Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 26. Jan. 2017 - L 19 R 17/16

bei uns veröffentlicht am26.01.2017

Tenor

I.

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 11.12.2015 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Der 1960 geborene Kläger erlernte von August 1977 bis Juni 1980 den Beruf eines Kraftfahrzeugmechanikers, war aber danach auch als LKW-Fahrer tätig. Im Jahr 1985 nahm er an einem Kesselwärterlehrgang teil und war in diesem Beruf bzw. als Heizer tätig. Von 1999 bis 2000 erlernte er den Beruf des Chemikanten, war aber - möglicherweise infolge eines Verkehrsunfalles - nicht in diesem Beruf tatsächlich tätig, sondern war weiterhin im Kraftwerk eines Chemiewerks in L-Stadt als Heizer und Kesselwärter beschäftigt bis Dezember 2012. Auf diesen Zeitpunkt wurde ein Aufhebungsvertrag aus gesundheitlichen Gründen geschlossen.

Zuvor war der Kläger vom 15.03.2012 bis 11.04.2012 sowie vom 31.08.2012 bis 21.09. 2012 auf stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen jeweils in der F.-Klinik in Bad W … Im dortigen Entlassungsbericht vom 11.04.2012 waren ein myostatisch-degeneratives Wirbelsäulensyndrom und ein Zustand nach tiefer Beinvenenthrombose 2009 bei Faktor-5-Leiden-Mutation festgestellt worden. Der Kläger sei noch arbeitsunfähig, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und in dem Beruf des Heizers jedoch an sich ohne zeitliche Einschränkung einsatzfähig. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne er mittelschwere Tätigkeiten im Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen, ohne Nachtschicht und unter Berücksichtigung der Einschränkungen hinsichtlich des Bewegungs- und Haltungsapparates ausüben. Im Entlassungsbericht vom 08.11.2012 wurde von chronischen Lumbalgien mit Radikulopathie bei rechtsseitigem S1-Dermatom und Bandscheibenvorfall L5/S1 gesprochen. Eine stufenweise Wiedereingliederung sei vorgesehen.

Im Anschluss an das aufgehobene Arbeitsverhältnis bezog der Kläger Arbeitslosengeld I und zeitweise Krankengeld offensichtlich bis zur Erschöpfung des Anspruchs.

Am 13.05.2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung. Auf Veranlassung der Beklagten wurde er am 16.06.2014 durch den Allgemein- und Sozialmediziner Dr. W. untersucht, der bei ihm folgende Gesundheitsstörungen feststellte: 1. Degenerative Veränderung der Lendenwirbelsäule mit Bandscheibenvorfall in Höhe L5/S1 mit rezidivierender Wurzelreizung rechtsseitig, ohne neurologische Ausfälle. 2. Zustand nach tiefer Venenthrombose rechts 2009 mit seitdem bestehender Marcumartherapie wegen einer Faktor-V-Leiden-Mutation. 3. Belastungsbeschwerden des rechten Armes nach Fraktur und Osteosynthese 2000. Daraus resultiere folgendes sozialmedizinisches Leistungsbild: Der Kläger könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig leichte Tätigkeiten mit mittelschweren Arbeitsanteilen in wechselnder Körperhaltung verrichten. Zwangshaltungen und Nachtschicht seien ausgeschlossen ebenso Tätigkeiten mit erhöhter Verletzungsgefahr. Die Einsatzfähigkeit im Beruf des Kesselwärters sei zu bejahen.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25.06.2014 den Rentenantrag ab. Rentenrelevante Gesundheitseinschränkungen hätten nicht nachgewiesen werden können.

Der Widerspruch des Klägers vom 02.07.2014 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 21.07.2014 zurückgewiesen. Die vom Kläger zusätzlich geltend gemachten Gesundheitsstörungen - weitere Gendefekte - und die Tatsache einer berufsgenossenschaftlich festgestellten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) würden zu keinem anderen Ergebnis führen.

Mit Schreiben vom 29.07.2014 hat der Kläger am 30.07.2014 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Er hat geltend gemacht, dass seine Gesundheitsstörungen nicht in vollem Umfang berücksichtigt worden seien.

Die Beklagte hat einen Versicherungsverlauf vom 05.08.2014 vorgelegt, wonach beim Kläger in den letzten Jahren bis Juni 2014 nahezu durchgängig Pflichtbeitragszeiten überwiegend aus Sozialleistungen vorgelegen haben. In der Zeit von Januar bis Februar 2013 hat eine Überbrückungszeit bestanden, der Monat März 2013 ist ohne rentenrechtlichen Nachweis geblieben. Ab Juli 2014 liegen keine rentenrechtlich relevanten Zeiten mehr vor.

Das SG hat einen Befundbericht des behandelnden praktischen Arztes J. H. vom 06.06.2014 eingeholt und ein Gutachten auf orthopädischem Fachgebiet in Auftrag gegeben. Nachdem der Kläger den als Sachverständigen benannten Dr. M. abgelehnt hatte, hat der Kläger - ohne Auftrag des Sozialgerichts - ein Privatgutachten durch den Orthopäden Dr. E. erstellen lassen, der ihn am 14.11.2014 untersucht hat.

Dabei hat Dr. E. folgende Diagnosen mitgeteilt: 1. Zustand nach Humerusfraktur rechts mit starker Bewegungseinschränkung der rechten Schulter. 2. Läsion und sensible Störungen des Nervus radialis rechts. 3. Muskelminderung im rechten Arm bei Rechtshändigkeit, Kraftminderung und Koordinationsschwäche der rechten Hand bei Rechtshändigkeit, Bewegungseinschränkung des rechten Ellenbogens. 4. Bandscheibenvorfall C6/C7 mit Wurzelreiz. 5. Degeneratives Rotatorenmanschettensyndrom links. 6. Zustand nach tiefer Beinvenenthrombose rechts bei Faktor-V-Leiden-Mutation. 7. Degeneratives Lendenwirbelsäulensyndrom mit sensiblen Störungen der Zehen 1 bis 5 beidseits, kräftiger medianer bis bilateraler, links medio-lateral betonter nach cranial sequestrierter Bandscheibenvorfall L5/S1 sowie Protrusionen L3/4 und L4/5, eine Skoliose, Rundrücken der Lendenwirbelsäule. 8. Coxa valga beidseits und Coxarthrosen II. Grades beidseits. In der Zusammenschau hat Dr. E. den Kläger weder für den Beruf des Heizers noch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für einsatzfähig angesehen.

Das SG hat ein Gutachten durch den Orthopäden Prof. Dr. F. erstellen lassen, wobei der Kläger zunächst eine Terminverschiebung beantragt hatte, da er wegen einer Hepatitis C-Erkrankung stationär behandelt werde. Prof. Dr. F. hat den Kläger am 18.03.2015 untersucht und in seinem Gutachten als Diagnosen festgehalten: 1. Bewegungsbehinderung der Halswirbelsäule ohne reaktive muskuläre Verspannungen und ohne nachweisbare Nervenwurzelreizerscheinungen bei röntgenologisch nachgewiesenen degenerativen Veränderungen der unteren Halswirbelsäule und cervicodorsal. 2. Röntgenologisch nachweisbare degenerative Veränderungen an der Lendenwirbelsäule einschließlich lumbosacraler Dysplasie. Funktionseinbuße bei klinischer Prüfung ohne nachweisbare Nervenwurzelreizerscheinungen. 3. Bewegungsbehinderung des rechten Armes im Schultergelenk bei Zustand nach Oberarmschaftfraktur rechts, operativ versorgt und belastungsstabil rekonsolidiert. 4. Streckbehinderung des rechten Unterarmes im Ellenbogengelenk. 5. Dysästhesie der Haut an der ulnaren Handkante beidseits und am 4. und 5. Finger beidseits beugeseitig. 6. Endlagige Drehbehinderung beider Beine in den Hüftgelenken bei röntgenologisch nachgewiesener Coxarthrose Grad II rechts und Grad I links. 7. Initiale Polyneuropathie an beiden Vorfüßen. Der Kläger könne noch leichte Arbeiten im Stehen und Gehen und im Sitzen in geschlossenen Räumen ausüben. Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, Anforderungen an die volle Funktion der Schultergelenke, taktile Anforderungen und Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie Arbeiten in ständiger Inklination der Lendenwirbelsäule seien dem Kläger nicht möglich. Der Kläger könne zu Fuß und mit öffentlichen Verkehrsmitteln Arbeitsstellen erreichen; Fahrten mit einem privaten Pkw seien wegen der Bewegungsbehinderung des rechten Armes im Schultergelenk problematisch.

Mit Schreiben vom 29.03.2015 hat der Kläger das Vorliegen von Berufsschutz geltend gemacht. Er sei von Beruf Kfz-Mechaniker und Chemikant und habe zuletzt kurzzeitig als Kesselwärter gearbeitet, was kein Beruf im üblichen Sinne sei, sondern eine Anlerntätigkeit. Er habe diese Tätigkeit mit einem Aufhebungsvertrag aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben, wozu er auf die Ausführungen des Dr. E. verweise. Der Kläger hat ein Zeugnis der B. vom 31.12.2012 und seinen Aufhebungsvertrag vorgelegt, nach dem er an seinem bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr einsetzbar sei.

Der Kläger hat weiter einen Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 26.03.2015 vorgelegt, wonach er - unter Aufhebung des Bescheides vom 18.03.2015 - einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werde.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 24.04.2015 angegeben, dass die Tätigkeit als Kesselwärter keine Facharbeitertätigkeit sei. Der Kläger habe jedoch Berufsschutz aufgrund seines Abschlusses im Ausbildungsberuf Chemikant. Berufsunfähigkeit sei jedoch nicht gegeben, da der Kläger sich auf die Tätigkeiten als Registrator und Telefonist verweisen lassen müsse.

