vorgehend
Sozialgericht München, S 37 EG 230/14, 10.05.2016

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 10. Mai 2016 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der Rechtsstreit betrifft das Begehren der Klägerin, Elterngeld für Betreuung und Erziehung ihrer Tochter zu erhalten. Streitig sind die Leistungsvoraussetzungen dem Grunde nach. Die 34-jährige Klägerin ist deutsche Staatsangehörige. Sie ist die Mutter des am 02.08.2013 geborenen Kindes A.. A. wurde in G., Volksrepublik China, geboren. Vor A.s Geburt arbeitete die Klägerin seit 15.10.2010 bei der A. GmbH & Co. KG, O-Stadt, als „Gruppenleitung Qualitätskontrolle“ in einer Vollzeitbeschäftigung.

Am 15.10.2013 beantragte die Klägerin Elterngeld für den ersten bis zwölften Lebensmonat von A. (02.08.2013 bis 01.08.2014). Während dieses Zeitraums war sie mit dem Vater des Kindes verheiratet und lebte mit diesem sowie mit A. in einem Haushalt zusammen. Ein weiteres Kind gab es vor und während des gewünschten Elterngeld-Bezugszeitraums im Haushalt der Familie A. nicht.

Während der ersten zwölf Lebensmonate von A. hielt sich die Familie in der Volksrepublik China auf. Dies war bedingt durch die beruflichen Verhältnisse des Ehemanns der Klägerin, der damals bei B. beschäftigt war. Vom 01.07.2013 bis einschließlich 25.10.2014 arbeitete der Ehemann bei einer Tochterfirma von B. in China, wobei ihn seine Familie begleitete. Mit der chinesischen Tochterfirma schloss er einen gesonderten Arbeitsvertrag. Das Arbeitsverhältnis mit der B. AG in Deutschland wurde ruhend gestellt. Im Detail gestaltete sich der Auslandsaufenthalt folgendermaßen:

* Angebahnt wurde die Auslandsbeschäftigung etwa Mitte 2012, als die B. AG erstmals das Thema F. mit dem Ehemann im Rahmen dessen persönlicher Weiterentwicklung diskutierte. Gegen Ende 2012/Anfang 2013 wurde die Planung konkreter, so dass ein erstes Treffen mit der zuständigen Personalstelle stattfand. Das „offizielle Verfahren“ zur Realisierung des Auslandsaufenthalts wurde am 01.02.2013 eingeleitet (Versendung der so genannten Einzelpersonalanforderung).

* Arbeitsvertraglich regelte man den Auslandsaufenthalt durch einen so genannten Global Assignment Vertrag zwischen der B. AG und dem Ehemann der Klägerin. Die Essentialia der Regelung wurden in einen Vertragsteil „Short Term - ruhendes Arbeitsverhältnis“ aufgenommen. Der Ehemann der Klägerin, so der Vertrag, werde mit Wirkung vom 01.07.2013 bei der B. (China) Ltd. die Funktion Fachprojektleitung übernehmen. Die Dauer des Auslandseinsatzes sei befristet bis zum 30.06.2014 und ende zu diesem Zeitpunkt, wenn nicht zuvor eine Verlängerung erfolgt sei. Mit Beginn des Auslandseinsatzes werde das Arbeitsverhältnis mit der B. AG ruhend gestellt. Der Ehemann der Klägerin schließe einen lokalen Arbeitsvertrag mit der B. (China) Enterprise Management Co. Ltd, der unter anderem Einzelheiten zu Aufgabengebiet, Befugnissen und Verantwortlichkeiten regle. Die Vereinbarung „Short Term - ruhendes Arbeitsverhältnis“ trete neben den ruhenden Arbeitsvertrag mit der B. AG und den lokalen Arbeitsvertrag mit der chinesischen Gesellschaft. Aus dem Vertragsteil „Short Term - ruhendes Arbeitsverhältnis“ geht weiter hervor, dass die Arbeitsbedingungen sich nach chinesischem Recht richteten. Die Möglichkeit einer Verlängerung des Auslandsaufenthalts war im Global Assignment Vertrag nicht explizit statuiert. Geregelt war aber, über eine Verlängerung solle sechs Monate vor Vertragsende entschieden werden. Die B. AG erwarte, dass die Familie ihre Unterkunft in Deutschland beibehalte.

* Die Familienwohnung in China fand der Ehemann der Klägerin im Rahmen einer Dienstreise im März 2013 vor Ort mit Hilfe von Maklern. Sie war 85 qm groß und voll möbliert. Familie A. nahm die Wohnung am 02.07.2013 in Besitz. Laut Schilderung der Klägerin habe man in der Wohnung nahezu keine persönlichen Sachen platziert mit Ausnahme einiger Fotos. Die Familie habe die Wohnung relativ wenig individuell gestaltet. Ein Babybett samt Bettwäsche sei gestellt worden. Jeder der Ehepartner habe zwei Koffer mit nach China genommen, in den Kisten seien ein Maxi-Cosi sowie Babykleidung gewesen. Wäsche gewaschen habe die Familie selbst. Einmal in der Woche sei eine Putzfrau gekommen, die habe bezahlt werden müssen.

Im Elterngeldantrag teilte die Klägerin mit, ihr Ehemann befinde sich vom 01.07.2013 bis 30.06.2014 in China. Den Wohnsitz/gewöhnlichen Aufenthalt gab sie mit „Deutschland“ an. Auf Rückfrage des Beklagten ergänzte sie, ihr Mann sei derzeit als Entsandter in China beschäftigt. Da sich diese Tätigkeit auf ein Jahr beschränke und sie zudem in regelmäßigen Abständen zu Besuch nach Deutschland flögen, bestehe die Wohnung in G. weiterhin; dort liege weiterhin der Hauptwohnsitz. Das Arbeitsverhältnis ihres Mannes in Deutschland sei derzeit ruhend gestellt. Die Entsendung sei vom deutschen Arbeitgeber veranlasst worden; ihr Mann sei im Auftrag der B. AG in F.. Dem Antrag auf Weiterbehandlung nach deutschem Recht sei entsprochen worden, Sozialversicherungsbeiträge würden weitergezahlt. Es liege eine Pflichtversicherung auf Antrag vor. Die Auszahlung des Arbeitsentgelts erfolge (bis auf den lokalen Anteil) von der B. AG auf das deutsche Konto. Eine Steuererklärung werde in Deutschland und in China eingereicht.

Sodann kam es zu einer einvernehmlichen Verlängerung des Chinaaufenthalts, so dass die Familie letztendlich erst wieder am 25.10.2014 nach Deutschland zurückkehrte. Danach hielt sich die Klägerin nicht mehr in China auf. Im April 2014 hatte sich konkret abgezeichnet, dass möglicherweise eine Verlängerung vereinbart würde. Der Grund für die Verlängerung war die unerwartete Kündigung eines B.-Mitarbeiters, dessen Aufgabe in China dann der Ehemann der Klägerin übernahm. Laut Angaben der Klägerin sei eine Verlängerung vor Antritt des Auslandsaufenthalts noch kein Thema gewesen.

Mit Bescheid vom 18.07.2014 lehnte der Beklagte den Elterngeldantrag ab. Zur Begründung führte er aus, eine Entsendung liege nicht vor. Denn der Ehemann der Klägerin habe einen lokalen Arbeitsvertrag mit dem chinesischen Arbeitgeber geschlossen. Zudem bestehe durch den länger als ein Jahr andauernden Aufenthalt in China kein Wohnsitz im Sinn von § 30 des Sozialgesetzbuchs Erstes Buch (SGB I) in Deutschland. Die behaupteten besuchsweisen Aufenthalte würden für eine Aufrechterhaltung des Wohnsitzes nicht ausreichen.

Am 06.08.2014 legte die Klägerin dagegen Widerspruch ein. Sie vertrat die Ansicht, sie habe wegen des Aufenthalts in China ihren Wohnsitz in Deutschland nicht verloren. Die Familie sei immer noch in der G-Straße 3 in G. gemeldet und unterhalte dort trotz des vorübergehenden Auslandsaufenthalts die Hauptwohnung. Aufgrund im Vorfeld nicht absehbarer Gründe sei der Einsatz über den 30.06.2014 hinaus nunmehr bis zum 31.10.2014 verlängert worden. Während des Auslandsaufenthalts habe die Familie ihre Hauptwohnung zu keinem Zeitpunkt aufgegeben. Wer sich im Ausland aufhalte, behalte seinen Wohnsitz in Deutschland dann bei, wenn die Wohnung im Inland auch bei vorzeitiger Rückkehr sofort wieder genutzt werden könne und der Auslandsaufenthalt voraussichtlich in der Regel ein Jahr nicht überschreiten werde oder tatsächlich nicht überschreite. Im vorliegenden Fall sei der Auslandsaufenthalt nur für ein Jahr vorgesehen gewesen. Die Klägerin habe sich seit 01.07.2013 mit ihrer Tochter einmal, und zwar vom 01. bis 15.02.2014, in Deutschland aufgehalten, ihr Ehemann sei vom 07. bis 18.10.2013, vom 07. bis 13.12.2013, ebenfalls vom 01. bis 15.02.2014 sowie vom 16. bis 21.03.2014 in Deutschland gewesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 03.11.2014 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Er begründete dies damit, wer sich im Ausland aufhalte, behalte seinen Wohnsitz im Inland dann bei, wenn die Wohnung im Inland auch bei vorzeitiger Rückkehr sofort wieder genutzt werden könne und der Auslandsaufenthalt ein Jahr tatsächlich nicht überschreite. Dies gelte auch bei regelmäßiger Nutzung der Wohnung in Deutschland. Die Tochter sei in China geboren worden. Die Klägerin habe sich nur einmal kurz besuchsweise in Deutschland aufgehalten. Der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse habe eindeutig in China gelegen. Da der Auslandsaufenthalt ein Jahr überschritten habe, sei es unerheblich, dass die Wohnung weiterhin zur Verfügung gestanden habe und jederzeit habe genutzt werden können.

Am 18.11.2014 hat die Klägerin beim Sozialgericht München Klage erhoben. Einzuräumen sei, so die Klägerin, dass der Auslandsaufenthalt ein Jahr überschritten habe. Die Verlängerung sei aber zu Beginn nicht abzusehen gewesen. Ursprünglich sei eine Dauer von einem Jahr vorgesehen gewesen. Der Lebensmittelpunkt der Klägerin sei durch den Aufenthalt in China nicht dorthin verlagert worden. Während der Zeit in China habe die Familie nicht ihren Stromversorgungsvertrag gekündigt. Neben dem zulässigen Fluggepäck habe man lediglich zwei Kisten mit notwendigen Gegenständen mitgenommen. Das Inventar in der Wohnung in G. sei nicht verändert worden. Die Wohnung sei jederzeit bewohnbar gewesen. Nach der Rückkehr nach Deutschland habe die Familie lediglich leicht verderbliche Lebensmittel einkaufen müssen, wie es auch nach einer Urlaubsreise üblich sei. Darüber hinaus hätten keine Maßnahmen ergriffen werden müssen, um den Alltag zu meistern. Die Wohnung in G. habe während des Auslandaufenthalts leer gestanden und sei nicht vermietet worden.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 10.05.2016 abgewiesen. In der Begründung hat es unterstrichen, die Klägerin habe ab der Geburt ihrer Tochter bis zum 25.10.2014 weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt. Im Rahmen von § 30 Abs. 3 Satz 1 SGB I seien die objektiven Verhältnisse entscheidend, die den Schluss auf den Willen zur Wohnsitzbegründung zulassen müssten. Die polizeiliche Meldung allein reiche nicht aus. Es sei eine vorausschauende Betrachtung vorzunehmen. Ein Doppelwohnsitz im In- und Ausland sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zwar möglich, erfordere jedoch hinreichend intensive Beziehungen zum Inland. Der Inlandswohnsitz werde in solchen Fällen nur dann beibehalten, wenn der Betroffene entweder seinen Lebensmittelpunkt weiterhin am bisherigen Wohnort habe oder er zwar keinen einheitlichen Lebensmittelpunkt mehr habe, er aber nunmehr über zwei Schwerpunkte der Lebensverhältnisse verfüge und einer davon am bisherigen Wohnort liege. Die Feststellung, dass ein Auslandsaufenthalt ausschließlich der Durchführung einer zeitlich befristeten Maßnahme diene und der Betroffene die Absicht habe, nach dem Abschluss der Maßnahme zurückzukehren, reiche allein nicht aus, um vom Fortbestand des bisherigen Wohnsitzes während des Auslandsaufenthalts ausgehen zu können. Ebenso wenig würden bloße kurzzeitige Besuche und sonstige kurzfristige Aufenthalte zu Urlaubs-, Berufs- oder familiären Zwecken genügen, die nicht ein „zwischenzeitliches Wohnen“ in der bisherigen Wohnung bedeuteten. Gemessen daran habe die Klägerin im maßgeblichen Zeitraum vom 02.08.2013 bis 01.08.2014 keinen inländischen Wohnsitz und keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von § 30 Abs. 3 SGB I in Deutschland gehabt. Sie habe ihren Ehemann nach China begleitet und dort auch ihre Tochter zur Welt gebracht. Der Lebensmittelpunkt der Klägerin habe sich damit in dieser Zeit in China befunden. Der Ehemann der Klägerin sei dort vertraglich gebunden gewesen und habe nicht einseitig über das Ende seines Auslandsaufenthalts entscheiden können. Der Wohnsitz in Deutschland sei lediglich für kurzfristige Aufenthalte zu Urlaubs-, Berufs- oder familiären Zwecken genutzt worden. Die Klägerin habe ihren Lebensmittelpunkt an den Einsatzort ihres Ehemannes verlagert und sich dort - auch aus prognostischer Sicht - nicht nur vorübergehend aufgehalten. Dabei komme es entgegen der Auffassung der Klägerin für die Prognoseentscheidung nicht auf den Antragszeitpunkt, sondern auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten an. Auch die Voraussetzungen einer Entsendung des Ehemanns im Sinn von § 1 Abs. 2 Satz 1 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG) seien nicht erfüllt.

Am 16.06.2016 hat die Klägerin Berufung eingelegt. Die Begründung entspricht im Wesentlichen der Klagebegründung. Auf der Grundlage einer vorausschauenden Betrachtungsweise, so die Klägerin, habe ihre Familie den Wohnsitz in Deutschland nicht aufgegeben. Erneut hat sie darauf hingewiesen, dass die Jahresfrist nur unwesentlich überschritten worden sei. Auch Telefon- und Mobilfunkverträge seien während des Auslandsaufenthalts nicht gekündigt worden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 10.05.2016 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 18.07.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.11.2014 zu verurteilen, ihr Elterngeld für den ersten bis zwölften Lebensmonat ihrer Tochter A. nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts für richtig.

Am 07.09.2017 hat ein Erörterungstermin stattgefunden; insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Bei der B. AG hat der Senat schriftliche Auskunft zu den näheren Umständen des Auslandsaufenthalts eingeholt; auf das Schreiben der B. AG vom 05.02.2018 wird verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen. Die Akten haben vorgelegen, sind als Streitstoff in das Verfahren eingeführt worden und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Gründe

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist zwar zulässig, aber unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Denn zutreffend hat der Beklagte die Gewährung von Elterngeld abgelehnt.

Streitgegenstand der hier vorliegenden kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage ist der Bescheid des Beklagten vom 18.07.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.11.2014. Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage und Berufung eine Verurteilung des Beklagten zur Leistung von Elterngeld dem Grunde nach. Dementsprechend ist der Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens beschränkt.

Der geltend gemachte Anspruch auf Elterngeld für die ersten zwölf Lebensmonate von A. steht der Klägerin, wie der Beklagte und das Sozialgericht zutreffend entschieden haben, in der Tat nicht zu. Denn es fehlt am Vorliegen derjenigen Tatbestandsvoraussetzung, die eine räumliche Beziehung der Betreuung und Erziehung des Kindes zum Gebiet der Bundesrepublik Deutschland verlangen.

1. Die Leistungsvoraussetzungen dem Grunde nach sind im Wesentlichen in § 1 Abs. 1 BEEG in der bis 31.12.2014 geltenden Fassung (aF) statuiert. Nach § 1 Abs. 1 BEEG aF hat Anspruch auf Elterngeld, wer

  • 1.einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat,

  • 2.mit seinem Kind in einem Haushalt lebt,

  • 3.dieses Kind selbst betreut und erzieht und

  • 4.keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.

Die in Nummer 2 bis 4 genannten Voraussetzungen erfüllte die Klägerin zweifellos. Sie lebte mit A. in einem Haushalt, betreute und erzog sie selbst und übte während des gewünschten Bezugszeitraums keine Erwerbstätigkeit aus (vgl. § 1 Abs. 6 BEEG aF). Ein ordnungsgemäßer Antrag lag vor. Der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 8 BEEG aF ist nicht erfüllt, weil das zu versteuernde Einkommen beider Elternteile zusammen im letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraum vor der Geburt deutlich unter 500.000 EUR blieb. Allerdings hatte die Klägerin während des gesamten Zeitraums vom 02.08.2013 bis 01.08.2014 weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, wie es Nummer 1 verlangt.

a) Ein Wohnsitz in Deutschland war während des streitgegenständlichen Zeitraums nicht vorhanden. Nach § 30 Abs. 3 Satz 1 SGB I, der gemäß § 37 Satz 1, § 68 Nr. 15a SGB I grundsätzlich auch für das Elterngeldrecht gilt, hat jemand den Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Eng am Wortlaut orientiert, muss im ersten Schritt eine vorwiegend objektive Tatsache festgestellt werden, nämlich das Innehaben einer Wohnung. Das Innehaben einer Wohnung fällt nicht dadurch weg, dass sich der Betroffene vom Ort des Wohnsitzes entfernt. Zum Zweiten bedarf es objektiver, aber auch subjektiver Umstände, welche die Beziehung des Betroffenen zu einer Wohnung definieren. Und drittens müssen die im zweiten Schritt ermittelten Tatsachen den prognostischen Schluss zulassen, dass eine Beibehaltung und Benutzung der Wohnung erfolgen wird. Die Benutzung muss ihrer Qualität nach so sein, dass dort der Lebensmittelpunkt liegt.

Die Rechtsprechung des BSG baut zumeist nicht auf dieser Strukturierung auf. Vielmehr nimmt das BSG häufig eine Gesamtbetrachtung vor (Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls, vgl. nur Urteil vom 30.09.1996 - 10 RKg 29/95; Urteil vom 31.10.2012 - B 13 R 1/12 R; Urteil vom 17.12.2014 - B 8 SO 19/13 R) und hat dazu seinerseits Obersätze entwickelt. Bei der Analyse dieser Rechtsprechung muss beachtet werden, dass die generelle Aussagekraft der Judikate eingeschränkt ist. Denn die Rechtsfindung zeigt sich im hier vorliegenden Problembereich sehr einzelfallabhängig, was nicht zuletzt auf der Methodik einer Gesamtbetrachtung und Gesamtbeurteilung aller relevanten Aspekte beruht. Falsch wäre daher, im Rahmen der Rechtsprechungsexegese Aussagen des BSG ohne Ansehen des konkreten Sachverhalts zu verallgemeinern. Hinzu kommt, dass die Voraussetzungen für die Neubegründung eines Wohnsitzes anders zu beurteilen sein werden als die - und das ist auch hier das Problem - für die Beibehaltung beziehungsweise Aufgabe eines einmal begründeten Wohnsitzes (vgl. BSG, Urteil vom 07.09.1988 - 10 RKg 4/87).

Trotzdem lassen sich der höchstrichterlichen Rechtsprechung gewisse Fixpunkte für die Prüfung entnehmen:

* Seit 1984 (Urteil vom 12.12.1984 - 10 RKg 6/84) ist es ständige BSG-Rechtsprechung, dass trotz Begründung eines ausländischen Wohnsitzes ein inländischer beibehalten werden kann. Voraussetzung dafür ist, dass die inländische Wohnung jederzeit zur Verfügung steht und auch benutzt wird.

* Gleichsam ist seit 1985 (Urteil vom 10.12.1985 - 10 RKg 14/85) ständige BSG-Rechtsprechung, dass es bei der Beurteilung des Wohnsitzes auf den Lebensmittelpunkt („Schwerpunkt der Lebensverhältnisse“, vgl. BSG, Urteil vom 06.03.2013 - B 11 AL 5/12 R) ankommt: Die Unterhaltung eines Wohnsitzes erfordert ein reales Verhalten in Bezug auf einen Lebensmittelpunkt.

Auch der für das Elterngeldrecht zuständige 10. Senat des BSG hat verallgemeinerungsfähige Vorgaben für die Prüfung des Wohnsitzes geliefert. So hat er im Urteil vom 20.12.2012 - B 10 EG 16/11 R judiziert, der bloße Besitz einer Wohnung reiche nicht aus. Vielmehr müsse eine ausreichende Benutzung hinzukommen. Da ein Wohnsitz auch dann gegeben sein könne, wenn eine Wohnung nicht ständig benutzt werde, könne eine Person auch mehrere Wohnsitze haben. Gemäß dem Urteil des 10. Senats des BSG vom 03.12.2009 - B 10 EG 6/08 R soll entscheidend sein, ob ein an den objektiven Verhältnissen zu messender realisierbarer Wille vorhanden sei, an einem bestimmten Ort zu wohnen. In der gleichen Entscheidung wurde unterstrichen, das Vorliegen eines Wohnsitzes sei im weg der vorausschauenden Betrachtung (Prognose) zu beurteilen.

Im vorliegenden Verfahren haben sich die Beteiligten intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, ob und inwieweit feste zeitliche Vorgaben existieren, welche Dauer eines Auslandsaufenthalts „wohnsitzschädlich“ sein könnte. Bei der Auswertung der hierzu ergangenen BSG-Rechtsprechung besteht das oben erwähnte Erfordernis, sich der Vergleichbarkeit der Sachverhalte genau zu vergewissern, im Besonderen. So ist es im Hinblick auf das Weiterbestehen eines Wohnsitzes im Inland höchst signifikant, ob die gesamte Familie im Ausland lebt oder aber nur ein Mitglied, während der Rest der Familie im Inland am Wohnsitz zurückgeblieben ist. Aus diesem Grund dürfen gerade zahlreiche BSG-Entscheidungen zum Kindergeldrecht nur mit großer Zurückhaltung als Quelle der Rechtsfindung herangezogen werden; häufig lag dort die Konstellation zugrunde, dass lediglich das Kind im Ausland lebte (vor allem zum Zweck einer Schul- oder Hochschulausbildung), nicht aber der Rest der Familie. Für den vorliegenden Fall sind dagegen nur diejenigen BSG-Entscheidungen von Interesse, bei denen sich die ganze Familie ins Ausland begeben hatte.

Die im Sachverhalt mit dem vorliegenden Fall vergleichbaren BSG-Entscheidungen könnten auf den ersten Blick tatsächlich den Eindruck entstehen lassen, es existiere eine zeitliche Grenze, unterhalb der ein Auslandsaufenthalt nicht im Stande sei, den Wohnsitz im Inland zu tangieren. So hat der 10. Senat des BSG im Urteil vom 20.12.2012 - B 10 EG 16/11 R ausgeführt, wer sich bei einer mehrjährigen Auslandsbeschäftigung in seiner beibehaltenen Wohnung nur noch im Urlaub aufhalte, habe keinen Wohnsitz im Inland mehr. Die Wohnung bilde für ihn dann keinen Schwerpunkt der Lebensverhältnisse. Dies gelte jedenfalls dann, wenn jemand bereits seit mindestens sechs Jahren im Ausland lebe und arbeite, die inländische Wohnung jedoch nur wenige Wochen im Jahr vorübergehend bewohne. Das Abstellen des BSG auf die mehrjährige Dauer des Auslandsaufenthalts mag Mancher als Ausdruck einer konkreten zeitlichen Untergrenze auffassen. Hinzu kommt, dass zahlreichen weiteren BSG-Entscheidungen, die vom Sachverhalt her ähnlich gelagert waren (Urteil vom 27.04.1978 - 8 RKg 2/77; Urteil vom 26.07.1979 - 8b RKg 12/78; Urteil vom 28.02.1980 - 8b RKg 6/79; Urteil vom 07.09.1988 - 10 RKg 4/87; Urteil vom 03.11.1993 - 14b REg 5/93), von vornherein längere Auslandsaufenthalte zugrunde lagen.

Nichtsdestotrotz proklamiert keines der genannten BSG-Urteile eine fixe zeitliche Untergrenze. Der Duktus der Judikate zeichnet sich vielmehr dadurch aus, dass „jedenfalls“ bei einer Dauer des Auslandsaufenthalts wie im jeweiligen konkreten Fall kein Wohnsitz mehr im Inland bestünde. Und auch das BSG-Urteil vom 20.12.2012 - B 10 EG 16/11 R enthält nicht die Aussage, ein nur einjähriger Auslandsaufenthalt könne keinesfalls den inländischen Wohnsitz entfallen lassen.

Hohe Aussagekraft haben die Beteiligten, aber auch das Sozialgericht, dem BSG-Urteil vom 28.05.1997 - 14/10 RKg 14/94 beigemessen, obwohl es sich dabei just um einen derjenigen Kindergeldfälle handelte, wo sich lediglich das Kind im Ausland zu Studienzwecken aufhielt, die Familie dagegen in Deutschland geblieben war. Das BSG entschied, bei Auslandsaufenthalten, die auf eine Dauer von nicht mehr als einem Jahr angelegt seien, könne im Regelfall davon ausgegangen werden, dass ein Schwerpunkt der Lebensverhältnisse weiterhin am bisherigen Wohnort liege, sofern Vorsorge dafür getroffen sei, dass eine dauerhafte Rückkehr in die Wohnung jederzeit möglich sei. Ansonsten aber, also bei von vornherein auf mehr als ein Jahr angelegten Auslandsaufenthalten, reichten die Feststellung der Rückkehrabsicht und der Möglichkeit der jederzeitigen Rückkehr in die Wohnung allein nicht aus, um die Aufrechterhaltung des Inlandswohnsitzes anzunehmen.

Obwohl diese Aussagen des BSG allgemeine Geltung zu beanspruchen scheinen, sieht der Senat im vorliegenden Fall davon ab, die im BSG-Urteil vom 28.05.1997 genannte Zeitschwelle von einem Jahr zu verabsolutieren. Würde man die Jahresgrenze als „hartes Kriterium“ heranziehen, würde sich die Folgefrage stellen, aus welcher Perspektive zu beurteilen ist, ob die Jahresgrenze überschritten ist oder nicht. Das Sozialgericht hat sich in seiner Begründung explizit damit befasst. Es hat gemeint, maßgebender Beurteilungszeitpunkt sei der der Behördenentscheidung. Auf diese Weise hat es die Verlängerungsphase in die maßgebende Dauer des Auslandsaufenthalts einbezogen und ist so zu einer Überschreitung der Jahresgrenze gekommen. Die Klägerin vertritt dagegen die Ansicht, die Prognose müsse aus der Perspektive eines früheren Zeitpunkts getroffen werden, zu dem die Verlängerung bis Oktober 2014 noch nicht absehbar gewesen sei. Hält man wie der Senat nicht die Auffassung des Sozialgerichts, sondern die der Klägerin für richtig (im BSG-Urteil vom 31.10.2012 - B 13 R 1/12 R scheint der „Beginn des entscheidungserheblichen Zeitraums“ als maßgeblich erachtet worden zu sein), wäre es sogar vorstellbar, zu einem „geteilten“ Ergebnis zu kommen: Bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Verlängerung absehbar war, könnte man noch einen Wohnsitz in Deutschland annehmen, für die Zeit danach dagegen nicht mehr (in diese Richtung wohl BSG, Urteil vom 12.12.1995 - 10 RKg 7/95).

Der Senat muss sich nicht auf solche Überlegungen einlassen, weil er die Dauer des Auslandsaufenthalts zwar als wichtigen Aspekt und Anhaltspunkt im Rahmen der Gesamtbetrachtung ansieht, der vom BSG thematisierten Jahresgrenze aber keine Verbindlichkeit unabhängig von anderen relevanten Gesichtspunkten beimisst. Das gilt umso mehr, als das BSG wiederholt ausdrücklich betont hat, feste zeitliche Grenzen könne es nicht geben (vgl. Urteil vom 25.06.1987 - 11a REg 1/87; Urteil vom 30.09.1996 - 10 RKg 29/95; Urteil vom 31.10.2012 - B 13 R 1/12 R). Vielmehr verwendet der Senat das Kriterium „Schwerpunkt der Lebensverhältnisse“ als Ausgangs- und Angelpunkt der Rechtsfindung. Über die bloße räumliche Bleibe hinaus umfasst der Wohnsitzbegriff den räumlichen Bereich, in dem jemand den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat (vgl. BSG, Urteil vom 30.09.1996 - 10 RKg 29/95). Mittels einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände ist ähnlich einer Abwägung festzustellen, wo der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse liegt. Hier kommt der Senat zum Ergebnis, dass der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse sich im streitgegenständlichen Zeitraum in China befand (dazu unten aa). Währenddessen, und zwar schon von Beginn des Auslandsaufenthalts an, gab es keinen zweiten Schwerpunkt mehr in Deutschland (dazu unten bb). Von daher existierte damals kein Wohnsitz im Sinn von § 30 Abs. 3 Satz 1 SGB I in Deutschland.

aa) Dass die Familie mit der Ankunft in China Anfang Juli 2013 dort einen Schwerpunkt ihrer Lebensverhältnisse begründete, kann nicht wirklich bezweifelt werden. Der Umstand, dass der Umzug mit vergleichsweise wenig Gepäck und Umzugsgut erfolgt war, ist angesichts der schieren Entfernung nicht wirklich von Belang. Die Familie hatte in China eine eigene Wohnung. Auch wenn die Bleibe möbliert war, so handelte es sich doch eindeutig nicht um eine „hotelmäßige“ Unterbringung. Die Familie lebte dort so, wie man es eben zuhause tut. Sie hatte sich dort „eingerichtet“ (was sich nicht auf das Mobiliar, sondern auf das Leben überhaupt bezieht). Sie war für ihre Versorgung im weiteren Sinn (z.B. Lebensmittel, Essenszubereitung, Wäsche, Reinigung der Wohnung) selbst verantwortlich. Dass die Wohnung nur wenig individuell ausgestattet wurde, vermag nicht, diesen Eindruck in Frage zu stellen. Die Familie lebte ihr Leben in China in all seinen Facetten, was einen fundamentalen Unterschied beispielsweise zu einem längeren Urlaubsaufenthalt im Ausland bedeutet. So ging sie von der chinesischen Wohnung aus ihrer Erwerbstätigkeit nach und verdiente damit den Lebensunterhalt. Dabei ist von großer Wichtigkeit, dass der Ehemann der Klägerin durch die arbeitsvertraglichen Regelungen an den Aufenthalt in China rechtlich gebunden war (vgl. BSG, Urteil vom 28.02.1980 - 8b RKg 6/79; Urteil vom 28.05.1997 - 14/10 RKg 14/94). Nicht zuletzt wurde in China das erste Kind geboren und in seiner ersten, für die weitere Persönlichkeitsentwicklung überaus wichtigen Lebensphase vom Säugling zum Kleinkind betreut und erzogen; diesen Umstand hält der Senat für besonders einschneidend.

Der Umstand, dass der Aufenthalt von vornherein nur für eine überschaubare Zeit geplant war, tut dem keinen Abbruch. An dieser Stelle sei angemerkt, dass, auch wenn bei Ex-ante-Betrachtung der Aufenthalt in China auf ein Jahr angelegt war, eine Verlängerung schon von Anfang an im Bereich des Möglichen lag. Die zuständige Personalreferentin der B. AG hat dem Senatsvorsitzenden telefonisch mitgeteilt, dass in vergleichbaren Situationen Verlängerungen keineswegs selten seien; dessen waren sich auch die Klägerin und ihr Ehemann bewusst. Konkret wies der vom Kläger geschlossene Global Assignment Vertrag in dessen Nr. 8.7 sogar auf die Option einer Verlängerung hin. Auch wenn nach der schriftlichen Auskunft der B. AG gerade im Fall des Klägers anfänglich keine allzu hohe Wahrscheinlichkeit für eine Verlängerung bestanden haben mag, so muss doch konstatiert werden, dass die Dauer von einem Jahr nicht fix war.

Ein Wohnsitz wird nicht nur dann begründet, wenn dessen spätere Aufgabe nicht absehbar ist. Auch Aufenthalte mit absehbarer oder definitiv feststehender Rückkehr können geeignet sein, einen Wohnsitz zu begründen, sofern nur wie hier das Leben der Betroffenen in all seinen Ausprägungen verlagert wird. Andererseits setzt die Wohnsitzbegründung sehr wohl voraus, dass der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse nicht nur für kurze Zeit im Ausland liegt; die Schwerpunktnahme darf nicht nur vorübergehend sein (so BSG, Urteil vom 27.09.1990 - 4 REg 30/98). Die im vorliegenden Fall prognostizierbare Dauer des Aufenthalts in China war nicht in diesem Sinn kurz oder vorübergehend. Vielmehr war klar, dass man mindestens ein Jahr in China bleiben und dort das Leben in allen Facetten verbringen werde. Der Chinaaufenthalt erschien nicht nur als ferienähnliches Intermezzo. Die im Fall der Klägerin prognostisch festzustellende Dauer des Auslandsaufenthalts von zunächst einem Jahr darf nicht unterschätzt werden. Auch wenn das BSG wiederholt darauf hingewiesen hat, die Regelung des § 9 der Abgabenordnung (AO), die eine zeitliche Grenze von sechs Monaten vorsieht, sei ein Spezifikum des Steuerrechts und dürfe nicht auf das Sozialrecht übertragen werden (grundlegend Urteil vom 22.03.1988 - 8/5a RKn 11/87; vgl. auch Urteil vom 31.10.2012 - B 13 R 1/12 R), und auch wenn § 9 AO für das Steuerrecht den gewöhnlichen Aufenthalt und nicht den Wohnsitz regelt, so indiziert die Norm gleichwohl, dass es nicht abwegig ist, auch eine kürzere Aufenthaltsdauer als die im Urteil vom 20.12.2012 genannte „mehrjährige“ für eine Wohnsitzbegründung im Ausland genügen zu lassen.

Der Einwand der Klägerin, sie selbst sei nicht in gleicher Weise wie ihr Mann an China gebunden gewesen, sie habe sogar überlegt, mit A. vorzeitig nach Deutschland zurückzukehren, ist unerheblich. Stellt man nämlich im Rahmen der zu treffenden Prognoseentscheidung richtiger Weise auf die Verhältnisse zu Beginn des Chinaaufenthalts ab, darf nicht übersehen werden, dass es der Klägerin gerade auf die Herstellung der familiären Gemeinschaft ankam; das überhaupt war für sie der Grund, ihren Ehemann zu begleiten. Die Herstellung der familiären Gemeinschaft stellte für sie das Leitmotiv dar, an das sie sich gebunden fühlte. Dass dann möglicherweise im Lauf der Zeit Rückkehrgedanken aufgekommen sein mögen, spielt bei der gebotenen Ex-ante-Betrachtung keine Rolle. Die Gebundenheit an die Familie war für die Klägerin in vergleichbarer Weise verpflichtend wie der berufliche Aspekt für ihren Ehemann. Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Klägerin letztlich sogar in die Verlängerung einwilligte und während der gesamten Verlängerungsphase in China geblieben war. Die Tendenz zu einer vorzeitigen Rückkehr war also nicht wirklich tiefgreifend.

bb) Zeitgleich mit der Begründung eines Wohnsitzes in China fiel der bisherige Wohnsitz in Deutschland weg. Der Senat vermag somit nicht den Ausnahmefall festzustellen, dass zwei Wohnsitze gleichzeitig vorhanden waren (vgl. dazu BSG, Urteil vom 20.12.2012 - B 10 EG 16/11 R).

Im Einzelfall können allerdings zwei Wohnsitze nebeneinander bestehen, wenn nach den äußeren Umständen der Lebensmittelpunkt zeitlich und örtlich zwei Wohnungen in verschiedenen Orten zuzuordnen ist und so zwei Schwerpunkte der Lebensverhältnisse gebildet worden sind. Das kann aber nur dann in Betracht gezogen werden, wenn bei einem Auslandsaufenthalt die bisherige Wohnung im Inland bei prognostischer Beurteilung weiter benutzt wird; dieses Erfordernis ist in § 30 Abs. 3 Satz 1 SGB I verankert und entspricht ständiger BSG-Rechtsprechung (vgl. nur BSG, Urteil vom 12.12.1984 - 10 RKg 6/84; Urteil vom 07.09.1988 - 10 RKg 4/87). Der bloße Besitz einer Wohnung genügt nicht (vgl. BSG, Urteil vom 20.12.2012 - B 10 EG 16/11 R).

„Benutzen“ ist hier in einem spezifisch rechtlichen Sinn zu interpretieren. Dabei handelt es sich um einen vielschichtigen Begriff. So könnte man „Benutzen“ ganz konkret verstehen: Man benutzt die Wohnung, solange man sich dort aufhält. Man benutzt sie aber beispielsweise nicht mehr während einer urlaubsbedingten oder sonstigen Abwesenheit. Im Kontext von § 30 Abs. 3 Satz 1 SGB I bedarf es dagegen eines abstrakteren Verständnisses des Tatbestandsmerkmals Benutzen. So hat das BSG im Urteil vom 20.12.2012 - B 10 EG 16/11 R ausgeführt, ein Wohnsitz sei auch dann gegeben, wenn eine Wohnung nicht ständig benutzt werde. Die für die Aufrechterhaltung des Wohnsitzes erforderliche Benutzung ist also eine andere als diejenige, die als „tatsächliche Anwesenheit“ definiert wird. Ein mehrwöchiger Urlaub beendet die im Gesetz verankerte, weiter zu interpretierende „Benutzung“ nicht. Diese abstraktere Form der Benutzung endet vielmehr erst dann, wenn die Wohnung das aufhört zu sein, was sie eigentlich ist: der Lebensmittelpunkt. Der Wohnsitz wird dann beseitigt, wenn eine Abwesenheit so gestaltet ist, dass bei wertender Betrachtung die Wohnung ihre Funktion als räumlicher Lebensmittelpunkt einbüßt.

Das war hier im Hinblick auf die Wohnung in G. der Fall, als die Familie im Juli 2013 nach China reiste. So wie ab diesem Zeitpunkt der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse in China begründet wurde, wurde er von der deutschen Wohnung wegverlagert. Die Wohnung in Deutschland hat der Klägerin nicht in der Weise als Bleibe gedient, dass diese sie regelmäßig oder doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Gewohnheit benutzt - hier ist gemeint im konkreten Sinn - hätte (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1984 - 10 RKg 6/84). Notwendig wäre eine „horizontale“ Aufteilung der Lebensverhältnisse dergestalt gewesen, dass das alltägliche Leben sowohl in China als auch in Deutschland stattgefunden hätte; in der BSG-Rechtsprechung wird diesbezüglich von einem „zwischenzeitlichen Wohnen“ gesprochen (BSG, Urteil vom 24.06.1998 - B 14 KG 2/98 R). Daran fehlte es. Dass die Wohnung in G. zur sofortigen, zäsurlosen Benutzung zur Verfügung stand, genügt nicht. Der kurze Besuch der Klägerin in Deutschland ist nicht geeignet, eine Benutzung dergestalt zu erzeugen, dass auch von einem „Leben“ in Deutschland gesprochen werden könnte (vgl. zur Insuffizienz bloßer besuchsweiser Aufenthalte BSG, Urteil vom 28.05.1997 - 14/10 RKg 14/94). Die etwas häufigeren beruflichen Aufenthalte des Ehemanns in Deutschland vermitteln der Klägerin keine engere Bindung zu der Wohnung in G..

Die BSG-Rechtsprechung verzichtet auf eine tatsächliche Benutzung der inländischen Wohnung dann, wenn Vorsorge getroffen ist, dass eine dauerhafte Rückkehr in die Wohnung jederzeit möglich ist (vgl. Urteil vom 03.11.1993 - 14b REg 5/93; Urteil vom 28.05.1997 - 14/10 RKg 14/94). Im vorliegenden Fall bestand gerade nicht die Möglichkeit einer jederzeitigen Rückkehr in die Wohnung in G.. Denn der Ehemann der Klägerin war arbeitsrechtlich an die Volksrepublik China gebunden, die Klägerin ihrerseits dadurch, dass sie die Familiengemeinschaft aufrechterhalten wollte. Diese Art der Bindung schließt die jederzeitige Rückkehrmöglichkeit aus (vgl. BSG, Urteil vom 28.02.1980 - 8b RKg 6/79 in Abgrenzung zu BSG, Urteil vom 26.07.1979 - 8b RKg 12/78; vgl. weiter BSG, Urteil vom 07.09.1988 - 10 RKg 4/87).

Der Aufenthalt in China, und damit die Abwesenheit von Deutschland, war auch nicht zu kurz, um die Eigenschaft der Wohnung in G. als Wohnsitz zu beseitigen. Indes leuchtet ein, dass insoweit auch die Dauer eines Auslandsaufenthalts berücksichtigt werden muss (vgl. BSG, Urteil vom 22.05.1984 - 10 RKg 3/83). So hat das BSG schon früh klargestellt, dass eine kurzfristige und unbeachtliche Unterbrechung eines sonst andauernden Zustands an der Wohnsitzeigenschaft nicht zu rütteln vermag. Durch eine vorübergehende Unterbrechung im Innehaben einer inländischen Wohnung wird der inländische Wohnsitz nicht beendet, falls die Umstände bestehen bleiben, die auf die Beibehaltung einer Wohnung im Inland schließen lassen (vgl. Urteil vom 27.04.1978 - 8 RKg 2/77). Das lässt sich im vorliegenden Fall nicht feststellen. Die gleichen Gründe, derentwegen der Aufenthalt in China nicht nur ein unbeachtlicher kurzer, vorübergehender war (vgl. dazu oben aa), bewirken, dass das Verlassen der Wohnung in G. seinerseits nicht nur als vorübergehend einzustufen ist. Dass eine Rückkehr definitiv beabsichtigt war, ändert daran nichts. Bei wertender Betrachtung vermag der Senat auch nicht den Eindruck zu gewinnen, das Wohnen in G. habe - auf welche Weise auch immer - „angedauert“; denn während der streitigen Phase lag der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse ausschließlich in China.

b) Während der Phase 02.08.2013 bis 01.08.2014 hatte die Klägerin auch keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland.

Nach § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I, der gemäß § 37 Satz 1, § 68 Nr. 15a SGB I grundsätzlich auch für das Elterngeldrecht gilt, hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Nach der BSG-Rechtsprechung (Urteil vom 16.06.2015 - B 13 R 36/13 R) ist die Frage des Vorliegens eines gewöhnlichen Aufenthalts anhand einer dreistufigen Prüfung zu klären. Ausgangspunkt ist ein „Aufenthalt“. Sodann müssen die mit dem Aufenthalt verbundenen „Umstände“ festgestellt werden. Diese sind schließlich daraufhin zu würdigen, ob sie „erkennen lassen“, dass der Betreffende am Aufenthaltsort oder im Aufenthaltsgebiet „nicht nur vorübergehend“ verweilt. Ob jemand sich gewöhnlich an einem Ort oder in einem Gebiet aufhält oder nur vorübergehend dort verweilt, lässt sich ebenso wie beim Wohnsitz nur mittels einer vorausschauenden Betrachtungsweise entscheiden. Diese Prognose bleibt auch dann maßgebend, wenn der „gewöhnliche Aufenthalt“, wie hier, rückblickend zu ermitteln ist. Auch beim gewöhnlichen Aufenthalt muss die Prognose alle mit dem Aufenthalt verbundenen Umstände berücksichtigen. Anders als beim Wohnsitz kann es jeweils immer nur einen einzigen gewöhnlichen Aufenthalt geben.

Das Tatbestandsmerkmal „Aufenthalt“ darf jedoch ebenso wie „Benutzung“ nicht zu konkret verstanden werden. Denn ein gewöhnlicher Aufenthalt erfordert nicht, dass man „nie abwesend“ ist. Voraussetzung ist keine Lückenlosigkeit des Aufenthalts, sondern nur eine gewisse Stetigkeit und Regelmäßigkeit (BSG, Urteil vom 31.10.2012 - B 13 R 1/12 R). Mit dem Verlassen der Wohnung in G. im Juli 2013 wurde hier der gewöhnliche Aufenthalt in Deutschland aber beendet und zeitgleich ein gewöhnlicher Aufenthalt in China begründet. Denn der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse verlagerte sich samt und sonders nach China, was nach der BSG-Rechtsprechung ein gewichtiges Indiz für einen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts darstellt (vgl. BSG, Urteil vom 31.10.2012 - B 13 R 1/12 R). Die prognostische Aufenthaltsdauer von einem Jahr war auch lang genug, um nicht nur als „vorübergehend“ im Sinn von § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I zu erscheinen.

Denn ein Aufenthalt muss, um gewöhnlicher zu sein, nicht dauerhaft (unbegrenzt) sein (vgl. BSG, Urteil vom 10.12.2013 - B 13 R 9/13 R). Es schadet auch nicht, dass ein konkreter Zeitpunkt der Rückkehr schon von Anfang an absehbar war. Maßgebend ist vielmehr die Abgrenzung des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinn von § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I vom lediglich „vorübergehenden Verweilen“ beziehungsweise vom „vorübergehenden Aufenthalt“. Die „Zukunftsoffenheit“, die in der BSG-Rechtsprechung als Voraussetzung eines gewöhnlichen Aufenthalts verlangt wird (vgl. nur Urteil vom 17.12.2014 - B 8 SO 19/13 R; Urteil vom 31.10.2012 - B 13 R 1/12 R), hat dagegen weder die normative Funktion noch die normative Potenz, von vornherein zeitlich begrenzte Aufenthalte als „gewöhnliche“ Aufenthalte auszuschließen. Sie dient nur dazu, bei Fallgestaltungen, bei denen der Aufenthalt tatsächlich häufig unterbrochen ist und dadurch „verwässert“ erscheint, gleichwohl einen gewöhnlichen Aufenthalt identifizieren zu können (so z.B. BSG, Urteil vom 13.02.2014 - B 8 SO 11/12 R; Urteil vom 17.12.2014 - B 8 SO 19/13 R). Bei festgestellter Zukunftsoffenheit ist trotz extensiver tatsächlicher Abwesenheiten ein gewöhnlicher Aufenthalt vorhanden.

Der Aufenthalt muss sich lediglich als „bis auf weiteres“ bestehend darstellen. Der Senat bejaht dies im vorliegenden Fall. Dass die Dauer des Aufenthalts in der Volksrepublik China von vornherein begrenzt und eine Rückkehr nach Deutschland sicher war, vermag nichts zu ändern. Denn die Familie verbrachte während der Zeit in China ihr Leben dort in allen Facetten und ohne „Residuen“ in Deutschland; diese komplette Hinwendung zu China muss das Erfordernis der Zukunftsoffenheit relativieren. Angesichts dessen war in China prognostisch zu verbringende Zeit lang genug, um nicht nur als unerhebliches Intermezzo zu erscheinen. Bei wertender Betrachtung lief der Chinaaufenthalt nicht neben einem parallel bestehenden Aufenthalt in Deutschland her. Der Aufenthalt in China löste vielmehr den in Deutschland komplett ab, wurde dann aber im Oktober 2014 seinerseits wieder vollständig durch den Aufenthalt in Deutschland abgelöst.

2. Das Fehlen der Leistungsvoraussetzung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 BEEG aF kann auch nicht über § 1 Abs. 2 BEEG aF aufgefangen werden.

Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BEEG aF hat Anspruch auf Elterngeld auch, wer, ohne einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland zu haben, nach § 4 des Sozialgesetzbuchs Viertes Buch (SGB IV) dem deutschen Sozialversicherungsrecht unterliegt. Das gilt nach § 1 Abs. 2 Satz 2 BEEG aF auch für mit der nach Satz 1 Nr. 1 berechtigten Person in einem Haushalt lebende Ehegatten.

Der Ehemann der Klägerin unterlag während seines China-Aufenthalts nicht nach § 4 SGB IV dem deutschen Sozialversicherungsrecht, was sich aufgrund von § 1 Abs. 2 Satz 2 BEEG aF auf die Klägerin rechtlich auswirkt. Denn die Voraussetzungen für eine Ausstrahlung des deutschen Sozialversicherungsrecht bei Entsendungen liegen nicht vor.

§ 4 SGB IV lautet:

(1) Soweit die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung eine Beschäftigung voraussetzen, gelten sie auch für Personen, die im Rahmen eines im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in ein Gebiet außerhalb dieses Geltungsbereichs entsandt werden, wenn die Entsendung infolge der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist.

(2) Für Personen, die eine selbständige Tätigkeit ausüben, gilt Absatz 1 entsprechend.

Der Ehemann der Klägerin arbeitete in China nicht im Rahmen seines deutschen Beschäftigungsverhältnisses, wie es § 4 Abs. 1 SGB IV verlangt. Dieses Ergebnis folgt zwanglos und eindeutig aus dem BSG-Urteil vom 24.06.2010 - B 10 EG 12/09 R. Zwar erging diese Entscheidung noch zum Bundeserziehungsgeld. Jedoch war die damalige Regelung des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des Bundeserziehungsgeldgesetzes (BErzGG) mit dem im vorliegenden Fall anwendbaren § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BEEG aF identisch. Wesentlich ist insoweit, dass beide Vorschriften ausdrücklich auf § 4 SGB IV abstellen und damit die Elterngeldberechtigung von der sozialversicherungsrechtlichen Ausstrahlungswirkung abhängig machen. Das war allerdings nicht immer so. Zum 01.01.2001 hatte der Gesetzgeber in Abkehr von der bisherigen Regelung erstmals auf die Ausstrahlung gemäß § 4 SGB IV abgestellt. Das vorher geltende Recht hatte dagegen an die Rechtslage im Kindergeldrecht angeknüpft und als anspruchsvermittelndes Tatbestandsmerkmal lediglich „entsandt“ statuiert, ohne dabei § 4 SGB IV in Bezug zu nehmen. Zu dieser alten Rechtslage hatte das BSG noch entschieden, ein so genanntes Rumpfarbeitsverhältnis würde genügen, um einen Elterngeldanspruch zu generieren.

Für die ab 01.01.2001 geltende Rechtslage, die sich wie gesagt mit der aktuellen deckt, rückte das BSG im Urteil vom 24.06.2010 indes davon ab. Angesichts der normativen Einbeziehung von § 4 SGB IV ließ das BSG ein Rumpfarbeitsverhältnis nicht mehr genügen. Unter dem neuen Recht vermochte die Entsendung nur dann einen Anspruch auf Erziehungsgeld zu vermitteln, wenn sie sich im Rahmen eines deutschen Beschäftigungsverhältnisses vollzog. Ein Rumpfarbeitsverhältnis wurde nach Ansicht des BSG dem nicht gerecht, weil es gerade keinen Rahmen für die Auslandstätigkeit bildete.

In dem vom BSG entschiedenen Fall hatte sich dieses Rumpfarbeitsverhältnis dadurch ausgezeichnet, dass für die Tätigkeit im Ausland ein neues Beschäftigungsverhältnis mit einem anderen Arbeitgeber begründet worden war, dass die Hauptpflichten aus dem mit dem deutschen Arbeitgeber geschlossenen Vertrag ruhten, dass dieser Vertrag erst nach der Rückkehr nach Deutschland wieder seine volle Wirksamkeit entfalten sollte und dass im Zeitraum der befristeten Versetzung ins Ausland die Arbeitgeberfunktion, insbesondere die Weisungsbefugnis, auf den ausländischen Arbeitgeber übergingen. Diese Verhältnisse decken sich eins zu eins mit den hier vorliegenden, so dass auch hier von einem bloßen Rumpfarbeitsverhältnis auszugehen ist, das nicht im Stande ist, die Tätigkeit in China als im Rahmen des deutschen Beschäftigungsverhältnisses geleistet erscheinen zu lassen; die verbliebe Restbindung an die B. AG reicht nicht aus, um anderes zu bewirken.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sieht (vgl. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

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(1) Anspruch auf Elterngeld hat, wer 1. einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat,2. mit seinem Kind in einem Haushalt lebt,3. dieses Kind selbst betreut und erzieht und4. keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.Bei

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Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Als gewöhnlicher Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes ist ste

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Bis zu ihrer Einordnung in dieses Gesetzbuch gelten die nachfolgenden Gesetze mit den zu ihrer Ergänzung und Änderung erlassenen Gesetzen als dessen besondere Teile: 1. das Bundesausbildungsförderungsgesetz,2. (aufgehoben)3. die Reichsversicherungsor

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(1) Die Vorschriften dieses Gesetzbuchs gelten für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben.

(2) Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts bleiben unberührt.

(3) Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

(1) Anspruch auf Elterngeld hat, wer

1.
einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat,
2.
mit seinem Kind in einem Haushalt lebt,
3.
dieses Kind selbst betreut und erzieht und
4.
keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.
Bei Mehrlingsgeburten besteht nur ein Anspruch auf Elterngeld.

(2) Anspruch auf Elterngeld hat auch, wer, ohne eine der Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 zu erfüllen,

1.
nach § 4 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch dem deutschen Sozialversicherungsrecht unterliegt oder im Rahmen seines in Deutschland bestehenden öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses vorübergehend ins Ausland abgeordnet, versetzt oder kommandiert ist,
2.
Entwicklungshelfer oder Entwicklungshelferin im Sinne des § 1 des Entwicklungshelfer-Gesetzes ist oder als Missionar oder Missionarin der Missionswerke und -gesellschaften, die Mitglieder oder Vereinbarungspartner des Evangelischen Missionswerkes Hamburg, der Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen e. V. oder der Arbeitsgemeinschaft pfingstlich-charismatischer Missionen sind, tätig ist oder
3.
die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und nur vorübergehend bei einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung tätig ist, insbesondere nach den Entsenderichtlinien des Bundes beurlaubte Beamte und Beamtinnen, oder wer vorübergehend eine nach § 123a des Beamtenrechtsrahmengesetzes oder § 29 des Bundesbeamtengesetzes zugewiesene Tätigkeit im Ausland wahrnimmt.
Dies gilt auch für mit der nach Satz 1 berechtigten Person in einem Haushalt lebende Ehegatten oder Ehegattinnen.

(3) Anspruch auf Elterngeld hat abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 auch, wer

1.
mit einem Kind in einem Haushalt lebt, das er mit dem Ziel der Annahme als Kind aufgenommen hat,
2.
ein Kind des Ehegatten oder der Ehegattin in seinen Haushalt aufgenommen hat oder
3.
mit einem Kind in einem Haushalt lebt und die von ihm erklärte Anerkennung der Vaterschaft nach § 1594 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs noch nicht wirksam oder über die von ihm beantragte Vaterschaftsfeststellung nach § 1600d des Bürgerlichen Gesetzbuchs noch nicht entschieden ist.
Für angenommene Kinder und Kinder im Sinne des Satzes 1 Nummer 1 sind die Vorschriften dieses Gesetzes mit der Maßgabe anzuwenden, dass statt des Zeitpunktes der Geburt der Zeitpunkt der Aufnahme des Kindes bei der berechtigten Person maßgeblich ist.

(4) Können die Eltern wegen einer schweren Krankheit, Schwerbehinderung oder Todes der Eltern ihr Kind nicht betreuen, haben Verwandte bis zum dritten Grad und ihre Ehegatten oder Ehegattinnen Anspruch auf Elterngeld, wenn sie die übrigen Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllen und wenn von anderen Berechtigten Elterngeld nicht in Anspruch genommen wird.

(5) Der Anspruch auf Elterngeld bleibt unberührt, wenn die Betreuung und Erziehung des Kindes aus einem wichtigen Grund nicht sofort aufgenommen werden kann oder wenn sie unterbrochen werden muss.

(6) Eine Person ist nicht voll erwerbstätig, wenn ihre Arbeitszeit 32 Wochenstunden im Durchschnitt des Lebensmonats nicht übersteigt, sie eine Beschäftigung zur Berufsbildung ausübt oder sie eine geeignete Tagespflegeperson im Sinne des § 23 des Achten Buches Sozialgesetzbuch ist und nicht mehr als fünf Kinder in Tagespflege betreut.

(7) Ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer oder eine nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin ist nur anspruchsberechtigt, wenn diese Person

1.
eine Niederlassungserlaubnis oder eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU besitzt,
2.
eine Blaue Karte EU, eine ICT-Karte, eine Mobiler-ICT-Karte oder eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigen oder berechtigt haben oder diese erlauben, es sei denn, die Aufenthaltserlaubnis wurde
a)
nach § 16e des Aufenthaltsgesetzes zu Ausbildungszwecken, nach § 19c Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck der Beschäftigung als Au-Pair oder zum Zweck der Saisonbeschäftigung, nach § 19e des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck der Teilnahme an einem Europäischen Freiwilligendienst oder nach § 20 Absatz 1 und 2 des Aufenthaltsgesetzes zur Arbeitsplatzsuche erteilt,
b)
nach § 16b des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck eines Studiums, nach § 16d des Aufenthaltsgesetzes für Maßnahmen zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen oder nach § 20 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes zur Arbeitsplatzsuche erteilt und er ist weder erwerbstätig noch nimmt er Elternzeit nach § 15 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes oder laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch in Anspruch,
c)
nach § 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes wegen eines Krieges in seinem Heimatland oder nach den § 23a oder § 25 Absatz 3 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt,
3.
eine in Nummer 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist oder Elternzeit nach § 15 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes oder laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch in Anspruch nimmt,
4.
eine in Nummer 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens 15 Monaten erlaubt, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält oder
5.
eine Beschäftigungsduldung gemäß § 60d in Verbindung mit § 60a Absatz 2 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes besitzt.
Abweichend von Satz 1 Nummer 3 erste Alternative ist ein minderjähriger nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer oder eine minderjährige nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin unabhängig von einer Erwerbstätigkeit anspruchsberechtigt.

(8) Ein Anspruch entfällt, wenn die berechtigte Person im letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes ein zu versteuerndes Einkommen nach § 2 Absatz 5 des Einkommensteuergesetzes in Höhe von mehr als 250 000 Euro erzielt hat. Erfüllt auch eine andere Person die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 oder der Absätze 3 oder 4, entfällt abweichend von Satz 1 der Anspruch, wenn die Summe des zu versteuernden Einkommens beider Personen mehr als 300 000 Euro beträgt.

(1) Die Vorschriften dieses Gesetzbuchs gelten für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben.

(2) Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts bleiben unberührt.

(3) Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

Das Erste und Zehnte Buch gelten für alle Sozialleistungsbereiche dieses Gesetzbuchs, soweit sich aus den übrigen Büchern nichts Abweichendes ergibt; § 68 bleibt unberührt. Der Vorbehalt gilt nicht für die §§ 1 bis 17 und 31 bis 36. Das Zweite Kapitel des Zehnten Buches geht dessen Erstem Kapitel vor, soweit sich die Ermittlung des Sachverhaltes auf Sozialdaten erstreckt.

Bis zu ihrer Einordnung in dieses Gesetzbuch gelten die nachfolgenden Gesetze mit den zu ihrer Ergänzung und Änderung erlassenen Gesetzen als dessen besondere Teile:

1.
das Bundesausbildungsförderungsgesetz,
2.
(aufgehoben)
3.
die Reichsversicherungsordnung,
4.
das Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte,
5.
(weggefallen)
6.
das Zweite Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte,
7.
das Bundesversorgungsgesetz, auch soweit andere Gesetze, insbesondere
a)
§§ 80 bis 83a des Soldatenversorgungsgesetzes,
b)
§ 59 Abs. 1 des Bundesgrenzschutzgesetzes,
c)
§ 47 des Zivildienstgesetzes,
d)
§ 60 des Infektionsschutzgesetzes,
e)
§§ 4 und 5 des Häftlingshilfegesetzes,
f)
§ 1 des Opferentschädigungsgesetzes,
g)
§§ 21 und 22 des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes,
h)
§§ 3 und 4 des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes,
die entsprechende Anwendung der Leistungsvorschriften des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen,
8.
das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung,
9.
das Bundeskindergeldgesetz,
10.
das Wohngeldgesetz,
11.
(weggefallen)
12.
das Adoptionsvermittlungsgesetz,
13.
(aufgehoben)
14.
das Unterhaltsvorschussgesetz,
15.
der Erste und Zweite Abschnitt des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes,
16.
das Altersteilzeitgesetz,
17.
der Fünfte Abschnitt des Schwangerschaftskonfliktgesetzes.
18.
(weggefallen)

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. August 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Neufeststellung seiner Altersrente unter Berücksichtigung von Entgeltpunkten (EP) anstelle von EP (Ost).

2

Der 1939 in Russland geborene Kläger ist als Spätaussiedler nach § 4 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) anerkannt. Er beantragte am 27.8.1991 aus Kasachstan die Aufnahme als Aussiedler in Deutschland und gab dabei an, er beabsichtige, seinen Wohnort bei Verwandten in Nordrhein-Westfalen zu nehmen. Nach der Genehmigung der Übersiedlung mit Aufnahmebescheid des Bundesverwaltungsamts vom 29.9.1993 kam der Kläger (zusammen mit seiner Ehefrau) am 19.12.1993 nach Deutschland. Er erhielt eine Zuweisung nach Brandenburg und wurde dort ab 22.12.1993 in der Landesaufnahmeeinrichtung in P. untergebracht, wo sich bereits seine im September 1993 übergesiedelte Tochter mit ihrem Ehemann aufhielt. Nach Anmeldung bei der Gemeinde meldete sich der Kläger beim Arbeitsamt Cottbus arbeitslos, bezog Eingliederungshilfe und nahm an einem viereinhalbmonatigen Sprachkurs teil. Am 15.5.1994 zog er nach Nordrhein-Westfalen.

3

Mit Bescheid vom 28.12.1999 bewilligte die Beklagte dem Kläger Altersrente ab Januar 2000 unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem FRG auf der Grundlage von 24,3578 EP (Ost) und 0,051 EP.

4

Am 31.12.2004 beantragte der Kläger die Neufeststellung seiner Rente nach § 44 SGB X ua mit der Begründung, es seien bei der Festsetzung der Rente für die FRG-Zeiten EP und keine EP (Ost) zu berücksichtigen. Er habe sich im Beitrittsgebiet weniger als sechs Monate aufgehalten und lediglich in einem "Übergangswohnheim" gelebt. Die Beklagte lehnte den Neufeststellungsantrag mit Hinweis auf Art 6 § 4 Abs 6 des Fremd- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) ab. Auch der Aufenthalt in einem "Übergangswohnheim" sei als gewöhnlicher Aufenthalt anzusehen (Bescheid vom 23.1.2008, Widerspruchsbescheid vom 3.7.2008).

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Mit seiner Klage hat der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Neufeststellung seiner Altersrente unter Zugrundelegung von EP anstelle von EP (Ost) begehrt. Er habe in dem "Übergangswohnheim" keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Ein Verbleib in Brandenburg sei nicht beabsichtigt gewesen. Er sei bei seiner Übersiedlung nach Deutschland wegen Überbuchung seines Flugs nach Düsseldorf, wo ihn Verwandte erwartet hätten, in Frankfurt am Main angekommen und schließlich zwei Tage später in dem "Übergangswohnheim" in Brandenburg untergebracht worden. Dort hätten sich bereits seine Tochter und sein Schwiegersohn aufgehalten. Seinen Wunsch, zu den Verwandten nach Nordrhein-Westfalen zu kommen, hätten die Behörden nicht berücksichtigt. Erst nach der Teilnahme an einem viereinhalbmonatigen Sprachkurs und nachdem ihm seine Verwandten nach Erteilung einer behördlichen Umzugserlaubnis eine Wohnung besorgt hätten, habe er im Mai 1994 dorthin ziehen können.

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Das SG hat die Beklagte durch Urteil vom 7.5.2010 ua verpflichtet, die Altersrente des Klägers unter Berücksichtigung von "EP (West)" neu festzustellen. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG die Entscheidung des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 29.8.2011). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Auf den Kläger finde Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG Anwendung. Er habe nach seiner Übersiedlung nach Deutschland bis zu seinem Umzug nach Nordrhein-Westfalen seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet gehabt. § 30 Abs 3 S 2 SGB I enthalte die für alle Bereiche des Sozialrechts gültige Bestimmung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts. Dieser sei nach den objektiv gegebenen tatsächlichen Umständen zu beurteilen. Entscheidend sei, wo der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft liege. Dauerhaft sei ein Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen sei. Der Kläger habe sich ab dem 22.12.1993 zukunftsoffen im Beitrittsgebiet aufgehalten. Zu diesem Zeitpunkt habe noch nicht festgestanden, wie lange er dort bleiben und wann er nach Nordrhein-Westfalen umziehen werde. Der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Beitrittsgebiet stehe weder die Unterkunft in einem Übergangswohnheim noch die behördliche Zuweisung nach Brandenburg entgegen. Ein Domizilwille, der mit den tatsächlichen Umständen nicht übereinstimme, sei ebenso wie die unter sechsmonatige Dauer des Aufenthalts im Beitrittsgebiet rechtlich unerheblich. § 9 Abgabenordnung (AO) begründe jedenfalls keine Regelvermutung, dass ein unter sechsmonatiger Aufenthalt nicht gewöhnlich iS des § 30 Abs 3 S 2 SGB I sei.

7

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er ist der Ansicht, das LSG habe den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts iS des § 30 Abs 3 S 2 SGB I, ohne einen Normzusammenhang mit Art 6 § 4 Abs 6 FANG herzustellen, fehlerhaft mit dem des einfachen Aufenthalts oder Verweilens gleichgesetzt. Zudem komme es entgegen der Auffassung des LSG bei einer Verweildauer von unter sechs Monaten auf den Willen des Betroffenen an, einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen. Diesen habe er aber nicht gehabt. Denn er habe zu keiner Zeit beabsichtigt oder erwartet, sich im "Übergangswohnheim" in Brandenburg längerfristig aufzuhalten. Vielmehr habe er seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet erstmals am 15.5.1994 in Nordrhein-Westfalen begründet.

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Der Kläger beantragt sinngemäß,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. August 2011 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 7. Mai 2010 zurückzuweisen.

9

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision als unzulässig zu verwerfen,

        

hilfsweise,

        

die Revision zurückzuweisen.

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Sie ist der Ansicht, die Revisionsbegründung setze sich nicht hinreichend mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auseinander. In der Sache führe sowohl die einheitliche Auslegung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts in § 30 Abs 3 S 2 SGB I für alle Bereiche des SGB als auch die Auslegung dieses Begriffs im Sinne der sogenannten Einfärbungslehre im Zusammenhang mit Art 6 § 4 Abs 6 FANG zu dem Ergebnis, dass der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet genommen habe. Mit dem Antrag auf Eingliederungshilfe habe der Kläger zum Ausdruck gebracht, sich im Beitrittsgebiet eingliedern zu wollen. Wenn man mit dem Kläger davon ausginge, dass er bei seinem Aufenthalt in Brandenburg noch keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet habe, könne sein damaliger Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt nur weiterhin das Herkunftsgebiet gewesen sein.

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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 S 1 SGG).

Entscheidungsgründe

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Die Revision des Klägers ist zulässig. Insbesondere hat er seine Revision noch hinreichend iS des § 164 Abs 2 S 3 SGG begründet. Die vom BSG in ständiger Rechtsprechung präzisierten Anforderungen (vgl zB BSG vom 16.10.2007 - SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 9 f mwN)hat der Kläger mit noch hinreichender Deutlichkeit erfüllt.

13

Die Revision ist jedoch nicht begründet.

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Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 23.1.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3.7.2008 ist rechtmäßig. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, dem Kläger unter teilweiser Rücknahme des bestandskräftigen Rentenbescheids vom 28.12.1999 eine höhere Altersrente unter Berücksichtigung von EP anstelle von EP (Ost) für die FRG-Zeiten zu zahlen.

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1. Der geltend gemachte Rücknahmeanspruch richtet sich nach § 44 SGB X. Nach dessen Abs 1 S 1 ist ein bindend gewordener Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen für die Rücknahme des Rentenbescheids vom 28.12.1999 sind nicht erfüllt.

