Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 17. Okt. 2018 - L 19 R 870/14

bei uns veröffentlicht am17.10.2018
vorgehend
Sozialgericht Nürnberg, S 14 R 383/11, 20.08.2014

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 20.08.2014 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Anspruch auf Weitergewährung einer vollen Erwerbsminderungsrente über Oktober 2010 hinaus hat.

Der 1974 geborene Kläger erlernte nach seinen Angaben in der Zeit von September 1990 bis Februar 1994 den Beruf eines Elektroinstallateurs und übte diesen bzw. den eines Betriebselektrikers in der Folgezeit aus. In der Zeit von Januar 2001 bis Januar 2003 erfolgte im Berufsförderungswerk D-Stadt eine Umschulung zum IT-Systemkaufmann, offensichtlich als Reaktion auf einen Arbeitsunfall vom 11.05.2000, der zu erheblichen Einschränkungen im Bereich des rechten Armes und der rechten Hand geführt hatte. Der Kläger bezieht eine Unfallrente von der Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM), wobei er sich beim Sozialgericht Nürnberg in der Streitsache S 2 U 275/05 vergeblich um eine Erhöhung bemüht hatte. In einer weiteren Streitsache S 15 U 240/08 hatte dagegen die BG ihre Verpflichtung zur regelmäßigen Erbringung von physiotherapeutischen Behandlungen anerkannt, nachdem in diesem Rechtsstreit ein ärztliches Gutachten durch den Handchirurgen PD Dr. R. erstellt worden war.

Beim Kläger wurde im November 2002 vom damaligen Amt für Versorgung und Familienförderung D-Stadt Versorgungsamt ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt, der ab März 2003 zunächst auf 40 und ab Oktober 2003 auf 60 erhöht wurde. Ab Dezember 2007 erfolgte eine weitere Erhöhung auf 70, wobei nun zusätzlich als führende Einschränkung ein Hydrozephalus mit Einzel-GdB 40 hinzugetreten war. Aktuell besteht beim Kläger ein GdB von 80, nachdem ab Januar 2013 zusätzlich Einschränkungen am Handgelenk links und eine somatoforme Schmerzstörung Berücksichtigung gefunden hatten.

Die Beklagte hatte dem Kläger im Juni 2003 eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der K.-Klinik in W-Stadt bewilligt. Vom 07.11.2005 bis 14.12.2005 befand sich der Kläger zur psychosomatische Rehabilitationsbehandlung im Schmerzzentrum der Fachklinik E. in H-Stadt, wobei er die Gewährung dieser Leistung der Beklagten offensichtlich im sozialgerichtlichen Verfahren S 12 R 486/04 erreicht hatte.

Am 11.08.2005 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte bewilligte daraufhin zunächst eine Zeitrente bis Oktober 2006. Auf Antrag des Klägers wurde die Rente bis zum 31.10.2008 weitergewährt, wobei von einer medizinischen Befristung ausgegangen wurde. Die Beklagte bewilligte nochmals eine weitere Verlängerung bis zum 31.10.2010 mit der Anmerkung, dass es sich nunmehr um eine medizinische und rechtliche Befristung aufgrund der Arbeitsmarktberücksichtigung handele. In diesen Rentenverfahren ließ die Beklagte den Kläger im Oktober 2005 durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. D., im Oktober 2006 durch den Arzt für Psychiatrie Dr. H. und im Oktober 2008 durch die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. untersuchen und jeweils Gutachten von diesen Ärzten erstellen.

Am 03.09.2010 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Weiterzahlung der Rente wegen Erwerbsminderung, woraufhin ihn die Beklagte am 12.10.2010 durch den Chirurgen und Sozialmediziner Dr. G. und am 13.10.2010 durch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. untersuchen ließ. Letztere sah als wesentliche Gesundheitsstörungen des Klägers eine Funktionsbeeinträchtigung der rechten Hand infolge einer Schädigung des rechten Nervus ulnaris im Mai 2000 und die Implantation eines ventriculo-peritonealen Shunt-Systems bei einem Hydrocephalus internus im Jahr 2005 an. Die Gutachterin Dr. K. listete die medizinische Vorgeschichte umfangreich auf. Danach sei bei Dr. H. im Oktober 2006 ein unter dreistündiges Einsatzvermögen festgestellt worden. Bei der Begutachtung durch Dr. B. im Oktober 2008 sei das Leistungsvermögen für den allgemeinen Arbeitsmarkt bereits wieder auf drei- bis unter sechsstündig eingeschätzt worden. In der heutigen Begutachtungssituation seien Funktionseinschränkungen und eine Sensibilitätsstörung der rechten Hand sowie eine begrenzte Sensibilitätsstörung der rechten Gesichtshälfte, Knieschmerzen und diffuse Schmerzen an Füßen und Händen beklagt worden. In psychischer Hinsicht sei der Kläger während der heutigen Untersuchung ohne wesentliche Klagen gewesen. Medikamentös erfolge derzeit nur eine schmerztherapeutische Behandlung; eine antidepressive Behandlung erfolge nicht. Der Kläger sei bezüglich der Shunt-Anlage in regelmäßiger ambulanter Behandlung und habe derzeit keine Beschwerden. Der Gutachter Dr. G. kam zum Ergebnis, dass beim Kläger keine Beeinträchtigungen der Steh- und Gehfähigkeit mehr vorliegen würden. Dem Kläger seien auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte bis mittelschwere Tätigkeiten im Wechselrhythmus zumindest täglich mehr als sechs Stunden möglich. Tätigkeiten mit Zwangshaltungen der Wirbelsäule, mit grober Kraftbeanspruchung an die rechte Hand sowie mit Anforderungen an die Feingeschicklichkeit der Hand seien nur eingeschränkt möglich. Eine Einsatzfähigkeit im Beruf als IT-Systemkaufmann sei gegeben, nicht dagegen im Beruf als Betriebselektriker. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne der Kläger unter Beachtung der Einschränkungen der Arbeitsbedingungen erwerbstätig sein.

Die Beklagte lehnte mit streitgegenständlichem Bescheid vom 27.10.2010 den Antrag auf Weiterzahlung der Rente wegen Erwerbsminderung über den 31.10.2010 hinaus ab. Die aktuellen Gutachten hätten zwar Einschränkungen festgestellt; diese würden aber nicht zu einem Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung führen, denn der Kläger sei wieder mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbsfähig.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 17.11.2010 Widerspruch ein. Er übermittelte eine ärztliche Stellungnahme des Orthopäden Dr. B. vom 14.12.2010: In dem jetzt aktuellen Gutachten seien eher funktionelle und oberflächliche Aspekte betrachtet worden und nicht die Gesamtpersönlichkeit des Klägers gewürdigt worden. Es sei bedauerlich, dass die Schmerzstörung im Sinne eines chronifizierten Schmerzsyndroms nicht berücksichtigt worden sei. Zwar seien die Beschwerdesymptomatiken im Einzelnen jeweils therapierbar, jedoch in der Gesamtsumme mit zusätzlichen frustrierenden Erlebnissen sei es zu einer Chronifizierung des Schmerzsyndroms gekommen. Beim Kläger seien schnell psychische Überlastungen vorhanden und das Gesamtbild des Klägers sei weiterhin extrem instabil. Eine Wiederaufnahme einer geregelten Tätigkeit sei derzeit nicht absehbar. Die weiteren gerichtlichen Auseinandersetzungen würden nicht zur Stabilisierung der Gesundheit des Klägers beitragen.

Dr. L., Prüfarzt der Beklagten, kam am 02.03.2011 zu dem Ergebnis, dass die von Dr. G. festgestellte Besserung der Bewegungsabläufe fortgelte und eine Korrektur der bisherigen sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung nicht in Betracht komme. Daraufhin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09.03.2011 den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat der Kläger mit einem auf den 01.04.2011 datierten Schreiben am 04.04.2011 per Telefax Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben und damit begründet, dass bei ihm zu Unrecht eine Besserung der gesundheitlichen Situation, insbesondere der Bewegungsabläufe, festgestellt worden sei und das qualifizierte Schmerzsyndrom unberücksichtigt geblieben sei.

Das Sozialgericht hat Unterlagen der BG ETEM beigezogen und Befundberichte der behandelnden Ärzte Dr. B. vom 16.06.2011 und Dr. G. vom 15.07.2011 - jeweils mit ärztlichen Unterlagen - eingeholt. Sodann hat es den Facharzt für Chirurgie Dr. S. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Dieser hat den Kläger am 16.11.2011 untersucht und folgende Gesundheitsstörungen festgestellt:

1. Eingeschränkte Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand. Einschränkung der Dauerbelastbarkeit und feinmotorische Funktionen nach bleibender Verletzung des Ellennervs, Muskel- und Kraftminderung sowie Gefühlsstörungen; Verschleißerscheinungen im linken Handgelenk ohne wesentliche Gebrauchsminderung; Fingergelenkspolyarthrose beidseits.

2. Fehlhaltungen der Wirbelsäule bei leichter Einschränkung der Funktion der Lendenwirbelsäule; Zustand nach Bandscheibenoperation mit erneuter Bandscheibenerkrankung in den unteren Segmenten; Nervenwurzelreizerscheinung mit Gefühlsstörungen an beiden Beinen.

3. Erweiterung der Hirnventrikel mit funktionierendem, ventriculo-peritonealem Shunt; wetterabhängige Kopfschmerzen, Gefühlsstörungen im Gesicht und Tinnitus.

4. Beinachsenfehlstellung und Fußfehlform beidseits; posttraumatische Verschleißerscheinungen im rechten Fußgelenk mit belastungsbedingten Beschwerden.

5. Hinweise auf chronische Schmerzkrankheit.

6. Bluthochdruck.

Die Ventrikelerweiterung im Gehirn habe sich nach den vorliegenden Unterlagen stabilisiert. Auf psychiatrischem Gebiet sei eine nennenswerte seelische Verstimmung nicht feststellbar. Der Kläger könne leichte körperliche Arbeiten teilweise - bis überwiegend - im Sitzen täglich mindestens sechs Stunden ausüben. Die Wegefähigkeit sei zu bejahen. Zusätzliche Pausen seien nicht erforderlich. Vermieden werden müssten schwere und mittelschwere Hebe- und Tragetätigkeiten, Zwangshaltungen, häufige bückende und kniende Arbeiten, besondere nervliche Belastung, Einwirkung von Nässe, Kälte, Zugluft sowie Lärm und besondere Anforderungen an die manuelle Geschicklichkeit sowie an die Dauerbelastbarkeit der rechten und linken Hand. Dieses Leistungsbild bestehe seit Oktober 2010 unverändert.

Der Kläger hat sich mit dem Gutachten nicht einverstanden erklärt und insbesondere die Frage aufgebracht, wie er mit den beschriebenen Einschränkungen eine Computertastatur bedienen können solle. Eine Verbesserung insbesondere der neurologischen Störungen sei gegenüber dem Jahr 2005 nicht nachvollziehbar.