Auf Antrag des Klägers ist nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten durch den Orthopäden Dr. G. eingeholt worden, der den Kläger am 09.07.2015 untersucht hat. Darin ist ausgeführt worden, dass beim Kläger folgende Gesundheitsstörungen vorliegen: 1. Subtotale Bewegungseinschränkung der rechten Schulter bei Zustand nach Osteosynthese einer Humerusfraktur mit Komplikationen. 2. Minderbelastung des rechten Armes bei Muskelschwäche und Koordinationsstörung bei Rechtshändigkeit. 3. Streckdefizit des rechten Ellenbogens. 4. Zustand nach tiefer Beinvenenthrombose rechts bei Faktor-V-Leiden-Mutation. 5. Subakutes bis chronisches radikuläres Lendenwirbelsyndrom (S. 1) bei nach cranial sequestriertem Bandscheibenvorfall L5/S1. 6. Fortgeschrittene Hüftgelenksarthrose beidseits. 7. Psychovegetativer Stress. Der Kläger verfüge über keine ausreichende Nutzungsfähigkeit des rechten Armes bei bestehender Rechtshändigkeit. Selbst das Sortieren von Akten, einfache Schreibtischtätigkeiten oder auch nur Telefondienst kämen nicht in Frage. Es bestehe eine Leistungseinschränkung für Arbeiten unter drei Stunden. Die Wegefähigkeit sei mit Fußwegen und Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel gegeben. Der Zustand bestehe seit Antragstellung. Das Gutachten des Prof. Dr. F. berücksichtige nicht ausreichend die Bewegungseinschränkung und Gebrauchsminderung der rechten Schulter und die Situation der fortgeschrittenen Hüftgelenksarthrose. Dem Kläger sollte die Möglichkeit gegeben werden, sich umfangreich unter stationären Bedingungen rehabilitieren und behandeln zu lassen. Dieses sei bis dahin nicht erfolgt.

Zu dem Gutachten hat für die Beklagte der Orthopäde Dr. A. Stellung genommen. Er kommt nach Aktenlage zu dem Ergebnis, dass beim Kläger an den Beinen keine motorischen Defizite bestehen würden. Die leichte Funktionseinschränkung beider Hüftgelenke führe nur zu qualitativen Einschränkungen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass in den vier Monaten zwischen der Begutachtung des Prof. Dr. F. und des Dr. G. eine vollständige Einsteifung der Brust- und Lendenwirbelsäule entstanden sein solle. Die Einschränkungen der rechten Schulter seien in allen Gutachten dokumentiert und würden zu qualitativen Einschränkungen der Arbeitsbedingungen führen. Zusätzlich würden Einschränkungen wegen Sensibilitätsstörung an der rechten Hand bestehen. Eine zeitliche Einschränkung der Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei mit diesen Gesundheitsstörungen nicht zu begründen. Der Kläger könne leichte körperliche Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung sechs und mehr Stunden pro Tag verrichten. Zu vermeiden seien besondere Kraftanstrengung für das rechte Schulter-/ Armsystem, Überkopfarbeiten rechts, länger anhaltende statische Wirbelsäulenzwangshaltungen, längere Tätigkeit in gebückter, gehockter oder kniender Stellung, besondere Ansprüche an die Fein- und Grobmotorik der rechten Hand sowie Kälte, Nässe, Zugluftexposition ohne entsprechenden Bekleidungsschutz. Nicht in Betracht käme das Besteigen von Leitern oder Gerüsten.

Der Kläger hat geltend gemacht, dass zwei Gutachten vorliegen würden, die zur Rentengewährung führen würden. Die Stellungnahme der Rentenversicherung sei wegen Befangenheit abzulehnen, da sie sich nur auf das Gutachten von Dr. F. beziehe.

Auf Anforderung des SG hat Prof. Dr. F. am 11.11.2015 eine ergänzende Stellungnahme abgegeben. Der Kläger sei nach beiden Gutachten in der Lage, mit seinem Restleistungsvermögen Tätigkeiten wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen und ähnlichem, mehr als sechs Stunden täglich durchzuführen. Er sei auch in der Lage, die erforderlichen Wegestrecken zurückzulegen. Die von Dr. G. aufgeführten Bewegungsausmaße für die Wirbelsäule könnten so nicht vorliegen.

Der Kläger hat mit Schreiben vom 22.11.2015 geltend gemacht, dass er schon bei der Musterung durch die Bundeswehr wegen Hüftschäden ausgemustert worden sei und diese auch in den Gutachten des Dr. E. und Dr. G. nachgewiesen worden seien.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG am 11.12.2015 durch Gerichtsbescheid entschieden. Es hat die Klage abgewiesen. Beim Kläger sei eine zeitliche Einschränkung seiner Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht nachgewiesen. Die Einschränkungen der Arbeitsbedingungen würden eine ausreichende Restleistungsfähigkeit verbleiben lassen. Die vom Gutachter Dr. G. beschriebene vollständige Versteifung der Brust- und Lendenwirbelsäule sei für das Gericht nicht nachvollziehbar. Eine solche sei weder bei Prof. Dr. F. noch bei Dr. E. im Raum gestanden. In Anbetracht der nicht schlüssigen Feststellungen für die Bewegungsausmaße verliere das Gutachten des Dr. G. insgesamt an Wert. Beim Kläger sei auch kein Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu bejahen. Zwar könne der Kläger den Ausbildungsberuf als Chemikant nicht mehr verrichten, sei jedoch zumutbar auf andere Tätigkeiten verweisbar. Er müsse sich als Facharbeiter auf die Tätigkeit eines Registrators verweisen lassen, die mit dem bestehenden Restleistungsvermögen und aufgrund der Vorkenntnisse des Klägers ausgeübt werden könnte. Bezug zu nehmen sei auf die Entscheidung des Bayer. Landessozialgerichts im Urteil vom 13.08.2013 (Az. L 1 R 702/11).

Mit Telefax vom 05.01.2016 hat sich der Kläger an das SG Nürnberg gewandt und ausgeführt, dass er mit dem Gerichtsbescheid nicht einverstanden sei. Er hat darüber hinaus Nachweise verlangt, dass eine Legitimation für die Entscheidung bestehe. Es liege eine Rechtsbeugung vor, da zu Unrecht die Ausführungen des Dr. E. und des Dr. G. als falsch und unglaubwürdig bezeichnet worden seien und im Gegensatz dazu der unzutreffenden Ansicht des Prof. Dr. F. gefolgt worden sei.

Das SG hat dieses Schreiben als Berufungsschreiben dem Bayer. Landessozialgericht vorgelegt.

Mit einem auf den 21.01.2016 datierten und am 22.01.2016 eingegangenen Telefaxschreiben hat der Kläger den aus seiner Sicht vorliegenden Sachverhalt geschildert. Er weise den Gerichtsbescheid als ungültig zurück und sehe Ansatzpunkte für eine durch die Staatsanwaltschaft zu verfolgende Straftat. Im Weiteren hat der Kläger wiederholt geltend gemacht, dass das „nachweislich unrichtige und unvollständige Gutachten von Dr. F.“ nicht mehr verwendet werden dürfe. Der Kläger hat mit Schreiben vom 17.05.2016 mitgeteilt, dass bei ihm alle Möglichkeiten einer Behandlung ausgeschöpft seien und er sich nicht mehr in Behandlung befinde.

Der Senat hat ein Gutachten nach Aktenlage bei dem Orthopäden Dr. D. in Auftrag gegeben. Dieser hat am 10.10.2016 ausgeführt, dass das Vorliegen folgender Gesundheitsstörungen beim Kläger ersichtlich sei: 1. Aufbraucherscheinungen der unteren Halswirbelsäule mit geringer Bewegungseinschränkung, jedoch ohne Wurzelreizerscheinungen. 2. Verschleißerscheinungen der kleinen Wirbelgelenke im Bereich der Lendenwirbelsäule ohne wesentliche Funktionseinschränkung und ohne Wurzelreizerscheinungen. 3. Zustand nach in achsengerechter Stellung knöchern konsolidierter Oberarmfraktur mit Funktionseinbuße der rechten Schulter. 4. Streckdefizit im rechten Ellenbogengelenk. 5. Sensible Störungen im Ausbreitungsgebiet des Nervus radialis rechts. 6. Geringe Verschleißerscheinungen beider Hüftgelenke ohne wesentliche Funktionseinschränkung, lediglich endgradige Drehbewegungsminderung. 7. Initiale Poyneuropathie beider Vorfüße. 8. Doppelgendefekt im Sinne einer Faktor-V-Mutation mit der Notwendigkeit lebenslang Marcumar einzunehmen. In sozialmedizinischer Hinsicht könne der Kläger leichte körperliche Arbeiten mindestens sechs Stunden unter Einhaltung der betriebsüblichen Arbeitspausen ausüben. Die Arbeit sollte überwiegend in wechselnder Körperhaltung erfolgen. Zu vermeiden seien überwiegende Zwangshaltungen, Überkopfarbeiten, häufige Hebe- und Bückarbeiten, das Heben und Tragen über 5 kg, zugige Räume, taktgebundene Arbeiten, Tätigkeiten mit besonderer Fingerfertigkeit, Schichtarbeit, ständiges Stehen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten. Zumutbar seien gelegentliches Bücken, Treppensteigen, zeitweise Bildschirmtätigkeit und das Führen eines Kraftfahrzeuges.

Auf eine Anfrage des Senats, ob einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt werde, hat der Kläger mit Schreiben vom 14.11.2016 geantwortet. Er hat hierbei eine Postanschrift in A-Stadt und einen Wohnort auf den Philippinen angegeben. Er habe dieses Schreiben schon verfasst, bevor er die Anfrage des Senats erhalten habe. Er sei leider nicht in der Lage, an einer mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Er habe einen gesundheitlich bessernden Auslandsaufenthalt von seiner Familie und von Freunden bezahlt bekommen. Er hoffe auf eine Besserung des sich in den letzten Monaten massiv verschlechternden Gesundheitszustandes durch Konsultation dort ansässiger Spezialisten. Der Senat hat ermittelt, dass der Kläger unter der angegebenen Anschrift nicht förmlich gemeldet gewesen war; der Kläger hat hierzu angegeben, dass er sich nur vorübergehend bei seiner Schwester aufgehalten habe, dies aber die Kontaktanschrift sein solle.

