Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 08. Mai 2019 - L 19 R 376/17

bei uns veröffentlicht am08.05.2019
vorgehend
Sozialgericht Würzburg, S 8 R 866/16, 08.05.2017

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 08.05.2017 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 02.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.10.2016 abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Der 1965 geborene Kläger erlernte von August 1983 bis Februar 1986 den Beruf eines Kraftfahrzeugmechanikers. Der Kläger war nach seinen Angaben bis zum Jahr 2003 in diesem Bereich mit angelernten Tätigkeiten beschäftigt. Seither ist er arbeitslos. Zuletzt hat er nach den vorliegenden Unterlagen bis Mai 2016 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bezogen. Seither übt er eine geringfügige Beschäftigung aus - zumindest zeitweilig wohl als Parkplatzreiniger.

Zur Beurteilung der Einsatzmöglichkeiten des Klägers im Erwerbsleben ließ die Agentur für Arbeit A-Stadt am 27.07.2015 durch Dr. J. und am 04.07.2016 durch Herrn K. Gutachten nach Aktenlage erstellen. Während Dr. J. im Gefolge einer Thrombose am rechten Bein (2/2015) zu einer mehrere Monate eingeschränkten Einsatzfähigkeit des Klägers von täglich weniger als drei Stunden gekommen war, hielt ihn Herr K. - wieder - für vollschichtig einsatzfähig ohne hohe Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen, die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit und die soziale Kompetenz sowie ohne Nachtschicht, ohne unregelmäßige Arbeitszeiten, ohne häufiges Heben und Tragen, ohne hohe Verletzungsgefahr, ohne Hitzearbeit, ohne inhalative Belastungen und ohne Einwirkung von Staub, Rauch, Gasen oder Dämpfen.

Am 31.05.2016 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Er gab an, sich seit Jahresbeginn wegen Depressionen und Panikangst für erwerbsgemindert anzusehen.

Auf Veranlassung der Beklagten wurde der Kläger am 28.07.2016 internistisch durch Dr. S. und psychiatrisch durch Dr. M. untersucht. Zusammengefasst wurden dabei folgende Gesundheitsstörungen beschrieben:

1. Zustand nach Lungenembolie 2/2015 mit blutverdünnender Therapie.

2. Tiefe Beinvenenthrombose rechter Unterschenkel mit leichtem postthrombotischem Syndrom.

3. Asthmoide Bronchitis bei Pollenallergien.

4. Kontrollbedürftige Nierenfunktionsstörung mit vermehrter Eiweißausscheidung bei Pyelonephritis 1979.

5. Rezidivierende Tachykardien, teilweise Überlagerung mit Panikattacken.

6. Arterielle Hypertonie.

7. Dysthymia.

8. Kombinierte Persönlichkeitsstörung.

Der Kläger sei als Kfz-Schlosser nicht mehr einsatzfähig. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne er leichte Tätigkeiten täglich sechs Stunden und mehr verrichten. Es müsse sich um Tätigkeiten ohne häufiges Bücken, Klettern, Steigen und Überkopfarbeiten, ohne Exposition gegenüber inhalativen Reizstoffen, allergisierenden Stoffen, Nässe, Kälte oder starken Temperaturschwankungen sowie ohne erhöhte psychische Belastung handeln. Zum Tagesablauf wurde ausgeführt, dass der Kläger gegen 6.45 Uhr aufstehe, die Kinder zur Schule fahre und sie auch wieder abhole, E-Bike fahre und mit dem Hund spazieren gehe, fernsehe, am PC etwas mache und Freunde und Bekannte treffe. Er mache auch Einkaufen, Haushalt, Essensvorbereitung und fahre die Frau ins Nebengewerbe. Er leide seit seiner Kindheit durchgängig unter einer Ängstlichkeit mit Vermeidungsverhalten und habe Angst, dass seinen Kindern etwas passieren könne.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 02.08.2016 unter Bezugnahme auf die vorliegenden Gutachten eine Rentengewährung ab und verwies den Kläger auf den allgemeinen Arbeitsmarkt.

Der vom Kläger hiergegen am 26.08.2016 eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 06.10.2016 zurückgewiesen. Die vom Kläger geltend gemachten Angaben, dass er aufgrund nächtlicher Panikattacken erhebliche Schlafstörungen hätte und tagsüber völlig teilnahmslos sei, sowie dass er einer Tätigkeit von dreimal wöchentlich 45 Minuten nachginge, was die Obergrenze seiner Belastung sei, würden zu keiner Änderung führen. Der Kläger habe auch angegeben, dass er sich beim Jobcenter nicht mehr melden würde, weil er mit dem Papierkrieg und den Personen dort nicht klarkäme.

Hiergegen hat der Kläger am 03.11.2016 per Telefax Klage zum Sozialgericht Würzburg erhoben. Er hat geltend gemacht, dass er bis Ende 2015 im dreiwöchigen Rhythmus bei Dr. M. in K-Stadt behandelt worden sei und die Depression aktuell bei Dr. D. in A-Stadt behandelt werde. Eine stationäre Behandlung sei im Hinblick auf die Ängste des Klägers bisher nicht möglich gewesen.

Das Sozialgericht hat Befundberichte beim Internisten Dr. C. am 23.11.2016 und beim Nervenarzt Dr. D. ebenfalls am 23.11.2016 eingeholt. Sodann hat es den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. F. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dieser hat den Kläger am 17.01.2017 untersucht und in seinem Gutachten vom 20.01.2017 die Diagnosen folgendermaßen beschrieben:

1. Schwere depressive Episode.

2. Generalisierte Angststörung.

3. Zwangsstörung.

4. Essstörung im Rahmen primärer affektiver Erkrankung.

5. Abnorme Tagesmüdigkeit bei Verdacht auf idiopathische Hypersomnie.

6. Zustand nach tiefer Beinvenenthrombose rechter Unterschenkel mit leichtem postthrombotischen Syndrom.

7. Chronisch venöse Insuffizienz.

8. Zustand nach Lungenembolien.

9. Arterielle Hypertonie.

Der Kläger sei nunmehr täglich unter drei Stunden einsatzfähig, wobei gegenüber dem Rentengutachten vom Juli 2016 eine Verschlechterung zu beschreiben sei. Dies sei aber nicht durch den zeitlichen Verlauf, sondern durch die Erhebung wesentlich abweichender Befunde zu begründen. Der Sachverständige hat weiter dargelegt, dass seit 2003 beim Kläger eine Angsterkrankung vorliege, die sich in einer Manifestation von Angst vor der Angst ausdrücke und nur durch Kontrollmechanismen einigermaßen in Schach gehalten worden sei. Wegen dieser Kontrollmechanismen, die dem Kläger bei stationärer Behandlung nicht zur Verfügung stünden, sei eine solche ihm auch nicht möglich. Der Kläger sei in seiner Sozialkontaktfähigkeit und seiner Gruppenfähigkeit beeinträchtigt sowie in seiner Durchhaltefähigkeit hochgradig eingeschränkt. Aus den beschriebenen Krankheitszuständen würden hochgradige, auch quantitative Leistungseinschränkungen resultieren. Selbst in dem eingeschränkten zeitlichen Rahmen seien dem Kläger nur bis zu mittelschwere Tätigkeiten ohne besondere nervliche Belastung, ohne Unfallgefährdung, ohne die Bedienung von Fahrzeugen, ohne die Steuerung komplexer Maschinen, ohne Anforderungen an die gerichtete Aufmerksamkeit, ohne besondere Verantwortung für das Wohlergehen von Menschen und/oder hochwertigen Sachgütern, ohne besonders konfliktbehafteten Publikumsverkehr und nicht ausschließlich im Stehen möglich. Es handele sich um eine vorübergehend geminderte Erwerbsfähigkeit für einen Zeitraum von geschätzt zwei Jahren, da die beschriebenen Gesundheitsstörungen ihrer Natur nach durch Behandlung überwindbar bzw. wesentlich besserbar erschienen. Es sei vor allem zunächst eine schlafmedizinische Abklärung der abnormen Tagesmüdigkeit zu empfehlen.

Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass die Darstellung im Gutachten sich deutlich von den Feststellungen der befragten behandelnden Nervenärzte, Psychotherapeuten und Hausärzte unterscheiden würde, wobei zudem eine unzureichende ambulante Behandlung bestehe. Gleichwohl sei die Beklagte bereit, eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme anzubieten.

In der mündlichen Verhandlung vom 08.05.2017 hat der Kläger angegeben, dass er sich seit Mitte 2016 nicht mehr beim Jobcenter gemeldet habe, weil er das aus psychischen Gründen nicht fertiggebracht habe. Er könne auch an keiner stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme teilnehmen, da dies seine Trennungsängste nicht zulassen würden. Die in der Stellungnahme der Beklagten angeführten Aktivitäten, wie Treffen mit Freunden und Bekannten usw., könne er schon lange nicht mehr durchführen.

Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 08.05.2017 dazu verurteilt, beim Kläger den Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung mit dem 17.01.2017 anzuerkennen und die entsprechenden gesetzlichen Leistungen bis einschließlich Dezember 2018 zu gewähren. Die Kammer sei insbesondere durch die Ausführungen des ärztlichen Sachverständigen Dr. F. überzeugt, dass der Kläger in jeder vermittelten Anstellung scheitern würde, da er sich weiterhin primär um das Aufrechterhalten seiner Kontrollmechanismen kümmern würde. Es sei dem Kläger nicht möglich, mit zumutbarer Willensanspannung einfach davon zu lassen. Zumindest seit dem Zeitpunkt der Untersuchung bei Dr. F. sei der Kläger nicht mehr in der Lage, mindestens drei Stunden täglich am Erwerbsleben teilzunehmen. Entsprechend den Ausführungen im Gutachten sei von einer zunächst bis Dezember 2018 anhaltenden Erwerbsminderung auszugehen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte am 14.06.2017 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Auf Antrag der Beklagten ist mit Beschluss vom 28.08.2017 die Vollstreckung aus dem Urteil des Sozialgerichts vorläufig ausgesetzt worden (Az.: L 19 R 476/17 ER). Zur Begründung hat die Beklagte ausgeführt, der Kläger selbst beschreibe ein regelrechtes psychosoziales Funktionsniveau mit multiplen Interessen und Aktivitäten, wie Treffen mit Freunden und Bekannten, Tätigkeiten am PC, Spazierengehen mit dem Hund, E-Bike-Fahren. Zudem fahre der Kläger Pkw, was auf eine ausreichende psychische und kognitive Leistungsfähigkeit hinweise. Dies widerspreche der Darstellung des Sachverständigen Dr. F., wonach der Kläger außer für den Transport seiner Töchter zur Schule sonst für andere Aktivitäten, Bestrebungen und Planungen keinen Raum habe. Durch das Sozialgericht sei auch der Grundsatz Rehabilitation vor Rente gänzlich übergangen worden. Es stehe auch fest, dass der Kläger noch nicht alle Therapieoptionen ausgeschöpft habe.

Die Klägerseite hat entgegnet, dass der Grundsatz Reha vor Rente vorliegend nicht zum Tragen komme, weil der Kläger mögliche Therapieoptionen gar nicht wahrnehmen könne, da dies seine Erkrankung nicht zulasse.

Der Senat hat einen Befundbericht vom Internisten Dr. C. am 05.03.2018 beigezogen; danach seien neu ein Verdacht auf Protein S-Mangel und eine Tachyarrhythmia absoluta sowie die Feststellung einer Faktor V-Genmutation. Am 13.03.2018 ist ein weiterer Befundbericht durch den Nervenarzt Dr. D. erstellt worden. Danach haben im Zeitraum ab Dezember 2016 Behandlungstermine im Februar und Mai 2017 stattgefunden. Die Beschwerden seien im Wesentlichen gleichgeblieben. Der Kläger habe das verordnete Neuroleptikum Quetiapin retard abgesetzt, da es ihn zu sehr gedämpft habe. Mit der erhöhten Citalopram-Dosis seien die Ängste etwas stärker gelindert.

Die Prüfärztin Dr. R. vom Ärztlichen Prüfdienst der Beklagten hat am 29.03.2018 durch die eingeholten Befundunterlagen die Leistungsbeurteilung des Dr. M. als bestätigt angesehen.

Der Senat hat ein Gutachten beim Neurologen und Psychiater Dr. E. in Auftrag gegeben. Dieser hat den Kläger am 25.05.2018 unter Mitwirkung des Dipl.-Psych. Dr. D. untersucht. In seinem Gutachten vom 21.06.2018 hat der ärztliche Sachverständige in der Anamnese - auch als Fremdanamnese - einen starken Kontrollzwang ermittelt, insbesondere in Bezug auf familiäre Angelegenheiten. Die Schilderung des Tagesablaufes hat wenig Aktivitäten ergeben; allerdings ist angegeben worden, dass der Kläger zweimal am Tag für ca. ein bis zwei Stunden einen Hund im Wald spazieren führe. In der Untersuchungssituation habe der Kläger anfänglich zurückgezogen und in sich gekehrt gewirkt und habe sich nur zögerlich situationsadäquat etwas auflockern lassen.

Der ärztliche Sachverständige hat folgende Diagnosen gestellt:

1. Angst und Depression gemischt.

2. Tagesmüdigkeit, Verdacht auf Schlaf-Apnoe-Syndrom.

3. Heterozygote Faktor V-Leiden-Mutation.

4. Verdacht auf Protein S-Mangel.

5. Zustand nach tiefer Beinvenenthrombose der Vena poplitea rechts mit konsekutiver Lungenembolie.

6. Essentielle Hypertonie.

7. Tachyarrhythmia absoluta bei Vorhofflimmern.

8. Leichtes Carpaltunnelsyndrom.

Der ärztliche Sachverständige hat eine bereits seit Kindheit vorliegende starke Angstbesetzung gesehen, mit der der Kläger jedoch so lange habe umgehen können, bis im Jahr 2003 durch Umstrukturierungsmaßnahmen ein Arbeitsplatzverlust eingetreten sei. Eine erste Panikattacke sei im Jahr 2010 aufgetreten. Trotz hohem Leidensdruck sei es bisher nicht zu regelmäßiger Psychotherapie im Sinne einer Verhaltenstherapie gekommen. Der Kläger stelle sich nur in Intervallen bei Nervenärzten vor, wobei er medikamentös behandelt werde. Der ärztliche Sachverständige Dr. E. hat den Kläger als in der Lage angesehen, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einer Tätigkeit im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich nachzugehen. Die Einschätzung des Vorgutachters teile er nicht, da dieser nicht plausibel begründe, weshalb der Kläger nicht eine psychosomatische Behandlung beginnen könne. Nach jetziger Einschätzung sei der Kläger nicht ausreichend behandelt. Der Kläger nehme die ambulanten psychiatrischen Termine nur sehr unregelmäßig wahr und habe bisher auch keine ambulante Verhaltenstherapie gehabt. Bei ihm sei von einem sekundären Krankheitsgewinn auszugehen, der seine psychische Fehlhaltung weiter verstärke. Der Kläger könne mittelschwere körperliche Arbeiten im Sitzen und Stehen und im Gehen in geschlossenen Räumen oder im Freien bewältigen. Nicht möglich seien besondere nervliche Belastungen, besondere Belastungen des Bewegungs- und Stützsystems, unfallgefährdete Arbeitsplätze sowie klimatisch ungünstige Bedingungen. Die Wegefähigkeit des Klägers sei zu bejahen. Ein privater Pkw könne nur bei Kurzstrecken genutzt werden, öffentliche Verkehrsmittel seien benutzbar.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist der Kläger am 20.11.2018 erneut durch Dr. F. untersucht worden. Dieser ist in seinem Gutachten vom 23.11.2018 zum Ergebnis gekommen, dass beim Kläger weiterhin die in seinem früheren Gutachten geschilderten Gesundheitsstörungen vorliegen würden, wobei er jedoch die depressive Episode nunmehr in eine bipolare affektive Störung eingebettet gesehen hat und die Zwangs- und Essstörung als leichtere Ausprägung beschrieben hat. Unter Berücksichtigung der vorliegenden Gesundheitsstörungen sei dem Kläger nur noch eine weniger als dreistündige Tätigkeit zumutbar. Dies sei auch objektiv belegbar durch die aktuelle Arbeitssituation des Klägers, nachdem dieser gezwungen gewesen sei, seine Aushilfstätigkeit von 34 Stunden pro Monat auf 24 Stunden monatlich zu reduzieren. Die Aussagekraft der eigenen Angaben des Klägers sei nicht anzuzweifeln. Der ärztliche Sachverständige hat die zusätzlichen Einschränkungen der Arbeitsbedingungen als nach wie vor in dem von ihm schon früher beschriebenen Umfang als gegeben angesehen. Aktuell kämen weder eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme noch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Betracht. Vorrangig seien diagnostische Maßnahmen laut dem Vorgutachten vom Februar 2017 und danach gegebenenfalls stationäre oder teilstationäre psychiatrische Behandlungsschritte. Eine Besserung der psychischen Haupterkrankung unter leitliniengerechter Behandlung könne in einem Dreijahreszeitraum erhofft werden.

Zu diesem Gutachten hat Dr. M. vom Ärztlichen Dienst der Beklagten dahingehend Stellung genommen, dass die nunmehr diagnostizierte bipolare affektive Störung, die im Gutachten von Januar 2017 (noch) nicht festgestellt worden sei, nicht nachzuvollziehen sei. Die bipolare Störung werde jetzt mit den subjektiven Angaben des Klägers zu einer zeitweise gehobenen Stimmung begründet. Eine Krankheitswertigkeit lasse sich aus einer bisweilen gehobenen Stimmung aber nicht ableiten; dies entspreche vielmehr einem Normalbefund, wie er bei jedem gesunden Menschen auftrete. Außerdem stehe die angegebene aktuell schwere depressive Episode im Widerspruch zu dem von Dr. F. selbst erhobenen Untersuchungsbefund, in dem er nur eine dysthym-depressive Stimmung festgestellt habe. Auch der ambulant behandelnde Nervenarzt Dr. D. habe im März 2018 nur eine gleichbleibende leichte bis mittelgradige depressive Symptomatik festgestellt, was sozialmedizinisch durchaus ein vollschichtiges Leistungsvermögen erlaube. Hinzu komme, dass vom Kläger weder die ambulante Behandlung in ausreichendem Umfang noch stationäre oder teilstationäre Therapieoptionen wahrgenommen worden seien. Sowohl die aufscheinende Aggravationstendenz als auch die ungenutzten möglichen Therapieoptionen seien von Dr. F. nicht adäquat berücksichtigt worden.

Der Kläger hat ergänzend noch eine nervenärztliche Bescheinigung des Dr. D. vom 19.02.2019 vorgelegt. Dieser hat dort angegeben, dass der Kläger durchgängig während der ambulanten Behandlung (so seien im Jahr 2018 am 21.06. und 09.10. und im Jahr 2019 am 18.01. Behandlungstermine gewesen) adynam, lustlos, massiv antriebsgemindert und gedrückt in der Stimmung gewirkt habe. Es sei auch eine gestörte Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeitsminderung erkennbar gewesen. Es hätten sich zudem deutliche Auswirkungen der Panikstörung gezeigt, wenn der Kläger den Aufenthalt im Wartezimmer nicht habe aushalten können und sich separat gesetzt habe. Die fehlende Behandlung des Klägers entspreche nicht fehlendem Leidensdruck, sondern seiner ausgeprägten Antriebshemmung. Einen sekundären Krankheitsgewinn könne er nicht sehen. Der Wunsch bei einer eingeführten Substanz zu verbleiben, sei für einen Angstpatienten nicht ungewöhnlich, da ein solcher große Angst vor neuerlichen Nebenwirkungen äußere. Diagnostisch sei von einer rezidivierenden depressiven Störung mit mittelgradiger Symptomatik auszugehen; aufgrund der bislang in der Behandlung getroffenen diagnostischen Einschätzung halte er den Kläger weiterhin für vollständig erwerbsgemindert.

In einem aktuellen Versicherungsverlauf sind Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld II bis Oktober 2015 sowie im Dezember 2015 und im Januar und Mai 2016 verzeichnet; seit Mai 2016 übt der Kläger eine geringfügige Beschäftigung nicht versicherungspflichtig aus.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 08.05.2017 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 02.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.10.2016 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 08.05.2017 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und der Gerichtsakte L 19 R 476/17 ER sowie der beigezogenen Akten der Beklagten und des Jobcenters A-Stadt Bezug genommen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig und auch begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben und dem Kläger eine Zeitrente wegen voller Erwerbsminderung zuerkannt.

Gemäß § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

  • 1.voll erwerbsgemindert sind,

  • 2.in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung haben und

  • 3.vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gelten in gleicher Weise für die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 SGB VI) und einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI iVm § 43 Abs. 1 SGB VI).

Der Kläger hat die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen jedenfalls zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung und auch zu dem vom Sozialgericht angenommenen medizinischen Leistungsfall erfüllt gehabt:

Die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren mit Pflichtbeiträgen hat er schon seit Langem unproblematisch zurückgelegt gehabt. Allerdings war dies nicht schon vor 1984 der Fall gewesen, nachdem der Kläger aufgrund seines Geburtsjahrgangs erst im September 1982 als damals 16-jähriger eine Ausbildung aufgenommen hatte. Der Kläger kann daher die Ausnahmevorschrift des § 241 Abs. 2 SGB VI nicht für sich in Anspruch nehmen. Somit ist es erforderlich, dass der Kläger in den letzten 5 Jahren vor einem eventuellen medizinischen Leistungsfall in ausreichendem Umfang Pflichtbeiträge aufzuweisen hatte.

Zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung waren im maßgeblichen Zeitraum vom 31.05.2011 bis 31.05.2016 zwar keine Pflichtbeiträge vorhanden gewesen. Der Zeitraum war jedoch nach § 43 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI zu verlängern, wobei der Kläger in diesem Zeitraum in 57 Kalendermonaten Leistungen nach dem SGB II bezogen hatte, die über § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 SGB VI Anrechnungszeiten sind. Da auch in den Zeiträumen davor Anrechnungszeiten vorliegen, verlängert sich der maßgebliche Zeitraum schließlich auf die Monate Februar 2000 bis Mai 2016; in diesem Zeitraum sind mit 57 Monaten Pflichtbeiträgen deutlich mehr als die erforderlichen drei Jahre (= 36 Kalendermonate) vorhanden gewesen. Die erforderliche Mindestzahl von Pflichtbeiträgen wäre letztmals bei einem im Februar 2018 eingetretenen Leistungsfall erfüllt, weil dann im verlängerten Zeitraum von November 2001 bis Februar 2018 gerade noch 36 Monate mit Pflichtbeiträgen vorhanden gewesen wären. Bei fiktiven medizinischen Leistungsfällen, die erst im März 2018 oder später eingetreten wären, wäre dagegen die erforderliche Mindestzahl von 36 Monaten mit Pflichtbeiträgen im - teilweise verlängerten - 5-Jahreszeitraum nicht mehr vorhanden. Auf etwaige aktuell neu feststellbare Gesundheitsstörungen oder Verschlechterungen - z. im Zusammenhang mit dem Attest von Dr. D. vom Februar 2019 - kommt es bei dieser Ausgangslage somit nicht mehr an.

Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die medizinischen Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 SGB VI erfordern, dass ein Versicherter nicht mindestens 6 Stunden täglich einsatzfähig ist. Ergänzend führt § 43 Abs. 3 SGB VI aus, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Eine volle Erwerbsminderung im Sinne von § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI liegt und lag bei dem Kläger entgegen der Entscheidung des Sozialgerichts nach dem Ergebnis der umfangreich fortgeführten Ermittlungen nicht vor.

Der Schwerpunkt der Erkrankungen des Klägers betrifft nach der Gutachtenslage das psychische Fachgebiet. Die im Jahr 2015 - also noch vor der Rentenantragstellung - aufgetretene tiefe Beinvenenthrombose stellte eine behandelte Akuterkrankung dar, deren Besserung schon aus den vor dem Rentenverfahren erstellten Gutachten des Dr. J. und des Herrn K. zu ersehen ist. Auch die übrigen internistischen Erkrankungen wie die Nierenfunktionsstörung und die Erkrankung des Herz-Kreislaufsystems sowie auch das leichte Karpaltunnelsyndrom bedingen nach den ärztlichen Darlegungen ganz eindeutig nur Einschränkungen bezüglich bestimmter Belastbarkeiten im Erwerbsleben, schränken aber den zeitlichen Umfang des Einsatzes des Klägers an geeigneten Arbeitsstellen in keiner Weise ein.

Der Senat sieht insbesondere mit dem überzeugenden Gutachten des Dr. E. es als gerechtfertigt an, beim Kläger noch ein ausreichendes Restleistungsvermögen für den allgemeinen Arbeitsmarkt anzunehmen. Danach sind dem Kläger bis zu mittelschwere körperliche Arbeiten im Sitzen und Stehen und im Gehen in geschlossenen Räumen oder im Freien zumutbar, wobei jedoch besondere nervliche Belastungen, besondere Belastungen des Bewegungs- und Stützsystems, unfallgefährdete Arbeitsplätze sowie klimatisch ungünstige Bedingungen auszuschließen sind. Im Vordergrund der Auswirkungen der beim Kläger unzweifelhaft vorhandenen psychischen Störungen stehen die von den verschiedenen Sachverständigen ähnlich beschriebene Antriebslosigkeit - überlagert durch Tagesmüdigkeit - und die Einschränkungen durch Kontrollzwänge. Der Senat sieht es als nicht hinreichend belegt an, dass die Tagesmüdigkeit Aktivitäten des Klägers und berufliches Tätigwerden ausschließen würde. Es ist zwar nachvollziehbar, dass dies und die Kontrollzwänge als zusätzliche Belastung zu den beruflichen Anforderungen hinzutreten. Deswegen sind dem Kläger auch Arbeitsplätze mit besonderen nervlichen Anforderungen oder mit Unfallgefährdung nicht zumutbar. Andererseits bestand die Persönlichkeitsstörung des Klägers schon über das bisherige Erwerbsleben hinweg und es wird nicht explizit ausgeschlossen, dass sie bei einer Struktur durch eine adäquate Beschäftigung auch zukünftig - wie eben in der Vergangenheit - kompensierbar wäre.

Der Senat sieht durch die Gutachten des Dr. F. eine zeitliche Einschränkung des Einsatzvermögens des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht als nachgewiesen an - weder durch das erstinstanzlich eingeholte, noch durch das im Berufungsverfahren auf Antrag des Klägers veranlasste. Zur Überzeugung des Senats wird gegen die Gutachten des Dr. F. zu Recht eingewandt, dass die vom Gutachter in den Vordergrund gerückte depressive Störung - und erst recht die später angenommene bipolare Störung - sich nicht habe hinreichend nachweisen lassen; die anamnestischen Angaben und die gutachterliche Diagnostik - die divergiert haben - haben nicht ausgereicht, die Zweifel des Senats zu beseitigen. Dafür dass die vom Kläger wiederholt gemachten Angaben zu seinen Aktivitäten - etwa im Sinne einer Dissimulation - unzutreffend sein sollten, lassen sich keine Anhaltspunkte erkennen. Eine gewisse Rückläufigkeit des Aktivitätsumfangs mag zwar zu konstatieren sein, doch gibt es keine ausreichenden Belege dafür, dass dies unumkehrbar wäre. Besonders problematisch erscheint dem Senat die Annahme des Dr. F., dass die psychischen Störungen des Klägers auf Grund der persönlichen Verhältnisse nicht weiter bzw. verstärkter behandelbar seien. Konsequenterweise hätte Dr. F. bei einer solchen Konstellation von einer Dauerhaftigkeit dieser Einschränkungen ausgehen müssen, was er aber gerade nicht getan hat. In beiden Gutachten beschreibt er eine zeitliche Befristung der Einschränkungen im Hinblick auf Behandlungsoptionen. Hinzu kommt, dass die Angaben des Dr. F. zu den Zeiträumen einer möglichen Besserung ebenfalls nicht stimmig sind. Während zunächst ein Zeitraum von zwei Jahren angenommen wird, der Ende 2018 vorüber gewesen wäre, wird später ein Zeitraum von drei Jahren benannt, der bis April 2021 dauern würde, ohne dass eine hinreichende Begründung für die unterschiedliche Einschätzung gegeben würde. Aus den diesbezüglichen Ausführungen lässt sich aus Sicht des Senats am ehesten ableiten, dass bisher beim Kläger keine ausreichende leitliniengerechte psychiatrische und therapeutische Behandlung erfolgt ist. Eine solche fordert aber gerade der Sachverständige Dr. E. und mahnt deren Fehlen an, während Dr. F. und der behandelnde Psychiater Dr. D. die unzureichende Behandlungsfrequenz, die Einschränkungen der medikamentösen Behandlung und den Ausschluss stationärer Behandlungsformen zu rechtfertigen versuchen. Damit ergibt sich für den Senat, dass letztlich auch Dr. F. die Durchführung einer leitliniengerechten Behandlung beim Kläger nicht als ausgeschlossen ansieht. Dies ist weiter insofern auch bedeutsam, als nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts psychische Erkrankungen regelmäßig erst dann rentenrechtlich relevant werden, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant und stationär) davon auszugehen ist, dass ein Versicherter die psychischen Einschränkungen dauerhaft nicht überwinden kann - weder aus eigener Kraft, noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe (BSG Urteile vom 12.09.1990 - 5 RJ 88/89, 29.02.2006 - B 13 RJ 31/05 R; BayLSG Urteile vom 21.03.2018 - L 13 R 211/16, 15.11.2017 - L 19 R 66/15, 21.03.2012 - L 19 R 35/08; LSG Baden-Württemberg Urteile vom 22.09.2016 - L 7 R 2329/15, 25.05.2016 - L 5 R 4194/13, 27.04.2016 - L 5 R 459/15 jeweils zitiert nach juris). Ein solcher Fall der dauerhaften oder zumindest längerfristigen Unüberwindbarkeit der psychischen Störungen ist beim Kläger bisher nicht belegt.

Abgesehen davon, dass beim Kläger für den Eintritt eines nachgewiesenen medizinischen Leistungsfalls ab Februar 2019 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt wären, lässt sich zur Überzeugung des Senats auch aus dem Attest des Dr. D. vom Februar 2019 dieser Nachweis nicht herleiten. Zu berücksichtigen ist dabei auch die äußerst geringe fachärztliche Behandlungsfrequenz, wonach der Kläger laut Attest etwa zwei Mal pro Jahr behandelt worden ist.

Die beantragte Rente wegen voller Erwerbsminderung käme nach der Rechtsprechung des BSG (Beschluss vom 11.12.1969 - Az. GS 4/69; Beschluss vom 10.12.1976 - Az. GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75, GS 3/76 - jeweils zitiert nach juris) zwar schon dann in Betracht, wenn nur eine teilweise Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI) vorliegen würde, gleichzeitig aber eine Teilzeitbeschäftigung nicht ausgeübt würde und der Teilzeitarbeitsmarkt für den Kläger als verschlossen anzusehen wäre (s.a. Gürtner in: Kasseler Kommentar, Stand August 2012, § 43 SGB VI Rn 30 mwN). Unabhängig von der Diskussion darüber, ob diese Rechtsprechung auch aktuell noch zur Anwendung zu bringen ist, scheitert ein derartiger Rentenanspruch daran, dass beim Kläger zur Überzeugung des Senats keine teilweise Erwerbsminderung im Rechtssinne vorliegt. Eine zeitliche Einschränkung in geringem Umfang entsprechend § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI, wie sie etwa häufiger im Zusammenhang mit körperlichen Belastungsgrenzen zu beobachten ist, wird von keinem der Ärzte angenommen, so dass es eindeutig an der Grundlage für einen derartigen Anspruch fehlt.

Zwar kann die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung im Ausnahmefall selbst dann in Betracht kommen, wenn - wie im Fall des Klägers - eine relevante quantitative Einschränkung seines Leistungsvermögens an geeigneten Arbeitsplätzen nicht nachgewiesen ist. Dazu müssten allerdings die Voraussetzungen für einen von der Rechtsprechung des BSG entwickelten sog. Katalogfall erfüllt sein, was beim Kläger nicht der Fall ist. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urt. v. 09.05.2012, B 5 R 68/11 R - zitiert nach juris) ist bei der Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, mehrschrittig vorzugehen. Zunächst ist festzustellen, ob mit dem Restleistungsvermögen Verrichtungen erfolgen können, die bei ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden, wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Maschinenbedienung, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen. Wenn sich solche abstrakten Handlungsfelder nicht oder nur unzureichend beschreiben lassen und ernste Zweifel an der tatsächlichen Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen aufkommen, stellt sich im zweiten Schritt die Frage nach der besonderen spezifischen Leistungsbehinderung oder der Summierung ungewöhnlicher Einschränkungen und, falls eine solche Kategorie als vorliegend angesehen wird, wäre im dritten Schritt von der Beklagten eine Verweisungstätigkeit konkret zu benennen und die Einsatzfähigkeit dann hinsichtlich dieser Tätigkeit abzuklären (vgl. Gürtner a.a.O. Rn 37 mwN).

Für den Senat ergeben sich bereits keine ernsthaften Zweifel an der Einsatzfähigkeit des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, da sämtliche genannte Arbeitsfelder als grundsätzlich geeignet anzuführen wären, und die Einschränkungen der Arbeitsbedingungen zu keinen umfassenderen Ausschlüssen führen. Eine schwere spezifische Behinderung wie etwa eine - ggf. funktionale - Einarmigkeit oder eine Summierung von ungewöhnlichen Einschränkungen würden ohnehin nicht bestehen.

Der Kläger ist auch nicht gehindert, einen eventuellen Arbeitsplatz zu erreichen. Die Gehfähigkeit des Klägers ist grundsätzlich in dem geforderten Umfang (4 mal täglich mehr als 500 Meter in jeweils weniger als 20 Minuten) zu bestätigen und auch die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel erscheint zumutbar, worin sich die ärztlichen Sachverständigen einig sind.

Das oben dargestellte Nichtvorliegen von teilweiser Erwerbsminderung führt auch dazu, dass ein Anspruch auf die erstinstanzlich hilfsweise beantragte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 SGB VI) nicht besteht.

Ein Hilfsantrag auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) war erstinstanzlich nicht gestellt worden; er hätte auch keinen Erfolg gehabt, weil der Kläger aufgrund seines Geburtsdatums nicht zu dem von dieser Vorschrift erfassten Personenkreis gehört.

Dementsprechend sind die Entscheidungen der Beklagten, die einen Rentenanspruch des Klägers nicht als belegt ansehen, nicht zu beanstanden.

Nach alledem war der Berufung der Beklagten zu entsprechen und antragsgemäß das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 08.05.2017 aufzuheben sowie die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 02.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.10.2016 abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

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Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 08. Mai 2019 - L 19 R 376/17 zitiert 12 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 144


(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hier

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 151


(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. (2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerh

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 43 Rente wegen Erwerbsminderung


(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise erwerbsgemindert sind,2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 143


Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 240 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit


(1) Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die 1. vor dem 2. Januar 1961 geboren und2. berufsunfähigsind. (2) Berufsunfähig

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 58 Anrechnungszeiten


(1) Anrechnungszeiten sind Zeiten, in denen Versicherte1.wegen Krankheit arbeitsunfähig gewesen sind oder Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten haben,1a.nach dem vollendeten 17. und vor dem vollendeten

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 241 Rente wegen Erwerbsminderung


(1) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit (§ 240), in dem Versicherte für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit hab

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Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 08. Mai 2019 - L 19 R 376/17 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

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Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 21. März 2018 - L 13 R 211/16

bei uns veröffentlicht am 21.03.2018

Tenor I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 19. Februar 2016 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 22. Sept. 2016 - L 7 R 2329/15

bei uns veröffentlicht am 22.09.2016

Tenor Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 29. April 2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Tatbestand   1 Zwischen den

Bundessozialgericht Urteil, 09. Mai 2012 - B 5 R 68/11 R

bei uns veröffentlicht am 09.05.2012

Tenor Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 2011 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detm

Referenzen

Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

(1) Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die

1.
vor dem 2. Januar 1961 geboren und
2.
berufsunfähig
sind.

(2) Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

(1) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit (§ 240), in dem Versicherte für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben müssen, verlängert sich auch um Ersatzzeiten.

(2) Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit (§ 240) sind für Versicherte nicht erforderlich, die vor dem 1. Januar 1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 1. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit (§ 240) mit

1.
Beitragszeiten,
2.
beitragsfreien Zeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb nicht beitragsfreie Zeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag, eine beitragsfreie Zeit oder eine Zeit nach Nummer 4, 5 oder 6 liegt,
4.
Berücksichtigungszeiten,
5.
Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder
6.
Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts im Beitrittsgebiet vor dem 1. Januar 1992
(Anwartschaftserhaltungszeiten) belegt ist oder wenn die Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit (§ 240) vor dem 1. Januar 1984 eingetreten ist. Für Kalendermonate, für die eine Beitragszahlung noch zulässig ist, ist eine Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten nicht erforderlich.

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

(1) Anrechnungszeiten sind Zeiten, in denen Versicherte

1.
wegen Krankheit arbeitsunfähig gewesen sind oder Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten haben,
1a.
nach dem vollendeten 17. und vor dem vollendeten 25. Lebensjahr mindestens einen Kalendermonat krank gewesen sind, soweit die Zeiten nicht mit anderen rentenrechtlichen Zeiten belegt sind,
2.
wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft während der Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht ausgeübt haben,
3.
wegen Arbeitslosigkeit bei einer deutschen Agentur für Arbeit oder einem zugelassenen kommunalen Träger nach § 6a des Zweiten Buches als Arbeitsuchende gemeldet waren und eine öffentlich-rechtliche Leistung bezogen oder nur wegen des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens nicht bezogen haben,
3a.
nach dem vollendeten 17. Lebensjahr mindestens einen Kalendermonat bei einer deutschen Agentur für Arbeit oder einem zugelassenen kommunalen Träger nach § 6a des Zweiten Buches als Ausbildungsuchende gemeldet waren, soweit die Zeiten nicht mit anderen rentenrechtlichen Zeiten belegt sind,
4.
nach dem vollendeten 17. Lebensjahr eine Schule, Fachschule oder Hochschule besucht oder an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme im Sinne des Rechts der Arbeitsförderung teilgenommen haben (Zeiten einer schulischen Ausbildung), insgesamt jedoch höchstens bis zu acht Jahren, oder
5.
eine Rente bezogen haben, soweit diese Zeiten auch als Zurechnungszeit in der Rente berücksichtigt waren, und die vor dem Beginn dieser Rente liegende Zurechnungszeit,
6.
Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 des Zweiten Buches bezogen haben; dies gilt nicht für Empfänger der Leistung,
a)
die Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 des Zweiten Buches nur darlehensweise oder
b)
nur Leistungen nach § 24 Absatz 3 Satz 1 des Zweiten Buches bezogen haben.
Zeiten, in denen Versicherte nach Vollendung des 25. Lebensjahres wegen des Bezugs von Sozialleistungen versicherungspflichtig waren, sind nicht Anrechnungszeiten nach Satz 1 Nummer 1 und 3. Nach Vollendung des 25. Lebensjahres schließen Anrechnungszeiten wegen des Bezugs von Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 des Zweiten Buches Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit aus.

(2) Anrechnungszeiten nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 bis 3a liegen nur vor, wenn dadurch eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit oder ein versicherter Wehrdienst oder Zivildienst oder ein versichertes Wehrdienstverhältnis besonderer Art nach § 6 des Einsatz-Weiterverwendungsgesetzes unterbrochen ist; dies gilt nicht für Zeiten nach Vollendung des 17. und vor Vollendung des 25. Lebensjahres. Eine selbständige Tätigkeit ist nur dann unterbrochen, wenn sie ohne die Mitarbeit des Versicherten nicht weiter ausgeübt werden kann.

(3) Anrechnungszeiten wegen Arbeitsunfähigkeit oder der Ausführung der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben liegen bei Versicherten, die nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 versicherungspflichtig werden konnten, erst nach Ablauf der auf Antrag begründeten Versicherungspflicht vor.

(4) Anrechnungszeiten liegen bei Beziehern von Arbeitslosengeld oder Übergangsgeld nicht vor, wenn die Bundesagentur für Arbeit für sie Beiträge an eine Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung, an ein Versicherungsunternehmen oder an sie selbst gezahlt haben.

(4a) Zeiten der schulischen Ausbildung neben einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit sind nur Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung, wenn der Zeitaufwand für die schulische Ausbildung unter Berücksichtigung des Zeitaufwands für die Beschäftigung oder Tätigkeit überwiegt.

(5) Anrechnungszeiten sind nicht für die Zeit der Leistung einer Rente wegen Alters zu berücksichtigen.

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 19. Februar 2016 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1966 geborene Klägerin hat den Beruf der Erzieherin erlernt und zuletzt seit Dezember 2012 als Teamassistentin in Teilzeit gearbeitet. Seit dem 29.04.2013 war sie in dieser Tätigkeit arbeitsunfähig erkrankt und ihr ist noch in der Probezeit gekündigt worden. Vom 01.03.2016 bis 14.06.2016 war sie erneut versicherungspflichtig beschäftigt und anschließend bis 28.08.2016 arbeitslos gemeldet ohne Leistungsbezug.

Am 24.06.2013 stellte die Klägerin Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung. Sie gab an, an Fibromyalgie, Depressionen, Angstzuständen und einer Wirbelsäulenversteifung zu leiden und legte u.a. Berichte der Dr. S. Klinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie vom 11.01.2010 sowie des Klinikums M-Stadt vom 24.05.2013 vor. Im Auftrag der Beklagten wurde sie am 19.08.2013 durch den Neurologen und Psychiater Dr. Sch. untersucht, der u.a. eine depressive Störung und eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren diagnostizierte und die medizinischen Voraussetzungen einer Rehabilitationshandlung, nicht aber die einer quantitativen Leistungsminderung feststellte. Am 09.10.2013 erfolgte eine Untersuchung durch den Chirurgen Dr. S., der ebenfalls zur Feststellung eines noch 6-stündigen Leistungsvermögens gelangte. Mit Bescheid vom 28.10.2013 lehnte die Beklagte den Antrag ab.

Mit ihrem Widerspruch legte die Klägerin Stellungnahmen ihrer behandelnden Ärzte G. und J. vor. Darin wird ausgeführt, dass sich seit 2009 bei hoher Leistungsbereitschaft der Klägerin eine abnehmende Belastbarkeit und zunehmend eine therapieresistente depressive Entwicklung gezeigt habe. Trotz zwischenzeitlich erreichter Stabilisierung bestehe eine große Anfälligkeit zu Dekompensation. Vom 13.02.2014 bis 10.03.2014 befand sich die Klägerin zur stationären psychosomatischen Reha im A. Klinikum I. (S-Stadt). Im Entlassungsbericht vom 28.03.2014 wurde das Leistungsvermögen sowohl bezüglich der letzten Tätigkeit als auch bezüglich des allgemeinen Arbeitsmarktes mit mindestens 6 Stunden täglich angegeben. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.08.2014 wurde daraufhin der Widerspruch zurückgewiesen.

Am 12.09.2014 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München erhoben. Sie hat u.a. Atteste des behandelnden Psychotherapeuten Dr. N., der Nervenfachärztin C., das nach Aktenlage erstellte Gutachten der Agentur für Arbeit vom 15.07.2014 sowie die Beurteilung ihres letzten Arbeitgebers zu den zur Kündigung führenden Gründen vom 23.05.2014 vorgelegt und erklärt, dass neben dem Fibromyalgie-Syndrom mit dauerhaften erheblichen Schmerzen auch die Migränesymptomatik sowie die degenerative Wirbelsäulenveränderung außer Acht gelassen worden seien.

Das Sozialgericht hat Befundberichte der behandelnden Hausärztin H., des Neurologen Dr. A. und des Orthopäden B. angefordert. Es hat anschließend den Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Dr. P. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt worden. Dr. P. hat in seinem Gutachten vom 23.05.2015 als Diagnosen festgestellt:

– Wirbelsäulenabhängige Beschwerden mit Cervicalsyndrom leichten sowie Lumbalsyndrom leichten bis mittleren Schweregrades bei Z.n. lumbaler Bandscheibenoperation, keine neurologischen Ausfälle und kein Nachweis von Nervenwurzelreizzeichen

– Migräne

– Depressive Verstimmung leichten Grades, multifaktorielle Genese mit depressiven Reaktionen bei Anpassungs- und Belastungsstörungen, dysthyme Störungen sowie unterlagernden rezidivierenden depressiven Störungen wechselnden Schweregrades, überlagernd Somatisierungsstörungen und beginnende somatoforme Schmerzstörungen. Beginnende tendenzielle Instrumentalisierung des Beschwerdebildes.

Die Klägerin könne noch vollschichtig leichte Arbeiten im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen, überwiegend sitzend, ohne Heben und Tragen von Lasten, ohne Arbeiten in Zwangshaltung der Wirbelsäule, ohne Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten oder in Zwangshaltungen an Maschinen verrichten. Vermieden werden müssten außerdem Arbeiten unter Zeitdruck, unter besonderer psychischer Belastung, oder Nachtarbeiten.

Da die Klägerin ist diesen Feststellungen entgegengetreten, da erneut sowohl die Fibromyalgie als auch die Schmerzen unberücksichtigt geblieben seien. Sie hat außerdem angegeben, inzwischen wieder in orthopädischer Behandlung zu sein. Das Sozialgericht hat daraufhin bei der orthopädischen Gemeinschaftspraxis A., Dr. N. einen aktuellen Befundbericht angefordert und Dr. P. um ergänzende Stellungnahme gebeten. Dr. P. hat in seiner Stellungnahme vom 25.09.2015 zu den von der Klägerin erhobenen Vorwürfen Stellung genommen und u.a. darauf hingewiesen, dass es nicht entscheidend darauf ankomme, ob eine Fibromyalgie bestehe, sondern welche funktionellen Beeinträchtigungen bestehen würden. Anschließend ist der Facharzt für Chirurgie, Unfallchirurgie und Orthopädie Dr. R. mit der Erstellung eines Gutachtens auf orthopädischem Gebiet beauftragt worden. Dr. R. hat in seinem Gutachten vom 21.11.2015 als Gesundheitsstörungen festgestellt:

– Rezidivierendes HWSSyndrom ohne sensomotorische Ausfälle mit aktuell rechts betonter zervikobrachialer Ausstrahlung bei degenerativen Veränderungen C4-C6 sowie TH1/TH2 mit Osteochondrosen, Retrospondylosen und gemäßigter diskogener Bedrängung der Neuroforamina

– Rezidivierendes LWSSyndrom ohne sensomotorische Ausfälle bei Z.n. Laminektomie und dorsoventraler Versteifung L5/L6

– Z.n. operativ behandeltem Carpaltunnelsyndrom beidseits mit verbliebener Pelzigkeit linker Daumen radial polar.