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Der Kläger hat keinen Anspruch auf Neufeststellung seiner Altersrente unter Zugrundelegung von EP anstelle von EP (Ost) für seine FRG-Zeiten. Denn er unterfällt als FRG-Berechtigter (§ 1 Buchst a FRG) der Regelung des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG(dazu unter 2a). Er hat nach dem 31.12.1991 (ab 1.1.2000) einen "Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem FRG" im alten Bundesgebiet erworben (dazu unter 2b), nachdem er seinen nach dem 31.12.1991 (ab 22.12.1993) im Beitrittsgebiet begründeten gewöhnlichen Aufenthalt dorthin (ab 15.5.1994) verlegt hatte (dazu unter 2c). Die Bewertung von FRG-Zeiten in Abhängigkeit von dem Ort des erstmals begründeten gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland verstößt nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen Art 3 Abs 1 GG (dazu unter 3).

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2. Der "Monatsbetrag der Rente" ergibt sich, wenn die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen EP, der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden (§ 64 SGB VI), wobei allerdings - bis zur Herstellung einheitlicher Einkommensverhältnisse in Deutschland - zwischen EP und EP (Ost) sowie aktuellem Rentenwert und aktuellem Rentenwert (Ost) unterschieden wird (§ 254b Abs 1, § 254d Abs 1, § 255a SGB VI). Soweit - wie im vorliegenden Fall - im nichtdeutschen Herkunftsland zurückgelegte Beitragszeiten in Anwendung des FRG ebenfalls mit EP bei der Rentenfestsetzung berücksichtigt werden, hat der Gesetzgeber in Art 6 § 4 Abs 6 FANG in der seit 1.1.1992 geltenden Fassung des Renten-Überleitungsgesetzes (RÜG) vom 25.7.1991 (BGBl I 1606) folgende (Übergangs-)Regelung hinsichtlich ihrer Zuordnung zu den EP bzw EP (Ost) getroffen:

        

"Bei Berechtigten nach dem Fremdrentengesetz, die

        

a) ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet haben und dort nach dem 31. Dezember 1991 einen Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem Fremdrentengesetz erwerben,

        

b) nach dem 31. Dezember 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Beitrittsgebiet in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet verlegen und dort nach dem 31. Dezember 1991 einen Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem Fremdrentengesetz erwerben oder

        

c) nach dem 31. Dezember 1991 ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet in das Beitrittsgebiet verlegen und bereits vor Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts einen Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem Fremdrentengesetz haben,

        

werden für nach dem Fremdrentengesetz anrechenbare Zeiten Entgeltpunkte (Ost) ermittelt; im Falle von Buchstabe c gilt dies nur, sofern am 31. Dezember 1991 Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem Fremdrentengesetz nicht bestand. Dies gilt auch für die Zeiten eines weiteren Rentenbezuges aufgrund neuer Rentenfeststellungen, wenn sich die Rentenbezugszeiten ununterbrochen aneinander anschließen. Bei Berechtigten nach Satz 1 Buchstabe a und c, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Beitrittsgebiet in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet verlegen, verbleibt es für Zeiten nach dem Fremdrentengesetz bei den ermittelten Entgeltpunkten (Ost)."

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Die Voraussetzungen des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG sind vorliegend erfüllt.

19

a) Der Kläger ist als anerkannter Spätaussiedler iS des § 4 BVFG Berechtigter nach dem FRG(§ 1 Buchst a FRG).

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b) Er hat nach dem 31.12.1990 seinen gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Beitrittsgebiet in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet (also das alte Bundesgebiet ) verlegt und dort nach dem 31.12.1991 (nämlich ab 1.1.2000) einen "Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem FRG" erworben. Mit dieser Formulierung ist ein Zahlungsanspruch auf eine Rente nach dem SGB VI gemeint, bei deren Feststellung FRG-Zeiten zu berücksichtigen sind.Durch die Regelungen des FRG wird kein außerhalb des gesetzlichen Anspruchs auf Rente nach dem SGB VI (vgl § 33 SGB VI) beruhender besonderer Anspruch auf eine "Fremdrente" bzw "FRG-Rente" begründet (vgl BSG vom 16.11.2000 - B 4 RA 3/00 R - Juris RdNr 118; BSG vom 29.4.1997 - SozR 3-5060 Art 6 § 4 Nr 3 S 21).

21

c) Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) ist dessen Ergebnis, dass der Kläger vor seinem Umzug nach Nordrhein-Westfalen am 15.5.1994 zunächst ab 22.12.1993 seinen gewöhnlichen Aufenthalt iS des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG iVm § 30 Abs 3 S 2 SGB I in Brandenburg und damit im Beitrittsgebiet begründet hat, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat weder die gesetzlichen Voraussetzungen für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne der vorgenannten Bestimmungen verkannt noch enthält die angefochtene Entscheidung einen anderen Rechtsfehler.

22

aa) Der Rechtsbegriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" ist in § 30 Abs 3 S 2 SGB I legal definiert. Danach hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

23

Der in dieser Norm umschriebene Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts gilt grundsätzlich für alle Bücher des SGB. Dahingestellt bleiben kann, ob zur Ermittlung von dessen konkreter rechtlicher Bedeutung (ergänzend oder allein) auf den Sinn und Zweck des Gesetzes (hier also: Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG)zurückzugreifen ist, das ihn verwendet (vgl BSG vom 3.4.2001 - SozR 3-1200 § 30 Nr 21 S 45 f). Denn im vorliegenden Fall führt auch ein in diesem Sinne rentenrechtlich "eingefärbter" Begriffsinhalt des LSG zum selben Ergebnis (dazu unter cc).

24

Die Frage des Vorliegens eines gewöhnlichen Aufenthalts nach § 30 Abs 3 S 2 SGB I ist anhand einer dreistufigen Prüfung zu klären. Ausgangspunkt ist ein "Aufenthalt"; es sind dann die mit dem Aufenthalt verbundenen "Umstände" festzustellen; sie sind schließlich daraufhin zu würdigen, ob sie "erkennen lassen", dass der Betreffende am Aufenthaltsort oder im Aufenthaltsgebiet "nicht nur vorübergehend verweilt" (vgl BSG vom 25.6.1987 - BSGE 62, 67, 68 f = SozR 7833 § 1 Nr 1 S 2).

25

Ob jemand sich gewöhnlich an einem Ort oder in einem Gebiet aufhält oder nur vorübergehend dort verweilt, lässt sich nur im Wege einer vorausschauenden Betrachtungsweise (Prognose) entscheiden (BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 97 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 183; BSG vom 17.5.1989 - BSGE 65, 84, 86 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 17). Dabei sind alle bei Prognosestellung für die Beurteilung der künftigen Entwicklung erkennbaren Umstände zu berücksichtigen. Ist nach der Prognose davon auszugehen, dass die betreffende Person "bis auf weiteres" an dem Ort oder in dem Gebiet verweilen wird, so hat sie dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt.

26

Diese Prognose bleibt auch dann maßgebend, wenn der "gewöhnliche Aufenthalt", wie hier, rückblickend zu ermitteln ist. Spätere Entwicklungen, die bei Beginn des entscheidungserheblichen Zeitraums noch nicht erkennbar waren, können eine Prognose weder bestimmen noch widerlegen. Wenn Änderungen eintreten, kann der gewöhnliche Aufenthalt an dem Ort oder in dem Gebiet nur vom Zeitpunkt der Änderung an entfallen (vgl BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 97 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 183 f; BSG vom 17.5.1989 - BSGE 65, 84, 86 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 17). Diese Zukunftsgerichtetheit der Beurteilung des gewöhnlichen Aufenthalts iS des § 30 Abs 3 S 2 SGB I ist deswegen erforderlich, weil im Sozialrecht hiervon in vielfältiger Weise auch sofort zu treffende, zukunftsorientierte Entscheidungen abhängen, zB die über einen Krankenversicherungsschutz durch Familienversicherung(§ 10 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V) oder einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II (§ 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II).

27

Die Prognose (als solche) und die Feststellung der dafür erheblichen Anhaltspunkte sind dem Revisionsgericht verschlossen. Es ist Aufgabe der Tatsachengerichte, die notwendigen Ermittlungen durchzuführen und daraus die Prognose zu stellen. Die Prognose gehört nicht zur Rechtsanwendung; sie ist vielmehr Feststellung einer hypothetischen Tatsache. Deshalb können Prognosen im Revisionsverfahren nur mit Verfahrensrügen angegriffen werden (BSG vom 7.4.1987 - SozR 4100 § 44 Nr 47 S 116; BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 97 f = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 184; BSG vom 17.5.1989 - BSGE 65, 84, 86 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 18; BSG vom 30.9.1996 - BSGE 79, 147, 151 = SozR 3-5870 § 2 Nr 33 S 131).

28

Das Gericht entscheidet, wenn es eine Prognose trifft, nach freier Überzeugung. Es hat aber alle Umstände des Einzelfalls zu würdigen. Die Prognose ist rechtsfehlerhaft, wenn das Gericht die der Prognose zugrunde zu legenden Tatsachen nicht richtig festgestellt oder nicht alle wesentlichen in Betracht kommenden Umstände hinreichend gewürdigt hat bzw wenn die Prognose auf rechtlich falschen oder unsachlichen Erwägungen beruht (vgl BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 98 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 184; BSG vom 17.5.1989 - BSGE 65, 84, 87 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 18; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 9f).

29

Entgegen der Auffassung der Beklagten führt allein der Umstand, dass der Kläger mit seiner Einreise nach Deutschland seinen "gewöhnlichen Aufenthalt" im Herkunftsgebiet aufgegeben hat, nicht dazu, dass er seinen "gewöhnlichen Aufenthalt" an dem Ort bzw in dem Gebiet genommen hat, in dem er sich im Anschluss an die Einreise aufgehalten hat. Die Annahme einer zwingenden Verknüpfung der Aufgabe eines gewöhnlichen Aufenthalts mit der Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts lässt außer Acht, dass die Existenz eines Menschen zwar stets einen "Aufenthalt", nicht aber zwangsläufig einen "gewöhnlichen Aufenthalt" voraussetzt.

30

Ein gewöhnlicher Aufenthalt ist nach § 30 Abs 3 S 2 SGB I vom "vorübergehenden Verweilen" bzw "vorübergehenden Aufenthalt" abzugrenzen(vgl BSG vom 19.11.1965 - 1 RA 154/62 - Juris RdNr 14; BSG vom 16.3.1978 - BSGE 46, 84, 85 = SozR 2200 § 1320 Nr 1 S 2; BSG vom 3.4.2001 - SozR 3-1200 § 30 Nr 21 S 46). Dem vorübergehenden Aufenthalt wohnt als zeitliches Element eine Beendigung von vornherein inne (vgl BSG vom 23.2.1988 - BSGE 63, 47, 49 = SozR 5870 § 1 Nr 14 S 32). Allerdings ist auch zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ein längerer oder dauerhafter (unbegrenzter) Aufenthalt nicht erforderlich. Es braucht hier nicht entschieden zu werden, ab welchem von vornherein bestimmten Zeitraum ein Aufenthalt als "gewöhnlich" zu werten ist. Jedenfalls genügt es, dass der Betreffende sich an dem Ort oder in dem Gebiet "bis auf weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält (vgl BVerwG vom 18.3.1999 - FEVS 49, 434, 436; BSG vom 27.1.1994 - SozR 3-2600 § 56 Nr 7 S 34; BSG vom 9.5.1995 - 8 RKn 2/94 - Juris RdNr 17; Schlegel in jurisPK-SGB I, Online-Ausgabe, § 30 RdNr 36, Stand Einzelkommentierung Oktober 2011; Seewald in Kasseler Komm, § 30 SGB I RdNr 22, Stand Einzelkommentierung September 2007). Dann schaden auch (voraussehbare) zeitweilige Unterbrechungen nicht. Denn ein gewöhnlicher Aufenthalt erfordert nicht, dass man "nie abwesend" ist (BSG vom 28.7.1967 - BSGE 27, 88, 89 = SozR Nr 5 zu § 1319 RVO). Voraussetzung ist keine Lückenlosigkeit des Aufenthalts, sondern nur eine gewisse Stetigkeit und Regelmäßigkeit (vgl BSG vom 28.7.1967 aaO; BSG vom 23.5.2012 - B 14 AS 133/11 R - Juris RdNr 21 - zur Veröffentlichung in SozR 4-1300 § 44 Nr 25 vorgesehen; vgl auch BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 98 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 184). Ein (gewichtiges) Indiz für einen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts ist die Verlagerung des örtlichen Schwerpunkts der Lebensverhältnisse (BSG vom 27.1.1994 - SozR 3-2600 § 56 Nr 7 S 34; BSG vom 3.4.2001 - SozR 3-1200 § 30 Nr 21 S 46; vgl aber auch Senatsurteile vom 9.8.1995 - SozR 3-1200 § 30 Nr 15 S 30 und vom 4.11.1998 - B 13 RJ 9/98 R - Juris RdNr 36).

31

Für die Unterscheidung zwischen gewöhnlichem und vorübergehendem Aufenthalt kann es nach alledem keine feste allgemeingültige Grenze im Sinne von Höchst- oder Mindestzeiten geben (BSG vom 25.6.1987 - BSGE 62, 67, 69 = SozR 7833 § 1 Nr 1 S 3). § 30 Abs 3 SGB I enthält keine dem früheren § 14 Abs 1 S 2 Steueranpassungsgesetz und dem jetzigen § 9 S 2 AO entsprechende Regelung, wonach als gewöhnlicher Aufenthalt stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen ist (zumal dies eine retrospektive Betrachtungsweise nahelegt). Deshalb kann entgegen der Meinung des SG die Vorschrift des § 9 S 2 AO nicht für den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts iS von § 30 Abs 3 S 2 SGB I näher herangezogen werden(vgl bereits BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 98 f = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 185; BSG vom 31.1.1980 - SozR 5870 § 1 Nr 6 S 8; Frank, SGb 1999, 547, 550). Keiner Entscheidung bedarf im vorliegenden Fall, ob für die Begründung eines gewöhnlichen, nicht nur vorübergehenden Aufenthalts in Anlehnung an die kürzeste Frist des Melderechts (vgl § 15 Abs 2 Nr 3 des Melderechtsrahmengesetzes, zB §§ 23, 24 Abs 1, 26 Abs 1 des Gesetzes über das Meldewesen im Land Brandenburg in der Fassung der Bekanntmachung vom 17.1.2006 , zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 7.7.2009 ) zumindest die Prognose eines voraussichtlich länger als zwei Monate dauernden Aufenthalts erforderlich ist.

32

Mithin hat der Prognosesteller alle mit dem Aufenthalt verbundenen Umstände zu berücksichtigen (BSG vom 25.6.1987 - BSGE 62, 67, 69 = SozR 7833 § 1 Nr 1 S 2); dies können subjektive wie objektive, tatsächliche wie rechtliche sein. Es kann demnach entgegen der Ansicht des Klägers nicht allein auf den Willen des Betroffenen ankommen, sich an einen anderen Ort zu begeben und dort einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen (sogenannter Domizilwille); dies gilt insbesondere dann, wenn er nicht mit den tatsächlichen (objektiven) Umständen übereinstimmt (vgl BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 97 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 183). Nicht zwingend für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ist daher, ob der Betroffene sich an einem Ort oder in einem bestimmten Gebiet freiwillig aufhält (BSG vom 29.5.1991 - SozR 3-1200 § 30 Nr 5 S 8). Allerdings kann ein fehlender Domizilwille im konkreten Einzelfall im Rahmen der Gesamtwürdigung als subjektives Element dann Bedeutung erlangen, wenn für einen außenstehenden Prognosesteller erkennbar wird, dass zusammen mit den objektiven Gegebenheiten ("Umstände, die erkennen lassen …") nicht (oder nicht mehr) von einem Aufenthalt "bis auf weiteres" ausgegangen werden kann (vgl Taenzel, Kompass 2/1995 S 98; Frank, SGb 1999, 547, 550; vgl auch BSG vom 23.5.2012 - B 14 AS 190/11 R - Juris RdNr 20, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-4200 § 36a Nr 2 vorgesehen).

33

bb) Das LSG hat aus den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Tatsachenfeststellungen zu Recht gefolgert, dass der Kläger vor seinem Umzug nach Nordrhein-Westfalen am 15.5.1994 zunächst ab 22.12.1993 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Brandenburg und damit im Beitrittsgebiet begründet hat.

34

Wie das Berufungsgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerwG zutreffend ausgeführt hat, kann auch ein Aufenthalt in einem "Übergangswohnheim" ein gewöhnlicher Aufenthalt iS des § 30 Abs 3 S 2 SGB I sein(vgl BVerwG vom 18.3.1999 - FEVS 49, 434, 436; BVerwG vom 23.10.2001 - ZFSH/SGB 2002, 221, 222; vgl auch LSG Rheinland-Pfalz vom 25.9.2003 - L 6 RJ 132/03 - Juris RdNr 23; Bayerisches LSG vom 16.6.2004 - L 19 RJ 584/02 - Juris RdNr 13; LSG Niedersachsen-Bremen vom 8.10.2008 - L 2 R 511/07 - Juris RdNr 43; VG Köln vom 4.3.2004 - 26 K 7967/00 - Juris RdNr 22, 29). Das gilt selbst dann, wenn die (nachvollziehbare) Absicht besteht, dieses so bald als möglich zu verlassen und sich an einem anderen Ort niederzulassen. Entscheidend sind aber auch hier stets alle erkennbaren Umstände des konkreten Einzelfalls zu Beginn des entscheidungserheblichen Zeitraums. Dies aber ist - ausgehend von dem oben dargestellten Begriffsinhalt des gewöhnlichen Aufenthalts als eines Aufenthalts "bis auf weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs - eine im Wege vorausschauender Betrachtung zu beantwortende Tatfrage und daher nicht (im Einzelfall) vom BSG zu entscheiden.

35

Nach den Feststellungen des LSG meldete sich der Kläger nach seiner Ankunft am 22.12.1993 in Brandenburg bei der für die Landesaufnahmeeinrichtung melderechtlich zuständigen Gemeinde in P. an. Des Weiteren meldete er sich beim zuständigen Arbeitsamt Cottbus arbeitslos, bezog Eingliederungshilfe und nahm an einem viereinhalbmonatigen Sprachkurs teil. Bei seiner Einreise nach Deutschland hatten ihm seine Verwandten in Nordrhein-Westfalen noch keine bezugsbereite Wohnung verschafft. Vielmehr musste erst noch eine Wohnung angemietet werden. Zudem ging der Kläger nach eigenen Angaben selbst davon aus, dass er vor einem Umzug noch einen Sprachkurs absolvieren müsse und dass für den Umzug nach Nordrhein-Westfalen eine behördliche, bei seiner Ankunft in Brandenburg noch nicht vorliegende Zustimmung ("Erlaubnis") erforderlich sei.

36

Aus diesen Gesamtumständen hat das LSG rechtsfehlerfrei geschlossen, dass der Kläger sich in Brandenburg ab 22.12.1993 "bis auf weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufgehalten und dort auch bis zu seinem Umzug nach Nordrhein-Westfalen den örtlichen Schwerpunkt seiner Lebensbeziehungen hatte.

37

cc) Nichts anderes ergibt sich, wenn man den Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" im vorliegenden Fall durch den Norminhalt des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 FANG iVm dem Gesetz über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler (AusÜbsiedWoG) in der hier maßgeblichen Fassung vom 21.12.1992 (BGBl I 2094, 2105) "eingefärbt" verstehen will. Denn auch ein an diesen Normen orientierter Begriffsinhalt würde nicht dazu führen, dass der Aufenthalt des Klägers als Spätaussiedler im Beitrittsgebiet nicht "zukunftsoffen" war.

38

Durch die Einfügung der Bestimmung des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 FANG durch das RÜG vom 25.7.1991 (aaO) sollte nach der Einigung Deutschlands auf der Grundlage des Integrationsprinzips in Abhängigkeit vom gewöhnlichen Aufenthalt in den alten oder neuen Bundesländern ein "angemessener Lebensstandard" für Aussiedler gesichert werden. Wer als Aussiedler im Beitrittsgebiet Aufnahme gefunden hatte, sollte grundsätzlich (Renten-)Leistungen (nach einem Sicherungsniveau) erhalten, die denen der dort lebenden Bürger entsprachen. Zum anderen sollte kein Anreiz für die Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts wegen der unterschiedlichen Leistungshöhe geschaffen werden (vgl Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen CDU/CSU und F.D.P vom 23.4.1991 eines RÜG, BT-Drucks 12/405, 114 ). Maßgeblich blieb demnach der Integrationsgedanke. Dieser war aber nach dem Beitritt der neuen Bundesländer zur Bundesrepublik und dem Inkrafttreten eines einheitlichen Rentenrechts zum 1.1.1992 nicht mehr von dem Bedürfnis geprägt, Aussiedler im Wege besonderer staatlicher Fürsorge weiter dadurch individuell in das Sozialgefüge der Bundesrepublik zu integrieren, dass sie fiktiv (stets) so behandelt wurden, als hätten sie ihr bisheriges Erwerbsleben in den alten Bundesländern verbracht (vgl zu Übersiedlern BSG vom 14.12.2011 - SozR 4-2600 § 248 Nr 1 RdNr 30). Denn ein die einheitliche Behandlung vorgebendes einheitliches Sozialgefüge gab es nach dem Beitritt in Deutschland nicht mehr.

39

Der Aufenthalt des Klägers in der Landesaufnahmeeinrichtung in Brandenburg war daher auch nicht deshalb nur "vorübergehend", weil die dortige Aufenthaltnahme als Spätaussiedler aufgrund behördlicher (hoheitlicher) Zuweisung nach Maßgabe des AusÜbsiedWoG erfolgte.

40

Gemäß § 2 Abs 1 S 1 AusÜbsiedWoG konnten (Spät-)Aussiedler nach der Aufnahme in Deutschland einem Wohnort zugewiesen werden, wenn sie nicht über ausreichenden Wohnraum verfügten und daher bei der Unterbringung auf öffentliche Hilfe angewiesen waren. Bei der Entscheidung über die Zuweisung sollten ihre Wünsche, enge verwandtschaftliche Beziehungen sowie die Möglichkeit ihrer beruflichen Eingliederung berücksichtigt werden (§ 2 Abs 2 AusÜbsiedWoG). Nach § 4 S 1 Nr 1 AusÜbsiedWoG konnten die Landesregierungen einen Schlüssel für die Zuweisung der Aussiedler innerhalb des Landes in Gemeinden und Kreise festlegen. Entschied sich der Aussiedler für einen Wohnort abweichend von der Zuweisung, war die Gemeinde nicht verpflichtet, den Aufgenommenen als Aussiedler zu betreuen. Leistungsansprüche der Betroffenen blieben hiervon unberührt (vgl Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 5.6.1989, BT-Drucks 11/4689, 6 ; vgl aber den durch das Zweite Gesetz zur Änderung des AusÜbsiedWoG vom 26.2.1996 mit Wirkung vom 1.3.1996 eingefügten und bis zum 30.6.2000 geltenden § 3a AusÜbsiedWoG, nach dessen Abs 1 ein Spätaussiedler oder Familienangehöriger, der abweichend von der Verteilung nach § 8 BVFG oder entgegen einer landesinternen Zuweisung nach § 2 Abs 1 AusÜbsiedWoG 1996 in einem anderen Land oder an einem anderen als dem zugewiesenen Ort ständigen Aufenthalt nahm, an diesem Ort keine Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz und in der Regel nur die nach den Umständen nachweisbar gebotene Hilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz erhielt; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung s BVerfG vom 17.3.2004 - BVerfGE 110, 177). Grundsätzlich blieb es Aussiedlern daher unbenommen, sich (unmittelbar) nach ihrer Einreise selbst oder mit Hilfe von Angehörigen oder Freunden an einen Ort ihrer Wahl zu begeben und dort gewöhnlichen Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen (vgl aaO, BT-Drucks 11/4689, 5 ; vgl auch Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 14.8.1992 eines Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes, BT-Drucks 509/92, 67 § 8 bvfg>).

41

Die Zuweisung nach dem AusÜbsiedWoG wurde gegenstandslos, wenn der Aufgenommene nachwies, dass ihm an einem anderen Ort entweder nicht nur vorübergehend ausreichender Wohnraum oder ein Arbeits-, Ausbildungs- oder Studienplatz zur Verfügung stand, in jedem Falle spätestens nach zwei Jahren (§ 2 Abs 4 AusÜbsiedWoG).

42

Auch wenn damit die Zuweisung auf höchstens zwei Jahre begrenzt war, war der Aufenthalt eines Spätaussiedlers in der zugewiesenen Gemeinde grundsätzlich zukunftsoffen angelegt. Ob die Zuweisung wegen des Ablaufs der Zwei-Jahres-Frist oder aus anderen Gründen bereits früher gegenstandslos wurde, beeinflusst die Prognoseentscheidung über die Zukunftsoffenheit des Aufenthalts nicht.

43

3. Die Regelung des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG verstößt auch nicht gegen Verfassungsrecht. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG vor.

44

Art 3 Abs 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Verboten ist auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem die Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird (BVerfG vom 14.4.2010 - BVerfGE 126, 29, 43 mwN). Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht vielmehr nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl BVerfG vom 7.7.1992 - BVerfGE 87, 1, 36 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 7; BVerfG vom 9.11.2004 - BVerfGE 112, 50, 67 = SozR 4-3800 § 1 Nr 7 RdNr 55; BVerfG vom 27.2.2007 - BVerfGE 117, 272, 300 f = SozR 4-2600 § 58 Nr 7 RdNr 70; BVerfG vom 11.11.2008 - BVerfGE 122, 151, 188 = SozR 4-2600 § 237 Nr 16 RdNr 62; BVerfG vom 14.4.2010 - BVerfGE 126, 29, 47; stRspr).

45

Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengeren Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl BVerfG vom 20.4.2004 - BVerfGE 110, 274, 291; BVerfG vom 7.11.2006 - BVerfGE 117, 1, 30; BVerfG vom 17.11.2009 - BVerfGE 125, 1, 17).

46

Für die Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen kommt es wesentlich darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers ist anzunehmen, wenn die Differenzierung an Persönlichkeitsmerkmale anknüpft (vgl BVerfG vom 15.7.1998 - BVerfGE 98, 365, 389). Bei lediglich verhaltensbezogenen Unterscheidungen hängt das Maß der Bindung davon ab, inwieweit die Betroffenen in der Lage sind, durch ihr Verhalten die Verwirklichung der Merkmale zu beeinflussen, nach denen unterschieden wird (BVerfG vom 15.7.1998 - BVerfGE 98, 365, 389). Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers geht dann besonders weit, wenn er Lebenssachverhalte verschieden behandelt und die Betroffenen sich durch eigenes Verhalten auf die unterschiedliche Regelung einstellen können. Die Grenze bildet dann allein das Willkürverbot (vgl BVerfG vom 18.2.1998 - BVerfGE 97, 271, 291).

47

Ausgehend von diesem Maßstäben verstößt Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG nicht gegen Art 3 Abs 1 GG.

48

Der Gesetzgeber wollte - wie unter 2 c cc) bereits erwähnt - mit der (Übergangs-)Regelung des Art 6 § 4 Abs 6 FANG den durch die Öffnung der deutsch-deutschen Grenze eingetretenen Änderungen auch im Fremdrentenrecht Rechnung tragen. Dieses sollte so weiter entwickelt werden, dass es am jeweiligen Aufenthaltsort - sei es in den alten Bundesländern oder im Beitrittsgebiet - einen angemessenen Lebensstandard sichert. Wer als Aussiedler im Beitrittsgebiet Aufnahme gefunden hatte, sollte Leistungen erhalten, die dem Rentenniveau der dort lebenden Bürger entsprechen. Die unterschiedliche Leistungshöhe in den neuen und alten Bundesländern machte es jedoch nach Ansicht des Gesetzgebers erforderlich, den Anreiz für einen Wohnortwechsel in die alten Bundesländer zu nehmen und für Aussiedler keine günstigeren Regelungen zu treffen, als sie für Bundesbürger im Beitrittsgebiet gelten (vgl Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen CDU/CSU und F.D.P vom 23.4.1991 eines RÜG, BT-Drucks 12/405, 114 ).

49

In Umsetzung dieser Zielvorgabe hat der Gesetzgeber in Art 6 § 4 Abs 6 FANG sachgerecht und damit keinesfalls willkürlich für die Höhe der "Renten nach dem FRG" als Anknüpfungspunkte auf den gewöhnlichen Aufenthalt des FRG-Berechtigten und die unterschiedlichen Lebens- und Einkommensverhältnisse in den neuen und alten Bundesländern abgestellt. Dass er damit für den hier maßgeblichen Zeitraum nicht allein auf die vom Willen des Betroffenen (grundsätzlich) unabhängige behördliche Zuweisung abgestellt hat, ergibt sich aus den Ausführungen zu 2 c cc). Wenn auch bei einer Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts eines FRG-Berechtigten aus den neuen in die alten Bundesländer den FRG-Zeiten EP (Ost) zugeordnet bleiben und nicht die Ermittlung von EP vorgesehen ist, entspricht dies der Rechtslage für solche Rentenberechtigte mit rentenrechtlichen Zeiten im Beitrittsgebiet, die in einem der alten Bundesländer ansässig sind.

50

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 18. September 2013 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 14 211,29 Euro festgesetzt.

I

Tatbestand

1

Im Streit ist die Erstattung von Kosten für eine stationäre Maßnahme der Sozialhilfe für die Zeit vom 25.3.2010 bis 28.2.2011, die der Landkreis L.-W. (L) für den Hilfeempfänger D. B. (B) erbracht hat.

2

Der 1986 geborene B lebte bis zum 20.3.2010 in Be. (R.-P.) im elterlichen Haushalt. Nachdem ihn seine Mutter der Wohnung verwiesen hatte, hielt er sich zunächst bis 22.3.2010 bei einem Bekannten - ebenfalls in R.-P. auf. Vom 22. bis 24.3.2010 übernachtete er in der "Herberge" des W.-A.-Hauses in Li. (H.), die Übernachtungsmöglichkeiten für wohnsitzlose Menschen anbietet. Diese Tage nutzte er, um sich Klarheit darüber zu verschaffen, ob er in das W:-A.-Haus selbst (stationär) aufgenommen werden wolle; diese Aufnahme erfolgte dann am 25.3.2010. L übernahm vorläufig die Kosten hierfür (Bescheide vom 30.6.2010 und 28.10.2010). Der Beklagte lehnte die geltend gemachte Kostenerstattung mit der Begründung ab, B habe in der Herberge einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet, sodass L selbst der zuständige Sozialhilfeträger sei (Schreiben vom 7.12.2010).

3

Die auf Erstattung von 14 211,29 Euro an sich gerichtete Klage, erhoben vom Landeswohlfahrtsverband H. während des Berufungsverfahrens wurde durch L eine Vollmacht zur Durchführung des Gerichtsverfahrens erteilt -, hatte in beiden Instanzen Erfolg (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 30.10.2012; Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 18.9.2013). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, B habe seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt vor der stationären Aufnahme bei seinen Eltern in Be. gehabt; weder bei seinem Bekannten noch während des kurzfristigen Aufenthalts in der Herberge habe er einen anderen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Insbesondere habe B am 22.3.2010 noch nicht die Entscheidung getroffen, dauerhaft in Li. zu bleiben. Aber selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, ergäbe sich für die Frage der Zuständigkeit nichts anderes. Denn der Schutz der Einrichtungsorte, den § 98 Abs 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) iVm § 109 SGB XII vermittle, müsse sich auf der eigentlichen Aufnahme vorgelagerte kurze Aufenthalte am Einrichtungsort, also auch auf die - wie hier - einer Einrichtung angeschlossene Herberge, erstrecken, sodass dort von vornherein kein gewöhnlicher Aufenthalt habe begründet werden können.

4

Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 30 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I) sowie des § 109 SGB XII. Das LSG habe zu Unrecht angenommen, am 22.3.2010 sei der Verbleib des B in Li. noch nicht sicher gewesen; allein die Möglichkeit, dass er an einen anderen Ort hätte weiterziehen können, stehe ohnedies der rechtlichen Wertung eines zukunftsoffenen Verbleibs und damit der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts nicht entgegen. Es bestehe auch nicht die Notwendigkeit, den Schutz des § 109 SGB XII auf zeitlich der Aufnahme vorgelagerte Aufenthalte zu erstrecken.

5

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG und den Gerichtsbescheid des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält die Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz).

9

Gegenstand des Verfahrens ist die Erstattung von Aufwendungen in Höhe von 14 211,29 Euro, die L in der Zeit vom 25.3.2010 bis 28.2.2011 für B vorläufig erbracht haben soll und deren Erstattung der Kläger in Form einer eigennützigen gewillkürten Prozessstandschaft mit der allgemeinen Leistungsklage (§ 54 SGG)durch Zahlung an sich verlangt. Insoweit ist die Klage jedenfalls mit der durch L im Berufungsverfahren erteilten Ermächtigung zulässig geworden. Anders als das LSG meint, war und ist L vom Kläger als überörtlichem Träger der Sozialhilfe (§ 100 Abs 1 Nr 5 Bundessozialhilfegesetz, § 99 BSHG iVm § 2 Hessisches Ausführungsgesetz zum Bundessozialhilfegesetz - Gesetz und Verordnungsblatt 642) Herangezogener (§ 96 Abs 1 Satz 2 BSHG iVm § 5 HAG/BSHG; Heranziehungen von örtlichen Trägern der Sozialhilfe zur Durchführung von Aufgaben nach § 5 Abs 1 HAG/BSHG, die wie hier am 31.12.2004 Geltung hatten, gelten fort, vgl § 13 Abs 2 Satz 1 Hessisches Ausführungsgesetz zum SGB XII vom 20.12.2004 - GVBl 488 -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 10.12.2013 - GVBl 675) für die Gewährung von Hilfen in besonderen Lebenslagen im eigenen Namen (vgl insoweit auch § 1 Abs 1 Nr 3 des Delegationsbeschlusses des Verwaltungsausschusses des Landeswohlfahrtsverbandes H. über die Heranziehung der örtlichen Träger der Sozialhilfe zur Durchführung von Aufgaben des überörtlichen Sozialhilfeträgers vom 24.9.1993 idF des Änderungsbeschlusses vom 25.10.2001) für das Leistungs- und Erstattungsverfahren wahrnehmungszuständig; daran hat sich auch durch die Einführung des SGB XII nichts geändert (§ 97 Abs 1 und Abs 3 Nr 3 SGB XII iVm § 2 HAG/SGB XII vom 20.12.2004 - GVBl 488 -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 10.12.2013 - GVBl 675). L wäre eigentlich selbst zur Prozessführung berechtigt (und verpflichtet) gewesen.

10

Doch hat L diese Befugnis prozessual wirksam dem Kläger übertragen (gewillkürte Prozessstandschaft; zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen vgl nur Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, ZPO, 72. Aufl 2014, Grdz § 50 RdNr 29 f; Zöller, ZPO, 30. Aufl 2014, vor § 50 RdNr 42 ff, insbesondere RdNr 49) und diesem unter Berücksichtigung des Inhalts der Erklärung auch das Recht eingeräumt, Zahlung an sich selbst zu verlangen (vgl dazu nur BGH, Urteil vom 7.6.2001 - I ZR 49/99). Wegen der besonderen Konstellation der Heranziehung, in der der Kläger für diese Leistung originär zuständig war und trotz der Heranziehung auch geblieben ist, hat der Kläger naturgemäß ein eigenes berechtigtes Interesse an der Prozessführung (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, aaO, RdNr 30). Zur Auslegung der vorgenannten, an sich nicht revisiblen (§ 162 SGG) landesrechtlichen Regelungen war der Senat befugt, weil das LSG insoweit keine eigenen Feststellungen getroffen hat (vgl zu dieser Voraussetzung: BSGE 94, 38, 43 = SozR 4-2700 § 182 Nr 1; BSGE 96, 64, 67 f = SozR 4-4300 § 143a Nr 1). Es hat bei seinen Ausführungen zur Zuständigkeit vielmehr lediglich auf § 1 Abs 2 des Delegationsbeschlusses abgestellt; die eigentlich maßgeblichen landes- und bundesrechtlichen Regelungen zur Zuständigkeit hat es jedoch nicht ermittelt bzw ausgelegt.

11

Sonstige von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensmängel liegen nicht vor. Insbesondere war eine Beiladung des B in den Fällen des § 106 SGB XII, der hier als Anspruchsnorm allein in Betracht kommt, nicht erforderlich; weil die Rechtsstellung des B durch das vorliegende Verfahren nicht berührt wird (vgl zuletzt Senatsentscheidung vom 13.2.2014 - B 8 SO 11/12 R -, SozR 4-3500 § 106 Nr 1 RdNr 14 mwN). Von einer Beiladung des L wiederum konnte hier schon deshalb abgesehen werden, weil L kein eigenes rechtliches Interesse an der Geltendmachung der Forderung (mehr) hat; der Kläger hat ihm die aufgewendeten Kosten bereits erstattet.

12

Ob der Kläger gemäß § 106 Abs 1 iVm § 98 Abs 2 Satz 3 SGB XII die Erstattung der Aufwendungen des L vom Beklagten verlangen kann, kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Es ist schon nicht beurteilbar, ob sich ein Zahlungsanspruch überhaupt gegen den Beklagten richten kann, weil es an der Prüfung der sachlichen Zuständigkeit des Beklagten nach Landesrecht fehlt, die dem Senat nicht möglich ist. Denn sollte es sich bei der Leistung ab 25.3.2010 um eine solche nach § 67 SGB XII gehandelt haben, wäre eine Zuständigkeit des Landes R.-P. als überörtlichem Sozialhilfeträger statt des örtlichen nur denkbar, wenn die Leistungserbringung an B in einer stationären Einrichtung erforderlich gewesen wäre (vgl § 2 Abs 2 Nr 5 Landesgesetz zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 22.12.2004 - GVBl R.-P. 571). Dazu fehlen jedoch jegliche Feststellungen des LSG.

13

Es fehlen jedoch auch weitere tatsächliche Feststellungen. Nach § 106 Abs 1 SGB XII hat der nach § 98 Abs 2 Satz 1 SGB XII für die Hilfegewährung (örtlich) zuständige Träger dem nach § 98 Abs 2 Satz 3 SGB XII vorläufig leistenden Träger die aufgewendeten Kosten zu erstatten. L hat nach § 98 Abs 2 Satz 3 SGB XII zu Recht vorläufig Leistungen an B erbracht. Steht innerhalb von vier Wochen nicht fest, wo der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Leistungsberechtigten im Zeitpunkt der Aufnahme in eine Einrichtung war, ist nach § 98 Abs 2 Satz 3 SGB XII nämlich der nach § 98 Abs 1 SGB XII für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständige Leistungsträger - hier L - örtlich zuständig, um eine möglichst schnelle Deckung des geltend gemachten Bedarfs unabhängig von Zuständigkeitsfragen sicherzustellen. Diese dem Schutz des Hilfebedürftigen dienende Zuständigkeitsregelung greift nicht nur bei Unklarheiten im Tatsächlichen, sondern gilt nach ihrem Sinn und Zweck gleichermaßen, wenn - wie hier - zwischen zwei Leistungsträgern unterschiedliche Rechtsansichten darüber bestehen, wo der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Hilfebedürftigen liegt und deshalb keine Einigung über die örtliche Zuständigkeit erzielt werden kann (vgl BT-Drucks 12/4401, S 84 zur Vorgängerregelung des § 97 Abs 2 Satz 3 BSHG).

14

Ob der Beklagte bzw der örtliche Träger der Sozialhilfe (siehe oben) jedoch der nach § 98 Abs 2 Satz 1 SGB XII eigentlich zuständige Träger ist, weil B seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt vor der Aufnahme in die Einrichtung in R.-P. bei seiner Mutter, damit in seinem Zuständigkeitsbereich, hatte, kann nicht abschließend beurteilt werden.

15

Nach § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I hat eine Person den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo sie sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass sie an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Für die Feststellung des Vorliegens eines gewöhnlichen Aufenthalts sind die mit dem Aufenthalt verbundenen Umstände des Einzelfalls festzustellen; im Rahmen einer vorausschauenden Betrachtung (Prognoseentscheidung) unter Berücksichtigung aller für die Beurteilung der künftigen Entwicklung im Zeitpunkt des Eintreffens am maßgeblichen Ort erkennbaren Umstände zu würdigen und als hypothetische Tatsache festzustellen (BSGE 112, 116 ff RdNr 25 = SozR 4-1200 § 30 Nr 6; BSGE 65, 84, 86 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 17; BSGE 63, 93, 97 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 183), und zwar auch dann, wenn wie hier der gewöhnliche Aufenthalt rückblickend zu ermitteln ist. Dies ist Aufgabe der Tatsachengerichte und für den Senat bindend, solange nicht durchgreifende Verfahrensrügen (dazu BSGE 94, 133 ff RdNr 16 = SozR 4-3200 § 81 Nr 2) dagegen erhoben werden.

16

Dass das LSG eine Prognose getroffen hat, ist für den Senat nicht erkennbar. Die vom LSG festgestellten Umstände, warum B in die Herberge kam und wie er die Tage dort nutzte, haben nach den aufgezeigten Maßstäben keine selbständige materiellrechtliche Bedeutung; denn sie können nur neben weiteren objektiven Umständen die Grundlage der einheitlichen Prognoseentscheidung bilden. Das LSG hat zukunftsgerichtet lediglich die subjektive Tatsache festgestellt, dass B im Zeitpunkt des Eintreffens in der Herberge noch nicht den Willen hatte, dauerhaft in Li. zu verbleiben. Ebenso sei denkbar gewesen, dass er weiterziehe; er habe sich daher "zukunftsoffen" in L aufgehalten.

17

Die Formulierung "zukunftsoffen" ist jedoch nur der Gebrauch eines Rechtsbegriffs. Sie genügt damit nicht den Anforderungen einer (hypothetischen) Tatsachenfeststellung im Sinne der erforderlichen Prognose, die eine Würdigung nicht nur des Willens von B, sondern aller Umstände verlangt. Nach der Formulierung des LSG hat dieses die Zukunftsoffenheit rechtlich unzutreffend lediglich mit der subjektiven Vorstellung des B verknüpft, nicht aber eine eigene Einschätzung vorgenommen, ob trotz dessen subjektiver Offenheit unter Berücksichtigung weiterer Umstände nicht doch mit einem Verbleib in Li. zu rechnen war. Besonders deutlich wird dies auch daran, dass das LSG zu einer anderen rechtlichen Würdigung des Verbleibs unter dem Gesichtspunkt der Zukunftsoffenheit gelangt, indem es B mit einem wohnsitzlosen Menschen gleichstellt und für diesen Personenkreis zu Unrecht abweichende Kriterien für die Prognose aufstellt.

18

Wäre mit einem Verbleib in Li. zu rechnen gewesen, hätte B in der Herberge und damit im Zuständigkeitsbereich des L einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. § 109 SGB XII fände keine Anwendung. Danach gilt als gewöhnlicher Aufenthalt ua nicht der Aufenthalt in einer Einrichtung iS des § 98 Abs 2 SGB XII. Der Rechtsgedanke des § 109 SGB XII gebietet eine Vorverlagerung dieses Schutzes auf einen Aufenthalt in der einer Einrichtung angeschlossenen Herberge nur unter der Voraussetzung, dass eine Person schon mit dem sicheren Wissen, in eine Einrichtung aufgenommen zu werden, den Ort der Einrichtung aufsucht und deshalb nur eine vorübergehende Zeit außerhalb der Einrichtung bis zur Aufnahme überbrücken muss(so bereits BVerwGE 42, 196 f). Die Absicht des Eintretens in die Einrichtung muss mithin der Grund für die Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts an den Ort der Einrichtung sein, was nach den Feststellungen des LSG bei B gerade nicht der Fall war. Demgemäß hat das LSG die Anwendung des § 109 SGB XII auch nur für den Fall bejaht, dass man entgegen seiner tatsächlichen Feststellungen von einer Entschlossenheit des B zum Wechsel in die Einrichtung ausgehen würde.

19

Sollte das LSG hingegen zum Schluss kommen, B habe sich nur vorübergehend in L aufgehalten, dort also keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet, wäre weiter zu prüfen, ob die dem B von L erbrachten Leistungen dem Grund und der Höhe nach rechtmäßig sind (vgl nur BSGE 109, 56 ff RdNr 10 = SozR 4-3500 § 98 Nr 1). Hierzu hat das LSG lediglich ausgeführt, es sei "unstreitig", dass die Leistungserbringung an B erforderlich gewesen sei; der Erstattungsanspruch sei zudem auch seiner Höhe nach "unstreitig". Diese Ausführungen ermöglichen keine rechtliche Überprüfung durch den Senat.

20

Bei seiner erneuten Entscheidung wird das LSG ggf das Rubrum im Hinblick auf das in R.-P. geltende Behördenprinzip unter Berücksichtigung von § 1 Abs 2 Satz 2 AGSGB II R.-P. vom 22.12.2004 (GVBl 571) zu berichtigen haben.

21

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs 3 und Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG), §§ 40, 47 Abs 1 und Abs 2 GKG, § 52 Abs 3 GKG.

22

Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. Januar 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf Gewährung eines Gründungszuschusses (GZ) hat.

2

Der Kläger war bis 22.6.2008 als Ingenieur selbstständig tätig und stand seit 12.5.2006 in einem Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag gemäß § 28a Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). In der Zeit vom 23.6.2008 bis zum 3.9.2008 bezog er Arbeitslosengeld. Seit dem 4.9.2008 übt der Kläger in Katar eine Tätigkeit als freiberuflicher Ingenieur aus.

3

Den am 1.9.2008 gestellten Antrag auf Gewährung eines GZ zur Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit als international tätiger Ingenieur lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, es handle sich nicht um eine Neugründung iS des § 57 SGB III(Bescheid vom 17.9.2008). Nachdem der Kläger Widerspruch eingelegt hatte, ermittelte die Beklagte über eine Anfrage beim Einwohnermeldeamt, dass der Kläger am 4.9.2008 seinen Wohnsitz nach Katar verlegt hatte. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück und führte zur Begründung ua aus, die Voraussetzungen für die Gewährung eines GZ seien jedenfalls deshalb nicht erfüllt, weil die Tätigkeit nicht im Geltungsbereich des SGB III ausgeübt werde (Widerspruchsbescheid vom 10.10.2008).

4

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 15.3.2011). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückgewiesen (Urteil vom 31.1.2012). In den Entscheidungsgründen hat das LSG ua ausgeführt: Es könne dahinstehen, ob der Kläger die Voraussetzungen für einen GZ gemäß § 57 SGB III erfülle. Denn aus § 30 Abs 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) folge, dass die Vorschriften des deutschen Sozialrechts einschließlich des § 57 SGB III nicht anwendbar seien. Der Kläger habe seit Beginn der Ausübung der selbstständigen Tätigkeit weder seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Er habe seinen Lebensmittelpunkt bereits mit Beginn der selbstständigen Tätigkeit nach Katar verlagert, um sich hier aufzuhalten und eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen. Eine Anwendbarkeit des § 57 SGB III ergebe sich nicht aus abweichenden Kollisionsnormen in den besonderen Teilen des Sozialgesetzbuchs (SGB). Etwas anderes folge weder aus Sinn und Zweck des GZ noch aus einer verfassungskonformen Auslegung des § 30 Abs 1 SGB I unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Bundessozialgerichts (BSG).

5

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 30 Abs 1 SGB I. Für die Gewährung eines GZ reiche es aus, dass die Beendigung der Arbeitslosigkeit in Deutschland erreicht werde (Hinweis auf Hessisches LSG, Urteil vom 23.9.2011 - L 7 AL 104/09). Selbst bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des LSG stehe ihm jedenfalls bis Februar 2009 ein GZ zu. Er habe nämlich seine Wohnung in Deutschland zunächst noch beibehalten, weil er bei der Einreise nach Katar hinsichtlich des Gelingens der Existenzgründung noch unsicher gewesen sei, und er habe die Wohnung erst zum Ende des Monats Februar 2009 gekündigt.

6

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. Januar 2012 und das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 15. März 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Oktober 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 4. September 2008 einen GZ zu gewähren.

7

Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.

8

Sie hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend und trägt ergänzend vor, der territoriale Bezug zum Geltungsbereich des SGB müsse bei Eintritt des leistungsbegründenden Ereignisses (Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit) sowie während des gesamten Förderungszeitraums gegeben sein und könne nicht allein durch einen in der Vergangenheit liegenden Bezug zur Versichertengemeinschaft in Deutschland hergestellt werden.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat zutreffend entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf einen GZ hat.

10

1. Als Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers kommt nur § 57 SGB III in der ab 1.8.2006 geltenden Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (BGBl I 1706) in Betracht. Nach § 57 Abs 1 SGB III haben Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbstständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Anspruch auf einen GZ, wenn sie die im Einzelnen in § 57 Abs 2 SGB III genannten Voraussetzungen erfüllen (ua Anspruch auf eine Entgeltersatzleistung nach dem SGB III bzw Ausübung einer als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme geförderten Beschäftigung bis zur Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit, Nachweis der Tragfähigkeit der Existenzgründung). Dagegen kann § 421l SGB III idF des Fünften Gesetzes zur Änderung des SGB III und anderer Gesetze vom 22.12.2005 (BGBl I 3676) nicht als Rechtsgrundlage herangezogen werden, weil nach dessen Abs 5 die Regelungen vom 1.7.2006 an nur noch Anwendung finden, wenn der Anspruch auf Förderung vor diesem Tag bestanden hat, was bei Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit am 4.9.2008 nicht der Fall sein kann.

11

2. Das LSG hat zu Recht offengelassen, ob die Anspruchsvoraussetzungen des § 57 SGB III erfüllt sind. Denn ein Anspruch des Klägers scheitert bereits an § 30 Abs 1 SGB I, der die Vorschriften des SGB auf Personen begrenzt, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben (Territorialitätsprinzip). Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG hatte der Kläger in der streitgegenständlichen Zeit ab 4.9.2008 in Deutschland weder seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt.

12

a) Den Feststellungen des LSG ist zu entnehmen, dass der Kläger ab 4.9.2008 seinen Wohnsitz in Katar hatte. Nach § 30 Abs 3 S 1 SGB I hat jemand seinen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Entscheidend sind die tatsächlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse; der Wohnsitz liegt dort, wo jemand den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse hat (vgl BSG SozR 3-5870 § 2 Nr 36 S 140 ff; BSG SozR 4-7837 § 12 Nr 1 RdNr 18; Seewald in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 30 SGB I, RdNr 15 ff, Stand Einzelkommentierung September 2007).

13

Das LSG hat ausgeführt, der Kläger habe seinen Lebensmittelpunkt bereits mit Beginn der selbstständigen Tätigkeit, also ab 4.9.2008, nach Katar verlagert, weil er sich dort in Zukunft habe aufhalten und sich eine wirtschaftliche Existenz habe aufbauen wollen. Bei diesen Ausführungen handelt es sich um tatsächliche Feststellungen, an die der Senat gebunden ist (§ 163 Sozialgerichtsgesetz). Der Kläger hat gegen diese Feststellungen keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen erhoben.

14

Soweit der Kläger im Revisionsverfahren vorträgt, er habe zunächst noch seine Wohnung in Deutschland beibehalten, weil er hinsichtlich des Gelingens der Existenzgründung noch unsicher gewesen sei, handelt es sich um tatsächliches Vorbringen, das offen lässt, wo der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse gewesen ist. Die Tatsache der Zahlung von Miete für die bisherige Wohnung in Deutschland für eine Übergangszeit hat das LSG ohnehin berücksichtigt; es hat dazu ausgeführt, die Mietzahlung ändere nichts an der Verlagerung des Lebensmittelpunkts nach Katar. Soweit der Sachvortrag des Klägers allerdings die genannten Feststellungen des LSG in Frage stellen will, ist er im Revisionsverfahren unbeachtlich (vgl nur BSGE 89, 250, 252 = SozR 3-4100 § 119 Nr 24 mwN; BSG SozR 4-2700 § 8 Nr 24 RdNr 23).

15

b) Aus den Feststellungen des LSG zum Lebensmittelpunkt des Klägers folgt auch, dass der Kläger ab 4.9.2008 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Katar und damit nicht mehr im Geltungsbereich des SGB hatte. Denn den gewöhnlichen Aufenthalt hat gemäß § 30 Abs 3 S 2 SGB I jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Das insoweit erforderliche subjektive Element, nämlich der Wille, auf längere Dauer an dem betreffenden Ort zu verweilen (vgl BSGE 60, 262, 263 = SozR 1200 § 30 Nr 10 mwN), der im Wege einer vorausschauenden Betrachtungsweise (Prognose) festzustellen ist (vgl BSG SozR 4-1200 § 30 Nr 6 RdNr 25 mwN), war nach den im Revisionsverfahren maßgebenden Ausführungen des LSG gegeben.

16

3. Ebenfalls zu Recht hat das LSG angenommen, dass im vorliegenden Fall § 30 SGB I nicht durch abweichende Regelungen des deutschen Rechts(vgl § 37 S 1 SGB I) oder des über- und zwischenstaatlichen Rechts verdrängt wird. Insbesondere ist § 57 SGB III in der hier anzuwendenden Fassung(s oben 1.) nicht zu entnehmen, es reiche bereits ein in der Vergangenheit liegender Bezug zur Versichertengemeinschaft aus.

17

Zwar trifft es zu, dass der GZ an Arbeitnehmer geleistet wird, die durch Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit in Deutschland beenden (§ 57 Abs 1 SGB III), die (ua) bis zur Aufnahme einen Anspruch auf eine Entgeltersatzleistung nach dem SGB III haben und die bei Aufnahme noch über eine bestimmte Dauer eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld verfügen (§ 57 Abs 2 S 1 Nr 1 und 2 SGB III). Aus § 57 SGB III in der einschlägigen Fassung ergibt sich über die genannten Regelungen hinaus aber auch, dass die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachgewiesen sein muss(§ 57 Abs 2 S 1 Nr 3 SGB III) und dass die Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung erbracht wird (§ 57 Abs 1 SGB III, vgl auch § 58 SGB III). Insofern kann die zu § 421l SGB III idF des Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002, BGBl I 4621, ergangene Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 27.8.2008 - B 11 AL 22/07 R - BSGE 101, 224 = SozR 4-4300 § 421l Nr 2) nicht auf die vorliegende Fallgestaltung übertragen werden, weil für den Existenzgründungszuschuss nach der vorgenannten Vorschrift weder die Prüfung einer Erfolgsaussicht noch eine Zweckbindung zur sozialen Sicherung vorgeschrieben war (vgl Urteil vom 27.8.2008 aaO RdNr 22, 29).

18

Durch die Gesamtregelung des § 57 iVm § 58 SGB III kommt somit zum Ausdruck, dass während des Leistungsbezugs auch die weitere Ausübung der selbstständigen Tätigkeit gegeben sein muss, weshalb ein territorialer Bezug auch für die Zeit ab Aufnahme dieser Tätigkeit als erforderlich anzusehen ist. Es kann folglich - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - nicht angenommen werden, durch § 57 SGB III sei die allgemeine Regel des § 30 SGB I modifiziert worden. Dem Vorbringen der Revision, § 57 SGB III erfordere ausschließlich die Beendigung der Arbeitslosigkeit in Deutschland(so - nicht entscheidungserheblich - zu § 57 SGB III in der ab 1.1.2005 geltenden Fassung: Hessisches LSG Urteil vom 23.9.2011 - L 7 AL 104/09), ist nicht zu folgen.

19

4. Dass der Kläger unter den gegebenen Umständen keinen Anspruch auf GZ hat, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Es ist weder eine Verletzung des Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) noch eine Verletzung des Art 14 GG ersichtlich.

20

Insbesondere steht dem Ausschluss eines Leistungsanspruchs nicht die Rechtsprechung des BVerfG und des BSG entgegen, wonach es dem Gesetzgeber nicht frei steht, ohne gewichtige sachliche Gründe den Anknüpfungspunkt zwischen Beitragserhebung und Leistungsberechtigung zu wechseln (BVerfG Beschluss vom 30.12.1999 - 1 BvR 809/95 - SozR 3-1200 § 30 Nr 20; Urteile des Senats vom 27.8.2008 - B 11 AL 7/07 R - SozR 4-4300 § 119 Nr 7 und vom 7.10.2009 - B 11 AL 25/08 R - BSGE 104, 280 = SozR 4-1200 § 30 Nr 5). Denn die dieser Rechtsprechung zugrunde liegenden Fallgestaltungen, die vor allem Personen mit zeitweiligem grenznahen Auslandswohnsitz betreffen, sind mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. In einem Fall wie dem des Klägers, der während der Versicherungspflicht gemäß § 28a SGB III im Inland gewohnt und danach den Wohnsitz und den gewöhnlichen Aufenthalt in das außereuropäische Ausland verlegt hat, ist der Gesetzgeber nicht gehindert, den Leistungsanspruch von einem fortbestehenden Bezug zum Inland abhängig zu machen. Insoweit stellt die gesetzliche Regelung nach § 57 SGB III iVm § 30 Abs 1 SGB I auch eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung iS des Art 14 Abs 2 S 1 GG dar.

21

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 21. September 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Elterngeld für die Zeit ihres Aufenthaltes in Frankreich.

2

Die Klägerin ist deutsche Staatsangehörige. Sie lebte seit 2002 in Frankreich. Dort wohnte sie in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zusammen mit dem ebenfalls deutschen Vater ihres am 7.5.2008 geborenen Sohnes B Während dieser Zeit arbeitete die Klägerin bei französischen Firmen und entrichtete Beiträge zur französischen Sozialversicherung sowie französische Einkommensteuer. Diese Tätigkeit unterbrach sie anlässlich der Geburt des Sohnes, bezog französisches Mutterschaftsgeld und anschließend von August 2008 bis Januar 2009 eine Beihilfe von der französischen Familienkasse. Am 5.1.2009 nahm die Klägerin ihre berufliche Tätigkeit wieder auf. Zum 31.3.2009 wurde das Arbeitsverhältnis einvernehmlich beendet. Der Lebensgefährte der Klägerin war 2002 von der A Deutschland GmbH zur Arbeitsleistung an die A U L entsandt worden. Nach Mitteilung der T Krankenkasse vom 16.7.2008 wurde diese Entsendung jedenfalls bis 2010 verlängert.

3

Mit Schreiben vom 31.10.2008 beantragte die Klägerin beim Bezirksamt A in H die Gewährung von Elterngeld für den fünften bis zwölften Lebensmonat ihres Sohnes. Dieses Amt gab den Vorgang im Hinblick auf einen in W gemeldeten Hauptwohnsitz der Klägerin an den beklagten Landkreis ab. Dieser lehnte den Leistungsantrag mit der Begründung ab, die Klägerin habe - entgegen § 1 Abs 1 Nr 1 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) - keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Außerdem erfülle sie nicht die Anforderungen des § 1 Abs 2 BEEG, weil sie weder selbst entsandt noch Ehegatte oder Lebenspartnerin eines entsandten Arbeitnehmers sei(Bescheid vom 29.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.5.2009).

4

Klage und Berufung der Klägerin sind ohne Erfolg geblieben (Urteile des Sozialgerichts Stade vom 3.11.2010 und des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 21.9.2011). Das LSG hat seine Entscheidung im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

Die Klägerin habe in den ersten vierzehn Lebensmonaten ihres Kindes weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt. Sie habe sich 2008/2009 nicht nur vorübergehend in Frankreich aufgehalten. Dort habe sie bereits seit mindestens sechs Jahren gelebt und sei auch berufstätig gewesen. Die mit ihrem Lebensgefährten geteilte Wohnung habe sich ebenfalls in Frankreich befunden. Zusammen mit ihrer Schwester gehöre ihr ein Haus in W, das sie nach Art eines Ferienhauses lediglich wenige Wochen im Jahr bewohne. Das reiche für die Bejahung eines Wohnsitzes in Deutschland nicht aus.

5

Die Klägerin sei auch nicht im Sinne von § 4 SGB IV im Rahmen eines im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in ein Gebiet außerhalb dieses Geltungsbereichs entsandt worden. Ebenso wenig sei sie die Ehegattin oder Lebenspartnerin eines entsandten Arbeitnehmers. Zwar sei der Vater des Kindes iS des § 4 SGB IV nach Frankreich entsandt worden, es bestehe mit ihm jedoch keine Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft. Einer erweiternden Auslegung sei der einschlägige § 1 Abs 2 BEEG - auch in Ansehung des § 2 Abs 2 SGB I - nicht zugänglich. Gegen diese Regelung bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Auch aus europarechtlichen Vorschriften lasse sich eine Anspruchsberechtigung der Klägerin nicht herleiten.

6

Mit ihrer Revision macht die Klägerin insbesondere geltend: Es sei nicht gerechtfertigt, sie allein deshalb von dem Bezug des Elterngeldes auszuschließen, weil sie seinerzeit nicht verheiratet gewesen sei, sondern in nichtehelicher Lebensgemeinschaft gelebt habe. Es liege ein Verstoß gegen Art 6 Abs 5 GG vor, weil sie wegen eines nichtehelichen Kindes benachteiligt werde. Das LSG habe auch Art 73 Abs 1 EWG-Verordnung Nr 1407/71 (EWGV 1408/71) verletzt, weil insoweit eine Differenzierung danach, ob die Eltern des betreuten Kindes verheiratet sind, nach dem Sinn und Zweck des Elterngeldes unangemessen sei.

7

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Urteile des LSG Niedersachsen-Bremen vom 21.9.2011 und des SG Stade vom 3.11.2010 aufzuheben sowie den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 29.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.5.2009 zu verurteilen, ihr für den fünften bis zwölften Lebensmonat ihres am 7.5.2008 geborenen Sohnes B Elterngeld zu gewähren.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hat sich zunächst dahin geäußert, dass er das angefochtene Urteil für zutreffend halte.

10

Nachdem der Senat die Beteiligten darauf hingewiesen hatte, dass hinreichende Feststellungen des LSG zur Bejahung einer Zuständigkeit des Beklagten fehlten und im Übrigen nach den einschlägigen Richtlinien des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) ein den deutschen Rechtsvorschriften unterliegender Elternteil dem anderen Elternteil, der den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates unterliege, gemäß Art 73 EWGV 1408/71 auch dann eine Anspruchsberechtigung für Elterngeld vermitteln könne, wenn beide nicht verheiratet seien (Fassung vom 18.12.2006, S 152), hat der Beklagte im Wesentlichen vorgetragen: Seine Zuständigkeit nach § 12 Abs 1 S 3 BEEG sei zweifelhaft, da der letzte inländische Wohnsitz der Klägerin offenbar in H gewesen sei. In materieller Hinsicht spreche viel für einen Anspruch der Klägerin auf Elterngeld unter Anrechnung der von der französischen Familienkasse bezogenen Leistung.

11

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

Entscheidungsgründe

12

Die Revision der Klägerin ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Die bisherigen Tatsachenfeststellungen des LSG lassen eine abschließende Entscheidung nicht zu.

13

Die Klägerin erstrebt mit ihrer Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) die Gewährung von Elterngeld für den fünften bis zwölften Lebensmonat ihres am 7.5.2008 geborenen Sohnes. Dabei wendet sie sich gegen den ablehnenden Bescheid des Beklagten vom 29.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.5.2009.

14

Entgegen der Annahme des LSG kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass dieser Verwaltungsakt ohne Verstoß gegen formelles Recht zustande gekommen ist. Auf der Grundlage der berufungsgerichtlich festgestellten Tatsachen vermag der Senat nämlich nicht zu beurteilen, ob der Beklagte für die Entscheidung über den Antrag der Klägerin auf Elterngeld zuständig ist. Weder das BEEG noch das SGB X enthalten eine allgemeine Zuständigkeitsregelung. Da die Gewährung von Elterngeld grundsätzlich einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland voraussetzt (§ 1 Abs 1 Nr 1 BEEG), ist es nach allgemeinen Grundsätzen angebracht, auch die Zuständigkeit der Behörde nach einem vorhandenen inländischen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Antragstellers zu bestimmen (vgl BMFSFJ, Richtlinien zum BEEG, Stand 18.12.2006, S 103; Buchner/Becker, Mutterschutzgesetz und BEEG, Komm, 8. Aufl 2008, § 12 BEEG RdNr 11; Irmen in Hambüchen, BEEG, EStG, BKGG, Stand Dezember 2009, § 12 BEEG RdNr 8; Jaritz in Roos/Bieresborn, MuSchG einschließlich BEEG, Stand Juli 2012, § 12 BEEG RdNr 10 f).

15

Das LSG ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin im streitbefangenen Zeitraum (7.9.2008 bis 6.5.2009) ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Deutschland, sondern in Frankreich gehabt habe, wo sie seit Jahren in einer gemeinsamen Wohnung mit ihrem Lebensgefährten gelebt und für französische Firmen gearbeitet hat. Diese Beurteilung ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

16

Nach § 30 Abs 3 S 2 SGB I, der gemäß § 37 S 1, § 68 Nr 15a SGB I grundsätzlich auch für das Elterngeldrecht gilt, hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Gemessen an diesen Kriterien ist nach den vom LSG festgestellten Umständen ein gewöhnlicher Aufenthalt der Klägerin in Deutschland für den fraglichen Zeitraum auszuschließen.

17

Auch die weitere Annahme des LSG, dass die Klägerin 2008/2009 keinen Wohnsitz in Deutschland gehabt hat, hält der Senat aus revisionsrechtlicher Sicht für zutreffend.

18

Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird (§ 30 Abs 3 S 1 SGB I). Der bloße Besitz einer Wohnung reicht insoweit nicht aus. Vielmehr muss eine ausreichende Benutzung hinzukommen (vgl Schlegel in Juris PK-SGB I, 2. Aufl 2012, § 30 RdNr 33). Auf die ordnungsbehördliche Meldung eines Wohnsitzes beim Einwohnermeldeamt kommt es insoweit nicht an (vgl BSG SozR 5870 § 1 Nr 4). Da ein Wohnsitz auch dann gegeben ist, wenn eine Wohnung nicht ständig benutzt wird, kann eine Person zwar auch mehrere Wohnsitze haben (vgl zB Mrozynski, SGB I, 4. Aufl 2010, § 30 RdNr 22). Wer sich jedoch bei einer mehrjährigen Auslandsbeschäftigung in seiner beibehaltenen Wohnung nur noch im Urlaub aufhält, hat keinen Wohnsitz im Inland mehr (vgl BSG SozR 5870 § 1 Nr 7). Die Wohnung bildet für ihn dann keinen Schwerpunkt der Lebensverhältnisse (vgl dazu BSG SozR 3-5870 § 2 Nr 36 S 140 ff). Dies gilt nach Auffassung des Senats jedenfalls dann, wenn die betreffende Person - wie die Klägerin - bereits seit mindestens sechs Jahren im Ausland lebt und arbeitet, die inländische Wohnung jedoch nur wenige Wochen im Jahr vorübergehend bewohnt.

19

Mangels eines inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts der Klägerin richtet sich die Zuständigkeit der Behörde nach § 12 Abs 1 S 3 BEEG. Diese Bestimmung lautet:

        

In den Fällen des § 1 Abs 2 ist die von den Ländern für die Durchführung dieses Gesetzes bestimmte Behörde des Bezirks zuständig, in dem die berechtigte Person ihren letzten inländischen Wohnsitz hatte; hilfsweise ist die Behörde des Bezirks zuständig, in dem der entsendende Dienstherr oder Arbeitgeber der berechtigten Person oder der Arbeitgeber des Ehegatten, der Ehegattin, des Lebenspartners oder der Lebenspartnerin der berechtigten Person den inländischen Sitz hat.

20

Hier handelt es sich um einen Fall des § 1 Abs 2 BEEG, weil die Klägerin geltend macht, sie habe Anspruch auf Elterngeld ohne eine der Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Nr 1 BEEG erfüllen zu müssen. § 1 Abs 2 BEEG sieht vor:

        

Anspruch auf Elterngeld hat auch, wer, ohne eine der Voraussetzungen des Abs 1 Nr 1 zu erfüllen,

        

1.    

nach § 4 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch dem deutschen Sozialversicherungsrecht unterliegt oder im Rahmen seines in Deutschland bestehenden öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses vorübergehend ins Ausland abgeordnet, versetzt oder kommandiert ist,

        

2.    

Entwicklungshelfer oder Entwicklungshelferin im Sinne des § 1 des Entwicklungshelfer-Gesetzes ist oder als Missionar oder Missionarin der Missionswerke und -gesellschaften, die Mitglieder oder Vereinbarungspartner des Evangelischen Missionswerkes Hamburg, der Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen e.V., des Deutschen katholischen Missionsrates oder der Arbeitsgemeinschaft pfingstlich-charismatischer Missionen sind, tätig ist oder

        

3.    

die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und nur vorübergehend bei einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung tätig ist, insbesondere nach den Entsendungsrichtlinien des Bundes beurlaubte Beamte und Beamtinnen, oder wer vorübergehend einen nach § 123a des Beamtenrechtsrahmengesetzes zugewiesene Tätigkeit im Ausland wahrnimmt.