Unter dem 12.01.2017 hat der Kläger mitgeteilt, dass er am 03.01.2017 auf den Philippinen wegen einer Hirnblutung stationär habe behandelt werden müssen. Unterlagen darüber würden nur in der Landessprache vorliegen. Er sei für lange Zeit nicht reisefähig. Weiter hat er mit Schreiben vom 23.01.2017 seine Argumente für den Rentenanspruch noch einmal in schriftlicher Form für den Verhandlungstermin zusammengefasst.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 11.12.2015 und den Bescheid der Beklagten vom 25.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.07.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ab Antragstellung eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 11.12.2015 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der beigezogenen Akte der Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG). Zwar könnte man daran zweifeln, ob das Schreiben des Klägers vom 05.01.2016 an das SG Nürnberg tatsächlich den Willen ausdrückt, Rechtsmittel gegen die gerichtliche Entscheidung zu ergreifen. Dies kann aber dahingestellt bleiben, da sich der Kläger am 22.01.2016 und damit noch innerhalb der Berufungsfrist - Zustellung des Gerichtsbescheids war am 23.12.2015 - direkt an das Berufungsgericht gewandt hat und ausgeführt hat, mit dem Gerichtsbescheid nicht einverstanden zu sein. Auch wenn nicht ausdrücklich von Berufung die Rede ist, ist dies so auszulegen, da der rechtlich nicht vorgebildete Kläger erkennbar jedes denkbare Rechtsmittel gegen die Entscheidung ausschöpfen wollte.

Das Bayer. Landessozialgericht - Zweigstelle Schweinfurt - ist auch zuständiges Berufungsgericht für eine am SG Nürnberg erstinstanzlich entschiedene Streitsache aus dem Rentenrecht. Dies ist unabhängig davon, ob der Kläger über einen inländischen Wohnsitz oder Aufenthaltsort verfügt. Die vom Kläger - auch für Zustellungen - benannte inländische Adresse führt im Übrigen faktisch zum Vorhandensein eines Empfangsbevollmächtigten.

Die Berufung ist aber nicht begründet, denn das SG Nürnberg ist zutreffend zum Ergebnis gelangt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung hat und die angefochtenen Bescheide der Beklagten daher im Ergebnis nicht zu beanstanden sind.

Gemäß § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie 1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, die in gleicher Weise für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und wegen Berufsunfähigkeit gelten (§ 43 Abs. 1 und § 240 SGB VI), hat der Kläger bei Antragstellung unproblematisch erfüllt gehabt. Für einen eventuellen, ab Juli 2016 neu eingetretenen medizinischen Leistungsfall würden sie jedoch nicht mehr vorliegen, da der Kläger im März 2013 und ab Juli 2014 keine rentenrechtlich relevanten Zeiten aufzuweisen hat und damit ausgehend von einem derartigen Leistungsfall nicht mehr in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung die erforderliche Anzahl an Pflichtbeiträgen vorliegen würde.

Eine Anwendung von § 241 Abs. 2 SGB VI kommt nicht in Betracht, da der Kläger zwar zum 01.01.1984 bereits die allgemeine Wartezeit erfüllt gehabt hatte, jedoch seitdem nicht lückenlos rentenrechtlich relevante Zeiten vorgelegen haben: Im März 2013 ist eine Lücke, die auch nicht mehr geschlossen werden kann, da die Frist für die Zahlung von freiwilligen Beiträgen für das Jahr 2013 bei Stellung des Rentenantrags im Mai 2014 bereits abgelaufen war (§ 197 Abs. 2 SGB VI).

Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die medizinischen Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 SGB VI erfordern, dass ein Versicherter nicht mindestens 6 Stunden täglich einsatzfähig ist. Ergänzend führt § 43 Abs. 3 SGB VI aus, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Der Kläger ist zur Überzeugung des Senats noch in der Lage, wenigstens 6 Stunden täglich Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Es muss sich um leichte körperliche Arbeiten in wechselnder Körperhaltung handeln. Als Einschränkungen der Arbeitsbedingungen sind zu beachten: Keine überwiegenden Zwangshaltungen, keine Überkopfarbeiten, keine häufigen Hebe- und Bückarbeiten, kein Heben und Tragen über 5 kg, keine Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, keine besondere Unfallgefahr, keine Anforderungen an besondere Fingerfertigkeit, keine zugigen Räume, keine Schichtarbeit, keine Arbeit im Akkord oder sonst unter Zeitdruck.

Eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens sieht der Senat nicht als nachgewiesen an. Soweit der Gutachter Dr. G. zu einer derartigen quantitativen Einschränkung gelangt ist, ist dies nicht hinreichend aus den bestehenden Gesundheitsstörungen abgeleitet. Hinzu kommt, dass der Gutachter von Einschränkungen ausgeht, deren dauerhaftes Vorhandensein nicht belegt ist. Dies betrifft zum einen die Stärke der Bewegungseinschränkungen als solche und daneben die Frage der Besserung durch adäquate Behandlung. Dr. G. benennt ausdrücklich als bisher nicht ausgeschöpfte Behandlungsoption die Durchführung einer stationären Rehabilitationsbehandlung. Dies steht im Gegensatz zu der Auffassung des Klägers, dass eine weitere Behandlung nicht möglich sei, und zu der Tatsache, dass sich der Kläger - abgesehen von der angegeben Akutbehandlung zu Jahresbeginn 2017 - nur äußerst selten und nur hausärztlich behandeln lässt.

Alle übrigen Gutachter, insbesondere auch der vom Senat gehörte Dr. D., kommen zum Ergebnis, dass keine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens des Klägers aus den festgestellten Gesundheitsstörungen resultiere. Soweit der Kläger auf Dr. E. verweist, handelt es sich um Parteivorbringen unter Einschaltung eines medizinisch Sachkundigen und nicht um ein unabhängiges Gutachten. Inhaltlich vermag Dr. E. nicht überzeugend zu belegen, dass der Kläger keinerlei Erwerbstätigkeit - auch nicht bei Beachtung der Einschränkungen der Arbeitsbedingungen - mehr nachgehen kann. Hinzu kommt, dass er seine Einschätzung auf eine nicht näher nachvollziehbare Zusammenschau stützt und dabei auf den Arbeitsmarkt Bezug nimmt, wobei die Verwendung des Wortes „einsetzbar“ anstatt „einsatzfähig“ darauf hindeutet, dass auch die Arbeitsmarktlage eine Rolle gespielt hat.

Soweit der Kläger seine Genanomalien nicht hinreichend gewürdigt meint, ist darauf hinzuweisen, dass anders als bei der Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) im Rentenrecht immer maßgeblich ist, welche Funktionseinschränkungen dauerhaft mit einer Gesundheitsstörung verbunden sind. Bei den genannten Anomalien besteht die Einschränkung im Wesentlichen darin, dass eine dauerhafte Medikation erforderlich ist - so auch Dr. D. - und bei laufender Behandlung mit Medikamenten zur Hemmung der Blutgerinnung - wie allgemein bekannt - Verletzungen üblicherweise mit hohem Blutverlust verbunden sind und gefährlich werden können. Deshalb ist in solchen Fällen bei den Arbeitsbedingungen selbstverständlich darauf zu achten, dass eine Unfallgefährdung am Arbeitsplatz weitestgehend zu vermeiden ist.

Der Hinweis des Klägers auf seine schon seit der Musterung vorliegenden Hüftbeschwerden führt ebenfalls nicht zur Erfüllung der medizinischen Voraussetzungen. Die Hüftbeschwerden sind zur Überzeugung des Senats von den Sachverständigen durch Benennung entsprechender Arbeitsbedingungen berücksichtigt worden, wobei dies von ihnen - außer möglicherweise von Dr. G. - auch als ausreichend angesehen wurde. Zudem haben die Beschwerden, wie vom Kläger selbst vorgetragen, schon während der Erwerbstätigkeit des Klägers vorgelegen und darüber hinaus wären sie nach der Schilderung des Klägers Erkrankungen, die bereits zu Beginn des Erwerbslebens vorgelegen hätten und damit nicht unter den Versicherungsschutz fallen. Es ist nicht ersichtlich, wieso durch diese die Erwerbsfähigkeit des Klägers nun auf einmal ausgeschlossen sein sollte.

Soweit der Kläger von einem "„nachweislich unrichtigen und unvollständigen Gutachten von Dr. F.“ spricht, liegt ein solcher Nachweis entgegen der Auffassung des Klägers nicht vor. Insbesondere übergeht der Kläger, dass auf seine Einwände hin vom Sozialgericht eine ergänzende Stellungnahme bei Prof. Dr. F. eingeholt worden war, so dass dieser sich noch einmal explizit zu den Gesundheitsstörungen geäußert hat, die nach Ansicht des Klägers vom Gutachter übersehen oder unbeachtet gelassen worden wären. Hinzu kommt, dass Dr. D. klar dargelegt hat, dass die Untersuchungsergebnisse des Dr. F. weitestgehend mit denen des vom Kläger privat beauftragten Dr. E. übereinstimmen. Die sozialmedizinischen Schlussfolgerungen können also ohne weiteres auch aus dessen Befunden abgeleitet werden, wobei der Senat schon ausgeführt hat, warum der sozialmedizinischen Einschätzung des Dr. E. jedoch nicht zu folgen ist.

Ob die vom Kläger geltend gemachte aktuelle gesundheitliche Verschlechterung im Januar 2017 ausreicht, um nun vom Vorliegen von teilweiser oder voller Erwerbsminderung auszugehen, lässt sich derzeit nicht aufklären. Dies kann aber dahingestellt bleiben, weil bei einem medizinischen Leistungsfall im Januar 2017 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt wären und somit ein Rentenanspruch des Klägers - unabhängig von der momentanen gesundheitlichen Situation - nicht besteht.