Die Klägerin könne noch leichte Arbeiten mit häufigem Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Vermieden werden müssten das Heben und Tragen von Lasten, häufiges Bücken, Arbeiten in Zwangshaltungen unter beengten räumlichen Verhältnissen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten. Leichte Tätigkeiten an einem Büroarbeitsplatz oder in einem ähnlichen Arbeitsbereich mit der Möglichkeit des Wechsels zwischen sitzender und stehender Position sowie gelegentlichem Laufen seien grundsätzlich ohne Einschränkungen auszuführen.

Die Klägerin hat hierzu in einer umfangreichen Erklärung ausgeführt, dass sie aufgrund ihrer psychischen Vorbelastung auch mit Hilfe langjähriger Psychotherapie nicht mehr in der Lage sei, einer Tätigkeit nachzugehen. Hinzu komme die Fibromyalgie mit massiver Einschränkung der Lebensqualität und Leistungsfähigkeit. Unabhängig davon sei sie auch orthopädisch durch eine angeborene Steilstellung des Schenkelhalses beeinträchtigt. Da dem Gutachten Dr. P. eine gewisse Voreingenommenheit zum Thema Fibromyalgie zu entnehmen sei, hat sie weiterführende Veröffentlichungen zum Thema Fibromyalgie vorgelegt und an ihrer Auffassung festgehalten, dass sie nicht ausreichend und zutreffend begutachtet worden sei.

Mit Urteil vom 19.02.2016 hat das Sozialgericht unter Berufung auf das Ergebnis der Beweisaufnahme die Klage abgewiesen. Letztlich könne dahinstehen, ob das Beschwerdebild der Klägerin als Fibromyalgie oder als somatoforme Schmerzstörung bezeichnet werde. Entscheidend sei das sozialmedizinische Leistungsvermögen, das der Klägerin trotz ihrer Erkrankungen verbleibe. Neurologisch sei abgesehen von Muskelverspannungen ein regelrechter Befund erhoben worden. Die an der Hals- und Lendenwirbelsäule festgestellten degenerativen Veränderungen führten bei freier Beweglichkeit der Halswirbelsäule (HWS) und belastungsstabiler Situation an der Lendenwirbelsäule (LWS) nur zu qualitativen Einschränkungen. Eine depressive Erkrankung liege nicht vor, auch keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen. Die Mehrzahl der Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erfordere keine der Klägerin nicht mehr möglichen Arbeiten.

Am 24.03.2016 hat die Klägerin Berufung eingelegt. Bei der aus ihrer Sicht nicht zutreffend bewerteten Fibromyalgieerkrankung handle es sich gerade nicht nur um eine somatoforme Schmerzstörung, sondern um ein komplexes Krankheitsbild mit zahlreichen weiteren Symptomen, das unter einem eigenen Diagnoseschlüssel aufgeführt werde. Sie hat den Bericht des Universitätsklinikums W-Stadt vom 28.04.2016 vorgelegt, in dem der Verdacht auf ein Fibromyalgie-Syndrom geäußert worden ist.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 13.06.2016 zu Berufung Stellung genommen und erklärt, dass nach wie vor kein wissenschaftlicher Konsens über Ursachen und Entstehung des in der Schulmedizin umstrittenen Fibromyalgie-Syndroms bestehe, was aber im Rentenverfahren keine Rolle spiele, da es für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit im Wesentlichen darauf ankomme, ob das Schmerzsyndrom bereits die Lebensführung übernommen habe. Konkret sei hierzu von einem nervenärztlichen Gutachter anhand des klinischen Befundes, der Vorbefunde und der Anamnese herauszuarbeiten, inwieweit krankheitsbedingte, arbeitsrelevante, psychologische Funktionen wie Konzentration, Reaktionsschnelligkeit, Ausdauer, Zuverlässigkeit, abstraktes Denkvermögen, perspektivisches Handeln, Umstellungsfähigkeit, Kritikfähigkeit, Anpassungsfähigkeit, Teamfähigkeit etc. neben somatischen Funktionen beeinflusst würden.

Der Senat hat auf Antrag der Klägerin Dr. L., Facharzt für Orthopädie, Physikalische und Rehabilitative Medizin, Sozialmedizin und Chirotherapie, gemäß § 109 SGG mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dr. L. hat mit freiem orthopädischen Gutachten vom 03.08.2016 festgestellt, dass bei der Klägerin ein ausgeprägtes generalisiertes Fibromyalgie-Syndrom mit allen dazugehörigen typischen Erscheinungsformen vorliegen würde, insbesondere der muskulären Dauerleistungseinbußen, der chronischen Müdigkeit und der chronischen Schmerzerkrankung im Stadium Gerbershagen III, wie dies bereits eindeutig durch diverse Vorbefunde bestätigt worden sei. Die Klägerin könne aufgrund dieser Einschränkungen nur noch leichte Arbeiten unter 3 Stunden täglich verrichten, wobei weitere Einschränkungen zu berücksichtigen seien. So könnten auch die noch zumutbaren Arbeiten nur mit zusätzlichen unüblichen Pausen von jeweils 10 Minuten, die alle 10-15 Minuten einzuhalten wären, verrichtet werden. Die Pausen dienten dazu, die entstandene Muskelschmerzhaftigkeit abklingen zu lassen. Einschränkungen der Wegefähigkeit bestünden keine. Zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit sei die Durchführung von Heilmaßnahmen in einer psychosomatisch orientierten Klinik angezeigt.

Nachdem sich die Beklagte diesen Feststellungen nicht angeschlossen hat, hat der Senat einen aktuellen Befundbericht der behandelnden und Psychotherapie C. vom 06.03.2017 angefordert und anschließend Dr. B. mit der Erstellung eines nervenärztlichen Gutachtens von Amts wegen beauftragt. Dr. B. hat mit Gutachten vom 29.03.2017 als Gesundheitsstörungen der Klägerin festgestellt:

1. Chronifizierte Schmerzstörung mit körperlichen und psychischen Faktoren bei

– degenerativem LWS-Syndrom ohne nervenwurzelbezogenes sensibles oder motorisches Defizit, aktuell auch ohne Nervenwurzelreizerscheinungen,

– degenerativem HWS-Syndrom ohne nervenwurzelbezogenes sensibles oder motorisches Defizit, aktuell auch ohne Nervenwurzelreizerscheinungen,

– habitueller Hüftdysplasie links,

– anhaltender somatoforme Schmerzstörung

2. Einfache Migräne

3. Mischsymptomatik bestehend aus einer rezidivierenden depressiven Störung wechselnder Ausprägung (aktuell remittiert) und einer Angststörung mit zum Teil phobischer Prägung.

Die Klägerin könne leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten, die möglichst wechselweise im Gehen, Stehen und Sitzen zu verrichten seien, im Umfang von mindestens 6 Stunden täglich verrichten. Das Heben und Tragen schwerer Lasten, Tätigkeiten, die häufiges Bücken erforderten, Tätigkeiten unter Zeitdruck bzw. in einem hektischen Arbeitsumfeld sowie Nachtschichttätigkeiten sollten der Klägerin nicht mehr zugemutet werden. Zusätzliche Arbeitspausen seien nicht erforderlich, auch nicht die Durchführung stationärer Heilmaßnahmen.

Die Klägerin ist mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 22.05.2017 dem Gutachten entgegengetreten. Sie hat die fachärztliche Stellungnahme der und Psychotherapie Dr. C. vom 11.05.2017 sowie den Befund des Diplom-Psychologen Dr. N. vom 05.05.2017 vorgelegt und u.a. ausgeführt, dass auf die von diesen und anderen Ärzten festgestellten Krankheiten im Gutachten nicht eingegangen worden sei, so die Diagnosen einer gegenwärtig mittel- bis schwergradigen depressiven Störung sowie einer posttraumatischen Belastungsstörung, die von Dr. N. und Dr. C. bereits mit Attesten vom 06.03.2016 und 12.12.2016 als gesichert diagnostiziert worden seien. Auch fehlten Ausführungen zu den gesundheitlichen Umständen, die zur Auflösung der letzten Arbeitsverhältnisse geführt hätten. Bereits mit Attesten vom Januar 2014 hätten die behandelnde Ärzte G. und Dr. J. beschrieben, dass die Klägerin schon reduzierten Anforderungen nicht mehr gewachsen sei. Die Feststellung eines quantitativ nicht eingeschränkten Leistungsvermögens sei von Dr. B. ebenso wenig begründet worden wie die Aussage, dass die Umstellungsfähigkeit nicht eingeschränkt sei, was im Widerspruch zum Entlassungsbericht vom 06.05.2014 stehe. Tatsächlich hätten die gesundheitlichen Beschwerden immer dann zugenommen, wenn es zu Veränderungen in ihrem Lebensumfeld gekommen sei. Insofern stellten die Aussagen von Dr. B. lediglich eine Momentaufnahme dar. Dabei sei möglicherweise auch hinsichtlich des als relativ umfangreich beschriebenen Aktivitätenspektrums ein falsches Bild entstanden. Tatsächlich sei sie nicht einmal mehr in der Lage, eine Strecke von 500 m in weniger als 20 Minuten zurückzulegen. Ihre emotionale Betroffenheit sei nur abgemildert wiedergegeben worden. Dies gelte auch für die Beziehung zum Stiefvater, die lediglich als schwieriger Kontakt wiedergegeben worden sei, tatsächlich aber mit erheblichen psychischen Belastungen bis hin zu Morddrohungen und versuchten Einbrüchen verbunden gewesen sei. Während Aussagen aus anderen ärztlichen Berichten oder Gutachten zu ihrem Nachteil ungefiltert übernommen worden seien, sei die Diagnoseerstellung durch die Uniklinik W-Stadt mit der Bemerkung einer „Fragebogen-Diagnostik“ abgewertet worden, obwohl dort im Rahmen der durchgeführten Untersuchungen viele beschädigte und zerstörte Nervenfasern identifiziert worden, was der eindeutige Beweis für die Diagnose der Fibromyalgie sei. Daneben bestünden Unrichtigkeiten, so hinsichtlich des Beginns der Konzentrationsstörungen und der wöchentlichen Arbeitszeit während der Tätigkeit für die Onlineredaktion der OVB 24 GmbH, die sie erneut krankheitsbedingt wieder verloren habe. Auch seien jegliche Versuche, das Gewicht zu reduzieren, in der Vergangenheit gescheitert. Die Ausübung von Sport sei ihr nicht mehr möglich und die pharmakologische Geschichte hinsichtlich der Jahre 2011/2012 sei unkorrekt wiedergegeben worden. Es werde beantragt, gemäß § 106 SGG, hilfsweise gemäß § 109 SGG, ein psychologisches Gutachten einzuholen, zumal die Neutralität des Gutachters zu hinterfragen sei, wenn er ihr eine erhebliche Klagsamkeit unterstelle und sich zu ihrem Körperschmuck und ihrer Tätowierung äußere. Mit Schreiben vom 22.06.2017 hat die Klägerin die für die gesetzliche Krankenkasse erstellte ärztliche Stellungnahme des Schmerzzentrums I. vom 08.06.2017 vorgelegt, wo sie sich zur Kontrolle vorgestellt habe. Darin wird auf die Medikation eingegangen, zuletzt Duloxetin 60 mg, was wie andere Medikamente entweder keine Wirkung zeige oder nicht vertragen werde. Daher werde der Vorschlag einer Canabinoid-Testung unterstützt.

Dr. B. hat mit ergänzender Stellungnahme vom 26.07.2017 zu den Einwendungen der Klägerin und den neu vorgelegten Befundberichten Stellung genommen. Die von Dr. C. festgehaltenen Diagnosen würden im Wesentlichen den bereits gestellten entsprechen. Lediglich die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer Fibromyalgie sei von ihm nicht gestellt worden. Die Klägerin habe im Rahmen der Untersuchung aber auch kein Trauma beschrieben, welches geeignet wäre, eine posttraumatische Belastungsstörung hervorzurufen. Allerdings sei die Diagnose in den Attesten von Dr. C. und Dr. N. auch nicht nachvollziehbar entsprechend den ICDKriterien begründet worden. Soweit Dr. C. auf dramatische Erlebnisse in der Kindheit hingewiesen habe, möglicherweise das schwierige Verhältnis der Klägerin zu ihrem Vater oder die mehrmonatige Unterbringung bei einem Onkel und dessen Ehefrau, sei auch er in seinem Gutachten darauf eingegangen. Abgesehen davon, dass eine posttraumatische Belastungsstörung zum Zeitpunkt seiner Untersuchung noch nicht bekannt gewesen sei, sei aber ein belastendes Ereignis, das geeignet wäre, eine solche posttraumatische Belastungsstörung hervorzurufen, weiterhin nicht erkennbar. Hinsichtlich der Diagnose eines Fibromyalgie-Syndroms handle sich nach seiner Auffassung um eine spezielle Ausgestaltung einer Somatisierungsstörung bzw. einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung. Allerdings hätten sich hinsichtlich der letztlich entscheidenden funktionellen Einschränkungen im Rahmen seiner Untersuchung keine entsprechenden Einschränkungen gezeigt. Das Bewegungsverhalten der Klägerin sei weitgehend ungestört gewesen, auch eine über das normale Maß wesentlich hinausgehende Drucküberempfindlichkeit habe nicht festgestellt werden können. Eine mittelgradige bis schwere depressive Episode entsprechend der ICD Kodierung habe er ebenfalls nicht feststellen können. Die Klägerin habe zwar mit erheblicher Eindringlichkeit über ihre Beschwerden berichtet und sich insoweit auch als erheblich betroffen dargestellt, sei jedoch während des weitaus überwiegenden Zeitraums der Untersuchung in einer indifferenten Gestimmtheit und affektiv schwingungsfähig gewesen. Eine von Dr. C. beschriebene Antriebsminderung habe die Klägerin bei der Beschreibung ihrer Tagesaktivitäten zumindest nicht zum Ausdruck gebracht, wobei sie angegeben habe, morgens eine Stunde mit dem Hund spazieren zu gehen und dabei 2-3 km zurückzulegen. Vorbefunde zu filtern sei nicht üblich. Das direkte Abfragen (weiterer) funktioneller Beeinträchtigungen sei wegen der Suggestivwirkung nicht ratsam. Jedenfalls habe die Klägerin ausreichend Zeit gehabt, ihre Einschränkungen darzulegen, was sie auch getan habe. Die Formulierung zur Fibromyalgie-Diagnostik beziehe sich auf den Befundbericht vom 28.04.2016 und die darin getroffenen Feststellungen. Gesundheitliche Einschränkungen, die einer Steigerung der sportlichen Aktivitäten oder einer Verrichtung leichter Tätigkeiten im Sinne einer fehlenden Umstellungsfähigkeit entgegenstehen würden, seien nicht erkennbar.

Mit Schriftsatz vom 04.09.2017 hat die Klägerin daran festgehalten, dass ausschließlich Dr. L. das komplexe Krankheitsbild der Fibromyalgie ausreichend erfasst habe, und gerügt, dass ihr alleine durch die Chronologie die Möglichkeit abgeschnitten werde, nachfolgend noch einen Antrag nach § 109 SGG zu stellen. Sie hat beantragt, das Gutachten des Dr. B. mit ergänzender Stellungnahme dem Gutachter nach § 109 SGG zur Stellungnahme und Bewertung vorzulegen, anschließend Termin zur mündlichen Verhandlung zu bestimmen und zu diesem die beiden Sachverständigen zu laden, damit eine Erläuterung des Gutachtens im Hinblick auf die beiden sich widersprechenden Ergebnisse erfolgen könne. Schließlich stelle sich die Frage, ob nicht ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen sei, um bestehende Widersprüchlichkeiten auszuräumen (BSG, Urteil vom 29.05.2015 - B 13 R 129/15 B). Die Klägerin sei aufgrund der am schwerwiegendsten anzusehenden Diagnose der Fibromyalgie Probandin einer an der Uniklinik W-Stadt durchgeführten Fibromyalgie-Studie. Dabei seien auch krankhafte Veränderungen des untersuchten Gewebes an für Fibromyalgie-Erkrankungen typischen Fasern erkennbar gewesen. Daher sei die Einordnung der Diagnose gerade nicht unerheblich, was auch das BSG in der Vergangenheit bereits festgestellt habe. Tatsächlich sei die Fibromyalgie durch weit verbreitete Lokalisation in der Muskulatur nicht nur von Schmerzen geprägt, sondern auch von psychischen Beeinträchtigungen wie Übermüdung durch Schlafstörungen, Wetterfühligkeit, Ängstlichkeit, Depression, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen und Empfindlichkeit gegenüber Licht, Lärm und Kälte. Schließlich habe Dr. B. auch die medikamentöse Schmerztherapie nicht korrekt erfasst und als unbedeutend/gelegentlich abgetan, obwohl die Leberwerte der Klägerin bereits durch die mehrmals wöchentliche Einnahme von Iboprofen 800 mg bis zu dreimal täglich erheblich belastet seien. Es werde außerdem beantragt, eine fachkundige Stellungnahme der Verantwortlichen Ärztin der Universitätsklinik W-Stadt einzuholen, um Fragen zum Inhalt der Studie und gegebenenfalls auch zur Abgrenzung der Fibromyalgie von der somatoforme Schmerzstörung oder anderen psychisch bedingten Schmerzsymptomen zu beantworten und für den Fall, dass das Gericht dem nicht nachkomme, die sachkundigen Zeuginnen PD Dr. Ü. und/oder Prof. Dr. S. über die Universitätsklinik W-Stadt zu der Anerkennung der Fibromyalgie als eigenständiger Krankheitsdiagnose und der bei Fibromyalgie-Erkrankungen auftretenden gesundheitlichen Beschwerden sowie deren Auswirkungen auf die körperliche Leistungsfähigkeit der Betroffenen zu laden.

Der Senat ist dem Antrag, gemäß § 109 SGG Dr. L. um ergänzende Stellungnahme zu bitten, nachgekommen. Mit ergänzender Stellungnahme vom 09.10.2017 hat Dr. L. an seiner Einschätzung festgehalten. Im Vordergrund des Streitverfahrens stehe als Dreh-und Angelpunkt die Bewertung einer Fibromyalgie, wobei trotz 2 Millionen FibromyalgieBetroffener nur wenige Gerichtsgutachter offensichtlich eigene Erfahrung gesammelt hätten. Im Vordergrund der Fibromyalgie stehe der großflächige chronische Schmerz im muskulutalen System, der in der Alltagsdiagnostik nicht zu messen sei, allenfalls in aufwändigen Untersuchungen mit Messung der Substanz P, die sich bei allen chronischen Schmerzpatientin in erhöhter Form finde. Die fehlende Objektivierbarkeit von Schmerzen führe immer wieder dazu, den Schmerz zu negieren, so auch im Gutachten Dr. B.. Dabei komme den Tender Points nicht mehr die Bedeutung zu, die ihnen früher zugesprochen worden sei. Entscheidend seien die Auswirkungen der chronischen Schmerzen auf die Dauerleistung der Muskulatur. Allerdings würden sich Fragen zu muskulären Dauerleistung im Alltag, dem Schlafverhalten, der Tagesmüdigkeit und chronischen Erschöpfung im Gutachten Dr. B. nicht finden. Stattdessen sei auf das formale Denken abgestellt worden.

Mit weiterer ergänzender Stellungnahme 14.12.2017 hat Dr. B. ausgeführt, dass sich die Diagnosen eines Fibromyalgie-Syndroms und einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung keinesfalls widersprechen würden, da die Fibromyalgie lediglich eine spezielle Ausgestaltung der somatoformen Schmerzstörung darstelle, wobei beiden Fällen keine nachvollziehbaren körperlichen Ursachen zu Grunde liegen würden. Angesichts der bei der Untersuchung festgestellten Einschränkungen und der Anamneseerhebung mit einem relativ umfangreichen täglichen Aktivitätenspektrum sei nicht nachvollziehbar, warum die Klägerin nicht in der Lage sein sollte, einer körperlich leichten Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig nachzugehen.

Mit Schriftsatz vom 13.03.2018 hat die Bevollmächtigte der Klägerin erneut beantragt, im Termin zur mündlichen Verhandlung beide Sachverständigen zur Erläuterung ihrer jeweiligen Gutachten anzuhören und diese hierfür persönlich zu laden. Die Feststellungen von Dr. B. stünden in eklatantem Widerspruch zu denen von Dr. L., der als für das die Leistungsfähigkeit der Klägerin prägende Krankheitsbild der Fibromyalgie renommierter Gutachter anerkannt sei, während die Äußerungen von Dr. B. deutlich machten, dass er die Auswirkungen der Fibromyalgie im Alltag der Klägerin nicht einschätzen könne bzw. nicht bereit sei, diese in ihrem tatsächlichen Ausmaß anzuerkennen. Dabei maße er sich an, aus beiläufig erhobenen Informationen nach diversen Aktivitäten einen Rückschluss auf die Frage der Erwerbsminderung zu ziehen, wobei er es versäumt habe, konkret zu erheben, in welchem zeitlichen Umfang diese Aktivitäten von der Klägerin überhaupt ausgeübt würden. Mit ihren täglichen Spazierrunden mit dem Hund folge die Klägerin den Empfehlungen der behandelnden Ärzte, wobei sie anders als möglicherweise im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses das Tempo selbst bestimmen könne. Sie hat außerdem auf ihren Antrag auf ergänzende Begutachtung nach § 109 SGG hingewiesen, wobei zunächst eine psychologische Begutachtung durchgeführt werden sollte und beantragt, gemäß § 109 SGG ein schmerztherapeutisches Sachverständigengutachten durch Dr. K. zu erholen. Bei widersprechenden Gutachten habe das Gericht zu überprüfen, welche gutachterlichen Aussagen überzeugend erscheinen und welche nicht, ob und inwieweit gegebenenfalls das eine Gutachten aus dem Argument des anderen Gutachtens widerlegt werden könne bzw. ob sich anhand der erstatteten Gutachten bereits eine endgültige und widerspruchsfrei Beantwortung der Gutachtensfrage ergebe. Erst wenn das nicht der Fall sei, müsse ein weiteres Gutachten eingeholt werden. Nach aktuellem Kenntnisstand liege der Schwerpunkt der Beschwerden der Klägerin auf den stetigen Schmerzen, die von Dr. B. negiert worden seien. Es könne nicht angehen, dass der Klägerin aufgrund eines mangelhaften Gutachtens nach § 106 SGG die zustehende Erwerbsminderungsrente versagt werde. Selbst wenn man die Ausführungen von Dr. L. im Hinblick auf seine Schwerpunktsetzung im Bereich der Orthopädie trotz entsprechender Fachkunde nicht für geeignet ansähe, müsse daher noch eine Aufklärung der Schmerzsymptomatik erfolgen. Schließlich dürfe nicht vergessen werden, dass die Klägerin nicht nur an der streitigen Diagnose einer Fibromyalgie mit all ihren Begleiterscheinungen leide, sondern dass noch weitere, im Einzelnen aufgeführte Krankheitsbilder bestünden, die von mehreren unabhängigen Medizinern auch im Rahmen des hier geführten Verfahrens diagnostiziert worden seien.