        

Dies gilt auch für mit der nach Satz 1 berechtigten Person in einem Haushalt lebende Ehegatten, Ehegattinnen, Lebenspartner oder Lebenspartnerinnen.

21

Dabei ist es unschädlich, dass die Klägerin als nichteheliche Lebensgefährtin eines entsandten Arbeitnehmers (vgl § 1 Abs 2 S 1 Nr 1 BEEG) insbesondere die Voraussetzungen des Satzes 2 dieser Vorschrift - dem Wortlaut nach - nicht erfüllt. Für die Begründung einer Zuständigkeit reicht es aus, dass sie eine Gleichbehandlung mit dem insoweit begünstigten Personenkreis beansprucht.

22

Das LSG hat nicht geprüft, in welchem Behördenbezirk die Klägerin ihren letzten inländischen Wohnsitz hatte. Dementsprechend fehlen dazu hinreichende Tatsachenfeststellungen. Zwar wird im Tatbestand des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass die Klägerin ihre frühere Wohnung in H. aufgegeben habe. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass danach das frühere Elternhaus in W für eine gewisse Zeit - noch als Wohnsitz gedient hat. Nach ihrem Revisionsvorbringen hat die Klägerin im Zusammenhang mit ihrem Umzug nach Frankreich ihren vorherigen Nebenwohnsitz in W in den Hauptwohnsitz umgewandelt. Insbesondere dann, wenn der Aufenthalt der Klägerin in Frankreich zunächst nicht auf eine mehrjährige Dauer angelegt gewesen ist, könnte die Beibehaltung einer Wohnung in W, die der Klägerin jederzeit zur Benutzung zur Verfügung stand, ggf unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ausreichen um noch für eine gewisse Zeit einen inländischen Wohnsitz zu bejahen (vgl BSG SozR 5870 § 1 Nr 4).

23

Auf die Feststellung der für die Entscheidung über den Elterngeldantrag der Klägerin zuständigen Behörde kann hier nicht verzichtet werden. Zwar kann nach dem gemäß § 26 Abs 1 BEEG anwendbaren § 42 S 1 SGB X die Aufhebung eines Verwaltungsakts nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Unabhängig davon, ob es sich hier allein um eine Frage der örtlichen Zuständigkeit handelt, kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die Voraussetzungen des § 42 S 1 SGB X gegeben sind. Denn den einschlägigen Richtlinien des BMFSFJ zum BEEG (Stand vom 18.12.2006, S 152; übereinstimmend noch Stand vom 5.1.2010, S 159) ist - wie der Beklagte einräumt - zu entnehmen, dass nach Art 73 EWGV 1408/71 ein den deutschen Rechtsvorschriften unterliegender Elternteil (wie hier der als Arbeitnehmer nach Frankreich entsandte Lebensgefährte der Klägerin) dem anderen Elternteil, der (wie die in Frankreich lebende und arbeitende Klägerin) den Vorschriften eines anderen Mitgliedstaats unterliegt, bei Betreuung des gemeinsamen Kindes eine Anspruchsberechtigung für deutsches Elterngeld auch dann vermitteln kann, wenn beide nicht miteinander verheiratet sind. Unter diesen Umständen ist nicht offensichtlich, dass eine andere Elterngeldstelle den Antrag der Klägerin ebenso abgelehnt hätte wie der Beklagte.

24

Auch über die mit der Anfechtung des Verwaltungsakts verbundene Leistungsklage der Klägerin kann nicht entschieden werden, bevor geklärt ist, welcher Träger für die Gewährung des beanspruchten Elterngeldes zuständig ist. Zum einen steht einer Verurteilung zur Leistung noch der ablehnende Verwaltungsakt entgegen, zum anderen kann nur derjenige Träger zur Leistungserbringung verpflichtet werden, der insoweit auch passiv legitimiert ist.

25

Da der erkennende Senat die noch erforderliche Aufklärung des Sachverhalts im Revisionsverfahren nicht vornehmen kann (vgl § 163 SGG), ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (vgl § 170 Abs 2 S 2 SGG). Im Hinblick darauf, dass die materielle Rechtslage durch die Richtlinien des BMFSFJ weitgehend geklärt erscheint, erübrigen sich aus der Sicht des Senats Hinweise zur weiteren Behandlung der Sache. Das LSG wird - soweit erforderlich - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. August 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Neufeststellung seiner Altersrente unter Berücksichtigung von Entgeltpunkten (EP) anstelle von EP (Ost).

2

Der 1939 in Russland geborene Kläger ist als Spätaussiedler nach § 4 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) anerkannt. Er beantragte am 27.8.1991 aus Kasachstan die Aufnahme als Aussiedler in Deutschland und gab dabei an, er beabsichtige, seinen Wohnort bei Verwandten in Nordrhein-Westfalen zu nehmen. Nach der Genehmigung der Übersiedlung mit Aufnahmebescheid des Bundesverwaltungsamts vom 29.9.1993 kam der Kläger (zusammen mit seiner Ehefrau) am 19.12.1993 nach Deutschland. Er erhielt eine Zuweisung nach Brandenburg und wurde dort ab 22.12.1993 in der Landesaufnahmeeinrichtung in P. untergebracht, wo sich bereits seine im September 1993 übergesiedelte Tochter mit ihrem Ehemann aufhielt. Nach Anmeldung bei der Gemeinde meldete sich der Kläger beim Arbeitsamt Cottbus arbeitslos, bezog Eingliederungshilfe und nahm an einem viereinhalbmonatigen Sprachkurs teil. Am 15.5.1994 zog er nach Nordrhein-Westfalen.

3

Mit Bescheid vom 28.12.1999 bewilligte die Beklagte dem Kläger Altersrente ab Januar 2000 unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem FRG auf der Grundlage von 24,3578 EP (Ost) und 0,051 EP.

4

Am 31.12.2004 beantragte der Kläger die Neufeststellung seiner Rente nach § 44 SGB X ua mit der Begründung, es seien bei der Festsetzung der Rente für die FRG-Zeiten EP und keine EP (Ost) zu berücksichtigen. Er habe sich im Beitrittsgebiet weniger als sechs Monate aufgehalten und lediglich in einem "Übergangswohnheim" gelebt. Die Beklagte lehnte den Neufeststellungsantrag mit Hinweis auf Art 6 § 4 Abs 6 des Fremd- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) ab. Auch der Aufenthalt in einem "Übergangswohnheim" sei als gewöhnlicher Aufenthalt anzusehen (Bescheid vom 23.1.2008, Widerspruchsbescheid vom 3.7.2008).

5

Mit seiner Klage hat der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Neufeststellung seiner Altersrente unter Zugrundelegung von EP anstelle von EP (Ost) begehrt. Er habe in dem "Übergangswohnheim" keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Ein Verbleib in Brandenburg sei nicht beabsichtigt gewesen. Er sei bei seiner Übersiedlung nach Deutschland wegen Überbuchung seines Flugs nach Düsseldorf, wo ihn Verwandte erwartet hätten, in Frankfurt am Main angekommen und schließlich zwei Tage später in dem "Übergangswohnheim" in Brandenburg untergebracht worden. Dort hätten sich bereits seine Tochter und sein Schwiegersohn aufgehalten. Seinen Wunsch, zu den Verwandten nach Nordrhein-Westfalen zu kommen, hätten die Behörden nicht berücksichtigt. Erst nach der Teilnahme an einem viereinhalbmonatigen Sprachkurs und nachdem ihm seine Verwandten nach Erteilung einer behördlichen Umzugserlaubnis eine Wohnung besorgt hätten, habe er im Mai 1994 dorthin ziehen können.

6

Das SG hat die Beklagte durch Urteil vom 7.5.2010 ua verpflichtet, die Altersrente des Klägers unter Berücksichtigung von "EP (West)" neu festzustellen. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG die Entscheidung des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 29.8.2011). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Auf den Kläger finde Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG Anwendung. Er habe nach seiner Übersiedlung nach Deutschland bis zu seinem Umzug nach Nordrhein-Westfalen seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet gehabt. § 30 Abs 3 S 2 SGB I enthalte die für alle Bereiche des Sozialrechts gültige Bestimmung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts. Dieser sei nach den objektiv gegebenen tatsächlichen Umständen zu beurteilen. Entscheidend sei, wo der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft liege. Dauerhaft sei ein Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen sei. Der Kläger habe sich ab dem 22.12.1993 zukunftsoffen im Beitrittsgebiet aufgehalten. Zu diesem Zeitpunkt habe noch nicht festgestanden, wie lange er dort bleiben und wann er nach Nordrhein-Westfalen umziehen werde. Der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Beitrittsgebiet stehe weder die Unterkunft in einem Übergangswohnheim noch die behördliche Zuweisung nach Brandenburg entgegen. Ein Domizilwille, der mit den tatsächlichen Umständen nicht übereinstimme, sei ebenso wie die unter sechsmonatige Dauer des Aufenthalts im Beitrittsgebiet rechtlich unerheblich. § 9 Abgabenordnung (AO) begründe jedenfalls keine Regelvermutung, dass ein unter sechsmonatiger Aufenthalt nicht gewöhnlich iS des § 30 Abs 3 S 2 SGB I sei.

7

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er ist der Ansicht, das LSG habe den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts iS des § 30 Abs 3 S 2 SGB I, ohne einen Normzusammenhang mit Art 6 § 4 Abs 6 FANG herzustellen, fehlerhaft mit dem des einfachen Aufenthalts oder Verweilens gleichgesetzt. Zudem komme es entgegen der Auffassung des LSG bei einer Verweildauer von unter sechs Monaten auf den Willen des Betroffenen an, einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen. Diesen habe er aber nicht gehabt. Denn er habe zu keiner Zeit beabsichtigt oder erwartet, sich im "Übergangswohnheim" in Brandenburg längerfristig aufzuhalten. Vielmehr habe er seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet erstmals am 15.5.1994 in Nordrhein-Westfalen begründet.

8

Der Kläger beantragt sinngemäß,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. August 2011 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 7. Mai 2010 zurückzuweisen.

9

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision als unzulässig zu verwerfen,

        

hilfsweise,

        

die Revision zurückzuweisen.

10

Sie ist der Ansicht, die Revisionsbegründung setze sich nicht hinreichend mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auseinander. In der Sache führe sowohl die einheitliche Auslegung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts in § 30 Abs 3 S 2 SGB I für alle Bereiche des SGB als auch die Auslegung dieses Begriffs im Sinne der sogenannten Einfärbungslehre im Zusammenhang mit Art 6 § 4 Abs 6 FANG zu dem Ergebnis, dass der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet genommen habe. Mit dem Antrag auf Eingliederungshilfe habe der Kläger zum Ausdruck gebracht, sich im Beitrittsgebiet eingliedern zu wollen. Wenn man mit dem Kläger davon ausginge, dass er bei seinem Aufenthalt in Brandenburg noch keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet habe, könne sein damaliger Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt nur weiterhin das Herkunftsgebiet gewesen sein.

11

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 S 1 SGG).

Entscheidungsgründe

12

Die Revision des Klägers ist zulässig. Insbesondere hat er seine Revision noch hinreichend iS des § 164 Abs 2 S 3 SGG begründet. Die vom BSG in ständiger Rechtsprechung präzisierten Anforderungen (vgl zB BSG vom 16.10.2007 - SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 9 f mwN)hat der Kläger mit noch hinreichender Deutlichkeit erfüllt.

13

Die Revision ist jedoch nicht begründet.

14

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 23.1.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3.7.2008 ist rechtmäßig. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, dem Kläger unter teilweiser Rücknahme des bestandskräftigen Rentenbescheids vom 28.12.1999 eine höhere Altersrente unter Berücksichtigung von EP anstelle von EP (Ost) für die FRG-Zeiten zu zahlen.

15

1. Der geltend gemachte Rücknahmeanspruch richtet sich nach § 44 SGB X. Nach dessen Abs 1 S 1 ist ein bindend gewordener Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen für die Rücknahme des Rentenbescheids vom 28.12.1999 sind nicht erfüllt.

16

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Neufeststellung seiner Altersrente unter Zugrundelegung von EP anstelle von EP (Ost) für seine FRG-Zeiten. Denn er unterfällt als FRG-Berechtigter (§ 1 Buchst a FRG) der Regelung des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG(dazu unter 2a). Er hat nach dem 31.12.1991 (ab 1.1.2000) einen "Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem FRG" im alten Bundesgebiet erworben (dazu unter 2b), nachdem er seinen nach dem 31.12.1991 (ab 22.12.1993) im Beitrittsgebiet begründeten gewöhnlichen Aufenthalt dorthin (ab 15.5.1994) verlegt hatte (dazu unter 2c). Die Bewertung von FRG-Zeiten in Abhängigkeit von dem Ort des erstmals begründeten gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland verstößt nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen Art 3 Abs 1 GG (dazu unter 3).

17

2. Der "Monatsbetrag der Rente" ergibt sich, wenn die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen EP, der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden (§ 64 SGB VI), wobei allerdings - bis zur Herstellung einheitlicher Einkommensverhältnisse in Deutschland - zwischen EP und EP (Ost) sowie aktuellem Rentenwert und aktuellem Rentenwert (Ost) unterschieden wird (§ 254b Abs 1, § 254d Abs 1, § 255a SGB VI). Soweit - wie im vorliegenden Fall - im nichtdeutschen Herkunftsland zurückgelegte Beitragszeiten in Anwendung des FRG ebenfalls mit EP bei der Rentenfestsetzung berücksichtigt werden, hat der Gesetzgeber in Art 6 § 4 Abs 6 FANG in der seit 1.1.1992 geltenden Fassung des Renten-Überleitungsgesetzes (RÜG) vom 25.7.1991 (BGBl I 1606) folgende (Übergangs-)Regelung hinsichtlich ihrer Zuordnung zu den EP bzw EP (Ost) getroffen:

        

"Bei Berechtigten nach dem Fremdrentengesetz, die

        

a) ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet haben und dort nach dem 31. Dezember 1991 einen Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem Fremdrentengesetz erwerben,

        

b) nach dem 31. Dezember 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Beitrittsgebiet in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet verlegen und dort nach dem 31. Dezember 1991 einen Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem Fremdrentengesetz erwerben oder

        

c) nach dem 31. Dezember 1991 ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet in das Beitrittsgebiet verlegen und bereits vor Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts einen Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem Fremdrentengesetz haben,

        

werden für nach dem Fremdrentengesetz anrechenbare Zeiten Entgeltpunkte (Ost) ermittelt; im Falle von Buchstabe c gilt dies nur, sofern am 31. Dezember 1991 Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem Fremdrentengesetz nicht bestand. Dies gilt auch für die Zeiten eines weiteren Rentenbezuges aufgrund neuer Rentenfeststellungen, wenn sich die Rentenbezugszeiten ununterbrochen aneinander anschließen. Bei Berechtigten nach Satz 1 Buchstabe a und c, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Beitrittsgebiet in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet verlegen, verbleibt es für Zeiten nach dem Fremdrentengesetz bei den ermittelten Entgeltpunkten (Ost)."

18

Die Voraussetzungen des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG sind vorliegend erfüllt.

19

a) Der Kläger ist als anerkannter Spätaussiedler iS des § 4 BVFG Berechtigter nach dem FRG(§ 1 Buchst a FRG).

20

b) Er hat nach dem 31.12.1990 seinen gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Beitrittsgebiet in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet (also das alte Bundesgebiet ) verlegt und dort nach dem 31.12.1991 (nämlich ab 1.1.2000) einen "Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem FRG" erworben. Mit dieser Formulierung ist ein Zahlungsanspruch auf eine Rente nach dem SGB VI gemeint, bei deren Feststellung FRG-Zeiten zu berücksichtigen sind.Durch die Regelungen des FRG wird kein außerhalb des gesetzlichen Anspruchs auf Rente nach dem SGB VI (vgl § 33 SGB VI) beruhender besonderer Anspruch auf eine "Fremdrente" bzw "FRG-Rente" begründet (vgl BSG vom 16.11.2000 - B 4 RA 3/00 R - Juris RdNr 118; BSG vom 29.4.1997 - SozR 3-5060 Art 6 § 4 Nr 3 S 21).

21

c) Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) ist dessen Ergebnis, dass der Kläger vor seinem Umzug nach Nordrhein-Westfalen am 15.5.1994 zunächst ab 22.12.1993 seinen gewöhnlichen Aufenthalt iS des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG iVm § 30 Abs 3 S 2 SGB I in Brandenburg und damit im Beitrittsgebiet begründet hat, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat weder die gesetzlichen Voraussetzungen für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne der vorgenannten Bestimmungen verkannt noch enthält die angefochtene Entscheidung einen anderen Rechtsfehler.

22

aa) Der Rechtsbegriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" ist in § 30 Abs 3 S 2 SGB I legal definiert. Danach hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

23

Der in dieser Norm umschriebene Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts gilt grundsätzlich für alle Bücher des SGB. Dahingestellt bleiben kann, ob zur Ermittlung von dessen konkreter rechtlicher Bedeutung (ergänzend oder allein) auf den Sinn und Zweck des Gesetzes (hier also: Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG)zurückzugreifen ist, das ihn verwendet (vgl BSG vom 3.4.2001 - SozR 3-1200 § 30 Nr 21 S 45 f). Denn im vorliegenden Fall führt auch ein in diesem Sinne rentenrechtlich "eingefärbter" Begriffsinhalt des LSG zum selben Ergebnis (dazu unter cc).

24

Die Frage des Vorliegens eines gewöhnlichen Aufenthalts nach § 30 Abs 3 S 2 SGB I ist anhand einer dreistufigen Prüfung zu klären. Ausgangspunkt ist ein "Aufenthalt"; es sind dann die mit dem Aufenthalt verbundenen "Umstände" festzustellen; sie sind schließlich daraufhin zu würdigen, ob sie "erkennen lassen", dass der Betreffende am Aufenthaltsort oder im Aufenthaltsgebiet "nicht nur vorübergehend verweilt" (vgl BSG vom 25.6.1987 - BSGE 62, 67, 68 f = SozR 7833 § 1 Nr 1 S 2).

25

Ob jemand sich gewöhnlich an einem Ort oder in einem Gebiet aufhält oder nur vorübergehend dort verweilt, lässt sich nur im Wege einer vorausschauenden Betrachtungsweise (Prognose) entscheiden (BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 97 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 183; BSG vom 17.5.1989 - BSGE 65, 84, 86 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 17). Dabei sind alle bei Prognosestellung für die Beurteilung der künftigen Entwicklung erkennbaren Umstände zu berücksichtigen. Ist nach der Prognose davon auszugehen, dass die betreffende Person "bis auf weiteres" an dem Ort oder in dem Gebiet verweilen wird, so hat sie dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt.

26

Diese Prognose bleibt auch dann maßgebend, wenn der "gewöhnliche Aufenthalt", wie hier, rückblickend zu ermitteln ist. Spätere Entwicklungen, die bei Beginn des entscheidungserheblichen Zeitraums noch nicht erkennbar waren, können eine Prognose weder bestimmen noch widerlegen. Wenn Änderungen eintreten, kann der gewöhnliche Aufenthalt an dem Ort oder in dem Gebiet nur vom Zeitpunkt der Änderung an entfallen (vgl BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 97 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 183 f; BSG vom 17.5.1989 - BSGE 65, 84, 86 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 17). Diese Zukunftsgerichtetheit der Beurteilung des gewöhnlichen Aufenthalts iS des § 30 Abs 3 S 2 SGB I ist deswegen erforderlich, weil im Sozialrecht hiervon in vielfältiger Weise auch sofort zu treffende, zukunftsorientierte Entscheidungen abhängen, zB die über einen Krankenversicherungsschutz durch Familienversicherung(§ 10 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V) oder einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II (§ 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II).

27

Die Prognose (als solche) und die Feststellung der dafür erheblichen Anhaltspunkte sind dem Revisionsgericht verschlossen. Es ist Aufgabe der Tatsachengerichte, die notwendigen Ermittlungen durchzuführen und daraus die Prognose zu stellen. Die Prognose gehört nicht zur Rechtsanwendung; sie ist vielmehr Feststellung einer hypothetischen Tatsache. Deshalb können Prognosen im Revisionsverfahren nur mit Verfahrensrügen angegriffen werden (BSG vom 7.4.1987 - SozR 4100 § 44 Nr 47 S 116; BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 97 f = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 184; BSG vom 17.5.1989 - BSGE 65, 84, 86 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 18; BSG vom 30.9.1996 - BSGE 79, 147, 151 = SozR 3-5870 § 2 Nr 33 S 131).

28

Das Gericht entscheidet, wenn es eine Prognose trifft, nach freier Überzeugung. Es hat aber alle Umstände des Einzelfalls zu würdigen. Die Prognose ist rechtsfehlerhaft, wenn das Gericht die der Prognose zugrunde zu legenden Tatsachen nicht richtig festgestellt oder nicht alle wesentlichen in Betracht kommenden Umstände hinreichend gewürdigt hat bzw wenn die Prognose auf rechtlich falschen oder unsachlichen Erwägungen beruht (vgl BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 98 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 184; BSG vom 17.5.1989 - BSGE 65, 84, 87 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 18; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 9f).

29

Entgegen der Auffassung der Beklagten führt allein der Umstand, dass der Kläger mit seiner Einreise nach Deutschland seinen "gewöhnlichen Aufenthalt" im Herkunftsgebiet aufgegeben hat, nicht dazu, dass er seinen "gewöhnlichen Aufenthalt" an dem Ort bzw in dem Gebiet genommen hat, in dem er sich im Anschluss an die Einreise aufgehalten hat. Die Annahme einer zwingenden Verknüpfung der Aufgabe eines gewöhnlichen Aufenthalts mit der Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts lässt außer Acht, dass die Existenz eines Menschen zwar stets einen "Aufenthalt", nicht aber zwangsläufig einen "gewöhnlichen Aufenthalt" voraussetzt.

30

Ein gewöhnlicher Aufenthalt ist nach § 30 Abs 3 S 2 SGB I vom "vorübergehenden Verweilen" bzw "vorübergehenden Aufenthalt" abzugrenzen(vgl BSG vom 19.11.1965 - 1 RA 154/62 - Juris RdNr 14; BSG vom 16.3.1978 - BSGE 46, 84, 85 = SozR 2200 § 1320 Nr 1 S 2; BSG vom 3.4.2001 - SozR 3-1200 § 30 Nr 21 S 46). Dem vorübergehenden Aufenthalt wohnt als zeitliches Element eine Beendigung von vornherein inne (vgl BSG vom 23.2.1988 - BSGE 63, 47, 49 = SozR 5870 § 1 Nr 14 S 32). Allerdings ist auch zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ein längerer oder dauerhafter (unbegrenzter) Aufenthalt nicht erforderlich. Es braucht hier nicht entschieden zu werden, ab welchem von vornherein bestimmten Zeitraum ein Aufenthalt als "gewöhnlich" zu werten ist. Jedenfalls genügt es, dass der Betreffende sich an dem Ort oder in dem Gebiet "bis auf weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält (vgl BVerwG vom 18.3.1999 - FEVS 49, 434, 436; BSG vom 27.1.1994 - SozR 3-2600 § 56 Nr 7 S 34; BSG vom 9.5.1995 - 8 RKn 2/94 - Juris RdNr 17; Schlegel in jurisPK-SGB I, Online-Ausgabe, § 30 RdNr 36, Stand Einzelkommentierung Oktober 2011; Seewald in Kasseler Komm, § 30 SGB I RdNr 22, Stand Einzelkommentierung September 2007). Dann schaden auch (voraussehbare) zeitweilige Unterbrechungen nicht. Denn ein gewöhnlicher Aufenthalt erfordert nicht, dass man "nie abwesend" ist (BSG vom 28.7.1967 - BSGE 27, 88, 89 = SozR Nr 5 zu § 1319 RVO). Voraussetzung ist keine Lückenlosigkeit des Aufenthalts, sondern nur eine gewisse Stetigkeit und Regelmäßigkeit (vgl BSG vom 28.7.1967 aaO; BSG vom 23.5.2012 - B 14 AS 133/11 R - Juris RdNr 21 - zur Veröffentlichung in SozR 4-1300 § 44 Nr 25 vorgesehen; vgl auch BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 98 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 184). Ein (gewichtiges) Indiz für einen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts ist die Verlagerung des örtlichen Schwerpunkts der Lebensverhältnisse (BSG vom 27.1.1994 - SozR 3-2600 § 56 Nr 7 S 34; BSG vom 3.4.2001 - SozR 3-1200 § 30 Nr 21 S 46; vgl aber auch Senatsurteile vom 9.8.1995 - SozR 3-1200 § 30 Nr 15 S 30 und vom 4.11.1998 - B 13 RJ 9/98 R - Juris RdNr 36).

31

Für die Unterscheidung zwischen gewöhnlichem und vorübergehendem Aufenthalt kann es nach alledem keine feste allgemeingültige Grenze im Sinne von Höchst- oder Mindestzeiten geben (BSG vom 25.6.1987 - BSGE 62, 67, 69 = SozR 7833 § 1 Nr 1 S 3). § 30 Abs 3 SGB I enthält keine dem früheren § 14 Abs 1 S 2 Steueranpassungsgesetz und dem jetzigen § 9 S 2 AO entsprechende Regelung, wonach als gewöhnlicher Aufenthalt stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen ist (zumal dies eine retrospektive Betrachtungsweise nahelegt). Deshalb kann entgegen der Meinung des SG die Vorschrift des § 9 S 2 AO nicht für den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts iS von § 30 Abs 3 S 2 SGB I näher herangezogen werden(vgl bereits BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 98 f = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 185; BSG vom 31.1.1980 - SozR 5870 § 1 Nr 6 S 8; Frank, SGb 1999, 547, 550). Keiner Entscheidung bedarf im vorliegenden Fall, ob für die Begründung eines gewöhnlichen, nicht nur vorübergehenden Aufenthalts in Anlehnung an die kürzeste Frist des Melderechts (vgl § 15 Abs 2 Nr 3 des Melderechtsrahmengesetzes, zB §§ 23, 24 Abs 1, 26 Abs 1 des Gesetzes über das Meldewesen im Land Brandenburg in der Fassung der Bekanntmachung vom 17.1.2006 , zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 7.7.2009 ) zumindest die Prognose eines voraussichtlich länger als zwei Monate dauernden Aufenthalts erforderlich ist.

32

Mithin hat der Prognosesteller alle mit dem Aufenthalt verbundenen Umstände zu berücksichtigen (BSG vom 25.6.1987 - BSGE 62, 67, 69 = SozR 7833 § 1 Nr 1 S 2); dies können subjektive wie objektive, tatsächliche wie rechtliche sein. Es kann demnach entgegen der Ansicht des Klägers nicht allein auf den Willen des Betroffenen ankommen, sich an einen anderen Ort zu begeben und dort einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen (sogenannter Domizilwille); dies gilt insbesondere dann, wenn er nicht mit den tatsächlichen (objektiven) Umständen übereinstimmt (vgl BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 97 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 183). Nicht zwingend für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ist daher, ob der Betroffene sich an einem Ort oder in einem bestimmten Gebiet freiwillig aufhält (BSG vom 29.5.1991 - SozR 3-1200 § 30 Nr 5 S 8). Allerdings kann ein fehlender Domizilwille im konkreten Einzelfall im Rahmen der Gesamtwürdigung als subjektives Element dann Bedeutung erlangen, wenn für einen außenstehenden Prognosesteller erkennbar wird, dass zusammen mit den objektiven Gegebenheiten ("Umstände, die erkennen lassen …") nicht (oder nicht mehr) von einem Aufenthalt "bis auf weiteres" ausgegangen werden kann (vgl Taenzel, Kompass 2/1995 S 98; Frank, SGb 1999, 547, 550; vgl auch BSG vom 23.5.2012 - B 14 AS 190/11 R - Juris RdNr 20, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-4200 § 36a Nr 2 vorgesehen).

33

bb) Das LSG hat aus den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Tatsachenfeststellungen zu Recht gefolgert, dass der Kläger vor seinem Umzug nach Nordrhein-Westfalen am 15.5.1994 zunächst ab 22.12.1993 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Brandenburg und damit im Beitrittsgebiet begründet hat.

34

Wie das Berufungsgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerwG zutreffend ausgeführt hat, kann auch ein Aufenthalt in einem "Übergangswohnheim" ein gewöhnlicher Aufenthalt iS des § 30 Abs 3 S 2 SGB I sein(vgl BVerwG vom 18.3.1999 - FEVS 49, 434, 436; BVerwG vom 23.10.2001 - ZFSH/SGB 2002, 221, 222; vgl auch LSG Rheinland-Pfalz vom 25.9.2003 - L 6 RJ 132/03 - Juris RdNr 23; Bayerisches LSG vom 16.6.2004 - L 19 RJ 584/02 - Juris RdNr 13; LSG Niedersachsen-Bremen vom 8.10.2008 - L 2 R 511/07 - Juris RdNr 43; VG Köln vom 4.3.2004 - 26 K 7967/00 - Juris RdNr 22, 29). Das gilt selbst dann, wenn die (nachvollziehbare) Absicht besteht, dieses so bald als möglich zu verlassen und sich an einem anderen Ort niederzulassen. Entscheidend sind aber auch hier stets alle erkennbaren Umstände des konkreten Einzelfalls zu Beginn des entscheidungserheblichen Zeitraums. Dies aber ist - ausgehend von dem oben dargestellten Begriffsinhalt des gewöhnlichen Aufenthalts als eines Aufenthalts "bis auf weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs - eine im Wege vorausschauender Betrachtung zu beantwortende Tatfrage und daher nicht (im Einzelfall) vom BSG zu entscheiden.

35

Nach den Feststellungen des LSG meldete sich der Kläger nach seiner Ankunft am 22.12.1993 in Brandenburg bei der für die Landesaufnahmeeinrichtung melderechtlich zuständigen Gemeinde in P. an. Des Weiteren meldete er sich beim zuständigen Arbeitsamt Cottbus arbeitslos, bezog Eingliederungshilfe und nahm an einem viereinhalbmonatigen Sprachkurs teil. Bei seiner Einreise nach Deutschland hatten ihm seine Verwandten in Nordrhein-Westfalen noch keine bezugsbereite Wohnung verschafft. Vielmehr musste erst noch eine Wohnung angemietet werden. Zudem ging der Kläger nach eigenen Angaben selbst davon aus, dass er vor einem Umzug noch einen Sprachkurs absolvieren müsse und dass für den Umzug nach Nordrhein-Westfalen eine behördliche, bei seiner Ankunft in Brandenburg noch nicht vorliegende Zustimmung ("Erlaubnis") erforderlich sei.

36

Aus diesen Gesamtumständen hat das LSG rechtsfehlerfrei geschlossen, dass der Kläger sich in Brandenburg ab 22.12.1993 "bis auf weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufgehalten und dort auch bis zu seinem Umzug nach Nordrhein-Westfalen den örtlichen Schwerpunkt seiner Lebensbeziehungen hatte.

37

cc) Nichts anderes ergibt sich, wenn man den Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" im vorliegenden Fall durch den Norminhalt des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 FANG iVm dem Gesetz über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler (AusÜbsiedWoG) in der hier maßgeblichen Fassung vom 21.12.1992 (BGBl I 2094, 2105) "eingefärbt" verstehen will. Denn auch ein an diesen Normen orientierter Begriffsinhalt würde nicht dazu führen, dass der Aufenthalt des Klägers als Spätaussiedler im Beitrittsgebiet nicht "zukunftsoffen" war.

38

Durch die Einfügung der Bestimmung des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 FANG durch das RÜG vom 25.7.1991 (aaO) sollte nach der Einigung Deutschlands auf der Grundlage des Integrationsprinzips in Abhängigkeit vom gewöhnlichen Aufenthalt in den alten oder neuen Bundesländern ein "angemessener Lebensstandard" für Aussiedler gesichert werden. Wer als Aussiedler im Beitrittsgebiet Aufnahme gefunden hatte, sollte grundsätzlich (Renten-)Leistungen (nach einem Sicherungsniveau) erhalten, die denen der dort lebenden Bürger entsprachen. Zum anderen sollte kein Anreiz für die Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts wegen der unterschiedlichen Leistungshöhe geschaffen werden (vgl Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen CDU/CSU und F.D.P vom 23.4.1991 eines RÜG, BT-Drucks 12/405, 114 ). Maßgeblich blieb demnach der Integrationsgedanke. Dieser war aber nach dem Beitritt der neuen Bundesländer zur Bundesrepublik und dem Inkrafttreten eines einheitlichen Rentenrechts zum 1.1.1992 nicht mehr von dem Bedürfnis geprägt, Aussiedler im Wege besonderer staatlicher Fürsorge weiter dadurch individuell in das Sozialgefüge der Bundesrepublik zu integrieren, dass sie fiktiv (stets) so behandelt wurden, als hätten sie ihr bisheriges Erwerbsleben in den alten Bundesländern verbracht (vgl zu Übersiedlern BSG vom 14.12.2011 - SozR 4-2600 § 248 Nr 1 RdNr 30). Denn ein die einheitliche Behandlung vorgebendes einheitliches Sozialgefüge gab es nach dem Beitritt in Deutschland nicht mehr.

39

Der Aufenthalt des Klägers in der Landesaufnahmeeinrichtung in Brandenburg war daher auch nicht deshalb nur "vorübergehend", weil die dortige Aufenthaltnahme als Spätaussiedler aufgrund behördlicher (hoheitlicher) Zuweisung nach Maßgabe des AusÜbsiedWoG erfolgte.

40

Gemäß § 2 Abs 1 S 1 AusÜbsiedWoG konnten (Spät-)Aussiedler nach der Aufnahme in Deutschland einem Wohnort zugewiesen werden, wenn sie nicht über ausreichenden Wohnraum verfügten und daher bei der Unterbringung auf öffentliche Hilfe angewiesen waren. Bei der Entscheidung über die Zuweisung sollten ihre Wünsche, enge verwandtschaftliche Beziehungen sowie die Möglichkeit ihrer beruflichen Eingliederung berücksichtigt werden (§ 2 Abs 2 AusÜbsiedWoG). Nach § 4 S 1 Nr 1 AusÜbsiedWoG konnten die Landesregierungen einen Schlüssel für die Zuweisung der Aussiedler innerhalb des Landes in Gemeinden und Kreise festlegen. Entschied sich der Aussiedler für einen Wohnort abweichend von der Zuweisung, war die Gemeinde nicht verpflichtet, den Aufgenommenen als Aussiedler zu betreuen. Leistungsansprüche der Betroffenen blieben hiervon unberührt (vgl Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 5.6.1989, BT-Drucks 11/4689, 6 ; vgl aber den durch das Zweite Gesetz zur Änderung des AusÜbsiedWoG vom 26.2.1996 mit Wirkung vom 1.3.1996 eingefügten und bis zum 30.6.2000 geltenden § 3a AusÜbsiedWoG, nach dessen Abs 1 ein Spätaussiedler oder Familienangehöriger, der abweichend von der Verteilung nach § 8 BVFG oder entgegen einer landesinternen Zuweisung nach § 2 Abs 1 AusÜbsiedWoG 1996 in einem anderen Land oder an einem anderen als dem zugewiesenen Ort ständigen Aufenthalt nahm, an diesem Ort keine Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz und in der Regel nur die nach den Umständen nachweisbar gebotene Hilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz erhielt; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung s BVerfG vom 17.3.2004 - BVerfGE 110, 177). Grundsätzlich blieb es Aussiedlern daher unbenommen, sich (unmittelbar) nach ihrer Einreise selbst oder mit Hilfe von Angehörigen oder Freunden an einen Ort ihrer Wahl zu begeben und dort gewöhnlichen Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen (vgl aaO, BT-Drucks 11/4689, 5 ; vgl auch Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 14.8.1992 eines Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes, BT-Drucks 509/92, 67 § 8 bvfg>).

41

Die Zuweisung nach dem AusÜbsiedWoG wurde gegenstandslos, wenn der Aufgenommene nachwies, dass ihm an einem anderen Ort entweder nicht nur vorübergehend ausreichender Wohnraum oder ein Arbeits-, Ausbildungs- oder Studienplatz zur Verfügung stand, in jedem Falle spätestens nach zwei Jahren (§ 2 Abs 4 AusÜbsiedWoG).

42

Auch wenn damit die Zuweisung auf höchstens zwei Jahre begrenzt war, war der Aufenthalt eines Spätaussiedlers in der zugewiesenen Gemeinde grundsätzlich zukunftsoffen angelegt. Ob die Zuweisung wegen des Ablaufs der Zwei-Jahres-Frist oder aus anderen Gründen bereits früher gegenstandslos wurde, beeinflusst die Prognoseentscheidung über die Zukunftsoffenheit des Aufenthalts nicht.

43

3. Die Regelung des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG verstößt auch nicht gegen Verfassungsrecht. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG vor.

44

Art 3 Abs 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Verboten ist auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem die Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird (BVerfG vom 14.4.2010 - BVerfGE 126, 29, 43 mwN). Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht vielmehr nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl BVerfG vom 7.7.1992 - BVerfGE 87, 1, 36 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 7; BVerfG vom 9.11.2004 - BVerfGE 112, 50, 67 = SozR 4-3800 § 1 Nr 7 RdNr 55; BVerfG vom 27.2.2007 - BVerfGE 117, 272, 300 f = SozR 4-2600 § 58 Nr 7 RdNr 70; BVerfG vom 11.11.2008 - BVerfGE 122, 151, 188 = SozR 4-2600 § 237 Nr 16 RdNr 62; BVerfG vom 14.4.2010 - BVerfGE 126, 29, 47; stRspr).

45

Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengeren Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl BVerfG vom 20.4.2004 - BVerfGE 110, 274, 291; BVerfG vom 7.11.2006 - BVerfGE 117, 1, 30; BVerfG vom 17.11.2009 - BVerfGE 125, 1, 17).

46

Für die Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen kommt es wesentlich darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers ist anzunehmen, wenn die Differenzierung an Persönlichkeitsmerkmale anknüpft (vgl BVerfG vom 15.7.1998 - BVerfGE 98, 365, 389). Bei lediglich verhaltensbezogenen Unterscheidungen hängt das Maß der Bindung davon ab, inwieweit die Betroffenen in der Lage sind, durch ihr Verhalten die Verwirklichung der Merkmale zu beeinflussen, nach denen unterschieden wird (BVerfG vom 15.7.1998 - BVerfGE 98, 365, 389). Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers geht dann besonders weit, wenn er Lebenssachverhalte verschieden behandelt und die Betroffenen sich durch eigenes Verhalten auf die unterschiedliche Regelung einstellen können. Die Grenze bildet dann allein das Willkürverbot (vgl BVerfG vom 18.2.1998 - BVerfGE 97, 271, 291).

47

Ausgehend von diesem Maßstäben verstößt Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG nicht gegen Art 3 Abs 1 GG.

48

Der Gesetzgeber wollte - wie unter 2 c cc) bereits erwähnt - mit der (Übergangs-)Regelung des Art 6 § 4 Abs 6 FANG den durch die Öffnung der deutsch-deutschen Grenze eingetretenen Änderungen auch im Fremdrentenrecht Rechnung tragen. Dieses sollte so weiter entwickelt werden, dass es am jeweiligen Aufenthaltsort - sei es in den alten Bundesländern oder im Beitrittsgebiet - einen angemessenen Lebensstandard sichert. Wer als Aussiedler im Beitrittsgebiet Aufnahme gefunden hatte, sollte Leistungen erhalten, die dem Rentenniveau der dort lebenden Bürger entsprechen. Die unterschiedliche Leistungshöhe in den neuen und alten Bundesländern machte es jedoch nach Ansicht des Gesetzgebers erforderlich, den Anreiz für einen Wohnortwechsel in die alten Bundesländer zu nehmen und für Aussiedler keine günstigeren Regelungen zu treffen, als sie für Bundesbürger im Beitrittsgebiet gelten (vgl Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen CDU/CSU und F.D.P vom 23.4.1991 eines RÜG, BT-Drucks 12/405, 114 ).

49

In Umsetzung dieser Zielvorgabe hat der Gesetzgeber in Art 6 § 4 Abs 6 FANG sachgerecht und damit keinesfalls willkürlich für die Höhe der "Renten nach dem FRG" als Anknüpfungspunkte auf den gewöhnlichen Aufenthalt des FRG-Berechtigten und die unterschiedlichen Lebens- und Einkommensverhältnisse in den neuen und alten Bundesländern abgestellt. Dass er damit für den hier maßgeblichen Zeitraum nicht allein auf die vom Willen des Betroffenen (grundsätzlich) unabhängige behördliche Zuweisung abgestellt hat, ergibt sich aus den Ausführungen zu 2 c cc). Wenn auch bei einer Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts eines FRG-Berechtigten aus den neuen in die alten Bundesländer den FRG-Zeiten EP (Ost) zugeordnet bleiben und nicht die Ermittlung von EP vorgesehen ist, entspricht dies der Rechtslage für solche Rentenberechtigte mit rentenrechtlichen Zeiten im Beitrittsgebiet, die in einem der alten Bundesländer ansässig sind.

50

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

(1) Die Vorschriften dieses Gesetzbuchs gelten für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben.

(2) Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts bleiben unberührt.

(3) Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Als gewöhnlicher Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes ist stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen; kurzfristige Unterbrechungen bleiben unberücksichtigt. Satz 2 gilt nicht, wenn der Aufenthalt ausschließlich zu Besuchs-, Erholungs-, Kur- oder ähnlichen privaten Zwecken genommen wird und nicht länger als ein Jahr dauert.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. August 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Neufeststellung seiner Altersrente unter Berücksichtigung von Entgeltpunkten (EP) anstelle von EP (Ost).

2

Der 1939 in Russland geborene Kläger ist als Spätaussiedler nach § 4 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) anerkannt. Er beantragte am 27.8.1991 aus Kasachstan die Aufnahme als Aussiedler in Deutschland und gab dabei an, er beabsichtige, seinen Wohnort bei Verwandten in Nordrhein-Westfalen zu nehmen. Nach der Genehmigung der Übersiedlung mit Aufnahmebescheid des Bundesverwaltungsamts vom 29.9.1993 kam der Kläger (zusammen mit seiner Ehefrau) am 19.12.1993 nach Deutschland. Er erhielt eine Zuweisung nach Brandenburg und wurde dort ab 22.12.1993 in der Landesaufnahmeeinrichtung in P. untergebracht, wo sich bereits seine im September 1993 übergesiedelte Tochter mit ihrem Ehemann aufhielt. Nach Anmeldung bei der Gemeinde meldete sich der Kläger beim Arbeitsamt Cottbus arbeitslos, bezog Eingliederungshilfe und nahm an einem viereinhalbmonatigen Sprachkurs teil. Am 15.5.1994 zog er nach Nordrhein-Westfalen.

3

Mit Bescheid vom 28.12.1999 bewilligte die Beklagte dem Kläger Altersrente ab Januar 2000 unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem FRG auf der Grundlage von 24,3578 EP (Ost) und 0,051 EP.

4

Am 31.12.2004 beantragte der Kläger die Neufeststellung seiner Rente nach § 44 SGB X ua mit der Begründung, es seien bei der Festsetzung der Rente für die FRG-Zeiten EP und keine EP (Ost) zu berücksichtigen. Er habe sich im Beitrittsgebiet weniger als sechs Monate aufgehalten und lediglich in einem "Übergangswohnheim" gelebt. Die Beklagte lehnte den Neufeststellungsantrag mit Hinweis auf Art 6 § 4 Abs 6 des Fremd- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) ab. Auch der Aufenthalt in einem "Übergangswohnheim" sei als gewöhnlicher Aufenthalt anzusehen (Bescheid vom 23.1.2008, Widerspruchsbescheid vom 3.7.2008).

5

Mit seiner Klage hat der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Neufeststellung seiner Altersrente unter Zugrundelegung von EP anstelle von EP (Ost) begehrt. Er habe in dem "Übergangswohnheim" keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Ein Verbleib in Brandenburg sei nicht beabsichtigt gewesen. Er sei bei seiner Übersiedlung nach Deutschland wegen Überbuchung seines Flugs nach Düsseldorf, wo ihn Verwandte erwartet hätten, in Frankfurt am Main angekommen und schließlich zwei Tage später in dem "Übergangswohnheim" in Brandenburg untergebracht worden. Dort hätten sich bereits seine Tochter und sein Schwiegersohn aufgehalten. Seinen Wunsch, zu den Verwandten nach Nordrhein-Westfalen zu kommen, hätten die Behörden nicht berücksichtigt. Erst nach der Teilnahme an einem viereinhalbmonatigen Sprachkurs und nachdem ihm seine Verwandten nach Erteilung einer behördlichen Umzugserlaubnis eine Wohnung besorgt hätten, habe er im Mai 1994 dorthin ziehen können.

6

Das SG hat die Beklagte durch Urteil vom 7.5.2010 ua verpflichtet, die Altersrente des Klägers unter Berücksichtigung von "EP (West)" neu festzustellen. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG die Entscheidung des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 29.8.2011). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Auf den Kläger finde Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG Anwendung. Er habe nach seiner Übersiedlung nach Deutschland bis zu seinem Umzug nach Nordrhein-Westfalen seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet gehabt. § 30 Abs 3 S 2 SGB I enthalte die für alle Bereiche des Sozialrechts gültige Bestimmung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts. Dieser sei nach den objektiv gegebenen tatsächlichen Umständen zu beurteilen. Entscheidend sei, wo der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft liege. Dauerhaft sei ein Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen sei. Der Kläger habe sich ab dem 22.12.1993 zukunftsoffen im Beitrittsgebiet aufgehalten. Zu diesem Zeitpunkt habe noch nicht festgestanden, wie lange er dort bleiben und wann er nach Nordrhein-Westfalen umziehen werde. Der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Beitrittsgebiet stehe weder die Unterkunft in einem Übergangswohnheim noch die behördliche Zuweisung nach Brandenburg entgegen. Ein Domizilwille, der mit den tatsächlichen Umständen nicht übereinstimme, sei ebenso wie die unter sechsmonatige Dauer des Aufenthalts im Beitrittsgebiet rechtlich unerheblich. § 9 Abgabenordnung (AO) begründe jedenfalls keine Regelvermutung, dass ein unter sechsmonatiger Aufenthalt nicht gewöhnlich iS des § 30 Abs 3 S 2 SGB I sei.

7

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er ist der Ansicht, das LSG habe den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts iS des § 30 Abs 3 S 2 SGB I, ohne einen Normzusammenhang mit Art 6 § 4 Abs 6 FANG herzustellen, fehlerhaft mit dem des einfachen Aufenthalts oder Verweilens gleichgesetzt. Zudem komme es entgegen der Auffassung des LSG bei einer Verweildauer von unter sechs Monaten auf den Willen des Betroffenen an, einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen. Diesen habe er aber nicht gehabt. Denn er habe zu keiner Zeit beabsichtigt oder erwartet, sich im "Übergangswohnheim" in Brandenburg längerfristig aufzuhalten. Vielmehr habe er seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet erstmals am 15.5.1994 in Nordrhein-Westfalen begründet.

8

Der Kläger beantragt sinngemäß,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. August 2011 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 7. Mai 2010 zurückzuweisen.

9

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision als unzulässig zu verwerfen,

        

hilfsweise,

        

die Revision zurückzuweisen.

10

Sie ist der Ansicht, die Revisionsbegründung setze sich nicht hinreichend mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auseinander. In der Sache führe sowohl die einheitliche Auslegung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts in § 30 Abs 3 S 2 SGB I für alle Bereiche des SGB als auch die Auslegung dieses Begriffs im Sinne der sogenannten Einfärbungslehre im Zusammenhang mit Art 6 § 4 Abs 6 FANG zu dem Ergebnis, dass der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet genommen habe. Mit dem Antrag auf Eingliederungshilfe habe der Kläger zum Ausdruck gebracht, sich im Beitrittsgebiet eingliedern zu wollen. Wenn man mit dem Kläger davon ausginge, dass er bei seinem Aufenthalt in Brandenburg noch keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet habe, könne sein damaliger Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt nur weiterhin das Herkunftsgebiet gewesen sein.

11

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 S 1 SGG).

Entscheidungsgründe

12

Die Revision des Klägers ist zulässig. Insbesondere hat er seine Revision noch hinreichend iS des § 164 Abs 2 S 3 SGG begründet. Die vom BSG in ständiger Rechtsprechung präzisierten Anforderungen (vgl zB BSG vom 16.10.2007 - SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 9 f mwN)hat der Kläger mit noch hinreichender Deutlichkeit erfüllt.

13

Die Revision ist jedoch nicht begründet.

14

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 23.1.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3.7.2008 ist rechtmäßig. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, dem Kläger unter teilweiser Rücknahme des bestandskräftigen Rentenbescheids vom 28.12.1999 eine höhere Altersrente unter Berücksichtigung von EP anstelle von EP (Ost) für die FRG-Zeiten zu zahlen.

15

1. Der geltend gemachte Rücknahmeanspruch richtet sich nach § 44 SGB X. Nach dessen Abs 1 S 1 ist ein bindend gewordener Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen für die Rücknahme des Rentenbescheids vom 28.12.1999 sind nicht erfüllt.

16

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Neufeststellung seiner Altersrente unter Zugrundelegung von EP anstelle von EP (Ost) für seine FRG-Zeiten. Denn er unterfällt als FRG-Berechtigter (§ 1 Buchst a FRG) der Regelung des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG(dazu unter 2a). Er hat nach dem 31.12.1991 (ab 1.1.2000) einen "Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem FRG" im alten Bundesgebiet erworben (dazu unter 2b), nachdem er seinen nach dem 31.12.1991 (ab 22.12.1993) im Beitrittsgebiet begründeten gewöhnlichen Aufenthalt dorthin (ab 15.5.1994) verlegt hatte (dazu unter 2c). Die Bewertung von FRG-Zeiten in Abhängigkeit von dem Ort des erstmals begründeten gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland verstößt nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen Art 3 Abs 1 GG (dazu unter 3).

17

2. Der "Monatsbetrag der Rente" ergibt sich, wenn die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen EP, der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden (§ 64 SGB VI), wobei allerdings - bis zur Herstellung einheitlicher Einkommensverhältnisse in Deutschland - zwischen EP und EP (Ost) sowie aktuellem Rentenwert und aktuellem Rentenwert (Ost) unterschieden wird (§ 254b Abs 1, § 254d Abs 1, § 255a SGB VI). Soweit - wie im vorliegenden Fall - im nichtdeutschen Herkunftsland zurückgelegte Beitragszeiten in Anwendung des FRG ebenfalls mit EP bei der Rentenfestsetzung berücksichtigt werden, hat der Gesetzgeber in Art 6 § 4 Abs 6 FANG in der seit 1.1.1992 geltenden Fassung des Renten-Überleitungsgesetzes (RÜG) vom 25.7.1991 (BGBl I 1606) folgende (Übergangs-)Regelung hinsichtlich ihrer Zuordnung zu den EP bzw EP (Ost) getroffen:

        

"Bei Berechtigten nach dem Fremdrentengesetz, die

        

a) ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet haben und dort nach dem 31. Dezember 1991 einen Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem Fremdrentengesetz erwerben,

        

b) nach dem 31. Dezember 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Beitrittsgebiet in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet verlegen und dort nach dem 31. Dezember 1991 einen Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem Fremdrentengesetz erwerben oder

        

c) nach dem 31. Dezember 1991 ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet in das Beitrittsgebiet verlegen und bereits vor Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts einen Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem Fremdrentengesetz haben,

        

werden für nach dem Fremdrentengesetz anrechenbare Zeiten Entgeltpunkte (Ost) ermittelt; im Falle von Buchstabe c gilt dies nur, sofern am 31. Dezember 1991 Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem Fremdrentengesetz nicht bestand. Dies gilt auch für die Zeiten eines weiteren Rentenbezuges aufgrund neuer Rentenfeststellungen, wenn sich die Rentenbezugszeiten ununterbrochen aneinander anschließen. Bei Berechtigten nach Satz 1 Buchstabe a und c, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Beitrittsgebiet in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet verlegen, verbleibt es für Zeiten nach dem Fremdrentengesetz bei den ermittelten Entgeltpunkten (Ost)."

18

Die Voraussetzungen des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG sind vorliegend erfüllt.

19

a) Der Kläger ist als anerkannter Spätaussiedler iS des § 4 BVFG Berechtigter nach dem FRG(§ 1 Buchst a FRG).

20

b) Er hat nach dem 31.12.1990 seinen gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Beitrittsgebiet in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet (also das alte Bundesgebiet ) verlegt und dort nach dem 31.12.1991 (nämlich ab 1.1.2000) einen "Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem FRG" erworben. Mit dieser Formulierung ist ein Zahlungsanspruch auf eine Rente nach dem SGB VI gemeint, bei deren Feststellung FRG-Zeiten zu berücksichtigen sind.Durch die Regelungen des FRG wird kein außerhalb des gesetzlichen Anspruchs auf Rente nach dem SGB VI (vgl § 33 SGB VI) beruhender besonderer Anspruch auf eine "Fremdrente" bzw "FRG-Rente" begründet (vgl BSG vom 16.11.2000 - B 4 RA 3/00 R - Juris RdNr 118; BSG vom 29.4.1997 - SozR 3-5060 Art 6 § 4 Nr 3 S 21).

21

c) Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) ist dessen Ergebnis, dass der Kläger vor seinem Umzug nach Nordrhein-Westfalen am 15.5.1994 zunächst ab 22.12.1993 seinen gewöhnlichen Aufenthalt iS des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG iVm § 30 Abs 3 S 2 SGB I in Brandenburg und damit im Beitrittsgebiet begründet hat, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat weder die gesetzlichen Voraussetzungen für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne der vorgenannten Bestimmungen verkannt noch enthält die angefochtene Entscheidung einen anderen Rechtsfehler.

22

aa) Der Rechtsbegriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" ist in § 30 Abs 3 S 2 SGB I legal definiert. Danach hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

23

Der in dieser Norm umschriebene Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts gilt grundsätzlich für alle Bücher des SGB. Dahingestellt bleiben kann, ob zur Ermittlung von dessen konkreter rechtlicher Bedeutung (ergänzend oder allein) auf den Sinn und Zweck des Gesetzes (hier also: Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG)zurückzugreifen ist, das ihn verwendet (vgl BSG vom 3.4.2001 - SozR 3-1200 § 30 Nr 21 S 45 f). Denn im vorliegenden Fall führt auch ein in diesem Sinne rentenrechtlich "eingefärbter" Begriffsinhalt des LSG zum selben Ergebnis (dazu unter cc).

24

Die Frage des Vorliegens eines gewöhnlichen Aufenthalts nach § 30 Abs 3 S 2 SGB I ist anhand einer dreistufigen Prüfung zu klären. Ausgangspunkt ist ein "Aufenthalt"; es sind dann die mit dem Aufenthalt verbundenen "Umstände" festzustellen; sie sind schließlich daraufhin zu würdigen, ob sie "erkennen lassen", dass der Betreffende am Aufenthaltsort oder im Aufenthaltsgebiet "nicht nur vorübergehend verweilt" (vgl BSG vom 25.6.1987 - BSGE 62, 67, 68 f = SozR 7833 § 1 Nr 1 S 2).

25

Ob jemand sich gewöhnlich an einem Ort oder in einem Gebiet aufhält oder nur vorübergehend dort verweilt, lässt sich nur im Wege einer vorausschauenden Betrachtungsweise (Prognose) entscheiden (BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 97 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 183; BSG vom 17.5.1989 - BSGE 65, 84, 86 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 17). Dabei sind alle bei Prognosestellung für die Beurteilung der künftigen Entwicklung erkennbaren Umstände zu berücksichtigen. Ist nach der Prognose davon auszugehen, dass die betreffende Person "bis auf weiteres" an dem Ort oder in dem Gebiet verweilen wird, so hat sie dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt.

26

Diese Prognose bleibt auch dann maßgebend, wenn der "gewöhnliche Aufenthalt", wie hier, rückblickend zu ermitteln ist. Spätere Entwicklungen, die bei Beginn des entscheidungserheblichen Zeitraums noch nicht erkennbar waren, können eine Prognose weder bestimmen noch widerlegen. Wenn Änderungen eintreten, kann der gewöhnliche Aufenthalt an dem Ort oder in dem Gebiet nur vom Zeitpunkt der Änderung an entfallen (vgl BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 97 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 183 f; BSG vom 17.5.1989 - BSGE 65, 84, 86 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 17). Diese Zukunftsgerichtetheit der Beurteilung des gewöhnlichen Aufenthalts iS des § 30 Abs 3 S 2 SGB I ist deswegen erforderlich, weil im Sozialrecht hiervon in vielfältiger Weise auch sofort zu treffende, zukunftsorientierte Entscheidungen abhängen, zB die über einen Krankenversicherungsschutz durch Familienversicherung(§ 10 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V) oder einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II (§ 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II).

27

Die Prognose (als solche) und die Feststellung der dafür erheblichen Anhaltspunkte sind dem Revisionsgericht verschlossen. Es ist Aufgabe der Tatsachengerichte, die notwendigen Ermittlungen durchzuführen und daraus die Prognose zu stellen. Die Prognose gehört nicht zur Rechtsanwendung; sie ist vielmehr Feststellung einer hypothetischen Tatsache. Deshalb können Prognosen im Revisionsverfahren nur mit Verfahrensrügen angegriffen werden (BSG vom 7.4.1987 - SozR 4100 § 44 Nr 47 S 116; BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 97 f = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 184; BSG vom 17.5.1989 - BSGE 65, 84, 86 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 18; BSG vom 30.9.1996 - BSGE 79, 147, 151 = SozR 3-5870 § 2 Nr 33 S 131).

28

Das Gericht entscheidet, wenn es eine Prognose trifft, nach freier Überzeugung. Es hat aber alle Umstände des Einzelfalls zu würdigen. Die Prognose ist rechtsfehlerhaft, wenn das Gericht die der Prognose zugrunde zu legenden Tatsachen nicht richtig festgestellt oder nicht alle wesentlichen in Betracht kommenden Umstände hinreichend gewürdigt hat bzw wenn die Prognose auf rechtlich falschen oder unsachlichen Erwägungen beruht (vgl BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 98 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 184; BSG vom 17.5.1989 - BSGE 65, 84, 87 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 18; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 9f).

29

Entgegen der Auffassung der Beklagten führt allein der Umstand, dass der Kläger mit seiner Einreise nach Deutschland seinen "gewöhnlichen Aufenthalt" im Herkunftsgebiet aufgegeben hat, nicht dazu, dass er seinen "gewöhnlichen Aufenthalt" an dem Ort bzw in dem Gebiet genommen hat, in dem er sich im Anschluss an die Einreise aufgehalten hat. Die Annahme einer zwingenden Verknüpfung der Aufgabe eines gewöhnlichen Aufenthalts mit der Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts lässt außer Acht, dass die Existenz eines Menschen zwar stets einen "Aufenthalt", nicht aber zwangsläufig einen "gewöhnlichen Aufenthalt" voraussetzt.

30

Ein gewöhnlicher Aufenthalt ist nach § 30 Abs 3 S 2 SGB I vom "vorübergehenden Verweilen" bzw "vorübergehenden Aufenthalt" abzugrenzen(vgl BSG vom 19.11.1965 - 1 RA 154/62 - Juris RdNr 14; BSG vom 16.3.1978 - BSGE 46, 84, 85 = SozR 2200 § 1320 Nr 1 S 2; BSG vom 3.4.2001 - SozR 3-1200 § 30 Nr 21 S 46). Dem vorübergehenden Aufenthalt wohnt als zeitliches Element eine Beendigung von vornherein inne (vgl BSG vom 23.2.1988 - BSGE 63, 47, 49 = SozR 5870 § 1 Nr 14 S 32). Allerdings ist auch zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ein längerer oder dauerhafter (unbegrenzter) Aufenthalt nicht erforderlich. Es braucht hier nicht entschieden zu werden, ab welchem von vornherein bestimmten Zeitraum ein Aufenthalt als "gewöhnlich" zu werten ist. Jedenfalls genügt es, dass der Betreffende sich an dem Ort oder in dem Gebiet "bis auf weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält (vgl BVerwG vom 18.3.1999 - FEVS 49, 434, 436; BSG vom 27.1.1994 - SozR 3-2600 § 56 Nr 7 S 34; BSG vom 9.5.1995 - 8 RKn 2/94 - Juris RdNr 17; Schlegel in jurisPK-SGB I, Online-Ausgabe, § 30 RdNr 36, Stand Einzelkommentierung Oktober 2011; Seewald in Kasseler Komm, § 30 SGB I RdNr 22, Stand Einzelkommentierung September 2007). Dann schaden auch (voraussehbare) zeitweilige Unterbrechungen nicht. Denn ein gewöhnlicher Aufenthalt erfordert nicht, dass man "nie abwesend" ist (BSG vom 28.7.1967 - BSGE 27, 88, 89 = SozR Nr 5 zu § 1319 RVO). Voraussetzung ist keine Lückenlosigkeit des Aufenthalts, sondern nur eine gewisse Stetigkeit und Regelmäßigkeit (vgl BSG vom 28.7.1967 aaO; BSG vom 23.5.2012 - B 14 AS 133/11 R - Juris RdNr 21 - zur Veröffentlichung in SozR 4-1300 § 44 Nr 25 vorgesehen; vgl auch BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 98 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 184). Ein (gewichtiges) Indiz für einen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts ist die Verlagerung des örtlichen Schwerpunkts der Lebensverhältnisse (BSG vom 27.1.1994 - SozR 3-2600 § 56 Nr 7 S 34; BSG vom 3.4.2001 - SozR 3-1200 § 30 Nr 21 S 46; vgl aber auch Senatsurteile vom 9.8.1995 - SozR 3-1200 § 30 Nr 15 S 30 und vom 4.11.1998 - B 13 RJ 9/98 R - Juris RdNr 36).

31

Für die Unterscheidung zwischen gewöhnlichem und vorübergehendem Aufenthalt kann es nach alledem keine feste allgemeingültige Grenze im Sinne von Höchst- oder Mindestzeiten geben (BSG vom 25.6.1987 - BSGE 62, 67, 69 = SozR 7833 § 1 Nr 1 S 3). § 30 Abs 3 SGB I enthält keine dem früheren § 14 Abs 1 S 2 Steueranpassungsgesetz und dem jetzigen § 9 S 2 AO entsprechende Regelung, wonach als gewöhnlicher Aufenthalt stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen ist (zumal dies eine retrospektive Betrachtungsweise nahelegt). Deshalb kann entgegen der Meinung des SG die Vorschrift des § 9 S 2 AO nicht für den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts iS von § 30 Abs 3 S 2 SGB I näher herangezogen werden(vgl bereits BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 98 f = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 185; BSG vom 31.1.1980 - SozR 5870 § 1 Nr 6 S 8; Frank, SGb 1999, 547, 550). Keiner Entscheidung bedarf im vorliegenden Fall, ob für die Begründung eines gewöhnlichen, nicht nur vorübergehenden Aufenthalts in Anlehnung an die kürzeste Frist des Melderechts (vgl § 15 Abs 2 Nr 3 des Melderechtsrahmengesetzes, zB §§ 23, 24 Abs 1, 26 Abs 1 des Gesetzes über das Meldewesen im Land Brandenburg in der Fassung der Bekanntmachung vom 17.1.2006 , zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 7.7.2009 ) zumindest die Prognose eines voraussichtlich länger als zwei Monate dauernden Aufenthalts erforderlich ist.

32

Mithin hat der Prognosesteller alle mit dem Aufenthalt verbundenen Umstände zu berücksichtigen (BSG vom 25.6.1987 - BSGE 62, 67, 69 = SozR 7833 § 1 Nr 1 S 2); dies können subjektive wie objektive, tatsächliche wie rechtliche sein. Es kann demnach entgegen der Ansicht des Klägers nicht allein auf den Willen des Betroffenen ankommen, sich an einen anderen Ort zu begeben und dort einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen (sogenannter Domizilwille); dies gilt insbesondere dann, wenn er nicht mit den tatsächlichen (objektiven) Umständen übereinstimmt (vgl BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 97 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 183). Nicht zwingend für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ist daher, ob der Betroffene sich an einem Ort oder in einem bestimmten Gebiet freiwillig aufhält (BSG vom 29.5.1991 - SozR 3-1200 § 30 Nr 5 S 8). Allerdings kann ein fehlender Domizilwille im konkreten Einzelfall im Rahmen der Gesamtwürdigung als subjektives Element dann Bedeutung erlangen, wenn für einen außenstehenden Prognosesteller erkennbar wird, dass zusammen mit den objektiven Gegebenheiten ("Umstände, die erkennen lassen …") nicht (oder nicht mehr) von einem Aufenthalt "bis auf weiteres" ausgegangen werden kann (vgl Taenzel, Kompass 2/1995 S 98; Frank, SGb 1999, 547, 550; vgl auch BSG vom 23.5.2012 - B 14 AS 190/11 R - Juris RdNr 20, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-4200 § 36a Nr 2 vorgesehen).

33

bb) Das LSG hat aus den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Tatsachenfeststellungen zu Recht gefolgert, dass der Kläger vor seinem Umzug nach Nordrhein-Westfalen am 15.5.1994 zunächst ab 22.12.1993 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Brandenburg und damit im Beitrittsgebiet begründet hat.

34

Wie das Berufungsgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerwG zutreffend ausgeführt hat, kann auch ein Aufenthalt in einem "Übergangswohnheim" ein gewöhnlicher Aufenthalt iS des § 30 Abs 3 S 2 SGB I sein(vgl BVerwG vom 18.3.1999 - FEVS 49, 434, 436; BVerwG vom 23.10.2001 - ZFSH/SGB 2002, 221, 222; vgl auch LSG Rheinland-Pfalz vom 25.9.2003 - L 6 RJ 132/03 - Juris RdNr 23; Bayerisches LSG vom 16.6.2004 - L 19 RJ 584/02 - Juris RdNr 13; LSG Niedersachsen-Bremen vom 8.10.2008 - L 2 R 511/07 - Juris RdNr 43; VG Köln vom 4.3.2004 - 26 K 7967/00 - Juris RdNr 22, 29). Das gilt selbst dann, wenn die (nachvollziehbare) Absicht besteht, dieses so bald als möglich zu verlassen und sich an einem anderen Ort niederzulassen. Entscheidend sind aber auch hier stets alle erkennbaren Umstände des konkreten Einzelfalls zu Beginn des entscheidungserheblichen Zeitraums. Dies aber ist - ausgehend von dem oben dargestellten Begriffsinhalt des gewöhnlichen Aufenthalts als eines Aufenthalts "bis auf weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs - eine im Wege vorausschauender Betrachtung zu beantwortende Tatfrage und daher nicht (im Einzelfall) vom BSG zu entscheiden.

35

Nach den Feststellungen des LSG meldete sich der Kläger nach seiner Ankunft am 22.12.1993 in Brandenburg bei der für die Landesaufnahmeeinrichtung melderechtlich zuständigen Gemeinde in P. an. Des Weiteren meldete er sich beim zuständigen Arbeitsamt Cottbus arbeitslos, bezog Eingliederungshilfe und nahm an einem viereinhalbmonatigen Sprachkurs teil. Bei seiner Einreise nach Deutschland hatten ihm seine Verwandten in Nordrhein-Westfalen noch keine bezugsbereite Wohnung verschafft. Vielmehr musste erst noch eine Wohnung angemietet werden. Zudem ging der Kläger nach eigenen Angaben selbst davon aus, dass er vor einem Umzug noch einen Sprachkurs absolvieren müsse und dass für den Umzug nach Nordrhein-Westfalen eine behördliche, bei seiner Ankunft in Brandenburg noch nicht vorliegende Zustimmung ("Erlaubnis") erforderlich sei.

36

Aus diesen Gesamtumständen hat das LSG rechtsfehlerfrei geschlossen, dass der Kläger sich in Brandenburg ab 22.12.1993 "bis auf weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufgehalten und dort auch bis zu seinem Umzug nach Nordrhein-Westfalen den örtlichen Schwerpunkt seiner Lebensbeziehungen hatte.

37

cc) Nichts anderes ergibt sich, wenn man den Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" im vorliegenden Fall durch den Norminhalt des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 FANG iVm dem Gesetz über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler (AusÜbsiedWoG) in der hier maßgeblichen Fassung vom 21.12.1992 (BGBl I 2094, 2105) "eingefärbt" verstehen will. Denn auch ein an diesen Normen orientierter Begriffsinhalt würde nicht dazu führen, dass der Aufenthalt des Klägers als Spätaussiedler im Beitrittsgebiet nicht "zukunftsoffen" war.

