Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 29. Mai 2018 - 10 ZB 17.1739

bei uns veröffentlicht am29.05.2018

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 6. Oktober 2016 weiter, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf neun Jahre (unter der Bedingung der Straf- und Drogenfreiheit) bzw. auf zehn Jahre befristet und seine Abschiebung nach Peru angeordnet bzw. bei nicht fristgerechter Ausreise nach Haftentlassung angedroht wurde.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne dieser Bestimmung bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.

1. Die Einwendungen gegen die durch das Verwaltungsgericht vorgenommene Gefahrenprognose greifen nicht durch.

Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass vom Kläger noch eine schwerwiegende Wiederholungsgefahr ausgehe. Es bestehe eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer Straftaten. Der Kläger habe sehr schwere Straftaten begangen, welche mit einer hohen Freiheitsstrafe von acht Jahren und vier Monaten abgeurteilt worden seien. Er habe über mehrere Jahre Kokain in Umlauf gebracht und verfüge offensichtlich über hervorragende Kontakte zu Drogenhändlern im Ausland. Das gelte auch vor dem Hintergrund seiner eigenen Abhängigkeit. Das Gericht gehe aufgrund der Stellungnahme der Therapieeinrichtung von einer Betäubungsmittelabhängigkeit aus; die unstreitige Menge von 7 g Kokain pro Woche mit erheblichen Mengen Alkohol spreche zudem für eine langfristige Problematik. In Fällen wie dem vorliegenden, in denen Betäubungsmittelstraftaten aufgrund einer bestehenden Drogenproblematik begangen worden seien, gehe die Rechtsprechung regelmäßig davon aus, dass die konkrete Wiederholungsgefahr erst entfalle, wenn der Kläger eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen und darüber hinaus die damit verbundene Erwartung künftigen drogen- und straffreien Verhaltens auch nach dem Therapieende glaubhaft gemacht habe. Der Kläger habe mit einer Therapie einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung gemacht, aber die Therapie noch nicht beendet und seine Drogenfreiheit in Freiheit bewiesen. Er lebe momentan in einer kontrollierten Umgebung, weshalb ein Rückfall bei einer Rückkehr in frühere Strukturen nicht ausgeschlossen werden könne. Eine Wiederholungsgefahr könne nicht bereits ausgeschlossen werden, wenn nicht einmal eine therapeutische Aufarbeitung abgeschlossen sei.

Der Kläger bringt zur Begründung seines Zulassungsantrages hiergegen vor, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht eine Wiederholungsgefahr angenommen. Zwar sei die therapeutische Behandlung noch nicht abgeschlossen, es lägen jedoch in der Persönlichkeit des Klägers Gründe vor, die einen erfolgreichen Therapieabschluss prognostizieren ließen und es rechtfertigten, auch vor einem vollständigen Abschluss der therapeutischen Behandlung eine Wiederholungsgefahr auszuschließen.

Damit hat der Kläger die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts jedoch nicht ernsthaft im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Zweifel gezogen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats (z.B. B.v. 8.11.2017 – 10 ZB 16.2199 – juris Rn. 6 f.; B.v. 3.5.2017 – 10 ZB 15.2310 – juris Rn. 14) haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden.

Bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (siehe z.B. BayVGH, B.v. 16.2.2018 – 10 ZB 17.2063 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 7.2.2018 – 10 ZB 17.1386 – juris Rn. 10; BayVGH, U.v. 3.2.2015 – 10 B 14.1613 – juris Rn. 32 m.w.N.). Denn solange sich der Ausländer nicht außerhalb des Strafbzw. Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (BavVGH, B.v. 13.10.2017 – 10 ZB 17.1469 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 6.5.2015 – 10 ZB 15.231 – juris Rn. 11).

Wie die Begründung des Zulassungsantrags einräumt, ist die Therapie des Klägers noch nicht abgeschlossen. Es mag durchaus auch sein, dass sich in seinem Fall für ihn „prognostisch günstige Faktoren finden lassen“, wie etwa seine Therapiebereitschaft und –fähigkeit. Das Verwaltungsgericht hat dies zu Recht als „richtigen Schritt in die richtige Richtung“ gewürdigt. Gleichwohl kann in Anbetracht der im Strafurteil festgestellten langjährigen Abhängigkeit von Kokain und schädlichem Gebrauch von Alkohol (Urteil des Landgerichts München I vom 5.9.2015, S. 168) keineswegs bereits jetzt davon ausgegangen werden, dass die Therapie erfolgreich sein wird und es dem Kläger gelingen wird, nach seiner Entlassung aus dem Maßregelvollzug bzw. aus der Strafhaft auf Dauer ein drogen- und straffreies Leben zu führen. Derartige Erwartungen können bisher noch nicht mit tatsächlichen Anhaltspunkten belegt werden.

Auch sonst bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts. Es hat keineswegs verkannt, dass der Kläger zum Zeitpunkt seiner Verurteilung als nicht vorbestraft galt; es hat vielmehr im Tatbestand des Urteils darauf hingewiesen (UA S. 3). Eventuelle frühere Straftaten spielten im Rahmen der Gefahrenprognose keine Rolle. Dass der Kläger vor dem Landgericht ein Geständnis abgelegt hat und dass bis zu dem verwaltungsgerichtlichen Urteil auf den Kläger erheblich durch Untersuchungs- und Strafhaft eingewirkt worden sei, hat das Verwaltungsgericht zwar nicht eigens erwähnt, doch kommt diesen Gesichtspunkten aufgrund der aus der Drogenabhängigkeit abzuleitenden hohen Gefährlichkeit des Klägers kein entscheidendes Gewicht zu. Dass dem Kläger die Straftaten, die zu einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und vier Monaten geführt haben, im Wesentlichen zu Finanzierung seines Eigenkonsums gedient haben, spricht nicht gegen eine Wiederholungsgefahr, sondern belegt eine hohe Rückfallgefahr aufgrund der noch nicht abschließend therapierten Drogenabhängigkeit.

2. Auch soweit sich der Kläger gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Gesamtabwägung gemäß § 53 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG wendet, ergeben sich keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils.

Der Kläger macht insoweit geltend, das Verwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass in seinem Fall nicht mehr von einer Wiederholungsgefahr auszugehen sei. Dieser Umstand trifft jedoch – wie dargelegt – nicht zu.

Der Umstand, dass der Kläger bis 2013 einer Arbeitstätigkeit nachgegangen sei und diese erst geendet habe, als sich die Kokainabhängigkeit verstärkt habe, macht die Abwägung nicht fehlerhaft. Das Verwaltungsgericht ist demgegenüber zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger – anders als in Peru, wo er durch einen Pensionsbetrieb eine wirtschaftliche Basis besitzt – in Deutschland über keine Arbeitsstelle verfügt, die ihm die Rückkehr in ein drogen- und straffreies Leben erleichtern würde. Dass der Kläger nach seiner Entlassung „wiederum einer versicherungspflichtigen Arbeitstätigkeit nachgeht, sobald die Therapie abgeschlossen ist“, ist eine Erwartung ohne hinreichende tatsächliche Grundlagen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 47 Rechtsmittelverfahren


(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, inn

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124


(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird. (2) Die B

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124a


(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nic

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Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 63 Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren


(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anh

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(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Tenor

1. Der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 20. September 2012 - 2 LA 234/11 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

2. Das Land Niedersachsen hat die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers zu erstatten.

3. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein verwaltungsgerichtliches Verfahren aus dem Bereich des Schulrechts.

2

1. a) Der Beschwerdeführer besuchte ein öffentliches technisches Fachgymnasium. Da er an einer Lese- und Rechtschreibstörung (Legasthenie) leidet, beantragte er zum Nachteilsausgleich eine Schreibzeitverlängerung für die Anfertigung von Klausuren sowie die Nichtbewertung der Rechtschreibung (sog. Notenschutz). Die Schule lehnte dies ab.

3

b) Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren verpflichtete das Oberverwaltungsgericht die Schule, dem Beschwerdeführer bis zur Entscheidung in der Hauptsache bei der Anfertigung schriftlicher Leistungsüberprüfungen außer in naturwissenschaftlich-mathematischen Fächern eine Schreibzeitverlängerung von 10 % der jeweiligen Bearbeitungszeit zu gewähren. Soweit der Eilantrag darüber hinaus auf vorläufige Gewährung eines Zeitzuschlages von 25 % und Notenschutz bezüglich der Rechtschreibleistung in allen Fächern sowie auf die ebenfalls bereits vorgerichtlich geltend gemachte Verpflichtung der Schule gerichtet war, ihn in Mathematik anwendungsbezogen auf das erste Prüfungsfach Elektronik zu unterrichten, blieb er ohne Erfolg. Eine vom Beschwerdeführer in dieser Sache erhobene Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen (1 BvR 2129/08).

4

c) In der Hauptsache fasste das Verwaltungsgericht zunächst einen Beweisbeschluss zur Frage der medizinischen Notwendigkeit eines weitergehenden Nachteilsausgleichs. Dieser wurde jedoch nicht mehr ausgeführt, nachdem der Beschwerdeführer die Allgemeine Hochschulreife erworben hatte. Der Beschwerdeführer stellte seine Klage daraufhin um. Neben Feststellungsanträgen begehrte er, seine unter anderem auf Klausurabwertungen wegen Schreibfehlern (sog. "GRZ-Abzug") beruhenden Kursnoten im Fach Deutsch in der Jahrgangsstufe 12 anzuheben.

5

Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit der Begründung ab, die in der Jahrgangsstufe 12 erteilten Einzelnoten seien bestandskräftig geworden und daher nicht mehr anfechtbar. Der Zulässigkeit der Feststellungsanträge stehe teilweise der Subsidiaritätsgrundsatz und teilweise das Fehlen eines Feststellungsinteresses entgegen.

6

d) Den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung lehnte das Oberverwaltungsgericht mit dem hier angegriffenen Beschluss ab.

7

aa) Es könne offenbleiben, ob das Verwaltungsgericht die halbjährlichen Kursabschlussnoten als eigenständig anfechtbare Regelungen habe ansehen dürfen. Die Versäumung der Widerspruchsfrist sei insoweit jedenfalls unschädlich, da die Widerspruchsbehörde eine Sachentscheidung getroffen habe. Von der Bestandskraft der Einzelnoten könne daher nicht ausgegangen werden.

8

An der Richtigkeit der Ablehnung des Verpflichtungsantrags bestünden im Ergebnis gleichwohl keine ernstlichen Zweifel, da nicht ersichtlich sei, dass die den Kursnoten zugrunde liegenden Bewertungen fehlerhaft gewesen sein könnten. Es sei in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt, dass unter einer Legasthenie leidenden Schülern zum Nachteilsausgleich nur Schreibzeitverlängerungen gewährt werden könnten oder die Nutzung technischer Hilfsmittel gestattet werden könne. Die Gewährung von Notenschutz (durch Nichtbewertung der Rechtschreibung) sei demgegenüber in der Regel nicht zulässig, da sie zu einer Benachteiligung von Schülern führen könne, denen aus sonstigen Gründen Rechtschreibfehler in größerem Umfang unterliefen. Darüber hinaus komme ein Ausgleich durch Notenschutz deswegen nicht in Betracht, weil sich die vom Beschwerdeführer beanstandeten Noten gerade auf das Fach Deutsch bezögen und in diesem unter anderem Rechtschreibung und Zeichensetzung zu den allgemein vorausgesetzten Kompetenzen gehörten. Ein Anspruch auf Notenschutz folge selbst bei einem den Behinderungsbegriff erfüllenden Ausmaß der Legasthenie auch nicht aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, da sich hieraus ein originärer subjektiver Leistungsanspruch nicht ableiten lasse. Unmittelbar aus Art. 24 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention, BGBl 2008 II S. 1419) ergäben sich ebenfalls keine entsprechenden Rechte. Schließlich sehe die geltende Erlasslage in gewissem Umfang eine differenzierte Bewertung vor und eröffne einen pädagogischen Bewertungsspielraum, der eine einzelfallgerechte Berücksichtigung des Erscheinungsbildes der Legasthenie ermögliche. Es sei nicht ersichtlich, dass bei der Bewertung der den beanstandeten Kursnoten zugrunde liegenden Deutschklausuren hiervon in willkürlicher Weise abgewichen worden sei.

9

bb) Auch das Feststellungsinteresse habe das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht verneint. Ein Rehabilitationsinteresse könne nicht bejaht werden, da von den Einzelnoten und der Durchschnittsnote des Abiturzeugnisses keine den Beschwerdeführer in seiner Persönlichkeit diskriminierende Wirkung ausgehe. Die Bewertung im Fach Deutsch in der Jahrgangsstufe 12 könne für sich gesehen nicht als diskriminierend angesehen werden, zumal sich die begehrte Anhebung nicht auf die Durchschnittsnote auswirken würde. Hinsichtlich anderer Einzelnoten habe der Beschwerdeführer nicht näher dargelegt, welche Punktzahl er für angemessen halte. Soweit er sein Feststellungsbegehren auf eine beabsichtigte Amtshaftungsklage stütze, habe das Verwaltungsgericht zu Recht darauf abgestellt, dass eine solche mangels Verschuldens offensichtlich aussichtslos sei.

10

2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 19 Abs. 4 GG, aus Art. 3 Abs. 1 und 3 GG in Verbindung mit der UN-Behindertenrechtskonvention sowie aus Art. 12 GG und führt dies näher aus. Insbesondere rügt er, das Ausgangsgericht habe zu keinem Zeitpunkt in einem ordentlichen Hauptsacheverfahren durch Beweisaufnahme geprüft, welche Maßnahmen notwendig gewesen seien, um die behinderungsbedingten Nachteile auszugleichen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei es aber uneingeschränkt gerichtlich überprüfbar, ob ein in Prüfungen gewährter Nachteilsausgleich die Störung vollständig ausgeglichen habe, was gegebenenfalls mit Hilfe von Sachverständigen zu ermitteln sei (Hinweis auf BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 21. Dezember 1992 - 1 BvR 1295/90 -, NJW 1993, S. 917 <918>). Das Oberverwaltungsgericht habe zudem verkannt, dass er durch die Anlegung desselben Leistungsbemessungsmaßstabs wie bei seinen nicht behinderten Mitschülern in einem Bereich, in dem er aufgrund seiner Funktionsstörung nicht gleichermaßen leistungsfähig sein könne, benachteiligt worden sei. Aus fachärztlicher Sicht habe er in allen Fächern zusätzlich 25 % der üblichen Bearbeitungszeit benötigt, um die gleichen Chancen bei der Bearbeitung der anstehenden Aufgaben zu haben. Ein reiner Nachteilsausgleich führe, auch wenn er den Verzicht auf die Benotung der Rechtschreibung beinhalte, keineswegs zu einer Beeinträchtigung der Chancengleichheit nichtbehinderter Mitschüler. Dadurch, dass es das Oberverwaltungsgericht versäumt habe, seine willkürliche Entscheidung aus dem Eilverfahren im Berufungszulassungsverfahren zu korrigieren, nehme es ihm die Möglichkeit der Rehabilitation und verschärfe damit die bereits erfolgte Diskriminierung. Damit werde zudem eine Amtshaftungsklage bewusst ausgeschlossen und würden legasthene Schüler in Niedersachsen im Ergebnis rechtlos gestellt.

11

3. Die Verfassungsbeschwerde ist dem Niedersächsischen Justizministerium und der Beklagten des Ausgangsverfahrens, der vormaligen Schule des Beschwerdeführers, zugestellt worden. Diese haben von einer Stellungnahme abgesehen. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen der Kammer vor.

II.

12

1. Die Kammer nimmt die zulässige Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG; vgl. BVerfGE 90, 22 <25>). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist danach offensichtlich begründet.

13

2. Die Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht wird der verfassungsrechtlichen Verbürgung effektiven Rechtsschutzes nicht gerecht.

14

a) Das Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet zwar keinen Anspruch auf die Errichtung eines bestimmten Instanzenzuges (vgl. BVerfGE 104, 220 <231>; 125, 104 <136 f.>; stRspr). Hat der Gesetzgeber jedoch mehrere Instanzen geschaffen, darf der Zugang zu ihnen nicht in unzumutbarer und durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 104, 220 <232>; 125, 104 <137>; stRspr). Das Gleiche gilt, wenn das Prozessrecht - wie hier die §§ 124, 124a VwGO - den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit gibt, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten (vgl. BVerfGE 125, 104 <137>). Aus diesem Grund dürfen die Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe nicht derart erschwert werden, dass sie auch von einem durchschnittlichen, nicht auf das gerade einschlägige Rechtsgebiet spezialisierten Rechtsanwalt mit zumutbarem Aufwand nicht mehr erfüllt werden können und die Möglichkeit, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten, für den Rechtsmittelführer leerläuft. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, sondern in entsprechender Weise für die Auslegung und Anwendung der Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO selbst (vgl. BVerfGE 125, 104 <137>). Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes unvereinbar ist eine Auslegung und Anwendung des § 124 Abs. 2 VwGO danach dann, wenn sie sachlich nicht zu rechtfertigen ist, sich damit als objektiv willkürlich erweist und den Zugang zur nächsten Instanz unzumutbar erschwert (vgl. BVerfGE 125, 104 <137>; 134, 106 <117 f. Rn. 34>).