In der mündlichen Verhandlung am 21.03.2018 hat die Prozessbevollmächtigte ihren Antrag auf

1. die Einholung eines schmerztherapeutischen Sachverständigengutachten durch Dr. K. nach § 109 SGG sowie

2. die Anhörung der Sachverständigen Dr. L. und Dr. B. zur Erläuterung ihrer jeweiligen Gutachten in einem Termin zur mündlichen Verhandlung wiederholt.

In der Sache hat sie den Antrag gestellt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 19. Februar 2016 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28.Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. August 2014 zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der vom Senat beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid vom 28.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.08.2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) bzw. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI zu. Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß §§ 43 Abs. 1, 240 SGB VI besteht schon deshalb nicht, weil die Klägerin nicht vor dem 02. Januar 1961 geboren ist.

1. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.

Versicherte haben gemäß § 43 Abs. 1, Abs. 2 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

  • 1.voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind,

  • 2.in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und

  • 3.vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Die Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI können bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats nicht festgestellt werden.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die objektive Beweislast für das Vorliegen einer Erwerbsminderung auf Seiten der Klägerin liegt. Objektive Beweislast bedeutet, dass jeder Beteiligte die Beweislast für diejenigen Tatsachen trägt, welche die von ihm geltend gemachte Rechtsfolge begründen (Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage, § 103 Rn. 19a). Dies gilt für das Vorhandensein positiver wie für das Fehlen negativer Tatbestandsmerkmale. Bezogen auf die hier streitige Rente wegen Erwerbsminderung bedeutet dies, dass Zweifel am Eintritt des Versicherungsfalles zu Lasten der Klägerin gehen (vgl. BSG, Urteil vom 28.08.1991 - 13/5 RJ 47/90).

Allerdings kann die Klägerin nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme weiterhin mindestens 6 Stunden täglich Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten. Der Senat schließt sich insoweit den übereinstimmenden Feststellungen von Amts wegen eingeholten Gutachten der Sachverständigen Dr. P., Dr. R. und Dr. B. an. Dem Gutachten von Dr. L. lassen sich zur Überzeugung des Senats ebenfalls keine Einschränkungen entnehmen, die geeignet wären, einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung zu begründen.

Die Klägerin leidet danach an gewissen Einschränkungen auf orthopädischem Fachgebiet, die im sozialgerichtlichen Verfahren insbesondere von Dr. R. mit Gutachten vom 21.11.2015 untersucht und gewürdigt worden sind. Danach bestehen ein rezidivierendes HWS-Syndrom sowie - nach einer operativen Versteifung im Bereich L5/L6 - ein rezidivierendes LWS-Syndrom, jeweils ohne sensormotorische Ausfälle. Die Klägerin leidet außerdem nach einem operativ behandelten Karpaltunnelsyndrom beidseits an einer verbleibenden Pelzigkeit des linken Daumens. Die damit in Verbindungen stehenden funktionellen Einschränkungen sind aber vergleichsweise gering und begründen keine zeitliche Limitierung des Leistungsvermögens.

Die Klägerin hat bei der Untersuchung durch Dr. R. ein sicheres, raumgreifendes und hinkfreies Gangbild demonstriert und konnte sich rasch und selbstständig entkleiden, wobei keine auffälligen Einschränkungen in den Bewegungsabläufen aufgefallen sind. Auch das Aufrichten und Hinlegen im Bauch- und Rückenlage auf die Untersuchungsliege erfolgte zügig und ohne maßgeblich auffällige Beeinträchtigungen. Lediglich im unteren Bereich der LWS hat Dr. R. eine Bewegungseinschränkung festgestellt, die übrigen Abschnitte waren in alle Bewegungseinrichtungen frei beweglich, so auch im Bereich der HWS. Die Klägerin konnte sowohl den Schürzen- als auch den Nackengriff beidseits sicher zeigen und auch in die tiefe Hocke gehen. Die Ansatzpunkte der Rückenmuskulatur am Hinterhaupt waren diskret druckschmerzhaft und insgesamt hat Dr. R. im Bereich der Wirbelsäule einen mäßigen Klopf-, Druck-, Erschütterungs- und Stauchungsschmerz festgestellt, allerdings keine hiermit in Verbindung zu bringenden Verspannungen. Die Situation im Bereich der Versteifung wird als stabil beschrieben. Dr. R. hat aufgrund der angegebenen Hüftgelenksdysplasie auch die Hüftbeweglichkeit überprüft und als altersentsprechend eingeordnet. Er hat weder pathologische Gelenksgeräusche noch sonstige Reizerscheinungen oder eine Schmerzhaftigkeit festgestellt. Lediglich die Oberschenkelmuskulatur war rechts diskret schwächer zu messen als auf der linken Seite. Die Kniegelenke waren frei beweglich bei fester Führung durch die Kreuz- und Seitenbänder.

Dass nachfolgend eine Verschlechterung auf orthopädischem Gebiet eingetreten wäre, wird von der Klägerin nicht vorgetragen. Auch Dr. L. und anschließend Dr. B. haben nur eine allenfalls endgradig eingeschränkte Beweglichkeit der HWS bei degenerativen Veränderungen und Druckschmerzen und Bewegungseinschränkungen im Bereich der LWS festgestellt. Die oberen Extremitäten waren frei beweglich und auch im Bereich der BWS haben sich keine schwerwiegenden Funktionsstörungen gezeigt. Die Hüftgelenke wie auch die oberen und unteren Gliedmaßen waren in alle Richtungen frei beweglich. Der Finger-Boden-Abstand ist mit 5 cm dokumentiert. Die Klägerin hat ein normales Schritttempo demonstriert, Zehen- und Fersengang waren ebenso möglich wie der Einbeinstand und die Hocke. Auch Dr. L. hat bei diesem Befund ausdrücklich von einer völlig normalen orthopädischen Funktionalität gesprochen.

Praktisch uneingeschränkt ist nach übereinstimmender Feststellung der Gutachter auch die Funktionsfähigkeit beider Hände nach operativer Behandlung des Karpaltunnelsyndroms. Auch im Bereich des linken Daumens haben keine über die operationsbedingten Sensibilitätsstörungen hinausgehenden Ausfallerscheinungen festgestellt werden können. Die Narben an den Handgelenken waren reizlos und kaum noch erkennbar. Die feinmotorischen und Grifffunktionen gelangen ebenso wie eine vollständige Streckung der Langfinger und ein vollständiger und kräftiger Faustschluss. Auch die Durchblutungsverhältnisse beider Beine waren ungeachtet des leichten Umfangsunterschiedes von 1 cm regelrecht. Neurologische Auffälligkeiten sind, abgesehen von der leichten Sensibilitätsstörung im Daumenbereich, ebenfalls bei keiner Begutachtung zu Tage getreten.

Nachvollziehbar sind bei diesem Befund die Einschränkungen auf orthopädischem Gebiet nicht geeignet, die von der Klägerin beklagten Beschwerden und Schmerzen zu erklären oder eine zeitliche Limitierung des Leistungsvermögens zu begründen. Fest steht allerdings, dass die Klägerin aufgrund der Aufbraucherscheinungen nur noch leichte Arbeiten mit häufigem Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen verrichten kann. Auch das Heben und Tragen von Lasten, häufiges Bücken, Arbeiten in Zwangshaltungen, unter beengten räumlichen Verhältnissen oder auf Leitern und Gerüsten können der Klägerin nicht mehr zugemutet werden.

Entsprechend steht auch im Vordergrund des Beschwerdebildes der Klägerin die Schmerzerkrankung, von Dr. P. beschrieben als Somatisierungsstörung bzw. beginnende somatoforme Schmerzstörung und von Dr. B. als chronifizierte Schmerzstörung mit körperlichen und psychischen Faktoren bei degenerativen Veränderungen und anhaltender somatoforme Schmerzstörung. Nach Dr. L. handelt es sich um ein ausgeprägtes generalisiertes Fibromyalgie-Syndrom mit allen dazugehörigen typischen Erscheinungsformen, insbesondere der muskulären Dauerleistungseinbuße, der chronischen Müdigkeit und der chronischen Schmerzerkrankung im Stadium Gerbershagen III.

Entscheidend ist aber, was das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat, nicht die Diagnose, sondern die Frage, welche Leistungseinschränkungen hieraus resultieren. Auch das Bundessozialgericht (BSG) hat gerade im Zusammenhang mit dem Vorliegen einer Fibromyalgie-Erkrankung immer wieder darauf hingewiesen, dass es nicht genügt, sich mit der Frage des Vorliegens einer Fibromyalgie-Erkrankung auseinanderzusetzen, sondern dass konkrete Leistungseinschränkungen festzustellen sind (vgl. etwa Beschluss vom 26.01.2017 - B 13 R 337/16 B -). Insoweit kommt es darauf an, ob unter Berücksichtigung der üblichen Anforderungen der Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ein Versicherter trotz vorliegender Erkrankungen noch mindestens 6 Stunden täglich tätig sein kann, wenn auch unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen. Ob ein derartiges Leistungsvermögen noch besteht oder nicht, ist aber nicht anhand der subjektiven Überzeugung des Versicherten festzustellen, sondern durch ärztliche Sachverständige, die die objektiv vorliegenden, aus den gesundheitlichen Erkrankungen folgenden Funktionseinschränkungen für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes festzustellen und subjektive Angaben und Überzeugungen des Versicherten in diesen objektiv festzustellenden Rahmen einzuordnen haben.

Diesen Ansprüchen genügen im Ergebnis die von Amts wegen eingeholten Gutachten, zuletzt von Dr. B., nicht aber das Gutachten von Dr. L., der seine Einschätzung eines praktisch aufgehobenen Leistungsvermögens ausschließlich auf die Diagnose einer Fibromyalgie-Erkrankung stützt, in deren Bild er die subjektiven Angaben der Klägerin im Ergebnis als schlüssig einordnet.

Fest steht, dass die Klägerin nach eigenen Angaben seit Jahren an einer Schmerzerkrankung leidet; 2013 wurde erstmals eine Fibromyalgie diagnostiziert. Jedenfalls im Entlassungsbericht der A. Klinik vom 28.03.2014 ist diese Diagnose übernommen worden und um die Diagnose einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren ergänzt worden. Als subjektive Funktionseinschränkungen sind darin schnelles Ermüden und Einschränkungen aufgrund von Rücken- und Armschmerzen angegeben worden, aber keine konkrete Bezugnahme auf zeitliche Einschränkungen. Der Klägerin ist neben der Fortsetzung einer ambulanten Psychotherapie eine Gewichtsreduktion empfohlen worden. Dies deckt sich mit dem Feststellungen der Klinik der Universität M-Stadt vom 31.01.2014, wo der Klägerin ausgehend von der Verdachtsdiagnose Fibromyalgie-Syndrom eine Mischung aus Bewegung, psychotherapeutischer und einer medikamentösen Schmerzbehandlung empfohlen worden ist. Im Bericht des Schmerzzentrums I. vom 09.10.2014 wird der Schmerz entsprechend der Angaben der Klägerin als in den Beinen brennend, in der Schulter stechend und bei Stress und Müdigkeit zunehmend beschrieben. Im Rahmen der körperlichen Untersuchung konnte der angegebene Schmerz aber nur zum Teil reproduziert werden. Der Klägerin wurde anschließend eine stationäre multimodale Schmerztherapie empfohlen.

Gegenüber Dr. P. hat die Klägerin angegeben, dass sie überall Schmerzen habe mit schwankender Intensität, darunter auch verschiedene Arten von Kopfschmerz. Im Rahmen der Untersuchung war aber lediglich die lumbale Operationsnarbe nach Angabe druckschmerzhaft. Konstant reproduzierbare Druckpunkte wie bei einer Fibromyalgie waren nicht festzustellen. Auch Dr. B. konnte keine nennenswerten Druckdolenzen im Bereich der Körperoberfläche feststellen. Dr. L. hat die Schmerzschilderung der Klägerin wörtlich im Gutachten aufgeführt. Danach hat die Klägerin über im Prinzip permanente Schmerzen wechselnder Lokalisation geklagt, die insbesondere bei längerer Beanspruchung der Muskulatur zunehmen würden. Auch sei der Nachtschlaf durch Schmerzen beeinträchtigt. Im Rahmen seiner Untersuchung hat er verschiedene Schmerzbeobachtungen festgehalten, so deutlich schmerzhafte Druckpunkte (Tenderpoints) am rechten Schultergelenk, am rechten Ellenbogengelenk und am linken Handgelenk, Triggerpunke im lateralen Bizepsbauch mit der Erzeugung ausstrahlender Schmerzen und Druckschmerzen im Bereich der HWS sowie ein Bewegungsschmerz im Bereich der Iliosacralfugen. Auch die gesamte Rückenstreckermuskulatur war nach seinen Angaben druckschmerzhaft. Er hat diese Schmerzen als fibromyalgietypisch eingeordnet und entsprechend die Diagnose einer Fibromyalgie-Erkrankung gestellt. Allerdings hat er sich in der Folge darauf beschränkt, das Beschwerdebild der Klägerin mit dem typischen Beschwerdebild einer Fibromyalgie-Erkrankung zu vergleichen und eingeräumt, dass weder der Schmerzpegel noch eine fehlende Dauerleistungsfähigkeit im Rahmen einer Untersuchung überprüft werden könnten und auch den Tenderpoints nach inzwischen gefestigter Auffassung keine relevante Bedeutung mehr zukomme.

Das bedeutet, dass alle Gutachter, auch Dr. P. und Dr. B., sich mit den Schmerzangaben der Klägerin auseinandergesetzt und diese auch in ihre Untersuchung einbezogen haben, weswegen bei ausreichender Befundlage auch weitere Ermittlungen entbehrlich sind. Eine rentenrechtliche relevante Einschränkung kann hieraus allerdings nicht festgestellt werden. Die Begutachtung von Schmerzen ist grundsätzlich eine interdisziplinäre Aufgabe, die sowohl die Kompetenz zur Beurteilung körperlicher als auch psychischer Störungen erfordert. Entsprechend sind vorliegend Gutachten sowohl auf orthopädischem Gebiet als auch auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet eingeholt worden. Vom Senat wird auch nicht verkannt, dass chronischer Schmerz, auch wenn er nicht mit einer körperlichen Erkrankung in Verbindung gebracht werden kann, zu einem eigenständigen Dauerleiden und unter Umständen auch zu einer rentenrechtlichen relevanten Leistungseinschränkung führen kann. Allerdings handelt es sich stets um ein subjektives Phänomen, bei dem hinsichtlich des Schmerzempfindens zahlreiche weitere Faktoren der aktuellen Lebenssituation sowie biographische Einflüsse eine Rolle spielen, weswegen im Rahmen einer leitliniengerechten Begutachtung solche Faktoren zwingend zu ermitteln sind. Dazu gehören neben der Biographie auch der Tagesablauf und die Erfassung außerberuflicher Aktivitäten sowie die Intensität und die Ergebnisse bisheriger Behandlungsversuche (Müller in Francke/Gagel/Bieresborn, Der Sachverständigenbeweis im Sozialrecht, 2. Aufl., S. 376). Anschließend sind die Angaben einer strengen Konsistenzprüfung zu unterziehen. Dazu sind nicht nur Widersprüche in den Angaben zu hinterfragen, sondern auch die Beobachtungen in der Untersuchungssituation, dazu gehört auch die Art und Weise, in der Beschwerden geschildert werden, mit einzubeziehen.

Diesen Anforderungen sind die Gutachter Dr. B. und Dr. P. gerecht geworden, indem sie einerseits die Beschwerdeschilderung der Klägerin erhoben haben, andererseits aber auch erhaltene Aktivitäten abgefragt haben. Sie haben überprüft, inwieweit danach die Angaben der Klägerin als konsistent angesehen werden können. Schließlich haben sie eine abschließende Wertung auch unter Berücksichtigung des psychopathologischen Befunds und der Vorbefunde abgegeben. Insoweit ist es auch nicht zu beanstanden, sondern geradezu zwingend, dass Dr. B. überprüft hat, ob und inwieweit die Klägerin tatsächlich in ihrer Konzentration und Aufmerksamkeit beeinträchtigt ist. Zum einen ist die Angabe einer eingeschränkten Konzentration, die in der Vergangenheit auch zu Fehlern und dem Verlust des Arbeitsplatzes geführt habe, von der Klägerin selbst gemacht worden. Zum anderen ist dies im Rahmen einer Konsistenzprüfung ein weiterer wichtiger Aspekt. Wäre die Klägerin tatsächlich durch dauerhafte Schmerzen und Schlaflosigkeit derart beeinträchtigt, dass sie nicht mehr in der Lage wäre, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, müsste sich dies auch im psychischen Befund und ihrem Konzentrationsvermögen niederschlagen, zumal dieses nach der Feststellung von Dr. L. schon aufgrund seiner Diagnose einer Fibromyalgie-Erkrankung erheblich eingeschränkt sein müsste. Tatsächlich hat aber keiner der Gutachter, auch nicht Dr. L., einen Befund erhoben, der diesen Schluss zulassen würde. Auch im Rahmen der 3-stündigen Exploration bei Dr. B., der gezielte Testungen durchgeführt hat, sind entsprechende Einschränkungen nicht zu Tage getreten. Insoweit kommt auch dem von Dr. B. erhobenen Tagesablauf Bedeutung zu, der gerade nicht den Eindruck erweckt, dass die Klägerin schmerzbedingt derart eingeschränkt wäre, dass sie nicht mehr berufstätig sein könnte. Die Klägerin führt einen Haushalt mit ihrem Mann und mehreren Haustieren, die sie versorgt. Sie geht regelmäßig mit den Hunden spazieren, pflegt jedenfalls telefonisch noch einen Freundeskreis und hat Hobbies wie Malen und Lesen. Dabei ist unerheblich, dass sie in der mündlichen Verhandlung diese Angaben insofern relativiert und dem Eindruck eines danach ungestörten Alltags einschränkend entgegengetreten ist, indem sie angegeben hat, dass ihr diese Tätigkeiten schmerzbedingt nicht immer möglich wären. Entscheidend ist, was Dr. B. betont hat, das erhaltene Spektrum an Aktivitäten, das gegen die Annahme spricht, der Alltag der Klägerin wäre von den Schmerzen bestimmt und dominiert. Auch der psychische Befund war jeweils unauffällig. Die Klägerin wirkte bis auf eine außerordentliche Klagsamkeit hinsichtlich der angegebenen Schmerzen und der Schlafstörungen ausgeglichen. Die affektive Schwingungsfähigkeit war ungestört.

Demgegenüber hat Dr. L. die Feststellung des seiner Meinung nach nur noch unter dreistündigen Leistungsvermögens der Klägerin im Wesentlichen mit der subjektiven Beschwerdeschilderung der Klägerin und der von ihm mithilfe der Tenderpoints gestellten Diagnose einer Fibromyalgie und deren typischen Erscheinungsformen begründet, wobei er in seiner ergänzenden Stellungnahme selbst eingeräumt hat, dass den Tenderpoints nicht mehr die Bedeutung zukomme, die man ihnen in der Vergangenheit gegeben habe. Zur Untermauerung dieser Feststellung hat er weiter ausgeführt, dass im Gegensatz zu den übrigen Gutachter nur er über die Qualifikation verfüge, das Krankheitsbild der Fibromyalgie, die eine eigenständige Erkrankung darstelle, und deren Auswirkungen auf das Leistungsvermögen zu beurteilen. Weder im Rahmen seines Gutachtens noch in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 09.10.2017 hat er aber diese Leistungseinschränkungen bezogen auf den Fall der Klägerin konkret beschrieben, noch hat er die Beschwerden der Klägerin einer Konsistenzprüfung unterzogen, was angesichts des von ihm selbst eingeräumten weitgehend unauffälligen Befundes während der Untersuchung angezeigt und im Sinne einer leitliniengerechten Begutachtung auch zwingend erforderlich gewesen wäre. Soweit Dr. L. kritisiert, dass Dr. B. sich nicht mit der Frage der Auswirkungen der chronischen Schmerzen auf die Dauerleistung der Muskulatur und der Tagesmüdigkeit und chronischen Erschöpfung auseinandergesetzt habe und stattdessen auf das formale Denken der Klägerin beim Lösen verschiedener Aufgaben abgestellt habe, bleibt festzustellen, dass Dr. L. nicht einmal den Versuch unternommen hat, die Angaben der Klägerin zu ihrem unzureichenden Schlafverhalten und den Auswirkungen auf ihre Leistungsfähigkeit im Alltag einer Objektivierung oder Konsistenzprüfung zu unterziehen. Soweit Dr. L. darüber hinaus einen ungewöhnlichen Pausenbedarf festgestellt hat, ist auch dieser im Gutachten nur mit der von ihm gestellten Diagnose und damit üblicherweise verbundenen Symptomen, nicht aber mit konkret von ihm festgestellten Leistungseinschränkungen der Klägerin begründet worden.

Eine seelische Störung von Krankheitswert, die die Klägerin noch an der Ausübung leidensgerechter Tätigkeiten hindern würde, liegt ebenfalls nicht vor. Die Klägerin leidet an einer rezidivierenden depressiven Störung wechselnden Ausmaßes. Vom Gutachter im Rentenverfahren Dr. Sch. ist eine mittelgradige Episode beschrieben worden, so auch im Entlassungsbericht der A. Klinik vom März 2014 und dem Arztbrief des Schmerzzentrums I. vom 09.10.2014. Eine schwere depressive Episode ist mit Befundbericht vom 10.06.2014 von der behandelnden Psychiaterin C. mitgeteilt worden. Zuletzt hat Dr. C., bei der die Klägerin seit Januar 2017 in Behandlung ist, mit Befundbericht vom 11.05.2017 erneut eine mittelgradige depressive Episode beschrieben, nachdem es offensichtlich im Jahr 2016 und wieder im April 2017 vorübergehend zu einer krisenhaften Verschlechterung gekommen war. Als verbleibende Symptome hat sie eine depressive Verstimmung mit dauerhafter Erschöpfung, Antriebsminderung, sozialem Rückzug, Schlafstörungen und Grübelneigung im Sinne einer Dysthymie beschrieben und hinsichtlich der Einbrüche in der Vergangenheit Bezug genommen auf traumatische Erfahrungen in der Kindheit, Überlastungserfahrungen und Schmerzbelastung bei Fibromyalgieschüben. Bei Dr. P. im Mai 2015 wirkte die Klägerin nur leicht depressiv verstimmt. Dr. B. hat im Zeitpunkt seiner Untersuchung im Februar 2017, also nach der ersten von Dr. C. beschriebenen Krise, keine wirkliche depressive Symptomatik festgestellt und auch - unter Bezugnahme auf das erhaltene Aktivitätenspektrum, nicht den Umfang - nachvollziehbar eine Antriebsminderung ausgeschlossen. Allerdings hat auch Dr. C. ungeachtet der Diagnose einer gegenwärtig mittelgradigen Episode keine Einschränkungen beschrieben hat, die über eine depressive Verstimmung im Sinne einer Dysthymie hinausgehen würden. Eine seit vielen Jahren bestehende Angststörung phobischer Ausprägung im Zusammenhang mit Trennungssituationen besteht zwar noch, ist aber nach den Feststellungen von Dr. B. derzeit nur gering ausgeprägt. Auch ist die Klägerin von allen Gutachtern zu ihrer Kindheit und dem Verhältnis zu ihrer Familie befragt worden, ohne dass dabei ein Trauma, zumal im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung zutage getreten wäre. Dass die Klägerin in ihrer Kindheit negative Erfahrungen gemacht hat, die sie prägen (etwa im Sinne der von Dr. B. beschriebenen Trennungsängste) bedeutet nicht zwangsläufig, dass deswegen eine seelische Erkrankung relevanten Ausmaßes vorliegen würde. Tatsächlich kann eine solche auch mit den aktuellen Befunden der behandelnden Ärzte derzeit nicht festgestellt werden.