38

Durch die Einfügung der Bestimmung des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 FANG durch das RÜG vom 25.7.1991 (aaO) sollte nach der Einigung Deutschlands auf der Grundlage des Integrationsprinzips in Abhängigkeit vom gewöhnlichen Aufenthalt in den alten oder neuen Bundesländern ein "angemessener Lebensstandard" für Aussiedler gesichert werden. Wer als Aussiedler im Beitrittsgebiet Aufnahme gefunden hatte, sollte grundsätzlich (Renten-)Leistungen (nach einem Sicherungsniveau) erhalten, die denen der dort lebenden Bürger entsprachen. Zum anderen sollte kein Anreiz für die Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts wegen der unterschiedlichen Leistungshöhe geschaffen werden (vgl Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen CDU/CSU und F.D.P vom 23.4.1991 eines RÜG, BT-Drucks 12/405, 114 ). Maßgeblich blieb demnach der Integrationsgedanke. Dieser war aber nach dem Beitritt der neuen Bundesländer zur Bundesrepublik und dem Inkrafttreten eines einheitlichen Rentenrechts zum 1.1.1992 nicht mehr von dem Bedürfnis geprägt, Aussiedler im Wege besonderer staatlicher Fürsorge weiter dadurch individuell in das Sozialgefüge der Bundesrepublik zu integrieren, dass sie fiktiv (stets) so behandelt wurden, als hätten sie ihr bisheriges Erwerbsleben in den alten Bundesländern verbracht (vgl zu Übersiedlern BSG vom 14.12.2011 - SozR 4-2600 § 248 Nr 1 RdNr 30). Denn ein die einheitliche Behandlung vorgebendes einheitliches Sozialgefüge gab es nach dem Beitritt in Deutschland nicht mehr.

39

Der Aufenthalt des Klägers in der Landesaufnahmeeinrichtung in Brandenburg war daher auch nicht deshalb nur "vorübergehend", weil die dortige Aufenthaltnahme als Spätaussiedler aufgrund behördlicher (hoheitlicher) Zuweisung nach Maßgabe des AusÜbsiedWoG erfolgte.

40

Gemäß § 2 Abs 1 S 1 AusÜbsiedWoG konnten (Spät-)Aussiedler nach der Aufnahme in Deutschland einem Wohnort zugewiesen werden, wenn sie nicht über ausreichenden Wohnraum verfügten und daher bei der Unterbringung auf öffentliche Hilfe angewiesen waren. Bei der Entscheidung über die Zuweisung sollten ihre Wünsche, enge verwandtschaftliche Beziehungen sowie die Möglichkeit ihrer beruflichen Eingliederung berücksichtigt werden (§ 2 Abs 2 AusÜbsiedWoG). Nach § 4 S 1 Nr 1 AusÜbsiedWoG konnten die Landesregierungen einen Schlüssel für die Zuweisung der Aussiedler innerhalb des Landes in Gemeinden und Kreise festlegen. Entschied sich der Aussiedler für einen Wohnort abweichend von der Zuweisung, war die Gemeinde nicht verpflichtet, den Aufgenommenen als Aussiedler zu betreuen. Leistungsansprüche der Betroffenen blieben hiervon unberührt (vgl Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 5.6.1989, BT-Drucks 11/4689, 6 ; vgl aber den durch das Zweite Gesetz zur Änderung des AusÜbsiedWoG vom 26.2.1996 mit Wirkung vom 1.3.1996 eingefügten und bis zum 30.6.2000 geltenden § 3a AusÜbsiedWoG, nach dessen Abs 1 ein Spätaussiedler oder Familienangehöriger, der abweichend von der Verteilung nach § 8 BVFG oder entgegen einer landesinternen Zuweisung nach § 2 Abs 1 AusÜbsiedWoG 1996 in einem anderen Land oder an einem anderen als dem zugewiesenen Ort ständigen Aufenthalt nahm, an diesem Ort keine Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz und in der Regel nur die nach den Umständen nachweisbar gebotene Hilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz erhielt; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung s BVerfG vom 17.3.2004 - BVerfGE 110, 177). Grundsätzlich blieb es Aussiedlern daher unbenommen, sich (unmittelbar) nach ihrer Einreise selbst oder mit Hilfe von Angehörigen oder Freunden an einen Ort ihrer Wahl zu begeben und dort gewöhnlichen Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen (vgl aaO, BT-Drucks 11/4689, 5 ; vgl auch Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 14.8.1992 eines Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes, BT-Drucks 509/92, 67 § 8 bvfg>).

41

Die Zuweisung nach dem AusÜbsiedWoG wurde gegenstandslos, wenn der Aufgenommene nachwies, dass ihm an einem anderen Ort entweder nicht nur vorübergehend ausreichender Wohnraum oder ein Arbeits-, Ausbildungs- oder Studienplatz zur Verfügung stand, in jedem Falle spätestens nach zwei Jahren (§ 2 Abs 4 AusÜbsiedWoG).

42

Auch wenn damit die Zuweisung auf höchstens zwei Jahre begrenzt war, war der Aufenthalt eines Spätaussiedlers in der zugewiesenen Gemeinde grundsätzlich zukunftsoffen angelegt. Ob die Zuweisung wegen des Ablaufs der Zwei-Jahres-Frist oder aus anderen Gründen bereits früher gegenstandslos wurde, beeinflusst die Prognoseentscheidung über die Zukunftsoffenheit des Aufenthalts nicht.

43

3. Die Regelung des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG verstößt auch nicht gegen Verfassungsrecht. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG vor.

44

Art 3 Abs 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Verboten ist auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem die Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird (BVerfG vom 14.4.2010 - BVerfGE 126, 29, 43 mwN). Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht vielmehr nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl BVerfG vom 7.7.1992 - BVerfGE 87, 1, 36 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 7; BVerfG vom 9.11.2004 - BVerfGE 112, 50, 67 = SozR 4-3800 § 1 Nr 7 RdNr 55; BVerfG vom 27.2.2007 - BVerfGE 117, 272, 300 f = SozR 4-2600 § 58 Nr 7 RdNr 70; BVerfG vom 11.11.2008 - BVerfGE 122, 151, 188 = SozR 4-2600 § 237 Nr 16 RdNr 62; BVerfG vom 14.4.2010 - BVerfGE 126, 29, 47; stRspr).

45

Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengeren Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl BVerfG vom 20.4.2004 - BVerfGE 110, 274, 291; BVerfG vom 7.11.2006 - BVerfGE 117, 1, 30; BVerfG vom 17.11.2009 - BVerfGE 125, 1, 17).

46

Für die Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen kommt es wesentlich darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers ist anzunehmen, wenn die Differenzierung an Persönlichkeitsmerkmale anknüpft (vgl BVerfG vom 15.7.1998 - BVerfGE 98, 365, 389). Bei lediglich verhaltensbezogenen Unterscheidungen hängt das Maß der Bindung davon ab, inwieweit die Betroffenen in der Lage sind, durch ihr Verhalten die Verwirklichung der Merkmale zu beeinflussen, nach denen unterschieden wird (BVerfG vom 15.7.1998 - BVerfGE 98, 365, 389). Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers geht dann besonders weit, wenn er Lebenssachverhalte verschieden behandelt und die Betroffenen sich durch eigenes Verhalten auf die unterschiedliche Regelung einstellen können. Die Grenze bildet dann allein das Willkürverbot (vgl BVerfG vom 18.2.1998 - BVerfGE 97, 271, 291).

47

Ausgehend von diesem Maßstäben verstößt Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG nicht gegen Art 3 Abs 1 GG.

48

Der Gesetzgeber wollte - wie unter 2 c cc) bereits erwähnt - mit der (Übergangs-)Regelung des Art 6 § 4 Abs 6 FANG den durch die Öffnung der deutsch-deutschen Grenze eingetretenen Änderungen auch im Fremdrentenrecht Rechnung tragen. Dieses sollte so weiter entwickelt werden, dass es am jeweiligen Aufenthaltsort - sei es in den alten Bundesländern oder im Beitrittsgebiet - einen angemessenen Lebensstandard sichert. Wer als Aussiedler im Beitrittsgebiet Aufnahme gefunden hatte, sollte Leistungen erhalten, die dem Rentenniveau der dort lebenden Bürger entsprechen. Die unterschiedliche Leistungshöhe in den neuen und alten Bundesländern machte es jedoch nach Ansicht des Gesetzgebers erforderlich, den Anreiz für einen Wohnortwechsel in die alten Bundesländer zu nehmen und für Aussiedler keine günstigeren Regelungen zu treffen, als sie für Bundesbürger im Beitrittsgebiet gelten (vgl Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen CDU/CSU und F.D.P vom 23.4.1991 eines RÜG, BT-Drucks 12/405, 114 ).

49

In Umsetzung dieser Zielvorgabe hat der Gesetzgeber in Art 6 § 4 Abs 6 FANG sachgerecht und damit keinesfalls willkürlich für die Höhe der "Renten nach dem FRG" als Anknüpfungspunkte auf den gewöhnlichen Aufenthalt des FRG-Berechtigten und die unterschiedlichen Lebens- und Einkommensverhältnisse in den neuen und alten Bundesländern abgestellt. Dass er damit für den hier maßgeblichen Zeitraum nicht allein auf die vom Willen des Betroffenen (grundsätzlich) unabhängige behördliche Zuweisung abgestellt hat, ergibt sich aus den Ausführungen zu 2 c cc). Wenn auch bei einer Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts eines FRG-Berechtigten aus den neuen in die alten Bundesländer den FRG-Zeiten EP (Ost) zugeordnet bleiben und nicht die Ermittlung von EP vorgesehen ist, entspricht dies der Rechtslage für solche Rentenberechtigte mit rentenrechtlichen Zeiten im Beitrittsgebiet, die in einem der alten Bundesländer ansässig sind.

50

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Als gewöhnlicher Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes ist stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen; kurzfristige Unterbrechungen bleiben unberücksichtigt. Satz 2 gilt nicht, wenn der Aufenthalt ausschließlich zu Besuchs-, Erholungs-, Kur- oder ähnlichen privaten Zwecken genommen wird und nicht länger als ein Jahr dauert.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 21. September 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Elterngeld für die Zeit ihres Aufenthaltes in Frankreich.

2

Die Klägerin ist deutsche Staatsangehörige. Sie lebte seit 2002 in Frankreich. Dort wohnte sie in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zusammen mit dem ebenfalls deutschen Vater ihres am 7.5.2008 geborenen Sohnes B Während dieser Zeit arbeitete die Klägerin bei französischen Firmen und entrichtete Beiträge zur französischen Sozialversicherung sowie französische Einkommensteuer. Diese Tätigkeit unterbrach sie anlässlich der Geburt des Sohnes, bezog französisches Mutterschaftsgeld und anschließend von August 2008 bis Januar 2009 eine Beihilfe von der französischen Familienkasse. Am 5.1.2009 nahm die Klägerin ihre berufliche Tätigkeit wieder auf. Zum 31.3.2009 wurde das Arbeitsverhältnis einvernehmlich beendet. Der Lebensgefährte der Klägerin war 2002 von der A Deutschland GmbH zur Arbeitsleistung an die A U L entsandt worden. Nach Mitteilung der T Krankenkasse vom 16.7.2008 wurde diese Entsendung jedenfalls bis 2010 verlängert.

3

Mit Schreiben vom 31.10.2008 beantragte die Klägerin beim Bezirksamt A in H die Gewährung von Elterngeld für den fünften bis zwölften Lebensmonat ihres Sohnes. Dieses Amt gab den Vorgang im Hinblick auf einen in W gemeldeten Hauptwohnsitz der Klägerin an den beklagten Landkreis ab. Dieser lehnte den Leistungsantrag mit der Begründung ab, die Klägerin habe - entgegen § 1 Abs 1 Nr 1 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) - keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Außerdem erfülle sie nicht die Anforderungen des § 1 Abs 2 BEEG, weil sie weder selbst entsandt noch Ehegatte oder Lebenspartnerin eines entsandten Arbeitnehmers sei(Bescheid vom 29.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.5.2009).

4

Klage und Berufung der Klägerin sind ohne Erfolg geblieben (Urteile des Sozialgerichts Stade vom 3.11.2010 und des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 21.9.2011). Das LSG hat seine Entscheidung im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

Die Klägerin habe in den ersten vierzehn Lebensmonaten ihres Kindes weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt. Sie habe sich 2008/2009 nicht nur vorübergehend in Frankreich aufgehalten. Dort habe sie bereits seit mindestens sechs Jahren gelebt und sei auch berufstätig gewesen. Die mit ihrem Lebensgefährten geteilte Wohnung habe sich ebenfalls in Frankreich befunden. Zusammen mit ihrer Schwester gehöre ihr ein Haus in W, das sie nach Art eines Ferienhauses lediglich wenige Wochen im Jahr bewohne. Das reiche für die Bejahung eines Wohnsitzes in Deutschland nicht aus.

5

Die Klägerin sei auch nicht im Sinne von § 4 SGB IV im Rahmen eines im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in ein Gebiet außerhalb dieses Geltungsbereichs entsandt worden. Ebenso wenig sei sie die Ehegattin oder Lebenspartnerin eines entsandten Arbeitnehmers. Zwar sei der Vater des Kindes iS des § 4 SGB IV nach Frankreich entsandt worden, es bestehe mit ihm jedoch keine Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft. Einer erweiternden Auslegung sei der einschlägige § 1 Abs 2 BEEG - auch in Ansehung des § 2 Abs 2 SGB I - nicht zugänglich. Gegen diese Regelung bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Auch aus europarechtlichen Vorschriften lasse sich eine Anspruchsberechtigung der Klägerin nicht herleiten.

6

Mit ihrer Revision macht die Klägerin insbesondere geltend: Es sei nicht gerechtfertigt, sie allein deshalb von dem Bezug des Elterngeldes auszuschließen, weil sie seinerzeit nicht verheiratet gewesen sei, sondern in nichtehelicher Lebensgemeinschaft gelebt habe. Es liege ein Verstoß gegen Art 6 Abs 5 GG vor, weil sie wegen eines nichtehelichen Kindes benachteiligt werde. Das LSG habe auch Art 73 Abs 1 EWG-Verordnung Nr 1407/71 (EWGV 1408/71) verletzt, weil insoweit eine Differenzierung danach, ob die Eltern des betreuten Kindes verheiratet sind, nach dem Sinn und Zweck des Elterngeldes unangemessen sei.

7

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Urteile des LSG Niedersachsen-Bremen vom 21.9.2011 und des SG Stade vom 3.11.2010 aufzuheben sowie den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 29.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.5.2009 zu verurteilen, ihr für den fünften bis zwölften Lebensmonat ihres am 7.5.2008 geborenen Sohnes B Elterngeld zu gewähren.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hat sich zunächst dahin geäußert, dass er das angefochtene Urteil für zutreffend halte.

10

Nachdem der Senat die Beteiligten darauf hingewiesen hatte, dass hinreichende Feststellungen des LSG zur Bejahung einer Zuständigkeit des Beklagten fehlten und im Übrigen nach den einschlägigen Richtlinien des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) ein den deutschen Rechtsvorschriften unterliegender Elternteil dem anderen Elternteil, der den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates unterliege, gemäß Art 73 EWGV 1408/71 auch dann eine Anspruchsberechtigung für Elterngeld vermitteln könne, wenn beide nicht verheiratet seien (Fassung vom 18.12.2006, S 152), hat der Beklagte im Wesentlichen vorgetragen: Seine Zuständigkeit nach § 12 Abs 1 S 3 BEEG sei zweifelhaft, da der letzte inländische Wohnsitz der Klägerin offenbar in H gewesen sei. In materieller Hinsicht spreche viel für einen Anspruch der Klägerin auf Elterngeld unter Anrechnung der von der französischen Familienkasse bezogenen Leistung.

11

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

Entscheidungsgründe

12

Die Revision der Klägerin ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Die bisherigen Tatsachenfeststellungen des LSG lassen eine abschließende Entscheidung nicht zu.

13

Die Klägerin erstrebt mit ihrer Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) die Gewährung von Elterngeld für den fünften bis zwölften Lebensmonat ihres am 7.5.2008 geborenen Sohnes. Dabei wendet sie sich gegen den ablehnenden Bescheid des Beklagten vom 29.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.5.2009.

14

Entgegen der Annahme des LSG kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass dieser Verwaltungsakt ohne Verstoß gegen formelles Recht zustande gekommen ist. Auf der Grundlage der berufungsgerichtlich festgestellten Tatsachen vermag der Senat nämlich nicht zu beurteilen, ob der Beklagte für die Entscheidung über den Antrag der Klägerin auf Elterngeld zuständig ist. Weder das BEEG noch das SGB X enthalten eine allgemeine Zuständigkeitsregelung. Da die Gewährung von Elterngeld grundsätzlich einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland voraussetzt (§ 1 Abs 1 Nr 1 BEEG), ist es nach allgemeinen Grundsätzen angebracht, auch die Zuständigkeit der Behörde nach einem vorhandenen inländischen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Antragstellers zu bestimmen (vgl BMFSFJ, Richtlinien zum BEEG, Stand 18.12.2006, S 103; Buchner/Becker, Mutterschutzgesetz und BEEG, Komm, 8. Aufl 2008, § 12 BEEG RdNr 11; Irmen in Hambüchen, BEEG, EStG, BKGG, Stand Dezember 2009, § 12 BEEG RdNr 8; Jaritz in Roos/Bieresborn, MuSchG einschließlich BEEG, Stand Juli 2012, § 12 BEEG RdNr 10 f).

15

Das LSG ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin im streitbefangenen Zeitraum (7.9.2008 bis 6.5.2009) ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Deutschland, sondern in Frankreich gehabt habe, wo sie seit Jahren in einer gemeinsamen Wohnung mit ihrem Lebensgefährten gelebt und für französische Firmen gearbeitet hat. Diese Beurteilung ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

16

Nach § 30 Abs 3 S 2 SGB I, der gemäß § 37 S 1, § 68 Nr 15a SGB I grundsätzlich auch für das Elterngeldrecht gilt, hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Gemessen an diesen Kriterien ist nach den vom LSG festgestellten Umständen ein gewöhnlicher Aufenthalt der Klägerin in Deutschland für den fraglichen Zeitraum auszuschließen.

17

Auch die weitere Annahme des LSG, dass die Klägerin 2008/2009 keinen Wohnsitz in Deutschland gehabt hat, hält der Senat aus revisionsrechtlicher Sicht für zutreffend.

18

Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird (§ 30 Abs 3 S 1 SGB I). Der bloße Besitz einer Wohnung reicht insoweit nicht aus. Vielmehr muss eine ausreichende Benutzung hinzukommen (vgl Schlegel in Juris PK-SGB I, 2. Aufl 2012, § 30 RdNr 33). Auf die ordnungsbehördliche Meldung eines Wohnsitzes beim Einwohnermeldeamt kommt es insoweit nicht an (vgl BSG SozR 5870 § 1 Nr 4). Da ein Wohnsitz auch dann gegeben ist, wenn eine Wohnung nicht ständig benutzt wird, kann eine Person zwar auch mehrere Wohnsitze haben (vgl zB Mrozynski, SGB I, 4. Aufl 2010, § 30 RdNr 22). Wer sich jedoch bei einer mehrjährigen Auslandsbeschäftigung in seiner beibehaltenen Wohnung nur noch im Urlaub aufhält, hat keinen Wohnsitz im Inland mehr (vgl BSG SozR 5870 § 1 Nr 7). Die Wohnung bildet für ihn dann keinen Schwerpunkt der Lebensverhältnisse (vgl dazu BSG SozR 3-5870 § 2 Nr 36 S 140 ff). Dies gilt nach Auffassung des Senats jedenfalls dann, wenn die betreffende Person - wie die Klägerin - bereits seit mindestens sechs Jahren im Ausland lebt und arbeitet, die inländische Wohnung jedoch nur wenige Wochen im Jahr vorübergehend bewohnt.

19

Mangels eines inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts der Klägerin richtet sich die Zuständigkeit der Behörde nach § 12 Abs 1 S 3 BEEG. Diese Bestimmung lautet:

        

In den Fällen des § 1 Abs 2 ist die von den Ländern für die Durchführung dieses Gesetzes bestimmte Behörde des Bezirks zuständig, in dem die berechtigte Person ihren letzten inländischen Wohnsitz hatte; hilfsweise ist die Behörde des Bezirks zuständig, in dem der entsendende Dienstherr oder Arbeitgeber der berechtigten Person oder der Arbeitgeber des Ehegatten, der Ehegattin, des Lebenspartners oder der Lebenspartnerin der berechtigten Person den inländischen Sitz hat.

20

Hier handelt es sich um einen Fall des § 1 Abs 2 BEEG, weil die Klägerin geltend macht, sie habe Anspruch auf Elterngeld ohne eine der Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Nr 1 BEEG erfüllen zu müssen. § 1 Abs 2 BEEG sieht vor:

        

Anspruch auf Elterngeld hat auch, wer, ohne eine der Voraussetzungen des Abs 1 Nr 1 zu erfüllen,

        

1.    

nach § 4 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch dem deutschen Sozialversicherungsrecht unterliegt oder im Rahmen seines in Deutschland bestehenden öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses vorübergehend ins Ausland abgeordnet, versetzt oder kommandiert ist,

        

2.    

Entwicklungshelfer oder Entwicklungshelferin im Sinne des § 1 des Entwicklungshelfer-Gesetzes ist oder als Missionar oder Missionarin der Missionswerke und -gesellschaften, die Mitglieder oder Vereinbarungspartner des Evangelischen Missionswerkes Hamburg, der Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen e.V., des Deutschen katholischen Missionsrates oder der Arbeitsgemeinschaft pfingstlich-charismatischer Missionen sind, tätig ist oder

        

3.    

die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und nur vorübergehend bei einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung tätig ist, insbesondere nach den Entsendungsrichtlinien des Bundes beurlaubte Beamte und Beamtinnen, oder wer vorübergehend einen nach § 123a des Beamtenrechtsrahmengesetzes zugewiesene Tätigkeit im Ausland wahrnimmt.

        

Dies gilt auch für mit der nach Satz 1 berechtigten Person in einem Haushalt lebende Ehegatten, Ehegattinnen, Lebenspartner oder Lebenspartnerinnen.

21

Dabei ist es unschädlich, dass die Klägerin als nichteheliche Lebensgefährtin eines entsandten Arbeitnehmers (vgl § 1 Abs 2 S 1 Nr 1 BEEG) insbesondere die Voraussetzungen des Satzes 2 dieser Vorschrift - dem Wortlaut nach - nicht erfüllt. Für die Begründung einer Zuständigkeit reicht es aus, dass sie eine Gleichbehandlung mit dem insoweit begünstigten Personenkreis beansprucht.

22

Das LSG hat nicht geprüft, in welchem Behördenbezirk die Klägerin ihren letzten inländischen Wohnsitz hatte. Dementsprechend fehlen dazu hinreichende Tatsachenfeststellungen. Zwar wird im Tatbestand des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass die Klägerin ihre frühere Wohnung in H. aufgegeben habe. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass danach das frühere Elternhaus in W für eine gewisse Zeit - noch als Wohnsitz gedient hat. Nach ihrem Revisionsvorbringen hat die Klägerin im Zusammenhang mit ihrem Umzug nach Frankreich ihren vorherigen Nebenwohnsitz in W in den Hauptwohnsitz umgewandelt. Insbesondere dann, wenn der Aufenthalt der Klägerin in Frankreich zunächst nicht auf eine mehrjährige Dauer angelegt gewesen ist, könnte die Beibehaltung einer Wohnung in W, die der Klägerin jederzeit zur Benutzung zur Verfügung stand, ggf unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ausreichen um noch für eine gewisse Zeit einen inländischen Wohnsitz zu bejahen (vgl BSG SozR 5870 § 1 Nr 4).

23

Auf die Feststellung der für die Entscheidung über den Elterngeldantrag der Klägerin zuständigen Behörde kann hier nicht verzichtet werden. Zwar kann nach dem gemäß § 26 Abs 1 BEEG anwendbaren § 42 S 1 SGB X die Aufhebung eines Verwaltungsakts nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Unabhängig davon, ob es sich hier allein um eine Frage der örtlichen Zuständigkeit handelt, kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die Voraussetzungen des § 42 S 1 SGB X gegeben sind. Denn den einschlägigen Richtlinien des BMFSFJ zum BEEG (Stand vom 18.12.2006, S 152; übereinstimmend noch Stand vom 5.1.2010, S 159) ist - wie der Beklagte einräumt - zu entnehmen, dass nach Art 73 EWGV 1408/71 ein den deutschen Rechtsvorschriften unterliegender Elternteil (wie hier der als Arbeitnehmer nach Frankreich entsandte Lebensgefährte der Klägerin) dem anderen Elternteil, der (wie die in Frankreich lebende und arbeitende Klägerin) den Vorschriften eines anderen Mitgliedstaats unterliegt, bei Betreuung des gemeinsamen Kindes eine Anspruchsberechtigung für deutsches Elterngeld auch dann vermitteln kann, wenn beide nicht miteinander verheiratet sind. Unter diesen Umständen ist nicht offensichtlich, dass eine andere Elterngeldstelle den Antrag der Klägerin ebenso abgelehnt hätte wie der Beklagte.

24

Auch über die mit der Anfechtung des Verwaltungsakts verbundene Leistungsklage der Klägerin kann nicht entschieden werden, bevor geklärt ist, welcher Träger für die Gewährung des beanspruchten Elterngeldes zuständig ist. Zum einen steht einer Verurteilung zur Leistung noch der ablehnende Verwaltungsakt entgegen, zum anderen kann nur derjenige Träger zur Leistungserbringung verpflichtet werden, der insoweit auch passiv legitimiert ist.

25

Da der erkennende Senat die noch erforderliche Aufklärung des Sachverhalts im Revisionsverfahren nicht vornehmen kann (vgl § 163 SGG), ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (vgl § 170 Abs 2 S 2 SGG). Im Hinblick darauf, dass die materielle Rechtslage durch die Richtlinien des BMFSFJ weitgehend geklärt erscheint, erübrigen sich aus der Sicht des Senats Hinweise zur weiteren Behandlung der Sache. Das LSG wird - soweit erforderlich - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Die Vorschriften dieses Gesetzbuchs gelten für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben.

(2) Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts bleiben unberührt.

(3) Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 21. September 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Elterngeld für die Zeit ihres Aufenthaltes in Frankreich.

2

Die Klägerin ist deutsche Staatsangehörige. Sie lebte seit 2002 in Frankreich. Dort wohnte sie in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zusammen mit dem ebenfalls deutschen Vater ihres am 7.5.2008 geborenen Sohnes B Während dieser Zeit arbeitete die Klägerin bei französischen Firmen und entrichtete Beiträge zur französischen Sozialversicherung sowie französische Einkommensteuer. Diese Tätigkeit unterbrach sie anlässlich der Geburt des Sohnes, bezog französisches Mutterschaftsgeld und anschließend von August 2008 bis Januar 2009 eine Beihilfe von der französischen Familienkasse. Am 5.1.2009 nahm die Klägerin ihre berufliche Tätigkeit wieder auf. Zum 31.3.2009 wurde das Arbeitsverhältnis einvernehmlich beendet. Der Lebensgefährte der Klägerin war 2002 von der A Deutschland GmbH zur Arbeitsleistung an die A U L entsandt worden. Nach Mitteilung der T Krankenkasse vom 16.7.2008 wurde diese Entsendung jedenfalls bis 2010 verlängert.

3

Mit Schreiben vom 31.10.2008 beantragte die Klägerin beim Bezirksamt A in H die Gewährung von Elterngeld für den fünften bis zwölften Lebensmonat ihres Sohnes. Dieses Amt gab den Vorgang im Hinblick auf einen in W gemeldeten Hauptwohnsitz der Klägerin an den beklagten Landkreis ab. Dieser lehnte den Leistungsantrag mit der Begründung ab, die Klägerin habe - entgegen § 1 Abs 1 Nr 1 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) - keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Außerdem erfülle sie nicht die Anforderungen des § 1 Abs 2 BEEG, weil sie weder selbst entsandt noch Ehegatte oder Lebenspartnerin eines entsandten Arbeitnehmers sei(Bescheid vom 29.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.5.2009).

4

Klage und Berufung der Klägerin sind ohne Erfolg geblieben (Urteile des Sozialgerichts Stade vom 3.11.2010 und des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 21.9.2011). Das LSG hat seine Entscheidung im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

Die Klägerin habe in den ersten vierzehn Lebensmonaten ihres Kindes weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt. Sie habe sich 2008/2009 nicht nur vorübergehend in Frankreich aufgehalten. Dort habe sie bereits seit mindestens sechs Jahren gelebt und sei auch berufstätig gewesen. Die mit ihrem Lebensgefährten geteilte Wohnung habe sich ebenfalls in Frankreich befunden. Zusammen mit ihrer Schwester gehöre ihr ein Haus in W, das sie nach Art eines Ferienhauses lediglich wenige Wochen im Jahr bewohne. Das reiche für die Bejahung eines Wohnsitzes in Deutschland nicht aus.

5

Die Klägerin sei auch nicht im Sinne von § 4 SGB IV im Rahmen eines im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in ein Gebiet außerhalb dieses Geltungsbereichs entsandt worden. Ebenso wenig sei sie die Ehegattin oder Lebenspartnerin eines entsandten Arbeitnehmers. Zwar sei der Vater des Kindes iS des § 4 SGB IV nach Frankreich entsandt worden, es bestehe mit ihm jedoch keine Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft. Einer erweiternden Auslegung sei der einschlägige § 1 Abs 2 BEEG - auch in Ansehung des § 2 Abs 2 SGB I - nicht zugänglich. Gegen diese Regelung bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Auch aus europarechtlichen Vorschriften lasse sich eine Anspruchsberechtigung der Klägerin nicht herleiten.

6

Mit ihrer Revision macht die Klägerin insbesondere geltend: Es sei nicht gerechtfertigt, sie allein deshalb von dem Bezug des Elterngeldes auszuschließen, weil sie seinerzeit nicht verheiratet gewesen sei, sondern in nichtehelicher Lebensgemeinschaft gelebt habe. Es liege ein Verstoß gegen Art 6 Abs 5 GG vor, weil sie wegen eines nichtehelichen Kindes benachteiligt werde. Das LSG habe auch Art 73 Abs 1 EWG-Verordnung Nr 1407/71 (EWGV 1408/71) verletzt, weil insoweit eine Differenzierung danach, ob die Eltern des betreuten Kindes verheiratet sind, nach dem Sinn und Zweck des Elterngeldes unangemessen sei.

7

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Urteile des LSG Niedersachsen-Bremen vom 21.9.2011 und des SG Stade vom 3.11.2010 aufzuheben sowie den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 29.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.5.2009 zu verurteilen, ihr für den fünften bis zwölften Lebensmonat ihres am 7.5.2008 geborenen Sohnes B Elterngeld zu gewähren.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hat sich zunächst dahin geäußert, dass er das angefochtene Urteil für zutreffend halte.

10

Nachdem der Senat die Beteiligten darauf hingewiesen hatte, dass hinreichende Feststellungen des LSG zur Bejahung einer Zuständigkeit des Beklagten fehlten und im Übrigen nach den einschlägigen Richtlinien des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) ein den deutschen Rechtsvorschriften unterliegender Elternteil dem anderen Elternteil, der den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates unterliege, gemäß Art 73 EWGV 1408/71 auch dann eine Anspruchsberechtigung für Elterngeld vermitteln könne, wenn beide nicht verheiratet seien (Fassung vom 18.12.2006, S 152), hat der Beklagte im Wesentlichen vorgetragen: Seine Zuständigkeit nach § 12 Abs 1 S 3 BEEG sei zweifelhaft, da der letzte inländische Wohnsitz der Klägerin offenbar in H gewesen sei. In materieller Hinsicht spreche viel für einen Anspruch der Klägerin auf Elterngeld unter Anrechnung der von der französischen Familienkasse bezogenen Leistung.

11

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

Entscheidungsgründe

12

Die Revision der Klägerin ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Die bisherigen Tatsachenfeststellungen des LSG lassen eine abschließende Entscheidung nicht zu.

13

Die Klägerin erstrebt mit ihrer Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) die Gewährung von Elterngeld für den fünften bis zwölften Lebensmonat ihres am 7.5.2008 geborenen Sohnes. Dabei wendet sie sich gegen den ablehnenden Bescheid des Beklagten vom 29.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.5.2009.

14

Entgegen der Annahme des LSG kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass dieser Verwaltungsakt ohne Verstoß gegen formelles Recht zustande gekommen ist. Auf der Grundlage der berufungsgerichtlich festgestellten Tatsachen vermag der Senat nämlich nicht zu beurteilen, ob der Beklagte für die Entscheidung über den Antrag der Klägerin auf Elterngeld zuständig ist. Weder das BEEG noch das SGB X enthalten eine allgemeine Zuständigkeitsregelung. Da die Gewährung von Elterngeld grundsätzlich einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland voraussetzt (§ 1 Abs 1 Nr 1 BEEG), ist es nach allgemeinen Grundsätzen angebracht, auch die Zuständigkeit der Behörde nach einem vorhandenen inländischen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Antragstellers zu bestimmen (vgl BMFSFJ, Richtlinien zum BEEG, Stand 18.12.2006, S 103; Buchner/Becker, Mutterschutzgesetz und BEEG, Komm, 8. Aufl 2008, § 12 BEEG RdNr 11; Irmen in Hambüchen, BEEG, EStG, BKGG, Stand Dezember 2009, § 12 BEEG RdNr 8; Jaritz in Roos/Bieresborn, MuSchG einschließlich BEEG, Stand Juli 2012, § 12 BEEG RdNr 10 f).

15

Das LSG ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin im streitbefangenen Zeitraum (7.9.2008 bis 6.5.2009) ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Deutschland, sondern in Frankreich gehabt habe, wo sie seit Jahren in einer gemeinsamen Wohnung mit ihrem Lebensgefährten gelebt und für französische Firmen gearbeitet hat. Diese Beurteilung ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

16

Nach § 30 Abs 3 S 2 SGB I, der gemäß § 37 S 1, § 68 Nr 15a SGB I grundsätzlich auch für das Elterngeldrecht gilt, hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Gemessen an diesen Kriterien ist nach den vom LSG festgestellten Umständen ein gewöhnlicher Aufenthalt der Klägerin in Deutschland für den fraglichen Zeitraum auszuschließen.

17

Auch die weitere Annahme des LSG, dass die Klägerin 2008/2009 keinen Wohnsitz in Deutschland gehabt hat, hält der Senat aus revisionsrechtlicher Sicht für zutreffend.

18

Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird (§ 30 Abs 3 S 1 SGB I). Der bloße Besitz einer Wohnung reicht insoweit nicht aus. Vielmehr muss eine ausreichende Benutzung hinzukommen (vgl Schlegel in Juris PK-SGB I, 2. Aufl 2012, § 30 RdNr 33). Auf die ordnungsbehördliche Meldung eines Wohnsitzes beim Einwohnermeldeamt kommt es insoweit nicht an (vgl BSG SozR 5870 § 1 Nr 4). Da ein Wohnsitz auch dann gegeben ist, wenn eine Wohnung nicht ständig benutzt wird, kann eine Person zwar auch mehrere Wohnsitze haben (vgl zB Mrozynski, SGB I, 4. Aufl 2010, § 30 RdNr 22). Wer sich jedoch bei einer mehrjährigen Auslandsbeschäftigung in seiner beibehaltenen Wohnung nur noch im Urlaub aufhält, hat keinen Wohnsitz im Inland mehr (vgl BSG SozR 5870 § 1 Nr 7). Die Wohnung bildet für ihn dann keinen Schwerpunkt der Lebensverhältnisse (vgl dazu BSG SozR 3-5870 § 2 Nr 36 S 140 ff). Dies gilt nach Auffassung des Senats jedenfalls dann, wenn die betreffende Person - wie die Klägerin - bereits seit mindestens sechs Jahren im Ausland lebt und arbeitet, die inländische Wohnung jedoch nur wenige Wochen im Jahr vorübergehend bewohnt.

19

Mangels eines inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts der Klägerin richtet sich die Zuständigkeit der Behörde nach § 12 Abs 1 S 3 BEEG. Diese Bestimmung lautet:

        

In den Fällen des § 1 Abs 2 ist die von den Ländern für die Durchführung dieses Gesetzes bestimmte Behörde des Bezirks zuständig, in dem die berechtigte Person ihren letzten inländischen Wohnsitz hatte; hilfsweise ist die Behörde des Bezirks zuständig, in dem der entsendende Dienstherr oder Arbeitgeber der berechtigten Person oder der Arbeitgeber des Ehegatten, der Ehegattin, des Lebenspartners oder der Lebenspartnerin der berechtigten Person den inländischen Sitz hat.

20

Hier handelt es sich um einen Fall des § 1 Abs 2 BEEG, weil die Klägerin geltend macht, sie habe Anspruch auf Elterngeld ohne eine der Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Nr 1 BEEG erfüllen zu müssen. § 1 Abs 2 BEEG sieht vor:

        

Anspruch auf Elterngeld hat auch, wer, ohne eine der Voraussetzungen des Abs 1 Nr 1 zu erfüllen,

        

1.    

nach § 4 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch dem deutschen Sozialversicherungsrecht unterliegt oder im Rahmen seines in Deutschland bestehenden öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses vorübergehend ins Ausland abgeordnet, versetzt oder kommandiert ist,

        

2.    

Entwicklungshelfer oder Entwicklungshelferin im Sinne des § 1 des Entwicklungshelfer-Gesetzes ist oder als Missionar oder Missionarin der Missionswerke und -gesellschaften, die Mitglieder oder Vereinbarungspartner des Evangelischen Missionswerkes Hamburg, der Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen e.V., des Deutschen katholischen Missionsrates oder der Arbeitsgemeinschaft pfingstlich-charismatischer Missionen sind, tätig ist oder

        

3.    

die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und nur vorübergehend bei einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung tätig ist, insbesondere nach den Entsendungsrichtlinien des Bundes beurlaubte Beamte und Beamtinnen, oder wer vorübergehend einen nach § 123a des Beamtenrechtsrahmengesetzes zugewiesene Tätigkeit im Ausland wahrnimmt.

        

Dies gilt auch für mit der nach Satz 1 berechtigten Person in einem Haushalt lebende Ehegatten, Ehegattinnen, Lebenspartner oder Lebenspartnerinnen.

21

Dabei ist es unschädlich, dass die Klägerin als nichteheliche Lebensgefährtin eines entsandten Arbeitnehmers (vgl § 1 Abs 2 S 1 Nr 1 BEEG) insbesondere die Voraussetzungen des Satzes 2 dieser Vorschrift - dem Wortlaut nach - nicht erfüllt. Für die Begründung einer Zuständigkeit reicht es aus, dass sie eine Gleichbehandlung mit dem insoweit begünstigten Personenkreis beansprucht.

22

Das LSG hat nicht geprüft, in welchem Behördenbezirk die Klägerin ihren letzten inländischen Wohnsitz hatte. Dementsprechend fehlen dazu hinreichende Tatsachenfeststellungen. Zwar wird im Tatbestand des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass die Klägerin ihre frühere Wohnung in H. aufgegeben habe. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass danach das frühere Elternhaus in W für eine gewisse Zeit - noch als Wohnsitz gedient hat. Nach ihrem Revisionsvorbringen hat die Klägerin im Zusammenhang mit ihrem Umzug nach Frankreich ihren vorherigen Nebenwohnsitz in W in den Hauptwohnsitz umgewandelt. Insbesondere dann, wenn der Aufenthalt der Klägerin in Frankreich zunächst nicht auf eine mehrjährige Dauer angelegt gewesen ist, könnte die Beibehaltung einer Wohnung in W, die der Klägerin jederzeit zur Benutzung zur Verfügung stand, ggf unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ausreichen um noch für eine gewisse Zeit einen inländischen Wohnsitz zu bejahen (vgl BSG SozR 5870 § 1 Nr 4).

23

Auf die Feststellung der für die Entscheidung über den Elterngeldantrag der Klägerin zuständigen Behörde kann hier nicht verzichtet werden. Zwar kann nach dem gemäß § 26 Abs 1 BEEG anwendbaren § 42 S 1 SGB X die Aufhebung eines Verwaltungsakts nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Unabhängig davon, ob es sich hier allein um eine Frage der örtlichen Zuständigkeit handelt, kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die Voraussetzungen des § 42 S 1 SGB X gegeben sind. Denn den einschlägigen Richtlinien des BMFSFJ zum BEEG (Stand vom 18.12.2006, S 152; übereinstimmend noch Stand vom 5.1.2010, S 159) ist - wie der Beklagte einräumt - zu entnehmen, dass nach Art 73 EWGV 1408/71 ein den deutschen Rechtsvorschriften unterliegender Elternteil (wie hier der als Arbeitnehmer nach Frankreich entsandte Lebensgefährte der Klägerin) dem anderen Elternteil, der (wie die in Frankreich lebende und arbeitende Klägerin) den Vorschriften eines anderen Mitgliedstaats unterliegt, bei Betreuung des gemeinsamen Kindes eine Anspruchsberechtigung für deutsches Elterngeld auch dann vermitteln kann, wenn beide nicht miteinander verheiratet sind. Unter diesen Umständen ist nicht offensichtlich, dass eine andere Elterngeldstelle den Antrag der Klägerin ebenso abgelehnt hätte wie der Beklagte.

24

Auch über die mit der Anfechtung des Verwaltungsakts verbundene Leistungsklage der Klägerin kann nicht entschieden werden, bevor geklärt ist, welcher Träger für die Gewährung des beanspruchten Elterngeldes zuständig ist. Zum einen steht einer Verurteilung zur Leistung noch der ablehnende Verwaltungsakt entgegen, zum anderen kann nur derjenige Träger zur Leistungserbringung verpflichtet werden, der insoweit auch passiv legitimiert ist.

25

Da der erkennende Senat die noch erforderliche Aufklärung des Sachverhalts im Revisionsverfahren nicht vornehmen kann (vgl § 163 SGG), ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (vgl § 170 Abs 2 S 2 SGG). Im Hinblick darauf, dass die materielle Rechtslage durch die Richtlinien des BMFSFJ weitgehend geklärt erscheint, erübrigen sich aus der Sicht des Senats Hinweise zur weiteren Behandlung der Sache. Das LSG wird - soweit erforderlich - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Die Vorschriften dieses Gesetzbuchs gelten für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben.

(2) Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts bleiben unberührt.

(3) Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 21. September 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Elterngeld für die Zeit ihres Aufenthaltes in Frankreich.

2

Die Klägerin ist deutsche Staatsangehörige. Sie lebte seit 2002 in Frankreich. Dort wohnte sie in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zusammen mit dem ebenfalls deutschen Vater ihres am 7.5.2008 geborenen Sohnes B Während dieser Zeit arbeitete die Klägerin bei französischen Firmen und entrichtete Beiträge zur französischen Sozialversicherung sowie französische Einkommensteuer. Diese Tätigkeit unterbrach sie anlässlich der Geburt des Sohnes, bezog französisches Mutterschaftsgeld und anschließend von August 2008 bis Januar 2009 eine Beihilfe von der französischen Familienkasse. Am 5.1.2009 nahm die Klägerin ihre berufliche Tätigkeit wieder auf. Zum 31.3.2009 wurde das Arbeitsverhältnis einvernehmlich beendet. Der Lebensgefährte der Klägerin war 2002 von der A Deutschland GmbH zur Arbeitsleistung an die A U L entsandt worden. Nach Mitteilung der T Krankenkasse vom 16.7.2008 wurde diese Entsendung jedenfalls bis 2010 verlängert.

3

Mit Schreiben vom 31.10.2008 beantragte die Klägerin beim Bezirksamt A in H die Gewährung von Elterngeld für den fünften bis zwölften Lebensmonat ihres Sohnes. Dieses Amt gab den Vorgang im Hinblick auf einen in W gemeldeten Hauptwohnsitz der Klägerin an den beklagten Landkreis ab. Dieser lehnte den Leistungsantrag mit der Begründung ab, die Klägerin habe - entgegen § 1 Abs 1 Nr 1 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) - keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Außerdem erfülle sie nicht die Anforderungen des § 1 Abs 2 BEEG, weil sie weder selbst entsandt noch Ehegatte oder Lebenspartnerin eines entsandten Arbeitnehmers sei(Bescheid vom 29.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.5.2009).

4

Klage und Berufung der Klägerin sind ohne Erfolg geblieben (Urteile des Sozialgerichts Stade vom 3.11.2010 und des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 21.9.2011). Das LSG hat seine Entscheidung im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

Die Klägerin habe in den ersten vierzehn Lebensmonaten ihres Kindes weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt. Sie habe sich 2008/2009 nicht nur vorübergehend in Frankreich aufgehalten. Dort habe sie bereits seit mindestens sechs Jahren gelebt und sei auch berufstätig gewesen. Die mit ihrem Lebensgefährten geteilte Wohnung habe sich ebenfalls in Frankreich befunden. Zusammen mit ihrer Schwester gehöre ihr ein Haus in W, das sie nach Art eines Ferienhauses lediglich wenige Wochen im Jahr bewohne. Das reiche für die Bejahung eines Wohnsitzes in Deutschland nicht aus.

5

Die Klägerin sei auch nicht im Sinne von § 4 SGB IV im Rahmen eines im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in ein Gebiet außerhalb dieses Geltungsbereichs entsandt worden. Ebenso wenig sei sie die Ehegattin oder Lebenspartnerin eines entsandten Arbeitnehmers. Zwar sei der Vater des Kindes iS des § 4 SGB IV nach Frankreich entsandt worden, es bestehe mit ihm jedoch keine Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft. Einer erweiternden Auslegung sei der einschlägige § 1 Abs 2 BEEG - auch in Ansehung des § 2 Abs 2 SGB I - nicht zugänglich. Gegen diese Regelung bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Auch aus europarechtlichen Vorschriften lasse sich eine Anspruchsberechtigung der Klägerin nicht herleiten.

6

Mit ihrer Revision macht die Klägerin insbesondere geltend: Es sei nicht gerechtfertigt, sie allein deshalb von dem Bezug des Elterngeldes auszuschließen, weil sie seinerzeit nicht verheiratet gewesen sei, sondern in nichtehelicher Lebensgemeinschaft gelebt habe. Es liege ein Verstoß gegen Art 6 Abs 5 GG vor, weil sie wegen eines nichtehelichen Kindes benachteiligt werde. Das LSG habe auch Art 73 Abs 1 EWG-Verordnung Nr 1407/71 (EWGV 1408/71) verletzt, weil insoweit eine Differenzierung danach, ob die Eltern des betreuten Kindes verheiratet sind, nach dem Sinn und Zweck des Elterngeldes unangemessen sei.

7

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Urteile des LSG Niedersachsen-Bremen vom 21.9.2011 und des SG Stade vom 3.11.2010 aufzuheben sowie den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 29.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.5.2009 zu verurteilen, ihr für den fünften bis zwölften Lebensmonat ihres am 7.5.2008 geborenen Sohnes B Elterngeld zu gewähren.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hat sich zunächst dahin geäußert, dass er das angefochtene Urteil für zutreffend halte.

10

Nachdem der Senat die Beteiligten darauf hingewiesen hatte, dass hinreichende Feststellungen des LSG zur Bejahung einer Zuständigkeit des Beklagten fehlten und im Übrigen nach den einschlägigen Richtlinien des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) ein den deutschen Rechtsvorschriften unterliegender Elternteil dem anderen Elternteil, der den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates unterliege, gemäß Art 73 EWGV 1408/71 auch dann eine Anspruchsberechtigung für Elterngeld vermitteln könne, wenn beide nicht verheiratet seien (Fassung vom 18.12.2006, S 152), hat der Beklagte im Wesentlichen vorgetragen: Seine Zuständigkeit nach § 12 Abs 1 S 3 BEEG sei zweifelhaft, da der letzte inländische Wohnsitz der Klägerin offenbar in H gewesen sei. In materieller Hinsicht spreche viel für einen Anspruch der Klägerin auf Elterngeld unter Anrechnung der von der französischen Familienkasse bezogenen Leistung.

11

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

Entscheidungsgründe

12

Die Revision der Klägerin ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Die bisherigen Tatsachenfeststellungen des LSG lassen eine abschließende Entscheidung nicht zu.

13

Die Klägerin erstrebt mit ihrer Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) die Gewährung von Elterngeld für den fünften bis zwölften Lebensmonat ihres am 7.5.2008 geborenen Sohnes. Dabei wendet sie sich gegen den ablehnenden Bescheid des Beklagten vom 29.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.5.2009.

14

Entgegen der Annahme des LSG kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass dieser Verwaltungsakt ohne Verstoß gegen formelles Recht zustande gekommen ist. Auf der Grundlage der berufungsgerichtlich festgestellten Tatsachen vermag der Senat nämlich nicht zu beurteilen, ob der Beklagte für die Entscheidung über den Antrag der Klägerin auf Elterngeld zuständig ist. Weder das BEEG noch das SGB X enthalten eine allgemeine Zuständigkeitsregelung. Da die Gewährung von Elterngeld grundsätzlich einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland voraussetzt (§ 1 Abs 1 Nr 1 BEEG), ist es nach allgemeinen Grundsätzen angebracht, auch die Zuständigkeit der Behörde nach einem vorhandenen inländischen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Antragstellers zu bestimmen (vgl BMFSFJ, Richtlinien zum BEEG, Stand 18.12.2006, S 103; Buchner/Becker, Mutterschutzgesetz und BEEG, Komm, 8. Aufl 2008, § 12 BEEG RdNr 11; Irmen in Hambüchen, BEEG, EStG, BKGG, Stand Dezember 2009, § 12 BEEG RdNr 8; Jaritz in Roos/Bieresborn, MuSchG einschließlich BEEG, Stand Juli 2012, § 12 BEEG RdNr 10 f).

15

Das LSG ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin im streitbefangenen Zeitraum (7.9.2008 bis 6.5.2009) ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Deutschland, sondern in Frankreich gehabt habe, wo sie seit Jahren in einer gemeinsamen Wohnung mit ihrem Lebensgefährten gelebt und für französische Firmen gearbeitet hat. Diese Beurteilung ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

16

Nach § 30 Abs 3 S 2 SGB I, der gemäß § 37 S 1, § 68 Nr 15a SGB I grundsätzlich auch für das Elterngeldrecht gilt, hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Gemessen an diesen Kriterien ist nach den vom LSG festgestellten Umständen ein gewöhnlicher Aufenthalt der Klägerin in Deutschland für den fraglichen Zeitraum auszuschließen.

17

Auch die weitere Annahme des LSG, dass die Klägerin 2008/2009 keinen Wohnsitz in Deutschland gehabt hat, hält der Senat aus revisionsrechtlicher Sicht für zutreffend.

18

Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird (§ 30 Abs 3 S 1 SGB I). Der bloße Besitz einer Wohnung reicht insoweit nicht aus. Vielmehr muss eine ausreichende Benutzung hinzukommen (vgl Schlegel in Juris PK-SGB I, 2. Aufl 2012, § 30 RdNr 33). Auf die ordnungsbehördliche Meldung eines Wohnsitzes beim Einwohnermeldeamt kommt es insoweit nicht an (vgl BSG SozR 5870 § 1 Nr 4). Da ein Wohnsitz auch dann gegeben ist, wenn eine Wohnung nicht ständig benutzt wird, kann eine Person zwar auch mehrere Wohnsitze haben (vgl zB Mrozynski, SGB I, 4. Aufl 2010, § 30 RdNr 22). Wer sich jedoch bei einer mehrjährigen Auslandsbeschäftigung in seiner beibehaltenen Wohnung nur noch im Urlaub aufhält, hat keinen Wohnsitz im Inland mehr (vgl BSG SozR 5870 § 1 Nr 7). Die Wohnung bildet für ihn dann keinen Schwerpunkt der Lebensverhältnisse (vgl dazu BSG SozR 3-5870 § 2 Nr 36 S 140 ff). Dies gilt nach Auffassung des Senats jedenfalls dann, wenn die betreffende Person - wie die Klägerin - bereits seit mindestens sechs Jahren im Ausland lebt und arbeitet, die inländische Wohnung jedoch nur wenige Wochen im Jahr vorübergehend bewohnt.

19

Mangels eines inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts der Klägerin richtet sich die Zuständigkeit der Behörde nach § 12 Abs 1 S 3 BEEG. Diese Bestimmung lautet:

        

In den Fällen des § 1 Abs 2 ist die von den Ländern für die Durchführung dieses Gesetzes bestimmte Behörde des Bezirks zuständig, in dem die berechtigte Person ihren letzten inländischen Wohnsitz hatte; hilfsweise ist die Behörde des Bezirks zuständig, in dem der entsendende Dienstherr oder Arbeitgeber der berechtigten Person oder der Arbeitgeber des Ehegatten, der Ehegattin, des Lebenspartners oder der Lebenspartnerin der berechtigten Person den inländischen Sitz hat.

20

Hier handelt es sich um einen Fall des § 1 Abs 2 BEEG, weil die Klägerin geltend macht, sie habe Anspruch auf Elterngeld ohne eine der Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Nr 1 BEEG erfüllen zu müssen. § 1 Abs 2 BEEG sieht vor:

        

Anspruch auf Elterngeld hat auch, wer, ohne eine der Voraussetzungen des Abs 1 Nr 1 zu erfüllen,

        

1.    

nach § 4 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch dem deutschen Sozialversicherungsrecht unterliegt oder im Rahmen seines in Deutschland bestehenden öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses vorübergehend ins Ausland abgeordnet, versetzt oder kommandiert ist,

        

2.    

Entwicklungshelfer oder Entwicklungshelferin im Sinne des § 1 des Entwicklungshelfer-Gesetzes ist oder als Missionar oder Missionarin der Missionswerke und -gesellschaften, die Mitglieder oder Vereinbarungspartner des Evangelischen Missionswerkes Hamburg, der Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen e.V., des Deutschen katholischen Missionsrates oder der Arbeitsgemeinschaft pfingstlich-charismatischer Missionen sind, tätig ist oder

        

3.    

die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und nur vorübergehend bei einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung tätig ist, insbesondere nach den Entsendungsrichtlinien des Bundes beurlaubte Beamte und Beamtinnen, oder wer vorübergehend einen nach § 123a des Beamtenrechtsrahmengesetzes zugewiesene Tätigkeit im Ausland wahrnimmt.

        

Dies gilt auch für mit der nach Satz 1 berechtigten Person in einem Haushalt lebende Ehegatten, Ehegattinnen, Lebenspartner oder Lebenspartnerinnen.

21

Dabei ist es unschädlich, dass die Klägerin als nichteheliche Lebensgefährtin eines entsandten Arbeitnehmers (vgl § 1 Abs 2 S 1 Nr 1 BEEG) insbesondere die Voraussetzungen des Satzes 2 dieser Vorschrift - dem Wortlaut nach - nicht erfüllt. Für die Begründung einer Zuständigkeit reicht es aus, dass sie eine Gleichbehandlung mit dem insoweit begünstigten Personenkreis beansprucht.

22

Das LSG hat nicht geprüft, in welchem Behördenbezirk die Klägerin ihren letzten inländischen Wohnsitz hatte. Dementsprechend fehlen dazu hinreichende Tatsachenfeststellungen. Zwar wird im Tatbestand des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass die Klägerin ihre frühere Wohnung in H. aufgegeben habe. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass danach das frühere Elternhaus in W für eine gewisse Zeit - noch als Wohnsitz gedient hat. Nach ihrem Revisionsvorbringen hat die Klägerin im Zusammenhang mit ihrem Umzug nach Frankreich ihren vorherigen Nebenwohnsitz in W in den Hauptwohnsitz umgewandelt. Insbesondere dann, wenn der Aufenthalt der Klägerin in Frankreich zunächst nicht auf eine mehrjährige Dauer angelegt gewesen ist, könnte die Beibehaltung einer Wohnung in W, die der Klägerin jederzeit zur Benutzung zur Verfügung stand, ggf unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ausreichen um noch für eine gewisse Zeit einen inländischen Wohnsitz zu bejahen (vgl BSG SozR 5870 § 1 Nr 4).

23

Auf die Feststellung der für die Entscheidung über den Elterngeldantrag der Klägerin zuständigen Behörde kann hier nicht verzichtet werden. Zwar kann nach dem gemäß § 26 Abs 1 BEEG anwendbaren § 42 S 1 SGB X die Aufhebung eines Verwaltungsakts nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Unabhängig davon, ob es sich hier allein um eine Frage der örtlichen Zuständigkeit handelt, kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die Voraussetzungen des § 42 S 1 SGB X gegeben sind. Denn den einschlägigen Richtlinien des BMFSFJ zum BEEG (Stand vom 18.12.2006, S 152; übereinstimmend noch Stand vom 5.1.2010, S 159) ist - wie der Beklagte einräumt - zu entnehmen, dass nach Art 73 EWGV 1408/71 ein den deutschen Rechtsvorschriften unterliegender Elternteil (wie hier der als Arbeitnehmer nach Frankreich entsandte Lebensgefährte der Klägerin) dem anderen Elternteil, der (wie die in Frankreich lebende und arbeitende Klägerin) den Vorschriften eines anderen Mitgliedstaats unterliegt, bei Betreuung des gemeinsamen Kindes eine Anspruchsberechtigung für deutsches Elterngeld auch dann vermitteln kann, wenn beide nicht miteinander verheiratet sind. Unter diesen Umständen ist nicht offensichtlich, dass eine andere Elterngeldstelle den Antrag der Klägerin ebenso abgelehnt hätte wie der Beklagte.

24

Auch über die mit der Anfechtung des Verwaltungsakts verbundene Leistungsklage der Klägerin kann nicht entschieden werden, bevor geklärt ist, welcher Träger für die Gewährung des beanspruchten Elterngeldes zuständig ist. Zum einen steht einer Verurteilung zur Leistung noch der ablehnende Verwaltungsakt entgegen, zum anderen kann nur derjenige Träger zur Leistungserbringung verpflichtet werden, der insoweit auch passiv legitimiert ist.

25

Da der erkennende Senat die noch erforderliche Aufklärung des Sachverhalts im Revisionsverfahren nicht vornehmen kann (vgl § 163 SGG), ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (vgl § 170 Abs 2 S 2 SGG). Im Hinblick darauf, dass die materielle Rechtslage durch die Richtlinien des BMFSFJ weitgehend geklärt erscheint, erübrigen sich aus der Sicht des Senats Hinweise zur weiteren Behandlung der Sache. Das LSG wird - soweit erforderlich - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Die Vorschriften dieses Gesetzbuchs gelten für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben.

(2) Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts bleiben unberührt.

(3) Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

Das Erste und Zehnte Buch gelten für alle Sozialleistungsbereiche dieses Gesetzbuchs, soweit sich aus den übrigen Büchern nichts Abweichendes ergibt; § 68 bleibt unberührt. Der Vorbehalt gilt nicht für die §§ 1 bis 17 und 31 bis 36. Das Zweite Kapitel des Zehnten Buches geht dessen Erstem Kapitel vor, soweit sich die Ermittlung des Sachverhaltes auf Sozialdaten erstreckt.

Bis zu ihrer Einordnung in dieses Gesetzbuch gelten die nachfolgenden Gesetze mit den zu ihrer Ergänzung und Änderung erlassenen Gesetzen als dessen besondere Teile:

1.
das Bundesausbildungsförderungsgesetz,
2.
(aufgehoben)
3.
die Reichsversicherungsordnung,
4.
das Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte,
5.
(weggefallen)
6.
das Zweite Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte,
7.
das Bundesversorgungsgesetz, auch soweit andere Gesetze, insbesondere
a)
§§ 80 bis 83a des Soldatenversorgungsgesetzes,
b)
§ 59 Abs. 1 des Bundesgrenzschutzgesetzes,
c)
§ 47 des Zivildienstgesetzes,
d)
§ 60 des Infektionsschutzgesetzes,
e)
§§ 4 und 5 des Häftlingshilfegesetzes,
f)
§ 1 des Opferentschädigungsgesetzes,
g)
§§ 21 und 22 des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes,
h)
§§ 3 und 4 des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes,
die entsprechende Anwendung der Leistungsvorschriften des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen,
8.
das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung,
9.
das Bundeskindergeldgesetz,
10.
das Wohngeldgesetz,
11.
(weggefallen)
12.
das Adoptionsvermittlungsgesetz,
13.
(aufgehoben)
14.
das Unterhaltsvorschussgesetz,
15.
der Erste und Zweite Abschnitt des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes,
16.
das Altersteilzeitgesetz,
17.
der Fünfte Abschnitt des Schwangerschaftskonfliktgesetzes.
18.
(weggefallen)

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. Mai 2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten besteht Streit, ob die der Klägerin bewilligte Rente wegen voller Erwerbsminderung noch gemäß dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung vom 9.10.1975 (Abk Polen RV/UV) nach dem sog "Eingliederungsprinzip" zu berechnen ist.

2

Die im Mai 1959 in Warschau geborene Klägerin ist polnische Staatsangehörige. Sie war zunächst in Polen beschäftigt, ehe sie nach Berlin (West) übersiedelte. Dort war sie von Dezember 1988 bis Februar 1989 in Berlin-Neukölln polizeilich gemeldet, anschließend wieder in Polen und sodann ab dem 15.9.1990 in Berlin-Kreuzberg, wo sie bereits mit ihrem jetzigen Ehemann zusammenlebte. Nach Scheidung von ihrem ersten Ehemann in Polen am 29.5.1991 heiratete sie am 24.7.1992 ihren jetzigen Ehemann, einen in Berlin lebenden österreichischen Staatsangehörigen. Im April 1994 beantragte sie erstmalig eine Aufenthaltsgenehmigung, die ihr zunächst befristet und im Jahr 1999 unbefristet erteilt wurde. Zuvor war sie in Berlin ausländerrechtlich überhaupt nicht registriert, hatte mithin weder Asyl beantragt noch war ihr eine Duldung erteilt worden, sodass sie über keinerlei ausländerrechtlichen Status verfügte.

3

Der beklagte Rentenversicherungsträger bewilligte der Klägerin aufgrund eines im Mai 2007 geschlossenen gerichtlichen Vergleichs zunächst befristet für den Zeitraum 1.6.2005 bis 31.1.2008 Rente wegen voller Erwerbsminderung (Bescheid vom 7.8.2007). Die Beklagte ermittelte die Rentenhöhe nach einer "zwischenstaatlichen Berechnung" gemäß den Regelungen der EWGV 1408/71. Dabei ergaben sich 4,5975 persönliche Entgeltpunkte (pEP) und 0,0188 pEP (Ost) sowie ein monatlicher Zahlbetrag von ca 120 Euro. Den Widerspruch der Klägerin, die sich auf fehlende polnische Zeiten berief, wies die Beklagte zurück, weil alle vom polnischen Versicherungsträger gemeldeten Zeiten berücksichtigt worden seien (Widerspruchsbescheid vom 18.3.2008).

4

Die Klägerin hat erstmals mit ihrer Klage ausdrücklich geltend gemacht, sie habe Anspruch auf Berechnung der Rente nach den Vorschriften des Abk Polen RV/UV. Nach einer von der Beklagten durchgeführten Probeberechnung würde sich auf dieser Grundlage ein monatlicher Rentenzahlbetrag von ca 500 Euro ergeben. Während des Klageverfahrens hat die Beklagte die Rente wegen Erwerbsminderung zunächst weiterhin bis Januar 2011 und sodann auf Dauer bewilligt (Bescheide vom 14.2.2008 und vom 13.1.2011).

5

Das SG hat die gegen die erste - befristete - Rentenbewilligung gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 18.5.2011). Die Klägerin habe sich zwar seit dem 15.9.1990 in Deutschland aufgehalten, hier aber noch nicht ihren gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Zu den dafür maßgeblichen tatsächlichen Umständen könne bei Ausländern auch deren ausländerrechtlicher Status gehören. Entscheidend sei aber nicht der formale ausländerrechtliche Titel, sondern wie sich die Aufenthaltslage nach den erteilten Bescheinigungen der Ausländerbehörde, deren Praxis und der gegebenen Rechtslage darstelle. Ein gewöhnlicher Aufenthalt sei anzunehmen, wenn der Ausländer die Gewissheit habe, im Inland bleiben zu dürfen und nicht abgeschoben zu werden (Hinweis auf das Urteil des Senats vom 4.11.1998 - B 13 RJ 9/98 R - Juris). Eine solche Gewissheit habe die Klägerin weder bis zum 31.12.1990 noch bis zum 30.6.1991 haben können, weil sie über keinerlei aufenthaltsrechtlichen Status verfügt habe. Zwar seien nach einer Weisung des Berliner Senators für Inneres vom 12.6.1987 polnische Staatsangehörige selbst nach negativem Abschluss eines Asylverfahrens unbegrenzt in Berlin geduldet oder es sei ihnen auch ohne Asylverfahren eine auf ein Jahr begrenzte Duldung erteilt worden, sofern sie ihren Lebensunterhalt ohne Sozialhilfe sichern konnten. Dies komme der Klägerin aber nicht zugute, weil ihr Aufenthaltsstatus durch keinerlei Entscheidung der Ausländerbehörde legalisiert und damit von vornherein unsicher gewesen sei.

6

Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 28.2.2013). Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Anwendung der Regelungen des Abk Polen RV/UV, denn sie habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht bis zum 31.12.1990 bzw bis zum 30.6.1991 in die Bundesrepublik Deutschland verlegt und seitdem ununterbrochen beibehalten. Auch wenn sie sich seit dem 15.9.1990 tatsächlich in Berlin aufgehalten und mit ihrem jetzigen Ehemann zusammengelebt habe, fehle es doch, wie das SG zutreffend dargestellt habe, an der erforderlichen rechtlichen Komponente zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts. Dass die Klägerin keinen gesicherten und zukunftsoffenen Aufenthalt in Berlin gehabt habe, zeige sich insbesondere auch darin, dass sie und ihr späterer Ehemann Anfang 1991 einen Rechtsanwalt mit der Prüfung der Möglichkeiten für eine Legalisierung ihres Aufenthalts beauftragt hätten, sie sich mithin der Illegalität des Aufenthalts bewusst gewesen seien.

7

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 63 ff SGB VI iVm Art 27 Abs 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über Soziale Sicherheit vom 8.12.1990 (Abk Polen SozSich) und Art 4 Abs 2 Abk Polen RV/UV. Die Ansicht der Vorinstanzen, sie habe wegen eines fehlenden Aufenthaltstitels oder einer vergleichbaren ausländerrechtlichen Absicherung keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Berlin begründen können, stehe im Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des BSG (Hinweis auf Urteile vom 16.12.1987 - 11a REg 3/87 - SozR 7833 § 1 Nr 4; vom 30.9.1993 - 4 RA 49/92 - SozR 3-6710 Art 1 Nr 1; vom 9.8.1995 - 13 RJ 59/93 - SozR 3-1200 § 30 Nr 15; vom 4.11.1998 - B 13 RJ 9/98 R - Juris). Der Begründung eines gewöhnlichen, rechtmäßig unbefristeten Aufenthalts stünden keine Hindernisse entgegen, wenn keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen getroffen würden oder zu erwarten seien. Auf Grundlage der Weisungen des Berliner Innensenators vom 12.6.1987 habe sie darauf vertrauen können, dass sie in Berlin dauerhaft geduldet und nicht nach Polen abgeschoben werde. Da aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht zu erwarten gewesen seien, sei von einem zukunftsoffenen gewöhnlichen Aufenthalt auszugehen. Abweichend hiervon hätten SG und LSG zu Unrecht ausschließlich auf die rechtliche Komponente des ausländerrechtlichen Status bzw auf eine formale Entscheidung der Ausländerbehörde abgestellt.

8

Die Klägerin beantragt,

        

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. Februar 2013 sowie des Sozialgerichts Berlin vom 18. Mai 2011 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheids vom 7. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. März 2008 zu verurteilen, der Klägerin im Zeitraum vom 1. Juni 2005 bis zum 31. Januar 2008 höhere Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Anwendung der Regelungen des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung vom 9. Oktober 1975 zu gewähren.

