedienstete eine oppositionelle Haltung zugeschrieben und sie deshalb verfolgt würde.
- 45
Die Klägerin zu 1) hat bereits bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt auf ihre Tätigkeit als Lehrerin hingewiesen. Dort hat sie auch geschildert, dass vielen ihrer Kollegen die für Staatsbedienstete erforderliche Ausreisegenehmigung verweigert worden sei, weshalb sie ohne diese so schnell wie möglich ausgereist sei. Die Befürchtung, angesichts dieser Umstände drohe ihr im Fall ihrer Rückkehr politisch motivierte Verfolgung seitens des Regimes, hat die Klägerin zu 1) zwar erst im Berufungsverfahren geäußert und ihr diesbezügliches Vorbringen im Rahmen der mündlichen Verhandlung bekräftigt, wo sie zudem einen Handy-Ausdruck einer ihr nach ihren Angaben von ihrem Anwalt zugesandten allgemeinen Anweisung des obersten Militärgerichts an die Zivilgerichte vom 15. März 2018 vorgelegt hat, die gesetzlichen Regelungen in Bezug auf ungenehmigte Ausreisen von Staatsbediensteten nunmehr zur Anwendung zu bringen. Ob diese teilweise handschriftlich verfasste, teilweise gedruckte Anweisung echt ist, und es insbesondere tatsächlich eine derartige Anweisung gibt, kann der Senat dahinstehen lassen. Denn selbst wenn dies der Fall wäre, hält es der Senat gleichwohl schon nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass der Klägerin eine Verfolgungshandlung, insbesondere eine Bestrafung aus den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Gründen, etwa wegen einer unterstellten Regimegegnerschaft, droht.
- 46
Syrischen Staatsbediensteten ist das Verlassen des Landes ohne eine entsprechende Erlaubnis ihrer Beschäftigungsbehörde grundsätzlich untersagt (Danish Refugee Council / Danish Immigration Service, August 2017, S. 20). Jedoch erhalten verschiedenen Quellen zufolge Bedienstete in nicht sensiblen Bereichen wie etwa Lehrer eine solche Erlaubnis in der Regel ohne Schwierigkeiten und binnen weniger Stunden (Danish Refugee Council / Danish Immigration Service, August 2017, S. 38, 48, 71, 104). Wer ohne Ausreiseerlaubnis an der Grenze kontrolliert werde, werde für zwei oder drei Stunden festgehalten, während derer seine Identität und der Zweck der Reise geklärt würden. Danach sei auch dann eine Ausreise unproblematisch möglich (Danish Refugee Council / Danish Immigration Service, August 2017, S. 49). Wer das Land unerlaubt verlassen habe, müsse bei seiner Rückkehr mit einer Untersuchung rechnen, die eine Aufklärung der Gründe zum Ziel habe. Abhängig vom Ergebnis wird dann der Berichtslage zufolge versucht, eine Lösung zu finden, um eine Rückkehr an den Arbeitsplatz zu erleichtern; die Ursache dieser Kompromissbereitschaft wird darin gesehen, dass dem Regime daran gelegen sei, sich seine Unterstützer zu erhalten (Danish Refugee Council / Danish Immigration Service, August 2017, S. 58; zum Ganzen vgl. auch: OVG Bremen, Urteil vom 24. Januar 2018, a.a.O., Rn. 61 m.w.N.; OVG Koblenz, Urteil vom 12. April 2018 – 1 A 10988/16 – juris, Rn. 46 m.w.N.; OVG Saarlouis, Urteile vom 20. August 2018 – 1 A 589/17– und – 1 A 6191 A 619/17 – jeweils juris, Rn. 40).