Daraufhin hat das Sozialgericht ein neurologisch-algesiologisches Gutachten durch die Fachärztin für Neurologie und spezielle Schmerztherapie Dr. K. erstellen lassen, die den Kläger am 03.04.2012 untersucht hat. In ihrem Gutachten vom 17.04.2012 hat sie das Vorliegen eines chronischen Schmerzsyndroms mit somatischen und psychischen Faktoren sowie eine leichte depressive Anpassungsstörung als führende Diagnosen genannt. Die depressive Anpassungsstörung könne der Kläger mit ärztlicher Hilfe in absehbarer Zeit unter Einleitung medikamentöser Maßnahmen und stützender Psychotherapie deutlich lindern und auch überwinden. Hinsichtlich der somatischen Grunderkrankungen bestehe keine wesentliche Besserungsaussicht; hier habe der Heilungsverlauf in der Vergangenheit bereits eine gewisse Besserung gezeigt und die bestehenden Erkrankungen seien aktuell ausreichend behandelt. Der Kläger könne noch täglich mindestens sechs Stunden leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen und geschlossenen Räumen ohne Bücken, ohne Akkord, ohne Einwirkung von Nässe und Zugluft, ohne vermehrte nervliche Belastung, ohne Steigen auf Leitern und Gerüsten, ohne Überkopfarbeiten und ohne Zwangshaltungen ausüben. Nicht geeignet seien ebenfalls erhöhte Anforderungen an das räumliche Sehen, feinmotorische Geschicklichkeit des rechten Armes. Computerarbeiten mit der Maus und mit gelegentlichem Bedienen der Tastatur seien ohne Einschränkungen möglich.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist der Orthopäde Dr. Sch. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt worden. Der ärztliche Sachverständige hat den Kläger am 24.10.2012 untersucht und an diesem Tag eine radiologische Diagnostik im benachbarten MVZ durchführen lassen. In seinem orthopädischen Gutachten vom 05.11.2012 hat er ausgeführt, dass sich im psychosozialen Befund Auffälligkeiten bei der Schmerzmedikation zeigten, nachdem der Kläger seit 2006 einen Morphiumabkömmling verordnet bekommen habe. Man könne bereits eine Abhängigkeit konstatieren. Hiervon würden Einschränkungen auf Alltagsfähigkeiten ausgehen. Die psychische Situation, zu der die Depressionsneigung und das chronische Schmerzsyndrom dazugehören würden, habe in den letzten Jahren aus heutiger Sicht keine deutliche Änderung erfahren. Es sei nicht exakt nachvollziehbar, weshalb der Kläger nun seit 2010 keine Rente mehr bekomme und weshalb es zu einer Verbesserung gekommen sein solle. Die rein orthopädischen Gegebenheiten seien nicht dazu geeignet, eine volle Erwerbsminderungsrente zu postulieren. Aus heutiger Sicht ergebe sich eine Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von über sechs Stunden. Es könne sich nur noch um leichte körperliche Tätigkeiten überwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit auch zwischendurch Gehen, Stehen und Sitzen zu wählen, handeln. Akkordarbeit und Einwirkung von Nässe und Zugluft seien auszuschließen. Es sei folgende umfangreiche Diagnoseliste berücksichtigt worden:

1. Radikuläres bis pseudoradikuläres Lumbalsyndrom bei Bandscheibendegeneration L4/L5 und L5/S1 mit Neuroforamenenge durch Bandscheibenprolaps auf beiden Etagen links mehr als rechts, Fehlstatik bei Skoliose linkskonvex.

2. Funktionsstörung rechte Hand mit Ulnarisneuropathie, Unterarm rechts nach traumatischer Weichteilverletzung.

3. Neuropathisches Schmerzsyndrom linker Unterschenkel nach Suralis-Entnahme bei Nerventransplantation für Unterarm rechts.

4. Geringfügig endgradige Bewegungseinschränkung rechtes oberes Sprunggelenk nach Außenknöchelbruch rechts 2000 mit korrekter Konsolidierung.

5. Aktuell unauffälliges linkes Handgelenk nach Prellung und Arthroskopie bei Diskusläsion nach Palmer 2 C und Ulnaminusvariante sowie LT-Instabilität Grad III mit aktuell guter Belastbarkeit und ohne Engpasssyndrom bei unauffälliger neurologischer Leitgeschwindigkeit.

6. Funktionelle Einäugigkeit nach perforierender Augenverletzung 5/1999.

7. Chronisches Schmerzsyndrom/depressive Verstimmung.

8. Chondropathia patellae, rechts mehr als links, bei Patelladysplasie Wiberg III bis IV rechts.

9. Gichtdisposition bei Hyperurikämie.

10. Shunt bei bekanntem Hydrocephalus bei Dandy-Walker-Variante mit korrekter Funktion gemäß heutiger radiologischer Kontrolle sowie neurochirurgischer Kontrolle vom Juli 2012.

11. Rechte Hand ohne MRtomographische Auffälligkeiten seitens Sehnen/Bänderverletzungen oder osteodegenerativer Veränderungen.

12. Hypästhesie im Trigeminus-Gebiet seit 5/2008.

13. Tinnitus. Im Ergebnis sei der Kläger in der Lage, bei entsprechender Willensanstrengung und unter Zuhilfenahme seiner Medikation die Folgen der Schmerzkrankheit zu überwinden.

Auf weiteren Antrag des Klägers nach § 109 SGG ist ein Gutachten durch den Chefarzt der Abteilung für Orthopädie und des Interdisziplinären Schmerzzentrums der Fachklinik H-Stadt, Dr. K., eingeholt worden. Dieser hat den Kläger am 04.04.2014 untersucht. In seinem Gutachten von diesem Tag ist er aufgrund der Schilderung des Klägers zur Annahme eines nicht strukturierten Tagesablaufs gekommen. Trotz vieler ambulanter stationärer medizinischer Behandlungen hätten die Schmerzen bisher nicht dauerhaft auf ein erträgliches Maß reduziert werden können. Die Beschwerdeschilderung erfolge mit angemessenem Leidensdruck und Versuche, die Leistungen zwischenzeitlich zu steigern, seien dokumentiert. Der Kläger sei glaubhaft; er habe alle 15 bis 20 Minuten bei der Anamneseerhebung aufstehen und um den Stuhl herumgehen müssen. Es seien folgende Diagnosen festzustellen gewesen:

1. Chronisches Schmerzsyndrom Stadium III nach Gerbershagen bei

- Unterarmschmerzsyndrom mit aktuell unspezifische Schmerzen,

- Handgelenksschmerzsyndrom links mit funktionellen Schmerzen auf zentraler Ebene,

- ausgeprägtem myofaszialem Halswirbelsäulen-, Brustwirbelsäulen-, Lendenwirbelsäulensyndrom mit überwiegend funktionellen Schmerzen auf zentraler Ebene,

- Spannungskopfschmerz,

- unspezifischer Hydrozephalus-Kopfschmerz mit funktionellen Schmerzen auf zentraler Ebene,

- Chondropathia patellae beidseits, aktuell ohne klinische Relevanz mit funktionellen Schmerzen auf zentraler Ebene,

- Schmerzsyndrom rechtes Sprunggelenk aktuell ohne Funktionsdefizit,

- vordiagnostizierte small-fibre Polyneuropathie.

2. Anhaltende somatoforme Schmerzstörung.

3. Rezidivierende depressive Störung.

In den Vorgutachten sei zwar die chronische Schmerzstörung diagnostiziert worden, nicht jedoch die anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Der Kläger sei nur noch in der Lage, weniger als drei Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Die qualitativen Einschränkungen würden leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen in geschlossenen Räumen, ohne Bücken, ohne Akkordarbeit, ohne Einwirkung von Nässe und Zugluft, ohne vermehrte nervliche Belastung, ohne Steigen auf Leitern und Gerüsten, ohne Überkopfarbeiten, ohne Zwangshaltungen betreffen. Nicht geeignet seien auch erhöhte Anforderungen an das räumliche Sehen, die feinmotorische Geschicklichkeit, wobei gelegentliche Computerarbeit mit der Maus und gelegentliches Bedienen der Tastatur möglich seien. Eine geregelte Erwerbstätigkeit sei nicht mehr möglich und eine Berufstätigkeit in den erlernten Berufen erst recht nicht. Ein entscheidender Grund des Fortschreitens der Chronifizierung sei die Tatsache, dass der Kläger trotz intensiver therapeutischer Interventionen nie seine psychosomatische Erkrankung akzeptiert habe und deswegen auch nie einer angemessenen Psychotherapie zugestimmt habe. Dies dürfe ihm jedoch nicht zum Vorwurf gemacht werden und sei sicherlich ein Teil seiner Erkrankung.

Verwiesen worden ist von Dr. K. zu all diesen Einschätzungen sozialmedizinischer Art auf die schmerzspezifisch-psychologisch-psychotherapeutische Mitbeurteilung, wobei es sich bei dieser um ein vom Sachverständigen eigenständig beim Dipl.-Psychologen Dr. K. in Auftrag gegebenes Untergutachten gehandelt hat. Dieses ist in das Gutachten des Dr. K. inkorporiert und trägt keine Unterschrift. Es enthält eine Exploration und eine Fremdanamnese sowie die Durchführung psychometrischer Verfahren. Ausgeführt worden ist, dass der Kläger sich belastet fühle, da dreimal eine Rente auf Zeit genehmigt worden sei, ein erneuter Rentenantrag aber abgelehnt worden sei, obwohl der Gesundheitszustand sich nicht verbessert habe. Der Kläger fühle sich auch reizbarer und unruhiger und könne mit Stress nicht mehr umgehen. Er leide außerdem unter Ein- und Durchschlafstörungen. Beim Kläger habe sich neben dem Verlust der beruflichen Identität ein Verlust der sozialen Identität entwickelt. Die Konflikte könne der Kläger nicht erkennen bzw. wehre sie ab, da er über keine Introspektionsfähigkeit für Gefühle verfüge. Der Kläger leide unter einer männlichen Variante der Depression und zeige deren Symptome wie sozialen Rückzug, Gereiztheit, Abnehmen des sexuellen Interesses, Ärger, vermehrter Alkohol- und Nikotinkonsum, TV-Süchtigkeit, geringe Stresstoleranz. Es zeigten sich außerdem Antriebsprobleme und eine fehlende Tagesstruktur und Schmerzvorgänge seien erlernt worden.

Zu diesem Gutachten hat am 28.05.2014 Frau Dr. B. von der sozialmedizinischen Begutachtungsstelle der Beklagten ausführlich Stellung genommen: In dem Gutachten sei die Verdeutlichungstendenz beim Kläger nicht konsistent eingeordnet worden und es seien auch Versorgungswünsche des Klägers deutlich geworden. Vergleiche man den psychischen Befund, den die Gutachten des Dr. D., der Dr. K., der Dr. K. und der Dr. B. ergeben hätten, mit den von Dr. K. erhobenen psychischen Befunden so sei von einer Verschlechterung auszugehen und zwar bezüglich der kognitiven Leistungsfähigkeit und der Stimmung. Bei Vorliegen einer klinisch relevanten Depression wäre jedoch zunächst einmal eine entsprechende Behandlung einzuleiten, bevor an eine Berentung zu denken sei. Wenn man bedenke, mit welchem Nachdruck der Versicherte seinem Versorgungswunsch nachgehe, müsse man davon ausgehen, dass trotz der angegebenen depressiven Störung noch ein hinreichendes Ausmaß an Antrieb, Zielstrebigkeit, psychischer Belastbarkeit und Ausdauer vorhanden sei. Somit sei derzeit davon auszugehen, dass der Kläger aktuell zumindest leichte körperliche Tätigkeiten täglich wenigstens sechs Stunden verrichten könne. Es müsse sich um Tätigkeiten ohne besonderen Zeitdruck, ohne Nachtschicht, im Wechselrhythmus, ohne besondere Anforderung an das räumliche Sehvermögen, ohne besondere Anforderung an die Feingeschicklichkeit der rechten Hand und ohne häufige Überkopfarbeiten handeln.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 20.08.2014 die Klage abgewiesen. Über Oktober 2010 hinaus sei beim Kläger eine volle Erwerbsminderung nicht vorhanden gewesen. Auf der Grundlage der im Verfahren eingeholten Gutachten der Dr. K., des Dr. S., der Dr. K. und des Dr. Sch. könne eine sich auf nervenärztlichem Fachgebiet ergebende quantitative Leistungseinschränkung nicht festgestellt werden. Anderes ergebe sich auch nicht aus dem von Dr. K. zitierten Zusatzgutachten von Dr. K., das zudem nicht einmal in unterschriebener Form vorliege. Auch danach hätten sich die Symptome einer klinisch relevanten Depression nicht so deutlich wie üblich gezeigt. Dass Frau Dr. K. die in den Fragebögen erhobene mittelgradige Depression in ihrer Gesamtbeurteilung so nicht eingeschätzt habe, sei gerade gutachterliche Aufgabe: Selbstbeurteilungsbögen seien kritisch auszuwerten und mit dem gutachterlich selbst erhobenen klinischen Befund zu vergleichen. Die Kritik an Dr. K. sei unberechtigt und werfe vielmehr die Frage auf, ob auch Dr. K. diesen erforderlichen Abgleich ausreichend kritisch vorgenommen habe. Die depressive Störung habe auch nicht zum Eintritt eines neuen Leistungsfalls der Erwerbsminderung geführt. Die übrigen Erkrankungen seien in den qualitativen Leistungseinschränkungen hinreichend berücksichtigt. Eine spezifische Verweisungstätigkeit habe nicht benannt werden müssen.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger mit einem auf den 25.09.2014 datierten Schreiben am 26.09.2014 per Telefax über das Sozialgericht Nürnberg Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung hat er auf die psychologisch-schmerzspezifische Mitbeurteilung durch Dr. K. mit dem Ergebnis der dauerhaft vollen Erwerbsunfähigkeit Bezug genommen. Darüber hinaus seien aktuelle neue Befundberichte zu berücksichtigen. Auffallend sei auch, dass die Hydrocephaluserkrankung regelmäßig nicht ausreichend bewertet worden sei. Außerdem sei dem Kläger die Teilnahme am Straßenverkehr nur sehr eingeschränkt möglich. Bei bestehender Überanstrengung des verbleibenden Auges müsse auf eine Teilnahme am Straßenverkehr komplett verzichtet werden. Öffentliche Verkehrsmittel seien am Wohnort des Klägers nur in einer schlechten Busverbindung vorhanden. Der Kläger hat ergänzend ein ärztliches Attest des Allgemeinmediziners Dr. G. vom 19.05.2015 vorgelegt, wonach sich der Gesundheitszustand des Klägers im Laufe der Jahre verschlechtert habe. Alle Diagnosen, die zu Rentenbeginn 2006 gestellt worden seien, seien auch 2015 noch vorhanden und in keinem Punkt gebessert. Es seien einige Aspekte neu hinzugekommen, die den Gesundheitszustand deutlich verschlechtert hätten. Der Kläger könne einer geregelten Arbeit über drei Stunden täglich nicht nachgehen, was durch die Vielzahl der gesundheitlichen Einschränkungen und die deutlich depressive Komponente bedingt sei.