Schließlich ist bei dem Krankheitsbild der Klägerin ungeachtet der Bezeichnung zu berücksichtigen, dass für die Feststellung einer hierauf gestützten Erwerbsminderung feststehen muss, dass alle Behandlungsmöglichkeiten bereits ausgeschöpft sind. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts werden psychische Erkrankungen erst dann rentenrechtlich relevant, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant und stationär) davon auszugehen ist, dass ein Versicherter die psychischen Einschränkungen dauerhaft nicht überwinden kann - weder aus eigener Kraft, noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe (BSG, Urteil vom 12.09.1990 - 5 RJ 88/89 -; BSG, Urteil vom 29.02.2006 - B 13 RJ 31/05 R -). Nichts anderes gilt ungeachtet der Diagnose und ihrer systematischen Einordnung für die Schmerzerkrankung der Klägerin. So ergibt sich aus allen vorgelegten Befundberichten, darunter zuletzt die ärztliche Stellungnahme der Schmerzzentrums I., dass auch die schmerztherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten noch nicht ausgeschöpft sind, und auch die behandelnde Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie C. hat mit Attest vom 11.05.2017 geschildert, dass sich die Klägerin sich nach einer krisenhaften Verschlechterung im November 2016 unter Fortführung der antidepressive Medikation wieder stabilisieren konnte und ein weiteres suizidales Stimmungstief im April 2017 durch intensive psychotherapeutische und psychiatrische Behandlung habe gebessert werden können. Eine konsequente schmerztherapeutische Behandlung, zu der nach den Empfehlungen der Universitätsklinik München bei einer Fibromyalgie-Erkrankung neben einer medikamentösen Behandlung auch eine konsequente Psychotherapie sowie regelmäßiger Bewegung gehören würde, ist bisher nicht beschrieben worden. Aufgrund welcher Einschränkungen der Klägerin, die ja selbst angibt, regelmäßig mit ihren Hunden spazieren zu gehen, drüber hinaus nicht auch gezielte körperliche physiotherapeutische Maßnahmen möglich sein sollten, wie sie von den behandelnden Ärzten seit Jahren empfohlen wurden, ist nicht erkennbar.

Eine Beschränkung der Wegefähigkeit auf eine Gehstrecke von unter 500m ist von keinem Gutachter, auch nicht von Dr. L. festgestellt worden. Dem widersprechen auch die eigenen Angaben der Klägerin, die mit ihren Hunden regelmäßig größere Strecken spazieren geht, mag sie dabei auch Pausen einlegen.

2. Der Senat ist bei der vorliegenden Befund- und Gutachtenslage nicht gehalten, von Amts wegen erneut in die Beweisaufnahme einzutreten. Insbesondere ist es ungeachtet der im Ergebnis nicht als ausreichend und verwertbar angesehenen Feststellungen von Dr. L. nicht erforderlich, ein weiteres Gutachten bei einem auf das Vorliegen von Fibromyalgie-Erkrankungen spezialisierten Gutachter in Auftrag zu geben. Entscheidend für die Qualifikation eines Gutachters ist im Zusammenhang mit der Beurteilung von Schmerzstörungen nicht, ob er von Haus aus Internist, Rheumatologe, Orthopäde, Neurologe oder Psychiater ist. Entscheidend ist ob der Gutachter im Ergebnis in der Lage ist Schmerzerlebnis, Schmerzverhalten und Schmerzverarbeitung des Versicherten zu erfassen und zu bewerten (BSG, Beschluss vom 09.04.2003 - B 5 RJ 80/02 B). Diesen Anforderungen genügen die von Amts wegen eingeholten Gutachten und auch Dr. L. verfügt als Orthopäde und aufgrund seiner langjährigen Erfahrung und Expertise mit dem Krankheitsbild der Fibromyalgie über die Kompetenz, deren Auswirkungen zu beurteilen. Allerdings hat er keine Feststellungen getroffen, die es erlauben würden, auch im Fall der Klägerin auf entsprechende Leistungseinschränkungen zu schließen.

Da es für die Beurteilung des rentenrechtlich relevanten Leistungsvermögens der Klägerin außerdem weder auf die Diagnoseerstellung als solche noch auf die Klassifizierung nach ICD-10 sondern ausschließlich auf die bei der Klägerin vorliegenden Leistungseinschränkungen ankommt, ist der Senat ist auch nicht gehalten, dem Antrag der Klägerin auf Einholung fachkundiger Stellungnahmen zur Anerkennung der Fibromyalgie als eigenständiger Krankheitsdiagnose sowie der bei Fibromyalgie-Erkrankungen üblicherweise auftretenden gesundheitlichen Beschwerden sowie deren Auswirkungen auf die körperliche Leistungsfähigkeit der Betroffenen nachzukommen. Nach den Unterlagen, die von der Klägerin über die an der Universitätsklinik W-Stadt durchgeführte Studie vorgelegt worden sind, hat diese Studie ausschließlich die Untersuchung eines Zusammenhangs zwischen geschädigten Nervenzellen und einer Fibromyalgie-Erkrankung im Sinne neuer Diagnosemethoden zum Gegenstand, nicht aber die Erfassung konkreter Einschränkungen der Probanden. Welche Erkenntnisse hieraus bezogen auf das im vorliegenden Verfahren streitige Leistungsvermögen der Klägerin gewonnen werden sollen, ist nicht ersichtlich. Dies hat die Klägerin auch in der mündlichen Verhandlung nicht dargelegt. Für die Beurteilung des Leistungsvermögens der Klägerin kommt es aber auch nicht entscheidend darauf an, ob abstrakt ein bestimmter Prozentsatz von Patienten vermeintlich unter den gleichen Symptomen leidet wie die Klägerin oder wie hoch dieser Prozentsatz ist oder ob nach neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Studien neue Wirkungszusammenhänge gesehen werden und ob sich hierzu in der medizinischen Fachliteratur bereits mehrheitliche Ansichten gebildet haben (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 22.11.2017 - L 19 R 365/14 -, juris).

3. Da aufklärungsbedürftige Widersprüche zwischen den Gutachten von Dr. B. und Dr. L. nicht bestehen, ist auch dem Antrag auf Anhörung beider Gutachter nicht nachzukommen.

Zwar kann ein Antrag auf mündliche Erläuterung des Sachverständigengutachtens nicht allein deshalb abgelehnt werden, weil das schriftliche Gutachten dem Gericht überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 17.01.2012 - 1 BvR 2728/10 -, juris). Einem Beteiligten steht im Rahmen des verfassungsrechtlich verbürgten Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz) das Recht zu, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung der Sache für dienlich erachtet (BSG, Beschluss vom 12.12.2006 - B 13 R 427/06 B - juris Rn. 7). Allerdings muss der Antrag rechtzeitig gestellt werden und darf nicht rechtsmissbräuchlich sein; vgl. auch BVerfG NJW 1998, 2273; BGH NJW 1998, 162, 163 alle mwN). Schließlich verlangt auch Art. 103 Abs. 1 GG nicht, einem rechtzeitigen und nicht missbräuchlichen Antrag auf Anhörung der Sachverständigen ausnahmslos Folge zu leisten. Die mündliche Anhörung des Sachverständigen ist zwar die nächstliegende, aber nicht die einzig mögliche Behandlung eines derartigen Antrags (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 03.02.1998, a.a.O.; vgl. BGH, Urteil vom 10.12.1991 - VI ZR 234/90 -, NJW 1992, S. 1459 f.). Eine Form für die Befragung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, sodass sie sowohl mündlich als auch schriftlich erfolgen kann (BSG, Beschluss vom 05.02.2009 - B 13 R 561/08 B -, juris). Einwendungen in diesem Sinn sind dem Gericht außerdem rechtzeitig mitzuteilen (vgl. § 411 Abs. 4 ZPO).

Die Voraussetzungen für eine mündliche Anhörung der Sachverständigen sind danach nicht erfüllt. Die Einwendungen der Klägerin gegen das Gutachten von Dr. B. in den Schriftsätzen vom 22.05.2017 und 04.09.2017 sind bereits mit den ergänzenden Stellungnahmen von Dr. B. vom 26.07.2017 und 14.12.2017 beantwortet worden. Diesen Feststellungen ist die Klägerin anschließend nicht mit Einwendungen entgegengetreten, die eine neuerliche Befragung oder gar mündliche Anhörung erforderlich gemacht hätten. Zum einen bezieht sich ihre Kritik nicht auf die von Dr. B. erhobenen Angaben und den Befund, denen sie lediglich relativierend entgegengetreten ist, sondern im Kern auf die ihrer Meinung nach unrichtige Schlussfolgerung eines danach nicht erheblich eingeschränkten Leistungsvermögens. Auch soweit sie zuletzt noch gerügt hat, dass Dr. B. die medikamentöse Schmerztherapie nicht korrekt erfasst und als unbedeutend/gelegentlich abgetan habe, ist sie auch insofern nicht den tatsächlich aufgrund der Angaben der Klägerin wiedergegebenen Ausführungen zur Medikation entgegengetreten (Ibuprofen 800 mg 2 x wöchentlich), sondern lediglich der Bewertung dieser Einnahme durch Dr. B. als gelegentlich. Die Feststellung, dass dieses Medikament von ihr nur „gelegentlich“ genommen wurde, beruht also auf den Angaben der Klägerin. Soweit Dr. B. auf bestehende Verbesserungsmöglichkeiten durch geeignete Medikation hingewiesen hat, betrifft dies die Frage einer möglichen Verbesserung des derzeitigen Zustandes, nicht aber die Beurteilung der Leistungsfähigkeit, die unter Berücksichtigung der derzeitigen Medikation erfolgt ist.

Auch unterscheiden sich die von Amts wegen eingeholten Gutachten, insbesondere das Gutachten von Dr. B., und das Gutachten von Dr. L. nicht in den erhobenen Befunden. Diese unterscheiden sich allenfalls dadurch, dass Dr. L. gegenüber der Gutachten von Amts wegen bei seiner Untersuchung eine etwas stärkere Druck- und auch Bewegungsschmerzhaftigkeit festgestellt hat. Der entscheidende Unterschied liegt aber in den hieraus gezogenen Schlüssen, die zu würdigen Aufgabe des Senats ist. So hat Dr. L. die Auffassung vertreten, bei der Klägerin zweifelsfrei eine Fibromyalgie-Erkrankung im Sinne einer körperlich manifesten Erkrankung nachgewiesen zu haben, woraus sich seiner Meinung nach bestimmte, auch im Fall der Klägerin vorliegende Symptome ergeben würden, die der Ausübung einer Berufstätigkeit entgegenstehen würden. An dieser Auffassung, die der Senat aus rechtlichen Gründen nicht teilt, hat er auch mit seiner ergänzenden Stellungnahme vom 09.10.2017 ausdrücklich festgehalten

Dr. B. hat dagegen wie die übrigen Gutachter von Amts wegen untersucht, inwieweit sich hieraus objektivierbare Leistungseinschränkungen ergeben, allerdings ohne entsprechende Leistungseinschränkungen feststellen zu können.

Die Klägerin hat auch im Termin nicht dargelegt, welche konkreten Fragen ergänzend aus ihrer Sicht noch an einen der Sachverständigen zu stellen wären.

4. Der erst mit Schriftsatz vom 13.03.2018 und damit verspätet gestellte Antrag nach § 109 SGG steht einer Entscheidung in der Sache ebenfalls nicht entgegen.