15

b) Das Oberverwaltungsgericht hat durch seine Handhabung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO den Zugang zur Berufungsinstanz in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise verengt und dadurch das Gebot effektiven Rechtsschutzes verletzt.

16

aa) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind immer schon dann begründet, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfGE 125, 104 <140>). Dies hat der Beschwerdeführer getan. Er hat aufgezeigt, dass das Verwaltungsgericht seinen Verpflichtungsantrag rechtsfehlerhaft als unzulässig behandelt hat und die angenommene Unzulässigkeit der Feststellungsanträge betreffend den Notenschutz und den Umfang des ihm zustehenden Nachteilsausgleichs aus Subsidiaritätsgründen zumindest ernstlichen - vom Oberverwaltungsgericht selbst näher aufgezeigten - Zweifeln begegnet. Das Oberverwaltungsgericht hat mit einer verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Begründung gleichwohl die Berufung nicht zugelassen.

17

bb) Es begegnet zwar keinen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn das Berufungsgericht bei der Überprüfung des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) auf andere rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte abstellt als das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen seines Urteils und wenn es - soweit rechtliches Gehör gewährt ist - die Zulassung der Berufung deshalb ablehnt, weil sich das Urteil aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig erweist. Es widerspricht jedoch sowohl dem Sinn und Zweck des dem Berufungsverfahren vorgeschalteten Zulassungsverfahrens als auch der Systematik der in § 124 Abs. 2 VwGO geregelten Zulassungsgründe und kann den Zugang zur Berufung in sachlich nicht mehr zu rechtfertigender Weise einschränken, wenn das Berufungsgericht auf andere Gründe entscheidungstragend abstellt als das Verwaltungsgericht, die nicht ohne Weiteres auf der Hand liegen und deren Heranziehung deshalb über den mit Blick auf den eingeschränkten Zweck des Zulassungsverfahrens von ihm vernünftigerweise zu leistenden Prüfungsumfang hinausgeht (vgl. BVerfGE 134, 106 <119 f. Rn. 40>; siehe auch BVerwG, Beschluss vom 10. März 2004 - BVerwG 7 AV 4.03 -, NVwZ-RR 2004, S. 542 <543>).

18

Dass dem Beschwerdeführer vor Erlass der angegriffenen Entscheidung im Hinblick auf die neue Begründung des Oberverwaltungsgerichts im Berufungszulassungsverfahren rechtliches Gehör gewährt worden wäre, lässt sich den beigezogenen Akten des Ausgangsverfahrens nicht entnehmen. Darüber hinaus lagen die Voraussetzungen für einen Austausch der Begründung hiernach auch nicht vor.

19

(1) Hinsichtlich der auf den Notenschutz bezogenen Klageanträge ergibt sich dies schon daraus, dass das Oberverwaltungsgericht die angenommene inhaltliche Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils auf Gründe stützt, denen ihrerseits grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zukommt. Denn die Heranziehung von Erwägungen mit Grundsatzbedeutung zur Ablehnung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel verkürzt den vom Gesetzgeber für Fragen von grundsätzlicher Bedeutung vorgesehenen Rechtsschutz im Berufungsverfahren in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise (vgl. BVerfGK 10, 208 <213 f. m.w.N.>).

20

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtsfrage immer dann, wenn es maßgebend auf eine konkrete, über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage ankommt, deren Klärung im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts geboten erscheint. Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO entspricht danach weitgehend dem der grundsätzlichen Bedeutung in der revisionszulassungsrechtlichen Bestimmung des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (vgl. BVerfGK 10, 208 <214>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. September 2009 - 1 BvR 814/09 -, NJW 2009, S. 3642 <3643>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. August 2011 - 1 BvR 1764/09 -, NVwZ-RR 2011, S. 963 <964>).

21

Nach diesen Maßstäben kam der vom Oberverwaltungsgericht verneinten Frage, ob der Beschwerdeführer im Hinblick auf seine Legasthenie so genannten Notenschutz in Form der Nichtbewertung der Rechtschreibung verlangen konnte, grundsätzliche Bedeutung zu. Denn ihre Beantwortung hat Bedeutung weit über den Einzelfall des Beschwerdeführers hinaus und betrifft den Umfang des verfassungsrechtlich sowohl unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit im Prüfungsrecht (BVerfGE 52, 380 <388>) als auch des Benachteiligungsverbots gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG (BVerfGE 96, 288<301 ff.>) bestehenden Anspruchs auf behinderungsbezogenen Nachteilsausgleich (zu der namentlich aus den verfassungsrechtlichen Bezügen abgeleiteten Grundsatzbedeutung der Rechtmäßigkeit der Bemerkung der Nichtberücksichtigung von Rechtschreibleistungen im Abiturzeugnis vgl. BayVGH, Urteile vom 28. Mai 2014 - 7 B 14.22 u.a. -, juris, Rn. 27). Die umstrittene Frage des Umfangs des Nachteilsausgleichs, der an Legasthenie leidenden Schülern zusteht, war zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts noch nicht höchstrichterlich geklärt. Erst im Jahr 2015 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass aus dem Gebot der Chancengleichheit nur Ansprüche auf Änderung der Prüfungsbedingungen (Nachteilsausgleich), nicht aber solche auf Änderung des Maßstabs der Leistungsbewertung (Notenschutz) abgeleitet werden könnten (BVerwGE 152, 330). Hiergegen sind beim Bundesverfassungsgericht mittlerweile Verfassungsbeschwerden anhängig (Az. 1 BvR 2577/15, 1 BvR 2578/15 und 1 BvR 2579/15), über die noch nicht entschieden ist.

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Das Oberverwaltungsgericht konnte die Nichtzulassung der Berufung wegen inhaltlicher Richtigkeit daher hierauf nicht stützen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der flankierenden Erwägungen, im Fach Deutsch gehörten Rechtschreibung und Zeichensetzung gerade zu den allgemein vorausgesetzten Kompetenzen und der Schutz des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG beschränke sich auf seine Funktion als Abwehrrecht. Gleiches gilt für den Hinweis auf den nach den einschlägigen schulrechtlichen Ausführungsbestimmungen bestehenden pädagogischen Spielraum. Ob die erfolgten Abwertungen unter Berücksichtigung des Spielraums der Behinderung des Beschwerdeführers hinreichend Rechnung trugen, wäre gegebenenfalls erst in einem Berufungsverfahren zu klären gewesen.

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(2) Auch mit Blick auf das (verneinte) Feststellungsinteresse verkürzt das Oberverwaltungsgericht die verfassungsrechtlich garantierten Zugangsmöglichkeiten zum Berufungsverfahren. Soweit es ausführt, es fehle an dem (vom Verwaltungsgericht insoweit nicht geprüften) Feststellungsinteresse, weil die Ausweisung der Deutschnoten in der Jahrgangsstufe 12 mit Blick auf deren Auswirkungen auf das Abiturergebnis keinen diskriminierenden Charakter hätten und der Beschwerdeführer hinsichtlich der anderen Einzelnoten schon nicht näher dargelegt habe, welche Punktzahl er für erforderlich halte, lagen diese Erwägungen nicht ohne Weiteres auf der Hand und überschritten den statthaften Prüfungsumfang im Berufungszulassungsverfahren. Inhaltlich liegen sie auch eher fern, weil der Beschwerdeführer dargelegt hat, dass die Feststellung, welche Noten er mit der von ihm für notwendig gehaltenen längeren Schreibzeitverlängerung in allen Fächern erreicht hätte, im Nachhinein nicht möglich ist. Gerade deswegen blieb ihm aber nur die Möglichkeit eines Feststellungsantrags, um eine in den erreichten Noten gegebenenfalls fortwirkende Benachteiligung durch einen entsprechenden Feststellungsausspruch zu beseitigen. In der fachgerichtlichen Rechtsprechung ist im Übrigen geklärt, dass sich das notwendige Feststellungsinteresse in einer solchen Situation bereits aus der Geltendmachung einer fortdauernden faktischen Grundrechtsbeeinträchtigung ergeben kann (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 27. Mai 2014 - BVerwG 1 WB 59.13 -, juris, Rn. 20; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 113 Rn. 146 m.w.N.), die hier insbesondere im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG gerügt wird.

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3. Auf die Beantwortung der weiteren vom Beschwerdeführer aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen kommt es nicht an, da der angegriffene Beschluss die Berufungszulassung behandelt und keine Entscheidung zur Sache enthält.

III.

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1. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts beruht auf dem Verfassungsverstoß. Er ist daher gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache ist an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.

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2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG und den Grundsätzen für die Festsetzung des Gegenstandswerts im verfassungsgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>; BVerfGK 20, 336 <337 ff.>).

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000‚- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 29. Oktober 2015 weiter, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und die Wirkungen der Ausweisung auf sieben (unter der Bedingung der Straffreiheit) bzw. auf neun Jahre ab Ausreise festgesetzt wurden; ferner wurde seine Abschiebung angeordnet bzw. angedroht.

Der zulässige Antrag ist nicht begründet; der als Grund für eine Zulassung allein geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegt nicht vor.

Anlass der Ausweisung waren mehrere Verurteilungen wegen des Besitzes kinderpornographischer Schriften, der Verbreitung kinderpornographischer Schriften und des sexuellen Missbrauchs von Kindern, weshalb der Kläger derzeit eine nachträglich gebildete Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 8 Monaten verbüßt. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem Urteil vom 20. September 2016 abgewiesen, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vom Kläger nach dem Maßstab des § 53 Abs. 1 und Abs. 3 AufenthG die Gefahr der Begehung erneuter gravierender Straftaten nach wie vor gegenwärtig bestehe und nach der erforderlichen Interessenabwägung die Ausweisung für die Wahrung dieses Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich sei.

Der Kläger rügt als Verfahrensmangel im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO einen Verstoß des Verwaltungsgerichts gegen den Amtsermittlungsgrundsatz. Dieses habe versäumt aufzuklären, „ob vom Kläger derzeit noch eine besonders schwere Gefahr für die Sicherheit und Ordnung ausgeht, vom Kläger nach erfolgreichem Abschluss der Therapie eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, nach Abschluss der Therapie ein Rückfallrisiko vorliegt, der Kläger therapiewillig und therapiefähig ist und mit welcher voraussichtlichen Behandlungsdauer gerechnet werden muss und ob die Behandlung nach Ablauf der verbleibenden Haftzeit engmaschig extern weitergeführt werden könnte“. Den Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zu diesen Fragen habe das Verwaltungsgericht in der Sitzung am 20. September 2016 abgelehnt, da das Gericht auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abgestellt und zu diesem Zeitpunkt eine Wiederholungsgefahr bejaht habe, weil eine abgeschlossene Therapie noch gar nicht vorliege. Die Äußerung der Justizvollzugsanstalt vom 13. September 2016 sei kein aussagekräftiges fachärztliches Attest. Weil der Kläger unter die privilegierte Personengruppe des § 53 Abs. 3 AufenthG falle, hätte im Rahmen der Abwägung des besonders schweren Bleibeinteresses des Klägers gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG mit dem Ausweisungsinteresse auch in Anbetracht der Tatsache, dass der Kläger mittlerweile in der Haft eine Sexualtherapie begonnen habe, fachärztlich abgeklärt werden müssen, ob tatsächlich eine Rückfallgefahr vorliegt. Denn wäre fachärztlich festgestellt worden, dass der Kläger nunmehr fertig therapiert sei, dann wäre wohl die Abwägung für ihn positiv ausgefallen.

Damit ist aber kein Verfahrensfehler dargelegt. Das Verwaltungsgericht hat weder seine Aufklärungspflicht verletzt noch sonst den Beweisantrag zu Unrecht abgelehnt.

Die Frage, „ob vom Kläger derzeit noch eine besonders schwere Gefahr für die Sicherheit und Ordnung ausgeht“, ist eine Rechtsfrage, die vom Verwaltungsgericht selbst zu beantworten ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben nämlich Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 34; BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18).

Bei der Prognoseentscheidung zur Wiederholungsgefahr bewegt sich das Gericht regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die Gerichten allgemein zugänglich sind. Gerade die Frage der Wiederholungsgefahr nach strafrechtlichen Verurteilungen kann daher grundsätzlich von den Gerichten ohne Zuziehung eines Sachverständigen beurteilt werden (stRspr des Senats: BayVGH, B.v. 18.3.2015 – 1 C 14.2655 – juris Rn. 22 m.w.N.; B.v. 13.10.2017 – 10 ZB 17.1469 – juris Rn. 11). Nur ausnahmsweise bedarf es der Zuziehung eines Sachverständigen, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände – etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen – nicht ohne spezielle fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 5). Im Übrigen kann auch ein Sachverständigengutachten die Prognoseentscheidung des Tatrichters nicht ersetzen, sondern nur Hilfestellung bieten (BVerwG, U.v. 13.3.2009 – 1 B 20.08 – juris Rn. 5).

Im vorliegenden Fall hat der Kläger aufgrund seiner Verurteilungen den Tatbestand eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erfüllt; es war deshalb zu prüfen, ob die vom Kläger ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbestand (BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 26). Das Verwaltungsgericht hat seine (negative) Prognose wesentlich darauf gestützt, dass zum Zeitpunkt seiner Entscheidung „noch nicht einmal ansatzweise eine abgeschlossene Therapie“ vorliege, „die jedoch Voraussetzung für das Entfallen einer Wiederholungsgefahr wäre“ (UA S. 12). Es stützt sich dabei unter anderem auf den Bericht der Justizvollzugsanstalt vom 13. September 2016 – also nur wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung –, in dem es heißt: „Er hat in der Deliktgruppe bereits seine Biographie vorgestellt und hat begonnen, seine verschiedenen Delikte in der Einzeltherapie aufzuarbeiten. Wesentliche Bestandteile der Deliktarbeit stehen jedoch noch aus, weswegen es dem Gefangenen auch noch nicht möglich ist, seine grundsätzlichen deliktischen Motive zu erkennen, Risikofaktoren herauszuarbeiten und alternative Verhaltensänderungen vorzunehmen. Auch die Erstellung eines Rückfallvermeidungsplanes steht noch aus.“ In Anbetracht dieser Tatsachengrundlage gab es für das Verwaltungsgericht keinerlei Anlass, durch ein (fachärztliches) Sachverständigengutachten weiter klären zu lassen, ob der Kläger gleichwohl „nunmehr fertig therapiert“ sei, so dass von ihm keine relevante Gefahr der Begehung weiterer Straftaten mehr ausgeht.

Den Fragen, ob „vom Kläger nach erfolgreichem Abschluss der Therapie eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, nach Abschluss der Therapie ein Rückfallrisiko vorliegt, der Kläger therapiewillig und therapiefähig ist und mit welcher voraussichtlichen Behandlungsdauer gerechnet werden muss und ob die Behandlung nach Ablauf der verbleibenden Haftzeit engmaschig extern weitergeführt werden könnte“, brauchte das Verwaltungsgericht ebenfalls nicht durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nachgehen.

Bei der hier zu treffenden Gefahrenprognose hatte das Verwaltungsgericht von den zum Zeitpunkt seiner Entscheidung vorliegenden Umständen auszugehen; wie sich die Gefahrenprognose in einer ungewissen Zukunft darstellen könnte, ist insoweit unerheblich (BayVGH, B.v. 27.10.2017 – 10 ZB 17.993 – juris Rn. 16). Ob sich in der Zukunft die tatsächlichen Umstände ändern werden, insbesondere ob die begonnene Therapie in vollem Umfang erfolgreich sein wird, kann im Vorhinein auch durch ein Sachverständigengutachten nicht zuverlässig geklärt werden.