Zu den ärztlichen Unterlagen hat Dr. H. vom Ärztlichen Dienst der Beklagten am 15.06.2015 festgestellt, dass aktuell eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens im Erwerbsleben beim Kläger nicht belegt sei.

Der Senat hat einen Befundbericht bei der Dipl.-Psychologin E. eingeholt, bei der sich der Kläger seit Juli 2014 in Behandlung befunden hat. Danach liege beim Kläger eine andauernde Persönlichkeitsänderung aufgrund eines chronischen Schmerzsyndroms mit biopsychosozialen Konsequenzen und eine sonstige rezidivierende depressive Störung vor und sein Gesundheitszustand habe sich nicht verändert. Der Kläger könne den Tag strukturieren, er sei häufig mit entspannenden Übungen beschäftigt, ca. zweimal 45 Minuten pro Tag. Er lese viel, gehe mit dem Hund spazieren, habe darüber hinaus viele Einschränkungen z.B. beim Autofahren keine langen Strecken und nicht in der Dunkelheit. Es bestünden Ein- und Durchschlafprobleme. Die Kontakte des Klägers beschränkten sich auf seine Familie, das Verhältnis hierzu sei gut. Er lebe gegenwärtig von Ersparnissen und seiner (privaten) Berufsunfähigkeitsrente.

Der Arbeits- und Sozialmediziner Dr. D. hat auf Veranlassung des Senats am 03.11.2015 ein zusammenfassendes Gutachten über den Kläger erstellt, den er am 16.09.2015 auch selbst untersucht hatte. Das berufliche Leistungsvermögen des Klägers werde durch folgende Erkrankungen eingeschränkt:

1. Chronisches Schmerzsyndrom.

2. Schmerzhaftes Wirbelsäulensyndrom bei Fehlhaltung und Verschleißveränderung der Wirbelsäule.

3. Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigung der rechten Hand nach Weichteilverletzung des Unterarms mit Schädigung des Ellennervens.

4. Schmerzen am linken Handgelenk nach operativ behandelter Teilruptur des Diskus ulnaris.

5. Schmerzen der Knie- und Sprunggelenke bei Verschleißveränderungen nach Sprunggelenksverletzungen und Entnahme des Suralisnerven am linken Unterschenkel zu Transplantationszwecken.

6. Kopfschmerzen, Zustand nach Implantation eines ventrikulo-peritonealen Shunts.

7. Sehbeeinträchtigung.

Außerdem seien noch folgende Diagnosen ohne wesentliche zusätzliche Leistungseinschränkung zu nennen:

8. Bluthochdruck, beschleunigte Herzaktion.

9. Zustand nach subtotaler Schilddrüsenresektion.

10. Refluxkrankheit.

Die Folgen des Arbeitsunfalls hätten zu einer Kraftminderung und einer Störung der Sensibilität und damit zu einer Gebrauchsminderung der rechten Hand geführt. Links könnten alle Griffformen mit guter Kraft ausgeführt werden. Die Polyarthrose der kleinen Fingergelenke sei von untergeordneter, nicht wesentlich leistungseinschränkender Bedeutung. An den unteren Extremitäten sei kein Befund von wesentlichem Krankheitswert festzustellen. Die Wirbelsäulenveränderungen würden die Belastbarkeit einschränken und zu qualitativen Einschränkungen im Hinblick auf die Schwere der körperlichen Tätigkeiten sowie auf Zwangshaltungen führen. Die Kopfschmerzen hätten trotz der bestehenden Hydrocephalusbehandlung kein anatomisches Korrelat. Der Kläger könne bei bestehender funktioneller Einäugigkeit weiterhin in allen Berufsbereichen eingesetzt werden, die nicht ausdrücklich ein uneingeschränktes beidäugiges Sehvermögen erforderten. Insgesamt sei festzuhalten, dass der Kläger nicht zu Arbeiten herangezogen werden solle, die eine uneingeschränkte beidhändige feinmotorische Geschicklichkeit und räumliches Sehvermögen erfordern würden. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt. Für die Beurteilung des chronischen Schmerzsyndroms seien fachärztlicherseits zwei unterschiedliche sozialmedizinische Beurteilungen vorgenommen worden, die sich aus Sicht des Arbeitsmediziners nicht näher aufklären ließen. Einzig sei darauf hinzuweisen, dass die vom Gutachter Dr. K. angenommene krankheitsbedingte Unfähigkeit einer weiteren psychotherapeutischen Behandlung sich durch den Verlauf der Erkrankung nicht bestätigt habe. Allerdings sei sowohl für die durchgeführte schmerztherapeutische Behandlung als auch die psychotherapeutische Behandlung ein Zielkonflikt zwischen dem Rentenbegehren und dem angestrebten Behandlungserfolg zu verzeichnen.

Der Kläger hat im Nachgang eine ärztliche Bescheinigung des Augenarztes Dr. S. vom Juli 2005 vorgelegt, wonach dieser den Kläger auf Mängel seines Sehvermögens und auf ein entsprechendes Verhalten im Straßenverkehr hingewiesen habe; diese Bescheinigung sei zwei Jahre gültig gewesen.

Der Senat hat ein weiteres Gutachten durch den Chefarzt der Klinik für Allgemeinpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik I am Psychiatrischen Zentrum N. in C-Stadt, Prof. Dr. C., erstellen lassen. Dieser hat den Kläger am 25.07.2016 untersucht und in seinem Gutachten vom 30.10.2016 darauf hingewiesen, dass in den testpsychologischen Beschwerdevalidierungsverfahren eine Verdeutlichungstendenz beim Kläger in Bezug auf neurologische und anamnestische Symptome festzustellen gewesen sei. Gegenwärtig sei keine klinisch relevante depressive Symptomatik zu konstatieren. In der Vergangenheit sei eine depressive Symptomatik durch Dr. H., Dr. B., Dr. K. ausgeschlossen worden. Erst im neurologisch-algesiologischen Gutachten von Frau Dr. K. sei eine leichte depressive Anpassungsstörung diagnostiziert worden, ohne dass sich auch bei der damaligen Untersuchung deutliche Affekteinschränkungen hätten feststellen lassen. Der Gutachter Dr. K. beziehe sich in der Beantwortung der Beweisfragen auf das schmerzspezifisch-psychologisch-psychotherapeutische Urteil des Dr. Dipl.-Psych. K., ohne dass dessen Ausführungen als autorisiert erkennbar wären. Der Kläger sei nach Einschätzung des Gutachters Prof. Dr. C. weiterhin in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich einer qualitativ möglichen Erwerbstätigkeit nachzugehen, was sich nicht mit der Selbsteinschätzung des Klägers decke. An Einschränkungen sei zu beachten, dass der Kläger nur noch leichte körperliche Arbeiten mit Heben, Tragen und Bewegen von Lasten bis maximal 10 kg, ohne Zwangshaltungen der Wirbelsäule, ohne andauernde Überkopfarbeiten, ohne häufiges Bücken, ohne Witterungsbedingungen wie Kälte, Nässe und Zugluft ausüben könne. Die Tätigkeit solle in wechselnder Körperhaltung möglich sein. Erhöhte psychovegetative Belastung, erhöhter Zeitdruck, berufsbedingt aktive Teilnahme am Straßenverkehr und insbesondere das Führen von Kfz, erhöhte Anforderungen an das räumliche Sehen, feingeschickliche Tätigkeiten, Lärmarbeitsplätze, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, an laufenden Maschinen und auf unebenen Böden kämen ebenfalls nicht in Betracht. Die selbstständige Nutzung eines Kfz werde kritisch gesehen. Die Wegefähigkeit zu Fuß und unter Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei nicht eingeschränkt.

Der Kläger hat am Gutachten des Prof. Dr. C. kritisiert, dass seine Einlassungen teilweise unzutreffend wiedergegeben worden seien und dass ihn die Gutachtensdurchführung so erschöpft habe, dass er gleich nach Fahrtbeginn der Heimfahrt - wobei ihn sein Bruder gefahren habe - eingeschlafen sei. Es sei zu beachten, dass bei der Einstufung der täglichen Arbeitsdauerfähigkeit es eben nicht auf eine vom Kläger einmalig unter größten Anstrengungen erbrachte Leistung ankommen könne, sondern auf eine tägliche Arbeitsdauerfähigkeit.

Auf erneuten Antrag des Klägers nach § 109 SGG ist am 03.05.2017 ein weiteres Gutachten durch Prof. Dr. med. Dr. Dipl.-Ing. F., Arzt für Neurologie und Psychiatrie von der Neurowissenschaftlichen Gutachtensstelle am Bezirkskrankenhaus F-Stadt erstellt worden. Dieser hatte den Kläger am 12.04.2017 untersucht. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass er in psychopathologischer Hinsicht keine Anhaltspunkte für eine belangvolle depressive Störung beim Kläger zu erkennen vermöge. Auch sei der Konzentrationsabfall, der im Vorgutachten der Klinik E. beschrieben sei, nicht zu erkennen gewesen. Die beim Kläger recht umfangreich vorliegenden Gesundheitsstörungen würden sicherlich verschiedene qualitative Funktionseinschränkungen, jedoch keine quantitative Leistungseinschränkung bedingen. Hinsichtlich der geklagten Sehstörungen sei festzuhalten, dass der Kläger selbst eine jährliche Fahrleistung von 8.000 km mit einem PKW angegeben habe und eine aktuelle drastische Verschlechterung der Sehfähigkeit nicht zu erkennen sei. Zusätzlich seien jedoch zwei weitere Problemkreise zu berücksichtigen. Dies betreffe zum einen die anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Eine psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung sei nicht zu eruieren, die Medikamenteneinnahme erfolge seit vielen Jahren unverändert und der Kläger zeige sich hinsichtlich stationärer psychosomatischer Behandlungsmaßnahmen äußerst zurückhaltend. Im Rahmen der gutachterlichen Exploration zeige sich hier nicht, dass die somatoforme Schmerzstörung dem willentlichen Zugriff entzogen wäre und eine quantitative Leistungseinschränkung nach sich ziehe. Zu überprüfen sei jedoch, ob die vom Kläger immer wieder in den Vordergrund gerückte Minderung von Mobilität und Belastbarkeit nicht im Zusammenhang mit einer Hormonstörung stehe. Die derzeitige Beurteilung ergebe keine zeitliche Einschränkung des Einsatzvermögens des Klägers an geeigneten Arbeitsplätzen. Eine andere Beurteilung wäre allenfalls dann denkbar, wenn sich im Rahmen einer hormonellen Untersuchung eine Hypophysenstörung zeigen würde, die dann medikamentös substituiert werden müsste, um die hierdurch bedingten Beeinträchtigungen längerfristig wieder auszugleichen.