Zwar kann in bestimmten Ausnahmefällen eine Rentengewährung wegen voller Erwerbsminderung auch dann erfolgen, wenn bei dem Kläger keine quantitative Einschränkung besteht; dazu müssten jedoch die Voraussetzungen für einen von der Rechtsprechung des BSG entwickelten sog. Katalogfall erfüllt sein, was aus Sicht des Senates nicht der Fall ist. Für die Prüfung ist nach dem BSG (Urt. v. 09.05.2012, B 5 R 68/11 R - zitiert nach juris) mehrschrittig vorzugehen. Zunächst ist festzustellen, ob mit dem Restleistungsvermögen Verrichtungen erfolgen können, die bei ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden, wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Maschinenbedienung, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen. Wenn sich solche abstrakten Handlungsfelder nicht oder nur unzureichend beschreiben lassen und ernste Zweifel an der tatsächlichen Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen kommen, stellt sich im zweiten Schritt die Frage nach der besonderen spezifischen Leistungsbehinderung oder der Summierung ungewöhnlicher Einschränkungen und, falls eine solche Kategorie als vorliegend angesehen wird, wäre im dritten Schritt von der Beklagten eine Verweisungstätigkeit konkret zu benennen und die Einsatzfähigkeit dann hinsichtlich dieser Tätigkeit abzuklären (vgl. Gürtner in: Kasseler Kommentar, Stand August 2012, § 43 SGB VI Rn 37 mwN).

Für den Senat ergeben sich keine ernsthaften Zweifel an der Einsatzfähigkeit des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, da alle Arbeitsfelder als grundsätzlich geeignet anzuführen wären, soweit bei ihnen die Einschränkungen der Arbeitsbedingungen beachtet werden. Aber selbst wenn man ernstliche Zweifel unterstellen wollte, so sind die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen nicht als schwere spezifische Behinderung und auch nicht als Summierung von ungewöhnlichen Einschränkungen einzuordnen. Die Armfunktionen gehen - wie Dr. D. ausgeführt hat - weit über eine bloße Beihandfunktion hinaus und selbst eine solche würde ja noch nicht zur funktionalen Einarmigkeit führen. Beim Kläger sind zwar eine Reihe von Einschränkungen der Arbeitsbedingungen als erforderlich beschrieben, doch die vorgenannte Summierung im Rechtssinn würde voraussetzen, dass zu den Einschränkungen der Belastbarkeit, wie sie üblicherweise bei physisch und teilweise psychisch geschwächten Erwerbsfähigen zu beobachten sind, besondere weiter reichende Einschränkungen hinzutreten. Die beim Kläger festgestellten Einschränkungen sind dagegen gerade nicht so weitgehend. Die Sinneswahrnehmung ist intakt und kann im Erwerbsleben zum Einsatz gebracht werden. Dies gilt jedenfalls für die Zeit vor der behaupteten aktuellen Verschlechterung der gesundheitlichen Situation des Klägers im Januar 2017.

Das oben beschriebene Leistungsbild mit einem Restleistungsvermögen des Klägers an geeigneten Arbeitsplätzen von 6 Stunden und mehr führt auch dazu, dass teilweise Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI nicht nachgewiesen ist, so dass die hilfsweise beantragte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ebenfalls ausscheidet.

Der Kläger hat schließlich auch keinen Anspruch auf die weiter hilfsweise beantragte Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI). Zwar gehört der Kläger von seinem Geburtsjahrgang her zu den Altersgruppen, für die diese Übergangsvorschrift überhaupt in Betracht kommt.

Der Kläger kann entgegen der bisher von den Beteiligten im Verfahren geäußerten Auffassung sich zur Überzeugung des Senats jedoch nicht auf einen weitergehenden Berufsschutz berufen.

Nach § 240 Abs. 2 SGB VI sind berufsunfähig Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als 6 Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können.

Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hat für die Einstufung der verschiedenen beruflichen Tätigkeiten ein Mehrstufenschema entwickelt, das ursprünglich von vier Gruppen ausging (vgl. etwa schon BSG, Urt. vom 09.09.1986, Az. 5b RJ 82/85- zitiert nach juris). Jede Stufe wurde dabei durch Leitberufe klassifiziert. Der ersten Stufe gehörten Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion und besonders hoch qualifizierte Facharbeiter an, der zweiten Stufe Facharbeiter in einem anerkannten Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungsdauer von mehr als zwei Jahren und ihnen Gleichgestellte. Der dritten Stufe gehörten angelernte Arbeiter an, die eine erforderliche Ausbildungszeit von längstens zwei Jahren Dauer, aber mindestens drei Monaten absolviert hatten. Der Gruppe der Ungelernten waren schließlich die Versicherten zuzuordnen, deren Tätigkeit nicht zu einer höherwertigen Einstufung führte. An der bestehenden Einteilung haben sich auch nach der ergänzenden Einbeziehung der früheren Angestelltenberufe in ein neues Sechsstufenschema nur Äußerlichkeiten geändert (vgl. Gürtner in: Kasseler Kommentar, Stand August 2012, § 240 SGB VI, Rn. 24 mwN aus der Rechtsprechung).

Der Kläger hat ursprünglich mit dem Beruf eines Kfz-Mechanikers eindeutig eine Facharbeitertätigkeit erlernt und eine gewisse Zeit auch ausgeübt gehabt. Von diesem Beruf hat sich der Kläger in der Folgezeit aber gelöst und anderen Berufen zugewandt, ohne dass gesundheitliche Einschränkungen als maßgeblicher Grund dafür belegt wären (vgl. Gürtner a.a.O. Rn. 21). Die Tätigkeit des Kesselwärters und Heizers ist mit einem Lehrgang zu erlernen gewesen. Es handelt sich - insoweit auch vom Kläger zutreffend eingeschätzt - um eine Anlerntätigkeit, die auch nicht zum oberen Bereich der Anlernberufe zählt. Der Beruf des Chemikanten, den der Kläger danach erlernt hat, kann von der Dauer der Umschulung her möglicherweise als Anlernberuf des oberen Bereiches anzusehen sein, er kann aber auch schon der Facharbeiterebene zuzuordnen sein. Der Senat sieht diesen Beruf aber nicht als maßgeblich für einen erworbenen Berufsschutz an, da er das Erwerbsleben des Klägers nicht geprägt hat, sondern tatsächlich überhaupt nicht ausgeübt worden ist. Somit ist maßgeblich die zuletzt nicht nur vorübergehend, sondern jahrelang ausgeübte Tätigkeit als Kesselwärter und Heizer. Wenn eine Anlerntätigkeit maßgeblicher Ausgangsberuf ist, ist die Verweisung auch auf die nächst niedrigere Stufe - also ungelernte Tätigkeiten - zulässig (vgl. Gürtner a.a.O. Rn. 95). Damit ist der Kläger auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar und die Beklagte ist nicht gehalten eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen (vgl. Gürtner a.a.O. Rn. 114). Die Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sieht der Senat - wie oben dargestellt - als gegeben an.

Aber selbst wenn man entgegen der Überzeugung des Senats eine Einordnung der Berufstätigkeiten des Klägers in die Stufe der Facharbeitertätigkeiten annehmen wollte und somit eine Verweisung nur auf eine konkret benannte andere Facharbeitertätigkeit oder Anlerntätigkeit in Betracht kommen würde, wäre es zu bejahen, dass der Kläger mit seinem Restleistungsvermögen die von der Beklagten benannten Tätigkeiten eines Registrators und eines Telefonisten verrichten und auf diese Berufe verwiesen werden könnte. Wie von der Beklagten unter Bezugnahme auf Rechtsprechung zutreffend dargelegt, handelt es sich dabei um einem Facharbeiter zumutbare Verweisungstätigkeiten. Auch der Kläger könnte sich in der erforderlichen Einarbeitungszeit in derartige Tätigkeiten einarbeiten. Es ist nicht erkennbar, dass die mit diesen Tätigkeiten verbundenen Anforderungen nicht mit den dem Kläger zumutbaren Arbeitsbedingungen zur Deckung zu bringen wären.

Dementsprechend sind die Entscheidungen der Beklagten, die einen Rentenanspruch des Klägers nicht als belegt ansehen, nicht zu beanstanden.

Nach alledem war die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Nürnberg vom 11.12.2015 als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

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Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 26. Jan. 2017 - L 19 R 17/16 zitiert 12 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 144


(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hier

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 151


(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. (2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerh

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 43 Rente wegen Erwerbsminderung


(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise erwerbsgemindert sind,2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 143


Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 240 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit


(1) Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die 1. vor dem 2. Januar 1961 geboren und2. berufsunfähigsind. (2) Berufsunfähig

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 241 Rente wegen Erwerbsminderung


(1) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit (§ 240), in dem Versicherte für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit hab

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 197 Wirksamkeit von Beiträgen


(1) Pflichtbeiträge sind wirksam, wenn sie gezahlt werden, solange der Anspruch auf ihre Zahlung noch nicht verjährt ist. (2) Freiwillige Beiträge sind wirksam, wenn sie bis zum 31. März des Jahres, das dem Jahr folgt, für das sie gelten sollen,

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Bundessozialgericht Urteil, 09. Mai 2012 - B 5 R 68/11 R

bei uns veröffentlicht am 09.05.2012

Tenor Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 2011 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detm
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 26. Jan. 2017 - L 19 R 17/16.

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 20. Sept. 2017 - L 19 R 292/16

bei uns veröffentlicht am 20.09.2017

Tenor I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 07.04.2016 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbe

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Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

(1) Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die

1.
vor dem 2. Januar 1961 geboren und
2.
berufsunfähig
sind.

(2) Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(1) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit (§ 240), in dem Versicherte für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben müssen, verlängert sich auch um Ersatzzeiten.

(2) Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit (§ 240) sind für Versicherte nicht erforderlich, die vor dem 1. Januar 1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 1. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit (§ 240) mit

1.
Beitragszeiten,
2.
beitragsfreien Zeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb nicht beitragsfreie Zeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag, eine beitragsfreie Zeit oder eine Zeit nach Nummer 4, 5 oder 6 liegt,
4.
Berücksichtigungszeiten,
5.
Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder
6.
Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts im Beitrittsgebiet vor dem 1. Januar 1992
(Anwartschaftserhaltungszeiten) belegt ist oder wenn die Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit (§ 240) vor dem 1. Januar 1984 eingetreten ist. Für Kalendermonate, für die eine Beitragszahlung noch zulässig ist, ist eine Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten nicht erforderlich.