Dass der Kläger (nunmehr) therapiewillig und –fähig ist, hat das Verwaltungsgericht im Übrigen zu seinen Gunsten unterstellt und sowohl bei der Gefahrenprognose (UA S. 12) wie auch bei der Abwägung im Rahmen seines Bleibeinteresses (UA S. 14) gewürdigt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 10. April 2015 weiter, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und seine Abschiebung in die Türkei angeordnet bzw. bei nicht fristgerechter Ausreise nach Haftentlassung angedroht wurde. Das Verwaltungsgericht hat mit dem Urteil vom 29. September 2015 zwar die in dem Bescheid ebenfalls enthaltene Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung aufgehoben, die Klage aber im Übrigen abgewiesen.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Hinsichtlich der noch im Schriftsatz vom 16. Oktober 2015 aufgeführten weiteren Zulassungsgründe gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 bis 5 VwGO hat der Kläger zur Begründung nichts mehr vorgetragen.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne dieser Bestimmung bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11; BVerfG, B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.

1. Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisung des Klägers auf der Grundlage der §§ 53 ff. AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung (a.F.) für rechtmäßig erachtet.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen einer zwingenden Ausweisung nach § 53 Nr. 1 AufenthG (a.F.) seien wegen der rechtskräftigen Verurteilungen des Klägers erfüllt. Es brauche nicht abschließend geklärt zu werden, ob der Kläger als türkischer Staatsangehöriger ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht und damit den besonderen Ausweisungsschutz nach ARB 1/80 genieße, denn die von der Beklagten getroffene Ermessensentscheidung sei auch unter diesem Gesichtspunkt nicht zu beanstanden. Aufgrund des persönlichen Verhaltens des Klägers liege eine schwerwiegende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor, es bestehe eine gegenwärtige Gefahr weiterer Straftaten.

Die Ausweisung verstoße auch nicht gegen Art. 8 EMRK. Der Kläger könne als sog. faktischer Inländer nur unter besonderer Berücksichtigung des Schutzes des Art. 8 EMRK ausgewiesen werden, doch führe die vorzunehmende Abwägung aller Umstände des Einzelfalles zu dem Ergebnis, dass der Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens als gerechtfertigt und verhältnismäßig anzusehen sei.

2. Die Beurteilung, ob ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt, richtet sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ist daher zu berücksichtigen. Die Änderung der Sach- und Rechtslage ist allerdings grundsätzlich nur in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen relevant (Seibert in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl. 2014, § 124a Rn. 57; vgl. auch BVerwG, B.v. 15.12.2003 - 7 AV 2.03 - NVwZ 2004, 744).

Der Senat hat daher das verwaltungsgerichtliche Urteil vom 29. September 2015 unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens - mangels entgegenstehender Übergangsregelung - anhand der §§ 53 ff. AufenthG in der aktuell gültigen Fassung zu überprüfen. Eine - wie hier - nach altem Recht verfügte Ausweisung ist nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG in ihrer Neufassung am 1. Januar 2016 nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also gemäß der zentralen Ausweisungsnorm des § 53 Abs. 1 AufenthG der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

Wenn man - mit dem Verwaltungsgericht - zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass ihm ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/ Türkei zusteht, darf er gemäß § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

3. Mit seinem Vorbringen hat der Kläger die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Ausweisung sei rechtmäßig, gemessen an den nunmehr maßgeblichen Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung, im Ergebnis nicht ernsthaft im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Zweifel gezogen.

a) Soweit der Kläger geltend macht, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass es sich bei ihm um einen „assoziationsrechtlich privilegierten türkischen Staatsbürger“ handle, trifft dies so nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat diese Frage - mit der Bemerkung, dass für diese Rechtsstellung „einiges spricht“ - offengelassen, weil die getroffene Ermessensentscheidung auch diesen Anforderungen entspreche.

Dieses vom Verwaltungsgericht gefundene Ergebnis trifft auch unter Anwendung der §§ 53 bis 55 AufenthG in ihrer Neufassung weiterhin zu. Zunächst ist insoweit festzustellen, dass die vom Aufenthalt des Ausländers ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nunmehr im Rahmen der tatbestandlichen Voraussetzungen einer Ausweisung nach § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG zu prüfen ist.

b) Entgegen den Ausführungen in der Zulassungsbegründung und auch unter Berücksichtigung der seit dem erstinstanzlichen Urteil eingetretenen Entwicklungen ist auch unter Anwendung des § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG weiterhin davon auszugehen, dass von dem vom Kläger zu erwartenden persönlichen Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, ausgeht. Der Kläger hat diese Gefahrenprognose in seiner Zulassungsbegründung nicht durchgreifend in Frage gestellt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 33 m.w.N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 34; BVerwG, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris Rn. 18). Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden.

Im Fall des Klägers bestehen Gefahren für Rechtsgüter von hohem Rang, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren. Er ist wegen einer Vielzahl von Gewalt- und Eigentumsdelikten zuletzt mit Urteil vom 11. März 2013, unter Einbeziehung bereits früher verhängter Strafen, zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden.

Das Verwaltungsgericht hat in seiner Gefahrenprognose entscheidend darauf abgestellt, dass der Kläger seit seiner Jugend massiv strafrechtlich in Erscheinung getreten sei. Er sei bereits zehnmal strafrechtlich geahndet worden, unter anderem wegen Straftaten aus dem Bereich der Körperverletzungs- und Diebstahlsdelikte, und werde bei der Polizei als jugendlicher Intensivtäter geführt. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts wiegt schwer, dass sich bei ihm eine erschreckende Skrupellosigkeit und in den Taten zum Ausdruck kommende Aggressivität manifestiert habe, die er nicht aufzuarbeiten bereit sei. Er habe in der Vergangenheit wiederholt ohne vorangegangene Provokation andere Personen massiv geschlagen und verletzt. Das Amtsgericht sei schon in seinem Urteil vom 13. September 2012 nachvollziehbar zu der Erkenntnis gekommen, dass die Defizite des völlig haltlosen Angeklagten so gravierend seien, dass auf ihn im Rahmen des Strafvollzugs länger eingewirkt werden müsse. Das Strafvollstreckungsgericht habe mit Beschluss vom 9. März 2015 den Antrag auf Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung abgelehnt, da unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit eine vorzeitige Haftentlassung nicht verantwortet werden könne, insbesondere weil seine Sucht- und Gewaltproblematik nach wie vor nicht behandelt sei. Eine Behandlung der Delikts- und Persönlichkeitsproblematik habe aus disziplinarischen Gründen nach kurzer Zeit abgebrochen werden müssen. Er habe während der Haft an keinem Anti-Gewalt- oder Anti-Aggressions-Training teilgenommen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht habe er zwar angegeben, dass er dies nach Haftentlassung nachholen werde, die Kammer habe aber nicht zu der Überzeugung gelangen können, dass er therapiewillig sei. Es sei keine Einsichtsfähigkeit in sein Handeln erkennbar gewesen, sondern vielmehr die Tendenz, seine Straftaten zu bagatellisieren. Nach ihrem Eindruck in der mündlichen Verhandlung gehe die Kammer davon aus, dass sein Vorbringen, die Gewaltproblematik nach seiner Haftentlassung angehen zu wollen, unter dem Eindruck der drohenden Ausweisung und nicht aufgrund eigener Einsicht erfolgt sei. Es sei deshalb nicht zu erkennen, dass die Inhaftierung beim Kläger zu einer Verhaltensänderung geführt habe. Während seiner Inhaftierung sei er zwanzig Mal disziplinarisch gemaßregelt worden, unter anderem weil er gegenüber Mitgefangenen Gewalt ausgeübt habe. Der Kläger habe durch sein wiederholtes massives strafbares Verhalten gezeigt, dass die erzieherischen Maßnahmen des Jugendstrafrechts und auch die sozialtherapeutischen Maßnahmen während seiner Jugend nicht gefruchtet hätten. Die Prognose verschlechtere sich zudem dadurch, dass der Kläger noch keine Ausbildung begonnen habe. Er habe keine berufliche Perspektive für die Zeit nach seiner Haftentlassung. Zwar habe er in der Haft den „Grundlehrgang Bau“ abgeschlossen, sich jedoch nicht um einen Ausbildungsplatz nach der Haft bemüht. Die Kammer habe aufgrund der Gesamtumstände keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger seine Ankündigung in der mündlichen Verhandlung, sich nach seiner Haftentlassung um einen Ausbildungsplatz bemühen zu wollen, auch in die Tat umsetzen werde. Die Kammer könne nach alldem nicht erkennen, dass der Kläger ernsthaft gewillt und bemüht sei, sein Leben nach seiner Haftentlassung zu ändern. Es stehe aufgrund der fehlenden beruflichen Perspektive und der unbehandelten Gewaltproblematik zu befürchten, dass er erneut Straftaten, insbesondere Körperverletzungsdelikte, begehen werde. Die begangenen Taten offenbarten Persönlichkeitsdefizite, schädliche Neigungen und eine Rohheit gegenüber seinen Mitmenschen sowie einen mangelnden Respekt vor den Rechtsgütern anderer und der Rechtsordnung, so dass sich eine Wiederholungsgefahr für die Begehung weiterer Straftaten ergebe (UA S. 9-10).

Aus diesen Erwägungen des Verwaltungsgerichts ergibt sich überzeugend, dass das persönliche Verhalten des Klägers im Sinn des § 53 Abs. 3 AufenthG gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Mit seinem Vortrag in der Begründung des Zulassungsantrags konnte der Kläger dem nicht durchgreifend entgegentreten.

Der Kläger meint, die strafrechtlichen Ahndungen, die mit einer Verwarnung bzw. einer jugendrichterlichen Weisung geendet hätten, könnten weder isoliert noch in ihrer Gesamtheit eine Ausweisungsentscheidung rechtfertigen. Davon ist das Verwaltungsgericht auch nicht ausgegangen. Vielmehr hat es die gesamte strafrechtliche „Karriere“ des Klägers, mit ihren schnell aufeinander folgenden Straftaten schon ab der Strafmündigkeit und der sich steigernden Schwere der Straftaten, in seine Gefahrenprognose einbezogen.

Weiter bringt der Kläger vor, von der Beklagten und vom Verwaltungsgericht sei fehlerhaft nicht berücksichtigt worden, dass er „in seinen Kinder- und Jugendjahren unter der anerkannten Krankheit Hyperaktivität gelitten hat, welche ganz offensichtlich nicht adäquat behandelt wurde und den Kläger bis in den Strafvollzug hinein begleitet hat“. Zwar ergibt sich aus den Akten durchaus, dass beim Kläger in jungen Jahren Hyperaktivität diagnostiziert und mit Medikamenten behandelt wurde. Dass die Krankheit nicht adäquat behandelt worden und sie beim Kläger in späteren Jahren immer noch ausgeprägt gewesen sei, beruht jedoch nur auf Vermutungen des Bevollmächtigten; es ist auch nicht ersichtlich, warum dies die vielfachen Straftaten des Klägers entschuldigen oder die Gefahrenprognose relativieren könnte. Im Gegenteil ist mehrfach eine generelle Therapieunwilligkeit des Klägers dokumentiert, wie etwa im Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt vom 25. Februar 2015.

An der Gefahrenprognose ändert es auch nichts, dass nach seinem Vortrag die der Ausweisung zugrundeliegenden Verurteilungen innerhalb von nur neun Monaten erfolgt seien und die damit abgeurteilten Straftaten innerhalb von nur fünf Monaten stattgefunden hätten. Dass es sich bei den Verfehlungen lediglich um einen „isolierten Lebensabschnitt“ gehandelt hätte, kann daraus angesichts der seit Strafmündigkeit einsetzenden und sich steigernden Delinquenz des Klägers nicht abgeleitet werden.

Die Führungsberichte der Justizvollzuganstalt zeigen entgegen der Meinung des Klägers keine signifikante Besserung des „Bildes“ des Klägers, auch wenn sich angeblich ein Justizvollzugs-Bediensteter gegenüber dem Kläger anders geäußert haben soll.

Auch die erneut bekundete Absicht, sich nach der Haftentlassung um eine Ausbildung und/oder Arbeit zu bemühen und eine Anti-Gewalt-Therapie zu beginnen, sowie der Hinweis auf die enge Verbundenheit zu Eltern und Geschwistern können die Gefahrenprognose nicht erschüttern.

Die vom Kläger zunächst vertretene Ansicht, eine Suchtproblematik bestehe bei ihm nicht, hat er selbst wieder zurückgezogen, nachdem die von ihm eingeholte und mit Schreiben vom 3. Dezember 2015 vorgelegte Stellungnahme einer Suchtberatungsstelle vom 25. November 2015 das Gegenteil festgestellt hat.

Schließlich bestätigt aber die seit der Haftentlassung des Klägers am 13. November 2015 zu beobachtende Entwicklung der Geschehnisse eindrucksvoll die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts. Der Kläger wurde seither mehrfach wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, Leistungserschleichung, Diebstählen, Körperverletzungen sowie wegen Verstößen gegen Weisungen während der Führungsaufsicht auffällig. Wegen Leistungserschleichung wurde er am 31. Mai 2016 zu einer Geldstrafte von 80 Tagessätzen verurteilt. Bezüglich der Anklageschriften vom 28. September 2016 und 23. November 2016 jeweils wegen Verstößen gegen Weisungen während der Führungsaufsicht (§ 145a StGB) und vom 21. Oktober 2016 wegen zweier Diebstähle ist nach Aktenlage offenbar noch keine strafgerichtliche Entscheidung ergangen. Jedenfalls aber ist daraus zu erkennen, dass der Kläger nach seiner Haftentlassung keineswegs eine grundlegende Änderung seines Verhaltens vorgenommen hat.

c) Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass die Ausweisung für die Wahrung eines Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist. Unerlässlichkeit ist dabei nicht im Sinne einer „ultima ratio“ zu verstehen, sondern bringt den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für die Ausweisung von Unionsbürgern entwickelten Grundsatz zum Ausdruck, dass das nationale Gericht eine sorgfältige und umfassende Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen hat (BayVGH, B.v. 13.3.2017 - 10 ZB 17.226 - juris Rn. 6 ff. m.w.N.).

Die streitgegenständliche Ausweisung des Klägers ist weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG - allerdings nicht abschließend - aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK unverhältnismäßig.

Der Kläger bringt in seinem Zulassungsantrag vor, das Verwaltungsgericht sei fehlerhaft davon ausgegangen, dass er nicht über eine Aufenthaltserlaubnis verfüge. Jedoch besitze er die Rechtsstellung nach Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80, weshalb es keine Rolle spiele, dass seine (deklaratorische) Aufenthaltserlaubnis im Dezember 2012 abgelaufen sei.

Daraus ergeben sich jedoch auch unter dem Blickwinkel der Abwägung im Sinne von § 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Bewertung des Verwaltungsgerichts, die Ausweisung sei ermessensfehlerfrei und verhältnismäßig.

Wenn man zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass ihm tatsächlich ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 zusteht, führt dies dazu, dass sein Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (in entsprechender Anwendung; vgl. BayVGH, U.v. 28.3.2017 - 10 BV 16.1601 - juris Rn. 41) besonders schwer wiegt. Dem steht aber ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegenüber.

Bei der vorzunehmenden Abwägung ergibt sich auch aktuell eine Unerlässlichkeit der Ausweisung für die Wahrung des vom Kläger bedrohten Grundinteresses der Gesellschaft. Das Verwaltungsgericht hat bei der vom Kläger angegriffenen Entscheidung im Übrigen sämtliche entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte berücksichtigt, die auch in diese Interessenabwägung einzustellen sind, und sie im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise gewichtet. Es hat zutreffend ausgeführt, dass der Kläger zwar ein sog. faktischer Inländer ist, im Ergebnis aber die von ihm ausgehende Gefahr weiterer Straftaten von höherem Gewicht ist. Eine eigene Kernfamilie hat der Kläger nicht, zu seinen Eltern und Geschwistern besteht kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis. Dem Kläger sei es auch möglich und zumutbar, sich sprachlich und kulturell in der Türkei zu integrieren, zumal er Türkisch spreche.

Die Kostenentscheidung folgt nach alledem aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000, - Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 11. Januar 2017 weiter, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, seine Abschiebung in die Türkei aus der Haft oder der Unterbringung heraus angeordnet und für den Fall nicht fristgerechter Ausreise nach Haftentlassung angedroht wurde.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.). Die im weiteren geltend gemachten Zulassungsgründe der besonderen rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache und ihrer grundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO) sind bereits nicht dargelegt (§ 124a Abs. 4 S. 4 VwGO; 2.).

1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.

