vorgehend
Sozialgericht Augsburg, S 5 BL 1/12, 18.12.2012

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I.

Auf die Berufung wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 18. Dezember 2012 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten in beiden Rechtszügen sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG) hat.

Für die 1968 geborene Klägerin sind ein GdB von 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen B, G, H und RF festgestellt (Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 28.11.2006). Dabei ist ein Einzel-GdB von 100 für die Gesundheitsstörung Rosazea mit Hornhaut- und Lidbefall, Sehminderung beidseits festgesetzt worden.

Am 17.10.2011 stellte die Klägerin beim Beklagten Antrag auf Blindengeld. Der Beklagte holte einen Befundbericht des behandelnden Augenarztes Dr. R. vom 02.11.2011 ein und wertete einen Bericht der Augenklinik des Universitätsklinikums B-Stadt, Prof. Dr. L., vom 26.09.2011 aus.

Mit Bescheid vom 30.11.2011 lehnte der Beklagte den Antrag ab, da die Voraussetzungen nach Art. 1 Abs. 2 BayBlindG nicht vorlägen; nach den vorliegenden Unterlagen betrage die Sehschärfe der Klägerin auf beiden Augen 0,12 (6/50). Gesichtsfeldeinschränkungen seien nicht nachgewiesen und nicht in einem anspruchsbegründenden Ausmaß wahrscheinlich.

Hiergegen erhob die Klägerin am 09.12.2011 Widerspruch. Diesen begründete sie damit, dass sie seit ca. drei Jahren an Diabetes erkrankt sei und nicht wisse, wie sich dieser auf ihre Augen auswirke. Auch habe sie in letzter Zeit bemerkt, dass sich ihr restliches Sehvermögen nochmals verschlechtert habe. Weitere Ermittlungen führte der Beklagte soweit ersichtlich nicht durch. Mit Widerspruchsbescheid vom 24.02.2012 wies er den Widerspruch als unbegründet zurück. Im Fall der Klägerin sei der Visuswert von 0,12 maßgeblich. Bei einer Sehschärfe von mehr als 0,1 wie vorliegend sei Blindheit nur dann anzunehmen, wenn das Gesichtsfeld eingeengt sei und die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5 Grad vom Zentrum entfernt sei, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50 Grad unberücksichtigt blieben. Hinweise auf eine Gesichtsfeldeinengung über 5 Grad würden aus den vorliegenden Unterlagen, so der Beklagte, nicht hervorgehen.

Am 26.03.2012 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie darauf hingewiesen, dass ihre Sehschärfe auf dem rechten Auge 1/40 und auf dem linken Auge 1/24 betrage; somit liege der Visus - so die Klägerin [fälschlich, d. Verf.] - unter einer Sehstärke von 1/50.

Das SG hat einen Befundbericht des behandelnden Augenarztes C. vom 30.06.2012 und einen Bericht des Bundeswehrkrankenhauses B-Stadt, Klinik für Augenheilkunde, Prof. Dr. G., vom 25.06.2012 eingeholt. Der Augenarzt C. hat einen Visus von 1/35 rechts und 1/50 links festgehalten. Es bestünden beidseits konzentrische Gesichtsfeldeinschränkungen bis auf 20 Grad. Als Diagnosen hat der Arzt Hornhautnarben bei rezidivierender Rosazea-Keratitis beidseits mit erheblicher Visusverschlechterung festgestellt.

Sodann hat das Gericht Beweis erhoben durch ein ophthalmologisches Sachverständigengutachten von Dr. K. Die Fachärztin hat in ihrem Gutachten vom 23.08.2012 festgestellt, dass die Klägerin seit 10 Jahren an Entzündungen der vorderen Augenabschnitte erkrankt sei, die nach Angaben der Klägerin seit 2007 so zugenommen hätten, dass sich diese in fremder Umgebung nicht mehr bewegen, nicht mehr zusammenhängend lesen und ihren Haushalt nicht mehr selbst versorgen könne; in ihrem Beruf als Frisörin könne die Klägerin schon seit mehreren Jahren nicht mehr tätig sein. Die Erkrankung verlaufe schubweise.

Als Visuswerte hat die Sachverständige nur rechts 0,5/50 angegeben; Gläser würden nicht bessern. Aufgrund der Medientrübung sei eine objektive Refraktion nicht durchführbar. Bei der kinetischen Goldmannperimetrie (Reizmarke III/4) hätten sich folgende Werte ergeben:

- Rechtes Auge: ein etwas größeres Gesichtsfeld als 5 Grad, nasal oben, nasal unten und temporal.