Gemäß § 109 Abs. 1 SGG ist im sozialgerichtlichen Verfahren auf Antrag des Versicherten ein bestimmter Arzt gutachtlich zu hören. Die Anhörung kann von der Einzahlung eines Kostenvorschusses abhängig gemacht werden (§ 109 Abs. 1 Satz 2 SGG). Der Antrag kann abgelehnt werden, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist (§ 109 Abs. 2 SGG). Grobe Nachlässigkeit ist das Versäumen jeder prozessualen Sorgfalt. Sie liegt regelmäßig dann vor, wenn der Versicherte oder sein Bevollmächtigter den Antrag auf gutachtliche Anhörung eines bestimmten Arztes nach § 109 SGG nicht in angemessener Frist stellt, obwohl er erkennt oder erkennen muss, dass die von Amts wegen durchzuführende Beweisaufnahme beendet ist (BSG, Urteil vom 24.03.1961, Az.: 10 RV 303/5). Das war vorliegend der Fall. Der Klägerin ist mit Schriftsatz vom 04.01.2018 die ergänzende Stellungnahme von Dr. B. übersandt und mitgeteilt worden, dass weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht vorgesehen sind. Der rechtskundigen Bevollmächtigten der Klägerin musste danach bewusst sein, dass ein Antrag gemäß § 109 SGG nur innerhalb angemessener Frist, i.d.R. von einem Monat, möglich ist (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 12. Aufl., § 109 SGG, Rn. 11). Das BSG hat eine Frist von sechs Wochen sogar als unnötig lang angesehen (Beschluss vom 10.12.1958 - 4 RJ 143/58 -). Ein formgerechter Antrag nach § 109 SGG mit Benennung eines Arztes ist aber erst im Schriftsatz vom 13.03.2018 und damit verspätet gestellt worden. Der Senat ist daher nicht gehalten, diesem Antrag nachzukommen.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt im Sinne des Erfolgsprinzips den Ausgang des Verfahrens.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 29. April 2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch des Klägers auf eine Rente wegen Erwerbsminderung streitig.
Der 1962 geborene Kläger schloss im Jahr 1982 eine Ausbildung als Tiefbaufacharbeiter ab und war in der Folgezeit in verschiedenen Arbeitsverhältnissen versicherungspflichtig beschäftigt, unterbrochen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit. Zuletzt war der Kläger als Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes vom 9. August 2010 bis zum 31. Dezember 2012 versicherungspflichtig beschäftigt. Vom 14. November 2012 bis zum 30. Januar 2013 bezog er Krankengeld, sodann vom 30. Januar 2013 bis 6. März 2013 Übergangsgeld, vom 7. März 2013 bis zum 22. September 2013 Arbeitslosengeld, vom 23. September 2013 bis zum 8. September 2014 wieder Krankengeld und sodann vom 9. September 2014 bis zum 21. Mai 2015 erneut Arbeitslosengeld.
Vom 30. Januar 2013 bis 6. März 2013 absolvierte der Kläger eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der Psychosomatischen Klinik S. W. Im Entlassungsbericht vom 14. März 2013 stellte der Leitende Arzt B. die Diagnosen einer rezidivierenden depressiven Störung mit gegenwärtig mittelgradiger Episode, eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung (impulsiver Typ) sowie einer Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr. Der Kläger wurde arbeitsfähig entlassen. Weil der Kläger auf der Suche nach einer neuen Arbeit Hilfe benötige, seien Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben beantragt worden.
Eine daraufhin von der Beklagten bewilligte, am 6. August 2013 begonnene und auf die Dauer von drei Monaten angelegte Maßnahme zur Berufsfindung und Eignungsabklärung im beruflichen Trainingszentrum R.-N. der SRH W. musste der Kläger laut der im Abschlussbericht enthaltenen fachärztlichen Stellungnahme der Psychiaterin Dr. M.-W. vom 7. November 2013 bereits am 19. August 2013 krankheitsbedingt vorzeitig abbrechen. Danach befand er sich vom 21. August 2013 bis zum 17. Oktober 2013 in stationärer Behandlung in der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Psychiatrischen Zentrums N., wo er mit den Diagnosen rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADHS), Schlafapnoe, Adipositas und Tinnitus aurium entlassen wurde (Arztbrief des leitenden Arztes L. vom 15. November 2013).
Am 9. Oktober 2013 beantragte der Kläger bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung. Im Selbsteinschätzungsbogen (M 3) gab der Kläger folgendes an: „Durch die zwölf Stunden Nachtschicht täglich war ich zuerst einmal dauernd erschöpft. Der Druck im Geschäft und das Mobbing hat mich zunehmend kranker gemacht. So war es bisher bei jeder Arbeitsstelle. Mir ging es schlecht und ich habe die Stelle gewechselt. Deshalb war ich selten länger an einem Arbeitsplatz“.
In dem von der Beklagten daraufhin eingeholten sozialmedizinischen Gutachten vom 4. Dezember 2013 stellte der Internist Dr. B. folgende Diagnosen:
- Rezidivierende depressive Störung, zuletzt mittelgradige Episode, derzeit in Teilremission.
- Erworbenes ADHS, deutlich gebessert unter Ritalin-Therapie.
- Morbide androide Adipositas ohne Begleit- oder Folgeerkrankungen.
10 
- Belastungsabhängige LWS-Beschwerden.
11 
- Ehemalige Alkoholkrankheit: Seit 1994 abstinent.
12 
Nach Entlassung aus der Rehabilitationsmaßnahme im März 2013 habe sich keine Verschlechterung ergeben. Der Kläger sei zwar nicht mehr leistungsfähig als Sicherheitsdienstmitarbeiter, aber vollschichtig leistungsfähig für rückengerechte, körperlich mittelschwere Tätigkeiten ohne besonderen Nervenstress.
13 
Mit Bescheid vom 5. Dezember 2013 lehnte die Beklagte den Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung ab. Den hiergegen am 23. Dezember 2013 eingelegten Widerspruch wies sie nach Einholung weiterer Befundberichte der behandelnden Ärzte mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juni 2014 zurück und führte u.a. aus, Hinweise auf eine aktive Alkoholkrankheit ergäben sich aus den eingeholten Berichten sowie den vorliegenden Unterlagen nicht.
14 
Hiergegen hat der Kläger am 27. Juni 2014 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens durch Dr. S., Facharzt für Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie. Im Gutachten vom 4. Dezember 2014 hat Dr. S. folgende Diagnosen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet genannt:
15 
1. Mittelgradiges depressives Syndrom auch mit reaktiven Zuflüssen bei biographischen und sozialen Belastungen.
16 
2. Ängstliche und abhängige Persönlichkeitsstörung.
17 
3. Zustand nach Alkoholabhängigkeitserkrankung, gegenwärtig gelegentlicher Konsum ohne Anhalt für eine Abhängigkeit.
18 
4. Anamnestisch ADHS, medikamentös behandelt.
19 
5. Meralgia parästhetica beidseits.
20 
Als sonstige Diagnosen hat er ein obstruktives Schlafapnoe-Syndrom mit nächtlicher Ventilationstherapie, Adipositas Grad III sowie eine Sehbehinderung genannt. Auf Wunsch des Klägers sei die Ehefrau bei der Anamneseerhebung anwesend gewesen, die körperliche Untersuchung sei alleine erfolgt. Der psychische Beschwerdekomplex habe sich nach dem sehr belastenden Ereignis am letzten Arbeitsplatz derart verstärkt, dass ein aufgehobenes Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe. Das Erleben der Gegenwart in Zusammenhang mit einer möglichen beruflichen Tätigkeit und auch der persönlichen Fähigkeiten hinsichtlich einer beruflichen Tätigkeit sei beim Kläger deutlich negativ getönt schon im Sinne einer Blockade. Es bestehe eine gegenwärtig und vorläufig deutlich erhöhte psychische Vulnerabilität, was z.B. den Umgang mit Vorgesetzten und die Zusammenarbeit in der Gruppe deutlich erschweren würde. Die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit bzw. die Teilnahme an Maßnahmen zur beruflichen Integration würden gegenwärtig und vorläufig zu einer erheblichen Exacerbation der psychischen Symptomatik führen. Das festgestellte aufgehobene Leistungsvermögen bestehe seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit am 3. Oktober 2012. Während des laufenden Rentenverfahrens habe sich keine wesentliche Änderung ergeben. Der Kläger sei jedoch noch in der Lage, mindestens viermal täglich mehr als 500 m in weniger als 20 Minuten zurückzulegen. Er könne uneingeschränkt öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten benutzen und sei auch in der Lage, einen PKW zu führen. Eine Nachuntersuchung sollte Mitte 2016 erfolgen. Der Zeitraum von anderthalb Jahren sei ausreichend lang, damit eine entsprechende Konsolidierung des psychischen Befindens erreicht werden könne.
21 
Die Beklagte ist dieser Beurteilung unter Bezugnahme auf die sozialmedizinische Stellungnahme der Fachärztin für Psychosomatische Medizin, Psychotherapie, Fachärztin für Labormedizin Dr. D. vom 9. Januar 2015 entgegengetreten. Dem von Dr. S. erhobenen Querschnittsbefund des Klägers bezüglich seiner Antriebs- und Gestaltungskompetenzen in seinem Alltag sei zu entnehmen, dass der Kläger über einen strukturierten Tagesablauf verfüge. Er kümmere sich um den Haushalt, kaufe ein, renoviere die Wohnung, kümmere sich um die fünfjährige Tochter, nehme seine eigenen Interessen wahr und gehe am Wochenende mit der Familie zum Wandern. In der ergänzenden Stellungnahme vom 6. Februar 2015 ist Dr. S. bei seiner Leistungsbeurteilung geblieben. Es könne nicht von der Alltagsgestaltung zwangsläufig auf das Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt geschlossen werden. Dieser Beurteilung hat Dr. D. in der weiteren sozialmedizinischen Stellungnahme vom 2. März 2015 widersprochen.
22 
Mit Gerichtsbescheid vom 29. April 2015 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 5. Dezember 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Juni 2014 verurteilt, dem Kläger ausgehend von einem Leistungsfall am 24. November 2014 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. Juni 2015 bis zum 30. Juni 2016 zu gewähren. Zur Begründung hat es sich auf die Beurteilung des Sachverständigen Dr. Sch. im Gutachten vom 4. Dezember 2014 gestützt. Dem stünden auch nicht die von Dr. D. genannten Einwände hinsichtlich eines strukturierten Tagesablaufs des Klägers entgegen. Diese habe die Ausführungen des Gutachters zum Teil nur beschränkt und verkürzt und damit sinnverändernd wiedergegeben. Denn der Sachverständige habe ausgeführt, der Kläger führe die genannten Tätigkeiten nur aus wie er es könne, der Kläger beschreibe ein sprunghaftes Verhalten, er fange Dinge an und beende sie nicht, manchmal mache er auch gar nichts. Die zeitliche Begrenzung beruhe darauf, dass der Sachverständige ausgeführt habe, ein Zeitraum von anderthalb Jahren seit der Begutachtung erscheine ausreichend, um eine entsprechende Konsolidierung des psychischen Befindens des Klägers zu erreichen.
23 
Gegen den am 6. Mai 2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 1. Juni 2015 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Sie trägt vor, gegen die Verwertbarkeit des von Dr. Sch. erstatteten Gutachtens spreche, dass die Ehefrau des Klägers bei der gutachterlichen Untersuchung zumindest teilweise zugegen gewesen sei und steuernd bei der Untersuchung mitgewirkt habe. Auch inhaltlich sei das Gutachten nicht schlüssig. Zudem sprächen die vom Gutachter benannten Aktivitäten des Klägers gegen eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit.
24 
Die Beklagte beantragt,
25 
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 29. April 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
26 
Der Kläger beantragt,
27 
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
28 
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Er hat weiter vorgetragen, nach Kenntnis von der Berufungseinlegung durch die Beklagte habe er einen Zusammenbruch erlitten und deshalb stationär in der Psychiatrischen Klinik der N.-O.-Kliniken M. aufgenommen werden müssen. Im dortigen Arztbrief über die stationäre Behandlung des Klägers vom 23. bis 29. Juni 2015 hat der Leitende Arzt L. die Diagnosen einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome sowie schädlichen Gebrauch von Alkohol gestellt. Der Kläger sei aufgrund fachärztlicher Einweisung bei Exacerbation einer depressiven Symptomatik zur stationären Aufnahme gekommen. Als Belastungsfaktor habe ein Rechtsstreit mit der Rentenkasse identifiziert werden können. Insgesamt sei es dem Kläger schwer gefallen, sich in das psychosomatisch-psychotherapeutische Setting zu integrieren. So habe er mehrfach den Nutzen der verordneten Therapien in Frage gestellt und wiederholt zur Teilnahme aktiviert werden müssen. Im Verlauf sei deutlich geworden, dass die Aufnahme fremdmotiviert - nämlich auf Anraten der Ehefrau - erfolgt sei und somit eine Behandlungskompliance bei fehlender Zielsetzung fragwürdig erscheine. Am 29. Juni 2015 habe der Kläger plötzlich den Wunsch nach Entlassung geäußert und angegeben, bereits am Folgetag einen Termin bei seinem behandelnden Psychotherapeuten vereinbart zu haben sowie sich regelmäßig in fachpsychiatrischer Behandlung zu befinden.
29 
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens durch Dr. H., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie, Forensische Psychiatrie, Chefarzt der Klinik für Suchttherapie am Klinikum am W. W.. Im Gutachten vom 11. Februar 2016 hat Dr. H. ausgeführt, der Kläger habe Sensibilitätsstörungen und zeitweilige Missempfindungen beklagt, die sich auf eine Meralgia parästhetica beidseits beziehen ließen. Überdauernde funktionelle Leistungseinschränkungen ergäben sich hieraus nicht; ansonsten habe sich kein neurologisches Krankheitsbild gezeigt. Auf psychiatrischem Fachgebiet sei rückblickend davon auszugehen, dass diagnostisch die Kriterien für das Vorliegen einer hyperkinetischen Störung (ICD 10 F 90.0: einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung) erfüllt worden seien. Im derzeit behandelten Zustand sei keine persistierende Symptomatik dieser Störung aufgefallen, insbesondere hätten sich auch keine Störungen der Aufmerksamkeit und Konzentration gezeigt. In der Vergangenheit seien ohne Zweifel die Kriterien für das Vorliegen einer Alkoholabhängigkeit erfüllt gewesen, aktuell berichte der Kläger über einen unregelmäßig stattfindenden Alkoholkonsum drei- bis viermal im Monat. Die Kriterien für das Vorliegen eines schädlichen Gebrauchs würden nicht eindeutig erfüllt, Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Abhängigkeit hätten sich nicht ergeben. Weiter liege eine depressive Erkrankung vor bei aktuell leichter depressiver Episode im Grenzbereich zu einer mittelgradigen depressiven Episode. Die Kriterien für das Vorliegen einer mittelgradigen depressiven Episode seien nicht in vollem Umfang erfüllt, eine schwere depressive Episode liege nicht vor. Ein phasenhafter Krankheitsverlauf im Sinne einer rezidivierenden depressiven Störung habe sich auch auf ausdrückliches Nachfragen nicht herausarbeiten lassen. Eine Erkrankung aus dem Spektrum der somatoformen Störungen habe sich ebenso wenig nachweisen lassen wie eine Angsterkrankung oder eine posttraumatische Belastungsstörung oder eine Persönlichkeitsstörung von Krankheitswert. Kognitive Leistungseinschränkungen lägen nicht vor; Auffassung, Konzentration, Durchhaltevermögen und Gedächtnis seien intakt. Zu vermeiden seien Akkordarbeit, Nachtarbeit oder Arbeiten unter besonderem Zeitdruck. Gleiches gelte für besonders hohe Ansprüche an Auffassung und Konzentration sowie für besonders hohe Verantwortung und besonders hohe geistige Beanspruchung. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen sei der Kläger noch in der Lage, die noch möglichen Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Besondere Arbeitsbedingungen wie vermehrte Arbeitspausen oder eine besondere Gestaltung des Arbeitsplatzes seien nicht erforderlich. Eine wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes und der Leistungsfähigkeit im Zuge des laufenden Rentenverfahrens sei nicht zu erkennen.
30 
Nachdem der Kläger hiergegen eingewandt hatte, es sei nicht erkennbar, welche Kriterien der Sachverständige hinsichtlich des Problemkreises „schädlicher Gebrauch von Alkohol“ angewandt habe und auch die maßgeblichen Kriterien für das Vorliegen einer mittelgradigen depressiven Episode nicht benannt worden seien, so dass nicht nachvollziehbar sei, ob eine vollständige Überprüfung erfolgt sei, hat Dr. H. in der ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 17. Mai 2016 ausgeführt, die Diagnose eines schädlichen Gebrauchs von Alkohol erfordere eine tatsächliche Schädigung der psychischen oder physischen Gesundheit des Konsumenten. Dies habe sich nicht nachweisen lassen. Im Hinblick auf depressive Episoden jedweden Schweregrades werde im ICD 10 zunächst eine gedrückte Stimmung, ein Interessenverlust, eine Freudlosigkeit und eine Verminderung des Antriebs aufgeführt, wobei die Verminderung der Energie zur erhöhten Ermüdbarkeit und Aktivitätseinschränkung führe und deutliche Müdigkeit oft nach nur kleinen Anstrengungen aufträten. Des Weiteren seien folgende sieben Symptome aufgeführt:
31 
1. Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit.
32 
2. Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen.
33 
3.Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit (sogar bei leichten depressiven Episoden).
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4. Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven.
35 
5. Gedanken oder erfolgte Selbstverletzung oder Suizidhandlungen.
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6. Schlafstörungen.
37 
7. Verminderter Appetit.
38 
Die Stellung der Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode setze gemäß ICD 10 voraus, dass einige Symptome in ihrem Schweregrad besonders ausgeprägt seien oder dass durchgehend ein besonders weites Spektrum von Symptomen vorhanden sei. Diese Bedingungen seien beim Kläger nicht erfüllt.
39 
Der Senat hat weiter die behandelnden Therapeuten des Klägers als sachverständige Zeugen gehört. Der Psychotherapeut, Familientherapeut E. hat in der sachverständigen Zeugenaussage vom 20. Mai 2016 ausgeführt, der Kläger komme seit dem 5. Februar 2014 regelmäßig im Abstand von zwei bis drei Wochen in seine Praxis. Es hätten ausschließlich psychotherapeutische Gespräche stattgefunden. Als Diagnosen hat er eine rezidivierende depressive Störung, ein ADHS sowie Adipositas gestellt. Er habe beim Kläger immer dann Verschlechterungen des Gesundheitszustands feststellen können, wenn deutliche Anforderungen an ihn gestellt worden seien (z.B. Teilnahme an angeordneten Gutachten, Besuche bei Behörden oder Ärzten, Anforderungen seitens des Arbeitsamtes). Zudem habe der Kläger zeitweise einen problematischen Alkoholgebrauch, auch im Zusammenhang mit den an ihn gestellten Anforderungen. Mitte 2015 bis Ende 2015 habe der Kläger leichte Fortschritte bezüglich seiner familiären Situation gemacht. Er habe sich mehr um seine Tochter kümmern und leichte Aufgaben im Haushalt übernehmen können. Seit Anfang des Jahres (mit Beginn einer weiteren Verschärfung seines Rechtsstreits mit der Rentenkasse) seien diese Fortschritte akut wieder in Gefahr. Der Facharzt für Psychiatrie Dr. J. hat in der sachverständigen Zeugenaussage vom 17. Mai 2016 angegeben, der Kläger habe vom 18. Oktober 2012 bis 28. Januar 2016 in seiner Behandlung gestanden, zunächst wegen massiver Arbeitsplatzkonflikte mit dem direkten Vorgesetzten. Beim Erstkontakt habe eine agitiert-depressive Symptomatik bei vermutlich impulsiver Primärpersönlichkeit sowie derzeit zunehmende Alkoholabhängigkeit bestanden ohne Psychose oder Störungen der Kognition. Am 22. Juni 2015 habe ein agitiert-depressives Syndrom mit innerer Unruhe, dem Gefühl der Rastlosigkeit und des Getriebenseins mit ängstlich-sorgenvoller Stimmung, Ein- und Durchschlafstörungen mit morgendlichem Früherwachen und vielen Alpträumen bestanden. Bei der letzten Konsultation am 28. Januar 2016 sei der Kläger leicht dysphorisch, ratlos und resignativ gewesen. Der psychische Zustand habe sich als fluktuierend und das Befinden subjektiv als sehr schwankend herausgestellt. Eine abschließende Beurteilung über den gesamten Behandlungsverlauf sei nicht möglich, da der Kläger nach Abschluss der tagesklinischen Behandlung im Krankenhaus M. dort in der Psychiatrischen Institutsambulanz weiterbehandelt worden sei. Beigefügt war der Laborbefund vom 30. Juli 2015.
40 
Die Beklagte hat hierzu vorgetragen, eine adäquate medikamentöse Therapie der psychischen Erkrankungen finde nicht statt, der Kläger schöpfe medikamentöse Behandlungsoptionen nicht aus. Auch könne der im Bericht der N.-O.-Kliniken als Belastungsfaktor in den Vordergrund gerückte Rechtsstreit mit der „Rentenkasse“ keinen Rentenanspruch begründen.
41 
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
42 
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
43 
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 144 Abs. 1 Satz 2, 151 Abs. 1 SGG) der Beklagten, über die der Senat ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist begründet.
44 
Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist der Bescheid vom 5. Dezember 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Juni 2014 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab dem 1. Oktober 2013 abgelehnt hat. Dagegen wendet sich der Kläger statthaft mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG) und begehrt die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) macht der Kläger zu Recht nicht geltend, da er am 24. Dezember 1962 geboren ist und deshalb nicht zum Kreis der Anspruchsberechtigten gehört (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).
45 
Die Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg.
46 
Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung gemäß Gesetz vom 20. April 2007 [BGBl. I, S. 554] haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind auch Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt (§ 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI). Versicherte haben nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn neben den oben genannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen eine teilweise Erwerbsminderung vorliegt. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
47 
Der Kläger hat die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren sowie die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bezogen auf den Zeitpunkt der Rentenantragstellung erfüllt, was auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist. Der Kläger ist jedoch nicht erwerbsgemindert.
48 
Auf nervenärztlichem Gebiet besteht beim Kläger eine depressive Erkrankung mit phasenweise leichter bis mittelgradiger Ausprägung. Darüber hinaus bestehen eine hyperkinetische Störung in Form eines ADHS (ICD 10 F 90.0: Einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung), die medikamentös behandelt wird. Eine in der Vergangenheit vorliegende Alkoholabhängigkeit liegt nach Therapie im Jahr 1994 und anschließender 14-jähriger Abstinenz nicht mehr vor. Der Kläger trinkt zwar wieder drei- bis viermal monatlich Alkohol (nach seinen Angaben ein bis zwei Glas Wein oder zwei Gläser Rum mit Cola). Die Kriterien für das Vorliegen einer Abhängigkeit oder eines schädlichen Gebrauchs werden hierdurch jedoch nicht erfüllt, wie Dr. H. überzeugend ausgeführt hat. Auf neurologischem Fachgebiet besteht eine Meralgia parästhetica beidseits in Form von Sensibilitätsstörungen und zeitweiligen Missempfindungen; hieraus ergeben sich jedoch keine überdauernden funktionellen Leistungseinschränkungen. Weiter bestehen ein Schlafapnoe-Syndrom, das mit einer nächtlichen Atemmaske behandelt wird, sowie Adipositas. Darüber hinaus liegen belastungsabhängige LWS-Beschwerden vor, die jedoch keine Behandlungsbedürftigkeit begründen.
49 
Der Kläger ist damit noch in der Lage, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung und ohne besondere Stressbelastung im Umfang von zumindest sechs Stunden arbeitstäglich in Normalschicht auszuüben. Der Senat stützt sich hierbei auf das von Dr. B. im Verwaltungsverfahren erstellte Gutachten vom 4. Dezember 2013, das im Wege des Urkundenbeweises verwertet wird, sowie das von Dr. H. am 11. Februar 2016 erstellte nervenärztliche Gutachten und dessen ergänzende gutachterliche Stellungnahme vom 17. Mai 2016.
50 
Soweit Dr. Sch. im Gutachten vom 4. Dezember 2014 zu der Beurteilung gelangt ist, das berufliche Leistungsvermögen des Klägers sei derzeit aufgehoben, folgt dem der Senat nicht. Gegen das Gutachten bestehen schon methodische Bedenken, da die Ehefrau des Klägers bei der Anamneseerhebung anwesend war. Soweit der Klägervertreter hierzu vorgetragen hat, der Kläger habe ein Recht auf Anwesenheit eines Beistandes anlässlich der Untersuchung (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Februar 2010 - L 31 R 1292/09 B; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 23. Februar 2006 - L 4 B 33/06 SB; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. Juli 2006 - L 5 KR 39/05), betrifft dies andere Sachverhalte und ist in dieser Allgemeinheit auch nicht zutreffend. Das LSG Berlin-Brandenburg hat in der angeführten Entscheidung vielmehr gerade ausgeführt, es entspreche den Regeln der psychiatrischen Begutachtung, die Anwesenheit Dritter bei der Exploration abzulehnen (LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O. - juris Rdnr. 5). Dies entspricht auch dem Stand der Wissenschaft. Bei der psychiatrischen Begutachtung ist grundsätzlich die Anwesenheit dritter Personen während der Exploration und der Untersuchung kontraproduktiv und kann den Aufbau einer Beziehung zwischen Proband und Gutachter stören. Dabei ist auch zu bedenken, dass bei Anwesenheit von Angehörigen die Mitteilungen des Probanden verfälscht sein können, sodass diese Personen während des gutachtlichen Gesprächs nicht anwesend sein sollten (Ventzlaff/Förster, Psychiatrische Begutachtung, 6. Aufl. 2015, S. 17). Vielmehr kann vor oder nach der Exploration mit den Angehörigen gesprochen werden. Selbst bei der grundsätzlich möglichen Anwesenheit eines Prozessvertreters bei der gutachtlichen Untersuchung ist jedoch vorab eindeutig abzustimmen, dass die Rechtsvertreter bzw. Beistände zuhören, aber keinesfalls in das Gespräch eingreifen (Ventzlaff/Förster, a.a.O.). Diese Kriterien an eine gutachterliche Untersuchung erfüllt das von Dr. Sch. erstattete Gutachten nicht, da dieser im Rahmen der Exploration des Klägers auch dessen Ehefrau miteinbezogen hat.
51 
Gegen das Vorliegen einer durchgehenden schwerwiegenderen Depression, welche der Ausübung einer sechsstündigen Tätigkeit entgegenstehen könnte, spricht zudem, dass eine medikamentöse Therapie insoweit nicht durchgeführt wird. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) werden psychische Erkrankungen erst dann rentenrechtlich relevant, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant und stationär) davon auszugehen ist, dass ein Versicherter die psychischen Einschränkungen dauerhaft nicht überwinden kann, und zwar weder aus eigener Kraft noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe (BSG, Urteil vom 12. September 1990 - 5 RJ 88/89; Urteil vom 29. Februar 2006 - B 13 RJ 31/05; Bayerisches LSG, Urteil vom 21. Januar 2015 - L 19 R 394/10 - alle juris). Die möglichen Behandlungsoptionen sind insoweit nicht ausgeschöpft. Insoweit fand bei der Aufnahme in die N.-O.-Kliniken am 23. Juni 2015 lediglich eine Medikation mit ASS 100 und Medikinet statt, jedoch keine Medikation wegen der depressiven Erkrankung.
52 
Auch der von Dr. H. erhobene Tagesablauf hat keine Hinweise auf eine schwerwiegendere Depression ergeben. Wenn seine Frau in Frühschicht arbeitet, steht der Kläger mit ihr um 5.00 Uhr auf. An Tagen mit Spätschicht steht er um 6.30 Uhr auf und richtet die Tochter für die Schule. Sodann versorgt er den Haushalt und ist am PC, um sich zu informieren, zu lesen und Rollenspiele zu spielen, und zwar teilweise mehrere Stunden. Am Mittag kocht er für die Familie. Den Nachmittag verbringt er wieder häufig mit Rollenspielen am PC. Die Wochenenden werden verbracht mit gemeinsamen familiären Aktivitäten, letztlich limitiert durch die finanziellen Verhältnisse. Beim Kläger ist es zwar im Zusammenhang mit dem Verlust des letzten Arbeitsplatzes zu einer krisenhaften Situation gekommen. Auslöser waren die sehr hohe zeitliche Belastung mit langen Schichtzeiten und unregelmäßigen Diensten (Dreischichtdienst), verbunden mit langen Gehstrecken bis zu 15 km während einer Schicht, die Konfliktsituation mit einem Vorgesetzten sowie die Nichtverlängerung des Zeitarbeitsvertrages. Aus der anschließenden Rehabilitationsmaßnahme ist der Kläger jedoch arbeitsfähig und damit mit einem Leistungsvermögen von sechs Stunden arbeitstäglich entlassen worden. Die Berufsfindungsmaßnahme im SRH W. hat der Kläger ausweislich der fachärztlichen Stellungnahme der Dr. M.-W. vom 7. November 2013 wegen somatischer Beschwerden abgebrochen. Bei der nachfolgenden stationären Behandlung in den N.-O.-Kliniken ist erstmals ein ADHS diagnostiziert und die Behandlung mit Medikinet begonnen worden, worauf sich eine zügige deutliche Besserung der Symptomatik gezeigt hat, die auch vom Kläger bestätigt worden ist und die auch der sachverständigen Zeugenaussage des behandelnden Arztes Dr. J. vom 17. Mai 2016 entnommen werden kann. Dieser hat denn auch als Befund bei der letzten Konsultation am 28. Januar 2016 lediglich angegeben, der Kläger sei leicht dysphorisch, ratlos und resignativ, eine schwerwiegendere Depression hat er dagegen nicht bescheinigt. Zur Überzeugung des Senats hat es sich damit um eine einmalige Episode im Zusammenhang mit der Beendigung des letzten Arbeitsverhältnisses gehandelt.
53 
Zusammenfassend sind dem Kläger somit körperlich mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in wechselnder Körperhaltung ohne Akkordarbeit oder Nachtschicht, besonderen Zeitdruck und ohne hohe Ansprüche an Auffassung und Konzentration sowie ohne besonders hohe Verantwortung oder geistige Beanspruchung noch mindestens sechs Stunden täglich möglich. Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 - B 5 R 68/11 R - juris) liegen beim Kläger nicht vor. Die genannten qualitativen Einschränkungen sind weder in ihrer Art noch in ihrer Summe geeignet, die Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes zu begründen. Im Regelfall kann davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der nach seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch körperlich leichte Tätigkeiten (wenn auch mit qualitativen Einschränkungen) mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen erwerbstätig sein kann. Denn dem Versicherten ist es mit diesem Leistungsvermögen in der Regel möglich, diejenigen Verrichtungen auszuführen, die in ungelernten Tätigkeiten in der Regel gefordert werden, wie z. B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw. (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. Urteil vom 19. Oktober 2011 - B 13 R 79/09 R - BSGE 109, 189). Auch die Wegefähigkeit des Klägers ist nicht eingeschränkt. Mit dem festgestellten Leistungsvermögen ist er somit weder voll noch teilweise erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI.
54 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
55 
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.