Das Verwaltungsgericht hat die Abweisung der Klage gegen die Ausweisungsverfügung vom 11. Januar 2017 darauf gestützt, dass das persönliche Verhalten des Klägers auch gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre und seine Ausweisung zur Wahrung dieses Interesses unerlässlich sei (§ 53 Abs. 3 AufenthG). Der weitere Aufenthalt des Klägers gefährde die öffentliche Sicherheit und Ordnung, weil er schwere Straftaten begangen habe. Das Verwaltungsgericht bezog sich dabei auf eine Reihe von Verurteilungen wegen Gewalt- und Betäubungsmitteldelikten, so insbesondere durch Urteil des LG München I vom 7. Oktober 2011 zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren 6 Monaten und Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, beides am 5. Juni 2013 ausgesetzt zur Bewährung bis 11. Juli 2018, sowie durch weiteres Urteil desselben Gerichts vom 22. Februar 2016 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren 6 Monaten (unter Einbeziehung der erstgenannten Verurteilung) u.a. wegen bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Das Verwaltungsgericht bezieht sich dabei auf Einzelheiten der Tatbegehung. Der bisherige positive Verlauf der Entziehungstherapie, wie er in der Stellungnahme der kbo vom 29. Mai 2017 dargestellt werde, relativiere die Wiederholungsgefahr nicht entscheidend; der Kläger habe sich jedenfalls noch nicht unter den realen Bedingungen eines Lebens in Freiheit für einen längeren Zeitraum straffrei bewährt. Die Ausweisung sei auch nicht unverhältnismäßig, weil das Ausweisungsinteresse angesichts des unsicheren Therapieerfolgs trotz der Verwurzelung des Klägers im Bundesgebiet und seiner weitgehenden Entwurzelung hinsichtlich der Türkei seine Bleibeinteressen überwiege.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne dieser Bestimmung bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11; BVerfG, B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - juris Rn. 16). Seine Ausführungen vermögen jedoch keine ernstlichen Zweifel in diesem Sinne zu begründen.

1.1 Der Kläger trägt vor, das Verwaltungsgericht gehe zu Unrecht von einem Fortbestand der Wiederholungsgefahr aus. Es übersehe die in der Stellungnahme vom 29. Mai 2017 dokumentierten Fortschritte des Klägers, die er in der Therapie während seiner Unterbringung gemacht habe. Es seien weder „Lockerungsmissbräuche“

geschehen noch lägen auffällige Drogen- oder Alkoholtests vor. Der Kläger habe inzwischen die Lockerungsstufe D erreicht, die es ihm erlaube, ab und an außerhalb der Einrichtung bei seiner Mutter zu nächtigen. Er arbeite schon seit 3. August 2017– zur Zufriedenheit des Arbeitgebers – als Hausmeister bei einer Gebäudetechnik-Firma außerhalb der Einrichtung und damit „nicht mehr im geschützten Rahmen“, ohne dass es zu neuen Straftaten gekommen sei. Es sei nach dem Bericht vom 29. Mai 2017 davon auszugehen, dass der Kläger „seine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen“ und damit auch die Erwartung eines künftigen drogen- und straffreien Lebens glaubhaft gemacht habe.

Mit seinem Vorbringen hat der Kläger die Bewertung des Verwaltungsgerichts, von ihm gehe auch weiterhin eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, nicht ernsthaft in Zweifel gezogen.

Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass an die Qualität der erforderlichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erhöhte Anforderungen zu stellen sind, wenn dem Ausländer – wie hier – ein Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) zusteht. Denn er darf nach § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung zur Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (vgl. BayVGH, U.v. 28.3.2017 – 10 BV 16.1601 – juris Rn. 31). Weiterhin hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats (z.B. B.v. 3.5.2017 – 10 ZB 15.2310 – juris Rn. 14) die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen haben. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftaten, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist.

Bei Anlegung dieser Maßgaben und vor dem Hintergrund des Zulassungsvorbringens kann im Rahmen der zu treffenden Prognoseentscheidung nicht von einem Entfallen der Wiederholungsgefahr ausgegangen werden. Das vom Kläger in der Strafhaft (seit Mai 2015) und während der sich ab 9. August 2016 laufenden Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gezeigte Wohlverhalten und die für eine Verhaltensänderung sprechenden positiven Ansätze haben nur begrenzte Aussagekraft für sein Verhalten nach der Haftentlassung, weil er unter der Kontrolle der Therapieeinrichtung und unter dem Druck des Ausweisungsverfahrens stand und steht. Ein positives Verhalten in der Haft oder Unterbringung lässt nach ständiger Rechtsprechung des Senats noch nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung schließen, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen könnte (vgl. BayVGH, B.v. 19.5.2015 – 10 ZB 15.331 – juris Rn. 7 m.w.N.; B.v. 13.10.2017 – 10 ZB 17.1469 – juris Rn. 12). Vor diesem Hintergrund rechtfertigt auch der Umstand, dass sich der Kläger im Zeitpunkt dieses Beschlusses offenbar in der höchsten Lockerungsstufe (D) befindet, weshalb er außerhalb der Therapieeinrichtung einer Arbeit nachgeht sowie zu „Übernachtungsurlauben“ berechtigt ist, noch keine günstigere Gefahrenprognose.

Zwar bescheinigt die Stellungnahme der Therapieeinrichtung (kbo vom 29. Mai 2017) dem Kläger eine durchwegs positive Entwicklung (Therapiemotivation, Nachreifung der Persönlichkeit, Durchhaltevermögen). Dennoch heißt es in der zusammenfassenden Bewertung, dass „durch die Behandlung der Sucht und weitere Stabilisierung der Persönlichkeitsstruktur die Wiederholungsgefahr für erneute Delinquenz verringert werden“ könne und von „einer eher günstigen Behandlungsprognose aufgrund der… Therapie- und Abstinenzmotivation auszugehen“ sei. Diese zurückhaltenden Formulierungen belegen, dass vom Kläger – würde er ohne Hilfe der schützenden und kontrollierenden Hand der Therapieeinrichtung sein Leben gestalten müssen – nach wie vor die Gefahr der Begehung neuerlicher Straftaten ausgeht.

Es kommt hinzu, dass er zwar eine erste Drogentherapie in einer Entziehungseinrichtung gemäß § 64 StGB (Oktober 2011 bis Juni 2013) zunächst erfolgreich beendet hatte, woraufhin seine Reststrafe für fünf Jahre zur Bewährung ausgesetzt und die erste, mit Bescheid vom 16. Juli 2013 ausgesprochene Ausweisung im damaligen verwaltungsgerichtlichen Verfahren aufgehoben wurde; der Kläger wurde allerdings nach wenigen Monaten rückfällig, beging erneut Straftaten, die den Hintergrund des vorliegenden Streitverfahrens bilden, und konnte somit die in ihn gesetzte Erwartung, die Bewährungszeit straffrei zu überstehen, nicht rechtfertigen. Auf diesen auch für das Verwaltungsgericht zentralen Aspekt seiner Entscheidung geht die Zulassungsbegründung nicht ein, obwohl er weitere Zweifel an der Behauptung aufwirft, der Kläger werde nach Therapieabschluss ein straffreies Leben führen können. Gegen ein Entfallen der Wiederholungsgefahr spricht schließlich, dass der Kläger, der weder einen Schul- noch einen Ausbildungsabschluss besitzt, bisher niemals einer länger andauernden Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, sieht man einmal von einer einjährigen Beschäftigung in einem Lebensmittelmarkt unmittelbar nach Ende der Schulzeit ab (vgl. Stellungnahme d. kbo v. 29.5.2017, S. 2). Die schlechten Chancen für eine berufliche Integration auf dem freien Arbeitsmarkt wirken sich im Rahmen der Gefahrenprognose ebenfalls negativ aus.

1.2 Weiterhin trägt der Kläger zur Begründung ernstlicher Zweifel am angefochtenen Urteil vor, das Verwaltungsgericht habe seinen Status als faktischer Inländer „nicht geprüft und bedacht“ und daher sein besonders schutzwürdiges Bleibeinteresse „nicht ausreichend gewürdigt“. Die Abschiebung in ein Land, in dem seine für die Straftaten verantwortliche Drogensucht nicht ausgelöst worden sei, sei rechtswidrig. Es bestünden Anhaltspunkte dafür, dass die Ausweisung Art. 8 EMRK verletze. In diesem Zusammenhang seien insbesondere der langjährige Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet, seine fehlende kulturelle und familiäre Bindung zur Türkei und das Nichtbeherrschen der türkischen Sprache zu nennen. Diese Umstände seien zu Unrecht geringer gewichtet worden als die schwerwiegenden Straftaten.

Diese Ausführungen begründen ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils, denn sie stellen weder einen einzelnen tragenden Rechtssatz noch eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage. Das Ergebnis der Abwägungsentscheidung des Verwaltungsgerichts ist nicht zu beanstanden. Es hat deutlich gemacht, dass der Kläger aufgrund der seit Jahren bestehenden Betäubungsmittelabhängigkeit und der damit in Zusammenhang stehenden Straffälligkeit, der Schwere der Straftaten sowie der Tatausführungen immer noch eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, so dass seine aufgrund der Stellung als faktischer Inländer bestehenden Bleibeinteressen hinter das öffentliche Interesse an seiner Ausreise zurücktreten müssen. Auch die Schwierigkeiten, die dem Kläger im Falle seiner Übersiedelung in die Türkei dort begegnen werden, hat das Verwaltungsgericht thematisiert, ohne ihnen ein ausschlaggebendes Gewicht zuzumessen. Somit geht der Vorwurf an das Erstgericht, es habe die Verwurzelung des Klägers im Bundesgebiet und damit seine Stellung als faktischer Inländer nicht oder zumindest nicht ausreichend gewürdigt, ins Leere; es hat lediglich nicht die vom Kläger geforderte Abwägungsentscheidung getroffen. Die Annahme der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung wird mit dem Vorbringen nicht ernstlich in Zweifel gezogen.

2. Der Kläger führt im Zulassungsantrag weiter aus, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 22. Juni 2017 sei zuzulassen, weil zudem die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO vorlägen. In der Begründung des Zulassungsantrags fehlen jedoch jegliche Darlegungen zu diesen Zulassungsgründen; dem Vorbringen lässt sich auch nicht entnehmen, worin die besonderen rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache liegen sollen oder welche Frage von grundsätzlicher Bedeutung zu klären ist. Damit sind diese Gründe bereits nicht dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).

3. Der Antrag auf Zulassung der Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, 3 und § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 29. April 2016 weiter, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sieben Jahre (unter der Bedingung der Straf- und Drogenfreiheit) bzw. auf neun Jahre befristet und seine Abschiebung in die Türkei angeordnet bzw. bei nicht fristgerechter Ausreise nach Haftentlassung angedroht wurde.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne dieser Bestimmung bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.

1. Die Einwendungen gegen die durch das Verwaltungsgericht vorgenommene Gefahrenprognose greifen nicht durch.

Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass der Kläger seit 2004 kontinuierlich Straftaten begangen habe, die sowohl gegen Vermögenswerte als auch gegen die körperliche Unversehrtheit anderer Personen gerichtet gewesen seien und die Prognose der fortbestehenden Gefährlichkeit des Klägers im Sinne von § 53 Abs. 1 und Abs. 3 AufenthG rechtfertigten, und insoweit gemäß § 117 Abs. 5 VwGO auf die entsprechenden Ausführungen in dem streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen. Sodann geht es ausführlich auf den vom Kläger vorgelegten Bericht der Therapieeinrichtung, in der der Kläger untergebracht war, vom 22. Februar 2017 ein und kommt zu dem Ergebnis, dass sich an dieser Einschätzung auch unter Berücksichtigung der seit Bescheidserlass eingetretenen Entwicklung nichts geändert habe (UA S. 15-17).

Der Kläger bringt zur Begründung seines Zulassungsantrages mit Schriftsatz vom 22. August 2017 hiergegen vor, von ihm gehe keine erhebliche konkrete Gefahr mehr aus. Seine Therapie sei mittlerweile abgeschlossen; nach dem abschließenden Gutachten der Therapieeinrichtung vom 22. Juni 2017 sei Sinn und Zweck der Maßregel erfüllt und vom Kläger gehe nach abgeschlossener stationärer Therapie eine konkrete Gefahr für Dritte nicht aus. Dementsprechend habe die zuständige Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 17. Juli 2017 die Vollstreckung der weiteren Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und des Restes der Freiheitsstrafe ab 20. Juli 2017 zur Bewährung ausgesetzt.

Damit hat der Kläger die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts jedoch nicht ernsthaft im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Zweifel gezogen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats (z.B. B.v. 8.11.2017 – 10 ZB 16.2199 – juris Rn. 6 f.; B.v. 3.5.2017 – 10 ZB 15.2310 – juris Rn. 14) haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden.

Einer Strafaussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer – und gegebenenfalls den dieser zugrunde liegenden Gutachten und sonstigen Stellungnahmen, etwa der Justizvollzugsanstalt oder der Therapieeinrichtung – kommt zwar eine erhebliche indizielle Bedeutung zu. Die Ausländerbehörde und die Verwaltungsgerichte sind für die Frage der Beurteilung der Wiederholungsgefahr daran aber nicht gebunden; dabei bedarf es jedoch einer substantiierten Begründung, wenn von der strafgerichtlichen Entscheidung abgewichen wird (BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 21). Hier ist zu berücksichtigen, dass vorzeitige Haftentlassung und Ausweisung unterschiedliche Zwecke verfolgen und deshalb unterschiedlichen Regeln unterliegen: Bei Aussetzungsentscheidungen nach § 57 StGB oder – wie hier – nach § 67d Abs. 2 StGB geht es um die Frage, ob die Wiedereingliederung eines in Haft befindlichen Straftäters weiter im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit ggf. unter Auflagen „offen“ inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann. Bei dieser Entscheidung stehen naturgemäß vor allem Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund; zu ermitteln ist, ob der Täter das Potenzial hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Demgegenüber geht es bei der Ausweisung um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers getragen werden muss. Die der Ausweisung zu Grunde liegende Prognoseentscheidung bezieht sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es geht hier um die Beurteilung, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen. Bei dieser längerfristigen Prognose kommt dem Verhalten des Ausländers während der Haft und nach einer vorzeitigen Haftentlassung zwar erhebliches tatsächliches Gewicht zu. Dies hat aber nicht zur Folge, dass mit einer strafrechtlichen Aussetzungsentscheidung ausländerrechtlich eine Wiederholungsgefahr zwangsläufig oder zumindest regelmäßig entfällt. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Täter im entscheidungserheblichen Zeitpunkt auf tatsächlich vorhandene Integrationsfaktoren verweisen kann; das Potenzial, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen, ist nur ein solcher Faktor, genügt aber für sich genommen nicht (BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 10 C 10/12 – juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 6.6.2017 – 10 ZB 17.588 – juris Rn. 5; B.v. 4.4.2017 – 10 ZB 15.2062 – juris Rn. 20 f.).

Gerade bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (siehe z.B. BayVGH, B.v. 7.11.2016 – 10 ZB 16.1437 – juris Rn. 7; BayVGH, U.v. 3.2.2015 – 10 B 14.1613 – juris Rn. 32 mw.N.). Denn solange sich der Ausländer nicht außerhalb des Strafbzw. Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (BavVGH, B.v. 13.10.2017 – 10ZB 17.1469 – juris Rn. 12; B.v. 6.5.2015 – 10 ZB 15.231 – juris Rn. 11).

Im vorliegenden Fall ist der Kläger am 20. Juli 2017 entlassen worden. Die Dauer der Bewährungszeit und der Führungsaufsicht wurde durch den Beschluss der Strafvollstreckungskammer auf jeweils fünf Jahre festgesetzt. Die seither verstrichene Zeit ist damit allein noch nicht geeignet, eine künftige straffreie Lebensführung glaubhaft zu machen. Hinzu kommt, dass gegen den Kläger inzwischen bereits zwei weitere Anklageschriften wegen des Vorwurfs der Körperverletzung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch in Tateinheit mit Sachbeschädigung (Vorfall vom 3.10.2017) sowie wegen des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (Vorfall vom 14.10.2017) vorliegen. Auch wenn der Ausgang dieser Strafverfahren noch nicht feststeht, belegen sie jedenfalls, dass eine Prognose, dass vom Kläger nunmehr keine konkrete Gefahr der Begehung weiterer erheblicher Straftaten im Sinne des § 53 Abs. 3 AufenthG mehr ausgeht, derzeit nicht getroffen werden kann.

2. Auch soweit sich der Kläger gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Feststellung seines Bleibeinteresses und gegen dessen Gewichtung in der Abwägung mit dem Ausweisungsinteresse wendet, ergeben sich keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils.

Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass das Bleibeinteresse des Klägers schon aufgrund des § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG besonders schwer wiege, aber das auch für das Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gelte. Die gemäß § 53 AufenthG gebotene Abwägung falle angesichts der (trotz der zwischenzeitlichen Entwicklung der Therapie) fortbestehenden erheblichen Gefährlichkeit des Klägers für höchstrangige Rechtsgüter anderer Menschen zugunsten des Ausweisungsinteresses aus, und zwar auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der im Bundesgebiet geborene Kläger ein Ausländer zweiter Generation und im Bundesgebiet verwurzelt sei. Das Gericht nahm gemäß § 117 Abs. 5 VwGO Bezug auf die betreffenden Ausführungen in dem streitgegenständlichen Bescheid.