- Linkes Auge: Hier seien die Angaben sehr unregelmäßig, da die Lichtmarke an vielen Stellen gar nicht erkannt worden sei; das Gesichtsfeld sei auf unter 5 Grad eingeschränkt angegeben worden.

Im Rahmen der übrigen Untersuchungen hat Dr. K. unter anderem angegeben, dass die Ishihara-Tafeln (Farbsehen) nicht erkannt worden seien. Im Hinblick auf die VEP (visuell evozierte Potenziale) hat die Sachverständige dargelegt, dass aufgrund des schlechten Sehvermögens das Gittermuster nicht sicher erkannt worden sei, so dass eine Schädigung des Sehnervens weder bewiesen noch ausgeschlossen werden könne.

Die Herabsetzung der zentralen Sehschärfe durch die starke Narbenbildung in der Hornhaut betrage beidseits unter 1/50. Die Gesichtsfeldeinschränkung sei erheblich, so dass aufgrund der heute erhobenen Befunde Anspruch auf Blindengeld bestehe. Über zurückliegende Zeiten könne nicht geurteilt werden.

Vom SG um eine Stellungnahme gebeten, hat der Beklagte weiterhin die Klageabweisung beantragt. In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 21.09.2012 hat die Sozialmedizinerin Dr. P. darauf hingewiesen, dass der von Dr. K. angegebene Visus nicht plausibel sei, da die Muster-VEP rechts reproduzierbar gewesen seien, wofür eine Sehschärfe von 0,1 Voraussetzung sei. Ebenso wenig seien die Angaben der Sachverständigen zum Gesichtsfeld nachvollziehbar. Eine Einengung der Gesichtsfeldaußengrenzen auf 5 Grad Abstand vom Zentrum habe aber im Hinblick auf die weiteren Untersuchungsbefunde weder ein morphologisches Korrelat noch sei diese Einengung durch die Hornhauttrübung zu erklären. Es bestünden somit begründete Zweifel an den Angaben zum Gesichtsfeld, die auch durch das Ergebnis der ebenfalls durchgeführten Computerperimetrie erhärtet würden. Der Nachweis sei nicht erbracht.

Die Klägerin hat am 19.10.2012 hervorgehoben, dass sich ihr Augenleiden extrem verschlechtert habe; momentan sei sie ständig auf Begleitung angewiesen.

Im Auftrag des SG hat die Sachverständige Dr. K. am 29.10.2010 ergänzend Stellung genommen. Zunächst hat sie sich dafür entschuldigt, dass die Sehschärfe des linken Auges im Gutachten nicht angegeben worden sei; hier sei eine Sehschärfe von 0,5/50 festgestellt worden; Gläser hätten nicht gebessert. Das Gesichtsfeld sei sowohl statisch als auch kinetisch geprüft worden; die kinetische Goldmannperimetrie (Marke III/4) sei mit dem Oculus Twinfield Perimeter, das hierfür zugelassen sei, geprüft worden. Es sei kein Lichtpunkt auch bei langsamer Führung durch die Perimetristin vom rechten Auge außerhalb der 5-Grad-Grenze erkannt worden. Links seien drei Lichtpunkte bei 8 Grad Distanz vom Zentrum bei langsamster Führung erkannt worden. Die Angaben der Klägerin hätten bei der Untersuchung mit dem unsicheren Verhalten innerhalb der Praxis übereingestimmt. Entsprechend der aktuellen Forschung sei festzustellen, dass eindeutige Visuseinschätzungen durch Visus- und Muster-VEP nicht möglich seien.

In das Sehvermögen einer zu prüfenden Person gingen, so die Sachverständige, auch die Trübungen der brechenden Medien, die auch bei funktionierender Netzhaut ein ausreichendes Sehvermögen nicht mehr möglich machen würden, ein. Es sei nicht zulässig, in Einzelpunkten Restfunktionen des Sehvermögens anzuführen, die möglicherweise bei klarer Hornhaut ein viel besseres Sehvermögen erlauben würden.

Auch daraufhin hat der Beklagte weiter Klageabweisung beantragt. In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 29.11.2012 hat die Sozialmedizinerin Dr. P. bestätigt, dass die nachgereichte Sehschärfe des linken Auges teilweise im Hinblick auf den morphologischen Befund plausibel sei. Die Zweifel an der angegebenen Sehschärfe rechts würden dagegen weiter aufrechterhalten. Dass durch Visus- und Muster-VEP eindeutige Visuseinschätzungen nicht möglich seien, sei bekannt und würde von versorgungsärztlicher Seite auch nicht behauptet. Es könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aber ausgeschlossen werden, dass bei einer Sehschärfe von weniger als 1/50 noch Muster-VEP abgeleitet werden könnten.