(1) Pflichtbeiträge sind wirksam, wenn sie gezahlt werden, solange der Anspruch auf ihre Zahlung noch nicht verjährt ist.

(2) Freiwillige Beiträge sind wirksam, wenn sie bis zum 31. März des Jahres, das dem Jahr folgt, für das sie gelten sollen, gezahlt werden.

(3) In Fällen besonderer Härte, insbesondere bei drohendem Verlust der Anwartschaft auf eine Rente, ist auf Antrag der Versicherten die Zahlung von Beiträgen auch nach Ablauf der in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen zuzulassen, wenn die Versicherten an der rechtzeitigen Beitragszahlung ohne Verschulden gehindert waren. Der Antrag kann nur innerhalb von drei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt werden. Die Beitragszahlung hat binnen einer vom Träger der Rentenversicherung zu bestimmenden angemessenen Frist zu erfolgen.

(4) Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 des Zehnten Buches ist ausgeschlossen.

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 2011 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 10. Dezember 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit gewähren muss.

2

Die 1954 geborene Klägerin hat keine Schule besucht und keinen Beruf erlernt. Sie ist auch in ihrer türkischen Muttersprache (primäre) Analphabetin, weil sie keine Zahlen kennt, nur minimale Buchstabenkenntnisse besitzt und deshalb selbst mit fremder Hilfe weder lesen noch schreiben kann. In Deutschland arbeitete sie ab November 1987 bis zum Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit im September 2004 durchgehend als Reinigungskraft bei der Stadt B.

3

Sie leidet an einer Wirbelsäulenerkrankung ohne neurologische Ausfallerscheinungen, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und einer depressiven Erkrankung. Trotz dieser Krankheiten kann sie noch körperlich leichte Tätigkeiten sechs (und mehr) Stunden an fünf Tagen in der Woche regelmäßig verrichten. Auszuschließen sind Arbeiten mit Knien, Hocken, häufigem Bücken, über Kopf, mit Besteigen von Leitern und Gerüsten, unter Umwelteinflüssen (wie Kälte, Hitze, Temperaturschwankungen, Nässe, Staub, Gas, Dampf, Rauch, Lärm, Schmutzeinwirkung), in Wechsel- und Nachtschicht, unter zeitlichem Druck, wie bei Akkord- oder Fließbandarbeit, sowie mit häufigem Publikumsverkehr. Der Analphabetismus der Klägerin beruht nicht auf einer gesundheitlichen Störung.

4

Ihren Antrag vom 21.6.2005 auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit lehnte die Beklagte ab, weil sie noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein könne (Bescheid vom 22.9.2005 und Widerspruchsbescheid vom 6.1.2006). Die Klage blieb erfolglos (Urteil des SG Detmold vom 10.12.2007).

5

Das LSG hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgehend von einem am 21.6.2005 eingetretenen Leistungsfall befristet bis zum 31.1.2014 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen (Urteil vom 21.2.2011): Die Klägerin habe die allgemeine Wartezeit zurückgelegt, erfülle die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen und sei voll erwerbsgemindert. Denn ihr sei der Arbeitsmarkt unter dem Gesichtspunkt einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen praktisch verschlossen. Zwar seien die qualitativen Leistungseinschränkungen nach der Rechtsprechung des 5. Senats des BSG, der sich der erkennende Senat anschließe, nicht ungewöhnlich und ließen für sich allein noch keine ernstlichen Zweifel daran aufkommen, dass die Klägerin in einem Betrieb einsetzbar sei. Gleichwohl seien keine beruflichen Tätigkeiten ersichtlich, die sie auf der Grundlage ihres Restleistungsvermögens und ihres muttersprachlichen Analphabetismus noch verrichten könne. Der Analphabetismus sei bei der Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliege, zu berücksichtigen, wenn das weite Feld der Tätigkeiten, die die Fähigkeit des Lesens und Schreibens nicht unbedingt erforderten, aufgrund weiterer Leistungseinschränkungen und der Beschränkung des Restleistungsvermögens auf nur leichte Arbeiten nicht mehr zweifelsfrei offenstehe. Eine realistische Verwertung des Restleistungsvermögens im Erwerbsleben setze voraus, dass eine Verweisungstätigkeit den Kräften und Fähigkeiten des Versicherten entspreche, wodurch sichergestellt werde, dass keine vom tatsächlichen Leistungsvermögen losgelöste, also fiktive Verweisung erfolge. Eine konkrete Verweisungstätigkeit, die die Klägerin mit den verbliebenen Fähigkeiten noch verrichten könne, sei indes nicht ersichtlich. Die Tätigkeiten als Museumswärterin/Aufseherin, Küchenhilfe, Büglerin, Mitarbeiterin in einer Mangel, Warensortiererin in der Kunststoff- und Metallindustrie oder in der Papier- und Elektroindustrie, die die Beklagte benannt habe, könne die Klägerin teils aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen, teils aufgrund des Analphabetismus nicht mehr ausüben.

6

Mit der Revision, die das LSG zugelassen hat, rügt die Beklagte eine Verletzung von § 43 SGB VI: Nach der Rechtsprechung des BSG sei in der Regel davon auszugehen, dass Versicherte, die noch körperlich leichte Tätigkeiten- wenngleich mit qualitativen Einschränkungen - täglich mindestens sechs Stunden verrichten könnten, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den dort üblichen Bedingungen erwerbstätig sein könnten. Eine konkrete Verweisungstätigkeit sei in dieser Situation nur zu benennen, wenn ausnahmsweise eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliege. Das LSG führe jedoch selbst nachvollziehbar aus, dass sämtliche Leistungseinschränkungen der Klägerin nicht ungewöhnlich seien und für sich allein keine ernstlichen Zweifel daran aufkommen ließen, dass sie in einem Betrieb einsetzbar sei. Bei der Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliege, müsse ihr Analphabetismus außer Acht bleiben. Denn er beruhe nicht auf einer gesundheitlichen Störung oder auf intellektuellen Defiziten, sondern darauf, dass sie keine Schule besucht und deshalb weder Lesen noch Schreiben erlernt habe. Ein solcher Analphabetismus sei als Bildungsdefizit und nicht als Erwerbsminderung auslösende Krankheit oder Behinderung zu werten. Soweit sich das Berufungsgericht für seine gegenteilige Ansicht auf das Senatsurteil vom 10.12.2003 (B 5 RJ 64/02 R - SozR 4-2600 § 44 Nr 1) stütze, stehe diese Entscheidung nicht mit dem Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996 (GS 2/95 - BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8) in Einklang. Danach sei es ausgeschlossen, "einen arbeitslosen Versicherten, der noch vollschichtig arbeiten" könne, "deshalb als erwerbsunfähig anzusehen, weil neben den gesundheitlichen Einschränkungen Risikofaktoren wie Langzeitarbeitslosigkeit und vorgerücktes Alter oder mangelhafte Ausbildung die Vermittlungschancen zusätzlich" erschwerten. Analphabetismus sei jedoch nichts anderes als "mangelnde Ausbildung". Für die Überwindung des Analphabetismus seien nicht die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern die Bundesagentur für Arbeit, die Grundsicherungsträger sowie die Kommunen und Länder zuständig; das daraus resultierende Arbeitsmarktrisiko dürfe nicht auf die Rentenversicherungsträger verlagert werden. Soweit die Rechtsprechung schließlich zwischen Analphabetismus und mangelnden Deutschkenntnissen unterscheide, sei diese Differenzierung inkonsequent. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl Senatsurteil vom 15.5.1991 - 5 RJ 92/89 - BSGE 68, 288 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 11) müssten unzureichende Deutschkenntnisse bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit außer Acht bleiben, weil dem Rentenversicherungsträger sonst ein von der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erfasstes Risiko aufgebürdet werde. Nichts anderes müsse für Analphabetismus gelten. Dass der Klägerin der Zugang zum Arbeitsmarkt wegen ihres Analphabetismus erschwert sei, könne ebenso wenig wie der Umstand berücksichtigt werden, dass sie aufgrund mangelhafter deutscher Sprachkenntnisse nicht ausreichend kommunizieren könne.

7

Die Beklagte beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 2011 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 10. Dezember 2007 zurückzuweisen.

8

Die Klägerin beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

9

Sie trägt vor: Aufgrund einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen erfülle sie die Voraussetzungen einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, wobei ihr Analphabetismus zu berücksichtigen sei. Als primäre Analphabetin sei sie auf dem Arbeitsmarkt, unter Hinzutreten weiterer ungewöhnlicher Erschwernisse, schlichtweg nicht (mehr) vermittelbar und könne auch auf Alternativtätigkeiten nicht (mehr) verwiesen werden. Selbst wenn man den primären Analphabetismus außer Acht ließe, seien zumutbare Verweisungstätigkeiten weder ersichtlich noch von der Beklagten benannt worden. Vor dem Hintergrund bestehender Fürsorgepflicht hätte die Beklagte durch Rehabilitations- bzw Förderungsmaßnahmen dem Analphabetismus entgegenwirken und hierdurch eine Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt wiederherstellen müssen.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Das Urteil des LSG verletzt Bundesrecht (§ 162 SGG). Der Klägerin steht kein Recht auf Rente wegen Erwerbsminderung zu.

11

1. Als Anspruchsgrundlage kommt allein § 43 Abs 2 SGB VI in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.2.2002 (BGBl I 754) in Betracht (§ 300 Abs 1 SGB VI). Danach haben Versicherte bei Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (Abs 2 S 1 Nr 2 und 3) bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Abs 2 S 1 Nr 1). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Abs 2 S 2). Erwerbsgemindert ist hingegen nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Abs 3). Nach § 102 Abs 2 S 1 SGB VI werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, zu denen auch die Rente wegen voller Erwerbsminderung zählt(§ 33 Abs 3 Nr 2 SGB VI), auf Zeit geleistet. Die Befristung (§ 32 Abs 2 Nr 1 SGB X) erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn (§ 102 Abs 2 S 2 iVm § 101 Abs 1 SGB VI) und kann wiederholt werden (§ 102 Abs 2 S 3 SGB VI in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.2.2002, BGBl I 754).