- 47
Zwar ist danach eine intensive Befragung im Fall der unterstellten Rückkehr nicht auszuschließen, jedoch ergeben sich aus den zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen bereits nicht in hinreichender Dichte Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin zu 1) bei der gedanklich zu unterstellenden Rückkehr nach Syrien wegen ihrer ungenehmigten Ausreise als Staatsbedienstete bestraft bzw. inhaftiert werden würde (mit der damit verbundenen Gefahr der Folter oder Misshandlung). Damit ist bereits das Vorliegen einer Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a AsylG nicht beachtlich wahrscheinlich. Bei der Klägerin zu 1) kommt zu dieser Auskunftslage noch Folgendes hinzu: Durch die Einnahme Jayruds durch Jabhat Al-Nusra Kämpfer war sie zum Zeitpunkt ihrer Ausreise ihrer Position faktisch enthoben. Ihre Beschäftigungsbehörde (Schule) war überwiegend geschlossen und – wie auch der sonstige Verwaltungsapparat der Stadt – in den Händen der Opposition. Eine Flucht unter diesen Gegebenheiten bietet keinen Anlass, der Klägerin zu 1) eine oppositionelle Haltung zu unterstellen (ebenso: OVG Bremen, Urteil vom 24. Januar 2018 – 2 LB 194/17 – juris, Rn. 60 f.). Der Vortrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ändert hieran nichts. Danach habe man die Ausreisegenehmigung persönlich beim Schulamt in Damaskus stellen müssen. Damit habe sie einen Bevollmächtigten beauftragt, zu dem sie mit ihrer Ausreise den Kontakt verloren habe. Denn entscheidend ist, dass die Schule der Klägerin zum Zeitpunkt ihrer Ausreise in den Händen der Opposition und überwiegend geschlossen war.
- 48
Zwar gibt die Auskunftslage für die Existenz der von der Klägerin zu 1) in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgelegten allgemeinen Anweisung des obersten Militärgerichts an die Zivilgerichte vom 15. März 2018 nichts her. Wenn aber eine solche allgemeine Anweisung bestehen und auch durchgesetzt werden sollte, würde der Klägerin zwar im Falle ihrer hypothetischen Rückkehr eine Bestrafung drohen. Jedoch lassen sich weder dieser Anweisung und insbesondere nicht den zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen – wie dargestellt – hinreichend verlässliche und ausreichende Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass Lehrern wegen ihrer ungenehmigten Ausreise durch das syrische Regime beachtlich wahrscheinlich eine regimefeindliche Haltung unterstellt wird und ihnen daher in Anknüpfung an die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Gründe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine relevante Verfolgung droht. Es fehlte mithin zumindest an der gemäß § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund.
- 49
Soweit das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (Urteil vom 12. April 2018 – 1 A 10988/16 – juris, Rn. 45 ff.) basierend auf der aufgezeigten Auskunftslage in Bezug auf den Direktor eines Gymnasiums mit rund 450 Schülern zu der Einschätzung gelangt ist, dass es unter den konkreten Gegebenheiten beachtlich wahrscheinlich sei, dass diesem Schuldirektor in Anknüpfung an seine illegale Ausreise eine oppositionelle Haltung unterstellt werde, ist dies maßgeblich darauf gestützt gewesen, dass er – auch nach außen hin – eine deutlich hervorgehobene Position im syrischen Verwaltungsapparat innehatte. Schon von daher ist diese Konstellation mit der der Klägerin nicht vergleichbar. Abgesehen hiervon entnimmt der Senat dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz keine grundsätzliche Aussage des Inhalts, es sei beachtlich wahrscheinlich, dass jedem Direktor einer größeren Schule unter den fraglichen Gegebenheiten seitens des syrischen Regimes eine oppositionelle Gesinnung zugeschrieben würde (ebenso: OVG Saarlouis, Urteile vom 20. August 2018 – 1 A 589/17 – juris, Rn. 43 ff. zu dem Fall eines Schuldirektors, und – 1 A 619/17 – juris, Rn. 43 zu einem Lehrer).
- 50
d) Selbst wenn man bei der Klägerin zu 1) alle vorgenannten Umstände – die illegale Ausreise und/ oder den längeren Aufenthalt im westlichen Ausland und eine dort erfolgte Asylantragstellung, die Glaubens- und Volkszugehörigkeit, die regionale Herkunft und ihre Tätigkeit als Staatsbedienstete, die ungenehmigt ausgereist ist, – zusammen in die zu treffende Prognoseentscheidung einbezieht, ergibt sich daraus keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine flüchtlingsrechtlich relevante (politische) Verfolgung im Sinne von § 3 AsylG. Bei der Klägerin zu 1) liegen keine besonderen, individuell gefahrerhöhenden Umstände vor, weshalb ihr vom syrischen Regime eine oppositionelle Haltung unterstellt werden könnte und ihr deshalb Verfolgungsmaßnahmen drohten.
- 51
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.
- 52
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
- 53
Die Revision wird nicht zugelassen. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.
(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.