9

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

10

Sie hält das angegriffene Urteil des LSG für zutreffend. Die von der Klägerin herangezogene Rechtsprechung sei auf ihren Fall nicht anwendbar, weil sie überhaupt keinen Aufenthaltstitel aufzuweisen gehabt und einen solchen nicht einmal beantragt habe. Das BSG habe im Urteil vom 9.8.1995 (13 RJ 59/93 - SozR 3-1200 § 30 Nr 15 - Juris RdNr 31 f) offengelassen, ob die zum 1.7.1990 in Kraft getretene Ergänzung von Art 1a des Gesetzes zum Abk Polen RV/UV um das ausdrückliche Erfordernis eines unbefristet rechtmäßigen Aufenthalts lediglich eine Klarstellung oder eine gegenüber § 30 SGB I spezialgesetzliche Sonderregelung enthalte. Im Fall der Klägerin sei nunmehr über einen Sachverhalt nach Inkrafttreten dieser Regelung zu befinden. Die Weisung der Berliner Senatsverwaltung für Inneres vom 12.6.1987 sei mit Schreiben vom 18.2.1990 für nach dem 1.12.1989 eingereiste Ausländer aus Polen aufgehoben worden. Für Personen wie die Klägerin hätten dann nur noch die allgemeinen ausländer- und asylrechtlichen Bestimmungen gegolten, sodass diese aufgrund ihrer Einreise im September 1990 grundsätzlich zur Ausreise verpflichtet gewesen sei und das Abk Polen RV/UV auf sie keine Anwendung finde.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne einer Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Die bislang vom LSG festgestellten Tatsachen reichen für eine abschließende Entscheidung des Senats, ob der Klägerin höhere Rente wegen Erwerbsminderung zusteht, nicht aus.

12

1. Als Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch kommt nur Art 4 Abs 2 des Abk Polen RV/UV iVm Art 2 Abs 1 des Gesetzes zu dem Abk Polen RV/UV (vom 12.3.1976 - BGBl II 393, insoweit zuletzt geändert durch Art 2 Nr 1 des Gesetzes zu dem Abkommen vom 8.12.1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über Soziale Sicherheit vom 18.6.1991 - BGBl II 741) in Betracht.

13

a) Nach Art 2 Abs 1 des Gesetzes zu dem Abk Polen RV/UV sind Zeiten, die nach dem polnischen Recht der Rentenversicherung zu berücksichtigen sind, auf der Grundlage von Art 4 Abs 2 Abk Polen RV/UV in demselben zeitlichen Umfang in der deutschen Rentenversicherung in entsprechender Anwendung des Fremdrentengesetzes (FRG) und des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) zu berücksichtigen, solange der Berechtigte im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nach dem Stand vom 2.10.1990 "wohnt". Das FRG bestimmt insoweit, dass Beitragszeiten, die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherungen zurückgelegt sind, den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleichstehen (§ 15 Abs 1 S 1 FRG - s hierzu auch § 55 Abs 1 S 2 SGB VI). Aufgrund dieser "Eingliederung" werden die Renten davon Begünstigter im Ergebnis so berechnet, als ob sie ihr gesamtes Erwerbsleben - also auch die in Polen absolvierten Zeiten - rentenrechtlich in Deutschland zurückgelegt hätten.

14

b) Die Anwendung des Eingliederungsprinzips bei der Rentenberechnung auf Grundlage des Abk Polen RV/UV wurde durch das spätere Abk Polen SozSich vom 8.12.1990 (BGBl II 1991, 743), welches nunmehr auch im Verhältnis zwischen Polen und Deutschland das im Bereich des europäischen koordinierenden Sozialrechts seit jeher angewandte Leistungsexportprinzip (anteilige Rentenzahlung aus jeder nationalen Rentenkasse bei Zusammenrechnung der für eine Rentenleistung erforderlichen Versicherungszeiten) einführte, nicht ausnahmslos verdrängt. Nach den Übergangs- und Schlussbestimmungen des Abk Polen SozSich ist das Abk Polen RV/UV unter den Voraussetzungen des Art 27 Abs 2 bis 4 Abk Polen SozSich weiterhin anwendbar (hierzu sowie zum Folgenden zuletzt eingehend Senatsurteil vom 10.12.2013 - B 13 R 9/13 R - NZS 2014, 264 RdNr 15 ff).

15

c) An dieser Rechtslage hat sich mit dem Beitritt der Republik Polen zur Europäischen Union zum 1.5.2004 nichts geändert. Ab diesem Zeitpunkt ist auch für die sozialrechtliche Koordinierung zwischen Deutschland und Polen die EWGV 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (vom 14.6.1971, ABl L 149 vom 5.7.1971, S 2, geändert durch den Vertrag über den Beitritt der Republik Polen und anderer Staaten zur Europäischen Union vom 16.4.2003 - Abschn B Anh II Nr 2 "Freizügigkeit" Abschn A "Soziale Sicherheit" Nr 1, s auch EU-Beitrittsgesetz vom 18.9.2003, BGBl II 1408 iVm Anlageband 1 S 158), zugrundezulegen. Die - soweit hier von Bedeutung - weitgehend inhaltsgleichen Bestimmungen der ab 1.5.2010 wirksamen EGV 883/2004 (vom 29.4.2004, ABl EU Nr L 166 vom 30.4.2004 - s dazu Senatsurteil vom 10.7.2012 - B 13 R 17/11 R - BSGE 111, 184 = SozR 4-5075 § 1 Nr 9, RdNr 26 ff, 41) finden auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt hingegen noch keine Anwendung (Art 87 Abs 1 EGV 883/2004).

16

Nach Art 6 Buchst a) EWGV 1408/71 ist diese Verordnung im Rahmen ihres Geltungsbereichs zwar an die Stelle aller zwischen den Mitgliedstaaten geltenden Abkommen über soziale Sicherheit getreten. Dies betrifft auch die entsprechenden Vereinbarungen zwischen Deutschland und Polen - also auch das Abk Polen SozSich und das Abk Polen RV/UV. Einzelne Bestimmungen von Abkommen über soziale Sicherheit, die wie das Abk Polen RV/UV von den Mitgliedstaaten vor dem Beginn der Anwendung der EWGV 1408/71 geschlossen wurden, bleiben nach Art 7 Abs 2 Buchst c) EWGV 1408/71 jedoch weiterhin anwendbar, sofern sie für die Berechtigten günstiger sind oder sich aus besonderen historischen Umständen ergeben und ihre Geltung zeitlich begrenzt ist. Um weiterhin Anwendung zu finden, müssen diese Bestimmungen ferner in Anhang III aufgeführt sein. Die genannten Voraussetzungen für eine Fortgeltung von Art 27 Abs 2 bis 4 Abk Polen SozSich - und in diesem Umfang mithin auch des Art 4 Abs 2 Abk Polen RV/UV - sind erfüllt. Insbesondere ist auch in Anhang III Teil A EWGV 1408/71 (idF des Vertrags über den Beitritt der Republik Polen und anderer Staaten zur Europäischen Union vom 16.4.2003) unter der Überschrift "Bestimmungen aus Abkommen über soziale Sicherheit, die ungeachtet des Artikels 6 der Verordnung weiterhin anzuwenden sind (Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe c der Verordnung)" in Ziff 84 "Deutschland - Polen" unter Buchst a) das "Abkommen vom 9. Oktober 1975 über Renten- und Unfallversicherung, unter den in Artikel 27 Absätze 2 bis 4 des Abkommens vom 8. Dezember 1990 über soziale Sicherheit festgelegten Bedingungen" aufgeführt (zu den ebenfalls erfüllten materiellen Voraussetzungen für eine Fortgeltung vgl Senatsurteil vom 10.12.2013 - B 13 R 9/13 R - NZS 2014, 264 RdNr 19 ff; zur Rechtslage nach der EGV 883/2004 s auch Bokeloh, NZS 2015, 321, 325 f).

17

2. Nach der Übergangsbestimmung in Art 27 Abs 2 S 1 Abk Polen SozSich werden die vor dem 1.1.1991 (das im Senatsurteil vom 10.12.2013 - B 13 R 9/13 R - NZS 2014, 264 RdNr 23 insoweit genannte Datum "1.1.1990" ist offenkundig fehlerhaft) aufgrund des Abk Polen RV/UV von Personen in einem Vertragsstaat erworbenen Ansprüche und Anwartschaften durch das Abk Polen SozSich nicht berührt, solange diese Personen auch nach dem 31.12.1990 ihren Wohnort im Hoheitsgebiet dieses Vertragsstaats beibehalten; für die Ansprüche dieser Personen in der Rentenversicherung gelten weiterhin die Bestimmungen des Abkommens von 1975. Zudem können gemäß Art 27 Abs 3 Abk Polen SozSich Ansprüche und Anwartschaften nach dem Abk Polen RV/UV auch noch Personen erwerben, die zwar bis zum 31.12.1990 noch keinen Wohnort im anderen Vertragsstaat begründet haben, aber vor dem 1.1.1991 in den anderen Vertragsstaat eingereist sind, bis zu diesem Zeitpunkt die Verlegung des Wohnorts in den anderen Vertragsstaat beantragt haben und sich dort seitdem ununterbrochen aufhalten, sofern sie im Zeitpunkt des Versicherungsfalls, spätestens vom 30.6.1991 an, in diesem Vertragsstaat auch "wohnen". Schließlich können nach Art 27 Abs 4 Abk Polen SozSich Personen auch dann noch Ansprüche und Anwartschaften nach dem Abk Polen RV/UV erwerben, wenn sie zumindest vor dem 1.7.1991 ihren Wohnort in den anderen Vertragsstaat verlegt haben und eine Verlegung des Wohnorts vor dem 1.1.1991 aus Gründen unterblieben ist, die sie nicht zu vertreten haben.

18

Damit hängt die Anwendung des Abk Polen RV/UV bei der Berechnung der Rente der Klägerin zunächst entscheidend davon ab, ob diese bis spätestens am 31.12.1990 ihren Wohnort in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin (West) begründet hat (zur Anwendung im Land Berlin s Art 17 Abk Polen RV/UV sowie Art 7 des Gesetzes zum Abk Polen RV/UV). War dies nicht der Fall, ist ergänzend zu untersuchen, ob sie jedenfalls spätestens seit dem 30.6.1991 hier gewohnt hat. Bejahendenfalls ist das Vorliegen der in Art 27 Abs 3 bzw Abs 4 Abk Polen SozSich genannten weiteren Voraussetzungen - im Fall des Abs 3 ein Antrag auf Verlegung des Wohnorts in den anderen Vertragsstaat und die Einreise dort vor dem 1.1.1991 sowie seither ein ununterbrochener Aufenthalt, im Fall des Abs 4 das "nicht vertreten müssen" des Unterbleibens einer Verlegung des Wohnorts bis zum 31.12.1990 - zu prüfen.

19

a) Für die Begriffe "Wohnort" und "wohnen" in Art 27 Abk Polen SozSich ist nach der bisherigen Rechtsprechung die Definition im Abk Polen RV/UV maßgeblich (so Senatsurteil vom 10.12.2013 - B 13 R 9/13 R - NZS 2014, 264 RdNr 25 unter Hinweis auf BSG vom 9.5.1995 - 8 RKn 2/94 - Juris RdNr 13; Senatsurteile vom 9.8.1995 - SozR 3-1200 § 30 Nr 15 S 31 f, und vom 4.11.1998 - B 13 RJ 9/98 R - Juris RdNr 32 f). Nach Art 1 Nr 2 Spiegelstrich 1 Abk Polen RV/UV versteht man hierunter - für die Bundesrepublik Deutschland - "den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts oder sich gewöhnlich aufhalten". Ergänzend bestimmt Art 1a des deutschen Zustimmungsgesetzes zu dem Abk Polen RV/UV (AbKG), der nachträglich mit Wirkung vom 1.7.1990 eingefügt wurde (Art 20 Nr 1, Art 85 Abs 6 Rentenreformgesetz 1992 vom 18.12.1989 - BGBl I 2261), dass einen gewöhnlichen Aufenthalt iS des Art 1 Nr 2 Abk Polen RV/UV im Geltungsbereich des Gesetzes nur hat, "wer sich dort unbefristet rechtmäßig aufhält". Eine inhaltsgleiche Regelung enthält auch Art 1 Nr 10 Abk Polen SozSich.

20

Die Bedeutung dieser einschränkenden Regelung, die für die Bejahung eines gewöhnlichen Aufenthalts auch die materielle Rechtmäßigkeit des Aufenthalts verlangt (s hierzu allgemein Schlegel in juris-PK SGB I, 2. Aufl 2011, § 30 RdNr 50 f), wurde in der Rechtsprechung des BSG allerdings relativiert. Dies betraf in erster Linie das Merkmal "unbefristet". Insoweit hat der 4. Senat des BSG entschieden, die Regelung sei völkerrechtsfreundlich so auszulegen, dass sie die Rechtslage gemäß der bisherigen Rspr des BSG lediglich klarstelle und somit bedeute, dass "ein endgültiges Ende noch nicht bindend bestimmt" sein dürfe (BSG Urteil vom 30.9.1993 - 4 RA 49/92 - SozR 3-6710 Art 1 Nr 1 - Juris RdNr 22 ff). Dem haben sich der 5. Senat (Urteile vom 14.9.1994 - 5 RJ 10/94 - Juris RdNr 16 am Ende; vom 25.3.1998 - B 5 RJ 22/96 R - Juris RdNr 21) und der 8. Senat (Urteil vom 9.5.1995 - 8 RKn 2/94 - Juris RdNr 19) angeschlossen. Der 13. Senat hat hingegen in erster Linie darauf abgestellt, dass in dem Fall der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts bis zum 30.6.1990 dieser weder durch das Inkrafttreten von Art 1a AbkG Polen RV/UV zum 1.7.1990 noch durch den zum 1.10.1991 in Kraft getretenen Art 1 Nr 10 Abk Polen SozSich wieder weggefallen sei (Urteile vom 9.8.1995 - 13 RJ 59/93 - SozR 3-1200 § 30 Nr 15 - Juris RdNr 31; vom 4.11.1998 - B 13 RJ 9/98 R - Juris RdNr 33). Sachverhalte, bei denen die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts erst nach dem 30.6.1990 in Betracht kam, waren bislang nicht Gegenstand der Rspr des BSG. Allerdings hat der 13. Senat im Urteil vom 4.11.1998 (aaO RdNr 32) betont, dass Art 1a AbkG Polen RV/UV eine grundsätzlich gegenüber § 30 Abs 3 SGB I vorrangige Spezialregelung enthalte. Im Urteil vom 9.8.1995 hat er zudem in einem obiter dictum (aaO RdNr 41) festgestellt, dass Art 1a AbkG Polen RV/UV insofern einen realen Anwendungsbereich habe, als die Vorschrift sicherstelle, dass bei nach dem 1.12.1989 eingereisten polnischen Asylbewerbern, die nicht unter die "Ostblockregelung" der Ausländerbehörden fielen, auch bei längerer Dauer des Asylverfahrens nicht von einem unbefristeten rechtmäßigen Aufenthalt ausgegangen werden könne.

21

Der vorliegende Fall gibt Veranlassung, diese Rechtsprechung zu präzisieren. Dabei ist davon auszugehen, dass die in der Übergangsvorschrift des Art 27 Abk Polen SozSich verwendeten Begriffe "Wohnort" und "wohnen" grundsätzlich mit der Bedeutung anzuwenden sind, wie sie in diesem Abkommen definiert ist, mithin nach Maßgabe des Art 1 Nr 10 Abk Polen SozSich unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich um einen unbefristeten rechtmäßigen Aufenthalt handeln muss. Das ist insbesondere bedeutsam für die Frage, ob nach Maßgabe des Art 27 Abs 3 und 4 des am 8.12.1990 abgeschlossenen Abk Polen SozSich diejenigen Personen, die erst nach dem 31.12.1990 ihren Wohnort in das Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaats verlegen (und für deren Ansprüche gemäß Art 27 Abs 1 S 2 deshalb grundsätzlich die materiellen Regelungen des nach Art 29 Abs 1 ab 1.1.1991 wirksamen Abk Polen SozSich Anwendung finden sollen), ausnahmsweise und in begrenztem Umfang noch Ansprüche und Anwartschaften nach dem Abk Polen RV/UV erwerben können. Gerade für diesen Personenkreis ist auch in der Denkschrift zum Abk Polen SozSich ausgeführt, dass sie spätestens vom 30.6.1991 an in dem Vertragsstaat "wohnen (unbefristet rechtmäßig aufhalten)" müssen (Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Abk Polen SozSich vom 3.5.1991, BT-Drucks 12/470 S 24).

22

Abweichendes gilt allerdings, soweit in Art 27 Abk Polen SozSich ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist. Dies ist bei den Sachverhalten der Fall, die von Art 27 Abs 2 Abk Polen SozSich erfasst werden. In dieser Übergangsbestimmung für bereits während der Geltungsdauer des alten Abk Polen RV/UV erworbene Ansprüche und Anwartschaften ist in S 2 geregelt, dass für Ansprüche von Personen mit nach dem 31.12.1990 beibehaltenem Wohnort im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats "weiterhin die Bestimmungen des Abkommens von 1975" gelten. Für Personen mit bereits nach altem Recht erworbenen Ansprüchen und Anwartschaften soll demnach auch die - nicht um die zusätzlichen Merkmale eines unbefristeten und rechtmäßigen Aufenthalts eingegrenzte - Begriffsdefinition des alten Rechts in Art 1 Nr 2 Abk Polen RV/UV weiterhin maßgeblich sein. Da auch diese Bestimmung des Abk Polen SozSich durch Gesetz vom 18.6.1991 (BGBl II 741) in innerstaatliches Recht transformiert wurde, folgt daraus nach der "lex posterior"-Regel, dass der - noch vor Abschluss des neuen polnisch-deutschen Sozialversicherungsabkommens zum 1.7.1990 allein durch nationale Gesetzgebung eingefügte - Art 1a AbkG Polen RV/UV (idF von Art 20 Nr 1 RRG 1992 vom 18.12.1989, BGBl I 2261) für die von Art 27 Abs 2 Abk Polen SozSich erfassten Fallgestaltungen nicht anwendbar ist, weil insoweit im neuen Abkommensrecht eine vorrangige (Abgrenzungs-)Regelung getroffen wurde.

23

b) Über die soeben beschriebenen allgemeinen Definitionen hinaus sind sowohl im Abk Polen RV/UV als auch im Abk Polen SozSich die Begriffe "Wohnort" und "wohnen" nicht näher bestimmt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland insoweit auf den innerstaatlichen (deutschen) Rechtsbegriff des gewöhnlichen Aufenthalts verwiesen werden sollte, wie er für die gesetzliche Rentenversicherung als Teil des SGB in § 30 Abs 3 S 2 SGB I geregelt ist(Senatsurteil vom 10.12.2013 - B 13 R 9/13 R - NZS 2014, 264 RdNr 25 mwN - stRspr). Danach hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

24

Die Frage des Vorliegens eines gewöhnlichen Aufenthalts nach § 30 Abs 3 S 2 SGB I ist anhand einer dreistufigen Prüfung zu klären. Ausgangspunkt ist ein "Aufenthalt". Es sind sodann die mit dem Aufenthalt verbundenen "Umstände" festzustellen. Diese sind schließlich daraufhin zu würdigen, ob sie "erkennen lassen", dass der Betreffende am Aufenthaltsort oder im Aufenthaltsgebiet "nicht nur vorübergehend verweilt" (vgl Senatsurteile vom 31.10.2012 - B 13 R 1/12 R - BSGE 112, 116 = SozR 4-1200 § 30 Nr 6, RdNr 24, und vom 10.12.2013 - B 13 R 9/13 R - NZS 2014, 264 RdNr 27).

25

aa) Ob jemand sich gewöhnlich an einem Ort oder in einem Gebiet aufhält oder nur vorübergehend dort verweilt, lässt sich nur im Wege einer vorausschauenden Betrachtungsweise (Prognose) entscheiden (s hierzu Senatsurteile vom 31.10.2012 - B 13 R 1/12 R - BSGE 112, 116 = SozR 4-1200 § 30 Nr 6, RdNr 25 ff, und vom 10.12.2013 - B 13 R 9/13 R - NZS 2014, 264 RdNr 28 ff - jeweils mwN). Die Prognose hat alle mit dem Aufenthalt verbundenen Umstände zu berücksichtigen; dies können subjektive wie objektive, tatsächliche wie rechtliche sein. Es kann demnach nicht allein auf den Willen des Betroffenen ankommen, einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen (sog Domizilwille: BSG vom 9.5.1995 - 8 RKn 2/94 - Juris RdNr 17); dies gilt insbesondere dann, wenn er nicht mit den tatsächlichen objektiven Umständen übereinstimmt (vgl BSG vom 22.3.1988 - 8/5a RKn 11/87 - BSGE 63, 93, 97 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 183). Ist nach der Prognose davon auszugehen, dass die betreffende Person zukunftsoffen "bis auf Weiteres" an dem Ort oder in dem Gebiet verweilen wird, so hat sie dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt, wobei kein dauerhafter (unbegrenzter) Aufenthalt erforderlich ist. Dem vorübergehenden Aufenthalt wohnt dagegen als zeitliches Element eine Beendigung von vornherein inne.

26

bb) Bei Ausländern ist im Rahmen der Gesamtwürdigung als ein rechtlicher Gesichtspunkt deren Aufenthaltsposition heranzuziehen (exemplarisch Senatsurteil vom 9.8.1995 - 13 RJ 59/93 - SozR 3-1200 § 30 Nr 15 S 30 - stRspr), ohne dass diese aber allein Grundlage einer Prognose über die Dauer des Aufenthalts sein kann (vgl auch BVerfG Beschluss vom 6.7.2004 - 1 BvR 2515/95 - BVerfGE 111, 176, 185; BVerfG Beschluss vom 10.7.2012 - 1 BvL 2/10 ua - BVerfGE 132, 72 RdNr 28). Dabei wird die Aufenthaltsposition wesentlich durch den Inhalt der von der Ausländerbehörde erteilten Bescheinigungen bestimmt, wie er sich nach der behördlichen Praxis und der gegebenen Rechtslage darstellt (Senatsurteil vom 10.12.2013 - B 13 R 9/13 R - NZS 2014, 264 RdNr 32 mwN). Zu den Tatsachen, die bei der Prognose im Rahmen des § 30 Abs 3 S 2 SGB I zu berücksichtigen sind, gehören aber auch eventuelle Hindernisse, die der Abschiebung eines Ausländers entgegenstehen(BSG Urteil vom 17.5.1989 - 10 RKg 19/88 - BSGE 65, 84, 87 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 18; Senatsurteil vom 10.12.2013 - B 13 R 9/13 R - NZS 2014, 264 RdNr 31 - bezüglich "Rechtshindernissen"; zur Berücksichtigung auch tatsächlicher Abschiebehindernisse s Schlegel in juris-PK SGB I, 2. Aufl 2011, § 30 RdNr 58). Der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts eines Ausländers stehen danach grundsätzlich keine Hindernisse entgegen, soweit keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen getroffen oder zu erwarten sind. Davon ist ua auszugehen, wenn der Betreffende aufgrund besonderer ausländer- bzw aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen oder behördlicher Praxis auch bei endgültiger Ablehnung eines Antrags auf ein dauerhaftes Bleiberecht (zB Asyl) nicht mit einer Abschiebung zu rechnen braucht (vgl BSG Urteil vom 23.2.1988 - 10 RKg 17/87 - BSGE 63, 47, 50 = SozR 5870 § 1 Nr 14 S 34; Senatsurteil vom 4.11.1998 - B 13 RJ 9/98 R - Juris RdNr 39). Hierbei kann auch die familiäre Situation, etwa der Aufenthaltsstatus des Ehegatten, eine Rolle spielen (vgl BSG vom 17.5.1989 - 10 RKg 19/88 - BSGE 65, 84, 88 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 19).

27

cc) Verfahrensrechtlich bedeutet das Erstellen der erforderlichen Prognose die Feststellung einer hypothetischen Tatsache (Senatsurteile vom 31.10.2012 - B 13 R 1/12 R - BSGE 112, 116 = SozR 4-1200 § 30 Nr 6, RdNr 27, und vom 10.12.2013 - B 13 R 9/13 R - NZS 2014, 264 RdNr 33 - jeweils mwN). Es ist allein Aufgabe der Tatsachengerichte, die notwendigen Ermittlungen durchzuführen und daraus die Prognose abzuleiten. Wie bei einer sonstigen Tatsachenfeststellung entscheidet das Gericht auch bei einer Prognose nach freier Überzeugung. Dabei gehören die Prognose und die Feststellung der für ihre Erstellung notwendigen Tatsachen nicht zur Rechtsanwendung; sie können deshalb vor dem Revisionsgericht nur mit Verfahrensrügen angegriffen werden (vgl Senatsurteile vom 31.10.2012 - B 13 R 1/12 R - BSGE 112, 116 = SozR 4-1200 § 30 Nr 6, RdNr 27, und vom 10.12.2013 - B 13 R 9/13 R - NZS 2014, 264 RdNr 34 - jeweils mwN). Verfahrensrügen, welche die Feststellung der für eine vorausschauende Betrachtung - nach damaligem Erkenntnisstand bis zu dem hier maßgeblichen Stichtag - erforderlichen Tatsachen betreffen, hat die Klägerin vorliegend jedoch nicht erhoben, sodass die Feststellungen des LSG insoweit für den Senat bindend sind (§ 163 SGG).

28

Das Revisionsgericht hat jedoch auch ohne Verfahrensrüge zu prüfen, ob das LSG für seine Prognose sachgerechte Kriterien gewählt hat oder ob die Prognose auf rechtlich falschen oder unsachlichen Erwägungen beruht (Senatsurteile vom 31.10.2012 - B 13 R 1/12 R - BSGE 112, 116 = SozR 4-1200 § 30 Nr 6, RdNr 28 mwN, und vom 10.12.2013 - B 13 R 9/13 R - NZS 2014, 264 RdNr 35).

29

3. Bei Anwendung dieser Maßstäbe kann der Senat auf der Grundlage der vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht abschließend entscheiden, ob die Klägerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt bis spätestens am 31.12.1990 nach Berlin (West) verlegt und damit eine Anwartschaft auf Rentenleistungen noch nach den Regelungen des Abk Polen RV/UV erworben hat.

30

a) Dem Urteil des LSG kann allerdings - durch Bezugnahme auf das SG-Urteil (§ 153 Abs 2 SGG) - die Feststellung entnommen werden, dass die Klägerin bis zur erstmaligen Beantragung einer Aufenthaltsgenehmigung im April 1994 keinerlei durch Entscheidungen der Ausländerbehörde formal gestalteten und legalisierten ausländerrechtlichen Status innehatte, sich mithin illegal in Berlin aufhielt (vgl § 3 Abs 1, § 42 Abs 1, § 58 Abs 1 Nr 1 iVm § 92 Abs 1 Nr 1, 6 AuslG vom 9.7.1990, BGBl I 1354, in Kraft ab 1.1.1991). Nach den oben dargestellten Grundsätzen kann schon allein deshalb ein "wohnen" iS von Art 27 Abs 3 und 4 iVm Art 1 Nr 10 Abk Polen SozSich bis spätestens am - insoweit maßgeblichen - Stichtag 30.6.1991 ausgeschlossen werden, denn dies erfordert einen rechtmäßigen Aufenthalt.

31

b) Anders verhält es sich jedoch hinsichtlich der Frage, ob die Klägerin möglicherweise bereits am Stichtag 31.12.1990 ihren Wohnort iS von Art 27 Abs 2 S 1 und 2 Abk Polen SozSich iVm Art 1 Nr 2, Art 7 Abk Polen RV/UV in Berlin (West) hatte. Das LSG hat insoweit ausgeführt, es stehe zu seiner Überzeugung fest, dass die Klägerin sich seit dem 15.9.1990 tatsächlich in Berlin aufgehalten und mit ihrem jetzigen Ehemann zusammengelebt habe. Einen gewöhnlichen Aufenthalt in Berlin (West) bis zum 31.12.1990 hat es allein deshalb verneint, weil die erforderliche rechtliche Komponente - die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts - gefehlt habe; weitere Feststellungen zu den mit dem Aufenthalt der Klägerin in Berlin verbundenen sonstigen Umständen hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Es hat damit seine Prognose auf rechtsfehlerhaften Erwägungen aufgebaut.

32

Wie bereits dargelegt ist für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts iS von Art 27 Abs 2 Abk Polen SozSich zum Stichtag 31.12.1990 die materielle Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nicht absolut zwingend. Zwar ist anerkannt, dass in die erforderliche Gesamtschau aller Umstände auch rechtliche Gesichtspunkte einfließen können. Steht etwa fest, dass ein Ausländer zur Ausreise verpflichtet ist und seiner Abschiebung weder rechtliche noch tatsächliche Hindernisse und auch die Verwaltungspraxis nicht entgegenstehen, kann ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland nicht begründet werden (vgl Senatsurteil vom 9.8.1995 - 13 RJ 59/93 - SozR 3-1200 § 30 Nr 15 S 30; s auch Schlegel in juris-PK SGB I, 2. Aufl 2011, § 30 RdNr 56). Vorliegend hat sich das LSG insbesondere mit der konkreten Verwaltungspraxis der Berliner Ausländerbehörde im Umgang mit sich hier illegal aufhaltenden polnischen Staatsangehörigen im Zeitraum bis zum 31.12.1990 nicht befasst (s hierzu bereits Senatsurteil vom 4.11.1998 - B 13 RJ 9/98 R - Juris RdNr 41). Auch das Urteil des SG enthält dazu keine Feststellungen; dort ist lediglich ausgeführt, es sei "nicht bekannt", ob sich die Weisungslage in Berlin bis Ende 1990 gegenüber der "Ostblockregelung" geändert habe.

33

Entsprechende Feststellungen wird das LSG nunmehr nachzuholen und auf deren Grundlage - gegebenenfalls ergänzt um weitere Umstände der damaligen persönlichen Situation der Klägerin wie etwa noch bestehende eheliche Bindungen nach Polen, die Ausgestaltung der Befugnis zur (Mit-)Benutzung der Wohnung oder auch die Art der Sicherstellung des Lebensunterhalts (vgl hierzu Wendtland, ZESAR 2013, 435, 438) - eine abschließende Entscheidung zu treffen haben. Es wird dabei auch die von der Beklagten erstmals im Revisionsverfahren vorgelegte Modifikation der sog "Ostblockregelung" durch die Weisung der Senatsverwaltung für Inneres vom 18.2.1990 zu würdigen haben.

34

4. Der Senat kann diese Entscheidung treffen, ohne zuvor das Verfahren nach § 41 SGG durchzuführen. Zwar hat der 8. Senat des BSG als damals für die knappschaftliche Rentenversicherung zuständiger Fachsenat im Urteil vom 9.5.1995 (8 RKn 2/94 - Juris RdNr 18) ausgeführt, bei Beurteilung des gewöhnlichen Aufenthalts im Rahmen von Art 27 Abs 2 Abk Polen SozSich sei "allein der ausländerrechtliche Status im Leistungszeitraum" entscheidend, denn "ein grundsätzlich kraft Gesetzes (…) zur Ausreise in sein Heimatland verpflichteter Ausländer kann überhaupt nur dann im Inland einen 'gewöhnlichen Aufenthalt' innehaben, solange er sich hier berechtigterweise aufhält". Dabei handelt es sich jedoch nicht um einen tragenden Rechtssatz, weil sich die Klägerin des dort entschiedenen Falls auf der Grundlage einer befristeten Aufenthaltserlaubnis legal in Deutschland aufgehalten hatte (aaO RdNr 1; zum Erfordernis einer Gesamtwürdigung aller entscheidungserheblichen Tatsachen s auch aaO RdNr 17). Eine Divergenz iS von § 41 Abs 2 SGG liegt somit nicht vor.

35

5. Das LSG wird abschließend auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. August 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Neufeststellung seiner Altersrente unter Berücksichtigung von Entgeltpunkten (EP) anstelle von EP (Ost).

2

Der 1939 in Russland geborene Kläger ist als Spätaussiedler nach § 4 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) anerkannt. Er beantragte am 27.8.1991 aus Kasachstan die Aufnahme als Aussiedler in Deutschland und gab dabei an, er beabsichtige, seinen Wohnort bei Verwandten in Nordrhein-Westfalen zu nehmen. Nach der Genehmigung der Übersiedlung mit Aufnahmebescheid des Bundesverwaltungsamts vom 29.9.1993 kam der Kläger (zusammen mit seiner Ehefrau) am 19.12.1993 nach Deutschland. Er erhielt eine Zuweisung nach Brandenburg und wurde dort ab 22.12.1993 in der Landesaufnahmeeinrichtung in P. untergebracht, wo sich bereits seine im September 1993 übergesiedelte Tochter mit ihrem Ehemann aufhielt. Nach Anmeldung bei der Gemeinde meldete sich der Kläger beim Arbeitsamt Cottbus arbeitslos, bezog Eingliederungshilfe und nahm an einem viereinhalbmonatigen Sprachkurs teil. Am 15.5.1994 zog er nach Nordrhein-Westfalen.

3

Mit Bescheid vom 28.12.1999 bewilligte die Beklagte dem Kläger Altersrente ab Januar 2000 unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem FRG auf der Grundlage von 24,3578 EP (Ost) und 0,051 EP.

4

Am 31.12.2004 beantragte der Kläger die Neufeststellung seiner Rente nach § 44 SGB X ua mit der Begründung, es seien bei der Festsetzung der Rente für die FRG-Zeiten EP und keine EP (Ost) zu berücksichtigen. Er habe sich im Beitrittsgebiet weniger als sechs Monate aufgehalten und lediglich in einem "Übergangswohnheim" gelebt. Die Beklagte lehnte den Neufeststellungsantrag mit Hinweis auf Art 6 § 4 Abs 6 des Fremd- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) ab. Auch der Aufenthalt in einem "Übergangswohnheim" sei als gewöhnlicher Aufenthalt anzusehen (Bescheid vom 23.1.2008, Widerspruchsbescheid vom 3.7.2008).

5

Mit seiner Klage hat der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Neufeststellung seiner Altersrente unter Zugrundelegung von EP anstelle von EP (Ost) begehrt. Er habe in dem "Übergangswohnheim" keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Ein Verbleib in Brandenburg sei nicht beabsichtigt gewesen. Er sei bei seiner Übersiedlung nach Deutschland wegen Überbuchung seines Flugs nach Düsseldorf, wo ihn Verwandte erwartet hätten, in Frankfurt am Main angekommen und schließlich zwei Tage später in dem "Übergangswohnheim" in Brandenburg untergebracht worden. Dort hätten sich bereits seine Tochter und sein Schwiegersohn aufgehalten. Seinen Wunsch, zu den Verwandten nach Nordrhein-Westfalen zu kommen, hätten die Behörden nicht berücksichtigt. Erst nach der Teilnahme an einem viereinhalbmonatigen Sprachkurs und nachdem ihm seine Verwandten nach Erteilung einer behördlichen Umzugserlaubnis eine Wohnung besorgt hätten, habe er im Mai 1994 dorthin ziehen können.

6

Das SG hat die Beklagte durch Urteil vom 7.5.2010 ua verpflichtet, die Altersrente des Klägers unter Berücksichtigung von "EP (West)" neu festzustellen. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG die Entscheidung des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 29.8.2011). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Auf den Kläger finde Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG Anwendung. Er habe nach seiner Übersiedlung nach Deutschland bis zu seinem Umzug nach Nordrhein-Westfalen seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet gehabt. § 30 Abs 3 S 2 SGB I enthalte die für alle Bereiche des Sozialrechts gültige Bestimmung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts. Dieser sei nach den objektiv gegebenen tatsächlichen Umständen zu beurteilen. Entscheidend sei, wo der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft liege. Dauerhaft sei ein Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen sei. Der Kläger habe sich ab dem 22.12.1993 zukunftsoffen im Beitrittsgebiet aufgehalten. Zu diesem Zeitpunkt habe noch nicht festgestanden, wie lange er dort bleiben und wann er nach Nordrhein-Westfalen umziehen werde. Der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Beitrittsgebiet stehe weder die Unterkunft in einem Übergangswohnheim noch die behördliche Zuweisung nach Brandenburg entgegen. Ein Domizilwille, der mit den tatsächlichen Umständen nicht übereinstimme, sei ebenso wie die unter sechsmonatige Dauer des Aufenthalts im Beitrittsgebiet rechtlich unerheblich. § 9 Abgabenordnung (AO) begründe jedenfalls keine Regelvermutung, dass ein unter sechsmonatiger Aufenthalt nicht gewöhnlich iS des § 30 Abs 3 S 2 SGB I sei.

7

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er ist der Ansicht, das LSG habe den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts iS des § 30 Abs 3 S 2 SGB I, ohne einen Normzusammenhang mit Art 6 § 4 Abs 6 FANG herzustellen, fehlerhaft mit dem des einfachen Aufenthalts oder Verweilens gleichgesetzt. Zudem komme es entgegen der Auffassung des LSG bei einer Verweildauer von unter sechs Monaten auf den Willen des Betroffenen an, einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen. Diesen habe er aber nicht gehabt. Denn er habe zu keiner Zeit beabsichtigt oder erwartet, sich im "Übergangswohnheim" in Brandenburg längerfristig aufzuhalten. Vielmehr habe er seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet erstmals am 15.5.1994 in Nordrhein-Westfalen begründet.

8

Der Kläger beantragt sinngemäß,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. August 2011 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 7. Mai 2010 zurückzuweisen.

9

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision als unzulässig zu verwerfen,

        

hilfsweise,

        

die Revision zurückzuweisen.

10

Sie ist der Ansicht, die Revisionsbegründung setze sich nicht hinreichend mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auseinander. In der Sache führe sowohl die einheitliche Auslegung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts in § 30 Abs 3 S 2 SGB I für alle Bereiche des SGB als auch die Auslegung dieses Begriffs im Sinne der sogenannten Einfärbungslehre im Zusammenhang mit Art 6 § 4 Abs 6 FANG zu dem Ergebnis, dass der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet genommen habe. Mit dem Antrag auf Eingliederungshilfe habe der Kläger zum Ausdruck gebracht, sich im Beitrittsgebiet eingliedern zu wollen. Wenn man mit dem Kläger davon ausginge, dass er bei seinem Aufenthalt in Brandenburg noch keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet habe, könne sein damaliger Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt nur weiterhin das Herkunftsgebiet gewesen sein.

11

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 S 1 SGG).

Entscheidungsgründe

12

Die Revision des Klägers ist zulässig. Insbesondere hat er seine Revision noch hinreichend iS des § 164 Abs 2 S 3 SGG begründet. Die vom BSG in ständiger Rechtsprechung präzisierten Anforderungen (vgl zB BSG vom 16.10.2007 - SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 9 f mwN)hat der Kläger mit noch hinreichender Deutlichkeit erfüllt.

13

Die Revision ist jedoch nicht begründet.

14

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 23.1.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3.7.2008 ist rechtmäßig. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, dem Kläger unter teilweiser Rücknahme des bestandskräftigen Rentenbescheids vom 28.12.1999 eine höhere Altersrente unter Berücksichtigung von EP anstelle von EP (Ost) für die FRG-Zeiten zu zahlen.

15

1. Der geltend gemachte Rücknahmeanspruch richtet sich nach § 44 SGB X. Nach dessen Abs 1 S 1 ist ein bindend gewordener Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen für die Rücknahme des Rentenbescheids vom 28.12.1999 sind nicht erfüllt.

16

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Neufeststellung seiner Altersrente unter Zugrundelegung von EP anstelle von EP (Ost) für seine FRG-Zeiten. Denn er unterfällt als FRG-Berechtigter (§ 1 Buchst a FRG) der Regelung des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG(dazu unter 2a). Er hat nach dem 31.12.1991 (ab 1.1.2000) einen "Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem FRG" im alten Bundesgebiet erworben (dazu unter 2b), nachdem er seinen nach dem 31.12.1991 (ab 22.12.1993) im Beitrittsgebiet begründeten gewöhnlichen Aufenthalt dorthin (ab 15.5.1994) verlegt hatte (dazu unter 2c). Die Bewertung von FRG-Zeiten in Abhängigkeit von dem Ort des erstmals begründeten gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland verstößt nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen Art 3 Abs 1 GG (dazu unter 3).

17

2. Der "Monatsbetrag der Rente" ergibt sich, wenn die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen EP, der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden (§ 64 SGB VI), wobei allerdings - bis zur Herstellung einheitlicher Einkommensverhältnisse in Deutschland - zwischen EP und EP (Ost) sowie aktuellem Rentenwert und aktuellem Rentenwert (Ost) unterschieden wird (§ 254b Abs 1, § 254d Abs 1, § 255a SGB VI). Soweit - wie im vorliegenden Fall - im nichtdeutschen Herkunftsland zurückgelegte Beitragszeiten in Anwendung des FRG ebenfalls mit EP bei der Rentenfestsetzung berücksichtigt werden, hat der Gesetzgeber in Art 6 § 4 Abs 6 FANG in der seit 1.1.1992 geltenden Fassung des Renten-Überleitungsgesetzes (RÜG) vom 25.7.1991 (BGBl I 1606) folgende (Übergangs-)Regelung hinsichtlich ihrer Zuordnung zu den EP bzw EP (Ost) getroffen:

        

"Bei Berechtigten nach dem Fremdrentengesetz, die

        

a) ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet haben und dort nach dem 31. Dezember 1991 einen Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem Fremdrentengesetz erwerben,

        

b) nach dem 31. Dezember 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Beitrittsgebiet in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet verlegen und dort nach dem 31. Dezember 1991 einen Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem Fremdrentengesetz erwerben oder

        

c) nach dem 31. Dezember 1991 ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet in das Beitrittsgebiet verlegen und bereits vor Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts einen Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem Fremdrentengesetz haben,

        

werden für nach dem Fremdrentengesetz anrechenbare Zeiten Entgeltpunkte (Ost) ermittelt; im Falle von Buchstabe c gilt dies nur, sofern am 31. Dezember 1991 Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem Fremdrentengesetz nicht bestand. Dies gilt auch für die Zeiten eines weiteren Rentenbezuges aufgrund neuer Rentenfeststellungen, wenn sich die Rentenbezugszeiten ununterbrochen aneinander anschließen. Bei Berechtigten nach Satz 1 Buchstabe a und c, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Beitrittsgebiet in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet verlegen, verbleibt es für Zeiten nach dem Fremdrentengesetz bei den ermittelten Entgeltpunkten (Ost)."

18

Die Voraussetzungen des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG sind vorliegend erfüllt.

19

a) Der Kläger ist als anerkannter Spätaussiedler iS des § 4 BVFG Berechtigter nach dem FRG(§ 1 Buchst a FRG).

20

b) Er hat nach dem 31.12.1990 seinen gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Beitrittsgebiet in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet (also das alte Bundesgebiet ) verlegt und dort nach dem 31.12.1991 (nämlich ab 1.1.2000) einen "Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem FRG" erworben. Mit dieser Formulierung ist ein Zahlungsanspruch auf eine Rente nach dem SGB VI gemeint, bei deren Feststellung FRG-Zeiten zu berücksichtigen sind.Durch die Regelungen des FRG wird kein außerhalb des gesetzlichen Anspruchs auf Rente nach dem SGB VI (vgl § 33 SGB VI) beruhender besonderer Anspruch auf eine "Fremdrente" bzw "FRG-Rente" begründet (vgl BSG vom 16.11.2000 - B 4 RA 3/00 R - Juris RdNr 118; BSG vom 29.4.1997 - SozR 3-5060 Art 6 § 4 Nr 3 S 21).

21

c) Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) ist dessen Ergebnis, dass der Kläger vor seinem Umzug nach Nordrhein-Westfalen am 15.5.1994 zunächst ab 22.12.1993 seinen gewöhnlichen Aufenthalt iS des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG iVm § 30 Abs 3 S 2 SGB I in Brandenburg und damit im Beitrittsgebiet begründet hat, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat weder die gesetzlichen Voraussetzungen für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne der vorgenannten Bestimmungen verkannt noch enthält die angefochtene Entscheidung einen anderen Rechtsfehler.

22

aa) Der Rechtsbegriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" ist in § 30 Abs 3 S 2 SGB I legal definiert. Danach hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

23

Der in dieser Norm umschriebene Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts gilt grundsätzlich für alle Bücher des SGB. Dahingestellt bleiben kann, ob zur Ermittlung von dessen konkreter rechtlicher Bedeutung (ergänzend oder allein) auf den Sinn und Zweck des Gesetzes (hier also: Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG)zurückzugreifen ist, das ihn verwendet (vgl BSG vom 3.4.2001 - SozR 3-1200 § 30 Nr 21 S 45 f). Denn im vorliegenden Fall führt auch ein in diesem Sinne rentenrechtlich "eingefärbter" Begriffsinhalt des LSG zum selben Ergebnis (dazu unter cc).

24

Die Frage des Vorliegens eines gewöhnlichen Aufenthalts nach § 30 Abs 3 S 2 SGB I ist anhand einer dreistufigen Prüfung zu klären. Ausgangspunkt ist ein "Aufenthalt"; es sind dann die mit dem Aufenthalt verbundenen "Umstände" festzustellen; sie sind schließlich daraufhin zu würdigen, ob sie "erkennen lassen", dass der Betreffende am Aufenthaltsort oder im Aufenthaltsgebiet "nicht nur vorübergehend verweilt" (vgl BSG vom 25.6.1987 - BSGE 62, 67, 68 f = SozR 7833 § 1 Nr 1 S 2).

25

Ob jemand sich gewöhnlich an einem Ort oder in einem Gebiet aufhält oder nur vorübergehend dort verweilt, lässt sich nur im Wege einer vorausschauenden Betrachtungsweise (Prognose) entscheiden (BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 97 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 183; BSG vom 17.5.1989 - BSGE 65, 84, 86 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 17). Dabei sind alle bei Prognosestellung für die Beurteilung der künftigen Entwicklung erkennbaren Umstände zu berücksichtigen. Ist nach der Prognose davon auszugehen, dass die betreffende Person "bis auf weiteres" an dem Ort oder in dem Gebiet verweilen wird, so hat sie dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt.

26

Diese Prognose bleibt auch dann maßgebend, wenn der "gewöhnliche Aufenthalt", wie hier, rückblickend zu ermitteln ist. Spätere Entwicklungen, die bei Beginn des entscheidungserheblichen Zeitraums noch nicht erkennbar waren, können eine Prognose weder bestimmen noch widerlegen. Wenn Änderungen eintreten, kann der gewöhnliche Aufenthalt an dem Ort oder in dem Gebiet nur vom Zeitpunkt der Änderung an entfallen (vgl BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 97 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 183 f; BSG vom 17.5.1989 - BSGE 65, 84, 86 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 17). Diese Zukunftsgerichtetheit der Beurteilung des gewöhnlichen Aufenthalts iS des § 30 Abs 3 S 2 SGB I ist deswegen erforderlich, weil im Sozialrecht hiervon in vielfältiger Weise auch sofort zu treffende, zukunftsorientierte Entscheidungen abhängen, zB die über einen Krankenversicherungsschutz durch Familienversicherung(§ 10 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V) oder einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II (§ 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II).

27

Die Prognose (als solche) und die Feststellung der dafür erheblichen Anhaltspunkte sind dem Revisionsgericht verschlossen. Es ist Aufgabe der Tatsachengerichte, die notwendigen Ermittlungen durchzuführen und daraus die Prognose zu stellen. Die Prognose gehört nicht zur Rechtsanwendung; sie ist vielmehr Feststellung einer hypothetischen Tatsache. Deshalb können Prognosen im Revisionsverfahren nur mit Verfahrensrügen angegriffen werden (BSG vom 7.4.1987 - SozR 4100 § 44 Nr 47 S 116; BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 97 f = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 184; BSG vom 17.5.1989 - BSGE 65, 84, 86 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 18; BSG vom 30.9.1996 - BSGE 79, 147, 151 = SozR 3-5870 § 2 Nr 33 S 131).

28

Das Gericht entscheidet, wenn es eine Prognose trifft, nach freier Überzeugung. Es hat aber alle Umstände des Einzelfalls zu würdigen. Die Prognose ist rechtsfehlerhaft, wenn das Gericht die der Prognose zugrunde zu legenden Tatsachen nicht richtig festgestellt oder nicht alle wesentlichen in Betracht kommenden Umstände hinreichend gewürdigt hat bzw wenn die Prognose auf rechtlich falschen oder unsachlichen Erwägungen beruht (vgl BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 98 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 184; BSG vom 17.5.1989 - BSGE 65, 84, 87 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 18; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 9f).

29

Entgegen der Auffassung der Beklagten führt allein der Umstand, dass der Kläger mit seiner Einreise nach Deutschland seinen "gewöhnlichen Aufenthalt" im Herkunftsgebiet aufgegeben hat, nicht dazu, dass er seinen "gewöhnlichen Aufenthalt" an dem Ort bzw in dem Gebiet genommen hat, in dem er sich im Anschluss an die Einreise aufgehalten hat. Die Annahme einer zwingenden Verknüpfung der Aufgabe eines gewöhnlichen Aufenthalts mit der Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts lässt außer Acht, dass die Existenz eines Menschen zwar stets einen "Aufenthalt", nicht aber zwangsläufig einen "gewöhnlichen Aufenthalt" voraussetzt.

30

Ein gewöhnlicher Aufenthalt ist nach § 30 Abs 3 S 2 SGB I vom "vorübergehenden Verweilen" bzw "vorübergehenden Aufenthalt" abzugrenzen(vgl BSG vom 19.11.1965 - 1 RA 154/62 - Juris RdNr 14; BSG vom 16.3.1978 - BSGE 46, 84, 85 = SozR 2200 § 1320 Nr 1 S 2; BSG vom 3.4.2001 - SozR 3-1200 § 30 Nr 21 S 46). Dem vorübergehenden Aufenthalt wohnt als zeitliches Element eine Beendigung von vornherein inne (vgl BSG vom 23.2.1988 - BSGE 63, 47, 49 = SozR 5870 § 1 Nr 14 S 32). Allerdings ist auch zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ein längerer oder dauerhafter (unbegrenzter) Aufenthalt nicht erforderlich. Es braucht hier nicht entschieden zu werden, ab welchem von vornherein bestimmten Zeitraum ein Aufenthalt als "gewöhnlich" zu werten ist. Jedenfalls genügt es, dass der Betreffende sich an dem Ort oder in dem Gebiet "bis auf weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält (vgl BVerwG vom 18.3.1999 - FEVS 49, 434, 436; BSG vom 27.1.1994 - SozR 3-2600 § 56 Nr 7 S 34; BSG vom 9.5.1995 - 8 RKn 2/94 - Juris RdNr 17; Schlegel in jurisPK-SGB I, Online-Ausgabe, § 30 RdNr 36, Stand Einzelkommentierung Oktober 2011; Seewald in Kasseler Komm, § 30 SGB I RdNr 22, Stand Einzelkommentierung September 2007). Dann schaden auch (voraussehbare) zeitweilige Unterbrechungen nicht. Denn ein gewöhnlicher Aufenthalt erfordert nicht, dass man "nie abwesend" ist (BSG vom 28.7.1967 - BSGE 27, 88, 89 = SozR Nr 5 zu § 1319 RVO). Voraussetzung ist keine Lückenlosigkeit des Aufenthalts, sondern nur eine gewisse Stetigkeit und Regelmäßigkeit (vgl BSG vom 28.7.1967 aaO; BSG vom 23.5.2012 - B 14 AS 133/11 R - Juris RdNr 21 - zur Veröffentlichung in SozR 4-1300 § 44 Nr 25 vorgesehen; vgl auch BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 98 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 184). Ein (gewichtiges) Indiz für einen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts ist die Verlagerung des örtlichen Schwerpunkts der Lebensverhältnisse (BSG vom 27.1.1994 - SozR 3-2600 § 56 Nr 7 S 34; BSG vom 3.4.2001 - SozR 3-1200 § 30 Nr 21 S 46; vgl aber auch Senatsurteile vom 9.8.1995 - SozR 3-1200 § 30 Nr 15 S 30 und vom 4.11.1998 - B 13 RJ 9/98 R - Juris RdNr 36).

31

Für die Unterscheidung zwischen gewöhnlichem und vorübergehendem Aufenthalt kann es nach alledem keine feste allgemeingültige Grenze im Sinne von Höchst- oder Mindestzeiten geben (BSG vom 25.6.1987 - BSGE 62, 67, 69 = SozR 7833 § 1 Nr 1 S 3). § 30 Abs 3 SGB I enthält keine dem früheren § 14 Abs 1 S 2 Steueranpassungsgesetz und dem jetzigen § 9 S 2 AO entsprechende Regelung, wonach als gewöhnlicher Aufenthalt stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen ist (zumal dies eine retrospektive Betrachtungsweise nahelegt). Deshalb kann entgegen der Meinung des SG die Vorschrift des § 9 S 2 AO nicht für den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts iS von § 30 Abs 3 S 2 SGB I näher herangezogen werden(vgl bereits BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 98 f = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 185; BSG vom 31.1.1980 - SozR 5870 § 1 Nr 6 S 8; Frank, SGb 1999, 547, 550). Keiner Entscheidung bedarf im vorliegenden Fall, ob für die Begründung eines gewöhnlichen, nicht nur vorübergehenden Aufenthalts in Anlehnung an die kürzeste Frist des Melderechts (vgl § 15 Abs 2 Nr 3 des Melderechtsrahmengesetzes, zB §§ 23, 24 Abs 1, 26 Abs 1 des Gesetzes über das Meldewesen im Land Brandenburg in der Fassung der Bekanntmachung vom 17.1.2006 , zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 7.7.2009 ) zumindest die Prognose eines voraussichtlich länger als zwei Monate dauernden Aufenthalts erforderlich ist.

32

Mithin hat der Prognosesteller alle mit dem Aufenthalt verbundenen Umstände zu berücksichtigen (BSG vom 25.6.1987 - BSGE 62, 67, 69 = SozR 7833 § 1 Nr 1 S 2); dies können subjektive wie objektive, tatsächliche wie rechtliche sein. Es kann demnach entgegen der Ansicht des Klägers nicht allein auf den Willen des Betroffenen ankommen, sich an einen anderen Ort zu begeben und dort einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen (sogenannter Domizilwille); dies gilt insbesondere dann, wenn er nicht mit den tatsächlichen (objektiven) Umständen übereinstimmt (vgl BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 97 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 183). Nicht zwingend für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ist daher, ob der Betroffene sich an einem Ort oder in einem bestimmten Gebiet freiwillig aufhält (BSG vom 29.5.1991 - SozR 3-1200 § 30 Nr 5 S 8). Allerdings kann ein fehlender Domizilwille im konkreten Einzelfall im Rahmen der Gesamtwürdigung als subjektives Element dann Bedeutung erlangen, wenn für einen außenstehenden Prognosesteller erkennbar wird, dass zusammen mit den objektiven Gegebenheiten ("Umstände, die erkennen lassen …") nicht (oder nicht mehr) von einem Aufenthalt "bis auf weiteres" ausgegangen werden kann (vgl Taenzel, Kompass 2/1995 S 98; Frank, SGb 1999, 547, 550; vgl auch BSG vom 23.5.2012 - B 14 AS 190/11 R - Juris RdNr 20, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-4200 § 36a Nr 2 vorgesehen).

33

bb) Das LSG hat aus den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Tatsachenfeststellungen zu Recht gefolgert, dass der Kläger vor seinem Umzug nach Nordrhein-Westfalen am 15.5.1994 zunächst ab 22.12.1993 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Brandenburg und damit im Beitrittsgebiet begründet hat.

34

Wie das Berufungsgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerwG zutreffend ausgeführt hat, kann auch ein Aufenthalt in einem "Übergangswohnheim" ein gewöhnlicher Aufenthalt iS des § 30 Abs 3 S 2 SGB I sein(vgl BVerwG vom 18.3.1999 - FEVS 49, 434, 436; BVerwG vom 23.10.2001 - ZFSH/SGB 2002, 221, 222; vgl auch LSG Rheinland-Pfalz vom 25.9.2003 - L 6 RJ 132/03 - Juris RdNr 23; Bayerisches LSG vom 16.6.2004 - L 19 RJ 584/02 - Juris RdNr 13; LSG Niedersachsen-Bremen vom 8.10.2008 - L 2 R 511/07 - Juris RdNr 43; VG Köln vom 4.3.2004 - 26 K 7967/00 - Juris RdNr 22, 29). Das gilt selbst dann, wenn die (nachvollziehbare) Absicht besteht, dieses so bald als möglich zu verlassen und sich an einem anderen Ort niederzulassen. Entscheidend sind aber auch hier stets alle erkennbaren Umstände des konkreten Einzelfalls zu Beginn des entscheidungserheblichen Zeitraums. Dies aber ist - ausgehend von dem oben dargestellten Begriffsinhalt des gewöhnlichen Aufenthalts als eines Aufenthalts "bis auf weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs - eine im Wege vorausschauender Betrachtung zu beantwortende Tatfrage und daher nicht (im Einzelfall) vom BSG zu entscheiden.

35

Nach den Feststellungen des LSG meldete sich der Kläger nach seiner Ankunft am 22.12.1993 in Brandenburg bei der für die Landesaufnahmeeinrichtung melderechtlich zuständigen Gemeinde in P. an. Des Weiteren meldete er sich beim zuständigen Arbeitsamt Cottbus arbeitslos, bezog Eingliederungshilfe und nahm an einem viereinhalbmonatigen Sprachkurs teil. Bei seiner Einreise nach Deutschland hatten ihm seine Verwandten in Nordrhein-Westfalen noch keine bezugsbereite Wohnung verschafft. Vielmehr musste erst noch eine Wohnung angemietet werden. Zudem ging der Kläger nach eigenen Angaben selbst davon aus, dass er vor einem Umzug noch einen Sprachkurs absolvieren müsse und dass für den Umzug nach Nordrhein-Westfalen eine behördliche, bei seiner Ankunft in Brandenburg noch nicht vorliegende Zustimmung ("Erlaubnis") erforderlich sei.

36

Aus diesen Gesamtumständen hat das LSG rechtsfehlerfrei geschlossen, dass der Kläger sich in Brandenburg ab 22.12.1993 "bis auf weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufgehalten und dort auch bis zu seinem Umzug nach Nordrhein-Westfalen den örtlichen Schwerpunkt seiner Lebensbeziehungen hatte.

37

cc) Nichts anderes ergibt sich, wenn man den Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" im vorliegenden Fall durch den Norminhalt des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 FANG iVm dem Gesetz über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler (AusÜbsiedWoG) in der hier maßgeblichen Fassung vom 21.12.1992 (BGBl I 2094, 2105) "eingefärbt" verstehen will. Denn auch ein an diesen Normen orientierter Begriffsinhalt würde nicht dazu führen, dass der Aufenthalt des Klägers als Spätaussiedler im Beitrittsgebiet nicht "zukunftsoffen" war.

38

Durch die Einfügung der Bestimmung des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 FANG durch das RÜG vom 25.7.1991 (aaO) sollte nach der Einigung Deutschlands auf der Grundlage des Integrationsprinzips in Abhängigkeit vom gewöhnlichen Aufenthalt in den alten oder neuen Bundesländern ein "angemessener Lebensstandard" für Aussiedler gesichert werden. Wer als Aussiedler im Beitrittsgebiet Aufnahme gefunden hatte, sollte grundsätzlich (Renten-)Leistungen (nach einem Sicherungsniveau) erhalten, die denen der dort lebenden Bürger entsprachen. Zum anderen sollte kein Anreiz für die Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts wegen der unterschiedlichen Leistungshöhe geschaffen werden (vgl Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen CDU/CSU und F.D.P vom 23.4.1991 eines RÜG, BT-Drucks 12/405, 114 ). Maßgeblich blieb demnach der Integrationsgedanke. Dieser war aber nach dem Beitritt der neuen Bundesländer zur Bundesrepublik und dem Inkrafttreten eines einheitlichen Rentenrechts zum 1.1.1992 nicht mehr von dem Bedürfnis geprägt, Aussiedler im Wege besonderer staatlicher Fürsorge weiter dadurch individuell in das Sozialgefüge der Bundesrepublik zu integrieren, dass sie fiktiv (stets) so behandelt wurden, als hätten sie ihr bisheriges Erwerbsleben in den alten Bundesländern verbracht (vgl zu Übersiedlern BSG vom 14.12.2011 - SozR 4-2600 § 248 Nr 1 RdNr 30). Denn ein die einheitliche Behandlung vorgebendes einheitliches Sozialgefüge gab es nach dem Beitritt in Deutschland nicht mehr.

39

Der Aufenthalt des Klägers in der Landesaufnahmeeinrichtung in Brandenburg war daher auch nicht deshalb nur "vorübergehend", weil die dortige Aufenthaltnahme als Spätaussiedler aufgrund behördlicher (hoheitlicher) Zuweisung nach Maßgabe des AusÜbsiedWoG erfolgte.

40

Gemäß § 2 Abs 1 S 1 AusÜbsiedWoG konnten (Spät-)Aussiedler nach der Aufnahme in Deutschland einem Wohnort zugewiesen werden, wenn sie nicht über ausreichenden Wohnraum verfügten und daher bei der Unterbringung auf öffentliche Hilfe angewiesen waren. Bei der Entscheidung über die Zuweisung sollten ihre Wünsche, enge verwandtschaftliche Beziehungen sowie die Möglichkeit ihrer beruflichen Eingliederung berücksichtigt werden (§ 2 Abs 2 AusÜbsiedWoG). Nach § 4 S 1 Nr 1 AusÜbsiedWoG konnten die Landesregierungen einen Schlüssel für die Zuweisung der Aussiedler innerhalb des Landes in Gemeinden und Kreise festlegen. Entschied sich der Aussiedler für einen Wohnort abweichend von der Zuweisung, war die Gemeinde nicht verpflichtet, den Aufgenommenen als Aussiedler zu betreuen. Leistungsansprüche der Betroffenen blieben hiervon unberührt (vgl Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 5.6.1989, BT-Drucks 11/4689, 6 ; vgl aber den durch das Zweite Gesetz zur Änderung des AusÜbsiedWoG vom 26.2.1996 mit Wirkung vom 1.3.1996 eingefügten und bis zum 30.6.2000 geltenden § 3a AusÜbsiedWoG, nach dessen Abs 1 ein Spätaussiedler oder Familienangehöriger, der abweichend von der Verteilung nach § 8 BVFG oder entgegen einer landesinternen Zuweisung nach § 2 Abs 1 AusÜbsiedWoG 1996 in einem anderen Land oder an einem anderen als dem zugewiesenen Ort ständigen Aufenthalt nahm, an diesem Ort keine Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz und in der Regel nur die nach den Umständen nachweisbar gebotene Hilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz erhielt; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung s BVerfG vom 17.3.2004 - BVerfGE 110, 177). Grundsätzlich blieb es Aussiedlern daher unbenommen, sich (unmittelbar) nach ihrer Einreise selbst oder mit Hilfe von Angehörigen oder Freunden an einen Ort ihrer Wahl zu begeben und dort gewöhnlichen Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen (vgl aaO, BT-Drucks 11/4689, 5 ; vgl auch Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 14.8.1992 eines Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes, BT-Drucks 509/92, 67 § 8 bvfg>).

41

Die Zuweisung nach dem AusÜbsiedWoG wurde gegenstandslos, wenn der Aufgenommene nachwies, dass ihm an einem anderen Ort entweder nicht nur vorübergehend ausreichender Wohnraum oder ein Arbeits-, Ausbildungs- oder Studienplatz zur Verfügung stand, in jedem Falle spätestens nach zwei Jahren (§ 2 Abs 4 AusÜbsiedWoG).

42

Auch wenn damit die Zuweisung auf höchstens zwei Jahre begrenzt war, war der Aufenthalt eines Spätaussiedlers in der zugewiesenen Gemeinde grundsätzlich zukunftsoffen angelegt. Ob die Zuweisung wegen des Ablaufs der Zwei-Jahres-Frist oder aus anderen Gründen bereits früher gegenstandslos wurde, beeinflusst die Prognoseentscheidung über die Zukunftsoffenheit des Aufenthalts nicht.

43

3. Die Regelung des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG verstößt auch nicht gegen Verfassungsrecht. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG vor.

44

Art 3 Abs 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Verboten ist auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem die Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird (BVerfG vom 14.4.2010 - BVerfGE 126, 29, 43 mwN). Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht vielmehr nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl BVerfG vom 7.7.1992 - BVerfGE 87, 1, 36 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 7; BVerfG vom 9.11.2004 - BVerfGE 112, 50, 67 = SozR 4-3800 § 1 Nr 7 RdNr 55; BVerfG vom 27.2.2007 - BVerfGE 117, 272, 300 f = SozR 4-2600 § 58 Nr 7 RdNr 70; BVerfG vom 11.11.2008 - BVerfGE 122, 151, 188 = SozR 4-2600 § 237 Nr 16 RdNr 62; BVerfG vom 14.4.2010 - BVerfGE 126, 29, 47; stRspr).

45

Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengeren Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl BVerfG vom 20.4.2004 - BVerfGE 110, 274, 291; BVerfG vom 7.11.2006 - BVerfGE 117, 1, 30; BVerfG vom 17.11.2009 - BVerfGE 125, 1, 17).

46

Für die Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen kommt es wesentlich darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers ist anzunehmen, wenn die Differenzierung an Persönlichkeitsmerkmale anknüpft (vgl BVerfG vom 15.7.1998 - BVerfGE 98, 365, 389). Bei lediglich verhaltensbezogenen Unterscheidungen hängt das Maß der Bindung davon ab, inwieweit die Betroffenen in der Lage sind, durch ihr Verhalten die Verwirklichung der Merkmale zu beeinflussen, nach denen unterschieden wird (BVerfG vom 15.7.1998 - BVerfGE 98, 365, 389). Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers geht dann besonders weit, wenn er Lebenssachverhalte verschieden behandelt und die Betroffenen sich durch eigenes Verhalten auf die unterschiedliche Regelung einstellen können. Die Grenze bildet dann allein das Willkürverbot (vgl BVerfG vom 18.2.1998 - BVerfGE 97, 271, 291).

47

Ausgehend von diesem Maßstäben verstößt Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG nicht gegen Art 3 Abs 1 GG.

48

Der Gesetzgeber wollte - wie unter 2 c cc) bereits erwähnt - mit der (Übergangs-)Regelung des Art 6 § 4 Abs 6 FANG den durch die Öffnung der deutsch-deutschen Grenze eingetretenen Änderungen auch im Fremdrentenrecht Rechnung tragen. Dieses sollte so weiter entwickelt werden, dass es am jeweiligen Aufenthaltsort - sei es in den alten Bundesländern oder im Beitrittsgebiet - einen angemessenen Lebensstandard sichert. Wer als Aussiedler im Beitrittsgebiet Aufnahme gefunden hatte, sollte Leistungen erhalten, die dem Rentenniveau der dort lebenden Bürger entsprechen. Die unterschiedliche Leistungshöhe in den neuen und alten Bundesländern machte es jedoch nach Ansicht des Gesetzgebers erforderlich, den Anreiz für einen Wohnortwechsel in die alten Bundesländer zu nehmen und für Aussiedler keine günstigeren Regelungen zu treffen, als sie für Bundesbürger im Beitrittsgebiet gelten (vgl Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen CDU/CSU und F.D.P vom 23.4.1991 eines RÜG, BT-Drucks 12/405, 114 ).

49

In Umsetzung dieser Zielvorgabe hat der Gesetzgeber in Art 6 § 4 Abs 6 FANG sachgerecht und damit keinesfalls willkürlich für die Höhe der "Renten nach dem FRG" als Anknüpfungspunkte auf den gewöhnlichen Aufenthalt des FRG-Berechtigten und die unterschiedlichen Lebens- und Einkommensverhältnisse in den neuen und alten Bundesländern abgestellt. Dass er damit für den hier maßgeblichen Zeitraum nicht allein auf die vom Willen des Betroffenen (grundsätzlich) unabhängige behördliche Zuweisung abgestellt hat, ergibt sich aus den Ausführungen zu 2 c cc). Wenn auch bei einer Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts eines FRG-Berechtigten aus den neuen in die alten Bundesländer den FRG-Zeiten EP (Ost) zugeordnet bleiben und nicht die Ermittlung von EP vorgesehen ist, entspricht dies der Rechtslage für solche Rentenberechtigte mit rentenrechtlichen Zeiten im Beitrittsgebiet, die in einem der alten Bundesländer ansässig sind.

50

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

(1) Die Vorschriften dieses Gesetzbuchs gelten für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben.

(2) Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts bleiben unberührt.

(3) Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. März 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Vormerkung in Polen zurückgelegter Versicherungszeiten in der deutschen Rentenversicherung.

2

Die 1955 in Polen geborene Klägerin reiste am 7.6.1990 mit ihrem 1979 geborenen Sohn - wie bereits ein halbes Jahr zuvor ihr Ehemann - in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Familie bewohnte fortan eine gemeinsame Wohnung in D./Nordrhein-Westfalen. Die Klägerin ist weder als Spätaussiedlerin noch als Vertriebene anerkannt.