Gründe

 
43 
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 144 Abs. 1 Satz 2, 151 Abs. 1 SGG) der Beklagten, über die der Senat ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist begründet.
44 
Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist der Bescheid vom 5. Dezember 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Juni 2014 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab dem 1. Oktober 2013 abgelehnt hat. Dagegen wendet sich der Kläger statthaft mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG) und begehrt die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) macht der Kläger zu Recht nicht geltend, da er am 24. Dezember 1962 geboren ist und deshalb nicht zum Kreis der Anspruchsberechtigten gehört (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).
45 
Die Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg.
46 
Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung gemäß Gesetz vom 20. April 2007 [BGBl. I, S. 554] haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind auch Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt (§ 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI). Versicherte haben nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn neben den oben genannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen eine teilweise Erwerbsminderung vorliegt. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
47 
Der Kläger hat die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren sowie die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bezogen auf den Zeitpunkt der Rentenantragstellung erfüllt, was auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist. Der Kläger ist jedoch nicht erwerbsgemindert.
48 
Auf nervenärztlichem Gebiet besteht beim Kläger eine depressive Erkrankung mit phasenweise leichter bis mittelgradiger Ausprägung. Darüber hinaus bestehen eine hyperkinetische Störung in Form eines ADHS (ICD 10 F 90.0: Einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung), die medikamentös behandelt wird. Eine in der Vergangenheit vorliegende Alkoholabhängigkeit liegt nach Therapie im Jahr 1994 und anschließender 14-jähriger Abstinenz nicht mehr vor. Der Kläger trinkt zwar wieder drei- bis viermal monatlich Alkohol (nach seinen Angaben ein bis zwei Glas Wein oder zwei Gläser Rum mit Cola). Die Kriterien für das Vorliegen einer Abhängigkeit oder eines schädlichen Gebrauchs werden hierdurch jedoch nicht erfüllt, wie Dr. H. überzeugend ausgeführt hat. Auf neurologischem Fachgebiet besteht eine Meralgia parästhetica beidseits in Form von Sensibilitätsstörungen und zeitweiligen Missempfindungen; hieraus ergeben sich jedoch keine überdauernden funktionellen Leistungseinschränkungen. Weiter bestehen ein Schlafapnoe-Syndrom, das mit einer nächtlichen Atemmaske behandelt wird, sowie Adipositas. Darüber hinaus liegen belastungsabhängige LWS-Beschwerden vor, die jedoch keine Behandlungsbedürftigkeit begründen.
49 
Der Kläger ist damit noch in der Lage, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung und ohne besondere Stressbelastung im Umfang von zumindest sechs Stunden arbeitstäglich in Normalschicht auszuüben. Der Senat stützt sich hierbei auf das von Dr. B. im Verwaltungsverfahren erstellte Gutachten vom 4. Dezember 2013, das im Wege des Urkundenbeweises verwertet wird, sowie das von Dr. H. am 11. Februar 2016 erstellte nervenärztliche Gutachten und dessen ergänzende gutachterliche Stellungnahme vom 17. Mai 2016.
50 
Soweit Dr. Sch. im Gutachten vom 4. Dezember 2014 zu der Beurteilung gelangt ist, das berufliche Leistungsvermögen des Klägers sei derzeit aufgehoben, folgt dem der Senat nicht. Gegen das Gutachten bestehen schon methodische Bedenken, da die Ehefrau des Klägers bei der Anamneseerhebung anwesend war. Soweit der Klägervertreter hierzu vorgetragen hat, der Kläger habe ein Recht auf Anwesenheit eines Beistandes anlässlich der Untersuchung (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Februar 2010 - L 31 R 1292/09 B; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 23. Februar 2006 - L 4 B 33/06 SB; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. Juli 2006 - L 5 KR 39/05), betrifft dies andere Sachverhalte und ist in dieser Allgemeinheit auch nicht zutreffend. Das LSG Berlin-Brandenburg hat in der angeführten Entscheidung vielmehr gerade ausgeführt, es entspreche den Regeln der psychiatrischen Begutachtung, die Anwesenheit Dritter bei der Exploration abzulehnen (LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O. - juris Rdnr. 5). Dies entspricht auch dem Stand der Wissenschaft. Bei der psychiatrischen Begutachtung ist grundsätzlich die Anwesenheit dritter Personen während der Exploration und der Untersuchung kontraproduktiv und kann den Aufbau einer Beziehung zwischen Proband und Gutachter stören. Dabei ist auch zu bedenken, dass bei Anwesenheit von Angehörigen die Mitteilungen des Probanden verfälscht sein können, sodass diese Personen während des gutachtlichen Gesprächs nicht anwesend sein sollten (Ventzlaff/Förster, Psychiatrische Begutachtung, 6. Aufl. 2015, S. 17). Vielmehr kann vor oder nach der Exploration mit den Angehörigen gesprochen werden. Selbst bei der grundsätzlich möglichen Anwesenheit eines Prozessvertreters bei der gutachtlichen Untersuchung ist jedoch vorab eindeutig abzustimmen, dass die Rechtsvertreter bzw. Beistände zuhören, aber keinesfalls in das Gespräch eingreifen (Ventzlaff/Förster, a.a.O.). Diese Kriterien an eine gutachterliche Untersuchung erfüllt das von Dr. Sch. erstattete Gutachten nicht, da dieser im Rahmen der Exploration des Klägers auch dessen Ehefrau miteinbezogen hat.
51 
Gegen das Vorliegen einer durchgehenden schwerwiegenderen Depression, welche der Ausübung einer sechsstündigen Tätigkeit entgegenstehen könnte, spricht zudem, dass eine medikamentöse Therapie insoweit nicht durchgeführt wird. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) werden psychische Erkrankungen erst dann rentenrechtlich relevant, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant und stationär) davon auszugehen ist, dass ein Versicherter die psychischen Einschränkungen dauerhaft nicht überwinden kann, und zwar weder aus eigener Kraft noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe (BSG, Urteil vom 12. September 1990 - 5 RJ 88/89; Urteil vom 29. Februar 2006 - B 13 RJ 31/05; Bayerisches LSG, Urteil vom 21. Januar 2015 - L 19 R 394/10 - alle juris). Die möglichen Behandlungsoptionen sind insoweit nicht ausgeschöpft. Insoweit fand bei der Aufnahme in die N.-O.-Kliniken am 23. Juni 2015 lediglich eine Medikation mit ASS 100 und Medikinet statt, jedoch keine Medikation wegen der depressiven Erkrankung.
52 
Auch der von Dr. H. erhobene Tagesablauf hat keine Hinweise auf eine schwerwiegendere Depression ergeben. Wenn seine Frau in Frühschicht arbeitet, steht der Kläger mit ihr um 5.00 Uhr auf. An Tagen mit Spätschicht steht er um 6.30 Uhr auf und richtet die Tochter für die Schule. Sodann versorgt er den Haushalt und ist am PC, um sich zu informieren, zu lesen und Rollenspiele zu spielen, und zwar teilweise mehrere Stunden. Am Mittag kocht er für die Familie. Den Nachmittag verbringt er wieder häufig mit Rollenspielen am PC. Die Wochenenden werden verbracht mit gemeinsamen familiären Aktivitäten, letztlich limitiert durch die finanziellen Verhältnisse. Beim Kläger ist es zwar im Zusammenhang mit dem Verlust des letzten Arbeitsplatzes zu einer krisenhaften Situation gekommen. Auslöser waren die sehr hohe zeitliche Belastung mit langen Schichtzeiten und unregelmäßigen Diensten (Dreischichtdienst), verbunden mit langen Gehstrecken bis zu 15 km während einer Schicht, die Konfliktsituation mit einem Vorgesetzten sowie die Nichtverlängerung des Zeitarbeitsvertrages. Aus der anschließenden Rehabilitationsmaßnahme ist der Kläger jedoch arbeitsfähig und damit mit einem Leistungsvermögen von sechs Stunden arbeitstäglich entlassen worden. Die Berufsfindungsmaßnahme im SRH W. hat der Kläger ausweislich der fachärztlichen Stellungnahme der Dr. M.-W. vom 7. November 2013 wegen somatischer Beschwerden abgebrochen. Bei der nachfolgenden stationären Behandlung in den N.-O.-Kliniken ist erstmals ein ADHS diagnostiziert und die Behandlung mit Medikinet begonnen worden, worauf sich eine zügige deutliche Besserung der Symptomatik gezeigt hat, die auch vom Kläger bestätigt worden ist und die auch der sachverständigen Zeugenaussage des behandelnden Arztes Dr. J. vom 17. Mai 2016 entnommen werden kann. Dieser hat denn auch als Befund bei der letzten Konsultation am 28. Januar 2016 lediglich angegeben, der Kläger sei leicht dysphorisch, ratlos und resignativ, eine schwerwiegendere Depression hat er dagegen nicht bescheinigt. Zur Überzeugung des Senats hat es sich damit um eine einmalige Episode im Zusammenhang mit der Beendigung des letzten Arbeitsverhältnisses gehandelt.
53 
Zusammenfassend sind dem Kläger somit körperlich mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in wechselnder Körperhaltung ohne Akkordarbeit oder Nachtschicht, besonderen Zeitdruck und ohne hohe Ansprüche an Auffassung und Konzentration sowie ohne besonders hohe Verantwortung oder geistige Beanspruchung noch mindestens sechs Stunden täglich möglich. Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 - B 5 R 68/11 R - juris) liegen beim Kläger nicht vor. Die genannten qualitativen Einschränkungen sind weder in ihrer Art noch in ihrer Summe geeignet, die Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes zu begründen. Im Regelfall kann davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der nach seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch körperlich leichte Tätigkeiten (wenn auch mit qualitativen Einschränkungen) mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen erwerbstätig sein kann. Denn dem Versicherten ist es mit diesem Leistungsvermögen in der Regel möglich, diejenigen Verrichtungen auszuführen, die in ungelernten Tätigkeiten in der Regel gefordert werden, wie z. B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw. (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. Urteil vom 19. Oktober 2011 - B 13 R 79/09 R - BSGE 109, 189). Auch die Wegefähigkeit des Klägers ist nicht eingeschränkt. Mit dem festgestellten Leistungsvermögen ist er somit weder voll noch teilweise erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI.
54 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
55 
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 2011 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 10. Dezember 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit gewähren muss.

2

Die 1954 geborene Klägerin hat keine Schule besucht und keinen Beruf erlernt. Sie ist auch in ihrer türkischen Muttersprache (primäre) Analphabetin, weil sie keine Zahlen kennt, nur minimale Buchstabenkenntnisse besitzt und deshalb selbst mit fremder Hilfe weder lesen noch schreiben kann. In Deutschland arbeitete sie ab November 1987 bis zum Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit im September 2004 durchgehend als Reinigungskraft bei der Stadt B.

3

Sie leidet an einer Wirbelsäulenerkrankung ohne neurologische Ausfallerscheinungen, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und einer depressiven Erkrankung. Trotz dieser Krankheiten kann sie noch körperlich leichte Tätigkeiten sechs (und mehr) Stunden an fünf Tagen in der Woche regelmäßig verrichten. Auszuschließen sind Arbeiten mit Knien, Hocken, häufigem Bücken, über Kopf, mit Besteigen von Leitern und Gerüsten, unter Umwelteinflüssen (wie Kälte, Hitze, Temperaturschwankungen, Nässe, Staub, Gas, Dampf, Rauch, Lärm, Schmutzeinwirkung), in Wechsel- und Nachtschicht, unter zeitlichem Druck, wie bei Akkord- oder Fließbandarbeit, sowie mit häufigem Publikumsverkehr. Der Analphabetismus der Klägerin beruht nicht auf einer gesundheitlichen Störung.

4

Ihren Antrag vom 21.6.2005 auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit lehnte die Beklagte ab, weil sie noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein könne (Bescheid vom 22.9.2005 und Widerspruchsbescheid vom 6.1.2006). Die Klage blieb erfolglos (Urteil des SG Detmold vom 10.12.2007).

5

Das LSG hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgehend von einem am 21.6.2005 eingetretenen Leistungsfall befristet bis zum 31.1.2014 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen (Urteil vom 21.2.2011): Die Klägerin habe die allgemeine Wartezeit zurückgelegt, erfülle die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen und sei voll erwerbsgemindert. Denn ihr sei der Arbeitsmarkt unter dem Gesichtspunkt einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen praktisch verschlossen. Zwar seien die qualitativen Leistungseinschränkungen nach der Rechtsprechung des 5. Senats des BSG, der sich der erkennende Senat anschließe, nicht ungewöhnlich und ließen für sich allein noch keine ernstlichen Zweifel daran aufkommen, dass die Klägerin in einem Betrieb einsetzbar sei. Gleichwohl seien keine beruflichen Tätigkeiten ersichtlich, die sie auf der Grundlage ihres Restleistungsvermögens und ihres muttersprachlichen Analphabetismus noch verrichten könne. Der Analphabetismus sei bei der Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliege, zu berücksichtigen, wenn das weite Feld der Tätigkeiten, die die Fähigkeit des Lesens und Schreibens nicht unbedingt erforderten, aufgrund weiterer Leistungseinschränkungen und der Beschränkung des Restleistungsvermögens auf nur leichte Arbeiten nicht mehr zweifelsfrei offenstehe. Eine realistische Verwertung des Restleistungsvermögens im Erwerbsleben setze voraus, dass eine Verweisungstätigkeit den Kräften und Fähigkeiten des Versicherten entspreche, wodurch sichergestellt werde, dass keine vom tatsächlichen Leistungsvermögen losgelöste, also fiktive Verweisung erfolge. Eine konkrete Verweisungstätigkeit, die die Klägerin mit den verbliebenen Fähigkeiten noch verrichten könne, sei indes nicht ersichtlich. Die Tätigkeiten als Museumswärterin/Aufseherin, Küchenhilfe, Büglerin, Mitarbeiterin in einer Mangel, Warensortiererin in der Kunststoff- und Metallindustrie oder in der Papier- und Elektroindustrie, die die Beklagte benannt habe, könne die Klägerin teils aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen, teils aufgrund des Analphabetismus nicht mehr ausüben.

6

Mit der Revision, die das LSG zugelassen hat, rügt die Beklagte eine Verletzung von § 43 SGB VI: Nach der Rechtsprechung des BSG sei in der Regel davon auszugehen, dass Versicherte, die noch körperlich leichte Tätigkeiten- wenngleich mit qualitativen Einschränkungen - täglich mindestens sechs Stunden verrichten könnten, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den dort üblichen Bedingungen erwerbstätig sein könnten. Eine konkrete Verweisungstätigkeit sei in dieser Situation nur zu benennen, wenn ausnahmsweise eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliege. Das LSG führe jedoch selbst nachvollziehbar aus, dass sämtliche Leistungseinschränkungen der Klägerin nicht ungewöhnlich seien und für sich allein keine ernstlichen Zweifel daran aufkommen ließen, dass sie in einem Betrieb einsetzbar sei. Bei der Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliege, müsse ihr Analphabetismus außer Acht bleiben. Denn er beruhe nicht auf einer gesundheitlichen Störung oder auf intellektuellen Defiziten, sondern darauf, dass sie keine Schule besucht und deshalb weder Lesen noch Schreiben erlernt habe. Ein solcher Analphabetismus sei als Bildungsdefizit und nicht als Erwerbsminderung auslösende Krankheit oder Behinderung zu werten. Soweit sich das Berufungsgericht für seine gegenteilige Ansicht auf das Senatsurteil vom 10.12.2003 (B 5 RJ 64/02 R - SozR 4-2600 § 44 Nr 1) stütze, stehe diese Entscheidung nicht mit dem Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996 (GS 2/95 - BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8) in Einklang. Danach sei es ausgeschlossen, "einen arbeitslosen Versicherten, der noch vollschichtig arbeiten" könne, "deshalb als erwerbsunfähig anzusehen, weil neben den gesundheitlichen Einschränkungen Risikofaktoren wie Langzeitarbeitslosigkeit und vorgerücktes Alter oder mangelhafte Ausbildung die Vermittlungschancen zusätzlich" erschwerten. Analphabetismus sei jedoch nichts anderes als "mangelnde Ausbildung". Für die Überwindung des Analphabetismus seien nicht die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern die Bundesagentur für Arbeit, die Grundsicherungsträger sowie die Kommunen und Länder zuständig; das daraus resultierende Arbeitsmarktrisiko dürfe nicht auf die Rentenversicherungsträger verlagert werden. Soweit die Rechtsprechung schließlich zwischen Analphabetismus und mangelnden Deutschkenntnissen unterscheide, sei diese Differenzierung inkonsequent. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl Senatsurteil vom 15.5.1991 - 5 RJ 92/89 - BSGE 68, 288 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 11) müssten unzureichende Deutschkenntnisse bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit außer Acht bleiben, weil dem Rentenversicherungsträger sonst ein von der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erfasstes Risiko aufgebürdet werde. Nichts anderes müsse für Analphabetismus gelten. Dass der Klägerin der Zugang zum Arbeitsmarkt wegen ihres Analphabetismus erschwert sei, könne ebenso wenig wie der Umstand berücksichtigt werden, dass sie aufgrund mangelhafter deutscher Sprachkenntnisse nicht ausreichend kommunizieren könne.

7

Die Beklagte beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 2011 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 10. Dezember 2007 zurückzuweisen.

8

Die Klägerin beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

9

Sie trägt vor: Aufgrund einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen erfülle sie die Voraussetzungen einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, wobei ihr Analphabetismus zu berücksichtigen sei. Als primäre Analphabetin sei sie auf dem Arbeitsmarkt, unter Hinzutreten weiterer ungewöhnlicher Erschwernisse, schlichtweg nicht (mehr) vermittelbar und könne auch auf Alternativtätigkeiten nicht (mehr) verwiesen werden. Selbst wenn man den primären Analphabetismus außer Acht ließe, seien zumutbare Verweisungstätigkeiten weder ersichtlich noch von der Beklagten benannt worden. Vor dem Hintergrund bestehender Fürsorgepflicht hätte die Beklagte durch Rehabilitations- bzw Förderungsmaßnahmen dem Analphabetismus entgegenwirken und hierdurch eine Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt wiederherstellen müssen.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Das Urteil des LSG verletzt Bundesrecht (§ 162 SGG). Der Klägerin steht kein Recht auf Rente wegen Erwerbsminderung zu.

11

1. Als Anspruchsgrundlage kommt allein § 43 Abs 2 SGB VI in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.2.2002 (BGBl I 754) in Betracht (§ 300 Abs 1 SGB VI). Danach haben Versicherte bei Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (Abs 2 S 1 Nr 2 und 3) bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Abs 2 S 1 Nr 1). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Abs 2 S 2). Erwerbsgemindert ist hingegen nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Abs 3). Nach § 102 Abs 2 S 1 SGB VI werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, zu denen auch die Rente wegen voller Erwerbsminderung zählt(§ 33 Abs 3 Nr 2 SGB VI), auf Zeit geleistet. Die Befristung (§ 32 Abs 2 Nr 1 SGB X) erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn (§ 102 Abs 2 S 2 iVm § 101 Abs 1 SGB VI) und kann wiederholt werden (§ 102 Abs 2 S 3 SGB VI in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.2.2002, BGBl I 754).

12

2. Nach den Feststellungen des LSG, die nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angefochten und deshalb für den Senat bindend sind (§ 163 SGG), kann die Klägerin körperlich leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden (arbeits)täglich, dh an fünf Tagen in der Woche, verrichten. Dieses zeitliche (quantitative) Leistungsvermögen schließt die Annahme einer "vollen Erwerbsminderung" gemäß § 43 Abs 3 Halbs 1 SGB VI aber noch nicht aus. Vielmehr kommt es nach dieser Vorschrift iVm § 43 Abs 2 S 2 SGB VI entscheidend darauf an, ob die Klägerin "wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande" ist, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts … erwerbstätig zu sein". Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

13

Die Rentenversicherungsträger und im Streitfall die Tatsachengerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben von Amts wegen (§ 20 Abs 1 S 1 SGB X, § 103 SGG) mit Hilfe (medizinischer) Sachverständiger (§ 21 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB X, § 106 Abs 3 Nr 5 SGG) zu ermitteln und festzustellen,

        

a)    

Art, Ausprägung und voraussichtliche Dauer der Krankheit(en) oder Behinderung(en), an denen der Versicherte leidet,

        

b)    

Art, Umfang und voraussichtliche Dauer der quantitativen und qualitativen Leistungseinschränkungen (Minderbelastbarkeiten, Funktionsstörungen und -einbußen) sowie den

        

c)    

Ursachenzusammenhang ("wegen") zwischen a) und b).

14

a) Das LSG hat bindend (§ 163 SGG) festgestellt, dass die Klägerin "an einer Wirbelsäulenerkrankung ohne neurologische Ausfallerscheinungen, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und an einer depressiven Erkrankung leidet". Dabei handelt es sich - auch soweit psychische Leiden vorliegen (s dazu BSGE 21, 189 = SozR Nr 39 zu § 1246 RVO; SozR Nr 15 zu § 1254 aF RVO) - um Krankheiten iS von § 43 Abs 2 S 2 SGB VI, dh um regelwidrige Körper- bzw Geisteszustände(BSGE 14, 207 = SozR Nr 5 zu § 45 RKG), die geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit herabzusetzen (BSGE 13, 255 = SozR Nr 11 zu § 1246 RVO). Den Analphabetismus oder dessen Ursachen hat das Berufungsgericht dagegen nicht als Krankheit bezeichnet, sondern ausdrücklich ausgeführt, dass die komplette Lese- und Schreibinkompetenz "nicht auf einer gesundheitlichen Störung" beruht. Sie ist auch keine "Behinderung", weil dazu rentenversicherungsrechtlich nur (weiter die Begriffsbestimmung in § 2 Abs 1 SGB IX) krankheitsbedingte Störungen zählen (Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 98; Kunze, DRV 2001, 192), deren Entwicklung - anders als bei einer Krankheit (vgl dazu BSGE 28, 114 = SozR Nr 28 zu § 182 RVO) - irreversibel abgeschlossen ist. Der "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruhende Analphabetismus" kann aber durch Erlernen der Schriftsprache überwunden werden.

15

b) Das LSG hat weiter bindend festgestellt, dass die Klägerin noch körperlich leichte Tätigkeiten sechs (und mehr) Stunden an fünf Tagen in der Woche regelmäßig verrichten kann. Auszuschließen sind Arbeiten mit Knien, Hocken, häufigem Bücken, über Kopf, mit Besteigen von Leitern und Gerüsten, unter Umwelteinflüssen (wie Kälte, Hitze, Temperaturschwankungen, Nässe, Staub, Gas, Dampf, Rauch, Lärm, Schmutzeinwirkung), in Wechsel- und Nachtschicht, unter zeitlichem Druck, wie bei Akkord- oder Fließbandarbeit, sowie mit häufigem Publikumsverkehr.

16

c) Zwischen diesen Leistungseinschränkungen (Erwerbsminderung) und den Krankheit(en) bzw Behinderung(en) muss ein Ursachenzusammenhang bestehen ("wegen"). Die Leistungsminderung muss wesentlich (Theorie der wesentlichen Bedingung, vgl BSGE 96, 291, 293 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7 RdNr 15)auf einer Krankheit oder Behinderung (den versicherten Risiken) beruhen und nicht auf sonstigen Umständen wie Lebensalter, fehlenden Sprachkenntnissen (Senatsurteil vom 15.5.1991 - 5 RJ 92/89 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 11 S 38 f; BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 9 S 34 f; SozR 2200 § 1246 Nr 61) oder Arbeitsentwöhnung (BSGE 7, 66). Aus den Darlegungen des LSG zum Ursachenzusammenhang geht hinreichend deutlich hervor, dass die beschriebenen Leistungseinschränkungen und Minderbelastbarkeiten aus den zuvor festgestellten Gesundheitsstörungen "resultieren". Außerdem hält das Berufungsgericht ausdrücklich fest, dass der Analphabetismus der Klägerin "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruht", also gerade kein Ursachenzusammenhang zwischen ihm und einer der festgestellten Erkrankungen vorliegt.

17

3. Steht das krankheits- bzw behinderungsbedingte (Rest-)Leistungsvermögen fest, ist im nächsten Prüfungsschritt die Rechtsfrage zu klären, ob der Versicherte damit außerstande ist, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" tätig zu sein. Diese Frage ist hier zu verneinen. Die zitierte Formulierung verwendete der Gesetzgeber ursprünglich im Arbeitsförderungsrecht (§ 103 AFG, § 119 SGB III, seit dem 1.4.2012: § 138 Abs 5 SGB III) und übertrug sie später auf das Recht der Renten wegen Erwerbsminderung. Mit dieser Übernahme griff er gleichzeitig die Rechtsprechung des BSG auf, wonach dem Betroffenen der Zugang zum Arbeitsmarkt trotz vollschichtigem Leistungsvermögen praktisch verschlossen war, wenn er krankheitsbedingt keine "Erwerbstätigkeit unter den in Betrieben üblichen Bedingungen" mehr ausüben konnte (sog 1. Katalog- und Seltenheitsfall, vgl dazu nur Senatsurteil vom 27.5.1977 - 5 RJ 28/76 - SozR 2200 § 1246 Nr 19 und die Zusammenstellung der Katalog- und Seltenheitsfälle in BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28). Die hierzu und zum Arbeitsförderungsrecht entwickelte Rechtsprechung ist auf die gesetzliche Neuformulierung übertragbar.