Die Beklagte hat eingewandt, dass die Einschränkungen des Klägers auf neurologogisch/psychiatrischem Fachgebiet behandelbar seien und die Behandlungsmöglichkeiten noch nicht ausgeschöpft seien. Der Kläger hat eine am 21.06.2017 gefertigte Zeugenerklärung seines Bruders, M. A. vorgelegt.

Im Anschluss hat das Verfahren im Hinblick auf die Diagnostik bezüglich einer möglichen hormonellen Erkrankung geruht. Die Klägerseite hat im April 2018 vorgetragen, dass die Diagnostik noch nicht abgeschlossen sei. Der Senat hat einen aktuellen Befundbericht des Hausarztes Dr. G. eingeholt.

Der Senat hat einen aktuellen Versicherungsverlauf für den Kläger beigezogen. Danach sind nach dem Rentenbezug Oktober 2010 keine weiteren rentenrechtlich relevanten Zeiten vorhanden. Die Klägerseite hat mitgeteilt, dass die Versicherungszeiten grundsätzlich ordnungsgemäß erfasst seien. Der Kläger habe noch seine Mutter gepflegt und zwar von Ende März 2018 bis zu deren überraschendem Tod am 28.05.2018. Hierzu habe der Kläger inzwischen einen Antrag auf Anerkennung von Pflegezeiten bei der Krankenkasse ausgefüllt und eingereicht.

In einem Arztbrief über die ambulante Behandlung des Klägers vom 05.07.2018 wird von einem Bericht des Klägers über eine neu aufgetretene Problematik mit Visus und Gesichtsfeld sowie Flimmern gesprochen. Eine Progredienz der inneren Liquorräume bei regelrecht einliegendem Kathetersystem sei nicht festzustellen gewesen. Es sei eine weiterführende augenärztliche Diagnostik geplant.

In der mündlichen Verhandlung am 17.10.2018 weist der Bevollmächtigte des Klägers auf die Entscheidung des BSG vom 11.05.1999, B 13 RJ 71/97 R hin, bei dem in einem vergleichbaren Fall keine Verweisungstätigkeiten sich hätten finden lassen. Die Beklagte verweist auf das Urteil des BSG vom 09.05.2012, B 5 R 67/11 R und sieht keine Pflicht zur Benennung von Verweisungstätigkeiten. Hilfsweise benennt sie als zumutbare Tätigkeiten Museumsaufsicht, Pförtner oder Mitarbeiter in einer Poststelle.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 20.08.2014 und den Bescheid der Beklagten vom 27.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.03.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung über Oktober 2010 hinaus zu bewilligen, hilfsweise eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu einem späteren Zeitpunkt erneut zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 20.08.2014 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der beigezogenen Akten der Beklagten und des Zentrums Bayern Familie und Soziales und der weiteren Gerichtsakten S 15 U 240/08, S 2 U 275/05 und S 12 R 486/04 jeweils des Sozialgerichts Nürnberg Bezug genommen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG), aber nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Weitergewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung in der Zeit ab November 2010 und auch nicht auf eine Neugewährung zu einem späteren Zeitpunkt.

Dabei ist es unerheblich, ob Änderungen zur vorherigen gesundheitlichen Situation vorgelegen hatten oder nicht und ebenso ob der Kläger die Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum 31.10.2010 zu Recht bezogen hatte oder nicht. Nach Ablauf einer zeitlich befristeten Rente sind bei der Entscheidung über die Weitergewährung die Voraussetzungen für eine Rentengewährung stets unabhängig und in vollem Umfang - wie bei einem Neuantrag - zu prüfen.

Gemäß § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

  • 1.voll erwerbsgemindert sind,

  • 2.in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung haben und

  • 3.vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bestehen bei einem möglichen nahtlosen Anschluss der Rentengewährung unproblematisch fort, so dass es allein darauf ankommt, ob seinerzeit, d.h. ab 01.11.2010 eine volle Erwerbsminderung beim Kläger vorgelegen hatte oder nicht.

Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Ergänzend führt § 43 Abs. 3 SGB VI aus, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Eine volle Erwerbsminderung im Sinne von § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI lag bei dem Kläger nach dem Ergebnis der Ermittlungen im Zeitraum ab 01.11.2010 nicht vor. Eine zeitliche Einschränkung des Einsatzvermögens auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf weniger als 3 Stunden täglich hat nicht bestanden. Der Kläger wurde zeitnah von zwei ärztlichen Sachverständigen - Dr. G. und Dr. K. - untersucht, die das orthopädische, neurologische, psychiatrische und sozialmedizinische Fachgebiet abgedeckt haben. Dabei wurde insbesondere auf psychischem Gebiet eine aktuell verbesserte Situation beschrieben und beide Gutachter haben ausführlich dargelegt, warum die aktuellen Gesundheitsstörungen nur qualitative Einschränkungen der Einsatzfähigkeit des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit sich bringen und keine quantitativen. Diese sozialmedizinische Einschätzung wurde von nahezu sämtlichen in der Folgezeit gehörten Sachverständigen geteilt. Der Sachverständige Dr. D. hat die endgültige Beurteilung der Auswirkung psychischer Gesundheitsstörungen als für ihn nicht abschließend beurteilbar angesehen. Der Sachverständige Prof. Dr. K. kam zwar zu einer zeitlichen Einschränkung auf unter 3 Stunden, jedoch nicht im Rahmen einer eigenen Untersuchung, sondern durch Übernahme der Einschätzungen des Dipl.-Psych. Dr. K … Dessen Äußerungen haben - da nicht autorisiert und schon gar nicht durch das Sozialgericht im Rahmen der Beweisermittlung angeordnet - praktisch kein Gewicht. Allenfalls können die Untersuchungsergebnisse Anhaltspunkte vermitteln, wie es im Jahr 2014 um die psychische Situation beim Kläger gestanden haben könnte. Soweit Prof. Dr. F. Auswirkungen durch eine hormonelle Störung für möglich hält, steht nicht nur bisher der entsprechende Nachweis noch aus, sondern vor allem ist ein Rückbezug auf den November 2010 nicht hergestellt und nach Ansicht des Gerichts auf Grund der eingeschränkten Befundlage auch nicht mehr herstellbar. Die Darlegungen des behandelnden Arztes Dr. B. sind durch die Gutachter sozialmedizinisch anders eingeordnet worden; die von diesem angenommene quantitative Einschränkung erschien nicht überzeugend.

Der Senat hält in Auswertung der genannten Gutachten folgendes sozialmedizinisches Leistungsbild beim Kläger im November 2010 für gegeben: Dem Kläger waren auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Tätigkeiten im Wechselrhythmus täglich mehr als sechs Stunden möglich. Tätigkeiten mit Zwangshaltungen der Wirbelsäule, häufige bückende und kniende Arbeiten, grobe Kraftbeanspruchung an die rechte Hand oder Anforderungen an die Feingeschicklichkeit und an das räumliche Sehen, besondere nervliche Belastungen und die Einwirkung von Nässe, Kälte, Zugluft sowie Lärm hätten vermieden werden müssen.

Ergänzend ist anzumerken, dass sich die Tatsache einer Stabilisierung der psychischen Situation des Klägers gegenüber dem Jahr 2005 schon im Vorgutachten der Dr. B. im Jahr 2008 angedeutet hatte, als beim Kläger ein mehr als 3-stündiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschrieben worden war und die volle Erwerbsminderungsrente nur aus rechtlichen Gründen - sog. Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes - (weiter-)gewährt worden war. Hinzu kommt, dass aus fachärztlicher Sicht seinerzeit bestehende Therapieoptionen beschrieben worden waren, die nach ärztlicher Auffassung zu einer weiteren gesundheitlichen Besserung beigetragen hätten, wenn sie der Kläger - seinerzeit und zeitnah - genutzt hätte. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts werden nämlich psychische Erkrankungen erst dann rentenrechtlich relevant, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant und stationär) davon auszugehen ist, dass ein Versicherter die psychischen Einschränkungen dauerhaft nicht überwinden kann - weder aus eigener Kraft, noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe (BSG Urteil vom 12.09.1990 - 5 RJ 88/89; BSG Urteil vom 29.02.2006 - B 13 RJ 31/05 R - jeweils zitiert nach juris; BayLSG Urteil vom 21.03.2012 - L 19 R 35/08). Mit psychotherapeutischer Behandlung etwa hat der Kläger erst deutlich später begonnen, wobei es nicht darauf ankommt, dass diese Therapie aus heutiger Sicht nicht zu einer durchgreifenden Besserung geführt hat. Für den damaligen Zeitpunkt November 2010 sieht der Senat jedenfalls den Nachweis nicht geführt, dass die seinerzeit vom Kläger vorgebrachten Beschwerden auch mit ärztlicher Hilfe dauerhaft oder zumindest für absehbare Zeit nicht zu überwinden gewesen wären.

Zusätzlich würde eine Rente wegen voller Erwerbsminderung nach der Rechtsprechung des BSG (Beschluss vom 11.12.1969 - Az. GS 4/69; Beschluss vom 10.12.1976 - Az. GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75, GS 3/76 - jeweils zitiert nach juris) auch in Betracht kommen, wenn eine teilweise Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI) vorliegen würde, eine Teilzeitbeschäftigung nicht ausgeübt würde und der Teilzeitarbeitsmarkt für den Kläger als verschlossen anzusehen wäre (s.a. Gürtner in: Kasseler Kommentar, Stand August 2012, § 43 SGB VI Rn 30 mwN). Aber auch eine derartige zeitliche Einschränkung auf zwar mehr als 3, aber weniger als 6 Stunden täglich hat ab November 2010 beim Kläger nach den Gutachten - wie dargelegt - nicht bestanden.

Zwar kann in bestimmten Ausnahmefällen eine Rentengewährung wegen voller Erwerbsminderung selbst ohne Vorliegen einer quantitativen Einschränkung erfolgen, wenn der Zugang zum Arbeitsmarkt anderweitig verschlossen ist. Für die Zeit ab November 2010 hat sich aus Sicht des Senates aber auch kein derartiger Ausnahmefall belegen lassen. Dabei ist nach der im Verfahren angesprochenen Rechtsprechung des BSG aus dem Jahr 2012 (Urt. v. 09.05.2012, B 5 R 68/11 R - zitiert nach juris) vorzugehen. Die Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliegt bzw. vorgelegen hatte, umfasst dabei mehrere nacheinander zu durchlaufende Schritte: Zunächst ist festzustellen, ob mit dem Restleistungsvermögen des Betroffenen - hier des Klägers - Verrichtungen vorgenommen werden können, die bei ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden, wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Maschinenbedienung, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen. Nur wenn sich solche abstrakten Handlungsfelder nicht oder nur unzureichend beschreiben lassen und ernste Zweifel an der tatsächlichen Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen kommen, stellt sich im zweiten Schritt die Frage nach der besonderen spezifischen Leistungsbehinderung oder der Summierung ungewöhnlicher Einschränkungen. Falls in diesem Schritt eine solche Kategorie als vorliegend angesehen wird, wäre im dritten Schritt von der Beklagten eine Verweisungstätigkeit konkret zu benennen und dann die Einsatzfähigkeit des Betroffenen - hier des Klägers - hinsichtlich dieser Tätigkeit abzuklären (vgl. Gürtner in: Kasseler Kommentar, Stand September 2016, § 43 SGB VI, Rn. 47 mwN).

Für den Senat ergeben sich trotz des festgestellten und oben näher beschriebenen eingeschränkten Leistungsbilds des Klägers keine ernsthaften Zweifel daran, dass beim Kläger ab November 2010 eine Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestanden hatte. Sämtliche Arbeitsfelder wären als grundsätzlich geeignet anzusehen gewesen: Die Arbeitsfelder Reinigen, Maschinenbedienung, Kleben, Sortieren unmittelbar, die übrigen d.h. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen jedenfalls unter Nutzung geeigneter Hilfsmittel. Die Einschränkungen der Arbeitsbedingungen beim Kläger - insbesondere hinsichtlich der Schwere der körperlichen Arbeit sowie bezüglich Zwangshaltungen und nervlicher Belastung - sind nicht so weitgehend, dass ganze Einsatzbereiche von vornherein weggefallen gewesen wären. Dabei sind zwar gelegentlich Teilbereiche wie etwa das Zusammensetzen von Kleinteilen nicht möglich, was aber nicht dazu führt, dass der gesamte Einsatzbereich nicht in Frage kommen würde. Hinzu kommt, dass die Sinneswahrnehmung des Klägers - abgesehen vom räumlichen Sehen - nicht weitergehend eingeschränkt ist, was weitere Arbeitsfelder etwa in der Überwachung eröffnet.