Der Kläger rügt insoweit, dass das Verwaltungsgericht sich auf Ausführungen in dem Bescheid der Beklagten bezogen habe, die zum Zeitpunkt der Urteilsabfassung schon nahezu ein Jahr alt gewesen seien. Die zwischenzeitliche Entwicklung der Therapie sei nicht berücksichtigt worden. Die bis dahin bereits erfolgreiche Therapie hätte anders bewertet werden müssen, denn der Kläger sei zum Zeitpunkt des Urteils bereits in der letzten Stufe der Therapie und berechtigt gewesen, die Klinik allein zu verlassen. Er habe auch an der mündlichen Verhandlung teilnehmen wollen, was aber wegen einer Terminsverwechslung in der Kanzlei seiner Bevollmächtigten gescheitert sei.

Dem ist entgegenzuhalten, dass das Verwaltungsgericht die Entwicklung der Therapie (seit dem Erlass des streitgegenständlichen Bescheids) ausdrücklich berücksichtigt hat; die Stellungnahme der Therapieeinrichtung vom 22. Februar 2017 wurde in dem Urteil vom 16. März 2017 eingehend erörtert. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, welche weiteren Entwicklungen in Bezug auf das Bleibeinteresse des Klägers und dessen Gewichtung in der Abwägung das Verwaltungsgericht unberücksichtigt gelassen haben könnte.

Der Kläger macht weiter geltend, das Verwaltungsgericht habe nicht gewürdigt, dass die charakterlichen Fehler, die bei ihm zu den Straftaten geführt hätten, mit seiner ausländischen Staatsangehörigkeit in keiner Beziehung stünden. Es habe zwar festgestellt, dass der Kläger faktischer Inländer sei, aber nicht berücksichtigt, dass die schwierige Sozialisation des Klägers auf die Sozialbedingungen im Bundesgebiet und nicht auf die Einflüsse der Türkei zurückzuführen seien. Aus diesem Vorbringen ergeben sich jedoch keine Aspekte, die eine andere Bewertung des Bleibeinteresses des Klägers und seiner Gewichtung in der Abwägung erfordern würden, zumal unklar bleibt, inwieweit Gründe für eine Straffälligkeit mit der ausländischen Staatsangehörigkeit des Betreffenden in Beziehung stehen könnten.

Schließlich beanstandet der Kläger zu Unrecht, dass das Gericht nicht berücksichtigt habe, dass er in der Türkei keine familiären Kontakte erwarten könne, weil seine Familie in Deutschland als deutsche Staatsangehörige integriert sei. Der Kläger hat im Rahmen seiner Anhörung in seinem Schreiben vom 31. Januar 2016 selbst dargelegt, dass mehrere seiner Verwandten in der Türkei leben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Tenor

I.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet.

Der am 18. Februar 1992 in der Ukraine geborene Kläger wuchs bis 2001 in seinem Heimatstaat auf, wo er die Grundschule bis zur zweiten Klasse besuchte. Im Oktober 2001 reiste er zusammen mit seiner Mutter, einer Halbschwester, den Großeltern und seiner Urgroßmutter als jüdischer Kontingentflüchtling nach Deutschland ein und erhielt hier auf Antrag am 6. November 2001 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.

Nach Erfüllung der Vollzeitschulpflicht verließ der Kläger am Ende der achten Klasse die Hauptschule ohne Schulabschluss. Von März bis August 2009 und vom 14. September 2009 bis 26. Januar 2010 absolvierte er Berufsbildungs- bzw. Ausbildungsmaßnahmen, die er jedoch jeweils wieder abbrach.

Ab September 2004 trat der Kläger vielfach strafrechtlich in Erscheinung, unter anderem wegen Diebstahls, teilweise in besonders schwerem Fall, wegen mehrerer Körperverletzungsdelikte, wegen Leistungserschleichung, schwerer Körperverletzung sowie gemeinschaftlicher räuberischer Erpressung.

Mit Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 11. Mai 2006 wurde er wegen vorsätzlicher Körperverletzung verwarnt. Die gleichzeitig verhängte Auflage von Arbeitsleistungen wurde später wegen Nichterfüllung in eine Woche Ungehorsamsarrest umgewandelt.

Mit Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 25. Januar 2007 wurden gegen den Kläger wegen Diebstahls zwei Freizeitarreste verhängt.

Mit Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 3. Mai 2007 wurde der Kläger wegen gefährlicher Körperverletzung in drei sachlich zusammentreffenden Fällen, in Tatmehrheit mit Sachbeschädigung, sachlich zusammentreffend mit gemeinschaftlicher räuberischer Erpressung, rechtlich zusammentreffend mit gemeinschaftlicher Körperverletzung, in Tatmehrheit mit Diebstahl, sachlich zusammentreffend mit Urkundenfälschung zu einer Jugendstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Mit Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 14. Juli 2008 wurde der Kläger wegen Nötigung, sachlich zusammentreffend mit vorsätzlicher Körperverletzung, in Tateinheit mit gemeinschaftlichem Raub, in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Verurteilung durch das Amtsgericht Augsburg vom 3. Mai 2007 zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren verurteilt. Dieses Urteil wurde mit Urteil des Landgerichts Augsburg - Jugendkammer - vom 19. Januar 2009 im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass die verhängte Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Mit Urteil des Amtsgerichts Augsburg - Jugendschöffengericht - vom 3. Mai 2010 wurde der Kläger wegen Leistungserschleichung in zwei selbstständigen Fällen in Tatmehrheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung unter Einbeziehung der Verurteilung durch das Landgericht Augsburg vom 19. Januar 2009 zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Amtsgerichts Bamberg vom 28. November 2011 wurde gegen den Kläger wegen Diebstahls in zehn tatmehrheitlichen Fällen unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Augsburg vom 3. Mai 2010 eine Einheitsjugendstrafe von drei Jahren neun Monaten verhängt. Die Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt (nach Vollstreckung einer Jugendstrafe von einem Monat) wurde gleichzeitig angeordnet. In den Urteilsgründen wird ausgeführt, der Kläger habe trotz mehrerer, auch einschlägiger Verurteilungen und nach dem Vollzug eines Teils einer Jugendstrafe nicht davon abgelassen, Straftaten zu begehen und weiter Drogen zu konsumieren. Laut Auskunft des Gutachters werde er auch in Zukunft mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit mit Straftaten in Erscheinung treten, wenn er seine Drogenabhängigkeit (Heroin) nicht durch eine Therapie in den Griff bekomme. Die bei ihm vorliegenden schädlichen Neigungen seien offen zutage getreten. Der Kläger habe das Diebesgut jeweils umgehend dazu verwendet, sich Drogen zu beschaffen. Mehrere ihm eingeräumte Bewährungschancen habe er nicht nutzen können.

Ab 28. Dezember 2011 befand sich der Kläger im Rahmen seiner Unterbringung in einer stationären Therapie, wo es jedoch zu zwei Drogenrückfällen und einer körperlichen Auseinandersetzung mit einem Mitpatienten kam.

Mit Bescheid vom 28. September 2012 wies die Beklagte den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus. Dieser Bescheid wurde durch die Beklagte nach einem gerichtlichen Hinweis auf einen möglichen Rechtsfehler im Hinblick auf das Regel-/Ausnahmeverhältnis wieder aufgehoben, das dagegen anhängige Klageverfahren (Au 1 K 12.1396) daraufhin mit Beschluss vom 14. Februar 2013 eingestellt.

Nachdem zunächst mit Beschluss des Amtsgerichts Neumarkt i.d. OPf. vom 26. September 2012 die Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt aufgrund mehrerer festgestellter Regelverstöße für erledigt erklärt worden war, ordnete das Landgericht Nürnberg-Fürth - Jugendkammer I - mit Beschluss vom 6. Dezember 2012 unter Aufhebung dieses Beschlusses die Fortdauer der Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt an. Mit Beschluss vom 26. Februar 2013 erklärte das Amtsgericht Deggendorf schließlich die durch das Amtsgericht Bamberg mit Urteil vom 28. November 2011 angeordnete Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt für erledigt. Der noch nicht verbüßte Rest der gegen den Kläger verhängten Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und neun Monaten wurde dabei nicht zur Bewährung ausgesetzt. Grund für diese Erledigterklärung waren erneute Rückfälle und Regelverstöße des Klägers sowie eine bei ihm nicht mehr auszumachende Therapiemotivation, weshalb eine weitere Therapie als aussichtslos angesehen wurde.

Mit Bescheid vom 17. Juni 2013 wies die Beklagte den Kläger (erneut) aus dem Bundesgebiet aus (Nr. 1.), befristete die Wirkungen der Ausweisung auf fünf Jahre fünf Monate (Nr. 2.) und drohte ihm die Abschiebung in die Ukraine an (Nr. 3. und 4.). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, mit der Verurteilung vom 28. November 2011 zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren neun Monaten sei der zwingende Ausweisungstatbestand nach § 53 Nr. 1 AufenthG erfüllt. Der Kläger genieße nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz. Daher werde gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG die zwingende Ausweisung zu einer Regelausweisung herabgestuft. Schwerwiegende Gründe im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG seien in seinem Fall gegeben, da insbesondere aufgrund seines bisherigen Verhaltens, der von ihm begangenen Straftaten sowie des Umstands, dass auch künftig weitere schwere Straftaten von ihm zu befürchten seien, vom Kläger eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland ausgehe. Ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt liege zwar weder hinsichtlich der bei ihm abgeurteilten Straftaten noch bezüglich seiner familiären Umstände vor. Im Hinblick auf die Bedeutung des Rechts auf Achtung des Privatlebens und die diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei jedoch gleichwohl eine individuelle Würdigung der Belange des Klägers vorzunehmen. Die Ausweisung werde daher im Rahmen des Ermessens verfügt. Die Ausweisung sei auch unter Beachtung des § 55 Abs. 3 AufenthG ermessensgerecht. Sie sei sowohl aus spezial- wie auch aus generalpräventiven Gründen erforderlich und zulässig, um weitere Straftaten, die die Grundinteressen der Gesellschaft berührten, zu verhindern. Unzweifelhaft stelle das Verhalten des Klägers eine besonders schwerwiegende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar. Im Hinblick auf seine strafrechtlichen Verurteilungen, das derzeit noch laufende Betrugsverfahren und den Therapieabbruch sei festzustellen, dass auch die Haft und der Maßregelvollzug keine erzieherische Wirkung erzielt hätten und der Kläger deshalb auch künftig ein sucht- und strafdeliktsgeprägtes Leben führen werde. Der Kläger habe sich über lange Jahre hinweg als Bewährungsversager erwiesen. Die Rückfallneigung zur Begehung erneuter Straftaten sei bei ihm extrem hoch. Die Tatsache, dass er weder die Schule noch eine Ausbildung abgeschlossen habe, komme insoweit erschwerend hinzu. Mit der Ausweisung solle aber auch anderen Ausländern deutlich vor Augen geführt werden, dass gerade Verurteilungen wegen Straftaten, wie sie der Kläger begangen habe, die Beendigung des Aufenthalts in Deutschland zur Folge hätten. Die Ausweisung verstoße nicht gegen Art. 8 EMRK und Art. 6 GG. Der Kläger habe sich in der Bundesrepublik weder sozial noch wirtschaftlich integrieren können. Die Sprache seines Herkunftslandes beherrsche er nach wie vor gut. Er sei volljährig. Seine familiäre Bindung zur Mutter und zur Halbschwester dürfte auch gemessen an den Besuchen in der Justizvollzugsanstalt keine besonders feste mehr sein. Eine räumliche Trennung sei dem Kläger nach alledem zumutbar. Die verfügte Sperrfrist von 5 Jahren 5 Monaten sei verhältnismäßig.

Auf die hiergegen erhobene Klage des Klägers hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf vier Jahre zu befristen, und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Ausweisungsentscheidung der Beklagten sei rechtlich nicht zu beanstanden. Die angestellten Ermessenserwägungen seien ausgehend von dem durch § 114 Satz 1 VwGO vorgegebenen Prüfungsrahmen nicht zu beanstanden. Die Beklagte habe sich nicht von sachfremden Erwägungen leiten lassen und die entscheidungserheblichen Gesichtspunkte vertretbar gewichtet. Die Ausweisung sei auch mit Art. 8 EMRK vereinbar. Sie stelle im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Privatleben des Klägers dar. Der Kläger habe zwar die Hälfte seines Lebens in der Bundesrepublik verbracht und mittlerweile in der Haft einen Schulabschluss nachgeholt. Er sei noch vergleichsweise jung und nicht sehr hafterfahren. Die näheren Verwandten des Klägers lebten alle in Deutschland. Andererseits habe der Kläger neun Jahre in der Ukraine gelebt, dort die Schule besucht. Er sei jedenfalls in bestimmtem Umfang mit den dortigen Lebensumständen vertraut, beherrsche die russische Sprache und werde nach Auffassung des Gerichts in der Lage sein, sein Leben in der Ukraine problemlos zu gestalten. Der Kläger sei nach wie vor drogenabhängig. Er habe seit seinem 13. Lebensjahr in erheblichem Umfang Alkohol konsumiert, später seien Cannabis und ab 2009 auch Opiate und Heroin dazugekommen. Die massive Suchtproblematik mit all ihren Begleitumständen sei nach wie vor unverändert. Eine begonnene Drogentherapie habe der Kläger abgebrochen. Ganz erheblich seien die vom Kläger begangenen Straftaten zu gewichten. In den Strafurteilen fänden sich fortlaufend negative Bewertungen hinsichtlich einer Sozialprognose beim Kläger. Auch in der Haft sei der Kläger negativ in Erscheinung getreten. Dagegen habe die Klage teilweise Erfolg, soweit sie inzident auf die Verkürzung der Sperrfrist gerichtet sei. Ausgehend von den genannten Umständen erscheine der Kammer vorliegend eine Frist von vier Jahren als angemessen und ausreichend.

Mit seiner durch Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 24. Juli 2014 zugelassenen Berufung macht der Kläger im Wesentlichen geltend, der angefochtene Bescheid der Beklagten sei rechtswidrig, da die von der Beklagten angestellten Ermessenserwägungen ausgehend von dem durch § 114 Satz 1 VwGO vorgegebenen Prüfungsrahmen fehlerhaft seien und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt werde. Das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Beklagte sämtliche Umstände, die zugunsten des Klägers für dessen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet sprächen, erkannt und in die Entscheidung eingestellt habe. Dem Kläger sei es in der Haft gelungen, den Schulabschluss zu erlangen. Es sei auch nicht zutreffend, dass er sich bis heute in keiner Weise mit seiner Drogenproblematik auseinandergesetzt habe. Er habe in der Justizvollzugsanstalt an diversen Sitzungen der Drogenberatung teilgenommen und sei willens und bemüht, im Anschluss an die Haft eine weitere stationäre Therapie durchzuführen. Ihm sei jedoch weder in der Maßregeleinrichtung noch in der Justizvollzugsanstalt eine wirkliche Therapiechance eingeräumt worden. Dies sei eine gegen das Diskriminierungsverbot verstoßende Benachteiligung und mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Urteil vom 22.3.2012 - Rangelov) und des Bundesverfassungsgerichts nicht zu vereinbaren. Der Kläger habe eine intensive Beziehung zu seiner Mutter und seiner Schwester. Zwischen der gesamten Familie bestehe ein guter Zusammenhalt. Der Kläger sei faktischer Inländer und habe keinen kulturellen oder sozialen Bezug mehr zum Heimatstaat. Nach alledem verstoße die Ausweisungsentscheidung gegen Art. 8 EMRK.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 17. Dezember 2013 den Bescheid der Beklagten vom 17. Juni 2013 in der mit Schriftsatz der Beklagten vom 13. Oktober 2014 geänderten bzw. ergänzten Form aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2014 führte sie aus, die Klage des Klägers sei unbegründet, da der angefochtene Bescheid auch derzeit noch rechtmäßig sei. Die Ermessenserwägungen im streitbefangenen Bescheid vom 17. Juni 2013 würden gemäß § 114 Satz 2 VwGO nachträglich wie folgt ergänzt: Die vom Kläger angeführten Belange seines Privatlebens in der Bundesrepublik Deutschland seien nicht so gewichtig, dass das öffentliche Interesse an der Ausweisung des Klägers demgegenüber zurücktreten müsste. Der Kläger könne sich zwar darauf berufen, dass er seit etwa zwölf Jahren in Deutschland lebe und seine näheren Verwandten ebenfalls hier lebten. Er sei jedoch inzwischen volljährig und weder auf existenzielle Betreuungsleistungen durch seine Verwandten angewiesen, noch müsse der Kläger für seine Angehörigen solche Leistungen erbringen. Dem teilweisen Aufwachsen des Klägers im Bundesgebiet stehe entgegen, dass ihm eine tatsächliche Integration in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht nicht gelungen sei. Er habe eine Vielzahl an Straftaten begangen und sei zuletzt (erneut) durch Urteil des Amtsgerichts Nürnberg - Jugendschöffengericht - vom 20. Februar 2014, im Rechtsfolgenausspruch abgeändert durch Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 5. Juni 2014, wegen Urkundenfälschung, Betrugs in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung, und des versuchten Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer (weiteren) Einheitsjugendstrafe von neun Monaten verurteilt worden. Zwar habe der Kläger nunmehr einen einfachen Hauptschulabschluss erreicht. Dies verändere die Gewichtung der für den Kläger streitenden Umstände jedoch nur unwesentlich. Abgesehen von seinem Schulabschluss habe der Kläger sich auch in der Haft nicht beanstandungsfrei und vollzugskonform verhalten. Er sei vielmehr erheblich disziplinarisch und strafrechtlich in Erscheinung getreten. Auch die Justizvollzugsanstalt gehe davon aus, dass der Kläger tief in die kriminelle Subkultur verstrickt sei und keine Bereitschaft zeige, sich von diesem subkulturellen Milieu zu lösen. Zudem bestünden - wie bisher - äußerst gewichtige general- und spezialpräventive Gründe für die Ausweisung. Der Kläger habe zuletzt mit seinem Untertauchen nochmals deutlich gemacht, dass er sich nicht an die Rechtsordnung der Bundesrepublik halte. Die Aufenthaltsbeendigung erweise sich bei einer Gesamtabwägung aller für und gegen den Kläger sprechenden Belange auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK als verhältnismäßig.