Bei einer augenärztlichen Begutachtung vom 27.12.2004 im Klageverfahren vor dem SG, Aktenzeichen S 11 SB 296/04, sei die Sehschärfe beidseits 0,1 gewesen, obwohl der morphologische Befund damals an der Hornhaut (zumindest rechts) schlechter gewesen sei. Im Hinblick auf die Untersuchungsergebnisse der Sachverständigen Dr. K. auch bezüglich der hinteren Augenabschnitte fehle nun eine plausible Erklärung für die um mehr als sieben Zeilen schlechtere Sehschärfe gegenüber dem Vorgutachten aus 2004. Im Übrigen sei anzumerken, dass bei Ableitung der VEP auch Trübungen der brechenden Medien mit einbezogen würden (ebenso wie bei der Prüfung der Sehschärfe). Auch könne die sorgfältigste Gesichtsfeldprüfung unzutreffende Angaben nicht verhindern. Daher sei auf den morphologischen Befund abzustellen.

Zusammenfassend hat die Sozialmedizinerin Dr. P. die Gründe dargelegt, aus denen erhebliche Zweifel an den Angaben der Klägerin bestünden. Diese Zweifel hätten auch durch die ergänzenden Ausführungen der Sachverständigen nicht ausgeräumt werden können.

Sodann hat das SG die Beteiligten darüber informiert, dass es eine Entscheidung per Gerichtsbescheid beabsichtigte; die Beteiligten erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Beklagte hat am 13.12.2012 bekundet, dass keine Bedenken hiergegen bestünden.

Mit Gerichtsbescheid vom 18.12.2012 hat das SG den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 30.11.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.02.2012 verurteilt, der Klägerin ab 01.08.2012 Blindengeld zu gewähren; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Nach Durchführung der Beweisaufnahme, so das SG, stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin den Nachweis der Blindheit erbracht habe. Das SG hat sich insoweit der Sachverständigen Dr. K. angeschlossen. Die zentrale Sehschärfe sei durch die starke Narbenbildung in der Hornhaut beidseits auf unter 1/50 herabgesetzt; insoweit seien die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BayBlindG gegeben. Dass bei der Klägerin aufgrund der Ergebnisse der Muster-VEP-Untersuchung ein Visus auf dem rechten Auge von mindestens 0,1 bestehen solle, halte das SG nicht für plausibel, denn nach dem dokumentierten Verlauf der Sehminderung habe ab dem Jahr 2008 kein besserer Visus als 1/24 bestanden. Soweit im Befundbericht von Dr. R. ein beidäugiger Visus von 0,12 angenommen worden sei, könne dies angesichts eines korrigierten Visus links von 1/40 und rechts von 1/24 nicht nachvollzogen werden. Die Blindheit der Klägerin sei erst durch die Begutachtungsuntersuchung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, so dass ihr nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG erst ab 01.08.2012 Blindengeld zustehe.

Hiergegen hat der Beklagte am 25.01.2013 Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) erhoben und beantragt, gemäß § 199 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Vollstreckung aus dem Gerichtsbescheid durch einstweilige Anordnung auszusetzen. Zur Begründung der Berufung hat der Beklagte eine Reihe von gegen den Nachweis von Blindheit sprechenden Punkten vorgetragen, nämlich vor allem die ableitbaren Muster-VEP, das fehlende morphologische Korrelat für die angegebene Verschlechterung des Sehvermögens rechts (Visus) gegenüber Vorbefunden im Dezember 2004 und im Juni 2012 und die fehlende Erklärung für die von der Klägerin angegebene hochgradige Gesichtsfeldeinengung auf 5 Grad Abstand vom Zentrum (durch Medientrübung nicht erklärbar). Die Zweifel an den Angaben der Klägerin zum Sehvermögen seien daher erheblich. Der Beklagte hat beantragt, eine weitere Begutachtung gemäß § 106 SGG (in einer Augenklinik durch einen erfahrenen Gutachter) durchzuführen.

Mit Beschluss vom 14.03.2013 (Az.: L 15 BL 1/13 ER) hat der Senat die Vollstreckung aus dem Gerichtsbescheid ausgesetzt. Der Beklagte habe plausibel gemacht, dass nach dem Gutachten von Dr. K. verschiedene gravierende Widersprüche blieben.