Aber selbst wenn man anders als der Senat von Zweifeln an der Einsatzfähigkeit des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgehen wollte, würde es am Vorliegen einer schweren spezifischen Behinderung oder der Summierung von ungewöhnlichen Einschränkungen fehlen. Die Restfunktionen des rechten Armes reichen weit über die einer sogenannten Beihand hinaus, wovon sich der Senat neben den überzeugenden ärztlichen Darlegungen auch selbst ein Bild machen konnte. Wenn man nun berücksichtigt, dass selbst bei einer reinen Beihandfunktion noch keine funktionelle Einarmigkeit vorliegen würde, ist eine schwere spezifische Behinderung im Sinne der Rechtsprechung bei dem gesundheitlichen Restleistungsvermögen des Klägers nicht zu bejahen. Beim Kläger liegen zwar im Vergleich zu den Einschränkungen der Arbeitsbedingungen, die üblicherweise bei nervlich nicht anstrengenden, körperlich leichten Tätigkeiten ohnehin enthalten sind, zusätzlich Einschränkungen im Bereich der Kraftentfaltung und Fingerfertigkeit der rechten Hand und des räumlichen Sehens vor. Diese würden aber den Handeinsatz und das Sehen als solches jeweils nur für bestimmte Funktionen und nicht insgesamt beeinträchtigen, sodass - wenn es darauf überhaupt ankäme - die Summierung ungewöhnlicher Einschränkungen ebenfalls nicht zu bejahen sein dürfte.

Schließlich hat die Beklagte auch vorsorglich hilfsweise Tätigkeiten benannt, auf die sich der Kläger verweisen lassen müsste, wenn man entgegen der Ansicht der Beklagten - die wie dargelegt vom Senat geteilt wird - die Benennung einer derartigen konkreten Verweisungstätigkeit als erforderlich ansehen wollte. Hier käme jedenfalls die Ausübung einer Pförtnertätigkeit in Betracht. Diese würde überwiegendes Sitzen, aber auch gelegentliches Stehen und Gehen, also den erforderlichen Wechselrhythmus, ermöglichen. Zwangshaltungen der Wirbelsäule, häufiges Bücken und Knien, grobe Kraftanwendung und Anforderungen an das räumliche Sehen werden nicht abverlangt. Erforderliche Notizen kann der Kläger vornehmen, zumal ärztlicherseits sogar das nicht gehäufte Bedienen einer Tastatur und einer Computermaus als möglich beschrieben worden war. Besondere nervliche Belastungen sind allenfalls an Arbeitsplätzen mit besonders viel Publikumsverkehr zu erwarten. Einwirkungen von Nässe, Kälte, Zugluft sowie Lärm auf die Bediensteten werden an modernen Pforten regelhaft vermieden.

Soweit sich der Kläger auf die frühere Entscheidung des BSG vom 11.05.1999, B 13 RJ 71/97 R, beruft, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Dies ergibt sich schon daraus, dass dort die Frage zu beurteilen war, ob im Falle der dort zu prüfenden Berufsunfähigkeit ausnahmsweise auf die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit verzichtet werden konnte, weil eine uneingeschränkte Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt in Betracht kam, während es im Fall des Klägers darum geht, ob bei einer Prüfung auf Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI und der damit verbundenen grundsätzlichen Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ausnahmsweise die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich ist. Aus den Einzelheiten der dortigen medizinischen Situation lässt sich ebenfalls nichts herleiten, weil zum einen ein Berufen auf Vergleichsfälle dem deutschen Rechtssystem wesensfremd ist und zum anderen in der dortigen Entscheidung eine Prüfung auf das Vorliegen einer konkreten Verweisungstätigkeit gar nicht erfolgt ist, während sie im Fall des Klägers hilfsweise vorgenommen worden ist.

Der Kläger war auch nicht gehindert gewesen, einen eventuellen Arbeitsplatz zu erreichen, nachdem ärztlicherseits die Voraussetzungen für das Vorliegen der sogenannten Wegefähigkeit bejaht worden waren. Die Wegefähigkeit besteht unabhängig von der Diskussion über den Umfang der möglichen Fahrtüchtigkeit des Klägers in Bezug auf die Nutzung seines PKW. Der Kläger hätte öffentliche Verkehrsmittel benutzen können und die Wegstrecken zur Haltestelle zu Fuß zurücklegen können. Dabei kommt es entgegen den Annahmen der Klägerseite nach der Rechtsprechung auf die konkreten Verhältnisse im ÖPNV am derzeitigen Wohnort des Klägers nicht an (vgl. Gürtner, a.a.O. Rn. 43 mwN)

Ebenso kommt es auf die Einsatzfähigkeit des Klägers im erlernten oder im zuletzt ausgeübten Beruf nicht an, da der Kläger auf Grund seines Geburtsjahrgangs nicht mehr von der Ausnahmevorschrift des § 240 SGB VI erfasst ist.

Damit hat beim Kläger im November 2010 kein Anspruch auf nahtlose Gewährung einer Rente wegen voller oder - wie hilfsweise beantragt - teilweiser Erwerbsminderung bestanden.

Weitere Ermittlungen zum aktuellen Gesundheitszustand des Klägers sind nicht erforderlich, da für eine Rentengewährung auf Grund eines Neuantrags die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nur dann erfüllt wären, wenn eine volle oder teilweise Erwerbsminderung spätestens im November 2012 eingetreten gewesen wäre. Dies ergibt sich daraus, dass der Kläger zu einem späteren Zeitpunkt die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt gehabt hätte. Unverändert ist zwar die allgemeine Wartezeit erfüllt. Die besondere Voraussetzung des § 43 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VI, wonach in den letzten 5 Jahren - ggf. verlängert nach § 43 Abs. 4 SGB VI - vor Eintritt der Erwerbsminderung mindestens 3 Jahre d.h. 36 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt sein müssen, ist für die Zeit ab Dezember 2012 ohne erneute Pflichtbeiträge nicht mehr zu erfüllen, nachdem der Kläger letztmals im Oktober 2010 eine rentenrechtlich relevante Zeit aufzuweisen hatte. Auch die Möglichkeit, dass ihm im Jahr 2018 noch einige Monate mit Beiträgen für Pflegetätigkeit zuerkannt werden könnten, ändert daran nichts. Es kommt auch kein Absehen von dieser Bedingung im Rahmen der Ausnahmevorschrift des § 241 Abs. 2 SGB VI in Betracht, da der Kläger nicht von dieser Vorschrift erfasst ist, da er im Jahr 1984 erst 10 Jahre alt war und die allgemeine Wartezeit damals noch nicht erfüllt gehabt hatte.

Einen Eintritt einer quantitativen Minderung der Erwerbsfähigkeit im Zeitraum bis November 2012 sieht der Senat durch die im November 2011, April 2012 und Oktober 2012 bei den Gutachtern Dr. S., Dr. K. und Dr. Sch. erfolgten Untersuchungen und den daraus abgeleiteten sozialmedizinischen Beurteilungen nicht als gegeben an. Eine wesentliche Veränderung zu den für November 2010 ausführlich gewürdigten gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers ist nicht zu ersehen gewesen. Eine später eingetretene Verschlechterung - etwa zum Zeitpunkt der Untersuchung bei Dr. K. oder der Testung bei Dipl.-Psych. Dr. K. - könnte wegen der fehlenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr zu einem Rentenanspruch des Klägers führen.

Somit sind auch die weiteren Hilfsanträge des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung zu einem späteren Zeitpunkt als November 2010 nicht begründet.

Nach alledem war die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 20.08.2014 als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

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Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 17. Okt. 2018 - L 19 R 870/14 zitiert 10 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 144


(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hier

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 151


(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. (2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerh

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 43 Rente wegen Erwerbsminderung


(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise erwerbsgemindert sind,2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 143


Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 109


(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschieß

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 240 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit


(1) Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die 1. vor dem 2. Januar 1961 geboren und2. berufsunfähigsind. (2) Berufsunfähig

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 241 Rente wegen Erwerbsminderung


(1) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit (§ 240), in dem Versicherte für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit hab

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Bundessozialgericht Urteil, 09. Mai 2012 - B 5 R 68/11 R

bei uns veröffentlicht am 09.05.2012

Tenor Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 2011 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detm

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(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 2011 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 10. Dezember 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit gewähren muss.

2

Die 1954 geborene Klägerin hat keine Schule besucht und keinen Beruf erlernt. Sie ist auch in ihrer türkischen Muttersprache (primäre) Analphabetin, weil sie keine Zahlen kennt, nur minimale Buchstabenkenntnisse besitzt und deshalb selbst mit fremder Hilfe weder lesen noch schreiben kann. In Deutschland arbeitete sie ab November 1987 bis zum Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit im September 2004 durchgehend als Reinigungskraft bei der Stadt B.

3

Sie leidet an einer Wirbelsäulenerkrankung ohne neurologische Ausfallerscheinungen, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und einer depressiven Erkrankung. Trotz dieser Krankheiten kann sie noch körperlich leichte Tätigkeiten sechs (und mehr) Stunden an fünf Tagen in der Woche regelmäßig verrichten. Auszuschließen sind Arbeiten mit Knien, Hocken, häufigem Bücken, über Kopf, mit Besteigen von Leitern und Gerüsten, unter Umwelteinflüssen (wie Kälte, Hitze, Temperaturschwankungen, Nässe, Staub, Gas, Dampf, Rauch, Lärm, Schmutzeinwirkung), in Wechsel- und Nachtschicht, unter zeitlichem Druck, wie bei Akkord- oder Fließbandarbeit, sowie mit häufigem Publikumsverkehr. Der Analphabetismus der Klägerin beruht nicht auf einer gesundheitlichen Störung.

4

Ihren Antrag vom 21.6.2005 auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit lehnte die Beklagte ab, weil sie noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein könne (Bescheid vom 22.9.2005 und Widerspruchsbescheid vom 6.1.2006). Die Klage blieb erfolglos (Urteil des SG Detmold vom 10.12.2007).

5

Das LSG hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgehend von einem am 21.6.2005 eingetretenen Leistungsfall befristet bis zum 31.1.2014 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen (Urteil vom 21.2.2011): Die Klägerin habe die allgemeine Wartezeit zurückgelegt, erfülle die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen und sei voll erwerbsgemindert. Denn ihr sei der Arbeitsmarkt unter dem Gesichtspunkt einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen praktisch verschlossen. Zwar seien die qualitativen Leistungseinschränkungen nach der Rechtsprechung des 5. Senats des BSG, der sich der erkennende Senat anschließe, nicht ungewöhnlich und ließen für sich allein noch keine ernstlichen Zweifel daran aufkommen, dass die Klägerin in einem Betrieb einsetzbar sei. Gleichwohl seien keine beruflichen Tätigkeiten ersichtlich, die sie auf der Grundlage ihres Restleistungsvermögens und ihres muttersprachlichen Analphabetismus noch verrichten könne. Der Analphabetismus sei bei der Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliege, zu berücksichtigen, wenn das weite Feld der Tätigkeiten, die die Fähigkeit des Lesens und Schreibens nicht unbedingt erforderten, aufgrund weiterer Leistungseinschränkungen und der Beschränkung des Restleistungsvermögens auf nur leichte Arbeiten nicht mehr zweifelsfrei offenstehe. Eine realistische Verwertung des Restleistungsvermögens im Erwerbsleben setze voraus, dass eine Verweisungstätigkeit den Kräften und Fähigkeiten des Versicherten entspreche, wodurch sichergestellt werde, dass keine vom tatsächlichen Leistungsvermögen losgelöste, also fiktive Verweisung erfolge. Eine konkrete Verweisungstätigkeit, die die Klägerin mit den verbliebenen Fähigkeiten noch verrichten könne, sei indes nicht ersichtlich. Die Tätigkeiten als Museumswärterin/Aufseherin, Küchenhilfe, Büglerin, Mitarbeiterin in einer Mangel, Warensortiererin in der Kunststoff- und Metallindustrie oder in der Papier- und Elektroindustrie, die die Beklagte benannt habe, könne die Klägerin teils aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen, teils aufgrund des Analphabetismus nicht mehr ausüben.