3

Eine nach dem erfolglosen Vertriebenenverfahren von der Ausländerbehörde erlassene Ordnungsverfügung vom 28.7.1995 mit einer an die Klägerin gerichteten Aufforderung zur Ausreise wurde vom Verwaltungsgericht A. mit Beschluss vom 6.10.1995 (8 L 1241/95) bestätigt. Die hiergegen beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen erhobene Beschwerde nahm die Klägerin wegen der ihr im April 1997 als "Härtefallentscheidung" nach dem Runderlass des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 10.6.1996 erteilten Aufenthaltsbefugnis zurück.

4

Zuvor hatte die Ausländerbehörde der Klägerin für den Zeitraum ab 12.6.1990 jeweils befristete Duldungen ausgestellt. Vom 4.4.1997 bis 15.4.2005 war sie im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis. Ab 4.4.2005 erhielt sie nach dem Beitritt Polens zur EU eine (unbefristete) Freizügigkeitsbescheinigung. Seit 30.4.2009 ist die Klägerin deutsche Staatsangehörige.

5

Auf ihren Antrag auf Klärung des Versicherungskontos vom 22.3.2010 stellte die Beklagte die im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten, die länger als sechs Jahre zurücklagen (Zeiten bis 31.12.2004) verbindlich fest, ohne (ua) die in Polen zurückgelegten Versicherungszeiten vom 4.10.1974 bis 28.2.1976, vom 10.4.1976 bis 27.11.1978 und vom 7.3.1979 bis 31.5.1990 als Beitrags- oder Beschäftigungszeit in der deutschen Rentenversicherung vorzumerken (Bescheid vom 28.3.2011, Widerspruchsbescheid vom 16.6.2011). Die Klägerin erfülle die persönlichen Voraussetzungen des § 1 Buchst a FRG (Anerkennung als Vertriebene oder Spätaussiedlerin) nicht. Nichts anderes ergebe sich aus dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung (Abk Polen RV/UV) vom 9.10.1975. Denn die Klägerin habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland nicht vor dem 31.12.1990 begründet. Ihre in Polen zurückgelegten Versicherungszeiten würden nach den Regelungen der EGV 883/2004 und EGV 987/2009 berücksichtigt.

6

Die hiergegen gerichtete Klage hat das SG mit Urteil vom 7.3.2012 abgewiesen, die Berufung ist ohne Erfolg geblieben (Urteil vom 22.3.2013). Zur Begründung hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt: Ein Anspruch auf Vormerkung der in Polen zurückgelegten Versicherungszeiten in der deutschen Rentenversicherung gemäß Art 4 Abs 2 Abk Polen RV/UV iVm Art 2 Abs 1 des Zustimmungsgesetzes zu dem Abk Polen RV/UV vom 12.3.1976 bestehe nur dann, wenn die Voraussetzungen des Art 27 Abs 2 bis 4 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über Soziale Sicherheit vom 8.12.1990 (Abk Polen SozSich) vorlägen. Nach Art 27 Abs 3 S 1 Abk Polen SozSich müsse die Klägerin hierfür ua spätestens vom 30.6.1991 an in Deutschland wohnen. Wohnort sei der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts (§ 30 Abs 3 S 2 SGB I), wobei es sich um einen unbefristeten rechtmäßigen Aufenthalt handeln müsse (Art 1 Nr 10 Abk Polen SozSich). Jemand habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhalte, die erkennen ließen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweile. Bei Ausländern müsse dazu die Aufenthaltsposition so offen sein, dass sie wie bei einem Inländer einen Aufenthalt auf unbestimmte Dauer ermögliche, statt auf Beendigung des Aufenthalts im Inland angelegt zu sein. Dabei komme es auf den Inhalt der von der Ausländerbehörde ausgestellten Bescheinigungen an, wie er sich nach der behördlichen Praxis und der gegebenen Rechtslage darstelle (Hinweis auf BSG vom 25.3.1998 - B 5 RJ 22/96 R - Juris RdNr 22). Bei der Klägerin sei der gewöhnliche Aufenthalt erst seit 4.4.1997 mit der Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis gegeben. Zum 30.6.1991 habe sie sich erst ca ein Jahr in Deutschland aufgehalten. Eine verfestigte Rechtsposition bzw "Kettenduldungen" von mehreren Jahren hätten noch nicht vorgelegen. Eine besondere Praxis der Ausländerbehörden in Nordrhein-Westfalen, Aufenthalte für Staatsangehörige aus den ehemaligen Ostblockstaaten auf unbestimmte Zeit zuzulassen, habe es nicht gegeben. Vielmehr sei die sogenannte "Ostblockregelung" bereits aufgehoben gewesen.

7

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Das LSG habe § 149 Abs 5 und §§ 54, 55 SGB VI iVm Art 2 des Gesetzes zu dem Abk Polen RV/UV vom 12.3.1976 in der Fassung des Gesetzes zu dem Abk Polen SozSich vom 18.6.1991 sowie Art 27 Abs 3 Abk Polen SozSich rechtsfehlerhaft ausgelegt und angewandt. Sie habe seit ihrer Einreise gemeinsam mit ihrem Ehemann und Kind eine Wohnung unter Umständen innegehabt, die darauf schließen ließen, dass sie die Wohnung beibehalten werde. Damit erfülle sie die Voraussetzungen des Art 27 Abs 3 Abk Polen SozSich. Auf einen bestimmten ausländerrechtlichen Titel komme es allein nicht an, sondern auch auf die sonstigen Umstände und die materielle Rechtslage. Der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts stünden grundsätzlich keine Hindernisse entgegen, soweit keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu erwarten seien. Zudem sei sie der Auffassung gewesen, die deutsche Volkszugehörigkeit werde ihren Aufenthalt auf Dauer sichern. Die unter Art 6 Abs 1 GG stehende Familienzusammenführung habe ihren aufenthaltsrechtlichen Status am Stichtag 30.6.1991 bereits so verfestigt, dass es der sogenannten "Ostblockregelung" nicht mehr bedurft habe, um ihren rechtlich erlaubten Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland dauerhaft zu begründen. Dies folge auch aus der ihr 1997 aufgrund der sogenannten "Härtefallregelung" erteilten Aufenthaltsbefugnis.

8

Die Klägerin beantragt,

        

die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. März 2013 und des Sozialgerichts Aachen vom 7. März 2012 aufzuheben und die Beklage unter Änderung des Bescheids vom 28. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juni 2011 zu verurteilen, die von ihr in Polen zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten nach Maßgabe des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung vom 9. Oktober 1975 vorzumerken.

9

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

10

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ergänzend trägt sie vor, ausländerrechtliche Duldungen beseitigten weder die Ausreisepflicht noch deren Vollziehbarkeit, weshalb ein rechtmäßiger Aufenthalt nicht erreicht werde. Wegen des nur vorübergehenden Stopps der Abschiebung und der zeitlichen Beschränkung bei vorübergehenden Abschiebungshindernissen lasse sich die Prognose eines Daueraufenthalts in Deutschland nicht treffen.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet.

12

Zu Recht haben die Vorinstanzen die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1, § 56 SGG) abgewiesen und entschieden, dass die Beklagte die von der Klägerin erstrebten rechtlichen Feststellungen nicht treffen muss. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Vormerkung (§ 149 Abs 5 S 1 SGB VI) der von ihr Polen zurückgelegten Versicherungszeiten vom 4.10.1974 bis 28.2.1976, vom 10.4.1976 bis 27.11.1978 und vom 7.3.1979 bis 31.5.1990 in der deutschen Rentenversicherung nach Maßgabe des Abk Polen RV/UV vom 9.10.1975 (BGBl II 1976, 396).

13

1. Das noch vom Eingliederungs- bzw Integrationsprinzip (vgl hierzu BSG vom 25.3.1998 - B 5 RJ 22/96 R - Juris RdNr 18; BSG vom 29.9.1998 - B 4 RA 91/97 R - Juris RdNr 14) getragene Abk Polen RV/UV ist durch (Zustimmungs-)Gesetz vom 12.3.1976 (BGBl II 393) in das innerstaatliche Recht transformiert und am 1.5.1976 in Kraft getreten (BGBl II 463).

14

Nach Art 2 Abs 1 des Gesetzes zu dem Abk Polen RV/UV sind Zeiten, die nach dem polnischen Recht der Rentenversicherung zu berücksichtigen sind, gemäß Art 4 Abs 2 Abk Polen RV/UV in demselben zeitlichen Umfang in der deutschen Rentenversicherung in entsprechender Anwendung des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) zu berücksichtigen, solange der Berechtigte im Geltungsbereich dieses Gesetzes "wohnt". Gemäß § 15 Abs 1 S 1 FRG stehen Beitragszeiten, die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherungen zurückgelegt sind, den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich(vgl § 55 Abs 1 S 2 SGB VI).

15

a) Das Abk Polen RV/UV wurde durch das spätere Abk Polen SozSich vom 8.12.1990 (BGBl II 1991, 743), das durch das (Zustimmungs-)Gesetz vom 18.6.1991 (BGBl II 741, geändert durch Art 2 Nr 10 des Gesetzes zur Umsetzung von Abkommen über Soziale Sicherheit und zur Änderung verschiedener Zustimmungsgesetze vom 27.4.2002, BGBl I 1464) in innerstaatliches Recht transformiert worden und am 1.10.1991 in Kraft getreten ist (BGBl II 1072), nicht ausnahmslos verdrängt bzw ersetzt. Denn nach den Übergangs- und Schlussbestimmungen des Abk Polen SozSich ist das Abk Polen RV/UV unter den Voraussetzungen des Art 27 Abs 2 bis 4 Abk Polen SozSich weiterhin anwendbar.

16

b) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der mit Wirkung vom 1.5.2010 in Kraft getretenen EGV 883/2004 vom 29.4.2004 (ABl Nr L 166 vom 30.4.2004, zuletzt geändert durch EUV 517/2013 vom 13.5.2013, ABl Nr L 158 vom 10.6.2013).

17

Nach Art 8 Abs 1 S 1 EGV 883/2004 ist diese Verordnung im Rahmen ihres Geltungsbereichs zwar an die Stelle aller zwischen den Mitgliedstaaten geltenden Abkommen über die soziale Sicherheit getreten. Dies betrifft auch die entsprechenden Vereinbarungen zwischen Deutschland und Polen - also auch das Abk Polen SozSich und das Abk Polen RV/UV. Einzelne Bestimmungen von Abkommen über soziale Sicherheit, die wie das Abk Polen RV/UV von den Mitgliedstaaten vor dem Beginn der Anwendung der EGV 883/2004 geschlossen wurden, gelten nach Art 8 Abs 1 S 2 EGV 883/2004 jedoch fort, sofern sie für die Berechtigten günstiger sind oder sich aus besonderen historischen Umständen ergeben und ihre Geltung zeitlich begrenzt ist. Um weiterhin Anwendung zu finden, müssen diese Bestimmungen ferner in Anhang II aufgeführt sein (Art 8 Abs 1 S 3 EGV 883/2004).

18

Die formelle Voraussetzung der Fortgeltung des Abk Polen RV/UV sind erfüllt. In Anhang II der EGV 883/2004 ist unter der Überschrift "Bestimmungen von Abkommen, die weiter in Kraft bleiben und gegebenenfalls auf die Personen beschränkt sind, für die diese Bestimmungen gelten (Artikel 8 Absatz 1)" im Abschnitt "Deutschland - Polen" unter Buchst a das "Abkommen vom 9. Oktober 1975 über Renten- und Unfallversicherung, unter den in Artikel 27 Absätze 2 bis 4 des Abkommens über soziale Sicherheit vom 8. Dezember 1990 festgelegten Bedingungen (Beibehaltung des Rechtsstatus auf der Grundlage des Abkommens von 1975 der Personen, die vor dem 1. Januar 1991 ihren Wohnsitz auf dem Hoheitsgebiet Deutschlands oder Polens genommen hatten und weiterhin dort ansässig sind)" aufgeführt.

19

Auch die materiellen Voraussetzungen für die Fortgeltung des Abk Polen RV/UV sind gegeben. Es sind lediglich "einzelne Bestimmungen von Abkommen über soziale Sicherheit" betroffen, auch wenn Anhang II die Fortgeltung des gesamten Abk Polen RV/UV anordnet. Denn dieses Vertragswerk stellt kein umfassendes Abkommen über soziale Sicherheit iS des Art 8 EGV 883/2004 dar, sondern beschränkt sich auf Regelungen zur RV und UV (Senatsurteil vom 10.7.2012 - BSGE 111, 184 = SozR 4-5075 § 1 Nr 9, RdNr 34).

20

Ob die weitere Anwendung der Bestimmungen des Abk Polen RV/UV für den in Anhang II (Abschnitt Deutschland - Polen) der EGV 883/2004 benannten Personenkreis bzw für die Klägerin insgesamt günstiger wäre als der Bezug zeitanteiliger Leistungen aus der deutschen und polnischen RV nach den Regeln der Art 50 ff EGV 883/2004, hat das LSG zwar nicht festgestellt. Dies dürfte aber bei nach langjähriger Berufstätigkeit in Polen nach Deutschland übergesiedelten Personen regelmäßig der Fall sein. Weitere Sachaufklärung hierzu ist jedoch entbehrlich, da jedenfalls die zweite Alternative des Art 8 Abs 1 S 2 EGV 883/2004 erfüllt ist. Denn die Fortgeltung des Abk Polen RV/UV für diejenigen vor dem 1.1.1991 Eingereisten, die (spätestens) bis zum 30.6.1991 ihren "Wohnort" in Deutschland oder Polen hatten und auch weiterhin dort ansässig sind, beruht auf den besonderen historischen Umständen, die Deutschland und Polen veranlasst haben, zur Bewältigung der als Folge des Zweiten Weltkriegs entstandenen Lage im Jahr 1975 hinsichtlich der rentenrechtlichen Ansprüche der in Deutschland oder Polen lebenden Bürger das Eingliederungsprinzip zugrunde zu legen und auch nach den Umwälzungen im Jahr 1990 für die genannte Personengruppe beizubehalten (Senatsurteil vom 10.7.2012 - BSGE 111, 184 = SozR 4-5075 § 1 Nr 9, RdNr 35).

21

Die Fortgeltung des Abk Polen RV/UV ist schließlich "zeitlich begrenzt", da dessen Bestimmungen an Stelle der europarechtlichen Koordinierungsregelungen nur so lange Anwendung finden, wie die davon betroffenen Personen ihren bisherigen Wohnort in Deutschland oder Polen beibehalten. Sobald diese von der Freizügigkeit Gebrauch machen und ihren Wohnort in ein anderes Land verlegen, werden die allgemeinen Regelungen des Leistungsexports auch für sie wirksam (Senatsurteil vom 10.7.2012 - BSGE 111, 184 = SozR 4-5075 § 1 Nr 9, RdNr 36; Schuler, Anm zum Urteil des EuGH vom 18.12.2007 , ZESAR 2009, 40, 44).

22

Die im Sekundärrecht (Art 8 Abs 1 iVm Anhang II EGV 883/2004) für eine bestimmte Personengruppe verankerte Weitergeltung des Abk Polen RV/UV ist auch mit den im europäischen Vertragsrecht allen Unionsbürgern garantierten Grundfreiheiten (vgl Art 20 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV), insbesondere der Freizügigkeit (Art 20 Abs 2 S 2 Buchst a iVm Art 21 AEUV, s auch Art 45 iVm Art 52 Abs 2 Charta der Grundrechte der EU ), vereinbar (hierzu ausführlich Senatsurteil vom 10.7.2012 - BSGE 111, 184 = SozR 4-5075 § 1 Nr 9, RdNr 37 ff; zu diesem Prüfungsschritt im Allgemeinen EuGH vom 18.12.2007 - C 396/05 ua - - SozR 4-6035 Art 42 Nr 2, RdNr 74 ff; EuGH vom 16.5.2013 - C 589/10 - - ZESAR 2013, 456, 460 zu Art 45 AEUV).

23

2. Nach Art 27 Abs 2 S 1 Abk Polen SozSich werden die vor dem 1.1.1990 aufgrund des Abk Polen RV/UV von Personen in einem Vertragsstaat erworbenen Ansprüche durch das Abk Polen SozSich nicht berührt, solange diese Personen auch nach dem 31.12.1990 ihren Wohnort im Hoheitsgebiet dieses Vertragsstaats beibehalten. Gemäß Art 27 Abs 3 Abk Polen SozSich erwerben Ansprüche und Anwartschaften nach dem Abk Polen RV/UV auch Personen, die vor dem 1.1.1991 in den anderen Vertragsstaat eingereist sind, bis zu diesem Zeitpunkt die Verlegung des Wohnortes in den anderen Vertragsstaat beantragt haben und sich dort seitdem ununterbrochen aufhalten (in diesem Sinne ist auch der Klammerzusatz "Beibehaltung des Rechtsstatus auf der Grundlage des Abkommens von 1975 der Personen, die vor dem 1. Januar 1991 ihren Wohnsitz auf dem Hoheitsgebiet Deutschlands oder Polens genommen hatten und weiterhin dort ansässig sind" im Anhang II der EGV 883/2004, Abschnitt "Deutschland - Polen" unter Buchst a zu verstehen). Weitere Voraussetzung ist jedoch, dass sie im Zeitpunkt des Versicherungsfalls, spätestens vom 30.6.1991 an, in diesem Vertragsstaat auch "wohnen" (zur Abgrenzung von Abs 2 und Abs 3 des Art 27 Abk Polen SozSich s Senatsurteil vom 4.11.1998 - B 13 RJ 9/98 R - Juris RdNr 31).

24

Damit kommt es für die weitere Anwendbarkeit des Abk Polen RV/UV entscheidend darauf an, ob die Klägerin spätestens seit 30.6.1991 ununterbrochen in der Bundesrepublik Deutschland "wohnt". Dies ist nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit für den Senat bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 163 SGG) nicht der Fall.

25

a) Für die Begriffe "Wohnort" und "wohnen" in Art 27 Abs 2 und 3 Abk Polen SozSich ist die Definition des Abk Polen RV/UV maßgeblich (BSG vom 9.5.1995 - 8 RKn 2/94 - Juris RdNr 13; Senatsurteile vom 9.8.1995 - SozR 3-1200 § 30 Nr 15 S 31 f und vom 4.11.1998 - B 13 RJ 9/98 R - Juris RdNr 32 f; stRspr). Nach Art 1 Nr 2 Spiegelstrich 1 Abk Polen RV/UV versteht man hierunter - für die Bundesrepublik Deutschland - "den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts oder sich gewöhnlich aufhalten". Art 1a des Zustimmungsgesetzes zu dem Abk Polen RV/UV vom 12.3.1976, der durch das Rentenreformgesetz 1992 (RRG 1992) vom 18.12.1989 (BGBl I 2261) zum 1.7.1990 eingefügt worden ist (Art 20 Nr 1, 85 Abs 6 RRG 1992), konkretisiert dies mit der Bestimmung, dass einen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Sinne nur hat, wer sich dort unbefristet rechtmäßig aufhält (vgl auch Art 1 Nr 10 Abk Polen SozSich).

26

Da das Abk Polen RV/UV selbst die Begriffe "Wohnort" und "wohnen" - über die soeben beschriebenen allgemeinen Definitionen hinaus - nicht näher bestimmt, ist wegen des ausdrücklichen Bezugs auf die Bundesrepublik Deutschland davon auszugehen, dass auf den betreffenden innerstaatlichen (deutschen) Rechtsbegriff des gewöhnlichen Aufenthalts verwiesen werden sollte, wie er für die gesetzliche Rentenversicherung als Teil des SGB in § 30 Abs 3 S 2 SGB I bestimmt ist(Senatsurteile vom 9.8.1995 - SozR 3-1200 § 30 Nr 15 S 26 und vom 4.11.1998 - B 13 RJ 9/98 R - Juris RdNr 35; stRspr). Danach hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

27

Die Frage des Vorliegens eines gewöhnlichen Aufenthalts nach § 30 Abs 3 S 2 SGB I ist anhand einer dreistufigen Prüfung zu klären. Ausgangspunkt ist ein "Aufenthalt"; es sind dann die mit dem Aufenthalt verbundenen "Umstände" festzustellen; sie sind schließlich daraufhin zu würdigen, ob sie "erkennen lassen", dass der Betreffende am Aufenthaltsort oder im Aufenthaltsgebiet "nicht nur vorübergehend verweilt" (vgl BSG vom 25.6.1987 - BSGE 62, 67, 68 f = SozR 7833 § 1 Nr 1 S 2; Senatsurteil vom 31.10.2012 - BSGE 112, 116 = SozR 4-1200 § 30 Nr 6, RdNr 24).

28

Ob jemand sich gewöhnlich an einem Ort oder in einem Gebiet aufhält oder nur vorübergehend dort verweilt, lässt sich nur im Wege einer vorausschauenden Betrachtungsweise (Prognose) entscheiden (BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 97 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 183; BSG vom 17.5.1989 - BSGE 65, 84, 86 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 17; Senatsurteil vom 31.10.2012 - BSGE 112, 116 = SozR 4-1200 § 30 Nr 6, RdNr 25). Dabei sind alle bei Prognosestellung für die Beurteilung der künftigen Entwicklung erkennbaren Umstände zu berücksichtigen. Ist nach der Prognose davon auszugehen, dass die betreffende Person zukunftsoffen "bis auf weiteres" an dem Ort oder in dem Gebiet verweilen wird, so hat sie dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt, wobei kein dauerhafter (unbegrenzter) Aufenthalt erforderlich ist (vgl BVerwG vom 18.3.1999 - FEVS 49, 434, 436; BSG vom 9.5.1995 - 8 RKn 2/94 - Juris RdNr 17; Senatsurteil vom 31.10.2012 - BSGE 112, 116 = SozR 4-1200 § 30 Nr 6, RdNr 30). Dem vorübergehenden Aufenthalt wohnt dagegen als zeitliches Element eine Beendigung von vornherein inne (vgl BSG vom 23.2.1988 - BSGE 63, 47, 49 = SozR 5870 § 1 Nr 14 S 32; Senatsurteil vom 31.10.2012 - BSGE 112, 116 = SozR 4-1200 § 30 Nr 6, RdNr 30).

29

Die zu treffende Prognose bleibt auch dann maßgebend, wenn der "gewöhnliche Aufenthalt" rückblickend (zB - wie hier - zu einem bestimmten Stichtag) zu ermitteln ist. Spätere Entwicklungen, die bis zu dem Zeitpunkt nicht erkennbar waren, zu dem die Frage des Aufenthalts vorausschauend beurteilt werden musste, können eine Prognose weder bestimmen noch widerlegen. Denn es gehört zum Wesen der Prognose, dass aufgrund feststehender Tatsachen Schlussfolgerungen für eine künftige, ungewisse Entwicklung gezogen werden. Dem würde es widersprechen, wollte man bei der späteren Überprüfung der Prognoseentscheidung auch zwischenzeitlich bekannt gewordene Fakten zugrunde legen (BSG vom 17.5.1989 - BSGE 65, 84, 89 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 20; BSG vom 11.5.2000 - SozR 3-4100 § 36 Nr 5 S 14). Es ist daher nicht rechtserheblich, dass bei späterer rückschauender Betrachtung eine andere prognostische Beurteilung gerechtfertigt sein könnte. Wenn Änderungen eintreten, kann der gewöhnliche Aufenthalt an dem Ort oder in dem Gebiet nur vom Zeitpunkt der Änderung an begründet werden oder entfallen (vgl BSG vom 23.2.1988 - BSGE 63, 47, 49 = SozR 5870 § 1 Nr 14 S 33; BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 97 f = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 183 f; BSG vom 17.5.1989 - BSGE 65, 84, 86, 89 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 17, 20; Senatsurteil vom 31.10.2012 - BSGE 112, 116 = SozR 4-1200 § 30 Nr 6, RdNr 26).

30

Die Prognose hat alle mit dem Aufenthalt verbundenen Umstände zu berücksichtigen (BSG vom 25.6.1987 - BSGE 62, 67, 69 = SozR 7833 § 1 Nr 1 S 2; Senatsurteil vom 31.10.2012 - BSGE 112, 116 = SozR 4-1200 § 30 Nr 6, RdNr 32); dies können subjektive wie objektive, tatsächliche wie rechtliche sein. Es kann demnach nicht allein auf den Willen des Betroffenen ankommen, einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen (sog Domizilwille; BSG vom 9.5.1995 - 8 RKn 2/94 - Juris RdNr 17); dies gilt insbesondere dann, wenn er nicht mit den tatsächlichen objektiven Umständen übereinstimmt (vgl BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 97 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 183).

31

Bei Ausländern ist im Rahmen der Gesamtwürdigung als ein rechtlicher Gesichtspunkt deren Aufenthaltsposition heranzuziehen (exemplarisch Senatsurteil vom 9.8.1995 - SozR 3-1200 § 30 Nr 15 S 30; stRspr), ohne dass diese aber allein Grundlage einer Prognose über die Dauer des Aufenthalts sein kann (vgl BVerfG vom 6.7.2004 - BVerfGE 111, 176, 185; BVerfG vom 10.7.2012 - BVerfGE 132, 72, RdNr 28). Zu den Tatsachen, die bei der Prognose im Rahmen des § 30 Abs 3 S 2 SGB I zu berücksichtigen sind, gehören auch Rechtshindernisse, die einer Abschiebung eines Ausländers entgegenstehen(vgl BSG vom 17.5.1989 - BSGE 65, 84, 87 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 18).

32

Dabei wird die Aufenthaltsposition wesentlich durch den Inhalt der von der Ausländerbehörde erteilten Bescheinigungen bestimmt, wie er sich nach der behördlichen Praxis und der gegebenen Rechtslage darstellt (BSG vom 18.2.1998 - BSGE 82, 23, 26 = SozR 3-2600 § 56 Nr 11 S 52; Senatsurteil vom 4.11.1998 - B 13 RJ 9/98 R - Juris RdNr 39). Der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts eines Ausländers stehen grundsätzlich keine Hindernisse entgegen, soweit keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen getroffen oder zu erwarten sind. Davon ist ua auszugehen, wenn der Betreffende aufgrund besonderer ausländer- bzw aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen oder behördlicher Praxis auch bei endgültiger Ablehnung eines Antrags auf ein dauerhaftes Bleiberecht (zB Asyl) nicht mit einer Abschiebung zu rechnen braucht (vgl BSG vom 23.2.1988 - BSGE 63, 47, 50 = SozR 5870 § 1 Nr 14 S 34; Senatsurteil vom 4.11.1998 aaO). Hierbei kann auch die familiäre Situation, etwa der Aufenthaltsstatus eines Ehegatten, eine Rolle spielen (vgl BSG vom 17.5.1989 - BSGE 65, 84, 88 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 19).

33

Das Stellen einer Prognose ist die Feststellung einer hypothetischen Tatsache (BSG vom 7.4.1987 - SozR 4100 § 44 Nr 47 S 115; BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 98 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 184; BSG vom 17.5.1989 - BSGE 65, 84, 86 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 18; Senatsurteil vom 31.10.2012 - BSGE 112, 116 = SozR 4-1200 § 30 Nr 6, RdNr 27; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 9f). Es ist allein Aufgabe der Tatsachengerichte, die notwendigen Ermittlungen durchzuführen und daraus die Prognose abzuleiten. Wie bei einer sonstigen Tatsachenfeststellung entscheidet das Gericht bei einer Prognose nach freier Überzeugung.

34

Die Prognose und die für ihre Feststellung notwendigen Tatsachen gehören nicht zur Rechtsanwendung; deshalb können sie vor dem Revisionsgericht nur mit Verfahrensrügen angegriffen werden (vgl BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 98 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 184; BSG vom 17.5.1989 - BSGE 65, 84, 86 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 18; BSG vom 27.7.2011 - SozR 4-2600 § 5 Nr 6 RdNr 23; Senatsurteil vom 31.10.2012 - BSGE 112, 116 = SozR 4-1200 § 30 Nr 6, RdNr 27). Verfahrensrügen, die die Feststellung der für die vorausschauende Betrachtung - nach damaligem Erkenntnisstand bis zu dem hier maßgeblichen Stichtag - erforderlichen Tatsachen, insbesondere der die Prognosegrundlage bildenden Tatsachen, betreffen, hat die Klägerin vorliegend jedoch nicht erhoben, sodass die Feststellungen des LSG insoweit für den Senat bindend sind (§ 163 SGG).

35

Das Revisionsgericht hat jedoch auch ohne Verfahrensrüge zu prüfen, ob das LSG für seine Prognose sachgerechte Kriterien gewählt hat oder ob die Prognose auf rechtlich falschen oder unsachlichen Erwägungen beruht (in diesem Sinne Senatsurteil vom 31.10.2012 - BSGE 112, 116 = SozR 4-1200 § 30 Nr 6, RdNr 28 mwN).

36

b) Nach diesen Maßstäben ist die Sachentscheidung des LSG, dass die Klägerin bis zum hier maßgeblichen Stichtag 30.6.1991 keinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland begründet hatte, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das LSG hat aus den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und daher für den Senat bindenden Tatsachenfeststellungen rechtsfehlerfrei gefolgert, dass die Klägerin sich am 30.6.1991 noch nicht bis auf weiteres im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibens im Bundesgebiet aufgehalten hat. Unerheblich ist, dass das Berufungsgericht seine Erwägungen nicht ausdrücklich als Prognose bezeichnet, solange es - wie hier - in der Sache eine solche ohne Rechtsfehler trifft.

37

Nach den Feststellungen des LSG verfügte die Klägerin bis zum 30.6.1991 über keine Aufenthaltsgenehmigung - welcher Art auch immer - (vgl § 5 Ausländergesetz in der hier maßgeblichen Fassung des AuslG vom 9.7.1990, BGBl I 1354 ), sondern lediglich über eine befristete Duldung.

38

Die Duldung ist eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung eines Ausländers (§ 55 Abs 1 AuslG 1990; seit 1.1.2005 § 60a Abs 1 Aufenthaltsgesetz - AufenthG). Sie beseitigt weder die Ausreisepflicht (§ 56 Abs 1 AuslG 1990; seit 1.1.2005 § 60a Abs 3 AufenthG) noch deren Vollziehbarkeit. Der Aufenthalt eines Ausländers wird mit der Duldung zwar nicht rechtmäßig, jedoch entfällt mit ihr eine Strafbarkeit wegen illegalen Aufenthalts (vgl § 92 Abs 1 Nr 1 AuslG 1990; seit 1.1.2005 vgl § 95 Abs 1 Nr 2 AufenthG). Mithin erschöpft sich die Duldung in dem zeitlich befristeten Verzicht der Behörde auf die an sich gebotene Durchsetzung der Ausreisepflicht mittels Abschiebung. Nach Ablauf der Duldung ist die unverzügliche Abschiebung daher zwingend vorgeschrieben (vgl § 56 Abs 6 AuslG 1990; seit 1.1.2005 § 60a Abs 5 AufenthG). Im Hinblick auf den Zweck der Duldung, einen nur vorübergehenden Abschiebungsstopp zu regeln, ist die Geltungsdauer der Duldung zeitlich zu beschränken (vgl § 56 Abs 2 AuslG 1990; vgl seit 1.1.2005 § 60a Abs 1 AufenthG). Der Sache nach kommt eine Duldung grundsätzlich nur als Reaktion auf das Auftreten vorübergehender (tatsächlicher oder rechtlicher) Abschiebungshindernisse in Betracht (vgl § 55 Abs 2 bis 4 AuslG; seit 1.1.2005 vgl § 60a Abs 1 und 2 AufenthG); sie wird gewährt, solange die Abschiebung unmöglich ist (vgl zum Ganzen: BSG vom 1.9.1999 - BSGE 84, 253, 256 = SozR 3-3870 § 1 Nr 1 S 4 zur Duldung nach § 55 AuslG 1990; BSG vom 3.12.2009 - BSGE 105, 70 = SozR 4-7833 § 1 Nr 10, RdNr 46 bis 48; BSG vom 29.4.2010 - BSGE 106, 101 = SozR 4-3250 § 2 Nr 2, RdNr 39 zur Duldung nach § 60a AufenthG, jeweils mwN).

39

Ausgehend von dieser gesetzlichen Ausgestaltung der Duldung lässt sich für einen in Deutschland lediglich geduldeten Ausländer eine Prognose jedenfalls dahingehend, dass er sich voraussichtlich auf Dauer in Deutschland aufhalten werde, nicht treffen. Der geduldete Ausländer befindet sich vielmehr in einer Situation, in welcher er nach Ablauf der Duldung jederzeit mit einer Abschiebung rechnen muss (BSG vom 3.12.2009 - BSGE 105, 70 = SozR 4-7833 § 1 Nr 10, RdNr 49).

40

Die formale Art des Aufenthaltstitels allein reicht jedoch nicht als Grundlage einer Prognose über die Dauer des Aufenthalts in Deutschland aus (vgl BVerfG vom 6.7.2004 - BVerfGE 111, 176, 185; BVerfG vom 10.7.2012 - BVerfGE 132, 72, RdNr 28). Dies hat das LSG auch nicht verkannt. Es hat dementsprechend in seine Entscheidungsfindung auch - für die Klägerin jedoch ohne Vorteil - die bis zum hier relevanten Stichtag bestehende tatsächliche Praxis der Ausländerbehörden in Nordrhein-Westfalen mit einbezogen (vgl BSG vom 18.2.1998 - BSGE 82, 23, 26 = SozR 3-2600 § 56 Nr 11 S 52; Senatsurteil vom 4.11.1998 - B 13 RJ 9/98 R - Juris RdNr 39).

41

Das Berufungsgericht hat berücksichtigt, dass die sogenannte "Ostblockregelung" im hier maßgeblichen Zeitraum bereits aufgehoben war. Mit der "Ostblockregelung" hatte die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (Innenministerkonferenz) mit Beschluss vom 26.8.1966 idF des Beschlusses vom 26.4.1985 (veröffentlicht ua im Ministerialblatt des Landes Nordrhein-Westfalen 1985, 773 f) angeordnet, dass Staatsangehörige der Ostblockstaaten grundsätzlich nicht wegen illegaler Einreise, illegalen Aufenthalts oder Bezugs von Sozialhilfe auszuweisen und ggf abzuschieben waren. Diese Regelung hatten sie aber durch Beschluss vom 2./3.4.1987, bekanntgegeben (ua) durch Erlass des Innenministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 20.9.1987 (Ministerialblatt des Landes Nordrhein-Westfalen 1987, 1536 ff), aufgehoben. Danach galt die "Ostblockregelung" für polnische und ungarische Staatsangehörige nur noch bei einem Zuzug vor dem 1.5.1987 (vgl Vorbemerkung zu Abschnitt I und Abschnitt III Abs 2 und 6 des Erlasses des Innenministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 20.9.1987 aaO). Hieraus hat das LSG geschlossen, dass jedenfalls zum 30.6.1991 keine besondere Praxis der Ausländerbehörden in Nordrhein-Westfalen für (geduldete) Staatsangehörige aus den ehemaligen Ostblockstaaten mehr bestand, Aufenthalte auf unbestimmte Zeit zuzulassen.

42

Die aus diesen Gesamtumständen gezogene Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, dass die Aufenthaltsposition der Klägerin in Deutschland jedenfalls bis zum 30.6.1991 noch nicht so offen war, dass diese ihr wie einem Inländer einen Aufenthalt auf unbestimmte Dauer ermöglichte (vgl BSG vom 18.2.1998 - BSGE 82, 23, 25 f = SozR 3-2600 § 56 Nr 11 S 52; BSG vom 25.3.1998 - B 5 RJ 22/96 R - Juris RdNr 22), sondern vielmehr weiterhin auf Beendigung ihres Aufenthalts im Bundesgebiet angelegt war und sie damit noch keinen gewöhnlichen Aufenthalt iS des § 30 Abs 3 S 2 SGB I in D. begründet hatte, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das LSG konnte mit Blick auf die befristete Duldung und die von ihm festgestellte ausländerbehördliche Praxis davon ausgehen, dass die Klägerin noch keine "verfestigte" Rechtsposition dahingehend innehatte, dass sie auf unbestimmte Zeit und nicht nur vorübergehend im Bundesgebiet bleiben würde.

43

Ob sich an dieser Beurteilung etwas ändern könnte, wenn über mehrere Jahre hinweg die Duldung immer wieder verlängert worden ist, sich der Ausländer also faktisch seit Jahren in Deutschland aufgehalten hat und zum Stichtag eine positive Bleibeprognose dergestalt gestellt werden kann, dass der Ausländer zukunftsoffen "bis aus weiteres" an dem Ort oder in dem Gebiet verweilen wird (vgl BSG vom 23.2.1988 - BSGE 63, 47, 50 = SozR 5870 § 1 Nr 14 S 34 zu § 1 Abs 1 Nr 1 BKGG; BSG vom 1.9.1999 - BSGE 84, 253, 254 = SozR 3-3870 § 1 Nr 1 S 2 zu § 1 SchwbG; BSG vom 29.4.2010 - BSGE 106, 101 = SozR 4-3250 § 2 Nr 2, RdNr 36 ff zu § 2 Abs 2 SGB IX), kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben. Daher kann der Senat auch offenlassen, ob einer solchen Beurteilung der Begriffe "Wohnort" bzw "gewöhnlicher Aufenthalt" iS des Abk Polen RV/UV bzw Abk Polen SozSich bezogen auf einen lediglich "geduldeten" (sich aber dennoch rechtswidrig im Bundesgebiet aufhaltenden) Ausländer die Bestimmung in Art 1a des Gesetzes zu dem Abk Polen RV/UV (vgl auch Art 1 Nr 10 Abk Polen SozSich) entgegenstehen könnte, wonach einen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des Abk Polen RV/UV nur hat, "wer sich dort unbefristet rechtmäßig aufhält" (s hierzu im Einzelnen Senatsbeschluss vom 9.8.1995 - SozR 3-1200 § 30 Nr 15 S 31 ff). Denn sogenannte "Kettenduldungen" über einen Zeitraum von mehreren Jahren lagen jedenfalls bis zum 30.6.1991 bei der Klägerin nicht vor. Vielmehr hielt sich die am 7.6.1990 eingereiste Klägerin zum Stichtag "geduldet" erst ca ein Jahr in Deutschland auf. Ein Abschiebungshindernis nach § 53 AuslG 1990 hat nach den vom LSG getroffenen Feststellungen nicht bestanden.

44

Weitere wesentliche Umstände, die das Berufungsgericht bei seiner Prognose, ob sich die Klägerin bereits gewöhnlich oder nur vorübergehend im Bundesgebiet aufhielt, nicht beachtet hat, die aber bezogen auf den Stichtag zu berücksichtigen wären, sind nicht ersichtlich.

45

Dies gilt zunächst für den Hinweis der Klägerin auf eine Aufenthaltsbewilligung nach § 29 Abs 1 AuslG 1990. Danach kann dem Ehegatten eines Ausländers, der eine Aufenthaltsbewilligung besitzt, zum Zwecke des nach Art 6 GG gebotenen Schutzes von Ehe und Familie eine Aufenthaltsbewilligung für die Herstellung und Wahrung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit dem Ausländer im Bundesgebiet erteilt werden, wenn der Lebensunterhalt des Ausländers und des Ehegatten ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfe gesichert ist und ausreichender Wohnraum zur Verfügung steht. Ähnliche Vorschriften galten für die Aufenthaltserlaubnis (§ 17, § 18, § 23 AuslG 1990), die Aufenthaltsberechtigung (§ 27 Abs 4 AuslG 1990) und die Aufenthaltsbefugnis (§ 31 AuslG 1990). Hier übersieht die Klägerin jedoch bereits, dass ihr Ehemann, der ca sechs Monate vor ihr von Polen nach Deutschland eingereist war, zum hier maßgeblichen Zeitpunkt 30.6.1991 über keinen derartigen Aufenthaltstitel verfügte. Denn aus dem vom LSG ausdrücklich in Bezug genommenen Beschluss des Verwaltungsgerichts A. (8 L 1241/95) vom 6.10.1995 ergibt sich, dass weder sie noch ihr Ehemann im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung (gleich welcher Art, vgl § 5 AuslG 1990)waren (aaO, S 3).

46

Nicht anderes folgt schließlich aus der der Klägerin im April 1997 als "Härtefall" erteilten Aufenthaltsbefugnis. Diese hatte ihre Grundlage in dem Runderlass des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 10.6.1996 "Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen nach den §§ 30 und 31 Abs. 1 AuslG - Anordnung nach § 32 AuslG - Härtefallentscheidungen (Altfälle)"(Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen 1996, 1411 f), der wiederum auf einen Beschluss der Innenministerkonferenz vom 29.3.1996 (veröffentlicht ua aaO, 1412 f) zurückgeht. Diese bundeseinheitliche Regelung stellte auf einen langjährigen Aufenthalt ab; im Beschlussjahr 1996 erfasste sie ua nur solche Familien von abgelehnten Vertriebenenbewerbern, die bereits vor dem 1.7.1990 eingereist waren (vgl III 1 des Beschlusses der Innenministerkonferenz vom 29.3.1996 aaO, 1412). Für die rechtliche Beurteilung eines gewöhnlichen Aufenthalts der Klägerin bis zum 30.6.1991 ist sie von vornherein unergiebig. Denn jedenfalls bis zu diesem, hier allein maßgeblichen Zeitpunkt lag bei ihr gerade noch kein "Altfall" im Sinne eines mehrjährigen Verweilens im Bundesgebiet vor. Nachträgliche Entwicklungen können eine zu einem bestimmten Stichtag getroffene Prognose, ob der Aufenthalt nur vorübergehend oder bereits gewöhnlich ist, nicht widerlegen.

47

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Die Vorschriften dieses Gesetzbuchs gelten für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben.

(2) Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts bleiben unberührt.

(3) Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 18. September 2013 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 14 211,29 Euro festgesetzt.

I

Tatbestand

1

Im Streit ist die Erstattung von Kosten für eine stationäre Maßnahme der Sozialhilfe für die Zeit vom 25.3.2010 bis 28.2.2011, die der Landkreis L.-W. (L) für den Hilfeempfänger D. B. (B) erbracht hat.

2

Der 1986 geborene B lebte bis zum 20.3.2010 in Be. (R.-P.) im elterlichen Haushalt. Nachdem ihn seine Mutter der Wohnung verwiesen hatte, hielt er sich zunächst bis 22.3.2010 bei einem Bekannten - ebenfalls in R.-P. auf. Vom 22. bis 24.3.2010 übernachtete er in der "Herberge" des W.-A.-Hauses in Li. (H.), die Übernachtungsmöglichkeiten für wohnsitzlose Menschen anbietet. Diese Tage nutzte er, um sich Klarheit darüber zu verschaffen, ob er in das W:-A.-Haus selbst (stationär) aufgenommen werden wolle; diese Aufnahme erfolgte dann am 25.3.2010. L übernahm vorläufig die Kosten hierfür (Bescheide vom 30.6.2010 und 28.10.2010). Der Beklagte lehnte die geltend gemachte Kostenerstattung mit der Begründung ab, B habe in der Herberge einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet, sodass L selbst der zuständige Sozialhilfeträger sei (Schreiben vom 7.12.2010).

3

Die auf Erstattung von 14 211,29 Euro an sich gerichtete Klage, erhoben vom Landeswohlfahrtsverband H. während des Berufungsverfahrens wurde durch L eine Vollmacht zur Durchführung des Gerichtsverfahrens erteilt -, hatte in beiden Instanzen Erfolg (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 30.10.2012; Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 18.9.2013). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, B habe seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt vor der stationären Aufnahme bei seinen Eltern in Be. gehabt; weder bei seinem Bekannten noch während des kurzfristigen Aufenthalts in der Herberge habe er einen anderen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Insbesondere habe B am 22.3.2010 noch nicht die Entscheidung getroffen, dauerhaft in Li. zu bleiben. Aber selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, ergäbe sich für die Frage der Zuständigkeit nichts anderes. Denn der Schutz der Einrichtungsorte, den § 98 Abs 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) iVm § 109 SGB XII vermittle, müsse sich auf der eigentlichen Aufnahme vorgelagerte kurze Aufenthalte am Einrichtungsort, also auch auf die - wie hier - einer Einrichtung angeschlossene Herberge, erstrecken, sodass dort von vornherein kein gewöhnlicher Aufenthalt habe begründet werden können.

4

Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 30 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I) sowie des § 109 SGB XII. Das LSG habe zu Unrecht angenommen, am 22.3.2010 sei der Verbleib des B in Li. noch nicht sicher gewesen; allein die Möglichkeit, dass er an einen anderen Ort hätte weiterziehen können, stehe ohnedies der rechtlichen Wertung eines zukunftsoffenen Verbleibs und damit der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts nicht entgegen. Es bestehe auch nicht die Notwendigkeit, den Schutz des § 109 SGB XII auf zeitlich der Aufnahme vorgelagerte Aufenthalte zu erstrecken.

5

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG und den Gerichtsbescheid des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält die Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz).

9

Gegenstand des Verfahrens ist die Erstattung von Aufwendungen in Höhe von 14 211,29 Euro, die L in der Zeit vom 25.3.2010 bis 28.2.2011 für B vorläufig erbracht haben soll und deren Erstattung der Kläger in Form einer eigennützigen gewillkürten Prozessstandschaft mit der allgemeinen Leistungsklage (§ 54 SGG)durch Zahlung an sich verlangt. Insoweit ist die Klage jedenfalls mit der durch L im Berufungsverfahren erteilten Ermächtigung zulässig geworden. Anders als das LSG meint, war und ist L vom Kläger als überörtlichem Träger der Sozialhilfe (§ 100 Abs 1 Nr 5 Bundessozialhilfegesetz, § 99 BSHG iVm § 2 Hessisches Ausführungsgesetz zum Bundessozialhilfegesetz - Gesetz und Verordnungsblatt 642) Herangezogener (§ 96 Abs 1 Satz 2 BSHG iVm § 5 HAG/BSHG; Heranziehungen von örtlichen Trägern der Sozialhilfe zur Durchführung von Aufgaben nach § 5 Abs 1 HAG/BSHG, die wie hier am 31.12.2004 Geltung hatten, gelten fort, vgl § 13 Abs 2 Satz 1 Hessisches Ausführungsgesetz zum SGB XII vom 20.12.2004 - GVBl 488 -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 10.12.2013 - GVBl 675) für die Gewährung von Hilfen in besonderen Lebenslagen im eigenen Namen (vgl insoweit auch § 1 Abs 1 Nr 3 des Delegationsbeschlusses des Verwaltungsausschusses des Landeswohlfahrtsverbandes H. über die Heranziehung der örtlichen Träger der Sozialhilfe zur Durchführung von Aufgaben des überörtlichen Sozialhilfeträgers vom 24.9.1993 idF des Änderungsbeschlusses vom 25.10.2001) für das Leistungs- und Erstattungsverfahren wahrnehmungszuständig; daran hat sich auch durch die Einführung des SGB XII nichts geändert (§ 97 Abs 1 und Abs 3 Nr 3 SGB XII iVm § 2 HAG/SGB XII vom 20.12.2004 - GVBl 488 -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 10.12.2013 - GVBl 675). L wäre eigentlich selbst zur Prozessführung berechtigt (und verpflichtet) gewesen.

10

Doch hat L diese Befugnis prozessual wirksam dem Kläger übertragen (gewillkürte Prozessstandschaft; zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen vgl nur Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, ZPO, 72. Aufl 2014, Grdz § 50 RdNr 29 f; Zöller, ZPO, 30. Aufl 2014, vor § 50 RdNr 42 ff, insbesondere RdNr 49) und diesem unter Berücksichtigung des Inhalts der Erklärung auch das Recht eingeräumt, Zahlung an sich selbst zu verlangen (vgl dazu nur BGH, Urteil vom 7.6.2001 - I ZR 49/99). Wegen der besonderen Konstellation der Heranziehung, in der der Kläger für diese Leistung originär zuständig war und trotz der Heranziehung auch geblieben ist, hat der Kläger naturgemäß ein eigenes berechtigtes Interesse an der Prozessführung (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, aaO, RdNr 30). Zur Auslegung der vorgenannten, an sich nicht revisiblen (§ 162 SGG) landesrechtlichen Regelungen war der Senat befugt, weil das LSG insoweit keine eigenen Feststellungen getroffen hat (vgl zu dieser Voraussetzung: BSGE 94, 38, 43 = SozR 4-2700 § 182 Nr 1; BSGE 96, 64, 67 f = SozR 4-4300 § 143a Nr 1). Es hat bei seinen Ausführungen zur Zuständigkeit vielmehr lediglich auf § 1 Abs 2 des Delegationsbeschlusses abgestellt; die eigentlich maßgeblichen landes- und bundesrechtlichen Regelungen zur Zuständigkeit hat es jedoch nicht ermittelt bzw ausgelegt.

11

Sonstige von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensmängel liegen nicht vor. Insbesondere war eine Beiladung des B in den Fällen des § 106 SGB XII, der hier als Anspruchsnorm allein in Betracht kommt, nicht erforderlich; weil die Rechtsstellung des B durch das vorliegende Verfahren nicht berührt wird (vgl zuletzt Senatsentscheidung vom 13.2.2014 - B 8 SO 11/12 R -, SozR 4-3500 § 106 Nr 1 RdNr 14 mwN). Von einer Beiladung des L wiederum konnte hier schon deshalb abgesehen werden, weil L kein eigenes rechtliches Interesse an der Geltendmachung der Forderung (mehr) hat; der Kläger hat ihm die aufgewendeten Kosten bereits erstattet.

12

Ob der Kläger gemäß § 106 Abs 1 iVm § 98 Abs 2 Satz 3 SGB XII die Erstattung der Aufwendungen des L vom Beklagten verlangen kann, kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Es ist schon nicht beurteilbar, ob sich ein Zahlungsanspruch überhaupt gegen den Beklagten richten kann, weil es an der Prüfung der sachlichen Zuständigkeit des Beklagten nach Landesrecht fehlt, die dem Senat nicht möglich ist. Denn sollte es sich bei der Leistung ab 25.3.2010 um eine solche nach § 67 SGB XII gehandelt haben, wäre eine Zuständigkeit des Landes R.-P. als überörtlichem Sozialhilfeträger statt des örtlichen nur denkbar, wenn die Leistungserbringung an B in einer stationären Einrichtung erforderlich gewesen wäre (vgl § 2 Abs 2 Nr 5 Landesgesetz zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 22.12.2004 - GVBl R.-P. 571). Dazu fehlen jedoch jegliche Feststellungen des LSG.

13

Es fehlen jedoch auch weitere tatsächliche Feststellungen. Nach § 106 Abs 1 SGB XII hat der nach § 98 Abs 2 Satz 1 SGB XII für die Hilfegewährung (örtlich) zuständige Träger dem nach § 98 Abs 2 Satz 3 SGB XII vorläufig leistenden Träger die aufgewendeten Kosten zu erstatten. L hat nach § 98 Abs 2 Satz 3 SGB XII zu Recht vorläufig Leistungen an B erbracht. Steht innerhalb von vier Wochen nicht fest, wo der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Leistungsberechtigten im Zeitpunkt der Aufnahme in eine Einrichtung war, ist nach § 98 Abs 2 Satz 3 SGB XII nämlich der nach § 98 Abs 1 SGB XII für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständige Leistungsträger - hier L - örtlich zuständig, um eine möglichst schnelle Deckung des geltend gemachten Bedarfs unabhängig von Zuständigkeitsfragen sicherzustellen. Diese dem Schutz des Hilfebedürftigen dienende Zuständigkeitsregelung greift nicht nur bei Unklarheiten im Tatsächlichen, sondern gilt nach ihrem Sinn und Zweck gleichermaßen, wenn - wie hier - zwischen zwei Leistungsträgern unterschiedliche Rechtsansichten darüber bestehen, wo der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Hilfebedürftigen liegt und deshalb keine Einigung über die örtliche Zuständigkeit erzielt werden kann (vgl BT-Drucks 12/4401, S 84 zur Vorgängerregelung des § 97 Abs 2 Satz 3 BSHG).

14

Ob der Beklagte bzw der örtliche Träger der Sozialhilfe (siehe oben) jedoch der nach § 98 Abs 2 Satz 1 SGB XII eigentlich zuständige Träger ist, weil B seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt vor der Aufnahme in die Einrichtung in R.-P. bei seiner Mutter, damit in seinem Zuständigkeitsbereich, hatte, kann nicht abschließend beurteilt werden.

15

Nach § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I hat eine Person den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo sie sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass sie an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Für die Feststellung des Vorliegens eines gewöhnlichen Aufenthalts sind die mit dem Aufenthalt verbundenen Umstände des Einzelfalls festzustellen; im Rahmen einer vorausschauenden Betrachtung (Prognoseentscheidung) unter Berücksichtigung aller für die Beurteilung der künftigen Entwicklung im Zeitpunkt des Eintreffens am maßgeblichen Ort erkennbaren Umstände zu würdigen und als hypothetische Tatsache festzustellen (BSGE 112, 116 ff RdNr 25 = SozR 4-1200 § 30 Nr 6; BSGE 65, 84, 86 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 17; BSGE 63, 93, 97 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 183), und zwar auch dann, wenn wie hier der gewöhnliche Aufenthalt rückblickend zu ermitteln ist. Dies ist Aufgabe der Tatsachengerichte und für den Senat bindend, solange nicht durchgreifende Verfahrensrügen (dazu BSGE 94, 133 ff RdNr 16 = SozR 4-3200 § 81 Nr 2) dagegen erhoben werden.

16

Dass das LSG eine Prognose getroffen hat, ist für den Senat nicht erkennbar. Die vom LSG festgestellten Umstände, warum B in die Herberge kam und wie er die Tage dort nutzte, haben nach den aufgezeigten Maßstäben keine selbständige materiellrechtliche Bedeutung; denn sie können nur neben weiteren objektiven Umständen die Grundlage der einheitlichen Prognoseentscheidung bilden. Das LSG hat zukunftsgerichtet lediglich die subjektive Tatsache festgestellt, dass B im Zeitpunkt des Eintreffens in der Herberge noch nicht den Willen hatte, dauerhaft in Li. zu verbleiben. Ebenso sei denkbar gewesen, dass er weiterziehe; er habe sich daher "zukunftsoffen" in L aufgehalten.

17

Die Formulierung "zukunftsoffen" ist jedoch nur der Gebrauch eines Rechtsbegriffs. Sie genügt damit nicht den Anforderungen einer (hypothetischen) Tatsachenfeststellung im Sinne der erforderlichen Prognose, die eine Würdigung nicht nur des Willens von B, sondern aller Umstände verlangt. Nach der Formulierung des LSG hat dieses die Zukunftsoffenheit rechtlich unzutreffend lediglich mit der subjektiven Vorstellung des B verknüpft, nicht aber eine eigene Einschätzung vorgenommen, ob trotz dessen subjektiver Offenheit unter Berücksichtigung weiterer Umstände nicht doch mit einem Verbleib in Li. zu rechnen war. Besonders deutlich wird dies auch daran, dass das LSG zu einer anderen rechtlichen Würdigung des Verbleibs unter dem Gesichtspunkt der Zukunftsoffenheit gelangt, indem es B mit einem wohnsitzlosen Menschen gleichstellt und für diesen Personenkreis zu Unrecht abweichende Kriterien für die Prognose aufstellt.

18

Wäre mit einem Verbleib in Li. zu rechnen gewesen, hätte B in der Herberge und damit im Zuständigkeitsbereich des L einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. § 109 SGB XII fände keine Anwendung. Danach gilt als gewöhnlicher Aufenthalt ua nicht der Aufenthalt in einer Einrichtung iS des § 98 Abs 2 SGB XII. Der Rechtsgedanke des § 109 SGB XII gebietet eine Vorverlagerung dieses Schutzes auf einen Aufenthalt in der einer Einrichtung angeschlossenen Herberge nur unter der Voraussetzung, dass eine Person schon mit dem sicheren Wissen, in eine Einrichtung aufgenommen zu werden, den Ort der Einrichtung aufsucht und deshalb nur eine vorübergehende Zeit außerhalb der Einrichtung bis zur Aufnahme überbrücken muss(so bereits BVerwGE 42, 196 f). Die Absicht des Eintretens in die Einrichtung muss mithin der Grund für die Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts an den Ort der Einrichtung sein, was nach den Feststellungen des LSG bei B gerade nicht der Fall war. Demgemäß hat das LSG die Anwendung des § 109 SGB XII auch nur für den Fall bejaht, dass man entgegen seiner tatsächlichen Feststellungen von einer Entschlossenheit des B zum Wechsel in die Einrichtung ausgehen würde.

19

Sollte das LSG hingegen zum Schluss kommen, B habe sich nur vorübergehend in L aufgehalten, dort also keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet, wäre weiter zu prüfen, ob die dem B von L erbrachten Leistungen dem Grund und der Höhe nach rechtmäßig sind (vgl nur BSGE 109, 56 ff RdNr 10 = SozR 4-3500 § 98 Nr 1). Hierzu hat das LSG lediglich ausgeführt, es sei "unstreitig", dass die Leistungserbringung an B erforderlich gewesen sei; der Erstattungsanspruch sei zudem auch seiner Höhe nach "unstreitig". Diese Ausführungen ermöglichen keine rechtliche Überprüfung durch den Senat.

20

Bei seiner erneuten Entscheidung wird das LSG ggf das Rubrum im Hinblick auf das in R.-P. geltende Behördenprinzip unter Berücksichtigung von § 1 Abs 2 Satz 2 AGSGB II R.-P. vom 22.12.2004 (GVBl 571) zu berichtigen haben.

21

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs 3 und Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG), §§ 40, 47 Abs 1 und Abs 2 GKG, § 52 Abs 3 GKG.

22

Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. August 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Neufeststellung seiner Altersrente unter Berücksichtigung von Entgeltpunkten (EP) anstelle von EP (Ost).

2

Der 1939 in Russland geborene Kläger ist als Spätaussiedler nach § 4 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) anerkannt. Er beantragte am 27.8.1991 aus Kasachstan die Aufnahme als Aussiedler in Deutschland und gab dabei an, er beabsichtige, seinen Wohnort bei Verwandten in Nordrhein-Westfalen zu nehmen. Nach der Genehmigung der Übersiedlung mit Aufnahmebescheid des Bundesverwaltungsamts vom 29.9.1993 kam der Kläger (zusammen mit seiner Ehefrau) am 19.12.1993 nach Deutschland. Er erhielt eine Zuweisung nach Brandenburg und wurde dort ab 22.12.1993 in der Landesaufnahmeeinrichtung in P. untergebracht, wo sich bereits seine im September 1993 übergesiedelte Tochter mit ihrem Ehemann aufhielt. Nach Anmeldung bei der Gemeinde meldete sich der Kläger beim Arbeitsamt Cottbus arbeitslos, bezog Eingliederungshilfe und nahm an einem viereinhalbmonatigen Sprachkurs teil. Am 15.5.1994 zog er nach Nordrhein-Westfalen.

3

Mit Bescheid vom 28.12.1999 bewilligte die Beklagte dem Kläger Altersrente ab Januar 2000 unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem FRG auf der Grundlage von 24,3578 EP (Ost) und 0,051 EP.

4

Am 31.12.2004 beantragte der Kläger die Neufeststellung seiner Rente nach § 44 SGB X ua mit der Begründung, es seien bei der Festsetzung der Rente für die FRG-Zeiten EP und keine EP (Ost) zu berücksichtigen. Er habe sich im Beitrittsgebiet weniger als sechs Monate aufgehalten und lediglich in einem "Übergangswohnheim" gelebt. Die Beklagte lehnte den Neufeststellungsantrag mit Hinweis auf Art 6 § 4 Abs 6 des Fremd- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) ab. Auch der Aufenthalt in einem "Übergangswohnheim" sei als gewöhnlicher Aufenthalt anzusehen (Bescheid vom 23.1.2008, Widerspruchsbescheid vom 3.7.2008).

5

Mit seiner Klage hat der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Neufeststellung seiner Altersrente unter Zugrundelegung von EP anstelle von EP (Ost) begehrt. Er habe in dem "Übergangswohnheim" keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Ein Verbleib in Brandenburg sei nicht beabsichtigt gewesen. Er sei bei seiner Übersiedlung nach Deutschland wegen Überbuchung seines Flugs nach Düsseldorf, wo ihn Verwandte erwartet hätten, in Frankfurt am Main angekommen und schließlich zwei Tage später in dem "Übergangswohnheim" in Brandenburg untergebracht worden. Dort hätten sich bereits seine Tochter und sein Schwiegersohn aufgehalten. Seinen Wunsch, zu den Verwandten nach Nordrhein-Westfalen zu kommen, hätten die Behörden nicht berücksichtigt. Erst nach der Teilnahme an einem viereinhalbmonatigen Sprachkurs und nachdem ihm seine Verwandten nach Erteilung einer behördlichen Umzugserlaubnis eine Wohnung besorgt hätten, habe er im Mai 1994 dorthin ziehen können.

6

Das SG hat die Beklagte durch Urteil vom 7.5.2010 ua verpflichtet, die Altersrente des Klägers unter Berücksichtigung von "EP (West)" neu festzustellen. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG die Entscheidung des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 29.8.2011). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Auf den Kläger finde Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG Anwendung. Er habe nach seiner Übersiedlung nach Deutschland bis zu seinem Umzug nach Nordrhein-Westfalen seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet gehabt. § 30 Abs 3 S 2 SGB I enthalte die für alle Bereiche des Sozialrechts gültige Bestimmung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts. Dieser sei nach den objektiv gegebenen tatsächlichen Umständen zu beurteilen. Entscheidend sei, wo der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft liege. Dauerhaft sei ein Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen sei. Der Kläger habe sich ab dem 22.12.1993 zukunftsoffen im Beitrittsgebiet aufgehalten. Zu diesem Zeitpunkt habe noch nicht festgestanden, wie lange er dort bleiben und wann er nach Nordrhein-Westfalen umziehen werde. Der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Beitrittsgebiet stehe weder die Unterkunft in einem Übergangswohnheim noch die behördliche Zuweisung nach Brandenburg entgegen. Ein Domizilwille, der mit den tatsächlichen Umständen nicht übereinstimme, sei ebenso wie die unter sechsmonatige Dauer des Aufenthalts im Beitrittsgebiet rechtlich unerheblich. § 9 Abgabenordnung (AO) begründe jedenfalls keine Regelvermutung, dass ein unter sechsmonatiger Aufenthalt nicht gewöhnlich iS des § 30 Abs 3 S 2 SGB I sei.

7

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er ist der Ansicht, das LSG habe den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts iS des § 30 Abs 3 S 2 SGB I, ohne einen Normzusammenhang mit Art 6 § 4 Abs 6 FANG herzustellen, fehlerhaft mit dem des einfachen Aufenthalts oder Verweilens gleichgesetzt. Zudem komme es entgegen der Auffassung des LSG bei einer Verweildauer von unter sechs Monaten auf den Willen des Betroffenen an, einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen. Diesen habe er aber nicht gehabt. Denn er habe zu keiner Zeit beabsichtigt oder erwartet, sich im "Übergangswohnheim" in Brandenburg längerfristig aufzuhalten. Vielmehr habe er seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet erstmals am 15.5.1994 in Nordrhein-Westfalen begründet.

8

Der Kläger beantragt sinngemäß,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. August 2011 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 7. Mai 2010 zurückzuweisen.

9

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision als unzulässig zu verwerfen,

        

hilfsweise,

        

die Revision zurückzuweisen.

10

Sie ist der Ansicht, die Revisionsbegründung setze sich nicht hinreichend mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auseinander. In der Sache führe sowohl die einheitliche Auslegung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts in § 30 Abs 3 S 2 SGB I für alle Bereiche des SGB als auch die Auslegung dieses Begriffs im Sinne der sogenannten Einfärbungslehre im Zusammenhang mit Art 6 § 4 Abs 6 FANG zu dem Ergebnis, dass der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet genommen habe. Mit dem Antrag auf Eingliederungshilfe habe der Kläger zum Ausdruck gebracht, sich im Beitrittsgebiet eingliedern zu wollen. Wenn man mit dem Kläger davon ausginge, dass er bei seinem Aufenthalt in Brandenburg noch keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet habe, könne sein damaliger Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt nur weiterhin das Herkunftsgebiet gewesen sein.

11

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 S 1 SGG).

Entscheidungsgründe

12

Die Revision des Klägers ist zulässig. Insbesondere hat er seine Revision noch hinreichend iS des § 164 Abs 2 S 3 SGG begründet. Die vom BSG in ständiger Rechtsprechung präzisierten Anforderungen (vgl zB BSG vom 16.10.2007 - SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 9 f mwN)hat der Kläger mit noch hinreichender Deutlichkeit erfüllt.

13

Die Revision ist jedoch nicht begründet.

14

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 23.1.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3.7.2008 ist rechtmäßig. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, dem Kläger unter teilweiser Rücknahme des bestandskräftigen Rentenbescheids vom 28.12.1999 eine höhere Altersrente unter Berücksichtigung von EP anstelle von EP (Ost) für die FRG-Zeiten zu zahlen.

15

1. Der geltend gemachte Rücknahmeanspruch richtet sich nach § 44 SGB X. Nach dessen Abs 1 S 1 ist ein bindend gewordener Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen für die Rücknahme des Rentenbescheids vom 28.12.1999 sind nicht erfüllt.

16

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Neufeststellung seiner Altersrente unter Zugrundelegung von EP anstelle von EP (Ost) für seine FRG-Zeiten. Denn er unterfällt als FRG-Berechtigter (§ 1 Buchst a FRG) der Regelung des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG(dazu unter 2a). Er hat nach dem 31.12.1991 (ab 1.1.2000) einen "Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem FRG" im alten Bundesgebiet erworben (dazu unter 2b), nachdem er seinen nach dem 31.12.1991 (ab 22.12.1993) im Beitrittsgebiet begründeten gewöhnlichen Aufenthalt dorthin (ab 15.5.1994) verlegt hatte (dazu unter 2c). Die Bewertung von FRG-Zeiten in Abhängigkeit von dem Ort des erstmals begründeten gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland verstößt nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen Art 3 Abs 1 GG (dazu unter 3).

17

2. Der "Monatsbetrag der Rente" ergibt sich, wenn die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen EP, der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden (§ 64 SGB VI), wobei allerdings - bis zur Herstellung einheitlicher Einkommensverhältnisse in Deutschland - zwischen EP und EP (Ost) sowie aktuellem Rentenwert und aktuellem Rentenwert (Ost) unterschieden wird (§ 254b Abs 1, § 254d Abs 1, § 255a SGB VI). Soweit - wie im vorliegenden Fall - im nichtdeutschen Herkunftsland zurückgelegte Beitragszeiten in Anwendung des FRG ebenfalls mit EP bei der Rentenfestsetzung berücksichtigt werden, hat der Gesetzgeber in Art 6 § 4 Abs 6 FANG in der seit 1.1.1992 geltenden Fassung des Renten-Überleitungsgesetzes (RÜG) vom 25.7.1991 (BGBl I 1606) folgende (Übergangs-)Regelung hinsichtlich ihrer Zuordnung zu den EP bzw EP (Ost) getroffen:

        

"Bei Berechtigten nach dem Fremdrentengesetz, die

        

a) ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet haben und dort nach dem 31. Dezember 1991 einen Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem Fremdrentengesetz erwerben,

        

b) nach dem 31. Dezember 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Beitrittsgebiet in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet verlegen und dort nach dem 31. Dezember 1991 einen Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem Fremdrentengesetz erwerben oder

        

c) nach dem 31. Dezember 1991 ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet in das Beitrittsgebiet verlegen und bereits vor Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts einen Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem Fremdrentengesetz haben,

        

werden für nach dem Fremdrentengesetz anrechenbare Zeiten Entgeltpunkte (Ost) ermittelt; im Falle von Buchstabe c gilt dies nur, sofern am 31. Dezember 1991 Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem Fremdrentengesetz nicht bestand. Dies gilt auch für die Zeiten eines weiteren Rentenbezuges aufgrund neuer Rentenfeststellungen, wenn sich die Rentenbezugszeiten ununterbrochen aneinander anschließen. Bei Berechtigten nach Satz 1 Buchstabe a und c, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Beitrittsgebiet in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet verlegen, verbleibt es für Zeiten nach dem Fremdrentengesetz bei den ermittelten Entgeltpunkten (Ost)."

18

Die Voraussetzungen des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG sind vorliegend erfüllt.

19

a) Der Kläger ist als anerkannter Spätaussiedler iS des § 4 BVFG Berechtigter nach dem FRG(§ 1 Buchst a FRG).