12

2. Nach den Feststellungen des LSG, die nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angefochten und deshalb für den Senat bindend sind (§ 163 SGG), kann die Klägerin körperlich leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden (arbeits)täglich, dh an fünf Tagen in der Woche, verrichten. Dieses zeitliche (quantitative) Leistungsvermögen schließt die Annahme einer "vollen Erwerbsminderung" gemäß § 43 Abs 3 Halbs 1 SGB VI aber noch nicht aus. Vielmehr kommt es nach dieser Vorschrift iVm § 43 Abs 2 S 2 SGB VI entscheidend darauf an, ob die Klägerin "wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande" ist, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts … erwerbstätig zu sein". Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

13

Die Rentenversicherungsträger und im Streitfall die Tatsachengerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben von Amts wegen (§ 20 Abs 1 S 1 SGB X, § 103 SGG) mit Hilfe (medizinischer) Sachverständiger (§ 21 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB X, § 106 Abs 3 Nr 5 SGG) zu ermitteln und festzustellen,

        

a)    

Art, Ausprägung und voraussichtliche Dauer der Krankheit(en) oder Behinderung(en), an denen der Versicherte leidet,

        

b)    

Art, Umfang und voraussichtliche Dauer der quantitativen und qualitativen Leistungseinschränkungen (Minderbelastbarkeiten, Funktionsstörungen und -einbußen) sowie den

        

c)    

Ursachenzusammenhang ("wegen") zwischen a) und b).

14

a) Das LSG hat bindend (§ 163 SGG) festgestellt, dass die Klägerin "an einer Wirbelsäulenerkrankung ohne neurologische Ausfallerscheinungen, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und an einer depressiven Erkrankung leidet". Dabei handelt es sich - auch soweit psychische Leiden vorliegen (s dazu BSGE 21, 189 = SozR Nr 39 zu § 1246 RVO; SozR Nr 15 zu § 1254 aF RVO) - um Krankheiten iS von § 43 Abs 2 S 2 SGB VI, dh um regelwidrige Körper- bzw Geisteszustände(BSGE 14, 207 = SozR Nr 5 zu § 45 RKG), die geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit herabzusetzen (BSGE 13, 255 = SozR Nr 11 zu § 1246 RVO). Den Analphabetismus oder dessen Ursachen hat das Berufungsgericht dagegen nicht als Krankheit bezeichnet, sondern ausdrücklich ausgeführt, dass die komplette Lese- und Schreibinkompetenz "nicht auf einer gesundheitlichen Störung" beruht. Sie ist auch keine "Behinderung", weil dazu rentenversicherungsrechtlich nur (weiter die Begriffsbestimmung in § 2 Abs 1 SGB IX) krankheitsbedingte Störungen zählen (Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 98; Kunze, DRV 2001, 192), deren Entwicklung - anders als bei einer Krankheit (vgl dazu BSGE 28, 114 = SozR Nr 28 zu § 182 RVO) - irreversibel abgeschlossen ist. Der "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruhende Analphabetismus" kann aber durch Erlernen der Schriftsprache überwunden werden.

15

b) Das LSG hat weiter bindend festgestellt, dass die Klägerin noch körperlich leichte Tätigkeiten sechs (und mehr) Stunden an fünf Tagen in der Woche regelmäßig verrichten kann. Auszuschließen sind Arbeiten mit Knien, Hocken, häufigem Bücken, über Kopf, mit Besteigen von Leitern und Gerüsten, unter Umwelteinflüssen (wie Kälte, Hitze, Temperaturschwankungen, Nässe, Staub, Gas, Dampf, Rauch, Lärm, Schmutzeinwirkung), in Wechsel- und Nachtschicht, unter zeitlichem Druck, wie bei Akkord- oder Fließbandarbeit, sowie mit häufigem Publikumsverkehr.

16

c) Zwischen diesen Leistungseinschränkungen (Erwerbsminderung) und den Krankheit(en) bzw Behinderung(en) muss ein Ursachenzusammenhang bestehen ("wegen"). Die Leistungsminderung muss wesentlich (Theorie der wesentlichen Bedingung, vgl BSGE 96, 291, 293 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7 RdNr 15)auf einer Krankheit oder Behinderung (den versicherten Risiken) beruhen und nicht auf sonstigen Umständen wie Lebensalter, fehlenden Sprachkenntnissen (Senatsurteil vom 15.5.1991 - 5 RJ 92/89 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 11 S 38 f; BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 9 S 34 f; SozR 2200 § 1246 Nr 61) oder Arbeitsentwöhnung (BSGE 7, 66). Aus den Darlegungen des LSG zum Ursachenzusammenhang geht hinreichend deutlich hervor, dass die beschriebenen Leistungseinschränkungen und Minderbelastbarkeiten aus den zuvor festgestellten Gesundheitsstörungen "resultieren". Außerdem hält das Berufungsgericht ausdrücklich fest, dass der Analphabetismus der Klägerin "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruht", also gerade kein Ursachenzusammenhang zwischen ihm und einer der festgestellten Erkrankungen vorliegt.

17

3. Steht das krankheits- bzw behinderungsbedingte (Rest-)Leistungsvermögen fest, ist im nächsten Prüfungsschritt die Rechtsfrage zu klären, ob der Versicherte damit außerstande ist, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" tätig zu sein. Diese Frage ist hier zu verneinen. Die zitierte Formulierung verwendete der Gesetzgeber ursprünglich im Arbeitsförderungsrecht (§ 103 AFG, § 119 SGB III, seit dem 1.4.2012: § 138 Abs 5 SGB III) und übertrug sie später auf das Recht der Renten wegen Erwerbsminderung. Mit dieser Übernahme griff er gleichzeitig die Rechtsprechung des BSG auf, wonach dem Betroffenen der Zugang zum Arbeitsmarkt trotz vollschichtigem Leistungsvermögen praktisch verschlossen war, wenn er krankheitsbedingt keine "Erwerbstätigkeit unter den in Betrieben üblichen Bedingungen" mehr ausüben konnte (sog 1. Katalog- und Seltenheitsfall, vgl dazu nur Senatsurteil vom 27.5.1977 - 5 RJ 28/76 - SozR 2200 § 1246 Nr 19 und die Zusammenstellung der Katalog- und Seltenheitsfälle in BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28). Die hierzu und zum Arbeitsförderungsrecht entwickelte Rechtsprechung ist auf die gesetzliche Neuformulierung übertragbar.

18

a) "Bedingungen" sind dabei alle Faktoren, die wesentliche Grundlage des Arbeitsverhältnisses sind (BSGE 11, 16, 20). Hierzu gehört vor allem der rechtliche Normrahmen, wie etwa Dauer und Verteilung der Arbeitszeit, Pausen- und Urlaubsregelungen, Beachtung von Arbeitsschutzvorschriften sowie gesetzliche Bestimmungen und tarifvertragliche Vereinbarungen (BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R - RdNr 29, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2600 § 43 Nr 16 vorgesehen; zum Arbeitsförderungsrecht: BSGE 11, 16, 20; 44, 164, 172 = SozR 4100 § 134 Nr 3; BSGE 46, 257, 259 = SozR 4100 § 103 Nr 17; BSG SozR 4100 § 103 Nr 23 S 55; BSG Urteil vom 21.4.1993 - 11 RAr 79/92 - Die Beiträge 1994, 431). Die Bedingungen sind "üblich", wenn sie nicht nur in Einzel- oder Ausnahmefällen anzutreffen sind, sondern in nennenswertem Umfang und in beachtlicher Zahl (BSG Urteil vom 19.10.2011, aaO, RdNr 29; BSGE 46, 257, 262, 264 = SozR 4100 § 103 Nr 17 S 40, 42; SozR 2200 § 1247 Nr 43 S 86 f; BSG Urteil vom 21.4.1993, aaO, Die Beiträge 1994, 431). Der Arbeitsmarktbegriff erfasst alle denkbaren Tätigkeiten (vgl BT-Drucks 14/4230, S 25), für die es faktisch "Angebot" und "Nachfrage" gibt. Das Adjektiv "allgemein" grenzt den ersten vom zweiten - öffentlich geförderten - Arbeitsmarkt, zu dem regelmäßig nur Leistungsempfänger nach dem SGB II und III Zugang haben, sowie von Sonderbereichen ab, wie beispielsweise Werkstätten für behinderte Menschen und andere geschützte Einrichtungen (BSG Urteil vom 19.10.2011, aaO RdNr 27). Die Klägerin kann nach den Feststellungen des LSG an fünf Tagen in der Woche mindestens sechs Stunden arbeiten. Sieht man davon ab, dass ihr Nacht- und Wechselschichten krankheitsbedingt nicht mehr zugemutet werden dürfen, benötigt sie im Hinblick auf Dauer und Verteilung der Arbeitszeit keine Sonderbehandlung, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unüblich wäre. Sie hat auch keinen erhöhten, betriebsunüblichen Pausen- oder Urlaubsbedarf und ist in einem Betrieb, also außerhalb geschützter Einrichtungen, einsetzbar. Wer aber in einem Betrieb unter den dort üblicherweise herrschenden Bedingungen arbeiten kann, ist auch imstande, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" tätig zu sein.

19

b) Soweit unter den Begriff der üblichen Bedingungen "auch tatsächliche Umstände" gefasst werden (BSG Urteil vom 19.10.2011, aaO, RdNr 29), "wie zB die für die Ausübung einer Verweisungstätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistige Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz", handelt es sich ausschließlich um kognitive Grundfähigkeiten, die krankheitsbedingt herabgesetzt sein können. Der "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruhende Analphabetismus" gehört nicht dazu. Wie der berufliche Werdegang der Klägerin exemplarisch und stellvertretend für eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen zeigt, zählen Lese- und Schreibkompetenzen keinesfalls zu den üblichen Grundbedingungen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses. Andernfalls könnten primäre Analphabeten nie unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig werden, wären schon vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit (voll) erwerbsgemindert und könnten Rente wegen voller Erwerbsminderung erst erhalten, nachdem sie die Wartezeit von 20 Jahren zurückgelegt haben (§ 43 Abs 6 iVm § 50 Abs 2 SGB VI).