Mit Schreiben jeweils vom 1. Januar 2015 teilte der Kläger noch mit, er sei nach wie vor unter der Adresse in Augsburg gemeldet und dort wohnhaft. Am 16. Dezember 2014 sei er dort von der Polizei angetroffen und festgenommen worden. Ab dem 16. Januar 2015 befinde er sich wieder in der JVA Ebrach in Haft. Er bereue seine Fehler in der Vergangenheit zutiefst, habe 2010 vor seiner Verurteilung mit der Polizei kooperiert und gegen die Mittäter ausgesagt. Die Therapie im Bezirkskrankenhaus habe er letztlich unter dem Druck dort anwesender früherer Mittäter wieder abgebrochen. Er habe für seine Straftaten mit der Haft bezahlt. Dort habe er erfolgreich einen Schulabschluss mit einem Durchschnitt von 1,5 nachgeholt. Er würde später gerne eine Ausbildung als Metallbauer beginnen. Er habe sich inzwischen grundlegend geändert und sei entschlossen, ein neues bürgerliches Leben zu führen. Dies wäre jedoch zerstört, falls er in ein Land zurück müsste, mit dem er sein ganzes Leben lang nichts zu tun gehabt habe. Er spreche kein Ukrainisch und sei in der Ostukraine geboren, wo derzeit Bürgerkrieg herrsche. Als jüdischer Flüchtling hätte er dort keine Chance, zumal er dort keine Verwandten mehr habe. Er sei in Deutschland groß geworden und fühle sich als deutscher Staatsbürger. Es sei noch nicht zu spät, sein Leben komplett zu ändern. Einen Verstoß gegen die Führungsaufsicht habe er nicht begangen. Dass er sich zeitweilig auf der Flucht befunden habe, sei weder strafbar noch liege darin ein Verstoß gegen die Führungsaufsicht.

Die Beklagte teilte mit, der Kläger sei am 16. Dezember 2014 in Augsburg festgenommen worden und befinde sich nun wieder zur Verbüßung der 9-monatigen Freiheitsstrafe in Haft. Das Strafverfahren wegen des Verstoßes gegen die Führungsaufsicht sei noch offen.

Mit Schreiben vom 16. Januar 2015 übermittelte der Kläger einen Beschluss des Amtsgerichts Augsburg vom 13. Januar 2015, mit dem dessen Haftbefehl vom 15. Dezember 2014 wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht auf Antrag der Staatsanwaltschaft aufgehoben worden war.

Auf Antrag des Klägers mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 23. Januar 2015 hat der Senat dem Kläger mit Beschluss vom 26. Januar 2015 für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und seinen Prozessbevollmächtigten beigeordnet.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen, die Behördenakte sowie die beigezogenen Strafakten verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die Klage des Klägers auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 17. Juni 2013 in der mit Schriftsatz der Beklagten vom 13. Oktober 2014 geänderten bzw. ergänzten Form ist unbegründet. Auch wenn man das im Berufungsverfahren verfolgte Rechtsschutzbegehren des Klägers dahin versteht (§ 88 VwGO), dass er neben der Anfechtung der Ausweisungsverfügung hilfsweise die Festsetzung einer (noch) kürzeren als der vom Verwaltungsgericht im Urteil vom 17. Dezember 2013 bestimmten Frist nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG begehrt, ist seine Klage unbegründet.

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung und der vom Kläger (wohl) hilfsweise begehrten Festsetzung einer noch kürzeren Sperrfrist ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder der Entscheidung des Berufungsgerichts (st. Rspr. des BVerwG; vgl. U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - Rn. 12 m. w. N.).

1. Die im streitbefangenen Bescheid verfügte Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1.1. Der Kläger hat durch seine rechtskräftige Verurteilung durch das Amtsgericht Bamberg vom 28. November 2011 wegen mehrerer vorsätzlicher Straftaten zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren neun Monaten den Tatbestand einer zwingenden Ausweisung nach § 53 Nr. 1 1. Alt. AufenthG erfüllt.

1.2. Da der Kläger zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der streitbefangenen Ausweisungsverfügung im Besitz einer ihm am 6. November 2001 erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis war, die gemäß § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG seit dem 1. Januar 2005 als Niederlassungserlaubnis fort galt, und er sich auch seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, genießt er nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz. Ein flüchtlingsrechtliches Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG i. V. m. § 1 Abs. 1 HumHAG bzw. Art. 33 GFK und damit besonderer Ausweisungsschutz (auch) nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AufenthG steht ihm dagegen nicht zu. Denn als jüdischer Emigrant aus der ehemaligen Sowjetunion kann er sich jedenfalls seit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes allein aufgrund seiner Aufnahme nicht auf das flüchtlingsrechtliche Abschiebungsverbot (Refoulement-Verbot) berufen (BVerwG, U.v. 22.3.2012 - 1 C 3.11 - juris Ls. 2 u. Rn. 17 ff.). Der besondere Ausweisungsschutz Minderjähriger und Heranwachsender nach § 56 Abs. 2 AufenthG greift hier ebenfalls nicht, weil der Kläger bereits zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung das 21. Lebensjahr vollendet hatte und im Übrigen - insoweit zulasten des Klägers - ohnehin auf den für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts abzustellen wäre (s.o.; vgl. auch Bauer in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 10. Aufl. 2013, AufenthG, § 56 Rn. 25).

1.3. Demgemäß kann der Kläger nach § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden, die nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG u. a. in den Fällen des § 53 AufenthG in der Regel vorliegen. Die Beklagte und das Verwaltungsgericht sind zu Recht davon ausgegangen, dass die gesetzliche Regelvermutung des Vorliegens schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG im konkreten Fall nicht widerlegt ist. Schon mit Blick auf die zahlreichen strafrechtlichen Verurteilungen des Klägers, die diesen zugrunde liegenden, teilweise schwerwiegenden Vermögens- und Gewaltdelikte, die Umstände ihrer Begehung sowie die beim Kläger nach wie vor unbewältigte massive Drogensucht (neben Alkohol vor allem auch Heroin) liegt eine hinreichend wahrscheinliche Gefahr einer schweren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch die Wiederholung ähnlicher oder gleichartiger Straftaten (vgl. BVerwG, U.v. 31.8.2004 - 1 C 25.03 - juris Rn. 16) auf der Hand. Gerade bei Straftaten, die auch auf der Suchterkrankung eines Ausländers beruhen, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs von einem Wegfall der für die Ausweisung aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (z. B. BayVGH, B.v. 21.2.2014 - 10 ZB 13.1861 - juris Rn. 6 m. w. N.). Die hohe Wahrscheinlichkeit der Wiederholung gleichartiger Straftaten wurde im Übrigen auch von den Strafgerichten, zuletzt von der Jugendkammer beim Landgericht Nürnberg-Fürth im rechtskräftigen Urteil vom 5. Juni 2014, insbesondere unter Hinweis auf zuvor bereits mehrfach verhängte Jugendstrafen, in offener Bewährung begangene erneute Straftaten und die erfolglose Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt festgestellt. Für eine, wie der Kläger zuletzt geltend gemacht hat, entscheidende Zäsur in seinem Leben, nach der er künftig alles besser machen will, fehlen abgesehen von seinen diesbezüglichen Beteuerungen jegliche nachvollziehbare Anhaltspunkte. Zudem hat die Beklagte aufgrund der schwerwiegenden Straftaten des Klägers, der dadurch verletzten Rechtsgüter der körperlichen Unversehrtheit und Gesundheit Dritter (s. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) sowie der Umstände ihrer Begehung auch generalpräventiv in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ein dringendes Bedürfnis festgestellt, über die strafrechtlichen Sanktionen hinaus durch Ausweisung des Klägers andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten.

1.4. Liegen demnach beim Kläger schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor, wird er gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in der Regel ausgewiesen. Im Rahmen der gebotenen Überprüfung, ob ein Ausnahmefall von der Regelausweisung vorliegt, hat die Beklagte im Hinblick auf die Grundsätze in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in dessen Urteil vom 23. Oktober 2007 (1 C 10.07 - juris) unter Berücksichtigung der durch höherrangiges Recht (Art. 2 Abs. 1 GG) und Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 8 EMRK) geschützten Belange des Klägers insbesondere auf Achtung seines Privat- und Familienlebens einen Ausnahmefall und damit die Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung angenommen und die streitbefangene Ausweisung nach Ermessen verfügt. In diesem Fall fehlt den Ausweisungsgründen jedoch nur das von vornherein ausschlaggebende Gewicht, das ihnen der Gesetzgeber im Regelfall zugemessen hat (BVerwG, U.v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 - juris Rn. 27).

1.5. Die von der Beklagten zur Ausweisung des Klägers zuletzt in ihrer Berufungserwiderung mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2014 angestellten und nach § 114 Satz 2 VwGO teilweise nachgeschobenen und ergänzten Ermessenserwägungen halten einer rechtlichen Überprüfung (s. § 114 Satz 1 VwGO, Art. 40 BayVwVfG) stand.

1.5.1. Bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ist die im Berufungsverfahren erfolgte Ergänzung der Ermessenserwägungen durch die Beklagte mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2014 gemäß § 114 Satz 2 VwGO zu berücksichtigen. Nach der genannten Bestimmung dürfen auch nachträgliche Ermessenserwägungen der Behörde in die gerichtliche Nachprüfung der im Ermessensweg verfügten Ausweisung einbezogen werden. Die Beklagte hat ihre nachträglichen Ermessenserwägungen im gerichtlichen Verfahren auch in der gebotenen Form (schriftlich) geltend gemacht und hinreichend klar und eindeutig zu erkennen gegeben, mit welcher Begründung und welchen (neuen) Ermessenserwägungen sie ihre Ausweisungsverfügung aufrecht erhält (zur Ergänzung der Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2011 - 1 C 14.10 - juris Rn. 8 ff. u. 18).

1.5.2. Die Beklagte hat alle für ihre Ermessensentscheidung wesentlichen Umstände und insbesondere die gemäß § 55 Abs. 3 AufenthG zu beachtenden Kriterien berücksichtigt und im Hinblick auf die durch höherrangiges Recht (Art. 2 Abs. 1 GG) und Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 8 EMRK) geschützten Belange des Klägers, insbesondere dessen Recht auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie den Grundsatz des Vertrauensschutzes beachtet. Sie hat die für einen Verbleib des Klägers sprechenden Belange gesehen und insbesondere die im Alter von knapp zehn Jahren erfolgte Einreise ins Bundesgebiet, den 12-jährigen rechtmäßigen Aufenthalt mit einem von Anfang an unbefristeten Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet (als jüdischer Kontingentflüchtling aus der ehemaligen Sowjetunion), das noch relativ jugendliche Alter des Klägers, seine familiären und persönlichen Bindungen in Deutschland und - nach den insoweit aber im Verfahren teilweise widersprüchlichen Angaben des Klägers - fehlenden familiären und verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkten in der Ukraine gewürdigt. Die Beklagte hat nunmehr auch in ihre Ermessenserwägungen eingestellt, dass der Kläger während der Haft mit dem Hauptschulabschluss einen Bildungsabschluss erreicht und nach dem entsprechenden Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt mit großer Motivation am Lehrgang teilgenommen hat, um sich dadurch auf die Zeit nach dem Strafvollzug im Sinne einer Resozialisierung vorzubereiten.

Die Beklagte hat den langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und das teilweise Heranwachsen des Klägers im Bundesgebiet jedoch deshalb nicht als besonders gewichtigen Belang angesehen, weil dem Kläger in dieser Zeit eine tatsächliche Integration in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht nicht gelungen ist. Dabei hat die Beklagte auch berücksichtigt, dass der Kläger als aufgenommener jüdischer Kontingentflüchtling aus der ehemaligen Sowjetunion von Anfang an eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten hat und dieser unbefristete Aufenthaltstitel nicht etwa dem Integrationsgrad des Klägers geschuldet war. Den nach Angaben des Klägers engen familiären Bindungen an seine in Deutschland lebenden Angehörigen - Mutter, Halbschwester, Großvater und zwei Neffen - hat die Beklagte kein entscheidendes Gewicht beigemessen, weil der Kläger zum einen volljährig ist und zum anderen weder der Kläger auf existenzielle Betreuungsleistungen seiner Familie noch umgekehrt seine Familie auf solche Leistungen des Klägers angewiesen ist. Die Beklagte hat weiter berücksichtigt, dass der Kläger zwar nicht die ukrainische Sprache, aber jedenfalls so gut Russisch beherrscht, dass er sich in der Ukraine verständlich machen und dort zurechtfinden kann, auch wenn er dort nach seinen eigenen Angaben über keine verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte mehr verfügt. Die Beklagte ist dabei zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger in der Ukraine als Kind Russisch gelernt und diese Sprache auch nach der Einreise nach Deutschland als Umgangssprache jedenfalls in der Familie weiter genutzt hat. Dass dem Kläger die Kultur und die Mentalität der Menschen seines Herkunftslandes noch nicht (völlig) fremd sind, hat die Beklagte unter anderem auch aus den intensiveren Kontakten des Klägers während seiner letzten Haft vor allem zu Mitgefangenen aus den ehemaligen GUS-Staaten gefolgert. Demgemäß ist die Beklagte in nicht zu beanstandender Weise zu dem Schluss gelangt, trotz möglicherweise fehlender familiärer Bindungen in der Ukraine stelle sich für den voll erwerbsfähigen und keiner politischen Verfolgung ausgesetzten Kläger höchstens das lösbare Problem, dass seine Eingewöhnung in die ukrainischen Lebensumstände schwierig sein werde.