20

b) Er hat nach dem 31.12.1990 seinen gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Beitrittsgebiet in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet (also das alte Bundesgebiet ) verlegt und dort nach dem 31.12.1991 (nämlich ab 1.1.2000) einen "Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem FRG" erworben. Mit dieser Formulierung ist ein Zahlungsanspruch auf eine Rente nach dem SGB VI gemeint, bei deren Feststellung FRG-Zeiten zu berücksichtigen sind.Durch die Regelungen des FRG wird kein außerhalb des gesetzlichen Anspruchs auf Rente nach dem SGB VI (vgl § 33 SGB VI) beruhender besonderer Anspruch auf eine "Fremdrente" bzw "FRG-Rente" begründet (vgl BSG vom 16.11.2000 - B 4 RA 3/00 R - Juris RdNr 118; BSG vom 29.4.1997 - SozR 3-5060 Art 6 § 4 Nr 3 S 21).

21

c) Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) ist dessen Ergebnis, dass der Kläger vor seinem Umzug nach Nordrhein-Westfalen am 15.5.1994 zunächst ab 22.12.1993 seinen gewöhnlichen Aufenthalt iS des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG iVm § 30 Abs 3 S 2 SGB I in Brandenburg und damit im Beitrittsgebiet begründet hat, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat weder die gesetzlichen Voraussetzungen für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne der vorgenannten Bestimmungen verkannt noch enthält die angefochtene Entscheidung einen anderen Rechtsfehler.

22

aa) Der Rechtsbegriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" ist in § 30 Abs 3 S 2 SGB I legal definiert. Danach hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

23

Der in dieser Norm umschriebene Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts gilt grundsätzlich für alle Bücher des SGB. Dahingestellt bleiben kann, ob zur Ermittlung von dessen konkreter rechtlicher Bedeutung (ergänzend oder allein) auf den Sinn und Zweck des Gesetzes (hier also: Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG)zurückzugreifen ist, das ihn verwendet (vgl BSG vom 3.4.2001 - SozR 3-1200 § 30 Nr 21 S 45 f). Denn im vorliegenden Fall führt auch ein in diesem Sinne rentenrechtlich "eingefärbter" Begriffsinhalt des LSG zum selben Ergebnis (dazu unter cc).

24

Die Frage des Vorliegens eines gewöhnlichen Aufenthalts nach § 30 Abs 3 S 2 SGB I ist anhand einer dreistufigen Prüfung zu klären. Ausgangspunkt ist ein "Aufenthalt"; es sind dann die mit dem Aufenthalt verbundenen "Umstände" festzustellen; sie sind schließlich daraufhin zu würdigen, ob sie "erkennen lassen", dass der Betreffende am Aufenthaltsort oder im Aufenthaltsgebiet "nicht nur vorübergehend verweilt" (vgl BSG vom 25.6.1987 - BSGE 62, 67, 68 f = SozR 7833 § 1 Nr 1 S 2).

25

Ob jemand sich gewöhnlich an einem Ort oder in einem Gebiet aufhält oder nur vorübergehend dort verweilt, lässt sich nur im Wege einer vorausschauenden Betrachtungsweise (Prognose) entscheiden (BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 97 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 183; BSG vom 17.5.1989 - BSGE 65, 84, 86 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 17). Dabei sind alle bei Prognosestellung für die Beurteilung der künftigen Entwicklung erkennbaren Umstände zu berücksichtigen. Ist nach der Prognose davon auszugehen, dass die betreffende Person "bis auf weiteres" an dem Ort oder in dem Gebiet verweilen wird, so hat sie dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt.

26

Diese Prognose bleibt auch dann maßgebend, wenn der "gewöhnliche Aufenthalt", wie hier, rückblickend zu ermitteln ist. Spätere Entwicklungen, die bei Beginn des entscheidungserheblichen Zeitraums noch nicht erkennbar waren, können eine Prognose weder bestimmen noch widerlegen. Wenn Änderungen eintreten, kann der gewöhnliche Aufenthalt an dem Ort oder in dem Gebiet nur vom Zeitpunkt der Änderung an entfallen (vgl BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 97 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 183 f; BSG vom 17.5.1989 - BSGE 65, 84, 86 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 17). Diese Zukunftsgerichtetheit der Beurteilung des gewöhnlichen Aufenthalts iS des § 30 Abs 3 S 2 SGB I ist deswegen erforderlich, weil im Sozialrecht hiervon in vielfältiger Weise auch sofort zu treffende, zukunftsorientierte Entscheidungen abhängen, zB die über einen Krankenversicherungsschutz durch Familienversicherung(§ 10 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V) oder einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II (§ 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II).

27

Die Prognose (als solche) und die Feststellung der dafür erheblichen Anhaltspunkte sind dem Revisionsgericht verschlossen. Es ist Aufgabe der Tatsachengerichte, die notwendigen Ermittlungen durchzuführen und daraus die Prognose zu stellen. Die Prognose gehört nicht zur Rechtsanwendung; sie ist vielmehr Feststellung einer hypothetischen Tatsache. Deshalb können Prognosen im Revisionsverfahren nur mit Verfahrensrügen angegriffen werden (BSG vom 7.4.1987 - SozR 4100 § 44 Nr 47 S 116; BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 97 f = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 184; BSG vom 17.5.1989 - BSGE 65, 84, 86 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 18; BSG vom 30.9.1996 - BSGE 79, 147, 151 = SozR 3-5870 § 2 Nr 33 S 131).

28

Das Gericht entscheidet, wenn es eine Prognose trifft, nach freier Überzeugung. Es hat aber alle Umstände des Einzelfalls zu würdigen. Die Prognose ist rechtsfehlerhaft, wenn das Gericht die der Prognose zugrunde zu legenden Tatsachen nicht richtig festgestellt oder nicht alle wesentlichen in Betracht kommenden Umstände hinreichend gewürdigt hat bzw wenn die Prognose auf rechtlich falschen oder unsachlichen Erwägungen beruht (vgl BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 98 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 184; BSG vom 17.5.1989 - BSGE 65, 84, 87 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 18; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 9f).

29

Entgegen der Auffassung der Beklagten führt allein der Umstand, dass der Kläger mit seiner Einreise nach Deutschland seinen "gewöhnlichen Aufenthalt" im Herkunftsgebiet aufgegeben hat, nicht dazu, dass er seinen "gewöhnlichen Aufenthalt" an dem Ort bzw in dem Gebiet genommen hat, in dem er sich im Anschluss an die Einreise aufgehalten hat. Die Annahme einer zwingenden Verknüpfung der Aufgabe eines gewöhnlichen Aufenthalts mit der Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts lässt außer Acht, dass die Existenz eines Menschen zwar stets einen "Aufenthalt", nicht aber zwangsläufig einen "gewöhnlichen Aufenthalt" voraussetzt.

30

Ein gewöhnlicher Aufenthalt ist nach § 30 Abs 3 S 2 SGB I vom "vorübergehenden Verweilen" bzw "vorübergehenden Aufenthalt" abzugrenzen(vgl BSG vom 19.11.1965 - 1 RA 154/62 - Juris RdNr 14; BSG vom 16.3.1978 - BSGE 46, 84, 85 = SozR 2200 § 1320 Nr 1 S 2; BSG vom 3.4.2001 - SozR 3-1200 § 30 Nr 21 S 46). Dem vorübergehenden Aufenthalt wohnt als zeitliches Element eine Beendigung von vornherein inne (vgl BSG vom 23.2.1988 - BSGE 63, 47, 49 = SozR 5870 § 1 Nr 14 S 32). Allerdings ist auch zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ein längerer oder dauerhafter (unbegrenzter) Aufenthalt nicht erforderlich. Es braucht hier nicht entschieden zu werden, ab welchem von vornherein bestimmten Zeitraum ein Aufenthalt als "gewöhnlich" zu werten ist. Jedenfalls genügt es, dass der Betreffende sich an dem Ort oder in dem Gebiet "bis auf weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält (vgl BVerwG vom 18.3.1999 - FEVS 49, 434, 436; BSG vom 27.1.1994 - SozR 3-2600 § 56 Nr 7 S 34; BSG vom 9.5.1995 - 8 RKn 2/94 - Juris RdNr 17; Schlegel in jurisPK-SGB I, Online-Ausgabe, § 30 RdNr 36, Stand Einzelkommentierung Oktober 2011; Seewald in Kasseler Komm, § 30 SGB I RdNr 22, Stand Einzelkommentierung September 2007). Dann schaden auch (voraussehbare) zeitweilige Unterbrechungen nicht. Denn ein gewöhnlicher Aufenthalt erfordert nicht, dass man "nie abwesend" ist (BSG vom 28.7.1967 - BSGE 27, 88, 89 = SozR Nr 5 zu § 1319 RVO). Voraussetzung ist keine Lückenlosigkeit des Aufenthalts, sondern nur eine gewisse Stetigkeit und Regelmäßigkeit (vgl BSG vom 28.7.1967 aaO; BSG vom 23.5.2012 - B 14 AS 133/11 R - Juris RdNr 21 - zur Veröffentlichung in SozR 4-1300 § 44 Nr 25 vorgesehen; vgl auch BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 98 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 184). Ein (gewichtiges) Indiz für einen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts ist die Verlagerung des örtlichen Schwerpunkts der Lebensverhältnisse (BSG vom 27.1.1994 - SozR 3-2600 § 56 Nr 7 S 34; BSG vom 3.4.2001 - SozR 3-1200 § 30 Nr 21 S 46; vgl aber auch Senatsurteile vom 9.8.1995 - SozR 3-1200 § 30 Nr 15 S 30 und vom 4.11.1998 - B 13 RJ 9/98 R - Juris RdNr 36).

31

Für die Unterscheidung zwischen gewöhnlichem und vorübergehendem Aufenthalt kann es nach alledem keine feste allgemeingültige Grenze im Sinne von Höchst- oder Mindestzeiten geben (BSG vom 25.6.1987 - BSGE 62, 67, 69 = SozR 7833 § 1 Nr 1 S 3). § 30 Abs 3 SGB I enthält keine dem früheren § 14 Abs 1 S 2 Steueranpassungsgesetz und dem jetzigen § 9 S 2 AO entsprechende Regelung, wonach als gewöhnlicher Aufenthalt stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen ist (zumal dies eine retrospektive Betrachtungsweise nahelegt). Deshalb kann entgegen der Meinung des SG die Vorschrift des § 9 S 2 AO nicht für den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts iS von § 30 Abs 3 S 2 SGB I näher herangezogen werden(vgl bereits BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 98 f = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 185; BSG vom 31.1.1980 - SozR 5870 § 1 Nr 6 S 8; Frank, SGb 1999, 547, 550). Keiner Entscheidung bedarf im vorliegenden Fall, ob für die Begründung eines gewöhnlichen, nicht nur vorübergehenden Aufenthalts in Anlehnung an die kürzeste Frist des Melderechts (vgl § 15 Abs 2 Nr 3 des Melderechtsrahmengesetzes, zB §§ 23, 24 Abs 1, 26 Abs 1 des Gesetzes über das Meldewesen im Land Brandenburg in der Fassung der Bekanntmachung vom 17.1.2006 , zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 7.7.2009 ) zumindest die Prognose eines voraussichtlich länger als zwei Monate dauernden Aufenthalts erforderlich ist.

32

Mithin hat der Prognosesteller alle mit dem Aufenthalt verbundenen Umstände zu berücksichtigen (BSG vom 25.6.1987 - BSGE 62, 67, 69 = SozR 7833 § 1 Nr 1 S 2); dies können subjektive wie objektive, tatsächliche wie rechtliche sein. Es kann demnach entgegen der Ansicht des Klägers nicht allein auf den Willen des Betroffenen ankommen, sich an einen anderen Ort zu begeben und dort einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen (sogenannter Domizilwille); dies gilt insbesondere dann, wenn er nicht mit den tatsächlichen (objektiven) Umständen übereinstimmt (vgl BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 97 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 183). Nicht zwingend für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ist daher, ob der Betroffene sich an einem Ort oder in einem bestimmten Gebiet freiwillig aufhält (BSG vom 29.5.1991 - SozR 3-1200 § 30 Nr 5 S 8). Allerdings kann ein fehlender Domizilwille im konkreten Einzelfall im Rahmen der Gesamtwürdigung als subjektives Element dann Bedeutung erlangen, wenn für einen außenstehenden Prognosesteller erkennbar wird, dass zusammen mit den objektiven Gegebenheiten ("Umstände, die erkennen lassen …") nicht (oder nicht mehr) von einem Aufenthalt "bis auf weiteres" ausgegangen werden kann (vgl Taenzel, Kompass 2/1995 S 98; Frank, SGb 1999, 547, 550; vgl auch BSG vom 23.5.2012 - B 14 AS 190/11 R - Juris RdNr 20, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-4200 § 36a Nr 2 vorgesehen).

33

bb) Das LSG hat aus den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Tatsachenfeststellungen zu Recht gefolgert, dass der Kläger vor seinem Umzug nach Nordrhein-Westfalen am 15.5.1994 zunächst ab 22.12.1993 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Brandenburg und damit im Beitrittsgebiet begründet hat.

34

Wie das Berufungsgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerwG zutreffend ausgeführt hat, kann auch ein Aufenthalt in einem "Übergangswohnheim" ein gewöhnlicher Aufenthalt iS des § 30 Abs 3 S 2 SGB I sein(vgl BVerwG vom 18.3.1999 - FEVS 49, 434, 436; BVerwG vom 23.10.2001 - ZFSH/SGB 2002, 221, 222; vgl auch LSG Rheinland-Pfalz vom 25.9.2003 - L 6 RJ 132/03 - Juris RdNr 23; Bayerisches LSG vom 16.6.2004 - L 19 RJ 584/02 - Juris RdNr 13; LSG Niedersachsen-Bremen vom 8.10.2008 - L 2 R 511/07 - Juris RdNr 43; VG Köln vom 4.3.2004 - 26 K 7967/00 - Juris RdNr 22, 29). Das gilt selbst dann, wenn die (nachvollziehbare) Absicht besteht, dieses so bald als möglich zu verlassen und sich an einem anderen Ort niederzulassen. Entscheidend sind aber auch hier stets alle erkennbaren Umstände des konkreten Einzelfalls zu Beginn des entscheidungserheblichen Zeitraums. Dies aber ist - ausgehend von dem oben dargestellten Begriffsinhalt des gewöhnlichen Aufenthalts als eines Aufenthalts "bis auf weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs - eine im Wege vorausschauender Betrachtung zu beantwortende Tatfrage und daher nicht (im Einzelfall) vom BSG zu entscheiden.

35

Nach den Feststellungen des LSG meldete sich der Kläger nach seiner Ankunft am 22.12.1993 in Brandenburg bei der für die Landesaufnahmeeinrichtung melderechtlich zuständigen Gemeinde in P. an. Des Weiteren meldete er sich beim zuständigen Arbeitsamt Cottbus arbeitslos, bezog Eingliederungshilfe und nahm an einem viereinhalbmonatigen Sprachkurs teil. Bei seiner Einreise nach Deutschland hatten ihm seine Verwandten in Nordrhein-Westfalen noch keine bezugsbereite Wohnung verschafft. Vielmehr musste erst noch eine Wohnung angemietet werden. Zudem ging der Kläger nach eigenen Angaben selbst davon aus, dass er vor einem Umzug noch einen Sprachkurs absolvieren müsse und dass für den Umzug nach Nordrhein-Westfalen eine behördliche, bei seiner Ankunft in Brandenburg noch nicht vorliegende Zustimmung ("Erlaubnis") erforderlich sei.

36

Aus diesen Gesamtumständen hat das LSG rechtsfehlerfrei geschlossen, dass der Kläger sich in Brandenburg ab 22.12.1993 "bis auf weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufgehalten und dort auch bis zu seinem Umzug nach Nordrhein-Westfalen den örtlichen Schwerpunkt seiner Lebensbeziehungen hatte.

37

cc) Nichts anderes ergibt sich, wenn man den Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" im vorliegenden Fall durch den Norminhalt des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 FANG iVm dem Gesetz über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler (AusÜbsiedWoG) in der hier maßgeblichen Fassung vom 21.12.1992 (BGBl I 2094, 2105) "eingefärbt" verstehen will. Denn auch ein an diesen Normen orientierter Begriffsinhalt würde nicht dazu führen, dass der Aufenthalt des Klägers als Spätaussiedler im Beitrittsgebiet nicht "zukunftsoffen" war.

38

Durch die Einfügung der Bestimmung des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 FANG durch das RÜG vom 25.7.1991 (aaO) sollte nach der Einigung Deutschlands auf der Grundlage des Integrationsprinzips in Abhängigkeit vom gewöhnlichen Aufenthalt in den alten oder neuen Bundesländern ein "angemessener Lebensstandard" für Aussiedler gesichert werden. Wer als Aussiedler im Beitrittsgebiet Aufnahme gefunden hatte, sollte grundsätzlich (Renten-)Leistungen (nach einem Sicherungsniveau) erhalten, die denen der dort lebenden Bürger entsprachen. Zum anderen sollte kein Anreiz für die Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts wegen der unterschiedlichen Leistungshöhe geschaffen werden (vgl Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen CDU/CSU und F.D.P vom 23.4.1991 eines RÜG, BT-Drucks 12/405, 114 ). Maßgeblich blieb demnach der Integrationsgedanke. Dieser war aber nach dem Beitritt der neuen Bundesländer zur Bundesrepublik und dem Inkrafttreten eines einheitlichen Rentenrechts zum 1.1.1992 nicht mehr von dem Bedürfnis geprägt, Aussiedler im Wege besonderer staatlicher Fürsorge weiter dadurch individuell in das Sozialgefüge der Bundesrepublik zu integrieren, dass sie fiktiv (stets) so behandelt wurden, als hätten sie ihr bisheriges Erwerbsleben in den alten Bundesländern verbracht (vgl zu Übersiedlern BSG vom 14.12.2011 - SozR 4-2600 § 248 Nr 1 RdNr 30). Denn ein die einheitliche Behandlung vorgebendes einheitliches Sozialgefüge gab es nach dem Beitritt in Deutschland nicht mehr.

39

Der Aufenthalt des Klägers in der Landesaufnahmeeinrichtung in Brandenburg war daher auch nicht deshalb nur "vorübergehend", weil die dortige Aufenthaltnahme als Spätaussiedler aufgrund behördlicher (hoheitlicher) Zuweisung nach Maßgabe des AusÜbsiedWoG erfolgte.

40

Gemäß § 2 Abs 1 S 1 AusÜbsiedWoG konnten (Spät-)Aussiedler nach der Aufnahme in Deutschland einem Wohnort zugewiesen werden, wenn sie nicht über ausreichenden Wohnraum verfügten und daher bei der Unterbringung auf öffentliche Hilfe angewiesen waren. Bei der Entscheidung über die Zuweisung sollten ihre Wünsche, enge verwandtschaftliche Beziehungen sowie die Möglichkeit ihrer beruflichen Eingliederung berücksichtigt werden (§ 2 Abs 2 AusÜbsiedWoG). Nach § 4 S 1 Nr 1 AusÜbsiedWoG konnten die Landesregierungen einen Schlüssel für die Zuweisung der Aussiedler innerhalb des Landes in Gemeinden und Kreise festlegen. Entschied sich der Aussiedler für einen Wohnort abweichend von der Zuweisung, war die Gemeinde nicht verpflichtet, den Aufgenommenen als Aussiedler zu betreuen. Leistungsansprüche der Betroffenen blieben hiervon unberührt (vgl Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 5.6.1989, BT-Drucks 11/4689, 6 ; vgl aber den durch das Zweite Gesetz zur Änderung des AusÜbsiedWoG vom 26.2.1996 mit Wirkung vom 1.3.1996 eingefügten und bis zum 30.6.2000 geltenden § 3a AusÜbsiedWoG, nach dessen Abs 1 ein Spätaussiedler oder Familienangehöriger, der abweichend von der Verteilung nach § 8 BVFG oder entgegen einer landesinternen Zuweisung nach § 2 Abs 1 AusÜbsiedWoG 1996 in einem anderen Land oder an einem anderen als dem zugewiesenen Ort ständigen Aufenthalt nahm, an diesem Ort keine Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz und in der Regel nur die nach den Umständen nachweisbar gebotene Hilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz erhielt; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung s BVerfG vom 17.3.2004 - BVerfGE 110, 177). Grundsätzlich blieb es Aussiedlern daher unbenommen, sich (unmittelbar) nach ihrer Einreise selbst oder mit Hilfe von Angehörigen oder Freunden an einen Ort ihrer Wahl zu begeben und dort gewöhnlichen Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen (vgl aaO, BT-Drucks 11/4689, 5 ; vgl auch Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 14.8.1992 eines Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes, BT-Drucks 509/92, 67 § 8 bvfg>).

41

Die Zuweisung nach dem AusÜbsiedWoG wurde gegenstandslos, wenn der Aufgenommene nachwies, dass ihm an einem anderen Ort entweder nicht nur vorübergehend ausreichender Wohnraum oder ein Arbeits-, Ausbildungs- oder Studienplatz zur Verfügung stand, in jedem Falle spätestens nach zwei Jahren (§ 2 Abs 4 AusÜbsiedWoG).

42

Auch wenn damit die Zuweisung auf höchstens zwei Jahre begrenzt war, war der Aufenthalt eines Spätaussiedlers in der zugewiesenen Gemeinde grundsätzlich zukunftsoffen angelegt. Ob die Zuweisung wegen des Ablaufs der Zwei-Jahres-Frist oder aus anderen Gründen bereits früher gegenstandslos wurde, beeinflusst die Prognoseentscheidung über die Zukunftsoffenheit des Aufenthalts nicht.

43

3. Die Regelung des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG verstößt auch nicht gegen Verfassungsrecht. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG vor.

44

Art 3 Abs 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Verboten ist auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem die Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird (BVerfG vom 14.4.2010 - BVerfGE 126, 29, 43 mwN). Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht vielmehr nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl BVerfG vom 7.7.1992 - BVerfGE 87, 1, 36 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 7; BVerfG vom 9.11.2004 - BVerfGE 112, 50, 67 = SozR 4-3800 § 1 Nr 7 RdNr 55; BVerfG vom 27.2.2007 - BVerfGE 117, 272, 300 f = SozR 4-2600 § 58 Nr 7 RdNr 70; BVerfG vom 11.11.2008 - BVerfGE 122, 151, 188 = SozR 4-2600 § 237 Nr 16 RdNr 62; BVerfG vom 14.4.2010 - BVerfGE 126, 29, 47; stRspr).

45

Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengeren Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl BVerfG vom 20.4.2004 - BVerfGE 110, 274, 291; BVerfG vom 7.11.2006 - BVerfGE 117, 1, 30; BVerfG vom 17.11.2009 - BVerfGE 125, 1, 17).

46

Für die Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen kommt es wesentlich darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers ist anzunehmen, wenn die Differenzierung an Persönlichkeitsmerkmale anknüpft (vgl BVerfG vom 15.7.1998 - BVerfGE 98, 365, 389). Bei lediglich verhaltensbezogenen Unterscheidungen hängt das Maß der Bindung davon ab, inwieweit die Betroffenen in der Lage sind, durch ihr Verhalten die Verwirklichung der Merkmale zu beeinflussen, nach denen unterschieden wird (BVerfG vom 15.7.1998 - BVerfGE 98, 365, 389). Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers geht dann besonders weit, wenn er Lebenssachverhalte verschieden behandelt und die Betroffenen sich durch eigenes Verhalten auf die unterschiedliche Regelung einstellen können. Die Grenze bildet dann allein das Willkürverbot (vgl BVerfG vom 18.2.1998 - BVerfGE 97, 271, 291).

47

Ausgehend von diesem Maßstäben verstößt Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst b FANG nicht gegen Art 3 Abs 1 GG.

48

Der Gesetzgeber wollte - wie unter 2 c cc) bereits erwähnt - mit der (Übergangs-)Regelung des Art 6 § 4 Abs 6 FANG den durch die Öffnung der deutsch-deutschen Grenze eingetretenen Änderungen auch im Fremdrentenrecht Rechnung tragen. Dieses sollte so weiter entwickelt werden, dass es am jeweiligen Aufenthaltsort - sei es in den alten Bundesländern oder im Beitrittsgebiet - einen angemessenen Lebensstandard sichert. Wer als Aussiedler im Beitrittsgebiet Aufnahme gefunden hatte, sollte Leistungen erhalten, die dem Rentenniveau der dort lebenden Bürger entsprechen. Die unterschiedliche Leistungshöhe in den neuen und alten Bundesländern machte es jedoch nach Ansicht des Gesetzgebers erforderlich, den Anreiz für einen Wohnortwechsel in die alten Bundesländer zu nehmen und für Aussiedler keine günstigeren Regelungen zu treffen, als sie für Bundesbürger im Beitrittsgebiet gelten (vgl Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen CDU/CSU und F.D.P vom 23.4.1991 eines RÜG, BT-Drucks 12/405, 114 ).

49

In Umsetzung dieser Zielvorgabe hat der Gesetzgeber in Art 6 § 4 Abs 6 FANG sachgerecht und damit keinesfalls willkürlich für die Höhe der "Renten nach dem FRG" als Anknüpfungspunkte auf den gewöhnlichen Aufenthalt des FRG-Berechtigten und die unterschiedlichen Lebens- und Einkommensverhältnisse in den neuen und alten Bundesländern abgestellt. Dass er damit für den hier maßgeblichen Zeitraum nicht allein auf die vom Willen des Betroffenen (grundsätzlich) unabhängige behördliche Zuweisung abgestellt hat, ergibt sich aus den Ausführungen zu 2 c cc). Wenn auch bei einer Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts eines FRG-Berechtigten aus den neuen in die alten Bundesländer den FRG-Zeiten EP (Ost) zugeordnet bleiben und nicht die Ermittlung von EP vorgesehen ist, entspricht dies der Rechtslage für solche Rentenberechtigte mit rentenrechtlichen Zeiten im Beitrittsgebiet, die in einem der alten Bundesländer ansässig sind.

50

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. Februar 2012 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren beträgt 105 107,23 Euro.

Tatbestand

1

Im Streit ist (noch) die Erstattung von Sozialhilfekosten für die Zeit vom 19.10.2009 bis zum 30.6.2010 in Höhe von 24 940,17 Euro, die der Kläger für den Leistungsempfänger B P (P) als Eingliederungshilfe erbracht hat, und die zusätzliche Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet ist, die für P nach diesem Zeitpunkt angefallenen und anfallenden Kosten der fortdauernden Maßnahme im Kloster E/C zu erstatten.

2

Bei dem im Juni 1990 geborenen P bestehen eine Intelligenzminderung leichter Ausprägung und eine psychische Behinderung mit emotionaler Störung sowie eine Verhaltensstörung mit Störung der Impulskontrolle und des Sozialverhaltens. Bis zum 7.8.2001 lebte er im Haushalt seiner Eltern (im Landkreis B). Anschließend war er auf Kosten dieses Landkreises bis zum 30.9.2008 in verschiedenen Heimen untergebracht (Heimerziehung nach dem Sozialgesetzbuch Achtes Buch - Kinder- und Jugendhilfe - ), zuletzt vom 17.9.2007 bis zum 30.9.2008 in der vollstationären intensiv-pädagogischen Jugendwohngruppe D, einer Einrichtung des Jugendhilfezentrums Ve, die im Landkreis V liegt.

3

Das Jugendhilfezentrum Ve traf während dieser Zeit mit dem Vermieter eines Hauses im ca 15 km entfernten G, gelegen im Landkreis V, eine (formlose) Vereinbarung, wonach dieser ein Haus für Jugendliche aus der Jugendwohngruppe zur Verfügung stellen sollte. Auf der Basis eines Hilfeplangesprächs vom 21.8.2008 schloss der mittlerweile unter Betreuung stehende P zum 1.10.2008 einen Mietvertrag mit dem Vermieter über ein Zimmer mit Küche ab und zog zu diesem Zeitpunkt in das Haus ein; der Beklagte bewilligte ab diesem Zeitpunkt Hilfe zur Persönlichkeitsentwicklung und eigenverantwortlichen Lebensführung nach § 41 SGB VIII iVm § 34 SGB VIII in Form eines betreuten Wohnens(Bescheid vom 16.10.2008).

4

Nach dem Einzug in G wurde P weiterhin durch eine Mitarbeiterin der Jugendwohngruppe D betreut, und zwar morgens, wenn P nicht in der (18 km entfernten) Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) erschien, die er an fünf Tagen in der Woche besuchte, und nach Rückkehr aus der WfbM ab 17 Uhr bzw 17.30 Uhr bis gegen 21 Uhr bzw 22 Uhr. An den Wochenenden nahm P regelmäßig am Programm der Jugendwohngruppe teil. Die Nächte verbrachte P zunächst allein im Haus; zum 28.2.2009 wurde ein weiterer Jugendlicher der Jugendwohngruppe in das Haus vermittelt. Im Dezember 2008 kehrte P jedoch kurzfristig in die Jugendwohngruppe zurück und befand sich im Januar und Februar 2009 jeweils für zwei Wochen sowie in der Folge ein weiteres Mal in stationärer psychiatrischer Behandlung. Da er nicht in der Lage war, allein in dem Haus zu leben, wurde er ab Mitte Juni 2009 übergangsweise wieder in der Jugendwohngruppe D aufgenommen. Zum 19.10.2009 wurde P schließlich im Kloster E (gelegen im Landkreis C) untergebracht, wo er seither lebt. Zu diesem Zeitpunkt stellte der Beklagte seine Hilfegewährung ein (Bescheid vom 24.9.2009).

5

Bereits am 24.8.2009 hatte Ps Betreuer bei dem Beklagten die Gewährung von Eingliederungshilfe im Rahmen der vollstationären Unterbringung im Kloster E beantragt. Diesen Antrag leitete der Beklagte am selben Tag per E-Mail und am 16.9.2009 schriftlich an den Kläger weiter, weil dieser wegen des letzten gewöhnlichen Aufenthalts in G für die Leistungserbringung zuständig sei. Der Kläger gewährte Eingliederungshilfe unter Bezugnahme auf § 14 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) als "zweitangegangener" Rehabilitationsträger und Leistungen zum Lebensunterhalt (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, weiterer notwendiger Lebensunterhalt in Form eines Barbetrags ua) unter dem Vorbehalt des Aufwendungsersatzes (sog unechte Sozialhilfe nach § 19 Abs 5 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe -). Eine beim Beklagten geltend gemachte Erstattungsforderung lehnte dieser ab (Schreiben vom 9.10.2009).

6

Der anschließend erhobenen Klage hat das Sozialgericht (SG) Trier nach Erweiterung der Klage um die Kosten der bis zum 30.6.2010 erbrachten Leistungen stattgegeben und den Beklagten verurteilt, an den Kläger "die im Zeitraum vom 19.10.2009 bis 30.6.2010 für P aufgewandten Kosten in Höhe von 24 940,17 Euro zu zahlen"; darüber hinaus hat es festgestellt, dass der Beklagte auch zur Erstattung der nach diesem Zeitpunkt "angefallenen Kosten für die Hilfe an P" verpflichtet sei (Urteil vom 24.8.2010).

7

Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 23.2.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, ein Erstattungsanspruch nach § 106 Abs 1 Satz 1 SGB XII und nach § 14 Abs 4 Satz 1 SGB IX scheide aus. Nach § 98 Abs 2 Satz 1 SGB XII sei nämlich der Kläger für die Leistungserbringung zuständig gewesen, weil P zuletzt vor der erneuten stationären Unterbringung seinen gewöhnlichen Aufenthalt(§ 30 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil -) in G gehabt habe. Bei dem Betreuten-Wohnen habe es sich nicht um einen Aufenthalt in einer Einrichtung gehandelt. Die von P genutzte Unterkunft sei nach den Aussagen der vor dem SG vernommenen Zeugen nicht in die Rechts- und Organisationssphäre des Einrichtungsträgers, des Jugendhilfezentrums Ve, eingegliedert gewesen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus einem zwischen dem Landkreistag Rheinland-Pfalz und dem Städtetag Rheinland-Pfalz im Jahre 1997 geschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrag über die Kostenerstattung bei der Finanzierung des Betreuten-Wohnens und einem weiteren Vertrag aus dem Jahre 2005. Eine von den gesetzlichen Regelungen abweichende rechtliche Beurteilung des gewöhnlichen Aufenthalts sei unzulässig. Für den hier vorliegenden Fall, dass der nach dem Gesetz zuständige Leistungsträger eine Leistung erbracht habe, deren Kosten ein anderer Leistungsträger übernehmen solle, treffe die Vereinbarung keine Regelung.

8

Mit seiner Revision rügt der Kläger, nachdem er die Klage auf Zahlung weiterer im Revisionsverfahren geltend gemachter 75 167,06 Euro zurückgenommen hat, die Verletzung des § 106 Abs 2 SGB XII und des § 98 Abs 2 SGB XII. Zu Unrecht sei das LSG davon ausgegangen, dass P in G einen gewöhnlichen Aufenthalt iS des § 30 SGB I begründet habe. Bei der Wohnung in G habe es sich vielmehr um eine dezentrale Außenstelle einer stationären Einrichtung gehandelt, weil die Unterkunft der Rechts- und Organisationssphäre des Einrichtungsträgers (Jugendhilfezentrum Ve) zugeordnet gewesen sei. Zuständig sei deshalb der Beklagte, weil P vor seiner Aufnahme in die erste stationäre Einrichtung am 8.8.2001 im dortigen Kreis seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe. Selbst wenn man von einer Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts in G ausgehe, sei der Beklagte zur Kostenerstattung aufgrund landesrechtlicher Vereinbarungen der Sozialhilfeträger verpflichtet.

9

Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

10

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

11

Er hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Revision ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz). Der Kläger hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Erstattung der Kosten anlässlich der Maßnahme im Kloster E, weil er selbst aufgrund einer Heranziehung zur Leistungserbringung durch den zuständigen überörtlichen Sozialhilfeträger, das Land Rheinland-Pfalz, die Leistungen in eigenem Namen zu erbringen hatte (Wahrnehmungszuständigkeit); über Erstattungsansprüche gegen das Land (vgl §§ 5 Abs 2, 6 Landesgesetz zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 22.12.2004, Gesetz- und Verordnungsblatt 571) ist im vorliegenden Verfahren mangels Beiladung des Landes (vgl § 75 Abs 5 SGG), die im Revisionsverfahren nicht gerügt war (zu dieser Voraussetzung nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 75 RdNr 13b mwN), nicht zu befinden.

13

Gegenstand des Verfahrens ist im Rahmen einer objektiven Klagehäufung (§ 56 SGG) zum einen die Erstattung der für P erbrachten Aufwendungen in der Zeit vom 19.10.2009 bis 30.6.2010, die der Kläger mit der allgemeinen Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) geltend macht; an der in der Revisionsbegründungsschrift zunächst erklärten Erweiterung des Zahlungsantrages um die danach angefallenen Kosten in Höhe von weiteren 75 167,06 Euro hat er nicht festgehalten. Zum anderen ist zulässigerweise Gegenstand die prozessuale Feststellung der ab dem 1.7.2010 fortbestehenden Erstattungspflicht der wegen der Maßnahme im Kloster E entstandenen Aufwendungen (§ 55 Abs 1 Nr 1 SGG: Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses). Jedenfalls nach der Konkretisierung des Feststellungsantrags, dass (lediglich) die Feststellung der Erstattungspflicht für die fortdauernde Maßnahme im Kloster E begehrt werde, und der Teilrücknahme der Klage insoweit (§ 102 Abs 1 SGG) ist die Feststellungsklage zulässig. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung war dem Kläger für die nachfolgende Zeit nur die Erhebung einer Klage mit dem Ziel der Feststellung künftiger Rechtsfolgen aus einem bestehenden Rechtsverhältnis möglich. Er kann - davon ausgehend - nicht gezwungen werden, die Feststellungsklage jederzeit und ggf immer aufs Neue dem Umstand anzupassen, dass nach Klageerhebung auch eine Leistungsklage für weitere zwischenzeitlich verflossene Zeiträume möglich wäre (vgl BSG SozR 4-5910 § 97 Nr 1 RdNr 12). Zulässig wäre auch die gerichtliche Feststellung der Erstattungspflicht erst nach dem Senatsurteil entstehender (künftiger) Kosten bei Fortführung der Maßnahme (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 55 RdNr 8a mwN).

14

Auch sonstige von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensfehler liegen nicht vor; eine Beiladung des P gemäß § 75 Abs 2 1. Alt SGG (echte notwendige Beiladung) war nicht erforderlich (vgl zuletzt Urteil des Senats vom 25.4.2013 - B 8 SO 6/12 R -, juris RdNr 10 mwN). Eine echte notwendige Beiladung des Landes Rheinland-Pfalz als überörtlichen Träger war ebenfalls nicht erforderlich, weil es an dem streitigen Rechtsverhältnis nicht derart beteiligt ist, dass die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen könnte.

15

Alle denkbaren Anspruchsgrundlagen für die Erstattung von Leistungen der Eingliederungshilfe in stationären Einrichtungen - § 106 Abs 1 SGB XII iVm § 98 Abs 2 Satz 3 SGB XII (Erstattung für den Fall der vorläufigen Leistungserbringung bei ungeklärtem gewöhnlichen Aufenthalt), § 14 Abs 4 Satz 1 SGB IX (Erstattungsanspruch für den zweitangegangenen Träger der Rehabilitation), bzw die allgemeinen Vorschriften der §§ 102 ff Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - durch den Beklagten scheiden vorliegend aus, weil der Kläger über eine Heranziehung durch den überörtlichen Sozialhilfeträger, das Land, bzw ab 1.1.2013 selbst die Grundsicherungsleistungen zu erbringen hatte.

16

In Rheinland-Pfalz haben für die Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe in stationären Einrichtungen die Landkreise und kreisfreien Städte aufgrund einer Heranziehung des Landes als dem überörtlichen Sozialhilfeträger (vgl § 1 Abs 2 AGSGB XII iVm § 3 Abs 3 SGB XII), der für stationäre Leistungen der Eingliederungshilfe sachlich zuständig ist (§ 97 Abs 3 SGB XII iVm § 2 Abs 2 Nr 2 AGSGB XII), die Wahrnehmungszuständigkeit; sie erbringen diese Leistungen insoweit in eigenem Namen (§ 4 AGSGB XII). Das Land Rheinland-Pfalz hat nämlich die Landkreise und kreisfreien Städte als örtliche Träger der Sozialhilfe (§ 3 Abs 2 SGB XII iVm § 1 Abs 1 AGSGB XII) nach § 99 Abs 2 SGB XII iVm § 4 AGSGB XII zur Aufgabenwahrnehmung ua für Leistungen der Eingliederungshilfe in stationären Einrichtungen herangezogen(vgl § 1 Erste Landesverordnung zur Durchführung des AGSGB XII vom 26.4.1967; zuletzt geändert durch Art 3 des Gesetzes vom 28.9.2010 - GVBl 298); dies muss bis 31.12.2012 uneingeschränkt auch die Leistungen zum Lebensunterhalt (Grundsicherung, Hilfe zum Lebensunterhalt) erfassen (vgl § 97 Abs 4 SGB XII iVm § 2 der Landesverordnung vom 26.4.1967). Für die Zuständigkeit bei Grundsicherungsleistungen gilt jedoch seit 1.1.2013 § 46b SGB XII, der die Anwendung des § 97 Abs 4 SGB XII ausschließt; insoweit ergibt sich gemäß § 2 Abs 1 und 3 AGSGB XII iVm § 46b Abs 1 SGB XII eine unmittelbare sachliche Leistungszuständigkeit der örtlichen Sozialhilfeträger, also der Landkreise und kreisfreien Städte. Das LSG hat die landesrechtlichen Vorschriften unberücksichtigt gelassen, sodass der Senat nicht daran gehindert ist, die dem Grunde nach nicht revisiblen (§ 162 SGG) Vorschriften seiner Entscheidung zugrundezulegen.

17

Die streitigen stationären Leistungen im Kloster E, die Hilfe zum Lebensunterhalt sowie die Grundsicherungsleistungen hatte bzw hat auf der Grundlage dieser Regelungen in jedem Fall der Kläger selbst zu erbringen. Dabei richtet sich gemäß § 98 Abs 2 Satz 1 SGB XII(in der Normfassung des Gesetzes zur Änderung des SGB XII und anderer Gesetze vom 2.12.2006 - BGBl I 2670 - und ab 1.1.2013 des Gesetzes zur Änderung des SGB XII vom 20.12.2012 - BGBl I 2783) die örtliche Zuständigkeit für die stationäre Leistung nach dem gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in eine Einrichtung bzw dem gewöhnlichen Aufenthalt, der in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt bestand. § 98 Abs 2 Satz 2 SGB XII bestimmt abweichend davon, dass bei Einrichtungswechseln der gewöhnliche Aufenthalt, der für die erste Einrichtung maßgebend war, für unmittelbar daran anschließende Aufenthalte in stationären Einrichtungen im Rahmen einer sog Einrichtungskette entscheidend bleibt. Zuletzt vor der (erneuten) Aufnahme in eine stationäre Einrichtung im Juni 2009 (in die Jugendwohngruppe D) hatte P in G seinen gewöhnlichen Aufenthalt; dieser ist auch für die Zuständigkeit wegen der am 19.10.2009 unmittelbar anschließenden stationären Unterbringung im Kloster E der maßgebliche Anknüpfungspunkt. Ein bereits davor seit dem 8.8.2001 durchgehender Aufenthalt in stationären Einrichtungen (zum fehlenden gewöhnlichen Aufenthalt bei Unterbringung in einer stationären Einrichtung vgl § 109 SGB XII), der - wie der Kläger meint - die Zuständigkeit des Beklagten - ausgehend von einem letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Haushalt der Eltern - nach sich ziehen würde, liegt nach den vom LSG festgestellten Umständen nicht vor. Trotz einer Betreuung durch die Jugendwohngruppe D auch in G handelte es sich dort nicht um eine stationäre Einrichtung.

18

Nach § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Dies traf für P in G zu; er hat sich dort unter Umständen aufgehalten, die erkennen ließen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilen wollte. Für die Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts dort ist unschädlich, dass er nur weniger als ein Jahr in dem Haus gelebt hat und bereits kurze Zeit nach dem Einzug (im Oktober 2008) im Dezember 2008 sowie im ersten Halbjahr des Jahres 2009 drei weitere Male kurzfristig in eine stationäre Einrichtung aufgenommen werden musste; denn er hielt sich nach den Feststellungen des LSG im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs in dem Haus in G auf, was für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ausreichend ist (vgl nur BVerwGE 145, 257 ff RdNr 23 mwN; BSG, Urteil vom 20.12.2012 - B 7 AY 5/11 R -, RdNr 16; Urteil vom 25.4.2013 - B 8 SO 6/12 R -, RdNr 13). Auch § 109 SGB XII steht dem nicht entgegen. Danach gilt (Fiktion) als gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne des Zwölften Kapitels und des Dreizehnten Kapitels, Zweiter Abschnitt, SGB XII (Zuständigkeitsregelungen und Kostenerstattungsregelungen zwischen den Sozialhilfeträgern) ua nicht der Aufenthalt in einer Einrichtung iS von § 98 Abs 2 SGB XII.

19

Nach den Feststellungen des LSG hat es sich bei der Wohnung in G jedoch nicht um eine stationäre Einrichtung gehandelt. Eine Einrichtung in diesem Sinne ist ein in einer besonderen Organisationsform zusammengefasster Bestand von personellen und sächlichen Mitteln unter verantwortlicher Trägerschaft, der auf gewisse Dauer angelegt und für einen wechselnden Personenkreis zugeschnitten ist (BVerwGE 95, 149, 152; BVerwG, Urteil vom 24.2.1994 - 5 C 42/91 -, FEVS 45, 52 ff; Urteil vom 24.2.1994 - 5 C 13/91 -, FEVS 45, 183 ff; Urteil vom 24.2.1994 - 5 C 17/91 -, ZfSH/SGB 1995, 535 ff; BSGE 106, 264 ff RdNr 13 = SozR 4-3500 § 19 Nr 2)und der Pflege, der Behandlung oder sonstigen nach dem SGB XII zu deckenden Bedarfe oder der Erziehung dient (vgl § 13 Abs 2 SGB XII; näher dazu BSG SozR 4-5910 § 97 Nr 1 RdNr 15). Zwar können betreute Personen auch in einer dezentralen Unterkunft stationär untergebracht sein; eine dezentrale Unterkunft gehört in diesem Sinne allerdings nur dann zu den Räumlichkeiten "der" Einrichtung, wenn die Unterkunft der Rechts- und Organisationssphäre des Einrichtungsträgers so zugeordnet ist, dass sie als Teil des Einrichtungsganzen anzusehen ist (BVerwG, Urteil vom 24.2.1994 - 5 C 42/91 -, FEVS 45, 52 ff). Die Vorhaltung von Wohnraum durch den Träger der Einrichtung selbst ist also wesentliches Merkmal einer Zuordnung zur "Rechts- und Organisationssphäre des Einrichtungsträgers". Hierin kommt die räumliche Bindung an die Einrichtung zum Ausdruck, die auch dann bestehen muss, wenn sich die Einrichtung nicht "unter einem Dach" befindet. Das war hier nicht der Fall.

20

Insoweit handelt es sich nicht nur um eine Formalie, wie der Kläger meint. Auch wenn der Abschluss des Mietvertrages zwischen P und dem Vermieter auf Vermittlung des Jugendhilfezentrums Ve zustande gekommen ist, genügt dies für die vollständige organisatorische Einordnung im Sinne einer "Außenwohnstelle" nicht. Soweit der Träger der Einrichtung - und sei es nur, wie der Kläger vorträgt, um "die Finanzierung abzusichern" - nicht die uneingeschränkte rechtliche Verantwortung für die Unterkunft übernimmt, sondern der Fortbestand der Wohnmöglichkeit vom Bestand des Mietverhältnisses zwischen Vermieter und Hilfebedürftigen abhängt, fehlt es an diesem Merkmal. Es ist dem Träger, der die Betreuungsleistungen erbringt, dann rechtlich nicht möglich, die Unterkunft uneingeschränkt einem wechselnden Personenkreis zur Verfügung zu stellen. Die Vergabe der Unterkunft an andere Personen hängt nämlich sowohl vom Einverständnis des Vermieters im Einzelfall als auch vom Einverständnis des Hilfebedürftigen mit der Auflösung seines Mietvertrages ab. Schließlich bestand nach den Feststellungen des LSG nicht schon im Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung mit dem Vermieter die Absicht, andere Jugendliche in dem Haus unterzubringen und also eine "Außenwohnstelle" für einen wechselnden Personenkreis einzurichten.

21

Daraus, dass die Fähigkeit des P, außerhalb einer stationären Einrichtung zu leben, von vornherein angezweifelt worden war, ist nicht zu schließen, es habe sich um eine stationäre Wohnform gehandelt. Auch dass im Einzelfall die Kosten für die geleistete Betreuung (zusammen mit den gesondert bewilligten Leistungen für den Lebensunterhalt und die Unterkunft) den Umfang der Kosten einer (teil-)stationären Maßnahme erreichen oder auch übersteigen, steht der Annahme einer ambulanten Betreuung nicht entgegen (BSGE 106, 264 ff RdNr 17 = SozR 4-3500 § 19 Nr 2).

22

§ 106 Abs 2 1. Alt SGB XII, wonach als Aufenthalt in einer stationären Einrichtung gilt, wenn jemand (zwar) außerhalb der Einrichtung untergebracht wird, aber in ihrer Betreuung bleibt, greift nicht ein; deshalb ergibt sich über diese Norm iVm § 109 SGB XII kein Ausschluss des gewöhnlichen Aufenthalts. § 106 Abs 2 1. Alt SGB XII erweitert den Aufenthalt in einer stationären Einrichtung - neben den Fällen der Beurlaubung aus dieser Einrichtung - um die Fälle, in denen der Aufenthalt in der stationären Einrichtung zwar beendet ist, wegen der Fortdauer der Betreuung durch diese Einrichtung die anschließende Unterbringung diesem Aufenthalt aber gleichsteht.

23

Von § 106 Abs 2 1. Alt SGB XII werden zwar gerade auch Wohnmöglichkeiten erfasst, die nicht unmittelbar zur Rechts- und Organisationssphäre des Einrichtungsträgers gehören, etwa eine Unterbringung in einer Pflegefamilie oder einer Ausbildungsstätte. Für die Anwendung des § 106 Abs 2 1. Alt SGB XII ist aber nicht jede Art der Betreuung durch die bisherige Einrichtung ausreichend; vielmehr ist nach Sinn und Zweck der Regelung (Schutz des Ortes, der stationäre Leistungen bzw gleichstehende Leistungen anbietet) eine ständige Überwachung durch die Einrichtung (ggf unter Einschaltung dritter Stellen) erforderlich, wobei der Einrichtung ein bestimmender Einfluss bleiben muss. Gelegentliche Maßnahmen rechtfertigen die Gleichstellung mit der stationären Einrichtung nicht; die Unterbringung außerhalb der Einrichtung muss im Ergebnis qualitativ einer stationären Leistungserbringung in der Einrichtung entsprechen (vgl: W. Schellhorn in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Aufl 2010, § 106 SGB XII RdNr 21; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl 2014, § 106 SGB XII RdNr 18; Böttiger in jurisPK SGB XII, 2. Aufl 2014, § 106 SGB XII RdNr 125 f). Nach den Feststellungen des LSG sind auch diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Der Tagesablauf von P war in wesentlichen Teilen nicht von der Einrichtung vorgegeben; ein "bestimmender Einfluss" bei seiner Betreuung fehlte. Die morgendliche Betreuung beschränkte sich darauf, dass eine Mitarbeiterin des Jugendhilfezentrums Ve, die vor Ort wohnte, sich dann um P kümmerte, wenn dieser nicht selbständig in der WfbM erschienen war. Allein die abendliche Betreuung, die das LSG im Wesentlichen mit unterstützenden Hilfeleistungen bei der Führung des Haushalts (Aufstellen eines Essensplanes, gemeinsames Einkaufen etc) beschrieben hat, genügt nicht den rechtlichen Anforderungen an eine Betreuung im Sinne einer ständigen Überwachung.

24

Die tatsächlichen Feststellungen des LSG hat der Kläger nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen. Soweit er vorträgt, aus den Aussagen des Leiters der Jugendwohngruppe und des Betreuers von P seien andere tatsächliche Schlüsse zu ziehen, als sie das LSG vorgenommen hat, rügt er die Beweiswürdigung durch das LSG, die der revisionsgerichtlichen Kontrolle entzogen ist.

25

Eine andere örtliche Zuständigkeit für stationäre Leistungen ergibt sich nicht unter Berücksichtigung des Normzwecks von § 98 Abs 5 SGB XII durch eine analoge Anwendung des § 98 Abs 2 Satz 2 SGB XII. Nach § 98 Abs 5 SGB XII ist für die Leistungen nach diesem Buch an Personen, die Leistungen nach dem Sechsten bis Achten Kapitel in Formen ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten erhalten, der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, der vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt zuständig war oder gewesen wäre. Mit dieser Norm wurde - anders als noch unter Geltung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) - für Ambulant-betreutes-Wohnen eine der Regelung für stationäre Leistungen in § 98 Abs 2 Satz 1 SGB XII vergleichbare Regelung mit Wirkung ab 1.1.2005 geschaffen. Wäre über § 98 Abs 2 Satz 1 SGB XII hinaus § 98 Abs 2 Satz 2 SGB XII analog anwendbar, wäre im Rahmen einer sog gemischten Kette zwischen Einrichtungen und Ambulant-betreutem-Wohnen(vgl dazu BSG, Urteil vom 25.4.2013 - B 8 SO 6/12 R - RdNr 15) vorliegend auf den letzten gewöhnlichen Aufenthalt vor Eintritt in die erste Einrichtung (bis 7.8.2001) im Landkreis B abzustellen. Ob eine solche Analogie gerechtfertigt ist, hat der Senat bislang offen gelassen (BSG, aaO, RdNr 16). Einer Entscheidung hierüber bedarf es auch jetzt nicht; denn mit Rücksicht auf § 98 Abs 5 Satz 2 SGB XII, wonach vor Inkrafttreten des Gesetzes bestimmte Zuständigkeiten unberührt bleiben, wäre der Kläger ebenfalls zuständig, weil bei einem einheitlichen, ununterbrochenen Bedarfsfall des Betreuten-Wohnens, der vor dem 1.1.2005 begonnen hat, die Regelungen des BSHG über die örtliche Zuständigkeit weitergelten würden (vgl BSGE 109, 56 ff RdNr 18 = SozR 4-3500 § 98 Nr 1). Da das BSHG andererseits eine § 98 Abs 5 SGB XII vergleichbare Norm für das Ambulant-betreute-Wohnen nicht kannte, verbliebe es auch unter Anwendung des § 97 BSHG dabei, dass auf den gewöhnlichen Aufenthalt (nur) bei Beginn der (eigentlichen) Einrichtungskette - ohne das Ambulant-betreute-Wohnen - abzustellen wäre(vgl BSG, aaO, RdNr 16), vorliegend mithin auf die Zeit in G

26

Die Zuständigkeit für die stationären Leistungen hat andererseits die sachliche Zuständigkeit für andere Leistungen gemäß § 97 Abs 4 SGB XII zur Folge. Ob mit Rücksicht auf den Sinn des § 97 Abs 4 SGB XII, wegen des Wegfalls von § 27 Abs 3 BSHG (Hilfe zum Lebensunterhalt als Bestandteil der Hilfe in "besonderen Lebenslagen") die Zuständigkeit zweier Leistungsträger zu vermeiden(BT-Drucks 15/1514, S 67 zu § 92), eine analoge Anwendung dieser Vorschrift (oder des § 98 Abs 2 SGB XII) für Leistungen des Lebensunterhalts während stationärer Maßnahmen bei Auseinanderfallen der örtlichen Zuständigkeit gerechtfertigt ist, bedarf keiner Entscheidung. Jedenfalls müssen die landesrechtlichen Vorschriften über die Heranziehung der Landkreise und kreisfreien Städte (dazu siehe oben) im Lichte des § 97 Abs 4 SGB XII so ausgelegt werden, dass nicht gerade aus der Heranziehung des örtlichen Sozialhilfeträgers eine unterschiedliche Leistungs-/Wahrnehmungszuständigkeit resultiert. Welche Leistungen im Einzelnen neben der stationären Leistung erbracht worden sind bzw erbracht werden, ist vom LSG nicht festgestellt. Allerdings bedürfen die in der Einrichtung selbst erbrachten Leistungen für den Lebensunterhalt, die lediglich einen Rechenposten im Rahmen der Erbringung der besonderen Sozialhilfeleistung darstellen (BSG, Urteil vom 23.8.2013 - B 8 SO 17/12 R - RdNr 18), weder einer gesonderten Bewilligung noch handelt es sich insoweit um Geldleistungen, die neben der stationären Leistung erbracht werden (vgl dazu: BSG SozR 4-3500 § 35 Nr 3 RdNr 13; Blüggel in jurisPK SGB XII, 2. Aufl 2014, § 42 SGB XII RdNr 23, und § 46a SGB XII RdNr 35; Behrend in jurisPK SGB XII, 2. Aufl 2014, § 27b SGB XII RdNr 75 ff; Eicher in jurisPK SGB XII, 2. Aufl 2014, Anhang zu § 13 SGB XII RdNr 3). Der weitere notwendige Lebensunterhalt des § 35 Abs 2 SGB XII aF bzw § 27b Abs 2 SGB XII nF ist demgegenüber keine Grundsicherungsleistung, sondern Hilfe zum Lebensunterhalt(Blüggel, Behrend und Eicher, aaO; BSG SozR 4-3500 § 35 Nr 3 RdNr 13).

27

Wenn der Kläger P ab 1.1.2013 Grundsicherungsleistungen nach § 42 SGB XII über die Leistungen in der Einrichtung hinaus erbracht haben sollte, würde sich für die Beurteilung der Zuständigkeit insoweit eine Änderung ergeben, als der Kläger dann nicht mehr als vom sachlich zuständigen Land herangezogener örtlicher Sozialhilfeträger, sondern in eigener Leistungszuständigkeit die Leistungen erbracht hätte. Nach § 46b Abs 1 SGB XII werden die zuständigen Träger zur Ausführung der Grundsicherung nach Landesrecht bestimmt. Die Norm ist unvollständig, weil sie keine Aussage darüber enthält, welches Land anknüpfend an welchen Tatbestand (tatsächlicher Aufenthalt, gewöhnlicher Aufenthalt oder anderes) die Zuständigkeit regelt. Jedoch dürfte mit der Ergänzung des § 46b SGB XII durch einen Abs 3 mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des SGB XII vom 1.10.2013 (BGBl I 3733) klargestellt sein, dass - anknüpfend an die früheren Regelungen - das Land gemeint ist, in dem der Leistungsempfänger seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. § 2 Abs 3 AGSGB XII ordnet die sachliche Zuständigkeit des örtlichen Sozialhilfeträgers an, und § 46b Abs 3 Satz 2 SGB XII sieht abweichend von Satz 1, in dem die Anwendung des Zwölften Kapitels des SGB XII ausgeschlossen ist, für Grundsicherungsleistungen bei Aufenthalt in einer stationären Einrichtung eine entsprechende Anwendung des § 98 Abs 2 Satz 1 bis 3 SGB XII vor. Auf diese Weise wird wiederum eine einheitliche örtliche und sachliche Zuständigkeit hergestellt (vgl BT-Drucks 17/13662, S 1 und S 6 zu Nr 2).

28

Ob diese Regelung mit Rücksicht auf § 46b Abs 3 Satz 3 SGB XII auch für gemischte Einrichtungsketten (Wechsel zwischen stationären Einrichtungen und Ambulant-betreutem-Wohnen) gilt, kann ebenso wie im Rahmen der unmittelbaren Anwendung des § 98 Abs 2 Satz 2 SGB XII offen bleiben(dazu oben). Finden für die stationären Leistungen selbst, damit auch für die in der Einrichtung erbrachten Grundsicherungsleistungen, wegen des einheitlichen, ununterbrochenen Bedarfsfalls eines Betreuten-Wohnens, der bereits vor dem 1.1.2005 begonnen hat, die Zuständigkeitsregelungen des BSHG weiterhin Anwendung, so kann im Rahmen des § 46b Abs 3 Satz 2 SGB XII nichts anderes gelten. § 46b Abs 3 Satz 2 SGB XII müsste für diese Fälle normerweiternd dahin ausgelegt werden, dass § 97 Abs 2 Satz 1 bis 3 BSHG entsprechend anzuwenden ist. Nur dies würde der Intention des Gesetzgebers gerecht, der bei Leistungen des Ambulant-betreuten-Wohnens eine entsprechende Anwendung des § 98 Abs 5 SGB XII anordnet(§ 46b Abs 3 Satz 3 SGB XII).

29

Ein Erstattungsanspruch ergibt sich schließlich nicht aus den Vereinbarungen zwischen Landkreistag Rheinland-Pfalz und Städtetag Rheinland-Pfalz über die Kostenerstattung bei der Finanzierung des Betreuten-Wohnens aus den Jahren 1997 und 2005. Um eine Normsetzung durch vertragliche Vereinbarung auch mit Wirkung für am Vertragsschluss Nichtbeteiligte (sog Normvertrag; vgl BSGE 94, 50 ff RdNr 65 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2 mwN)handelt es sich jedenfalls nicht; denn es fehlt an jeglicher gesetzlichen Ermächtigung dafür.

30

Ob sich die Beteiligten selbst mit der Vereinbarung aus dem Jahr 1997 vertraglich gebunden haben und ob diese Vereinbarung fortgalt, nachdem die Beteiligten dem diese Vereinbarung ersetzenden Vertrag aus dem Jahr 2005 nicht beigetreten sind, ist vom LSG nicht festgestellt; dies konnte aber letztlich offenbleiben. Die in der Vereinbarung aus dem Jahr 1997 getroffene Regelung, wonach sich die Vereinbarungspartner darin einig sind, "dass durch den Aufenthalt in einer solchen Einrichtung (des Betreuten-Wohnens) kein gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne des BSHG/Kinder-und Jugendhilfegesetz begründet wird" und deshalb wegen der insoweit von § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I abweichenden Kriterien für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts eine (bundesrechtliche) Zuständigkeitsregelung nicht zur Anwendung komme, wäre ohnedies nichtig(§ 53 Abs 1, § 58 Abs 1 SGB X).

31

Koordinationsrechtliche öffentlich-rechtliche Verträge - wie hier - iS von § 53 Abs 1 Satz 1 SGB X(vgl näher Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 53 RdNr 4) sind nach § 58 Abs 1 SGB X nichtig, wenn sich die Nichtigkeit aus der entsprechenden Anwendung von Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ergibt. Dabei können qualifizierte Rechtsverstöße gegen eine Norm nach § 134 BGB die Nichtigkeit des entsprechenden Vertrages zur Folge haben, wenn sich die Norm von ihrer Ausrichtung her gegen eine bestimmte inhaltliche Ausgestaltung richtet(vgl: Engelmann, aaO, § 58 RdNr 6a; Hissnauer in jurisPK SGB X, § 58 SGB X RdNr 9; jeweils mwN). Durch den Vertrag aus dem Jahr 1997 konnte - wegen der Sperre des § 53 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB X("soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen"; zu diesem Gedanken bereits BSGE 86, 78 ff = SozR 3-1300 § 111 Nr 8) - die Vorschrift des § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I weder ausgeschlossen noch umgangen werden. Bei den in § 30 Abs 3 SGB I enthaltenen Legaldefinitionen des Wohnsitzes und des gewöhnlichen Aufenthalts handelt es sich um zwingende Rechtsnormen. Mit ihnen kommt zum Ausdruck, dass "Wohnsitz" und "gewöhnlicher Aufenthalt" grundsätzlich als einheitliche Anknüpfungspunkte für die Anwendung aller Rechtsmaterien des SGB dienen sollen und abweichende Regelungen (vgl § 37 SGB I)dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben (vgl Schlegel in jurisPK SGB I, 2. Aufl 2011, § 30 SGB I RdNr 25 mwN).

32

Ob und welche vertraglichen Regelungen auf dem Gebiet eines Landes § 112 SGB XII zulässt, die von den Kostenerstattungsregelungen des Zweiten Abschnitts im Dreizehnten Kapitel des SGB XII abweichen, kann offen bleiben. Um eine abweichende Vereinbarung der Kostenerstattung handelt es sich nicht; denn die vertragliche Vereinbarung aus dem Jahr 1997 trifft inhaltliche Regelungen lediglich über den gewöhnlichen Aufenthalt, an die eine (abweichende) Kostenerstattungsregelung nur als vertragliche Folge geknüpft ist.

33

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 und 3 SGG iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Streitwertentscheidung beruht auf § 197a Abs 3 und Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Dabei waren die Streitwerte der Leistungs- und Feststellungsklage zusammenzurechnen (§ 39 Abs 1 GKG). Der Streitwert der Leistungsklage entspricht dem Betrag der mit dem Revisionsbegründungsschriftsatz geltend gemachten Hauptforderung (§§ 40, 47 Abs 1 und 2, § 52 Abs 3 GKG). Für die Feststellungsklage war mangels hinreichender Anhaltspunkte für deren Wert der Auffangstreitwert von 5000 Euro anzusetzen (§ 52 Abs 2 GKG).

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 18. September 2013 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 14 211,29 Euro festgesetzt.

I

Tatbestand

1

Im Streit ist die Erstattung von Kosten für eine stationäre Maßnahme der Sozialhilfe für die Zeit vom 25.3.2010 bis 28.2.2011, die der Landkreis L.-W. (L) für den Hilfeempfänger D. B. (B) erbracht hat.

2

Der 1986 geborene B lebte bis zum 20.3.2010 in Be. (R.-P.) im elterlichen Haushalt. Nachdem ihn seine Mutter der Wohnung verwiesen hatte, hielt er sich zunächst bis 22.3.2010 bei einem Bekannten - ebenfalls in R.-P. auf. Vom 22. bis 24.3.2010 übernachtete er in der "Herberge" des W.-A.-Hauses in Li. (H.), die Übernachtungsmöglichkeiten für wohnsitzlose Menschen anbietet. Diese Tage nutzte er, um sich Klarheit darüber zu verschaffen, ob er in das W:-A.-Haus selbst (stationär) aufgenommen werden wolle; diese Aufnahme erfolgte dann am 25.3.2010. L übernahm vorläufig die Kosten hierfür (Bescheide vom 30.6.2010 und 28.10.2010). Der Beklagte lehnte die geltend gemachte Kostenerstattung mit der Begründung ab, B habe in der Herberge einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet, sodass L selbst der zuständige Sozialhilfeträger sei (Schreiben vom 7.12.2010).

3

Die auf Erstattung von 14 211,29 Euro an sich gerichtete Klage, erhoben vom Landeswohlfahrtsverband H. während des Berufungsverfahrens wurde durch L eine Vollmacht zur Durchführung des Gerichtsverfahrens erteilt -, hatte in beiden Instanzen Erfolg (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 30.10.2012; Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 18.9.2013). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, B habe seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt vor der stationären Aufnahme bei seinen Eltern in Be. gehabt; weder bei seinem Bekannten noch während des kurzfristigen Aufenthalts in der Herberge habe er einen anderen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Insbesondere habe B am 22.3.2010 noch nicht die Entscheidung getroffen, dauerhaft in Li. zu bleiben. Aber selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, ergäbe sich für die Frage der Zuständigkeit nichts anderes. Denn der Schutz der Einrichtungsorte, den § 98 Abs 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) iVm § 109 SGB XII vermittle, müsse sich auf der eigentlichen Aufnahme vorgelagerte kurze Aufenthalte am Einrichtungsort, also auch auf die - wie hier - einer Einrichtung angeschlossene Herberge, erstrecken, sodass dort von vornherein kein gewöhnlicher Aufenthalt habe begründet werden können.

4

Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 30 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I) sowie des § 109 SGB XII. Das LSG habe zu Unrecht angenommen, am 22.3.2010 sei der Verbleib des B in Li. noch nicht sicher gewesen; allein die Möglichkeit, dass er an einen anderen Ort hätte weiterziehen können, stehe ohnedies der rechtlichen Wertung eines zukunftsoffenen Verbleibs und damit der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts nicht entgegen. Es bestehe auch nicht die Notwendigkeit, den Schutz des § 109 SGB XII auf zeitlich der Aufnahme vorgelagerte Aufenthalte zu erstrecken.

5

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG und den Gerichtsbescheid des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält die Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz).

9

Gegenstand des Verfahrens ist die Erstattung von Aufwendungen in Höhe von 14 211,29 Euro, die L in der Zeit vom 25.3.2010 bis 28.2.2011 für B vorläufig erbracht haben soll und deren Erstattung der Kläger in Form einer eigennützigen gewillkürten Prozessstandschaft mit der allgemeinen Leistungsklage (§ 54 SGG)durch Zahlung an sich verlangt. Insoweit ist die Klage jedenfalls mit der durch L im Berufungsverfahren erteilten Ermächtigung zulässig geworden. Anders als das LSG meint, war und ist L vom Kläger als überörtlichem Träger der Sozialhilfe (§ 100 Abs 1 Nr 5 Bundessozialhilfegesetz, § 99 BSHG iVm § 2 Hessisches Ausführungsgesetz zum Bundessozialhilfegesetz - Gesetz und Verordnungsblatt 642) Herangezogener (§ 96 Abs 1 Satz 2 BSHG iVm § 5 HAG/BSHG; Heranziehungen von örtlichen Trägern der Sozialhilfe zur Durchführung von Aufgaben nach § 5 Abs 1 HAG/BSHG, die wie hier am 31.12.2004 Geltung hatten, gelten fort, vgl § 13 Abs 2 Satz 1 Hessisches Ausführungsgesetz zum SGB XII vom 20.12.2004 - GVBl 488 -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 10.12.2013 - GVBl 675) für die Gewährung von Hilfen in besonderen Lebenslagen im eigenen Namen (vgl insoweit auch § 1 Abs 1 Nr 3 des Delegationsbeschlusses des Verwaltungsausschusses des Landeswohlfahrtsverbandes H. über die Heranziehung der örtlichen Träger der Sozialhilfe zur Durchführung von Aufgaben des überörtlichen Sozialhilfeträgers vom 24.9.1993 idF des Änderungsbeschlusses vom 25.10.2001) für das Leistungs- und Erstattungsverfahren wahrnehmungszuständig; daran hat sich auch durch die Einführung des SGB XII nichts geändert (§ 97 Abs 1 und Abs 3 Nr 3 SGB XII iVm § 2 HAG/SGB XII vom 20.12.2004 - GVBl 488 -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 10.12.2013 - GVBl 675). L wäre eigentlich selbst zur Prozessführung berechtigt (und verpflichtet) gewesen.