20

4. Folglich kommt es entscheidend darauf an, ob die Klägerin trotz ihrer qualitativen Leistungseinschränkungen noch imstande ist, "erwerbstätig zu sein", dh durch (irgend)eine Tätigkeit Erwerb(seinkommen) zu erzielen. Diese Frage ist zu bejahen.

21

a) Um nachprüfbar zu machen, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, hat das BSG bereits zum Parallelproblem im Recht der Renten wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit (§§ 1246, 1247 RVO bzw §§ 43, 44 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Altfassung - aF) die Pflicht der Rentenversicherungsträger entwickelt, dem Versicherten zumindest eine zumutbare Tätigkeit (sog Verweisungstätigkeit) konkret zu benennen, die er mit seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch ausüben kann (sog Benennungsgebot), wenn eine Rente wegen fehlender Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit abgelehnt werden sollte (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 229; SozR 2200 § 1246 Nr 72, 74, 98 und 104). Zu benennen war eine Berufstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 72 S 229 und Nr 74 S 234; SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 229). Die Angabe einzelner Arbeitsvorgänge oder Tätigkeitsmerkmale genügte nicht (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 34 S 130 f mwN; BSG Urteil vom 27.3.2007 - B 13 R 63/06 R - Juris RdNr 30). Andererseits musste kein konkreter Arbeitsplatz bezeichnet werden (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104 S 324). Die zu benennende Tätigkeit musste auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tatsächlich in ausreichendem Umfang vorkommen (BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28), dh es mussten grundsätzlich mehr als 300 Stellen (besetzt oder offen) vorhanden sein (BSGE 78, 207, 222 f = SozR 3-2600 § 43 Nr 13 S 34 f; BSG Urteile vom 29.7.2004 - B 4 RA 5/04 R - Juris RdNr 24, 33 und vom 26.4.2007 - B 4 R 5/06 R - Juris RdNr 18).

22

b) Abweichend von diesem Grundsatz war die Benennung einer Verweisungstätigkeit entbehrlich, sofern der Versicherte - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - noch vollschichtig zu mittelschweren oder leichten Arbeiten in der Lage war und auf eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden durfte (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 mwN). Auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden durften bei der Prüfung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit grundsätzlich alle Versicherten (BSGE 19, 147, 149 f = SozR Nr 6 zu § 1247 RVO; BSG SozR 2200 § 1247 Nr 7 S 12 f; SozR 5850 § 2 Nr 12 S 25; SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 S 18), bei der Prüfung der Rente wegen Berufsunfähigkeit hingegen nur ungelernte Arbeiter bzw sog Angelernte im unteren Bereich (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 72 f mwN). In diesen Fällen war regelmäßig davon auszugehen, dass das Restleistungsvermögen dem Versicherten noch körperliche Verrichtungen erlaubte, wie sie in ungelernten Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen (wie zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw). Dem lag die Überlegung zugrunde, dass sich die nicht oder nur ganz wenig qualifizierten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts ("Hilfsarbeiten") einerseits einer knappen Benennung, die aussagekräftig Art und Anforderungen der Tätigkeiten beschreiben würde, entzogen, das Arbeitsfeld andererseits aber so heterogen war, dass mit einem Restleistungsvermögen für körperlich leichte Tätigkeiten jedenfalls noch von ausreichenden Erwerbsmöglichkeiten ausgegangen werden konnte (BSGE 80, 24, 31 ff = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 ff).

23

c) Trotz der praktischen Schwierigkeiten war - im Sinne einer Rückausnahme - die konkrete Benennung zumindest einer Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorlag: In diesen Fällen einer überdurchschnittlich starken Leistungsminderung bestanden - entgegen der oben skizzierten tatsächlichen Vermutung bzw Annahme - ernsthafte Zweifel, dass der allgemeine Arbeitsmarkt für die dem Versicherten an sich noch mögliche Vollzeittätigkeit eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen bereithielt oder dass der Versicherte mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen in einem Betrieb einsetzbar war (BSGE 80, 24, 34 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 27; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104 S 324 und Nr 136 S 434). Auch die Möglichkeit der praktischen Verschlossenheit des Arbeitsmarkts durch die sog Katalog- und Seltenheitsfälle ist in diesem Zusammenhang bedeutsam (vgl die Zusammenstellung der Katalog- und Seltenheitsfälle in BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28). Diese Maßstäbe haben auch für die seit dem 1.1.2001 geltende Rechtslage weiterhin Gültigkeit (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 5 RdNr 18 und BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R - RdNr 19).

24

5. Für den Regelfall darf damit auch für die Renten wegen Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI nF (iS einer widerlegbaren tatsächlichen Vermutung) davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der zumindest körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - wenigstens sechs Stunden täglich verrichten kann, noch in der Lage ist, "erwerbstätig zu sein", dh durch (irgend)eine Tätigkeit Erwerb(seinkommen) zu erzielen(s auch § 43 Abs 3 SGB VI nF). Es ist mehrschrittig zu prüfen (vgl dazu BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 73 und Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R - RdNr 35):

25

a) Im ersten Schritt ist festzustellen, ob das Restleistungsvermögen dem Versicherten Verrichtungen oder Tätigkeiten erlaubt (wie zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw ), die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden. Es genügt die Benennung von "Arbeitsfeldern", von "Tätigkeiten der Art nach" oder von "geeigneten Tätigkeitsfeldern", die der Versicherte ausfüllen könnte (vgl BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; Senatsurteile vom 24.2.1999 - SozR 3-2600 § 44 Nr 12 S 43; vom 11.5.1999 - SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 73 f; vom 10.12.2003 - SozR 4-2600 § 44 Nr 1 RdNr 23; BSG vom 19.8.1997 - 13 RJ 29/95 - SozSich 1998, 111 - Juris RdNr 30; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 62 f; vom 9.9.1998 - B 13 RJ 35/97 R - Juris RdNr 24; vom 14.7.1999 - B 13 RJ 65/97 R - Juris RdNr 32; sog "kleines Benennungsgebot": vgl Köbl in Ruland/Försterling, Gemeinschaftskommentar zum SGB VI, § 43 RdNr 168, Stand Oktober 2006; Gürtner in Kasseler Komm, § 43 SGB VI RdNr 47, Stand April 2010; Spiolek, SGb 1999, 509, 510; kritisch Kamprad in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 43 RdNr 42, Stand März 2012; aA wohl Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 108). Damit können "ernste Zweifel" an der beschriebenen Einsatzfähigkeit des Versicherten als Folge von qualitativen Leistungseinschränkungen ausgeräumt werden.

26

b) Lassen sich solche abstrakten Handlungsfelder nicht oder nur unzureichend beschreiben und kommen deshalb "ernste Zweifel" an der tatsächlichen Einsatzfähigkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen auf, stellt sich im zweiten Schritt die Rechtsfrage, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine besondere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (vgl Senatsurteil vom 24.2.1999 - SozR 3-2600 § 44 Nr 12 S 44 sowie BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 62 f und Nr 21 S 73 f sowie Beschluss vom 9.9.1998 - B 13 RJ 35/97 - Juris RdNr 24). Hierbei handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die schwierig zu konkretisieren (BSGE 81, 15, 19 = SozR 3-2200 § 1247 Nr 23 S 69 sowie SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 f) und vernünftig zu handhaben sind (BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33 ). Da es für die Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, keinen konkreten Beurteilungsmaßstab gibt, können auch für die tatrichterliche Begründung und die dazu nötigen Tatsachenfeststellungen keine allgemeingültigen Anforderungen aufgestellt werden (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 9 RdNr 23). Auch der jeweilige Begründungsaufwand richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere hängt er von der Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen ab. Je mehr diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte Tätigkeiten zu versperren, umso eingehender und konkreter muss das Tatsachengericht seine Entscheidung zur Frage einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung begründen (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 9 RdNr 23; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61). Wie sich der Richter die jeweils erforderliche Tatsachenkenntnis verschafft, liegt in seinem Ermittlungsermessen (vgl § 103 SGG). Angesichts des unzulänglichen Gesamtüberblicks über typische Anforderungen ungelernter Verrichtungen ist ihm dabei ein weiter Freiraum für Einschätzungen zuzugestehen. Gleichwohl muss aber aus rechtsstaatlichen Gründen ein Mindestmaß an Berechenbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Entscheidung gesichert bleiben (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 ff und BSG Urteil vom 19.8.1997 - 13 RJ 25/95 - SozSich 1998, 113 - Juris RdNr 25).

27

c) Erst wenn nach diesen Maßstäben eine "schwere spezifische Leistungsbehinderung" oder "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" vorliegt, ist dem Versicherten im dritten Schritt mindestens eine konkrete Verweisungstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen (kein konkreter Arbeitsplatz) zu benennen, um seinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung auszuschließen (vgl BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33). Hierbei sind dann nicht nur das körperliche, geistige und kognitive Leistungsvermögen einerseits und das berufliche Anforderungsprofil andererseits miteinander zu vergleichen und in Deckung zu bringen, sondern es muss auch individuell geprüft werden, ob der Versicherte die notwendigen fachlichen Qualifikationen und überfachlichen Schlüsselkompetenzen besitzt oder zumindest innerhalb von drei Monaten erlernen kann. Außerdem ist dann zu beachten, dass auf Tätigkeiten nicht verwiesen werden darf, die auf dem Arbeitsmarkt nur in ganz geringer Zahl vorkommen (Katalogfall Nr 3), die an Berufsfremde nicht vergeben werden (Katalogfall Nr 4) oder für Betriebsfremde unzugänglich sind, weil es sich um reine Schonarbeitsplätze (Katalogfall Nr 5) oder Aufstiegspositionen (Katalogfall Nr 6) handelt (vgl die Zusammenstellung der Katalog- und Seltenheitsfälle in BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28). Kann der Versicherte die Verweisungstätigkeit krankheits- oder behinderungsbedingt nicht mehr ausüben, oder kann er sich die fehlenden fachlichen oder überfachlichen Kompetenzen nicht innerhalb von drei Monaten aneignen, so ist er auch dann (voll) erwerbsgemindert, wenn sein zeitliches (quantitatives) Leistungsvermögen uneingeschränkt erhalten ist.