6

Mit der Revision, die das LSG zugelassen hat, rügt die Beklagte eine Verletzung von § 43 SGB VI: Nach der Rechtsprechung des BSG sei in der Regel davon auszugehen, dass Versicherte, die noch körperlich leichte Tätigkeiten- wenngleich mit qualitativen Einschränkungen - täglich mindestens sechs Stunden verrichten könnten, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den dort üblichen Bedingungen erwerbstätig sein könnten. Eine konkrete Verweisungstätigkeit sei in dieser Situation nur zu benennen, wenn ausnahmsweise eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliege. Das LSG führe jedoch selbst nachvollziehbar aus, dass sämtliche Leistungseinschränkungen der Klägerin nicht ungewöhnlich seien und für sich allein keine ernstlichen Zweifel daran aufkommen ließen, dass sie in einem Betrieb einsetzbar sei. Bei der Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliege, müsse ihr Analphabetismus außer Acht bleiben. Denn er beruhe nicht auf einer gesundheitlichen Störung oder auf intellektuellen Defiziten, sondern darauf, dass sie keine Schule besucht und deshalb weder Lesen noch Schreiben erlernt habe. Ein solcher Analphabetismus sei als Bildungsdefizit und nicht als Erwerbsminderung auslösende Krankheit oder Behinderung zu werten. Soweit sich das Berufungsgericht für seine gegenteilige Ansicht auf das Senatsurteil vom 10.12.2003 (B 5 RJ 64/02 R - SozR 4-2600 § 44 Nr 1) stütze, stehe diese Entscheidung nicht mit dem Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996 (GS 2/95 - BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8) in Einklang. Danach sei es ausgeschlossen, "einen arbeitslosen Versicherten, der noch vollschichtig arbeiten" könne, "deshalb als erwerbsunfähig anzusehen, weil neben den gesundheitlichen Einschränkungen Risikofaktoren wie Langzeitarbeitslosigkeit und vorgerücktes Alter oder mangelhafte Ausbildung die Vermittlungschancen zusätzlich" erschwerten. Analphabetismus sei jedoch nichts anderes als "mangelnde Ausbildung". Für die Überwindung des Analphabetismus seien nicht die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern die Bundesagentur für Arbeit, die Grundsicherungsträger sowie die Kommunen und Länder zuständig; das daraus resultierende Arbeitsmarktrisiko dürfe nicht auf die Rentenversicherungsträger verlagert werden. Soweit die Rechtsprechung schließlich zwischen Analphabetismus und mangelnden Deutschkenntnissen unterscheide, sei diese Differenzierung inkonsequent. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl Senatsurteil vom 15.5.1991 - 5 RJ 92/89 - BSGE 68, 288 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 11) müssten unzureichende Deutschkenntnisse bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit außer Acht bleiben, weil dem Rentenversicherungsträger sonst ein von der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erfasstes Risiko aufgebürdet werde. Nichts anderes müsse für Analphabetismus gelten. Dass der Klägerin der Zugang zum Arbeitsmarkt wegen ihres Analphabetismus erschwert sei, könne ebenso wenig wie der Umstand berücksichtigt werden, dass sie aufgrund mangelhafter deutscher Sprachkenntnisse nicht ausreichend kommunizieren könne.

7

Die Beklagte beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 2011 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 10. Dezember 2007 zurückzuweisen.

8

Die Klägerin beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

9

Sie trägt vor: Aufgrund einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen erfülle sie die Voraussetzungen einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, wobei ihr Analphabetismus zu berücksichtigen sei. Als primäre Analphabetin sei sie auf dem Arbeitsmarkt, unter Hinzutreten weiterer ungewöhnlicher Erschwernisse, schlichtweg nicht (mehr) vermittelbar und könne auch auf Alternativtätigkeiten nicht (mehr) verwiesen werden. Selbst wenn man den primären Analphabetismus außer Acht ließe, seien zumutbare Verweisungstätigkeiten weder ersichtlich noch von der Beklagten benannt worden. Vor dem Hintergrund bestehender Fürsorgepflicht hätte die Beklagte durch Rehabilitations- bzw Förderungsmaßnahmen dem Analphabetismus entgegenwirken und hierdurch eine Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt wiederherstellen müssen.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Das Urteil des LSG verletzt Bundesrecht (§ 162 SGG). Der Klägerin steht kein Recht auf Rente wegen Erwerbsminderung zu.

11

1. Als Anspruchsgrundlage kommt allein § 43 Abs 2 SGB VI in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.2.2002 (BGBl I 754) in Betracht (§ 300 Abs 1 SGB VI). Danach haben Versicherte bei Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (Abs 2 S 1 Nr 2 und 3) bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Abs 2 S 1 Nr 1). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Abs 2 S 2). Erwerbsgemindert ist hingegen nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Abs 3). Nach § 102 Abs 2 S 1 SGB VI werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, zu denen auch die Rente wegen voller Erwerbsminderung zählt(§ 33 Abs 3 Nr 2 SGB VI), auf Zeit geleistet. Die Befristung (§ 32 Abs 2 Nr 1 SGB X) erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn (§ 102 Abs 2 S 2 iVm § 101 Abs 1 SGB VI) und kann wiederholt werden (§ 102 Abs 2 S 3 SGB VI in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.2.2002, BGBl I 754).

12

2. Nach den Feststellungen des LSG, die nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angefochten und deshalb für den Senat bindend sind (§ 163 SGG), kann die Klägerin körperlich leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden (arbeits)täglich, dh an fünf Tagen in der Woche, verrichten. Dieses zeitliche (quantitative) Leistungsvermögen schließt die Annahme einer "vollen Erwerbsminderung" gemäß § 43 Abs 3 Halbs 1 SGB VI aber noch nicht aus. Vielmehr kommt es nach dieser Vorschrift iVm § 43 Abs 2 S 2 SGB VI entscheidend darauf an, ob die Klägerin "wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande" ist, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts … erwerbstätig zu sein". Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

13

Die Rentenversicherungsträger und im Streitfall die Tatsachengerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben von Amts wegen (§ 20 Abs 1 S 1 SGB X, § 103 SGG) mit Hilfe (medizinischer) Sachverständiger (§ 21 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB X, § 106 Abs 3 Nr 5 SGG) zu ermitteln und festzustellen,

        

a)    

Art, Ausprägung und voraussichtliche Dauer der Krankheit(en) oder Behinderung(en), an denen der Versicherte leidet,

        

b)    

Art, Umfang und voraussichtliche Dauer der quantitativen und qualitativen Leistungseinschränkungen (Minderbelastbarkeiten, Funktionsstörungen und -einbußen) sowie den

        

c)    

Ursachenzusammenhang ("wegen") zwischen a) und b).

14

a) Das LSG hat bindend (§ 163 SGG) festgestellt, dass die Klägerin "an einer Wirbelsäulenerkrankung ohne neurologische Ausfallerscheinungen, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und an einer depressiven Erkrankung leidet". Dabei handelt es sich - auch soweit psychische Leiden vorliegen (s dazu BSGE 21, 189 = SozR Nr 39 zu § 1246 RVO; SozR Nr 15 zu § 1254 aF RVO) - um Krankheiten iS von § 43 Abs 2 S 2 SGB VI, dh um regelwidrige Körper- bzw Geisteszustände(BSGE 14, 207 = SozR Nr 5 zu § 45 RKG), die geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit herabzusetzen (BSGE 13, 255 = SozR Nr 11 zu § 1246 RVO). Den Analphabetismus oder dessen Ursachen hat das Berufungsgericht dagegen nicht als Krankheit bezeichnet, sondern ausdrücklich ausgeführt, dass die komplette Lese- und Schreibinkompetenz "nicht auf einer gesundheitlichen Störung" beruht. Sie ist auch keine "Behinderung", weil dazu rentenversicherungsrechtlich nur (weiter die Begriffsbestimmung in § 2 Abs 1 SGB IX) krankheitsbedingte Störungen zählen (Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 98; Kunze, DRV 2001, 192), deren Entwicklung - anders als bei einer Krankheit (vgl dazu BSGE 28, 114 = SozR Nr 28 zu § 182 RVO) - irreversibel abgeschlossen ist. Der "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruhende Analphabetismus" kann aber durch Erlernen der Schriftsprache überwunden werden.

15

b) Das LSG hat weiter bindend festgestellt, dass die Klägerin noch körperlich leichte Tätigkeiten sechs (und mehr) Stunden an fünf Tagen in der Woche regelmäßig verrichten kann. Auszuschließen sind Arbeiten mit Knien, Hocken, häufigem Bücken, über Kopf, mit Besteigen von Leitern und Gerüsten, unter Umwelteinflüssen (wie Kälte, Hitze, Temperaturschwankungen, Nässe, Staub, Gas, Dampf, Rauch, Lärm, Schmutzeinwirkung), in Wechsel- und Nachtschicht, unter zeitlichem Druck, wie bei Akkord- oder Fließbandarbeit, sowie mit häufigem Publikumsverkehr.

16

c) Zwischen diesen Leistungseinschränkungen (Erwerbsminderung) und den Krankheit(en) bzw Behinderung(en) muss ein Ursachenzusammenhang bestehen ("wegen"). Die Leistungsminderung muss wesentlich (Theorie der wesentlichen Bedingung, vgl BSGE 96, 291, 293 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7 RdNr 15)auf einer Krankheit oder Behinderung (den versicherten Risiken) beruhen und nicht auf sonstigen Umständen wie Lebensalter, fehlenden Sprachkenntnissen (Senatsurteil vom 15.5.1991 - 5 RJ 92/89 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 11 S 38 f; BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 9 S 34 f; SozR 2200 § 1246 Nr 61) oder Arbeitsentwöhnung (BSGE 7, 66). Aus den Darlegungen des LSG zum Ursachenzusammenhang geht hinreichend deutlich hervor, dass die beschriebenen Leistungseinschränkungen und Minderbelastbarkeiten aus den zuvor festgestellten Gesundheitsstörungen "resultieren". Außerdem hält das Berufungsgericht ausdrücklich fest, dass der Analphabetismus der Klägerin "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruht", also gerade kein Ursachenzusammenhang zwischen ihm und einer der festgestellten Erkrankungen vorliegt.

17

3. Steht das krankheits- bzw behinderungsbedingte (Rest-)Leistungsvermögen fest, ist im nächsten Prüfungsschritt die Rechtsfrage zu klären, ob der Versicherte damit außerstande ist, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" tätig zu sein. Diese Frage ist hier zu verneinen. Die zitierte Formulierung verwendete der Gesetzgeber ursprünglich im Arbeitsförderungsrecht (§ 103 AFG, § 119 SGB III, seit dem 1.4.2012: § 138 Abs 5 SGB III) und übertrug sie später auf das Recht der Renten wegen Erwerbsminderung. Mit dieser Übernahme griff er gleichzeitig die Rechtsprechung des BSG auf, wonach dem Betroffenen der Zugang zum Arbeitsmarkt trotz vollschichtigem Leistungsvermögen praktisch verschlossen war, wenn er krankheitsbedingt keine "Erwerbstätigkeit unter den in Betrieben üblichen Bedingungen" mehr ausüben konnte (sog 1. Katalog- und Seltenheitsfall, vgl dazu nur Senatsurteil vom 27.5.1977 - 5 RJ 28/76 - SozR 2200 § 1246 Nr 19 und die Zusammenstellung der Katalog- und Seltenheitsfälle in BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28). Die hierzu und zum Arbeitsförderungsrecht entwickelte Rechtsprechung ist auf die gesetzliche Neuformulierung übertragbar.