10

Doch hat L diese Befugnis prozessual wirksam dem Kläger übertragen (gewillkürte Prozessstandschaft; zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen vgl nur Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, ZPO, 72. Aufl 2014, Grdz § 50 RdNr 29 f; Zöller, ZPO, 30. Aufl 2014, vor § 50 RdNr 42 ff, insbesondere RdNr 49) und diesem unter Berücksichtigung des Inhalts der Erklärung auch das Recht eingeräumt, Zahlung an sich selbst zu verlangen (vgl dazu nur BGH, Urteil vom 7.6.2001 - I ZR 49/99). Wegen der besonderen Konstellation der Heranziehung, in der der Kläger für diese Leistung originär zuständig war und trotz der Heranziehung auch geblieben ist, hat der Kläger naturgemäß ein eigenes berechtigtes Interesse an der Prozessführung (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, aaO, RdNr 30). Zur Auslegung der vorgenannten, an sich nicht revisiblen (§ 162 SGG) landesrechtlichen Regelungen war der Senat befugt, weil das LSG insoweit keine eigenen Feststellungen getroffen hat (vgl zu dieser Voraussetzung: BSGE 94, 38, 43 = SozR 4-2700 § 182 Nr 1; BSGE 96, 64, 67 f = SozR 4-4300 § 143a Nr 1). Es hat bei seinen Ausführungen zur Zuständigkeit vielmehr lediglich auf § 1 Abs 2 des Delegationsbeschlusses abgestellt; die eigentlich maßgeblichen landes- und bundesrechtlichen Regelungen zur Zuständigkeit hat es jedoch nicht ermittelt bzw ausgelegt.

11

Sonstige von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensmängel liegen nicht vor. Insbesondere war eine Beiladung des B in den Fällen des § 106 SGB XII, der hier als Anspruchsnorm allein in Betracht kommt, nicht erforderlich; weil die Rechtsstellung des B durch das vorliegende Verfahren nicht berührt wird (vgl zuletzt Senatsentscheidung vom 13.2.2014 - B 8 SO 11/12 R -, SozR 4-3500 § 106 Nr 1 RdNr 14 mwN). Von einer Beiladung des L wiederum konnte hier schon deshalb abgesehen werden, weil L kein eigenes rechtliches Interesse an der Geltendmachung der Forderung (mehr) hat; der Kläger hat ihm die aufgewendeten Kosten bereits erstattet.

12

Ob der Kläger gemäß § 106 Abs 1 iVm § 98 Abs 2 Satz 3 SGB XII die Erstattung der Aufwendungen des L vom Beklagten verlangen kann, kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Es ist schon nicht beurteilbar, ob sich ein Zahlungsanspruch überhaupt gegen den Beklagten richten kann, weil es an der Prüfung der sachlichen Zuständigkeit des Beklagten nach Landesrecht fehlt, die dem Senat nicht möglich ist. Denn sollte es sich bei der Leistung ab 25.3.2010 um eine solche nach § 67 SGB XII gehandelt haben, wäre eine Zuständigkeit des Landes R.-P. als überörtlichem Sozialhilfeträger statt des örtlichen nur denkbar, wenn die Leistungserbringung an B in einer stationären Einrichtung erforderlich gewesen wäre (vgl § 2 Abs 2 Nr 5 Landesgesetz zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 22.12.2004 - GVBl R.-P. 571). Dazu fehlen jedoch jegliche Feststellungen des LSG.

13

Es fehlen jedoch auch weitere tatsächliche Feststellungen. Nach § 106 Abs 1 SGB XII hat der nach § 98 Abs 2 Satz 1 SGB XII für die Hilfegewährung (örtlich) zuständige Träger dem nach § 98 Abs 2 Satz 3 SGB XII vorläufig leistenden Träger die aufgewendeten Kosten zu erstatten. L hat nach § 98 Abs 2 Satz 3 SGB XII zu Recht vorläufig Leistungen an B erbracht. Steht innerhalb von vier Wochen nicht fest, wo der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Leistungsberechtigten im Zeitpunkt der Aufnahme in eine Einrichtung war, ist nach § 98 Abs 2 Satz 3 SGB XII nämlich der nach § 98 Abs 1 SGB XII für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständige Leistungsträger - hier L - örtlich zuständig, um eine möglichst schnelle Deckung des geltend gemachten Bedarfs unabhängig von Zuständigkeitsfragen sicherzustellen. Diese dem Schutz des Hilfebedürftigen dienende Zuständigkeitsregelung greift nicht nur bei Unklarheiten im Tatsächlichen, sondern gilt nach ihrem Sinn und Zweck gleichermaßen, wenn - wie hier - zwischen zwei Leistungsträgern unterschiedliche Rechtsansichten darüber bestehen, wo der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Hilfebedürftigen liegt und deshalb keine Einigung über die örtliche Zuständigkeit erzielt werden kann (vgl BT-Drucks 12/4401, S 84 zur Vorgängerregelung des § 97 Abs 2 Satz 3 BSHG).

14

Ob der Beklagte bzw der örtliche Träger der Sozialhilfe (siehe oben) jedoch der nach § 98 Abs 2 Satz 1 SGB XII eigentlich zuständige Träger ist, weil B seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt vor der Aufnahme in die Einrichtung in R.-P. bei seiner Mutter, damit in seinem Zuständigkeitsbereich, hatte, kann nicht abschließend beurteilt werden.

15

Nach § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I hat eine Person den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo sie sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass sie an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Für die Feststellung des Vorliegens eines gewöhnlichen Aufenthalts sind die mit dem Aufenthalt verbundenen Umstände des Einzelfalls festzustellen; im Rahmen einer vorausschauenden Betrachtung (Prognoseentscheidung) unter Berücksichtigung aller für die Beurteilung der künftigen Entwicklung im Zeitpunkt des Eintreffens am maßgeblichen Ort erkennbaren Umstände zu würdigen und als hypothetische Tatsache festzustellen (BSGE 112, 116 ff RdNr 25 = SozR 4-1200 § 30 Nr 6; BSGE 65, 84, 86 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 17; BSGE 63, 93, 97 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 183), und zwar auch dann, wenn wie hier der gewöhnliche Aufenthalt rückblickend zu ermitteln ist. Dies ist Aufgabe der Tatsachengerichte und für den Senat bindend, solange nicht durchgreifende Verfahrensrügen (dazu BSGE 94, 133 ff RdNr 16 = SozR 4-3200 § 81 Nr 2) dagegen erhoben werden.

16

Dass das LSG eine Prognose getroffen hat, ist für den Senat nicht erkennbar. Die vom LSG festgestellten Umstände, warum B in die Herberge kam und wie er die Tage dort nutzte, haben nach den aufgezeigten Maßstäben keine selbständige materiellrechtliche Bedeutung; denn sie können nur neben weiteren objektiven Umständen die Grundlage der einheitlichen Prognoseentscheidung bilden. Das LSG hat zukunftsgerichtet lediglich die subjektive Tatsache festgestellt, dass B im Zeitpunkt des Eintreffens in der Herberge noch nicht den Willen hatte, dauerhaft in Li. zu verbleiben. Ebenso sei denkbar gewesen, dass er weiterziehe; er habe sich daher "zukunftsoffen" in L aufgehalten.

17

Die Formulierung "zukunftsoffen" ist jedoch nur der Gebrauch eines Rechtsbegriffs. Sie genügt damit nicht den Anforderungen einer (hypothetischen) Tatsachenfeststellung im Sinne der erforderlichen Prognose, die eine Würdigung nicht nur des Willens von B, sondern aller Umstände verlangt. Nach der Formulierung des LSG hat dieses die Zukunftsoffenheit rechtlich unzutreffend lediglich mit der subjektiven Vorstellung des B verknüpft, nicht aber eine eigene Einschätzung vorgenommen, ob trotz dessen subjektiver Offenheit unter Berücksichtigung weiterer Umstände nicht doch mit einem Verbleib in Li. zu rechnen war. Besonders deutlich wird dies auch daran, dass das LSG zu einer anderen rechtlichen Würdigung des Verbleibs unter dem Gesichtspunkt der Zukunftsoffenheit gelangt, indem es B mit einem wohnsitzlosen Menschen gleichstellt und für diesen Personenkreis zu Unrecht abweichende Kriterien für die Prognose aufstellt.

18

Wäre mit einem Verbleib in Li. zu rechnen gewesen, hätte B in der Herberge und damit im Zuständigkeitsbereich des L einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. § 109 SGB XII fände keine Anwendung. Danach gilt als gewöhnlicher Aufenthalt ua nicht der Aufenthalt in einer Einrichtung iS des § 98 Abs 2 SGB XII. Der Rechtsgedanke des § 109 SGB XII gebietet eine Vorverlagerung dieses Schutzes auf einen Aufenthalt in der einer Einrichtung angeschlossenen Herberge nur unter der Voraussetzung, dass eine Person schon mit dem sicheren Wissen, in eine Einrichtung aufgenommen zu werden, den Ort der Einrichtung aufsucht und deshalb nur eine vorübergehende Zeit außerhalb der Einrichtung bis zur Aufnahme überbrücken muss(so bereits BVerwGE 42, 196 f). Die Absicht des Eintretens in die Einrichtung muss mithin der Grund für die Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts an den Ort der Einrichtung sein, was nach den Feststellungen des LSG bei B gerade nicht der Fall war. Demgemäß hat das LSG die Anwendung des § 109 SGB XII auch nur für den Fall bejaht, dass man entgegen seiner tatsächlichen Feststellungen von einer Entschlossenheit des B zum Wechsel in die Einrichtung ausgehen würde.

19

Sollte das LSG hingegen zum Schluss kommen, B habe sich nur vorübergehend in L aufgehalten, dort also keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet, wäre weiter zu prüfen, ob die dem B von L erbrachten Leistungen dem Grund und der Höhe nach rechtmäßig sind (vgl nur BSGE 109, 56 ff RdNr 10 = SozR 4-3500 § 98 Nr 1). Hierzu hat das LSG lediglich ausgeführt, es sei "unstreitig", dass die Leistungserbringung an B erforderlich gewesen sei; der Erstattungsanspruch sei zudem auch seiner Höhe nach "unstreitig". Diese Ausführungen ermöglichen keine rechtliche Überprüfung durch den Senat.

20

Bei seiner erneuten Entscheidung wird das LSG ggf das Rubrum im Hinblick auf das in R.-P. geltende Behördenprinzip unter Berücksichtigung von § 1 Abs 2 Satz 2 AGSGB II R.-P. vom 22.12.2004 (GVBl 571) zu berichtigen haben.

21

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs 3 und Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG), §§ 40, 47 Abs 1 und Abs 2 GKG, § 52 Abs 3 GKG.

22

Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Anspruch auf Elterngeld hat, wer

1.
einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat,
2.
mit seinem Kind in einem Haushalt lebt,
3.
dieses Kind selbst betreut und erzieht und
4.
keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.
Bei Mehrlingsgeburten besteht nur ein Anspruch auf Elterngeld.

(2) Anspruch auf Elterngeld hat auch, wer, ohne eine der Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 zu erfüllen,

1.
nach § 4 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch dem deutschen Sozialversicherungsrecht unterliegt oder im Rahmen seines in Deutschland bestehenden öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses vorübergehend ins Ausland abgeordnet, versetzt oder kommandiert ist,
2.
Entwicklungshelfer oder Entwicklungshelferin im Sinne des § 1 des Entwicklungshelfer-Gesetzes ist oder als Missionar oder Missionarin der Missionswerke und -gesellschaften, die Mitglieder oder Vereinbarungspartner des Evangelischen Missionswerkes Hamburg, der Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen e. V. oder der Arbeitsgemeinschaft pfingstlich-charismatischer Missionen sind, tätig ist oder
3.
die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und nur vorübergehend bei einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung tätig ist, insbesondere nach den Entsenderichtlinien des Bundes beurlaubte Beamte und Beamtinnen, oder wer vorübergehend eine nach § 123a des Beamtenrechtsrahmengesetzes oder § 29 des Bundesbeamtengesetzes zugewiesene Tätigkeit im Ausland wahrnimmt.
Dies gilt auch für mit der nach Satz 1 berechtigten Person in einem Haushalt lebende Ehegatten oder Ehegattinnen.

(3) Anspruch auf Elterngeld hat abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 auch, wer

1.
mit einem Kind in einem Haushalt lebt, das er mit dem Ziel der Annahme als Kind aufgenommen hat,
2.
ein Kind des Ehegatten oder der Ehegattin in seinen Haushalt aufgenommen hat oder
3.
mit einem Kind in einem Haushalt lebt und die von ihm erklärte Anerkennung der Vaterschaft nach § 1594 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs noch nicht wirksam oder über die von ihm beantragte Vaterschaftsfeststellung nach § 1600d des Bürgerlichen Gesetzbuchs noch nicht entschieden ist.
Für angenommene Kinder und Kinder im Sinne des Satzes 1 Nummer 1 sind die Vorschriften dieses Gesetzes mit der Maßgabe anzuwenden, dass statt des Zeitpunktes der Geburt der Zeitpunkt der Aufnahme des Kindes bei der berechtigten Person maßgeblich ist.

(4) Können die Eltern wegen einer schweren Krankheit, Schwerbehinderung oder Todes der Eltern ihr Kind nicht betreuen, haben Verwandte bis zum dritten Grad und ihre Ehegatten oder Ehegattinnen Anspruch auf Elterngeld, wenn sie die übrigen Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllen und wenn von anderen Berechtigten Elterngeld nicht in Anspruch genommen wird.

(5) Der Anspruch auf Elterngeld bleibt unberührt, wenn die Betreuung und Erziehung des Kindes aus einem wichtigen Grund nicht sofort aufgenommen werden kann oder wenn sie unterbrochen werden muss.

(6) Eine Person ist nicht voll erwerbstätig, wenn ihre Arbeitszeit 32 Wochenstunden im Durchschnitt des Lebensmonats nicht übersteigt, sie eine Beschäftigung zur Berufsbildung ausübt oder sie eine geeignete Tagespflegeperson im Sinne des § 23 des Achten Buches Sozialgesetzbuch ist und nicht mehr als fünf Kinder in Tagespflege betreut.

(7) Ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer oder eine nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin ist nur anspruchsberechtigt, wenn diese Person

1.
eine Niederlassungserlaubnis oder eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU besitzt,
2.
eine Blaue Karte EU, eine ICT-Karte, eine Mobiler-ICT-Karte oder eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigen oder berechtigt haben oder diese erlauben, es sei denn, die Aufenthaltserlaubnis wurde
a)
nach § 16e des Aufenthaltsgesetzes zu Ausbildungszwecken, nach § 19c Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck der Beschäftigung als Au-Pair oder zum Zweck der Saisonbeschäftigung, nach § 19e des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck der Teilnahme an einem Europäischen Freiwilligendienst oder nach § 20 Absatz 1 und 2 des Aufenthaltsgesetzes zur Arbeitsplatzsuche erteilt,
b)
nach § 16b des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck eines Studiums, nach § 16d des Aufenthaltsgesetzes für Maßnahmen zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen oder nach § 20 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes zur Arbeitsplatzsuche erteilt und er ist weder erwerbstätig noch nimmt er Elternzeit nach § 15 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes oder laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch in Anspruch,
c)
nach § 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes wegen eines Krieges in seinem Heimatland oder nach den § 23a oder § 25 Absatz 3 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt,
3.
eine in Nummer 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist oder Elternzeit nach § 15 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes oder laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch in Anspruch nimmt,
4.
eine in Nummer 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens 15 Monaten erlaubt, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält oder
5.
eine Beschäftigungsduldung gemäß § 60d in Verbindung mit § 60a Absatz 2 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes besitzt.
Abweichend von Satz 1 Nummer 3 erste Alternative ist ein minderjähriger nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer oder eine minderjährige nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin unabhängig von einer Erwerbstätigkeit anspruchsberechtigt.

(8) Ein Anspruch entfällt, wenn die berechtigte Person im letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes ein zu versteuerndes Einkommen nach § 2 Absatz 5 des Einkommensteuergesetzes in Höhe von mehr als 250 000 Euro erzielt hat. Erfüllt auch eine andere Person die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 oder der Absätze 3 oder 4, entfällt abweichend von Satz 1 der Anspruch, wenn die Summe des zu versteuernden Einkommens beider Personen mehr als 300 000 Euro beträgt.

(1) Soweit die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung eine Beschäftigung voraussetzen, gelten sie auch für Personen, die im Rahmen eines im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in ein Gebiet außerhalb dieses Geltungsbereichs entsandt werden, wenn die Entsendung infolge der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist.

(2) Für Personen, die eine selbständige Tätigkeit ausüben, gilt Absatz 1 entsprechend.

(1) Anspruch auf Elterngeld hat, wer

1.
einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat,
2.
mit seinem Kind in einem Haushalt lebt,
3.
dieses Kind selbst betreut und erzieht und
4.
keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.
Bei Mehrlingsgeburten besteht nur ein Anspruch auf Elterngeld.

(2) Anspruch auf Elterngeld hat auch, wer, ohne eine der Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 zu erfüllen,

1.
nach § 4 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch dem deutschen Sozialversicherungsrecht unterliegt oder im Rahmen seines in Deutschland bestehenden öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses vorübergehend ins Ausland abgeordnet, versetzt oder kommandiert ist,
2.
Entwicklungshelfer oder Entwicklungshelferin im Sinne des § 1 des Entwicklungshelfer-Gesetzes ist oder als Missionar oder Missionarin der Missionswerke und -gesellschaften, die Mitglieder oder Vereinbarungspartner des Evangelischen Missionswerkes Hamburg, der Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen e. V. oder der Arbeitsgemeinschaft pfingstlich-charismatischer Missionen sind, tätig ist oder
3.
die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und nur vorübergehend bei einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung tätig ist, insbesondere nach den Entsenderichtlinien des Bundes beurlaubte Beamte und Beamtinnen, oder wer vorübergehend eine nach § 123a des Beamtenrechtsrahmengesetzes oder § 29 des Bundesbeamtengesetzes zugewiesene Tätigkeit im Ausland wahrnimmt.
Dies gilt auch für mit der nach Satz 1 berechtigten Person in einem Haushalt lebende Ehegatten oder Ehegattinnen.

(3) Anspruch auf Elterngeld hat abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 auch, wer

1.
mit einem Kind in einem Haushalt lebt, das er mit dem Ziel der Annahme als Kind aufgenommen hat,
2.
ein Kind des Ehegatten oder der Ehegattin in seinen Haushalt aufgenommen hat oder
3.
mit einem Kind in einem Haushalt lebt und die von ihm erklärte Anerkennung der Vaterschaft nach § 1594 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs noch nicht wirksam oder über die von ihm beantragte Vaterschaftsfeststellung nach § 1600d des Bürgerlichen Gesetzbuchs noch nicht entschieden ist.
Für angenommene Kinder und Kinder im Sinne des Satzes 1 Nummer 1 sind die Vorschriften dieses Gesetzes mit der Maßgabe anzuwenden, dass statt des Zeitpunktes der Geburt der Zeitpunkt der Aufnahme des Kindes bei der berechtigten Person maßgeblich ist.

(4) Können die Eltern wegen einer schweren Krankheit, Schwerbehinderung oder Todes der Eltern ihr Kind nicht betreuen, haben Verwandte bis zum dritten Grad und ihre Ehegatten oder Ehegattinnen Anspruch auf Elterngeld, wenn sie die übrigen Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllen und wenn von anderen Berechtigten Elterngeld nicht in Anspruch genommen wird.

(5) Der Anspruch auf Elterngeld bleibt unberührt, wenn die Betreuung und Erziehung des Kindes aus einem wichtigen Grund nicht sofort aufgenommen werden kann oder wenn sie unterbrochen werden muss.

(6) Eine Person ist nicht voll erwerbstätig, wenn ihre Arbeitszeit 32 Wochenstunden im Durchschnitt des Lebensmonats nicht übersteigt, sie eine Beschäftigung zur Berufsbildung ausübt oder sie eine geeignete Tagespflegeperson im Sinne des § 23 des Achten Buches Sozialgesetzbuch ist und nicht mehr als fünf Kinder in Tagespflege betreut.

(7) Ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer oder eine nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin ist nur anspruchsberechtigt, wenn diese Person

1.
eine Niederlassungserlaubnis oder eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU besitzt,
2.
eine Blaue Karte EU, eine ICT-Karte, eine Mobiler-ICT-Karte oder eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigen oder berechtigt haben oder diese erlauben, es sei denn, die Aufenthaltserlaubnis wurde
a)
nach § 16e des Aufenthaltsgesetzes zu Ausbildungszwecken, nach § 19c Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck der Beschäftigung als Au-Pair oder zum Zweck der Saisonbeschäftigung, nach § 19e des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck der Teilnahme an einem Europäischen Freiwilligendienst oder nach § 20 Absatz 1 und 2 des Aufenthaltsgesetzes zur Arbeitsplatzsuche erteilt,
b)
nach § 16b des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck eines Studiums, nach § 16d des Aufenthaltsgesetzes für Maßnahmen zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen oder nach § 20 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes zur Arbeitsplatzsuche erteilt und er ist weder erwerbstätig noch nimmt er Elternzeit nach § 15 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes oder laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch in Anspruch,
c)
nach § 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes wegen eines Krieges in seinem Heimatland oder nach den § 23a oder § 25 Absatz 3 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt,
3.
eine in Nummer 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist oder Elternzeit nach § 15 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes oder laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch in Anspruch nimmt,
4.
eine in Nummer 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens 15 Monaten erlaubt, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält oder
5.
eine Beschäftigungsduldung gemäß § 60d in Verbindung mit § 60a Absatz 2 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes besitzt.
Abweichend von Satz 1 Nummer 3 erste Alternative ist ein minderjähriger nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer oder eine minderjährige nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin unabhängig von einer Erwerbstätigkeit anspruchsberechtigt.

(8) Ein Anspruch entfällt, wenn die berechtigte Person im letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes ein zu versteuerndes Einkommen nach § 2 Absatz 5 des Einkommensteuergesetzes in Höhe von mehr als 250 000 Euro erzielt hat. Erfüllt auch eine andere Person die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 oder der Absätze 3 oder 4, entfällt abweichend von Satz 1 der Anspruch, wenn die Summe des zu versteuernden Einkommens beider Personen mehr als 300 000 Euro beträgt.

(1) Soweit die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung eine Beschäftigung voraussetzen, gelten sie auch für Personen, die im Rahmen eines im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in ein Gebiet außerhalb dieses Geltungsbereichs entsandt werden, wenn die Entsendung infolge der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist.

(2) Für Personen, die eine selbständige Tätigkeit ausüben, gilt Absatz 1 entsprechend.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt Bundeserziehungsgeld (BErzg) für den 6. bis 12. Lebensmonat ihrer am 16.3.2001 geborenen Tochter C. ; in dieser Zeit hat sie sich mit ihrem Ehemann und ihren Kindern in Äthiopien aufgehalten.

2

Der Ehemann der Klägerin war seit 15.5.2001 für die W. Organisation tätig. Dies ist eine gemeinnützige Organisation, die ua in Zusammenarbeit mit Regierungsstellen im Ausland Alphabetisierungsprogramme durchführt und (christliche) Literatur, insbesondere die Bibel, in die jeweils gesprochene Sprache übersetzt. Am 14.6.2001 schloss der Ehemann der Klägerin mit dem W. e.V. in Deutschland einen sog Versetzungsvertrag, der eine Versetzung in ein Arbeitsgebiet des Summer Institute of Linguistics (SIL) International mit Hauptquartier in D./USA vorsah. Aufgrund dieses Vertrags wurde er vom 1.8.2001 bis 31.7.2005 zur vorübergehenden Dienstleistung nach Äthiopien versetzt. Während dieser Zeit ruhten die Hauptpflichten aus seinem mit dem deutschen Verein geschlossenen unbefristeten Dienstvertrag. Es war außerdem vereinbart, dass dieser Dienstvertrag nach der Rückkehr nach Deutschland wieder seine volle Wirksamkeit entfalten sollte. Für die Zeit der befristeten Versetzung ins Ausland ging die Arbeitgeberfunktion, insbesondere die Weisungsbefugnis, vom W. e.V. auf das SIL International über; der Ehemann der Klägerin war auch in dessen organisatorische Struktur eingegliedert.

3

Auf Antrag der Klägerin bewilligte der beklagte Freistaat für die am 16.3.2001 geborene Tochter C. BErzg bis zum 15.8.2001. Eine Gewährung für den 6. bis 12. Lebensmonat des Kindes (16.8.2001 bis 15.3.2002) lehnte er ab, weil die Klägerin ab dem 31.7.2001 keinen Wohnsitz mehr in der Bundesrepublik Deutschland gehabt habe (Bescheid vom 22.8.2001). Den gegen die ablehnende Entscheidung gerichteten Widerspruch wies der Beklagte zurück. Nachdem die Klägerin bereits auf dem Antragsformular darauf hingewiesen hatte, dass sie während des Aufenthalts in Äthiopien auch über eine Adresse in Deutschland postalisch erreichbar sei, sandte der Beklagte den Widerspruchsbescheid vom 6.2.2002 als Briefsendung an die genannte Adresse in "G., B.". Der Widerspruchsbescheid enthielt die Rechtsbehelfsbelehrung, dass dagegen innerhalb von drei Monaten nach Bekanntgabe Klage beim Sozialgericht (SG) München erhoben werden könne.

4

Mit der am 3.5.2002 beim SG eingegangenen Klage hat die Klägerin begehrt, die ablehnende Entscheidung des Beklagten aufzuheben und ihr auch für den 6. bis 12. Lebensmonat der Tochter (16.8.2001 bis 15.3.2002) BErzg zu gewähren. Diese Klage ist ebenso wie die nachfolgende Berufung ohne Erfolg geblieben (Urteil des SG München vom 29.10.2003; Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11.9.2008). Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung ua ausgeführt: Die Klägerin erfülle die im streitigen Zeitraum geltenden gesetzlichen Voraussetzungen des § 1 Abs 2 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) nicht, nach denen ausnahmsweise Berechtigten, die keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hätten, BErzg zu gewähren sei. Insbesondere seien beim Ehemann der Klägerin die Voraussetzungen des Satzes 1 Nr 1 (iVm Satz 2) nicht gegeben. Während des Aufenthalts in Äthiopien habe dessen Beschäftigungsverhältnis nicht gemäß § 4 Abs 1 SGB IV dem deutschen Sozialversicherungsrecht unterlegen. Die Voraussetzungen der Ausstrahlung lägen nicht vor. Da § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BErzGG ausdrücklich auf § 4 SGB IV Bezug nehme, sei - anders als nach früherem Recht - zu fordern, dass das inländische Beschäftigungsverhältnis trotz Tätigkeit im Ausland fortbestehen müsse. Die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur alten Gesetzesfassung (BSG SozR 7833 § 1 Nr 6) sei wegen der gesetzlichen Bezugnahme auf § 4 SGB IV bei der Neufassung nicht anwendbar.

5

Ob eine Ausstrahlung vorliege, richte sich nach der Entscheidung des BSG vom 5.12.2006 (SozR 4-2400 § 4 Nr 1). Maßgebend sei danach, wo der Schwerpunkt der rechtlichen und tatsächlichen Merkmale des Beschäftigungsverhältnisses liege. Der im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer müsse organisatorisch in den Betrieb des inländischen Arbeitgebers eingegliedert bleiben. Eine Ausstrahlung liege nicht vor, wenn der Arbeitnehmer im Ausland in einen rechtlich verselbstständigten Betrieb eingegliedert sei und dieser das Arbeitsentgelt zahle. Dies sei hier der Fall, denn der Ehemann der Klägerin habe für die Zeit der Entsendung das Beschäftigungsverhältnis mit dem W. e.V. (in Deutschland) beendet und ein neues Beschäftigungsverhältnis mit dem SIL International begründet. Er sei auch bis zur tatsächlichen Rückkehr nach Deutschland dessen Weisungen unterworfen und in dessen organisatorische Struktur eingegliedert gewesen. Da es sich bei § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BErzGG um eine Ausnahme vom Territorialitätsprinzip handle, bestehe keine Möglichkeit, den Begriff der Ausstrahlung in dem von der Klägerin gemeinten Sinne (erweiternd) auszulegen. Deren Auffassung, das Rumpfarbeitsverhältnis ihres Ehemannes stehe einer Entsendung iS des § 4 SGB IV gleich, könne deshalb nicht gefolgt werden.

6

Die Klägerin hat die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung von § 4 SGB IV sowie von § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BErzGG. Das BSG vertrete zum BErzGG in ständiger Rechtsprechung einen modifizierten Entsendebegriff. Dieser habe eine andere Qualität als der des § 4 SGB IV. Er setze zwar wie eine Entsendung nach § 4 SGB IV eine fortbestehende Inlandsintegration voraus, die Hauptpflichten dürften aber in der Zeit der Auslandsbeschäftigung ruhen (sog Rumpfarbeitsverhältnis). Das LSG habe verkannt, dass das BSG seine Rechtsprechung zum Rumpfarbeitsverhältnis auch dort anwende, wo das Gesetz ausdrücklich eine Entsendung iS des § 4 SGB IV voraussetze. In diesem Zusammenhang seien zwei Entscheidungen des 4. Senats des BSG (Urteile vom 17.11.1992 - 4 RA 15/91 - BSGE 71, 227 = SozR 3-2600 § 56 Nr 4 und vom 16.11.1993 - 4 RA 39/92) zur Anrechnung von Kindererziehungszeiten nach § 56 Abs 3 Satz 2 SGB IV wichtig. Diese Bestimmung nenne zwar § 4 SGB IV nicht ausdrücklich, fordere jedoch Pflichtbeitragszeiten des arbeitenden Ehegatten. Dennoch wendeten beide Entscheidungen § 4 SGB IV über seinen Wortlaut hinaus an. Mit dieser Rechtsprechung habe sich das LSG nicht auseinandergesetzt.

7

In Falle ihres Ehemannes sei zwar die Weisungsgebundenheit und die Eingliederung auf den neuen Arbeitgeber übergegangen, es liege jedoch ein "Rumpfarbeitsverhältnis" in Deutschland vor, das auch für die Gewährung von BErzg ausreichen müsse, ohne dass eine Entsendung iS des § 4 SGB IV vorliegen müsse. Es wäre unsystematisch, ihr die Erziehungszeiten als rentenrechtliche Zeiten anzurechnen, gleichzeitig jedoch für diese Zeiten kein BErzg zu gewähren. Beide Leistungen bildeten eine Einheit, denn sie hätten bei unterschiedlicher Funktion die gleiche Intention. Sie seien Bestandteile des Familienlastenausgleichs, wobei das BErzg zum Ziele habe, Müttern und Vätern die Betreuungsleistungen für das neugeborene Kind zu honorieren, die Erziehungskraft der Familie zu stärken und deren Erziehungsleistung von der Gemeinschaft anzuerkennen (BT-Drucks 10/3792, S 13). Eine unterschiedliche Behandlung von Kindererziehungszeiten und BErzg würde zudem gegen das GG verstoßen.

8

Außerdem stellt die Klägerin klar, dass ihre in B. wohnenden Eltern lediglich beauftragt gewesen seien, Schreiben des Beklagten an ihren Wohnort in Äthiopien weiterzuleiten.

9

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. September 2008 und des Sozialgerichts München vom 29. Oktober 2003 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 22. August 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Februar 2002 zu ändern sowie den Beklagten zu verurteilen, ihr für den 6. bis 12. Lebensmonat ihrer Tochter C. BErzg zu gewähren.

10

Der Beklagte beantragt,

 die Revision zurückzuweisen.

11

Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend. Nach dessen tatsächlichen Feststellungen lägen die Voraussetzungen einer Ausstrahlung iS des § 4 SGB IV nicht vor. Der Auffassung der Klägerin, § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BErzGG sei auch auf ein Rumpfarbeitsverhältnis anwendbar, stehe der klare und eindeutige Wortlaut dieser Vorschrift(idF des Dritten Gesetzes zur Änderung des BErzGG vom 12.10.2000, BGBl I 1426) entgegen. Der Gesetzgeber habe, wie sich auch aus der Gesetzesbegründung ergebe, ganz bewusst auf § 4 SGB IV Bezug genommen. Aufgrund dieses klaren Wortlauts könnten die Grundsätze über eine Entsendung mit Rumpfarbeitsverhältnis auf diese Vorschrift nicht angewandt werden; auch eine ausdehnende Auslegung sei nicht möglich. Bei der Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten sei die Anwendung dieser Grundsätze zudem vom Rechtsgedanken des § 56 SGB VI getragen gewesen.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht die Berufung gegen das die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG)abweisende Urteil des SG zurückgewiesen, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf BErzg für den 6. bis 12. Lebensmonat (16.8.2001 bis 15.3.2002) ihres am 16.3.2001 geborenen Kindes. Sie bzw ihr Ehemann erfüllen insoweit nicht die besonderen Voraussetzungen für die Gewährung von BErzg bei einem Auslandsaufenthalt.

13

1. Die Anfechtungsklage gegen die ablehnende Entscheidung des Beklagten im Bescheid vom 22.8.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.2.2002 ist zulässig. Die Klägerin hat die Klage am 3.5.2002 erhoben. In Übereinstimmung mit der Rechtsbehelfsbelehrung im Widerspruchsbescheid des Beklagten liegt im vorliegenden Fall eine Bekanntgabe im Ausland iS des § 87 Abs 1 Satz 2 iVm Abs 2 SGG vor, die den Lauf einer Dreimonatsfrist auslöst. Zwar ist der an die Klägerin gerichtete Widerspruchsbescheid an eine Adresse in Deutschland gesandt worden, er ist dort jedoch nicht von einem Bevollmächtigten der Klägerin entgegengenommen worden (vgl § 37 Abs 1 SGB X). Vielmehr sind die in B. wohnenden Eltern der Klägerin - wie diese in der Revisionsverhandlung klargestellt hat - lediglich beauftragt gewesen, Schreiben des Beklagten an den Wohnort der Klägerin in Äthiopien weiterzuleiten. Dementsprechend ist eine wirksame Bekanntgabe an die Klägerin erst in Äthiopien erfolgt.

14

2. Als Anspruchsgrundlage für die Gewährung von BErzg für die Zeit des Auslandsaufenthalts der Klägerin im 6. bis 12. Lebensmonat des am 16.3.2001 geborenen Kindes (16.8.2001 bis 15.3.2002) kommt allein § 1 Abs 1 und Abs 2 BErzGG(idF des am 1.1.2001 in Kraft getretenen Art 1 Nr 1 Drittes Gesetz zur Änderung des BErzGG vom 12.10.2000 , mit Wirkung ab 1.8.2001 geändert durch Art 3 § 47 Nr 1 Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften vom 16.2.2001 ) in Betracht.

15

a) Nach § 1 Abs 1 Satz 1 BErzGG hat derjenige Anspruch auf BErzg, der einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat(Nr 1), mit einem Kind, für das ihm die Personensorge zusteht, in einem Haushalt lebt (Nr 2), dieses Kind selbst betreut und erzieht (Nr 3) und keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt (Nr 4). Derjenige, der seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Deutschland hat, hat unter den in Abs 2 geregelten besonderen Voraussetzungen Anspruch auf BErzg. Er muss nach Satz 1 entweder

        

1.   

im Rahmen seines in Deutschland bestehenden Beschäftigungsverhältnisses vorübergehend ins Ausland entsandt sein und aufgrund über- oder zwischenstaatlichen Rechts oder nach § 4 SGB IV dem deutschen Sozialversicherungsrecht unterliegen oder im Rahmen seines in Deutschland bestehenden öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses vorübergehend ins Ausland abgeordnet, versetzt oder kommandiert sein oder

        

2.   

Versorgungsbezüge nach beamten- oder soldatenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen oder eine Versorgungsrente von einer Zusatzversorgungsanstalt für Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes erhalten oder

        

3.   

Entwicklungshelfer im Sinne des § 1 des Entwicklungshelfer-Gesetzes sein.

16

Nach Satz 2 gilt dies auch für den mit ihm in einem Haushalt lebenden Ehegatten, wenn dieser im Ausland keine Erwerbstätigkeit ausübt, welche den dortigen Vorschriften der sozialen Sicherheit unterliegt.

17

Nach den von der Klägerin nicht mit zulässigen und begründeten Rügen angegriffenen und damit für den Senat bindenden (§ 163 SGG)tatsächlichen Feststellungen des LSG erfüllt weder die Klägerin noch ihr Ehemann die Voraussetzungen des § 1 Abs 2 BErzGG. Insbesondere ist der Ehemann der Klägerin nicht "im Rahmen seines in Deutschland bestehenden Beschäftigungsverhältnisses" nach Äthiopien "entsandt" worden, das nach § 4 SGB IV ("Ausstrahlung") dem deutschen Sozialversicherungsrecht unterliegt(§ 1 Abs 2 Satz 1 Nr 1 iVm Satz 2 BErzGG).

18

Das LSG hat festgestellt, dass der Ehemann der Klägerin, der seit dem 15.5.2001 für die W. Organisation tätig war, am 14.6.2001 mit dem W. e.V. in Deutschland einen sog Versetzungsvertrag abschloss, der eine Versetzung in ein Arbeitsgebiet des SIL International mit Sitz (Hauptquartier) in D./USA vorsah. Aufgrund dieses Vertrags wurde er vom 1.8.2001 bis 31.7.2005 zur vorübergehenden Dienstleistung nach Äthiopien versetzt. Während dieser Zeit wurde ein neues Beschäftigungsverhältnis mit einem anderen Arbeitgeber begründet. Die Hauptpflichten aus seinem mit dem deutschen Verein geschlossenen unbefristeten Dienstvertrag ruhten; dieser Vertrag sollte erst nach der Rückkehr des Ehemannes der Klägerin nach Deutschland wieder seine volle Wirksamkeit entfalten. Im Zeitraum der befristeten Versetzung ins Ausland ging die Arbeitgeberfunktion, insbesondere die Weisungsbefugnis, vom W. e.V. auf das SIL International über; der Ehemann der Klägerin war auch in dessen organisatorische Struktur eingegliedert.

19

Dass es sich bei dieser vom LSG festgestellten Vertragsgestaltung nicht um ein Beschäftigungsverhältnis handelt, bei dem die Merkmale einer Ausstrahlung iS des § 4 SGB IV(hierzu eingehend BSG, Urteil vom 5.12.2006 - B 11a AL 3/06 R - SozR 4-2400 § 4 Nr 1 RdNr 17 ff)erfüllt sind, wird auch von der Klägerin nicht in Zweifel gezogen. Sie meint vielmehr, das hier vorliegende "Rumpfarbeitsverhältnis" ihres Ehemannes in Deutschland reiche für die Gewährung von BErzg aus; § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BErzGG müsse unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG zum "Rumpfarbeitsverhältnis" (verfassungskonform) erweiternd ausgelegt werden.

20

Dieser Auffassung vermag der Senat nicht zu folgen, denn damit wären die Grenzen zulässiger Auslegung überschritten. Um die Bedeutung einer Gesetzesvorschrift zu ermitteln, kommen zunächst die herkömmlichen Auslegungsmethoden zur Anwendung. Danach ist auf den Wortlaut der Norm (grammatische Auslegung), ihren Zusammenhang (systematische Auslegung), ihren Zweck (teleologische Auslegung) sowie die Gesetzesmaterialien und die Entstehungsgeschichte (historische Auslegung) abzustellen (vgl aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts : BVerfGE 11, 126, 130; 82, 6, 11; 93, 37, 81; 105, 135, 157; dazu auch Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl 1995, S 141 ff; 163 ff). Dabei sind die konkret einschlägigen verfassungsrechtlichen Vorgaben zu berücksichtigen. Ist von mehreren möglichen Auslegungen nur eine mit dem GG vereinbar, muss diese gewählt werden (verfassungskonforme Auslegung; vgl etwa BVerfGE 88, 145, 166 f; 93, 37, 81; dazu auch Larenz/Canaris, aaO, S 159 ff). Die Grenzen jeder Auslegung ergeben sich daraus, dass einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht durch Auslegung eine entgegengesetzte Bedeutung verliehen werden darf (vgl BVerfGE 54, 277, 299 f; 59, 330, 334; 93, 37, 81; dazu auch Larenz/Canaris, aaO, S 143).

21

Der Wortlaut des § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BErzGG(idF des am 1.1.2001 in Kraft getretenen Art 1 Nr 1 Drittes Gesetz zur Änderung des BErzGG vom 12.10.2000 ) enthält (anders als die bis zum 31.12.2000 geltende Fassung des § 1 Abs 2 Nr 1 BErzGG, zuletzt bekannt gemacht am 31.1.1994, BGBl I 180) mit der hier einschlägigen Formulierung "im Rahmen seines in Deutschland bestehenden Beschäftigungsverhältnisses vorübergehend ins Ausland entsandt ist und … nach § 4 SGB IV dem deutschen Sozialversicherungsrecht unterliegt" ausdrücklich eine Verweisung auf die gesetzliche Regelung der Ausstrahlung im SGB IV. Diese Verweisung hat der Gesetzgeber bewusst in die Neufassung aufgenommen, denn in den Gesetzesmaterialien wird die Änderung damit begründet, dass im Sinne einer "gesetzlichen Klarstellung" "die neugefasste Nummer 1 entsprechende Regelungen aus dem Sozialgesetzbuch berücksichtigt (§ 30 Abs 2 SGB I, § 4 Abs 1 SGB IV)"(vgl BT-Drucks 14/3553, S 13, 14).

22

Die systematische Stellung des § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BErzGG (idF vom 12.10.2000) spricht hier ebenfalls für eine enge, am Wortlaut und an der Entstehungsgeschichte orientierte Auslegung. Der Gesetzgeber hat in § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BErzGG (ebenfalls idF vom 12.10.2000) für die Begrenzung des von diesem Gesetz begünstigten Personenkreises als Regel das Prinzip des inländischen Wohnsitzes- oder Aufenthalts gewählt (hierzu zuletzt BSG, Teilurteil vom 3.12.2009 - B 10 EG 6/08 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 23 ff; BSG, Vorlagebeschlüsse vom 3.12.2009 - B 10 EG 5/08 R - RdNr 50 ff, - B 10 EG 6/08 R -RdNr 50 ff und - B 10 EGB 10 EG 7/08 R - RdNr 48 ff). Dieses Prinzip wird in § 1 Abs 2 Satz 1 und Satz 2 BErzGG für bestimmte, eng gefasste Fälle durchbrochen. Als Ausnahmeregelung ist diese Vorschrift deshalb eng zu interpretieren (zur Auslegung von Ausnahmevorschriften vgl Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl 1995, S 174 ff).

23

Auch der Zweck des BErzg gebietet es nicht zwingend, ein in Deutschland weiter bestehendes "Rumpfarbeitsverhältnis" in den Anwendungsbereich des § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BErzGG einzubeziehen. Das BErzg ist - wirtschaftlich betrachtet - eine Familienleistung. Ihr Hauptzweck ist die Förderung der Betreuung und Erziehung von Kindern in der ersten Lebensphase. Der Mutter oder dem Vater eines Kindes soll es ermöglicht oder erleichtert werden, zu dessen Gunsten im Anschluss an die Mutterschutzfristen ganz oder teilweise auf eine Erwerbstätigkeit zu verzichten. Mit dieser (zeitlich beschränkten) finanziellen Hilfe wird die Erziehungsleistung junger Familien anerkannt (zum Zweck des BErzg: BT-Drucks 10/3792, S 1, 13; Hambüchen, Kindergeld/Erziehungsgeld/Elternzeit, BErzGG, Einführung S 3, Stand Juni 2003; BVerfGE 111, 176, 178 ff, 185 f = SozR 4-7833 § 1 Nr 4 RdNr 2 ff, 30; aus der neueren Rechtsprechung des BSG: BSGE 93, 194 RdNr 37= SozR 4-7833 § 1 Nr 6, RdNr 46; BSG SozR 4-7833 § 1 Nr 7 RdNr 21; BSGE 97, 144 = SozR 4-1300 § 48 Nr 8, RdNr 20).

24

Diesem allgemeinen Zweck widerspricht es nicht, den begünstigten Personenkreis - auch aus finanziellen Erwägungen - im Grundsatz auf eine Erziehung im Inland zu beschränken und nur ausnahmsweise unter besonderen engen Voraussetzungen die Erziehung im Ausland durch die Gewährung von BErzg zu fördern, etwa - wie es die Neufassung des § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BErzGG(idF vom 12.10.2000) vorsieht - bei Vorliegen einer vorübergehenden Entsendung ins Ausland im Rahmen eines in Deutschland weiter bestehenden Beschäftigungsverhältnisses, das nach den Grundsätzen der Ausstrahlung iS des § 4 SGB IV weiterhin dem deutschen Sozialversicherungsrecht unterliegt. Jedenfalls wird der Zweck des BErzg nicht verfehlt, wenn sich der Gesetzgeber entschließt, die Grenzen für einen Leistungsexport ins Ausland enger zu ziehen.

25

b) Die vom Wortlaut, der Entstehungsgeschichte, der systematischen Stellung und dem Gesetzeszweck gedeckte enge Auslegung des § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BErzGG(idF vom 12.10.2000) steht entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht im Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des BSG zum "Rumpfarbeitsverhältnis", denn diese ist zu anderen Rechtsvorschriften ergangen. Sie lässt sich deshalb nicht auf das durch Art 1 Nr 1 Drittes Gesetz zur Änderung des BErzGG vom 12.10.2000 (BGBl I 1426) anders gefasste BErzGG übertragen (so auch Buchner/Becker, MuSchG - BErzGG, 7. Aufl 2003, § 1 BErzGG RdNr 18; zum Elterngeld: Buchner/Becker, MuSchG - BEEG, 8. Aufl 2008, § 1 BEEG RdNr 22).

26

Das LSG hat zutreffend erkannt, dass nach der Neufassung des § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BErzGG(idF vom 12.10.2000) die Rechtsprechung des früher für das BErzGG zuständigen 4. Senats des BSG zum "Rumpfarbeitsverhältnis" (Urteil vom 22.6.1989 - 4 REg 4/88 - SozR 7833 § 1 Nr 6)nicht zur Auslegung dieser Vorschrift herangezogen werden kann (ebenso Buchner/Becker, MuSchG - BErzGG, 7. Aufl 2003, § 1 BErzGG RdNr 18). Diese Rechtsprechung ist zu der ab 1.1.1986 geltenden Fassung des § 1 Abs 2 BErzGG(vom 6.12.1985 ) ergangen, in der der Gesetzgeber insoweit eine sinngemäße Anwendung des § 1 Nr 2 Bundeskindergeldgesetz(BKGG, idF der Bekanntmachung vom 21.1.1986 ) angeordnet hatte. Diese Verweisung auf § 1 Nr 2 BKGG wurde mit Wirkung ab 1.7.1989 durch eine eigenständige inhaltsgleiche Regelung in § 1 Abs 2 Satz 1 BErzGG(idF des BErzGG-Änderungsgesetzes vom 30.6.1989 ) abgelöst. In beiden Fassungen spricht der Wortlaut nur von "entsandt", ohne dass auf den bereits seit 1.7.1977 geltenden § 4 SGB IV verwiesen wird. Diese Vorschrift konnte deshalb anknüpfend an den Wortlaut erweiternd ausgelegt werden. Der 4. Senat hat jedoch in seiner Entscheidung vom 22.6.1989 - 4 REg 4/88 - (BSG, SozR 7833 § 1 Nr 6) ausdrücklich klargestellt, dass im Zusammenhang mit der von ihm auszulegenden Vorschrift des BErzGG § 4 SGB IV nicht anwendbar ist (aaO S 14), auf den die hier anzuwendende gesetzliche Bestimmung ausdrücklich Bezug nimmt. Ebenso wie dem LSG ist es deshalb auch dem erkennenden Senat verwehrt, die frühere Rechtsprechung zum BErzGG bei Anwendung der Neufassung weiterzuführen.

27

Aus denselben Gründen steht die Auslegung des erkennenden Senats auch mit seiner bisherigen Rechtsprechung zum Kindergeldrecht nicht im Widerspruch. In seinem Urteil vom 30.5.1996 - 10 RKg 20/94 - (BSG, SozR 3-5870 § 1 Nr 9)hat er bei einem "Rumpfarbeitsverhältnis" unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung einen Anspruch auf Kindergeld zugesprochen. Er hat sich in dieser Entscheidung der Auffassung des 4. Senats angeschlossen und zugleich auf die unterschiedlichen Anknüpfungspunkte der einschlägigen Normen des Kindergeldrechts (§ 1 Abs 1 Nr 2 Buchst a BKGG in der vor dem 1.1.1985 geltenden Fassung) und des § 4 Abs 1 SGB IV hingewiesen (BSG aaO S 29 f).

28

Entgegen der Auffassung der Klägerin können schließlich auch die von der Rechtsprechung der Rentensenate des BSG, insbesondere des 4. Senats, entwickelten Auslegungsgrundsätze zur Anrechnung von Kindererziehungszeiten bei fortbestehendem "Rumpfarbeitsverhältnis" nicht auf die anders gefasste Vorschrift des § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BErzGG (idF vom 12.10.2000) übertragen werden. Diese Rechtsprechung betrifft die Auslegung des zum 1.1.1992 in Kraft getretenen § 56 SGB VI(idF des Rentenreformgesetzes 1992 - RRG 1992 - vom 18.12.1989 , geändert durch Art 1 Renten-Überleitungsgesetz vom 25.7.1991 ). Der 4. Senat hat in seinem grundlegenden Urteil vom 17.11.1992 - 4 RA 15/91 - (BSGE 71, 227 = SozR 3-2600 § 56 Nr 4)dieser Vorschrift ein Normprogramm entnommen, mit dem durch die Anerkennung von Kindererziehungszeiten eine möglichst umfassende Einbeziehung der Erziehenden in das System der gesetzlichen Rentenversicherung erfolgen solle. Dadurch solle die auch im Interesse der Allgemeinheit, insbesondere der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung, liegende Leistung der Erziehung von Kindern durch Mütter und Väter anerkannt und damit die Verpflichtung des Staates auch zur materiellen Unterstützung und Förderung der Familien mit Kindern zum Teil konkretisiert werden. Kindererziehungszeiten sollten möglichst allen Erziehenden zugute kommen, die Gefahr liefen, trotz der für die deutsche Rentenversicherung besonders bedeutsamen Erziehungsleistung keine oder nur geringe Rentenanwartschaften zu erwerben (BSGE 71, 227, 230 = SozR 3-2600 § 56 Nr 4 S 14 f).

29

Für die Anrechnung von iS des § 56 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB VI der Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland "gleichstehenden" Kindererziehungszeiten reiche es deshalb aus, dass die Erziehenden vor der Geburt oder während der Kindererziehung in derart enger Beziehung zum inländischen Arbeits- und Berufsleben stünden, dass die Grundwertung des Gesetzes Platz greifen könne, während dieser Zeit seien ihnen nicht wegen Integration in eine ausländische Arbeitswelt, sondern im Wesentlichen wegen der Kindererziehung deutsche Rentenanwartschaften entgangen(BSGE 71, 227, 231 = SozR 3-2600 § 56 Nr 4 S 15 f). Dies treffe nicht nur zu, wenn der im Ausland beschäftigte Ehegatte - wie in den Fällen der sog Ausstrahlung iS des § 4 SGB IV - weiterhin der Beitragspflicht zur deutschen Rentenversicherung unterliege(BSGE 71, 227, 232 = SozR 3-2600 § 56 Nr 4 S 16), sondern auch bei anderen, in § 56 Abs 3 Satz 3 SGB VI nicht erschöpfend geregelten Fallgestaltungen, etwa in Fällen, in denen während der Auslandstätigkeit im Inland zumindest ein sog "Rumpfarbeitsverhältnis" mit einem inländischen Arbeitgeber fortbestehe, aus dem während dieser Zeit wechselseitige Rechte und Pflichten erwüchsen und das bei Beendigung des von vornherein durch Vertrag zeitlich begrenzten Auslandsaufenthalts auch mit den Hauptpflichten wieder auflebe(BSGE 71, 227, 233 f = SozR 3-2600 § 56 Nr 4 S 17 f).

30

Diese Rechtsprechung hat der 4. Senat des BSG in der Folgezeit fortgeführt (vgl etwa BSG, Urteil vom 16.11.1993 - 4 RA 39/92; BSG, Urteil vom 25.1.1994 - 4 RA 3/93 - SozR 3-2600 § 56 Nr 6; BSG, Urteil vom 10.11.1998 - B 4 RA 39/98 R - SozR 3-2600 § 56 Nr 13; BSG, Urteil vom 23.10.2003 - B 4 RA 15/03 R - BSGE 91, 245 = SozR 4-2600 § 56 Nr 1, RdNr 8 ff). Bei dieser Rechtsprechung handelt es sich um eine (verfassungskonforme) ausdehnende Auslegung, die sich auf das Normprogramm des § 56 Abs 3 Satz 2 und Satz 3 SGB VI stützt - nämlich dem einheitlichen Grundgedanken, dass während der Zeit der Kindererziehung nicht wegen der Integration in eine ausländische Arbeitswelt, sondern im Wesentlichen wegen der Kindererziehung deutsche Rentenanwartschaften entgangen seien (vgl BSGE 91, 245 = SozR 4-2600 § 56 Nr 1, RdNr 16).

31

Der erkennende Senat vermag der Regelung des § 1 Abs 2 BErzGG(idF vom 12.10.2000) kein dem § 56 SGB VI vergleichbares, weit gefasstes Normprogramm zu entnehmen, das es ermöglichen würde, die Fallgruppe der "Rumpfarbeitsverhältnisse" über den Gesetzeswortlaut hinaus in diese Vorschrift mit einzubeziehen. Vielmehr geht er davon aus, dass der Gesetzgeber - wie die Anwendung der herkömmlichen Auslegungsmethoden zeigt - den begünstigten Personenkreis mit Auslandswohnsitz im BErzGG deutlich enger gefasst hat als im SGB VI.

32

3. Dieses durch Auslegung des § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BErzGG (idF vom 12.10.2000) gewonnene Ergebnis hält nach Auffassung des erkennenden Senats auch einer verfassungsrechtlichen Überprüfung stand. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz vor.

33

a) Art 3 Abs 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Dem Gesetzgeber ist damit aber nicht jede Differenzierung verwehrt. Ihm kommt im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit - zu dem auch die steuerfinanzierte Sozialleistung BErzg gehört (vgl § 25 Abs 2 SGB I; § 11 BErzGG) -ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Dies gilt insbesondere für die Abgrenzung des begünstigten Personenkreises (vgl BVerfGE 99, 165, 178 f = FamRZ 1999, 357; BVerfGE 106, 166, 175 f = SozR 3-5870 § 3 Nr 4 S 13; BVerfGE 111, 160, 169 = SozR 4-5870 § 1 Nr 1 RdNr 43; BVerfGE 111, 176, 184 = SozR 4-7833 § 1 Nr 4 RdNr 26). Die sich aus Art 3 Abs 1 GG ergebende Grenze der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit ist erst überschritten, wenn sich für die Ungleichbehandlung, die in dem Ausschluss anderer Personengruppen von der Begünstigung liegt, im Hinblick auf die Eigenart des zu regelnden Sachverhalts kein Rechtfertigungsgrund finden lässt, der in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung steht. Bei einer Ungleichbehandlung von unter dem Schutz des Art 6 Abs 1 GG stehenden Familien ist daher zu prüfen, ob für die getroffene Differenzierung Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen können (vgl BVerfGE 106, 166, 175 f = SozR 3-5870 § 3 Nr 4 S 14; BVerfGE 111, 160, 169 = SozR 4-5870 § 1 Nr 1 RdNr 46; BVerfGE 111, 176, 184 = SozR 4-7833 § 1 Nr 4 RdNr 26; BSG, Teilurteil vom 3.12.2009 - B 10 EG 6/08 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 42; BSG, Vorlagebeschlüsse vom 3.12.2009 - B 10 EG 5/08 R - RdNr 98, - B 10 EG 6/08 R - RdNr 93 und - B 10 EG 7/08 R - RdNr 94).

34

b) Mit der sich aus der Neufassung des § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BErzGG ergebenden Beschränkung der Gewährung von BErzg bei Auslandserziehung ua auf Fälle der Ausstrahlung iS des § 4 SGB IV werden die Familien (Erziehende/Ehegatten) schlechter gestellt, die - wie hier - ihre Kinder im Ausland erziehen, jedoch die Voraussetzungen der Ausstrahlung nicht erfüllen. Mit dieser Ungleichbehandlung verfolgt der Gesetzgeber jedoch ein rechtlich zulässiges Differenzierungsziel. Zudem orientiert er sich mit dem Ausschluss dieser Personengruppe an einem geeigneten Differenzierungskriterium, um dieses Differenzierungsziel zu erreichen.

35

Sinn und Zweck der zusätzlichen gesetzlichen Anforderungen für die Gewährung von BErzg an Personen, die in Deutschland keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, ist es, diese Leistung des Familienlastenausgleichs, mit der vor allem die Betreuung und Erziehung von Kindern in der ersten Lebensphase durch die Mutter oder den Vater finanziell gefördert werden soll (vgl BT-Drucks 10/3792, S 1, 13; BVerfGE 111, 176, 178 ff, 185 f = SozR 4-7833 § 1 Nr 4 RdNr 2 ff, 30), bei Auslandserziehung ua auch solchen Personen zukommen zu lassen, die während eines nur vorübergehenden Auslandsaufenthalts noch einen hinreichend engen Bezug zum Inland, insbesondere zur inländischen Arbeitswelt, haben. BErzg soll auch denjenigen gewährt werden, bei denen während des Auslandsaufenthalts noch ein in Deutschland sozialversicherungspflichtiges (und damit auch beitragspflichtiges) Beschäftigungsverhältnis des Erziehenden oder dessen Ehegatten iS des § 4 SGB IV besteht. Diese Regelung hat den Zweck in Fällen, in denen das Beschäftigungsverhältnis im Inland nicht gelöst wird, der Arbeitnehmer aber im Interesse des Arbeitgebers vorübergehend ins Ausland geht ("entsandt wird"), den Sozialversicherungsschutz (mit Beitragspflicht) während des Auslandsaufenthalts aufrecht zu erhalten.

36

Die Anknüpfung an ein der inländischen Sozialversicherung unterliegendes Beschäftigungsverhältnis als einen das Wohnsitz- und Aufenthaltsprinzip erweiternden Ausnahmetatbestand mag zwar systematisch gesehen als nicht konsequent erscheinen (vgl Buchner/Becker, MuSchG - BErzGG, 7. Aufl 2003, § 1 BErzGG RdNr 13). Sie ist jedoch auch im Zusammenhang mit der Gewährung einer Sozialleistung für die Betreuung und Erziehung eines Kindes in dessen erster Lebensphase sachgerecht, denn sie sichert einen hinreichenden Inlandsbezug bei vorübergehender Arbeitsleistung im Ausland. Im Hinblick auf die gerade bei einem Auslandsaufenthalt - auch unter Berücksichtigung des Schutzes von Ehe und Familie (Art 6 Abs 1 GG) - besonders weite Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers im Bereich der steuerfinanzierten Sozialleistungen (wozu das BErzg gehört - vgl § 25 Abs 2 SGB I, § 11 BErzGG) ist demnach die sich aus dieser Anknüpfung ergebende Ungleichbehandlung durch hinreichend gewichtige Gründe sachlich gerechtfertigt (vgl dazu allgemein auch EuGHE I 2007, 6347).

37

Entgegen der Auffassung der Klägerin verstößt auch die unterschiedliche Behandlung des "Rumpfarbeitsverhältnisses" bei der Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung einerseits und bei der Gewährung von BErzg andererseits nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG, denn dieser enthält kein verfassungsrechtliches Gebot, ähnliche Sachverhalte in verschiedenen Ordnungsbereichen gleich zu regeln (vgl BVerfGE 40, 121, 139 f = SozR 2400 § 44 Nr 1 S 7; BVerfGE 75, 78, 107 = SozR 2200 § 1246 Nr 142 S 468). Zudem verfolgt der Gesetzgeber mit der Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung und der Gewährung von BErzg jeweils unterschiedliche Zwecke.

38

Wie bereits ausgeführt, ist es Hauptzweck des BErzg, die Betreuung und Erziehung von Kindern in der ersten Lebensphase zu fördern. Durch eine finanzielle Hilfe - das BErzg - soll es Müttern oder Vätern ermöglicht oder erleichtert werden, im Anschluss an die Mutterschutzfrist ganz oder teilweise auf eine Erwerbstätigkeit verzichten zu können (vgl BT-Drucks 10/3792, S 1, 13; BVerfGE 111, 176, 178 ff, 185 f = SozR 4-7833 § 1 Nr 4 RdNr 2 ff, 30).

39

Demgegenüber hat die Kindererziehung für das als Generationenvertrag ausgestaltete Alterssicherungssystem der gesetzlichen Rentenversicherung eine bestandssichernde Bedeutung. Das BVerfG hat im Hinblick darauf den Gesetzgeber nach Art 3 Abs 1 GG iVm Art 6 Abs 1 GG für verpflichtet angesehen, den Mangel des Rentenversicherungssystems, der in den durch Kindererziehung bedingten Nachteilen bei der Altersversorgung liegt, in weiterem Umfang als bisher auszugleichen (vgl BVerfG, Urteil vom 7.7.1992 - 1 BvL 51/86 ua - BVerfGE 87, 1, 37 ff = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 7 ff). Diesen Ausgleich hat der Gesetzgeber mit der Anerkennung der Kindererziehungszeiten als Pflichtbeitragszeiten (§ 3 Satz 1 Nr 1, § 56, § 249, § 249a SGB VI idF des RRG 1992 vom 18.12.1989 , geändert durch Art 1 Renten-Überleitungsgesetz vom 25.7.1991 ) - also die Anerkennung der Vorleistung "Kindererziehung" als Rentenanwartschaften begründenden Tatbestand - geschaffen. An diesen Normzweck hat die rentenrechtliche Rechtsprechung des BSG angeknüpft und bei Auslandserziehung - wie bereits aufgezeigt - eine erweiternde Auslegung des § 56 SGB VI unter Einbeziehung weiterer Fallgruppen, etwa des "Rumpfarbeitsverhältnisses", vorgenommen(grundlegend Urteil vom 17.11.1992 - 4 RA 15/91 - BSGE 71, 227, 230 ff = SozR 3-2600 § 56 Nr 4 S 14 ff).

40

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Anspruch auf Elterngeld hat, wer

1.
einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat,
2.
mit seinem Kind in einem Haushalt lebt,
3.
dieses Kind selbst betreut und erzieht und
4.
keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.
Bei Mehrlingsgeburten besteht nur ein Anspruch auf Elterngeld.

(2) Anspruch auf Elterngeld hat auch, wer, ohne eine der Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 zu erfüllen,

1.
nach § 4 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch dem deutschen Sozialversicherungsrecht unterliegt oder im Rahmen seines in Deutschland bestehenden öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses vorübergehend ins Ausland abgeordnet, versetzt oder kommandiert ist,
2.
Entwicklungshelfer oder Entwicklungshelferin im Sinne des § 1 des Entwicklungshelfer-Gesetzes ist oder als Missionar oder Missionarin der Missionswerke und -gesellschaften, die Mitglieder oder Vereinbarungspartner des Evangelischen Missionswerkes Hamburg, der Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen e. V. oder der Arbeitsgemeinschaft pfingstlich-charismatischer Missionen sind, tätig ist oder
3.
die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und nur vorübergehend bei einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung tätig ist, insbesondere nach den Entsenderichtlinien des Bundes beurlaubte Beamte und Beamtinnen, oder wer vorübergehend eine nach § 123a des Beamtenrechtsrahmengesetzes oder § 29 des Bundesbeamtengesetzes zugewiesene Tätigkeit im Ausland wahrnimmt.
Dies gilt auch für mit der nach Satz 1 berechtigten Person in einem Haushalt lebende Ehegatten oder Ehegattinnen.

(3) Anspruch auf Elterngeld hat abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 auch, wer

1.
mit einem Kind in einem Haushalt lebt, das er mit dem Ziel der Annahme als Kind aufgenommen hat,
2.
ein Kind des Ehegatten oder der Ehegattin in seinen Haushalt aufgenommen hat oder
3.
mit einem Kind in einem Haushalt lebt und die von ihm erklärte Anerkennung der Vaterschaft nach § 1594 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs noch nicht wirksam oder über die von ihm beantragte Vaterschaftsfeststellung nach § 1600d des Bürgerlichen Gesetzbuchs noch nicht entschieden ist.
Für angenommene Kinder und Kinder im Sinne des Satzes 1 Nummer 1 sind die Vorschriften dieses Gesetzes mit der Maßgabe anzuwenden, dass statt des Zeitpunktes der Geburt der Zeitpunkt der Aufnahme des Kindes bei der berechtigten Person maßgeblich ist.

(4) Können die Eltern wegen einer schweren Krankheit, Schwerbehinderung oder Todes der Eltern ihr Kind nicht betreuen, haben Verwandte bis zum dritten Grad und ihre Ehegatten oder Ehegattinnen Anspruch auf Elterngeld, wenn sie die übrigen Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllen und wenn von anderen Berechtigten Elterngeld nicht in Anspruch genommen wird.

(5) Der Anspruch auf Elterngeld bleibt unberührt, wenn die Betreuung und Erziehung des Kindes aus einem wichtigen Grund nicht sofort aufgenommen werden kann oder wenn sie unterbrochen werden muss.

(6) Eine Person ist nicht voll erwerbstätig, wenn ihre Arbeitszeit 32 Wochenstunden im Durchschnitt des Lebensmonats nicht übersteigt, sie eine Beschäftigung zur Berufsbildung ausübt oder sie eine geeignete Tagespflegeperson im Sinne des § 23 des Achten Buches Sozialgesetzbuch ist und nicht mehr als fünf Kinder in Tagespflege betreut.

(7) Ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer oder eine nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin ist nur anspruchsberechtigt, wenn diese Person

1.
eine Niederlassungserlaubnis oder eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU besitzt,
2.
eine Blaue Karte EU, eine ICT-Karte, eine Mobiler-ICT-Karte oder eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigen oder berechtigt haben oder diese erlauben, es sei denn, die Aufenthaltserlaubnis wurde
a)
nach § 16e des Aufenthaltsgesetzes zu Ausbildungszwecken, nach § 19c Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck der Beschäftigung als Au-Pair oder zum Zweck der Saisonbeschäftigung, nach § 19e des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck der Teilnahme an einem Europäischen Freiwilligendienst oder nach § 20 Absatz 1 und 2 des Aufenthaltsgesetzes zur Arbeitsplatzsuche erteilt,
b)
nach § 16b des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck eines Studiums, nach § 16d des Aufenthaltsgesetzes für Maßnahmen zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen oder nach § 20 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes zur Arbeitsplatzsuche erteilt und er ist weder erwerbstätig noch nimmt er Elternzeit nach § 15 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes oder laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch in Anspruch,
c)
nach § 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes wegen eines Krieges in seinem Heimatland oder nach den § 23a oder § 25 Absatz 3 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt,
3.
eine in Nummer 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist oder Elternzeit nach § 15 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes oder laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch in Anspruch nimmt,
4.
eine in Nummer 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens 15 Monaten erlaubt, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält oder
5.
eine Beschäftigungsduldung gemäß § 60d in Verbindung mit § 60a Absatz 2 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes besitzt.
Abweichend von Satz 1 Nummer 3 erste Alternative ist ein minderjähriger nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer oder eine minderjährige nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin unabhängig von einer Erwerbstätigkeit anspruchsberechtigt.

(8) Ein Anspruch entfällt, wenn die berechtigte Person im letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes ein zu versteuerndes Einkommen nach § 2 Absatz 5 des Einkommensteuergesetzes in Höhe von mehr als 250 000 Euro erzielt hat. Erfüllt auch eine andere Person die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 oder der Absätze 3 oder 4, entfällt abweichend von Satz 1 der Anspruch, wenn die Summe des zu versteuernden Einkommens beider Personen mehr als 300 000 Euro beträgt.

(1) Soweit die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung eine Beschäftigung voraussetzen, gelten sie auch für Personen, die im Rahmen eines im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in ein Gebiet außerhalb dieses Geltungsbereichs entsandt werden, wenn die Entsendung infolge der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist.

(2) Für Personen, die eine selbständige Tätigkeit ausüben, gilt Absatz 1 entsprechend.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.