28

6. Zu Recht hat das LSG eine schwere spezifische Leistungsbehinderung verneint. Sie liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60; Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 108; Spiolek, NZS 1997, 415, 416 f). Hierzu können - unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände (vgl BSG SozR 3- 2600 § 43 Nr 17 S 61 ; BSG SozR 3- 2600 § 43 Nr 19 S 68 ; BSGE 81, 15, 19 = SozR 3-2200 § 1247 Nr 23 S 69 ) - beispielsweise Einäugigkeit (Senatsurteile vom 12.5.1982 - 5b/5 RJ 170/80 - Juris RdNr 8 und vom 14.9.1995 - 5 RJ 50/94 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 230; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 30, 90), Einarmigkeit (Senatsurteil vom 14.9.1995 - 5 RJ 50/94 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 230; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 30) und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit (BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 S 19) sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104, 117; weitere Beispiele bei BSGE 80, 24, 33 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 26 und bei Spiolek, NZS 1997, 415, 416 f). Der "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruhende Analphabetismus" gehört nicht dazu, weil er keine "Behinderung" ist (s Gliederungspunkt 2 a) und damit auch keine "Leistungsbehinderung" sein kann.

29

7. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt auch keine "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" vor, die es ausnahmsweise notwendig machen könnte, den Ausschluss eines Rechts auf Rente nicht lediglich abstrakt mit der Einsetzbarkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu begründen, sondern hierfür die konkrete Benennung einer noch in Betracht kommenden Verweisungstätigkeit zu fordern. Insofern kann vorliegend offen bleiben, ob es sich bei dem muttersprachlichen Analphabetismus der Klägerin für sich um eine ungewöhnliche Leistungseinschränkung in diesem Sinne handelt (vgl dazu Senatsurteile vom 10.12.2003 - B 5 RJ 64/02 R - SozR 4-2600 § 44 Nr 1 RdNr 17 ff und vom 20.10.2004 - B 5 RJ 48/03 R - Juris RdNr 19 sowie BSG Urteil vom 4.11.1998 - B 13 RJ 13/98 R - SozR 3-2200 § 1246 Nr 62 S 288). Nach der unverändert einschlägigen Verweisungsrechtsprechung des Großen Senats des BSG (BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8) begründet nämlich bei zeitlich uneingeschränkt leistungsfähigen Versicherten allein die "Summierung" - notwendig also eine Mehrheit von wenigstens zwei ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen als tauglichen Summanden - die Benennungspflicht, nicht aber, wie das Berufungsgericht meint, bereits das Zusammentreffen einer - potenziell - ungewöhnlichen und einer oder mehrerer "gewöhnlicher" Leistungseinschränkungen. Durch die genannte Rechtsprechung des Großen Senats und den ausdrücklichen Ausschluss einer Berücksichtigung der "jeweiligen Arbeitsmarktlage" in § 43 Abs 3 Halbs 2 SGB VI ist auch bereits entschieden, dass weitere Fälle einer Benennungspflicht nicht in Betracht kommen. Im Hinblick auf die qualitativen Einschränkungen, die bei der Klägerin zu beachten sind, hat das LSG jedoch unangefochten festgestellt, dass diese sämtlich nicht ungewöhnlich sind. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die "vernünftige Handhabung" des unbestimmten Rechtsbegriffs der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen gewährleistet nach der Rechtsprechung des Großen und des erkennenden Senats, dass abweichend vom Regelfall der abstrakten Betrachtungsweise die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit als unselbstständiger Zwischenschritt, nur aber auch immer dann erfolgen muss, wenn ernsthafte Zweifel unter anderem an der betrieblichen Einsetzbarkeit bestehen. Ob und ggf in welcher Intensität Zweifel aufkommen und ob in der Gesamtschau eine "Summierung" ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu bejahen ist, lässt sich nur anhand des konkreten Einzelfalls entscheiden, weil die denkbaren Kombinationsmöglichkeiten der qualitativen Leistungseinschränkungen unüberschaubar sind und die Summanden je nach Schweregrad, Anzahl und Wechselwirkungen unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Feste Grenzlinien lassen sich nicht festlegen, zumal auch der Begriff "leichte Arbeiten", auf den sich die genannten Merkmale als Ausnahmen beziehen, erhebliche Unschärfen enthält, die es erforderlich machen, die im Einzelfall vorliegenden Leistungseinschränkungen insgesamt in ihrer konkreten Bedeutung für die Einsetzbarkeit des Versicherten auf dem Arbeitsmarkt zu bewerten (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61). Nur so erscheint eine "vernünftige Handhabung dieser weiten Begriffe" gewährleistet, wie sie der Große Senat des BSG (BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33) vorausgesetzt hat. Im Hinblick auf diese Gegebenheiten sind die bisherigen Entscheidungen des BSG zum Vorliegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung nur als Einzelfallentscheidungen zu werten, die den Besonderheiten der jeweiligen Sachlage Rechnung zu tragen suchen. Auch wenn die Leistungseinschränkungen dort gleich oder vergleichbar formuliert sind, handelt es sich keinesfalls um identische Sachverhalte. Vielmehr liefern die jeweiligen Beurteilungen allenfalls Anhaltspunkte für weitere Entscheidungen; ihnen lassen sich jedoch keine generellen Abgrenzungskriterien entnehmen (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61). Deshalb steht dem Tatrichter bei der Würdigung des Gesamtbildes der Verhältnisse ein weiter Freiraum für Einschätzungen zu (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 f und BSG Urteil vom 19.8.1997 - 13 RJ 25/95 - SozSich 1998, 113 - Juris RdNr 25). Denn die Begriffe der "Ungewöhnlichkeit" von Leistungseinschränkungen und ihre "Summierung" lassen sich nicht mit einem abschließenden Katalog unabdingbarer Merkmale und Untermerkmale im Voraus definieren (Klassen- oder Allgemeinbegriff), sondern nur einzelfallbezogen durch eine größere und unbestimmte Zahl von (charakteristischen) Merkmalen umschreiben (offener Typus- oder Ordnungsbegriff), wobei das eine oder andere Merkmal gänzlich fehlen oder je nach Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam sein kann. Ob an der Einsetzbarkeit eines individuellen Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Zweifel bestehen und sich ggf überwinden lassen, ob Leistungseinschränkungen "ungewöhnlich" sind und wie sie sich nach Art, Umfang und Ausprägung wechselseitig beeinflussen ("summieren"), beurteilt sich anhand einer Vielzahl in Betracht kommender Kriterien nach dem Gesamtbild der Verhältnisse durch einen wertenden Ähnlichkeitsvergleich. Eine solche Würdigung des Einzelfalls nach dem Gesamtbild der Verhältnisse vollzieht sich auf tatsächlichem Gebiet und obliegt im Wesentlichen dem Tatrichter; seine Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse ist revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbar. Bei derartigen richterlichen Wertungsakten gibt es keine logisch ableitbare einzig richtige Entscheidung, sondern einen Bereich, der sich letztlich der logischen Nachprüfbarkeit entzieht. Rational argumentativ ist dieser (originäre) Wertungsakt nur eingeschränkt überprüfbar, nämlich darauf, ob er auf einer zutreffenden und rechtlich verwertbaren Tatsachengrundlage beruht, ob die richtigen Wertungsmaßstäbe erkannt und angewandt wurden und ob er sich innerhalb eines gewissen Spielraums der Angemessenheit bzw des Vertretbaren bewegt ("vernünftige Handhabung"). Bei derartigen genuinen Wertungsakten sind mehrere Entscheidungen gleichermaßen richtig, weil sich nach rein logischen Maßstäben nicht mehr entscheiden lässt, welche innerhalb eines Spielraums nach zutreffenden Maßstäben getroffene Entscheidung richtiger als die andere ist.

30

Das LSG hat vorliegend Inhalt und Grenzen des unbestimmten Rechtsbegriffs der ungewöhnlichen Leistungseinschränkung, wie sie sich hiernach ergeben, berücksichtigt und im Rahmen der ihm vorbehaltenen tatrichterlichen Bewertung die von ihm festgestellten Leistungseinschränkungen - mit Ausnahme des Analphabetismus der Klägerin - als "gewöhnlich", also keine Benennungspflicht auslösend, eingestuft. Dabei hat es sich im Wesentlichen an der vom Großen Senat rezipierten beispielhaften Auflistung derartiger Einschränkungen orientiert. Insofern bedarf es auf der Ebene der Feststellung tatsächlicher Umstände jeweils der Bewertung, ob mit einer festgestellten Leistungseinschränkung für sich und im Zusammenwirken mit gleichwertigen anderen gerade im konkreten Einzelfall die Gefahr verbunden ist, dass der Versicherte auf in Wahrheit nicht existierende Arbeitsmöglichkeiten verwiesen wird, deren Feststellung wiederum Aufgabe des Tatsachengerichts ist. Solange daher der Tatrichter - wie hier das LSG - von einem rechtlich zutreffenden Verständnis der Benennungspflicht und ihrer Voraussetzungen ausgeht, handelt es sich um die Feststellung von Individualtatsachen, an die das Revisionsgericht gemäß § 163 SGG und in dessen Grenzen gebunden ist. Vorliegend ist daher rechtlich ohne konkreten Vergleich der Leistungsfähigkeit mit dem Anforderungsprofil einer bestimmten Tätigkeit im Sinne einer tatsächlichen Vermutung davon auszugehen, dass die Klägerin ihr Restleistungsvermögen noch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwerten kann, also noch imstande ist, "erwerbstätig zu sein", dh durch (irgend)eine (unbenannte) Tätigkeit Erwerb(seinkommen) zu erzielen. Damit scheidet auch ein Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aus (§ 43 Abs 1, § 240 Abs 1 SGB VI).

31

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

(1) Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die

1.
vor dem 2. Januar 1961 geboren und
2.
berufsunfähig
sind.

(2) Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.