18

a) "Bedingungen" sind dabei alle Faktoren, die wesentliche Grundlage des Arbeitsverhältnisses sind (BSGE 11, 16, 20). Hierzu gehört vor allem der rechtliche Normrahmen, wie etwa Dauer und Verteilung der Arbeitszeit, Pausen- und Urlaubsregelungen, Beachtung von Arbeitsschutzvorschriften sowie gesetzliche Bestimmungen und tarifvertragliche Vereinbarungen (BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R - RdNr 29, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2600 § 43 Nr 16 vorgesehen; zum Arbeitsförderungsrecht: BSGE 11, 16, 20; 44, 164, 172 = SozR 4100 § 134 Nr 3; BSGE 46, 257, 259 = SozR 4100 § 103 Nr 17; BSG SozR 4100 § 103 Nr 23 S 55; BSG Urteil vom 21.4.1993 - 11 RAr 79/92 - Die Beiträge 1994, 431). Die Bedingungen sind "üblich", wenn sie nicht nur in Einzel- oder Ausnahmefällen anzutreffen sind, sondern in nennenswertem Umfang und in beachtlicher Zahl (BSG Urteil vom 19.10.2011, aaO, RdNr 29; BSGE 46, 257, 262, 264 = SozR 4100 § 103 Nr 17 S 40, 42; SozR 2200 § 1247 Nr 43 S 86 f; BSG Urteil vom 21.4.1993, aaO, Die Beiträge 1994, 431). Der Arbeitsmarktbegriff erfasst alle denkbaren Tätigkeiten (vgl BT-Drucks 14/4230, S 25), für die es faktisch "Angebot" und "Nachfrage" gibt. Das Adjektiv "allgemein" grenzt den ersten vom zweiten - öffentlich geförderten - Arbeitsmarkt, zu dem regelmäßig nur Leistungsempfänger nach dem SGB II und III Zugang haben, sowie von Sonderbereichen ab, wie beispielsweise Werkstätten für behinderte Menschen und andere geschützte Einrichtungen (BSG Urteil vom 19.10.2011, aaO RdNr 27). Die Klägerin kann nach den Feststellungen des LSG an fünf Tagen in der Woche mindestens sechs Stunden arbeiten. Sieht man davon ab, dass ihr Nacht- und Wechselschichten krankheitsbedingt nicht mehr zugemutet werden dürfen, benötigt sie im Hinblick auf Dauer und Verteilung der Arbeitszeit keine Sonderbehandlung, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unüblich wäre. Sie hat auch keinen erhöhten, betriebsunüblichen Pausen- oder Urlaubsbedarf und ist in einem Betrieb, also außerhalb geschützter Einrichtungen, einsetzbar. Wer aber in einem Betrieb unter den dort üblicherweise herrschenden Bedingungen arbeiten kann, ist auch imstande, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" tätig zu sein.

19

b) Soweit unter den Begriff der üblichen Bedingungen "auch tatsächliche Umstände" gefasst werden (BSG Urteil vom 19.10.2011, aaO, RdNr 29), "wie zB die für die Ausübung einer Verweisungstätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistige Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz", handelt es sich ausschließlich um kognitive Grundfähigkeiten, die krankheitsbedingt herabgesetzt sein können. Der "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruhende Analphabetismus" gehört nicht dazu. Wie der berufliche Werdegang der Klägerin exemplarisch und stellvertretend für eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen zeigt, zählen Lese- und Schreibkompetenzen keinesfalls zu den üblichen Grundbedingungen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses. Andernfalls könnten primäre Analphabeten nie unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig werden, wären schon vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit (voll) erwerbsgemindert und könnten Rente wegen voller Erwerbsminderung erst erhalten, nachdem sie die Wartezeit von 20 Jahren zurückgelegt haben (§ 43 Abs 6 iVm § 50 Abs 2 SGB VI).

20

4. Folglich kommt es entscheidend darauf an, ob die Klägerin trotz ihrer qualitativen Leistungseinschränkungen noch imstande ist, "erwerbstätig zu sein", dh durch (irgend)eine Tätigkeit Erwerb(seinkommen) zu erzielen. Diese Frage ist zu bejahen.

21

a) Um nachprüfbar zu machen, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, hat das BSG bereits zum Parallelproblem im Recht der Renten wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit (§§ 1246, 1247 RVO bzw §§ 43, 44 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Altfassung - aF) die Pflicht der Rentenversicherungsträger entwickelt, dem Versicherten zumindest eine zumutbare Tätigkeit (sog Verweisungstätigkeit) konkret zu benennen, die er mit seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch ausüben kann (sog Benennungsgebot), wenn eine Rente wegen fehlender Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit abgelehnt werden sollte (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 229; SozR 2200 § 1246 Nr 72, 74, 98 und 104). Zu benennen war eine Berufstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 72 S 229 und Nr 74 S 234; SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 229). Die Angabe einzelner Arbeitsvorgänge oder Tätigkeitsmerkmale genügte nicht (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 34 S 130 f mwN; BSG Urteil vom 27.3.2007 - B 13 R 63/06 R - Juris RdNr 30). Andererseits musste kein konkreter Arbeitsplatz bezeichnet werden (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104 S 324). Die zu benennende Tätigkeit musste auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tatsächlich in ausreichendem Umfang vorkommen (BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28), dh es mussten grundsätzlich mehr als 300 Stellen (besetzt oder offen) vorhanden sein (BSGE 78, 207, 222 f = SozR 3-2600 § 43 Nr 13 S 34 f; BSG Urteile vom 29.7.2004 - B 4 RA 5/04 R - Juris RdNr 24, 33 und vom 26.4.2007 - B 4 R 5/06 R - Juris RdNr 18).

22

b) Abweichend von diesem Grundsatz war die Benennung einer Verweisungstätigkeit entbehrlich, sofern der Versicherte - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - noch vollschichtig zu mittelschweren oder leichten Arbeiten in der Lage war und auf eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden durfte (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 mwN). Auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden durften bei der Prüfung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit grundsätzlich alle Versicherten (BSGE 19, 147, 149 f = SozR Nr 6 zu § 1247 RVO; BSG SozR 2200 § 1247 Nr 7 S 12 f; SozR 5850 § 2 Nr 12 S 25; SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 S 18), bei der Prüfung der Rente wegen Berufsunfähigkeit hingegen nur ungelernte Arbeiter bzw sog Angelernte im unteren Bereich (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 72 f mwN). In diesen Fällen war regelmäßig davon auszugehen, dass das Restleistungsvermögen dem Versicherten noch körperliche Verrichtungen erlaubte, wie sie in ungelernten Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen (wie zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw). Dem lag die Überlegung zugrunde, dass sich die nicht oder nur ganz wenig qualifizierten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts ("Hilfsarbeiten") einerseits einer knappen Benennung, die aussagekräftig Art und Anforderungen der Tätigkeiten beschreiben würde, entzogen, das Arbeitsfeld andererseits aber so heterogen war, dass mit einem Restleistungsvermögen für körperlich leichte Tätigkeiten jedenfalls noch von ausreichenden Erwerbsmöglichkeiten ausgegangen werden konnte (BSGE 80, 24, 31 ff = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 ff).

23

c) Trotz der praktischen Schwierigkeiten war - im Sinne einer Rückausnahme - die konkrete Benennung zumindest einer Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorlag: In diesen Fällen einer überdurchschnittlich starken Leistungsminderung bestanden - entgegen der oben skizzierten tatsächlichen Vermutung bzw Annahme - ernsthafte Zweifel, dass der allgemeine Arbeitsmarkt für die dem Versicherten an sich noch mögliche Vollzeittätigkeit eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen bereithielt oder dass der Versicherte mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen in einem Betrieb einsetzbar war (BSGE 80, 24, 34 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 27; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104 S 324 und Nr 136 S 434). Auch die Möglichkeit der praktischen Verschlossenheit des Arbeitsmarkts durch die sog Katalog- und Seltenheitsfälle ist in diesem Zusammenhang bedeutsam (vgl die Zusammenstellung der Katalog- und Seltenheitsfälle in BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28). Diese Maßstäbe haben auch für die seit dem 1.1.2001 geltende Rechtslage weiterhin Gültigkeit (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 5 RdNr 18 und BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R - RdNr 19).

24

5. Für den Regelfall darf damit auch für die Renten wegen Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI nF (iS einer widerlegbaren tatsächlichen Vermutung) davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der zumindest körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - wenigstens sechs Stunden täglich verrichten kann, noch in der Lage ist, "erwerbstätig zu sein", dh durch (irgend)eine Tätigkeit Erwerb(seinkommen) zu erzielen(s auch § 43 Abs 3 SGB VI nF). Es ist mehrschrittig zu prüfen (vgl dazu BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 73 und Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R - RdNr 35):

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a) Im ersten Schritt ist festzustellen, ob das Restleistungsvermögen dem Versicherten Verrichtungen oder Tätigkeiten erlaubt (wie zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw ), die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden. Es genügt die Benennung von "Arbeitsfeldern", von "Tätigkeiten der Art nach" oder von "geeigneten Tätigkeitsfeldern", die der Versicherte ausfüllen könnte (vgl BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; Senatsurteile vom 24.2.1999 - SozR 3-2600 § 44 Nr 12 S 43; vom 11.5.1999 - SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 73 f; vom 10.12.2003 - SozR 4-2600 § 44 Nr 1 RdNr 23; BSG vom 19.8.1997 - 13 RJ 29/95 - SozSich 1998, 111 - Juris RdNr 30; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 62 f; vom 9.9.1998 - B 13 RJ 35/97 R - Juris RdNr 24; vom 14.7.1999 - B 13 RJ 65/97 R - Juris RdNr 32; sog "kleines Benennungsgebot": vgl Köbl in Ruland/Försterling, Gemeinschaftskommentar zum SGB VI, § 43 RdNr 168, Stand Oktober 2006; Gürtner in Kasseler Komm, § 43 SGB VI RdNr 47, Stand April 2010; Spiolek, SGb 1999, 509, 510; kritisch Kamprad in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 43 RdNr 42, Stand März 2012; aA wohl Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 108). Damit können "ernste Zweifel" an der beschriebenen Einsatzfähigkeit des Versicherten als Folge von qualitativen Leistungseinschränkungen ausgeräumt werden.

26

b) Lassen sich solche abstrakten Handlungsfelder nicht oder nur unzureichend beschreiben und kommen deshalb "ernste Zweifel" an der tatsächlichen Einsatzfähigkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen auf, stellt sich im zweiten Schritt die Rechtsfrage, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine besondere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (vgl Senatsurteil vom 24.2.1999 - SozR 3-2600 § 44 Nr 12 S 44 sowie BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 62 f und Nr 21 S 73 f sowie Beschluss vom 9.9.1998 - B 13 RJ 35/97 - Juris RdNr 24). Hierbei handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die schwierig zu konkretisieren (BSGE 81, 15, 19 = SozR 3-2200 § 1247 Nr 23 S 69 sowie SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 f) und vernünftig zu handhaben sind (BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33 ). Da es für die Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, keinen konkreten Beurteilungsmaßstab gibt, können auch für die tatrichterliche Begründung und die dazu nötigen Tatsachenfeststellungen keine allgemeingültigen Anforderungen aufgestellt werden (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 9 RdNr 23). Auch der jeweilige Begründungsaufwand richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere hängt er von der Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen ab. Je mehr diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte Tätigkeiten zu versperren, umso eingehender und konkreter muss das Tatsachengericht seine Entscheidung zur Frage einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung begründen (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 9 RdNr 23; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61). Wie sich der Richter die jeweils erforderliche Tatsachenkenntnis verschafft, liegt in seinem Ermittlungsermessen (vgl § 103 SGG). Angesichts des unzulänglichen Gesamtüberblicks über typische Anforderungen ungelernter Verrichtungen ist ihm dabei ein weiter Freiraum für Einschätzungen zuzugestehen. Gleichwohl muss aber aus rechtsstaatlichen Gründen ein Mindestmaß an Berechenbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Entscheidung gesichert bleiben (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 ff und BSG Urteil vom 19.8.1997 - 13 RJ 25/95 - SozSich 1998, 113 - Juris RdNr 25).