1.5.3. Dem privaten Interesse des Klägers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet und bei seiner Familie, das nach Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK (zum Schutz der Beziehung junger Erwachsener, die wie der Kläger noch keine eigene Familie gegründet haben, zu den Eltern auch als Familienleben i. S. d. Art. 8 EMRK vgl. EGMR, U.v. 23.6.2008 - 1638/03, Maslov II - InfAuslR 2008, 333) auch grundrechtlich und völkerrechtlich geschützt ist, hat die Beklagte das besondere öffentliche Interesse an der Ausweisung des Klägers gegenübergestellt, das sich vor allem aus der beim Kläger bestehenden konkreten Gefahr einer schweren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch die Wiederholung ähnlicher oder gleichartiger Straftaten, daneben aber aus der Notwendigkeit der Abhaltung anderer Ausländer von Straftaten ähnlicher Schwere ergibt. Die Beklagte hat dabei darauf abgestellt, dass der Kläger seit seinem 12. Lebensjahr kontinuierlich strafrechtlich in Erscheinung getreten und mehrfach wegen schwerer (Gewalt-)Straftaten wie vorsätzlicher Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung und gemeinschaftlicher räuberischer Erpressung verurteilt worden ist. Auch nach seiner Volljährigkeit habe der Kläger weiter eine erhebliche Reihe von Straftaten begangen, von einem jugendtypischen Augenblicksversagen könne jedenfalls nicht gesprochen werden. Den Kläger habe auch die Verbüßung von Jugendarresten bzw. später Strafhaft nicht beeindruckt. Er habe bei seinen Taten jeweils erhebliche kriminelle Energie gezeigt. Die Rückfallgeschwindigkeit des Klägers sei zudem erheblich. Nicht einmal ein Jahr nach seiner Verurteilung zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren neun Monaten sei der Kläger erneut, noch dazu im Maßregelvollzug, straffällig geworden und deshalb wegen Urkundenfälschung und Betrugs sowie versuchten Betrugs zu weiteren neun Monaten Einheitsjugendstrafe verurteilt worden. Auch in der Haft sei der Kläger erheblich disziplinarisch und sogar strafrechtlich in Erscheinung getreten. Er habe unerlaubte Gegenstände im Besitz gehabt, einen Bediensteten der Justizvollzugsanstalt massiv beleidigt und auf einen Mitgefangenen mittels eines hergestellten Schlagwerkzeugs eingeschlagen. Schließlich habe der Kläger ein unbewältigtes Drogen- und Alkoholproblem, das jedenfalls mitursächlich für seine zahlreichen Straftaten gewesen sei. Nicht zuletzt habe sich der Kläger bis zu seiner Verhaftung im Dezember 2014 einer neuerlichen Haft durch Untertauchen bzw. Flucht entzogen.

1.5.4. Diese alle erheblichen Umstände berücksichtigenden Erwägungen der Beklagten lassen keine Fehlgewichtungen erkennen und sind gemessen an den Grundsätzen des § 114 Satz 1 VwGO rechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere ist danach die Ausweisung des Klägers auch mit den verfassungs- und völkerrechtlichen Vorgaben nach Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK vereinbar und stellt, wie auch das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt hat, bei der gebotenen Abwägung des öffentlichen Interesses an der Ausweisung mit den privaten Interessen des Klägers an einem Verbleib im Bundesgebiet keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das geschützte Privat- und Familienleben des Klägers dar. Auch auf Vertrauensschutz im Hinblick auf die mit Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 2013 erfolgte Rücknahme ihrer zuvor mit Bescheid vom 28. September 2012 verfügten Ausweisung kann sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen. Denn die allein aufgrund eines rechtlichen Hinweises des Verwaltungsgerichts (zum Regel-/Ausnahmeverhältnis) im laufenden Verwaltungsstreitverfahren erfolgte Rücknahme steht dem Erlass einer neuen Ausweisungsverfügung - nunmehr im Ermessensweg - nicht entgegen; ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers dahingehend, dass er aufgrund seiner strafrechtlichen Verurteilungen nicht mehr ausgewiesen wird, wurde jedenfalls nicht begründet.

Auch der Hinweis des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof, er habe schon seit mehreren Jahren eine aus Augsburg stammende 22-jährige Verlobte, ändert im Übrigen nichts an dieser Interessenabwägung und dem Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Ausweisung.

1.5.5. Mit der Rüge, als „jüdischer Flüchtling habe er in der Ukraine keine Chance“, zumal seine Geburtsstadt Kriwoj Rog in der Ostukraine und damit mitten im Bürgerkriegsgebiet liege und schon unter Beschuss geraten sei, macht der Kläger (wohl) Gründe für eine Aussetzung seiner Abschiebung geltend, die gemäß § 55 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG gegebenenfalls auch bei der Entscheidung über die Ausweisung zu berücksichtigen wären. Nach der in § 55 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG genannten Bestimmung des § 60a Abs. 2 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird (Satz 1). Solche Gründe hat jedoch der Kläger mit seiner Rüge weder dargelegt noch sind sie für den Senat sonst ersichtlich. Zum einen hat die Beklagte die Abschiebung des Klägers in die Ukraine und nicht in die Ostukraine angedroht. Auch ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Kläger faktisch gezwungen wäre, in die Ostukraine und dort in die Bürgerkriegsgebiete zurückzukehren. Schließlich liegt, wie sich aus dem vom Vertreter des öffentlichen Interesses in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Kartenausschnitt ohne weiteres ergibt, die Geburtsstadt des Klägers Kriwoj Rog nicht im derzeitigen Bürgerkriegsgebiet in der Ostukraine. Daher durfte die Beklagte bei ihren Ermessenserwägungen davon ausgehen, dass dem voll erwerbsfähigen und keiner politischen Verfolgung ausgesetzten Kläger eine Rückkehr in die Ukraine und Reintegration ungeachtet einer möglicherweise schwierigen Eingewöhnung und Anpassung an die dortigen Lebensverhältnisse zumutbar ist.

1.6. Der wohl auf die Rechtswidrigkeit der streitbefangenen Ausweisung zielende Einwand des Klägers, er werde als Ausländer in diskriminierender und damit gegen Art. 14 EMRK verstoßender Weise gegenüber anderen (inländischen) Inhaftierten in einer weitgehend gleichen Situation ungleich behandelt, weil ihm nicht die Möglichkeit zu einer Drogentherapie eröffnet worden sei bzw. werde, greift nicht durch. Denn für die Erfüllung der oben dargelegten Ausweisungsvoraussetzungen kommt es nicht darauf an, ob der Betroffene Anspruch auf die Durchführung einer Drogentherapie hatte, diese aber nicht bewilligt und durchgeführt wurde (zur Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen und dem diesbezüglichen Einwand vgl. BVerwG, B.v. 15.4.2013 - 1 B 22.12 - juris Rn. 19). Bei der Ausweisung nach den §§ 53 ff. AufenthG handelt es sich um eine sicherheitsrechtliche Maßnahme, die in Form eines Ausreisegebotes gegenüber einem Ausländer im Einzelfall ausgesprochen wird, weil dieser durch sein persönliches Verhalten die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonst erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt (vgl. Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, 3. Aufl. 2014, Rn. 1016). Selbst wenn der Kläger aus dem Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK einen Anspruch auf Durchführung einer Drogentherapie ableiten könnte (vgl. dazu aber im Folgenden), würde dadurch das gesetzliche Prüfprogramm für die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme nicht etwa geändert oder überlagert.

Der Kläger beruft sich insoweit im Übrigen auch zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in dessen Entscheidung vom 22. März 2012 (Nr. 5123/07, Rangelov - InfAuslR 2012, 305), in der der Gerichtshof festgestellt hat, dass die im Hinblick auf eine bevorstehende Aufenthaltsbeendigung erfolgte Verweigerung einer Sozialtherapie für einen in Sicherungsverwahrung befindlichen ausländischen Staatsangehörigen, gegen den ein Ausweisungsbescheid ergangen war, eine letztlich objektiv nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung darstellte. Der Fall des Klägers ist jedoch schon vom Ausgangspunkt nicht mit dem der Entscheidung des EGMR zugrunde liegenden Fall vergleichbar. Denn der Kläger war aufgrund einer nach § 64 StGB angeordneten Unterbringung ab 28. Dezember 2011 in einer stationären Drogentherapie, die nach zahlreichen Drogenrückfällen u. a. mit Heroin, Subutex und Spice und sonstigen Regelverstößen mit Beschluss des Amtsgerichts Neumarkt i.d. Opf. vom 26. September 2012 für erledigt erklärt, nach Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt mit Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 6. Dezember 2012 im Bezirksklinikum Mainkofen fortgesetzt und schließlich nach erneutem Drogenrückfall und weiteren Regelverstößen durch Beschluss des Amtsgerichts Deggendorf vom 26. Februar 2013 endgültig für erledigt erklärt worden war. Zuletzt hatte der Kläger selbst am 24. Januar 2013 den Abbruch seiner Unterbringung beantragt. Entgegen den Einlassungen des Klägers zuletzt auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof, Schwierigkeiten mit Mitinsassen hätten bei ihm zum Abbruch dieser Therapie geführt, ist in den Gründen der Entscheidung des Amtsgerichts Deggendorf unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des Bezirksklinikums ausgeführt, beim Kläger sei eine innerlich getragene Therapiemotivation nicht auszumachen und trotz der bislang erfolgten Therapie sei er nicht in der Lage gewesen, auch im Rahmen eines beschützenden Settings drogenfrei zu bleiben. Aus in der Person des Klägers liegenden Gründen sei eine weitere Therapie als aussichtslos zu beurteilen. Nach dieser Vorgeschichte und der durch die Fachklinik festgestellten Aussichtslosigkeit einer weiteren Therapie aus in der Person des Klägers liegenden Gründen kann dieser jedenfalls keine diskriminierende Ungleichbehandlung im Sinne der zitierten Rechtsprechung des EGMR geltend machen, selbst wenn ein (erneuter) Antrag auf Unterbrechung der Haft und Zuweisung eines Therapieplatzes abgelehnt worden sein sollte (vgl. die diesbezügliche Einlassung des Klägerbevollmächtigten, S. 3 der Sitzungsniederschrift vom 2.2.2015).

Der weitergehende Einwand des Klägers, ihm sei „noch keinerlei wirkliche Therapiechance eingeräumt worden, obwohl er motiviert und therapiewillig sich von Anfang an gezeigt hat“, ist vor dem dargestellten Hintergrund nicht nachvollziehbar. Nicht durchgreifend ist deshalb schließlich der Einwand des Klägers, aus der - vom Kläger nicht näher bezeichneten - Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergebe sich die Pflicht, während des Strafvollzugs ein auch für den Kläger geeignetes Therapieangebot und einen entsprechenden Behandlungsplan bereitzustellen (zu entsprechenden Anforderungen an die Sicherungsverwahrung vgl. etwa BVerfG, U.v. 4.5.2011 - 2 BvR 2333/08 u. a. - juris). Überdies wäre, worauf der Vertreter des öffentlichen Interesses in seiner Stellungnahme vom 29. April 2014 zu Recht hingewiesen hat, die Versagung einer solchen Maßnahme oder sonstigen Resozialisierungsmaßnahme eine selbstständige, in einem eigenen Rechtsweg angreifbare Entscheidung der Justizvollzugsanstalt (vgl. BVerfG, B.v. 10.10.2012 - 2 BvR 2015/12 - juris).

2. Der Kläger kann auch nicht die Festsetzung einer (noch) kürzeren als der vom Verwaltungsgericht im Urteil vom 17. Dezember 2013 bestimmten Sperrfrist (von vier Jahren) nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG beanspruchen. Ungeachtet der insoweit wenig aussagekräftigen Begründung des Verwaltungsgerichts kommt die Festsetzung einer noch kürzeren Sperrfrist als vier Jahre unter Zugrundelegung der gesetzlichen Maßstäbe des § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG und der dazu in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze (vgl. z. B. BVerwG, U.v. 14.5.2013 - 1 C 13.12 - juris) im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats jedenfalls nicht in Betracht. Denn in der Person des Klägers besteht, wie oben dargelegt, nach wie vor die erhebliche Gefahr einer schweren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch die Wiederholung ähnlicher oder gleichartiger Straftaten und damit auch für hochrangige Rechtsgüter wie die körperliche Unversehrtheit (s. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Auch mit Blick auf die verfassungsrechtlichen- und völkerrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK) und die Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbot für die persönlichen Beziehungen und der Lebensführung des Klägers im Bundesgebiet kommt die Festsetzung einer noch kürzeren Sperrfrist danach nicht in Betracht.

3. Schließlich ist auch die noch nicht vollzogene Abschiebungsandrohung (s. §§ 58, 59 AufenthG) im streitbefangenen Bescheid rechtmäßig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000, - Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 16. November 2016 weiter, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, seine Abschiebung in die Türkei angeordnet bzw. bei nicht fristgerechter Ausreise nach Haftentlassung angedroht und die Wirkungen von Ausweisung und Abschiebung auf vier bzw. drei Jahre befristet wurden. Nicht Gegenstand des Zulassungsverfahrens ist der mit Urteil vom 27. Juni 2017 ebenfalls abgewiesene Hilfsantrag des Klägers, ihm eine Duldung nach § 60a AufenthG zu erteilen.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (2.). Die im Zulassungsantrag erwähnten Zulassungsgründe der besonderen rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache, der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und der Abweichung des Urteils von höchstrichterlichen Entscheidungen (§ 124 Abs. 2 Nr. 2, 3 und 4 VwGO) sind bereits nicht dargelegt (§ 124a Abs. 4 S. 4 VwGO; 1).

1. Der Kläger führt im Zulassungsantrag aus, dass die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 27. Juni 2017 zuzulassen sei, weil die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 2, 3 und 4 VwGO vorlägen, in der Begründung des Zulassungsantrags fehlen jedoch jegliche Darlegungen zu den genannten Zulassungsgründen. Dem Vorbringen im Zulassungsantrag lässt sich auch nicht entnehmen, worin die besonderen rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache liegen sollen, welche Frage von grundsätzlicher Bedeutung zu klären ist und von welchen Entscheidungen der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichte das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 27. Juni 2017 abweicht.

2. Die Berufung ist auch nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne dieser Bestimmung bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hätte (BVerfG, B.v.10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/ 12 – juris Rn. 16). Seine Ausführungen vermögen jedoch keine ernstlichen Zweifel in diesem Sinne zu begründen.

Das Verwaltungsgericht hat die Abweisung der Klage gegen die Ausweisungsverfügung vom 16. November 2016 darauf gestützt, dass das persönliche Verhalten des Klägers auch gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre und seine Ausweisung zur Wahrung dieses Interesses unerlässlich sei (§ 53 Abs. 3 AufenthG). Der weitere Aufenthalt des Klägers gefährde die öffentliche Sicherheit und Ordnung, weil er schwere Straftaten begangen habe. Das Verwaltungsgericht bezog sich dabei auf die der Verurteilung durch das Amtsgericht Augsburg vom 10. Dezember 2014 zugrunde liegenden Delikte. Der Kläger hatte seine damalige Freundin wiederholt geschlagen und dabei erheblich verletzt, sie vergewaltigt und war wiederholt ohne Fahrerlaubnis Auto gefahren. Die vom Kläger ausgehende Gefahr dauere bis heute an, weil eine Tatwiederholung konkret zu befürchten sei. Bei bedrohten Rechtsgütern mit einer hervorgehobenen Bedeutung, wie der körperlichen Unversehrtheit und der sexuellen Selbstbestimmung, seien im Rahmen der tatrichterlichen Prognose der Wiederholungsgefahr umso geringere Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden sei. Zu berücksichtigen seien die vom Kläger auch in der Vergangenheit begangenen Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit. Der Kläger neige in jeder beliebigen Lebenssituation aus nichtigen Anlässen dazu, Straftaten zu begehen. Auffällig sei seine hohe Rückfallwahrscheinlichkeit. Aus dem Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt bzw. seiner Teilnahme an einer Sozialtherapie ergebe sich nichts anderes. Auch der Therapeut gebe an, dass die Therapie noch während der gesamten Inhaftierung fortzuführen und selbst nach der Entlassung des Klägers eine therapeutische Nachsorge für einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren notwendig sei. Bei der unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmenden Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit dessen Interessen an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet sei zu berücksichtigen, dass das Vorliegen eines in § 54 AufenthG normierten Ausweisungsinteresses, dem ein gleichwertiges Bleibeinteresse gegenüberstehe, nicht ohne weiteres zur Ausweisung des Betroffenen führe. Für den Kläger spreche, dass er im Bundesgebiet geboren sei und seine sozialen Beziehungen und Bindungen an die Türkei gering seien. Er habe auch vereinzelte Kontakte zu seiner deutschen Tochter. Massiv gegen den Kläger spreche, dass er sich weder wirtschaftlich noch sozial integriert habe und vielfach straffällig geworden sei. Er habe die Schule erst im Rahmen einer Praxisklasse abgeschlossen, eine Lehre habe er weder vor der Haft noch während der Zeit in der Justizvollzugsanstalt abgeschlossen. Die Ausweisung verstoße auch nicht gegen Art. 6 oder Art. 8 EMRK. Zwischen ihm und seiner Tochter bestehe keine tatsächliche Verbundenheit im Sinne einer familiären Lebensgemeinschaft, die unter den Schutz des Art. 6 GG falle. Dem volljährigen Kläger sei es möglich und zumutbar, sich sprachlich und kulturell in der Türkei zu integrieren.