Mit Beschluss vom 27.08.2013 hat der Senat der Klägerin für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt W. beigeordnet.

Dieser hat im Schriftsatz vom 27.03.2014 berichtet, dass sich nach aktueller Mitteilung der Klägerin ihr Augenleiden seit März 2013 weiter verschlechtert habe; die Klägerin leide jeden Monat unter der Entzündung eines Auges.

Im Folgenden hat das Gericht aktuelle Befundberichte behandelnder Ärzte (Augenarzt C. sowie Dr. F./Dr. S., Endokrinologiezentrum B-Stadt) eingeholt.

Im Auftrag des Gerichts hat Prof. Dr. E. am 11.12.2014 ein augenfachärztliches Sachverständigengutachten nach Untersuchung der Klägerin erstellt.

Beim Gutachter hat die Klägerin angegeben, „im Großen gar nichts mehr“ zu sehen; sie könne nur Umrisse schemenhaft erkennen. Ihre Sehschärfe sei seit längerer Zeit konstant und zunehmend schlechter geworden. Zu Hause komme sie gar nicht mehr zurecht und werde daher von ihren zwei Töchtern unterstützt.

Die Untersuchung des Augenhintergrundes durch Prof. Dr. E. hat für beide Augen jeweils einen identischen Befund ergeben, unter anderem eine randscharf begrenzte, vital gefärbte Papille - der Einblick sei aufgrund der Hornhauttrübungen deutlich reduziert; die Makula scheine flach zu sein; Netzhaut zirkulär stabil anliegend.

Im Gutachten sind folgende Visusbefunde erhoben worden (Ferne ohne Korrektur, mit Landoltringen): mit dem rechten Auge sowie linken Auge und auch beidäugig Fingerzählen. Als Kontaktlinsenvisus ist für das rechte und das linke Auge angegeben: weniger als 1/50 Meter Visus. Eine Messung der objektiven Refraktion sei nicht möglich gewesen.

Prof. Dr. E. hat an beiden Augen reproduzierbare Potenziale im Muster-VEP festgestellt, die Latenzen seien verlängert, die Amplituden im Normbereich gewesen.

Bei der mit dem Projektionshalbkugelperimeter nach Goldmann (Testmarke III/4) durchgeführten Gesichtsfeldprüfung hätten sich, so der Sachverständige, für jedes Auge folgende Außengrenzen ergeben: temporal 5 Grad, oben 5 Grad, nasal 5 Grad, unten 5 Grad.

Den Optokinetischen Nystagmus hat der Sachverständige mit der Catford-Trommel beidseits horizontal und vertikal auslösen können.

Aufgrund der Hornhautnarben an beiden Augen liege bei der Klägerin sicherlich eine sehr ausgeprägte Sehbehinderung vor; sie habe jedoch das Augenlicht nicht vollständig verloren.

Wegen den starken Diskrepanzen, auf die der Sachverständige in seinem Gutachten näher eingegangen ist, zwischen den klinischen Bunden und den subjektiven klägerischen Angaben könne, so Prof. Dr. E., leider keine präzise Aussage über das Ausmaß der Sehbehinderung getroffen werden. Derzeit bestünden keine Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad, dass sie einer Beeinträchtigung von nicht mehr als 1/50 auf dem besseren Auge entsprechen würden.

Bei der Klägerin bestünden keine Hinweise auf zerebrale Schäden; es handle sich vielmehr um eine reine Augenerkrankung. Weitere Begutachtungen seien nicht erforderlich.

Auf das gerichtliche Schreiben vom 26.01.2015, in dem der Klägerseite angeraten worden ist, die Klage angesichts des Gutachtens von Prof. Dr. E. zurückzunehmen, hat der Bevollmächtigte auf Aussagen im Gutachten verwiesen, die von der Klägerin so nicht bestätigt werden könnten. So sei die Klägerin während der gesamten Begutachtung immer auf die Hilfestellung des Ehemanns angewiesen gewesen. Bei keinem Zusammentreffen, weder mit der Stationsärztin noch mit Prof. Dr. E., sei zur Begrüßung eine Hand gereicht worden. Weiter ist hervorgehoben worden, dass die Klägerin bis 2010 deutlich besser zurechtgekommen sei; die letzten Jahre gehe es ihr jedoch zunehmend schlechter. Schließlich hat die Klägerin über ihren Bevollmächtigten auf die seit zwei Jahren bestehenden Depressionen mit Panikattacken hingewiesen. Vor diesem Hintergrund solle an dem Verfahren festgehalten werden.