27

c) Erst wenn nach diesen Maßstäben eine "schwere spezifische Leistungsbehinderung" oder "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" vorliegt, ist dem Versicherten im dritten Schritt mindestens eine konkrete Verweisungstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen (kein konkreter Arbeitsplatz) zu benennen, um seinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung auszuschließen (vgl BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33). Hierbei sind dann nicht nur das körperliche, geistige und kognitive Leistungsvermögen einerseits und das berufliche Anforderungsprofil andererseits miteinander zu vergleichen und in Deckung zu bringen, sondern es muss auch individuell geprüft werden, ob der Versicherte die notwendigen fachlichen Qualifikationen und überfachlichen Schlüsselkompetenzen besitzt oder zumindest innerhalb von drei Monaten erlernen kann. Außerdem ist dann zu beachten, dass auf Tätigkeiten nicht verwiesen werden darf, die auf dem Arbeitsmarkt nur in ganz geringer Zahl vorkommen (Katalogfall Nr 3), die an Berufsfremde nicht vergeben werden (Katalogfall Nr 4) oder für Betriebsfremde unzugänglich sind, weil es sich um reine Schonarbeitsplätze (Katalogfall Nr 5) oder Aufstiegspositionen (Katalogfall Nr 6) handelt (vgl die Zusammenstellung der Katalog- und Seltenheitsfälle in BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28). Kann der Versicherte die Verweisungstätigkeit krankheits- oder behinderungsbedingt nicht mehr ausüben, oder kann er sich die fehlenden fachlichen oder überfachlichen Kompetenzen nicht innerhalb von drei Monaten aneignen, so ist er auch dann (voll) erwerbsgemindert, wenn sein zeitliches (quantitatives) Leistungsvermögen uneingeschränkt erhalten ist.

28

6. Zu Recht hat das LSG eine schwere spezifische Leistungsbehinderung verneint. Sie liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60; Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 108; Spiolek, NZS 1997, 415, 416 f). Hierzu können - unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände (vgl BSG SozR 3- 2600 § 43 Nr 17 S 61 ; BSG SozR 3- 2600 § 43 Nr 19 S 68 ; BSGE 81, 15, 19 = SozR 3-2200 § 1247 Nr 23 S 69 ) - beispielsweise Einäugigkeit (Senatsurteile vom 12.5.1982 - 5b/5 RJ 170/80 - Juris RdNr 8 und vom 14.9.1995 - 5 RJ 50/94 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 230; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 30, 90), Einarmigkeit (Senatsurteil vom 14.9.1995 - 5 RJ 50/94 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 230; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 30) und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit (BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 S 19) sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104, 117; weitere Beispiele bei BSGE 80, 24, 33 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 26 und bei Spiolek, NZS 1997, 415, 416 f). Der "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruhende Analphabetismus" gehört nicht dazu, weil er keine "Behinderung" ist (s Gliederungspunkt 2 a) und damit auch keine "Leistungsbehinderung" sein kann.

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7. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt auch keine "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" vor, die es ausnahmsweise notwendig machen könnte, den Ausschluss eines Rechts auf Rente nicht lediglich abstrakt mit der Einsetzbarkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu begründen, sondern hierfür die konkrete Benennung einer noch in Betracht kommenden Verweisungstätigkeit zu fordern. Insofern kann vorliegend offen bleiben, ob es sich bei dem muttersprachlichen Analphabetismus der Klägerin für sich um eine ungewöhnliche Leistungseinschränkung in diesem Sinne handelt (vgl dazu Senatsurteile vom 10.12.2003 - B 5 RJ 64/02 R - SozR 4-2600 § 44 Nr 1 RdNr 17 ff und vom 20.10.2004 - B 5 RJ 48/03 R - Juris RdNr 19 sowie BSG Urteil vom 4.11.1998 - B 13 RJ 13/98 R - SozR 3-2200 § 1246 Nr 62 S 288). Nach der unverändert einschlägigen Verweisungsrechtsprechung des Großen Senats des BSG (BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8) begründet nämlich bei zeitlich uneingeschränkt leistungsfähigen Versicherten allein die "Summierung" - notwendig also eine Mehrheit von wenigstens zwei ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen als tauglichen Summanden - die Benennungspflicht, nicht aber, wie das Berufungsgericht meint, bereits das Zusammentreffen einer - potenziell - ungewöhnlichen und einer oder mehrerer "gewöhnlicher" Leistungseinschränkungen. Durch die genannte Rechtsprechung des Großen Senats und den ausdrücklichen Ausschluss einer Berücksichtigung der "jeweiligen Arbeitsmarktlage" in § 43 Abs 3 Halbs 2 SGB VI ist auch bereits entschieden, dass weitere Fälle einer Benennungspflicht nicht in Betracht kommen. Im Hinblick auf die qualitativen Einschränkungen, die bei der Klägerin zu beachten sind, hat das LSG jedoch unangefochten festgestellt, dass diese sämtlich nicht ungewöhnlich sind. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die "vernünftige Handhabung" des unbestimmten Rechtsbegriffs der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen gewährleistet nach der Rechtsprechung des Großen und des erkennenden Senats, dass abweichend vom Regelfall der abstrakten Betrachtungsweise die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit als unselbstständiger Zwischenschritt, nur aber auch immer dann erfolgen muss, wenn ernsthafte Zweifel unter anderem an der betrieblichen Einsetzbarkeit bestehen. Ob und ggf in welcher Intensität Zweifel aufkommen und ob in der Gesamtschau eine "Summierung" ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu bejahen ist, lässt sich nur anhand des konkreten Einzelfalls entscheiden, weil die denkbaren Kombinationsmöglichkeiten der qualitativen Leistungseinschränkungen unüberschaubar sind und die Summanden je nach Schweregrad, Anzahl und Wechselwirkungen unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Feste Grenzlinien lassen sich nicht festlegen, zumal auch der Begriff "leichte Arbeiten", auf den sich die genannten Merkmale als Ausnahmen beziehen, erhebliche Unschärfen enthält, die es erforderlich machen, die im Einzelfall vorliegenden Leistungseinschränkungen insgesamt in ihrer konkreten Bedeutung für die Einsetzbarkeit des Versicherten auf dem Arbeitsmarkt zu bewerten (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61). Nur so erscheint eine "vernünftige Handhabung dieser weiten Begriffe" gewährleistet, wie sie der Große Senat des BSG (BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33) vorausgesetzt hat. Im Hinblick auf diese Gegebenheiten sind die bisherigen Entscheidungen des BSG zum Vorliegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung nur als Einzelfallentscheidungen zu werten, die den Besonderheiten der jeweiligen Sachlage Rechnung zu tragen suchen. Auch wenn die Leistungseinschränkungen dort gleich oder vergleichbar formuliert sind, handelt es sich keinesfalls um identische Sachverhalte. Vielmehr liefern die jeweiligen Beurteilungen allenfalls Anhaltspunkte für weitere Entscheidungen; ihnen lassen sich jedoch keine generellen Abgrenzungskriterien entnehmen (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61). Deshalb steht dem Tatrichter bei der Würdigung des Gesamtbildes der Verhältnisse ein weiter Freiraum für Einschätzungen zu (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 f und BSG Urteil vom 19.8.1997 - 13 RJ 25/95 - SozSich 1998, 113 - Juris RdNr 25). Denn die Begriffe der "Ungewöhnlichkeit" von Leistungseinschränkungen und ihre "Summierung" lassen sich nicht mit einem abschließenden Katalog unabdingbarer Merkmale und Untermerkmale im Voraus definieren (Klassen- oder Allgemeinbegriff), sondern nur einzelfallbezogen durch eine größere und unbestimmte Zahl von (charakteristischen) Merkmalen umschreiben (offener Typus- oder Ordnungsbegriff), wobei das eine oder andere Merkmal gänzlich fehlen oder je nach Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam sein kann. Ob an der Einsetzbarkeit eines individuellen Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Zweifel bestehen und sich ggf überwinden lassen, ob Leistungseinschränkungen "ungewöhnlich" sind und wie sie sich nach Art, Umfang und Ausprägung wechselseitig beeinflussen ("summieren"), beurteilt sich anhand einer Vielzahl in Betracht kommender Kriterien nach dem Gesamtbild der Verhältnisse durch einen wertenden Ähnlichkeitsvergleich. Eine solche Würdigung des Einzelfalls nach dem Gesamtbild der Verhältnisse vollzieht sich auf tatsächlichem Gebiet und obliegt im Wesentlichen dem Tatrichter; seine Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse ist revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbar. Bei derartigen richterlichen Wertungsakten gibt es keine logisch ableitbare einzig richtige Entscheidung, sondern einen Bereich, der sich letztlich der logischen Nachprüfbarkeit entzieht. Rational argumentativ ist dieser (originäre) Wertungsakt nur eingeschränkt überprüfbar, nämlich darauf, ob er auf einer zutreffenden und rechtlich verwertbaren Tatsachengrundlage beruht, ob die richtigen Wertungsmaßstäbe erkannt und angewandt wurden und ob er sich innerhalb eines gewissen Spielraums der Angemessenheit bzw des Vertretbaren bewegt ("vernünftige Handhabung"). Bei derartigen genuinen Wertungsakten sind mehrere Entscheidungen gleichermaßen richtig, weil sich nach rein logischen Maßstäben nicht mehr entscheiden lässt, welche innerhalb eines Spielraums nach zutreffenden Maßstäben getroffene Entscheidung richtiger als die andere ist.

30

Das LSG hat vorliegend Inhalt und Grenzen des unbestimmten Rechtsbegriffs der ungewöhnlichen Leistungseinschränkung, wie sie sich hiernach ergeben, berücksichtigt und im Rahmen der ihm vorbehaltenen tatrichterlichen Bewertung die von ihm festgestellten Leistungseinschränkungen - mit Ausnahme des Analphabetismus der Klägerin - als "gewöhnlich", also keine Benennungspflicht auslösend, eingestuft. Dabei hat es sich im Wesentlichen an der vom Großen Senat rezipierten beispielhaften Auflistung derartiger Einschränkungen orientiert. Insofern bedarf es auf der Ebene der Feststellung tatsächlicher Umstände jeweils der Bewertung, ob mit einer festgestellten Leistungseinschränkung für sich und im Zusammenwirken mit gleichwertigen anderen gerade im konkreten Einzelfall die Gefahr verbunden ist, dass der Versicherte auf in Wahrheit nicht existierende Arbeitsmöglichkeiten verwiesen wird, deren Feststellung wiederum Aufgabe des Tatsachengerichts ist. Solange daher der Tatrichter - wie hier das LSG - von einem rechtlich zutreffenden Verständnis der Benennungspflicht und ihrer Voraussetzungen ausgeht, handelt es sich um die Feststellung von Individualtatsachen, an die das Revisionsgericht gemäß § 163 SGG und in dessen Grenzen gebunden ist. Vorliegend ist daher rechtlich ohne konkreten Vergleich der Leistungsfähigkeit mit dem Anforderungsprofil einer bestimmten Tätigkeit im Sinne einer tatsächlichen Vermutung davon auszugehen, dass die Klägerin ihr Restleistungsvermögen noch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwerten kann, also noch imstande ist, "erwerbstätig zu sein", dh durch (irgend)eine (unbenannte) Tätigkeit Erwerb(seinkommen) zu erzielen. Damit scheidet auch ein Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aus (§ 43 Abs 1, § 240 Abs 1 SGB VI).

31

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

(1) Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die

1.
vor dem 2. Januar 1961 geboren und
2.
berufsunfähig
sind.

(2) Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

(1) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit (§ 240), in dem Versicherte für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben müssen, verlängert sich auch um Ersatzzeiten.

(2) Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit (§ 240) sind für Versicherte nicht erforderlich, die vor dem 1. Januar 1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 1. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit (§ 240) mit

1.
Beitragszeiten,
2.
beitragsfreien Zeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb nicht beitragsfreie Zeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag, eine beitragsfreie Zeit oder eine Zeit nach Nummer 4, 5 oder 6 liegt,
4.
Berücksichtigungszeiten,
5.
Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder
6.
Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts im Beitrittsgebiet vor dem 1. Januar 1992
(Anwartschaftserhaltungszeiten) belegt ist oder wenn die Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit (§ 240) vor dem 1. Januar 1984 eingetreten ist. Für Kalendermonate, für die eine Beitragszahlung noch zulässig ist, ist eine Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten nicht erforderlich.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.