Der Kläger bringt insoweit zunächst vor, dass die Feststellung des Verwaltungsgerichts zum Vorliegen einer Wiederholungsgefahr den gesetzlichen und höchstrichterlichen Grundsätzen widerspreche. Die Ausweisung eines türkischen Staatsangehörigen könne nämlich nicht bereits dann erfolgen, wenn eine irgendwie geartete Wiederholungsgefahr bestehe. Vielmehr müsse zu erwarten sein, dass der Kläger schwere Straftaten begehe, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührten. Zu solchen Straftaten gehöre u.a. der illegale Drogenhandel. Die von ihm begangenen Körperverletzungsdelikte stellten zwar erhebliche und schwerwiegende Straftaten dar, es sei jedoch fraglich, ob durch deren Begehung eine schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft vorliege. Die Aufzählung der Straftaten reiche hierfür nicht aus. Gänzlich unbeachtet geblieben sei der Umstand, dass sich der Kläger erstmalig in Haft befinde. Auch habe sich das Verwaltungsgericht nicht mit dem forensisch psychiatrischen Gutachten vom 17. September 2014 auseinandergesetzt. Es bleibe unerwähnt, dass es sich bei der vorliegenden Tat um eine Beziehungstat gehandelt habe und die damalige Geschädigte unmittelbar nach der von ihr angezeigten Vergewaltigung die Beziehung zum Kläger fortgesetzt habe. Auch der Bericht der Justizvollzugsanstalt vom 13. April 2017 sei bei der Beurteilung der vom Kläger ausgehenden Wiederholungsgefahr nicht berücksichtigt worden. Das Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 27. Januar 2014 habe eine Bewährungsentscheidung zu seinen Gunsten enthalten. Dies habe das Verwaltungsgericht ebenso wenig beachtet wie die in der Justizvollzugsanstalt besuchten Therapien. Das Verwaltungsgericht habe auch nicht die Vater-Kind-Beziehung und die hiermit verbundene Reifung des inzwischen 25 Jahre alten Klägers in die Beurteilung der Wiederholungsgefahr miteinbezogen. Die richterliche Überzeugungsbildung sei mangelhaft, weil das Verwaltungsgericht mit Blick auf entscheidungserhebliche Tatsachen von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen sei und die Beweiserhebung gedankliche Lücken oder Ungereimtheiten aufweise.

Der Kläger hat mit seinem Vorbringen in der Zulassungsbegründung die Bewertung des Verwaltungsgerichts, wonach von ihm auch weiterhin eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, nicht ernsthaft in Zweifel gezogen.

Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass an die Qualität der erforderlichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erhöhte Anforderungen zu stellen sind, wenn dem Ausländer – wie hier – ein Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) zusteht. Denn er darf nach § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung zur Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (vgl. BayVGH, U.v. 28.3.2017 – 10 BV 16.1601 – juris Rn. 31).

Weiterhin hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats (z.B. B.v. 3.5.2017 – 10 ZB 15.2310 – juris Rn. 14) die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen haben. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist.

Bei dieser tatrichterlichen Prognose handelt es sich – entgegen der Auffassung des Klägers – um keine Beweiswürdigung, sondern um eine Prognoseentscheidung. Die Ausführungen des Klägers zur Beweiserhebung und Beweiswürdigung gehen daher bereits an der Sache vorbei. Die Prognose des Verwaltungsgerichts zur Wiederholungsgefahr hat der Kläger mit seinem Zulassungsvorbringen nicht durchgreifend in Frage gestellt. Die Verurteilung des Klägers wegen mehrerer vorsätzlicher Körperverletzungsdelikte und der Vergewaltigung seiner damaligen Freundin stellen gravierende Verstöße gegen das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und die sexuelle Selbstbestimmung dar und bilden einen hinreichend schweren Ausweisungsanlass, der über die mit jedem Rechtsverstoß verbundene Störung der öffentlichen Ordnung deutlich hinausgeht und ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. BayVGH, U.v. 28.3.2017 – 10 BV 16.1601 – juris Rn. 34). Entgegen dem Vorbringen des Klägers hat das Gericht das hinreichende Gewicht der vom Kläger begangenen Straftaten nicht alleine in ihrer Anzahl, sondern auch in der Schwere der Delikte gesehen. Es hat sich ausdrücklich auf das Sexualdelikt und die Gewalttaten, die der Kläger aus nichtigem Anlass begangen hat, bezogen. Dass der Kläger die Straftaten überwiegend gegenüber seiner damaligen Freundin begangen hat, mindert die Schwere der konkreten Straftaten nicht. Die Straffälligkeit des Klägers lässt sich auch ausschließlich als sog. „Beziehungstat“ einordnen, weil er im Vorfeld der Straftaten gegenüber seiner damaligen Freundin auch andere Personen verletzt hat. Anzuführen sind insoweit die Verurteilungen des Amtsgerichts Augsburg vom 26. Mai 2011 und vom 23. Oktober 2012 sowie das Körperverletzungsdelikt vom 7. April 2013.

Das vom Kläger in der Haft gezeigte Wohlverhalten, das auch im Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt vom 18. April 2017 zum Ausdruck kommt, hat nur begrenzte Aussagekraft für sein Verhalten nach der Haftentlassung, weil er unter der Kontrolle des Strafvollzugs und unter dem Druck des Ausweisungsverfahrens stand. Ein Wohlverhalten in der Haft lässt nach ständiger Rechtsprechung des Senats noch nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung schließen, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (vgl. BayVGH, B.v. 19.5.2015 – 10 ZB 15.331 – juris Rn. 7 m.w.N.).

Auch bedurfte es nicht, wie vom Kläger im Zulassungsverfahren beantragt, der Einholung eines Prognosegutachtens zur konkreten Gefahr der Begehung weiterer Straftaten. Bei der Prognoseentscheidung zur Wiederholungsgefahr bewegt sich das Gericht regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die Gerichten allgemein zugänglich sind. Die inmitten stehende Frage der Wiederholungsgefahr nach strafrechtlichen Verurteilungen kann daher grundsätzlich von den Gerichten ohne Zuziehung eines Sachverständigen beurteilt werden (BayVGH, B.v. 18.3.2015 – 1 C 14.2655 –juris Rn. 22 m.w.N.). Ein Sachverständigengutachten kann die eigene Prognoseentscheidung des Tatrichters nicht ersetzen, sondern nur eine Hilfestellung bieten (BVerwG, B.v. 13.3.2009 – 1 B 20.08 – juris Rn. 5). Der Zuziehung eines Sachverständigen bedarf es nur ausnahmsweise, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände – etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen – nicht ohne spezielle, dem Gericht nicht zur Verfügung stehende fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 11). Ein solcher Sonderfall liegt beim Kläger nicht vor.

Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen im Gutachten vom 17. September 2014 musste das Verwaltungsgericht bei seiner Prognoseentscheidung zur Wiederholungsgefahr nicht berücksichtigen. Dieses Gutachten hat das Strafgericht eingeholt, um festzustellen, ob der Kläger die Vergewaltigung im Zustand der Schuldunfähigkeit bzw. verminderten Schuldfähigkeit im Sinne der §§ 20 und 21 StGB begangen hat und ob gegebenenfalls seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erforderlich ist (§ 63 StGB). Die bei einer Ausweisungsentscheidung unter ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten zu treffende Prognose, ob vom Kläger eine Wiederholungsgefahr ausgeht, unterscheidet sich nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen grundsätzlich von einer Maßnahme nach § 63 StGB, so dass vom Fehlen einer Devianz in soziologischer und psychologischer Hinsicht nicht darauf geschlossen werden kann, dass der Kläger, rein ordnungsrechtlich betrachtet, auch nach seiner Haftentlassung keine Straftaten im Bereich der Körperverletzungs- und Sexualdelikte mehr begehen werde.

Die Strafaussetzung zur Bewährung im Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 27. Januar 2014 vermag die Einschätzung des Erstgerichts, dass vom Kläger auch künftig die Gefahr der Begehung schwerwiegender Straftaten ausgehe, nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Dieser Verurteilung lagen lediglich die am 7. April 2013 gegenüber einem Dritten und am 29. und 30. Juni 2013 gegenüber seiner ehemaligen Freundin begangenen Körperverletzungsdelikte zugrunde. Zudem ist dieses Urteil in die Entscheidung des Amtsgerichts Augsburg vom 10. Dezember 2014 einbezogen worden und damit sowohl hinsichtlich des Strafausspruchs als auch der Bewährungsentscheidung nicht mehr relevant.

Soweit der Kläger meint, es bestehe keine Wiederholungsgefahr mehr, weil er aufgrund seiner Vaterstellung und durch die Verbüßung der Freiheitsstrafe inzwischen in seiner Persönlichkeit gereift sei, bleibt er jeglichen Nachweis dafür schuldig. Bezüglich der familiären Beziehung zu seiner inzwischen bald dreijährigen Tochter ist lediglich bekannt, dass sie ihn zweimal in der Haftanstalt besucht hat. Eine Persönlichkeitsreifung wird dem Kläger weder im Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt vom 18. April 2017 noch in der Stellungnahme der sozialtherapeutischen Abteilung der Justizvollzugsanstalt vom 13. April 2017 bescheinigt.

Auch die Teilnahme an einer Therapie für Sexualstraftäter und die Bereitschaft zur Aufarbeitung des Tatgeschehens lassen die Wiederholungsgefahr nicht entfallen. Entgegen dem Vorbringen im Zulassungsantrag hat sich das Verwaltungsgericht mit der Stellungnahme des Therapeuten vom 13. April 2017 in den Entscheidungsgründen auseinandergesetzt (UA S. 11). Es nimmt ausdrücklich Bezug auf die Stellungnahme, in der der Therapeut ausführt, dass die Therapie während der gesamten Haftdauer fortzuführen sei und eine therapeutische Nachsorge nach der Entlassung über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren ebenfalls notwendig sei. Alleine die Teilnahme an einer Therapiemaßnahme reicht nicht aus, um ein Verhaltensmuster – hier die bereits bei nichtigen Anlässen bestehende Gewaltbereitschaft, die sich auch in einem sexuellen Übergriff manifestiert hat – zu durchbrechen. Erforderlich sind vielmehr der Nachweis des erfolgreichen Abschlusses der Therapie und eine Bewährung über einen gewissen Zeitraum nach der Haftentlassung. Dies gewinnt insbesondere vor dem Hintergrund Bedeutung, dass es sich beim Kläger um eine „Persönlichkeit mit dissozialen und hyperthym-narzistischen Zügen“ (Strafurteil vom 14.12.2014, S. 11) handelt.

Die Tatsache, dass der Kläger erstmals eine längere Haftstrafe verbüßt, spricht ebenfalls nicht entscheidend gegen das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr. Zwar gehen die Straf- und Verwaltungsgerichte davon aus, dass die erstmalige Verbüßung einer Haftstrafe, insbesondere als erste massive Einwirkung auf einen jungen Menschen, unter Umständen seine Reifung fördert und die Gefahr, erneut straffällig zu werden, mindern kann (vgl. BayVGH, B.v. 1.9.2016 – 10 ZB 16.901 – juris Rn. 10). Selbst wenn der Kläger inzwischen laut der Stellungnahme vom 13. April 2014 „die ihm im Urteil zur Last gelegte Tat gestand“, reicht dies nicht als Beleg für einen dauerhaften Einstellungswandel aus. Die Strafhaft hat beim Kläger allenfalls dazu geführt, dass er, nachdem er laut Gutachten vom 17. September 2014 anfangs die Tatbegehung leugnete, nun zumindest bereit ist, sich mit seiner Tat auseinanderzusetzen und seine Persönlichkeitsdefizite therapeutisch aufzuarbeiten.

Soweit sich der Kläger auf ein positives Nachtatverhalten beruft, ist hierzu nichts Konkretes vorgetragen. Es ist zwar richtig, dass das Opfer der Straftaten die Beziehung mit dem Kläger auch nach der Vergewaltigung fortgeführt hat. Er hat sich jedoch weder bei dem Opfer entschuldigt noch sich um eine „Wiedergutmachung“ bemüht. Die Tatsache, dass die Geschädigte die Beziehung fortgesetzt hat, spricht jedenfalls nicht für den Kläger. Offensichtlich hatte seine damalige Freundin Angst vor den Gewalttätigkeiten des Klägers und wurde von seiner Familie unter Druck gesetzt, die Strafanzeige zurückzunehmen. Dies lässt sich den Entscheidungsgründen des Strafurteils vom 10. Dezember 2014 entnehmen.

Weiterhin bringt der Kläger im Zulassungsverfahren vor, dass er den Abwägungsvorgang des Erstgerichts für fehlerhaft halte. Er führt aus, dass eine Gewichtung der persönlichen Belange im Sinne des Gesetzes nicht deren kumulative Aufzählung, sondern eine tatsächliche inhaltliche Würdigung der einzelnen Belange bedeute. Das Gericht hätte in die Gesamtabwägung nicht nur die Straftaten des Klägers, sondern auch dessen Auseinandersetzung mit der Tat, seine Deliktaufarbeitung und sein Nachtatverhalten, sein Verhältnis zum Opfer, ebenso die bislang erlittene Strafhaft als möglicher positiver Einfluss auf seine Persönlichkeitsentwicklung sowie den Grad der Gefahr der Begehung neuer Straftaten berücksichtigen müssen. Dies fehle vollständig. Die Beurteilung der angeblich nicht gelungenen nachhaltigen Integration sei anmaßend, weil sie ohne Rücksicht auf die körperlichen oder geistigen Möglichkeiten erfolgt sei.

Diese Ausführungen begründen aber ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Denn sie stellen weder einen einzelnen tragenden Rechtssatz noch eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage. Das Ergebnis der Abwägungsentscheidung des Verwaltungsgerichts ist nicht zu beanstanden. Es hat deutlich gemacht, dass der Kläger aufgrund der seit Jahren bestehenden Straffälligkeit, der Schwere der Straftaten sowie der Tatausführung immer noch eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, so dass seine aufgrund seiner Stellung als faktischer Inländer bestehenden Bleibeinteressen hinter das öffentliche Interesse an seiner Ausreise zurücktreten müssen. Die Bindungen zu seiner Familie sind zwar zu berücksichtigen, aber geringer zu gewichten, weil der Kläger als erwachsener junger Mann nicht mehr auf die (Lebens-)Hilfe seiner Familie angewiesen ist. Der Tatsache, dass er Vater einer Tochter mit deutscher Staatsangehörigkeit ist, kommt ebenfalls keine ausschlaggebende Bedeutung zu, weil er zu seiner Tochter bis zum Oktober 2016 keinerlei Kontakt hatte und sich nach Aussagen der Kindesmutter auch nicht um einen Kontakt bemüht hat. Bislang fanden nur zwei Besuche der Tochter beim Kläger in der Justizvollzugsanstalt statt. Der wirtschaftlichen und sozialen Integration des Klägers ins Bundesgebiet ist ebenfalls kein besonderes Gewicht beizumessen, weil sie sich auf einem Niveau bewegt, das der Kläger auch in der Türkei erreichen kann. Er hat in der Bundesrepublik lediglich Hilfsarbeitertätigkeiten ausgeübt. Eine derartige Beschäftigung steht ihm auch in der Türkei offen. Demgegenüber hat trotz seiner Stellung als faktischer Inländer keine absolute Entfremdung vom Land seiner Staatsangehörigkeit stattgefunden. Im Rahmen der biographischen Anamnese hat der Kläger im Gutachten vom 17. September 2014 angegeben, dass seine Eltern Gastarbeiter der ersten Generation seien und er mit seinem Vater überwiegend Türkisch gesprochen habe, mit der Mutter gemischt Deutsch und Türkisch. Es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger, auch wenn er die Türkei nur von Urlaubsaufenthalten kennt, jedenfalls soweit mit der Sprache und Kultur dieses Landes vertraut ist, dass er sich dort integrieren kann.

Die Abwägungsentscheidung ist auch nicht deshalb fehlerhaft, weil, wie der Kläger meint, das Verwaltungsgericht nicht nochmals ausdrücklich auf die Umstände der Tatbegehung, die persönliche Entwicklung des Klägers sowie den Grad der Wiederholungsgefahr eingegangen ist. Denn die Abwägungsentscheidung im Rahmen des § 53 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG stellt keine Ermessensentscheidung dar, bei der das Gericht lediglich in den Grenzen des § 114 Satz 1 VwGO überprüfen kann, ob die Behörde alle maßgeblichen Gesichtspunkte in die Entscheidung eingestellt und richtig gewichtet hat. Es handelt sich vielmehr um eine gerichtlich voll überprüfbare Entscheidung, bei der es nur auf die Ergebnisrichtigkeit ankommt (vgl. BVerwG, U.v. 27.7.2017 – 1 C 28.16 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 13.9.2017 – 10 C 17.1783 – Rn. 6).

Der Antrag auf Zulassung der Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.