18

a) "Bedingungen" sind dabei alle Faktoren, die wesentliche Grundlage des Arbeitsverhältnisses sind (BSGE 11, 16, 20). Hierzu gehört vor allem der rechtliche Normrahmen, wie etwa Dauer und Verteilung der Arbeitszeit, Pausen- und Urlaubsregelungen, Beachtung von Arbeitsschutzvorschriften sowie gesetzliche Bestimmungen und tarifvertragliche Vereinbarungen (BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R - RdNr 29, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2600 § 43 Nr 16 vorgesehen; zum Arbeitsförderungsrecht: BSGE 11, 16, 20; 44, 164, 172 = SozR 4100 § 134 Nr 3; BSGE 46, 257, 259 = SozR 4100 § 103 Nr 17; BSG SozR 4100 § 103 Nr 23 S 55; BSG Urteil vom 21.4.1993 - 11 RAr 79/92 - Die Beiträge 1994, 431). Die Bedingungen sind "üblich", wenn sie nicht nur in Einzel- oder Ausnahmefällen anzutreffen sind, sondern in nennenswertem Umfang und in beachtlicher Zahl (BSG Urteil vom 19.10.2011, aaO, RdNr 29; BSGE 46, 257, 262, 264 = SozR 4100 § 103 Nr 17 S 40, 42; SozR 2200 § 1247 Nr 43 S 86 f; BSG Urteil vom 21.4.1993, aaO, Die Beiträge 1994, 431). Der Arbeitsmarktbegriff erfasst alle denkbaren Tätigkeiten (vgl BT-Drucks 14/4230, S 25), für die es faktisch "Angebot" und "Nachfrage" gibt. Das Adjektiv "allgemein" grenzt den ersten vom zweiten - öffentlich geförderten - Arbeitsmarkt, zu dem regelmäßig nur Leistungsempfänger nach dem SGB II und III Zugang haben, sowie von Sonderbereichen ab, wie beispielsweise Werkstätten für behinderte Menschen und andere geschützte Einrichtungen (BSG Urteil vom 19.10.2011, aaO RdNr 27). Die Klägerin kann nach den Feststellungen des LSG an fünf Tagen in der Woche mindestens sechs Stunden arbeiten. Sieht man davon ab, dass ihr Nacht- und Wechselschichten krankheitsbedingt nicht mehr zugemutet werden dürfen, benötigt sie im Hinblick auf Dauer und Verteilung der Arbeitszeit keine Sonderbehandlung, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unüblich wäre. Sie hat auch keinen erhöhten, betriebsunüblichen Pausen- oder Urlaubsbedarf und ist in einem Betrieb, also außerhalb geschützter Einrichtungen, einsetzbar. Wer aber in einem Betrieb unter den dort üblicherweise herrschenden Bedingungen arbeiten kann, ist auch imstande, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" tätig zu sein.

19

b) Soweit unter den Begriff der üblichen Bedingungen "auch tatsächliche Umstände" gefasst werden (BSG Urteil vom 19.10.2011, aaO, RdNr 29), "wie zB die für die Ausübung einer Verweisungstätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistige Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz", handelt es sich ausschließlich um kognitive Grundfähigkeiten, die krankheitsbedingt herabgesetzt sein können. Der "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruhende Analphabetismus" gehört nicht dazu. Wie der berufliche Werdegang der Klägerin exemplarisch und stellvertretend für eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen zeigt, zählen Lese- und Schreibkompetenzen keinesfalls zu den üblichen Grundbedingungen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses. Andernfalls könnten primäre Analphabeten nie unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig werden, wären schon vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit (voll) erwerbsgemindert und könnten Rente wegen voller Erwerbsminderung erst erhalten, nachdem sie die Wartezeit von 20 Jahren zurückgelegt haben (§ 43 Abs 6 iVm § 50 Abs 2 SGB VI).

20

4. Folglich kommt es entscheidend darauf an, ob die Klägerin trotz ihrer qualitativen Leistungseinschränkungen noch imstande ist, "erwerbstätig zu sein", dh durch (irgend)eine Tätigkeit Erwerb(seinkommen) zu erzielen. Diese Frage ist zu bejahen.

21

a) Um nachprüfbar zu machen, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, hat das BSG bereits zum Parallelproblem im Recht der Renten wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit (§§ 1246, 1247 RVO bzw §§ 43, 44 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Altfassung - aF) die Pflicht der Rentenversicherungsträger entwickelt, dem Versicherten zumindest eine zumutbare Tätigkeit (sog Verweisungstätigkeit) konkret zu benennen, die er mit seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch ausüben kann (sog Benennungsgebot), wenn eine Rente wegen fehlender Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit abgelehnt werden sollte (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 229; SozR 2200 § 1246 Nr 72, 74, 98 und 104). Zu benennen war eine Berufstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 72 S 229 und Nr 74 S 234; SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 229). Die Angabe einzelner Arbeitsvorgänge oder Tätigkeitsmerkmale genügte nicht (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 34 S 130 f mwN; BSG Urteil vom 27.3.2007 - B 13 R 63/06 R - Juris RdNr 30). Andererseits musste kein konkreter Arbeitsplatz bezeichnet werden (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104 S 324). Die zu benennende Tätigkeit musste auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tatsächlich in ausreichendem Umfang vorkommen (BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28), dh es mussten grundsätzlich mehr als 300 Stellen (besetzt oder offen) vorhanden sein (BSGE 78, 207, 222 f = SozR 3-2600 § 43 Nr 13 S 34 f; BSG Urteile vom 29.7.2004 - B 4 RA 5/04 R - Juris RdNr 24, 33 und vom 26.4.2007 - B 4 R 5/06 R - Juris RdNr 18).

22

b) Abweichend von diesem Grundsatz war die Benennung einer Verweisungstätigkeit entbehrlich, sofern der Versicherte - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - noch vollschichtig zu mittelschweren oder leichten Arbeiten in der Lage war und auf eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden durfte (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 mwN). Auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden durften bei der Prüfung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit grundsätzlich alle Versicherten (BSGE 19, 147, 149 f = SozR Nr 6 zu § 1247 RVO; BSG SozR 2200 § 1247 Nr 7 S 12 f; SozR 5850 § 2 Nr 12 S 25; SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 S 18), bei der Prüfung der Rente wegen Berufsunfähigkeit hingegen nur ungelernte Arbeiter bzw sog Angelernte im unteren Bereich (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 72 f mwN). In diesen Fällen war regelmäßig davon auszugehen, dass das Restleistungsvermögen dem Versicherten noch körperliche Verrichtungen erlaubte, wie sie in ungelernten Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen (wie zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw). Dem lag die Überlegung zugrunde, dass sich die nicht oder nur ganz wenig qualifizierten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts ("Hilfsarbeiten") einerseits einer knappen Benennung, die aussagekräftig Art und Anforderungen der Tätigkeiten beschreiben würde, entzogen, das Arbeitsfeld andererseits aber so heterogen war, dass mit einem Restleistungsvermögen für körperlich leichte Tätigkeiten jedenfalls noch von ausreichenden Erwerbsmöglichkeiten ausgegangen werden konnte (BSGE 80, 24, 31 ff = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 ff).

23

c) Trotz der praktischen Schwierigkeiten war - im Sinne einer Rückausnahme - die konkrete Benennung zumindest einer Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorlag: In diesen Fällen einer überdurchschnittlich starken Leistungsminderung bestanden - entgegen der oben skizzierten tatsächlichen Vermutung bzw Annahme - ernsthafte Zweifel, dass der allgemeine Arbeitsmarkt für die dem Versicherten an sich noch mögliche Vollzeittätigkeit eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen bereithielt oder dass der Versicherte mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen in einem Betrieb einsetzbar war (BSGE 80, 24, 34 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 27; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104 S 324 und Nr 136 S 434). Auch die Möglichkeit der praktischen Verschlossenheit des Arbeitsmarkts durch die sog Katalog- und Seltenheitsfälle ist in diesem Zusammenhang bedeutsam (vgl die Zusammenstellung der Katalog- und Seltenheitsfälle in BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28). Diese Maßstäbe haben auch für die seit dem 1.1.2001 geltende Rechtslage weiterhin Gültigkeit (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 5 RdNr 18 und BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R - RdNr 19).

24

5. Für den Regelfall darf damit auch für die Renten wegen Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI nF (iS einer widerlegbaren tatsächlichen Vermutung) davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der zumindest körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - wenigstens sechs Stunden täglich verrichten kann, noch in der Lage ist, "erwerbstätig zu sein", dh durch (irgend)eine Tätigkeit Erwerb(seinkommen) zu erzielen(s auch § 43 Abs 3 SGB VI nF). Es ist mehrschrittig zu prüfen (vgl dazu BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 73 und Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R - RdNr 35):

25

a) Im ersten Schritt ist festzustellen, ob das Restleistungsvermögen dem Versicherten Verrichtungen oder Tätigkeiten erlaubt (wie zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw ), die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden. Es genügt die Benennung von "Arbeitsfeldern", von "Tätigkeiten der Art nach" oder von "geeigneten Tätigkeitsfeldern", die der Versicherte ausfüllen könnte (vgl BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; Senatsurteile vom 24.2.1999 - SozR 3-2600 § 44 Nr 12 S 43; vom 11.5.1999 - SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 73 f; vom 10.12.2003 - SozR 4-2600 § 44 Nr 1 RdNr 23; BSG vom 19.8.1997 - 13 RJ 29/95 - SozSich 1998, 111 - Juris RdNr 30; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 62 f; vom 9.9.1998 - B 13 RJ 35/97 R - Juris RdNr 24; vom 14.7.1999 - B 13 RJ 65/97 R - Juris RdNr 32; sog "kleines Benennungsgebot": vgl Köbl in Ruland/Försterling, Gemeinschaftskommentar zum SGB VI, § 43 RdNr 168, Stand Oktober 2006; Gürtner in Kasseler Komm, § 43 SGB VI RdNr 47, Stand April 2010; Spiolek, SGb 1999, 509, 510; kritisch Kamprad in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 43 RdNr 42, Stand März 2012; aA wohl Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 108). Damit können "ernste Zweifel" an der beschriebenen Einsatzfähigkeit des Versicherten als Folge von qualitativen Leistungseinschränkungen ausgeräumt werden.

26

b) Lassen sich solche abstrakten Handlungsfelder nicht oder nur unzureichend beschreiben und kommen deshalb "ernste Zweifel" an der tatsächlichen Einsatzfähigkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen auf, stellt sich im zweiten Schritt die Rechtsfrage, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine besondere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (vgl Senatsurteil vom 24.2.1999 - SozR 3-2600 § 44 Nr 12 S 44 sowie BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 62 f und Nr 21 S 73 f sowie Beschluss vom 9.9.1998 - B 13 RJ 35/97 - Juris RdNr 24). Hierbei handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die schwierig zu konkretisieren (BSGE 81, 15, 19 = SozR 3-2200 § 1247 Nr 23 S 69 sowie SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 f) und vernünftig zu handhaben sind (BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33 ). Da es für die Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, keinen konkreten Beurteilungsmaßstab gibt, können auch für die tatrichterliche Begründung und die dazu nötigen Tatsachenfeststellungen keine allgemeingültigen Anforderungen aufgestellt werden (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 9 RdNr 23). Auch der jeweilige Begründungsaufwand richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere hängt er von der Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen ab. Je mehr diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte Tätigkeiten zu versperren, umso eingehender und konkreter muss das Tatsachengericht seine Entscheidung zur Frage einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung begründen (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 9 RdNr 23; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61). Wie sich der Richter die jeweils erforderliche Tatsachenkenntnis verschafft, liegt in seinem Ermittlungsermessen (vgl § 103 SGG). Angesichts des unzulänglichen Gesamtüberblicks über typische Anforderungen ungelernter Verrichtungen ist ihm dabei ein weiter Freiraum für Einschätzungen zuzugestehen. Gleichwohl muss aber aus rechtsstaatlichen Gründen ein Mindestmaß an Berechenbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Entscheidung gesichert bleiben (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 ff und BSG Urteil vom 19.8.1997 - 13 RJ 25/95 - SozSich 1998, 113 - Juris RdNr 25).

27

c) Erst wenn nach diesen Maßstäben eine "schwere spezifische Leistungsbehinderung" oder "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" vorliegt, ist dem Versicherten im dritten Schritt mindestens eine konkrete Verweisungstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen (kein konkreter Arbeitsplatz) zu benennen, um seinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung auszuschließen (vgl BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33). Hierbei sind dann nicht nur das körperliche, geistige und kognitive Leistungsvermögen einerseits und das berufliche Anforderungsprofil andererseits miteinander zu vergleichen und in Deckung zu bringen, sondern es muss auch individuell geprüft werden, ob der Versicherte die notwendigen fachlichen Qualifikationen und überfachlichen Schlüsselkompetenzen besitzt oder zumindest innerhalb von drei Monaten erlernen kann. Außerdem ist dann zu beachten, dass auf Tätigkeiten nicht verwiesen werden darf, die auf dem Arbeitsmarkt nur in ganz geringer Zahl vorkommen (Katalogfall Nr 3), die an Berufsfremde nicht vergeben werden (Katalogfall Nr 4) oder für Betriebsfremde unzugänglich sind, weil es sich um reine Schonarbeitsplätze (Katalogfall Nr 5) oder Aufstiegspositionen (Katalogfall Nr 6) handelt (vgl die Zusammenstellung der Katalog- und Seltenheitsfälle in BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28). Kann der Versicherte die Verweisungstätigkeit krankheits- oder behinderungsbedingt nicht mehr ausüben, oder kann er sich die fehlenden fachlichen oder überfachlichen Kompetenzen nicht innerhalb von drei Monaten aneignen, so ist er auch dann (voll) erwerbsgemindert, wenn sein zeitliches (quantitatives) Leistungsvermögen uneingeschränkt erhalten ist.

28

6. Zu Recht hat das LSG eine schwere spezifische Leistungsbehinderung verneint. Sie liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60; Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 108; Spiolek, NZS 1997, 415, 416 f). Hierzu können - unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände (vgl BSG SozR 3- 2600 § 43 Nr 17 S 61 ; BSG SozR 3- 2600 § 43 Nr 19 S 68 ; BSGE 81, 15, 19 = SozR 3-2200 § 1247 Nr 23 S 69 ) - beispielsweise Einäugigkeit (Senatsurteile vom 12.5.1982 - 5b/5 RJ 170/80 - Juris RdNr 8 und vom 14.9.1995 - 5 RJ 50/94 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 230; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 30, 90), Einarmigkeit (Senatsurteil vom 14.9.1995 - 5 RJ 50/94 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 230; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 30) und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit (BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 S 19) sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104, 117; weitere Beispiele bei BSGE 80, 24, 33 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 26 und bei Spiolek, NZS 1997, 415, 416 f). Der "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruhende Analphabetismus" gehört nicht dazu, weil er keine "Behinderung" ist (s Gliederungspunkt 2 a) und damit auch keine "Leistungsbehinderung" sein kann.

29

7. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt auch keine "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" vor, die es ausnahmsweise notwendig machen könnte, den Ausschluss eines Rechts auf Rente nicht lediglich abstrakt mit der Einsetzbarkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu begründen, sondern hierfür die konkrete Benennung einer noch in Betracht kommenden Verweisungstätigkeit zu fordern. Insofern kann vorliegend offen bleiben, ob es sich bei dem muttersprachlichen Analphabetismus der Klägerin für sich um eine ungewöhnliche Leistungseinschränkung in diesem Sinne handelt (vgl dazu Senatsurteile vom 10.12.2003 - B 5 RJ 64/02 R - SozR 4-2600 § 44 Nr 1 RdNr 17 ff und vom 20.10.2004 - B 5 RJ 48/03 R - Juris RdNr 19 sowie BSG Urteil vom 4.11.1998 - B 13 RJ 13/98 R - SozR 3-2200 § 1246 Nr 62 S 288). Nach der unverändert einschlägigen Verweisungsrechtsprechung des Großen Senats des BSG (BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8) begründet nämlich bei zeitlich uneingeschränkt leistungsfähigen Versicherten allein die "Summierung" - notwendig also eine Mehrheit von wenigstens zwei ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen als tauglichen Summanden - die Benennungspflicht, nicht aber, wie das Berufungsgericht meint, bereits das Zusammentreffen einer - potenziell - ungewöhnlichen und einer oder mehrerer "gewöhnlicher" Leistungseinschränkungen. Durch die genannte Rechtsprechung des Großen Senats und den ausdrücklichen Ausschluss einer Berücksichtigung der "jeweiligen Arbeitsmarktlage" in § 43 Abs 3 Halbs 2 SGB VI ist auch bereits entschieden, dass weitere Fälle einer Benennungspflicht nicht in Betracht kommen. Im Hinblick auf die qualitativen Einschränkungen, die bei der Klägerin zu beachten sind, hat das LSG jedoch unangefochten festgestellt, dass diese sämtlich nicht ungewöhnlich sind. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die "vernünftige Handhabung" des unbestimmten Rechtsbegriffs der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen gewährleistet nach der Rechtsprechung des Großen und des erkennenden Senats, dass abweichend vom Regelfall der abstrakten Betrachtungsweise die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit als unselbstständiger Zwischenschritt, nur aber auch immer dann erfolgen muss, wenn ernsthafte Zweifel unter anderem an der betrieblichen Einsetzbarkeit bestehen. Ob und ggf in welcher Intensität Zweifel aufkommen und ob in der Gesamtschau eine "Summierung" ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu bejahen ist, lässt sich nur anhand des konkreten Einzelfalls entscheiden, weil die denkbaren Kombinationsmöglichkeiten der qualitativen Leistungseinschränkungen unüberschaubar sind und die Summanden je nach Schweregrad, Anzahl und Wechselwirkungen unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Feste Grenzlinien lassen sich nicht festlegen, zumal auch der Begriff "leichte Arbeiten", auf den sich die genannten Merkmale als Ausnahmen beziehen, erhebliche Unschärfen enthält, die es erforderlich machen, die im Einzelfall vorliegenden Leistungseinschränkungen insgesamt in ihrer konkreten Bedeutung für die Einsetzbarkeit des Versicherten auf dem Arbeitsmarkt zu bewerten (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61). Nur so erscheint eine "vernünftige Handhabung dieser weiten Begriffe" gewährleistet, wie sie der Große Senat des BSG (BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33) vorausgesetzt hat. Im Hinblick auf diese Gegebenheiten sind die bisherigen Entscheidungen des BSG zum Vorliegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung nur als Einzelfallentscheidungen zu werten, die den Besonderheiten der jeweiligen Sachlage Rechnung zu tragen suchen. Auch wenn die Leistungseinschränkungen dort gleich oder vergleichbar formuliert sind, handelt es sich keinesfalls um identische Sachverhalte. Vielmehr liefern die jeweiligen Beurteilungen allenfalls Anhaltspunkte für weitere Entscheidungen; ihnen lassen sich jedoch keine generellen Abgrenzungskriterien entnehmen (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61). Deshalb steht dem Tatrichter bei der Würdigung des Gesamtbildes der Verhältnisse ein weiter Freiraum für Einschätzungen zu (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 f und BSG Urteil vom 19.8.1997 - 13 RJ 25/95 - SozSich 1998, 113 - Juris RdNr 25). Denn die Begriffe der "Ungewöhnlichkeit" von Leistungseinschränkungen und ihre "Summierung" lassen sich nicht mit einem abschließenden Katalog unabdingbarer Merkmale und Untermerkmale im Voraus definieren (Klassen- oder Allgemeinbegriff), sondern nur einzelfallbezogen durch eine größere und unbestimmte Zahl von (charakteristischen) Merkmalen umschreiben (offener Typus- oder Ordnungsbegriff), wobei das eine oder andere Merkmal gänzlich fehlen oder je nach Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam sein kann. Ob an der Einsetzbarkeit eines individuellen Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Zweifel bestehen und sich ggf überwinden lassen, ob Leistungseinschränkungen "ungewöhnlich" sind und wie sie sich nach Art, Umfang und Ausprägung wechselseitig beeinflussen ("summieren"), beurteilt sich anhand einer Vielzahl in Betracht kommender Kriterien nach dem Gesamtbild der Verhältnisse durch einen wertenden Ähnlichkeitsvergleich. Eine solche Würdigung des Einzelfalls nach dem Gesamtbild der Verhältnisse vollzieht sich auf tatsächlichem Gebiet und obliegt im Wesentlichen dem Tatrichter; seine Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse ist revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbar. Bei derartigen richterlichen Wertungsakten gibt es keine logisch ableitbare einzig richtige Entscheidung, sondern einen Bereich, der sich letztlich der logischen Nachprüfbarkeit entzieht. Rational argumentativ ist dieser (originäre) Wertungsakt nur eingeschränkt überprüfbar, nämlich darauf, ob er auf einer zutreffenden und rechtlich verwertbaren Tatsachengrundlage beruht, ob die richtigen Wertungsmaßstäbe erkannt und angewandt wurden und ob er sich innerhalb eines gewissen Spielraums der Angemessenheit bzw des Vertretbaren bewegt ("vernünftige Handhabung"). Bei derartigen genuinen Wertungsakten sind mehrere Entscheidungen gleichermaßen richtig, weil sich nach rein logischen Maßstäben nicht mehr entscheiden lässt, welche innerhalb eines Spielraums nach zutreffenden Maßstäben getroffene Entscheidung richtiger als die andere ist.

30

Das LSG hat vorliegend Inhalt und Grenzen des unbestimmten Rechtsbegriffs der ungewöhnlichen Leistungseinschränkung, wie sie sich hiernach ergeben, berücksichtigt und im Rahmen der ihm vorbehaltenen tatrichterlichen Bewertung die von ihm festgestellten Leistungseinschränkungen - mit Ausnahme des Analphabetismus der Klägerin - als "gewöhnlich", also keine Benennungspflicht auslösend, eingestuft. Dabei hat es sich im Wesentlichen an der vom Großen Senat rezipierten beispielhaften Auflistung derartiger Einschränkungen orientiert. Insofern bedarf es auf der Ebene der Feststellung tatsächlicher Umstände jeweils der Bewertung, ob mit einer festgestellten Leistungseinschränkung für sich und im Zusammenwirken mit gleichwertigen anderen gerade im konkreten Einzelfall die Gefahr verbunden ist, dass der Versicherte auf in Wahrheit nicht existierende Arbeitsmöglichkeiten verwiesen wird, deren Feststellung wiederum Aufgabe des Tatsachengerichts ist. Solange daher der Tatrichter - wie hier das LSG - von einem rechtlich zutreffenden Verständnis der Benennungspflicht und ihrer Voraussetzungen ausgeht, handelt es sich um die Feststellung von Individualtatsachen, an die das Revisionsgericht gemäß § 163 SGG und in dessen Grenzen gebunden ist. Vorliegend ist daher rechtlich ohne konkreten Vergleich der Leistungsfähigkeit mit dem Anforderungsprofil einer bestimmten Tätigkeit im Sinne einer tatsächlichen Vermutung davon auszugehen, dass die Klägerin ihr Restleistungsvermögen noch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwerten kann, also noch imstande ist, "erwerbstätig zu sein", dh durch (irgend)eine (unbenannte) Tätigkeit Erwerb(seinkommen) zu erzielen. Damit scheidet auch ein Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aus (§ 43 Abs 1, § 240 Abs 1 SGB VI).

31

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

(1) Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die

1.
vor dem 2. Januar 1961 geboren und
2.
berufsunfähig
sind.

(2) Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.