Der Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des SG vom 18.12.2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte sowie der Akte des BayLSG Aktenzeichen L 15 BL 1/13 ER, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Gründe

Mit Beschluss gemäß § 153 Abs. 5 SGG vom 16.03.2015 ist die Berufung dem Berichterstatter übertragen worden, so dass dieser zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern zu entscheiden hat.

Die Berufung ist zulässig (Art. 7 Abs. 3 BayBlindG i. V. m. §§ 143, 151 SGG) und begründet.

Das SG hat zu Unrecht der Klage entsprochen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Blindengeld. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 30.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.02.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Gemäß Art. 1 Abs. 1 BayBlindG in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Änderung des BayBlindG v. 24.07.2013 (GVBl. Nr. 2013, 464) erhalten blinde Menschen, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben oder soweit die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl L 166 S. 1, ber. ABl L 200 S. 1, 2007 ABl L 204 S. 30) in der jeweils geltenden Fassung dies vorsieht, zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld. Dabei beinhaltet nach der Rechtsprechung des BSG die Formulierung „zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen“ keine eigenständige Anspruchsvoraussetzung, sondern umschreibt lediglich die allgemeine Zielsetzung der gesetzlichen Regelung (BSG, Urteile v. 26.10.2004, Az.: B 7 SF 2/03 R, und v. 11.08.2015, Az.: B 9 BL 1/14 R).

Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG). Als blind gelten gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG auch Personen,

1. deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 1/50 beträgt,

2. bei denen durch Nr. 1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind.

Vorübergehende Sehstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten.

Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 1/50 (0,02) oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinn des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt, den Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) folgend, bei folgenden Fallgruppen vor (siehe Teil A Nr. 6 VG):

aa) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 30° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

bb) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

cc) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

dd) bei einer Einengung des Gesichtsfelds, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

ee) bei großen Skotomen im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50°-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist,

ff) bei homonymen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30° Durchmesser besitzt,

gg) bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen besteht.

Dass die Klägerin keinen Anspruch auf Blindengeld hat, weil ihr das Augenlicht vollständig fehlen würde (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG), ist offensichtlich und bedarf keiner weiteren Darlegungen.

Auch die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 und 2 BayBlindG sind nicht erfüllt. Denn es ist nicht zur Gewissheit des Senats dargelegt, dass die Sehschärfe der Klägerin entsprechend der gesetzlichen Vorgabe auf 1/50 (0,02) oder weniger herabgesunken wäre (Nr. 1 der genannten Vorschrift). Gleiches gilt für eine der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachtende Sehstörung (Nr. 2).

Wie der Senat wiederholt (vgl. z. B. Urteil vom 20.01.2015, Az.: L 15 BL 16/12) unterstrichen hat, sind nach den Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren die einen Anspruch begründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R), d. h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92).

Daran, dass bei der Klägerin faktische Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 und 2 BayBlindG vorliegen würde, hat der Senat erhebliche Zweifel.

Dies folgt aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme. Der Senat stützt sich dabei insbesondere auf das überzeugende, fundierte und nachvollziehbar begründete Gutachten von Prof. Dr. E.. Der Gutachter hat auf ophthalmologischem Fachgebiet die bei der Klägerin vorliegenden (Seh-)Beeinträchtigungen vollständig erfasst und unter Beachtung der maßgeblichen Vorgaben - insbesondere auch der VG - zutreffend gewürdigt. Der Senat macht sich die Feststellungen des genannten Sachverständigen, die auch in Übereinstimmung mit der vorliegenden Befunddokumentation - von den Darlegungen der Gutachterin Dr. K. abgesehen - stehen, zu eigen.

Danach leidet die Klägerin am rechten Auge an Stabsichtigkeit (hoher irregulärer Astigmatismus) und an beiden Augen an Hornhauttrübungen mit Hornhautvaskularisationen bei Zustand nach mehrfacher Keratitis bei Rosazea; am linken Auge mehr als am rechten Auge ist zudem ein negativer Skiareflex mit Kontaktlinsen feststellbar.

Dass eine Sehschärfe der Klägerin von 1/50 (0,02) oder weniger nicht nachgewiesen ist, ergibt sich entsprechend den plausiblen Darlegungen von Prof. Dr. E. bereits ohne Weiteres aus den reproduzierbaren Potenzialen im VEP und dem ausgelösten Optokinetischen Nystagmus. Denn aufgrund dieser Untersuchungsergebnisse ist nach der sachverständigen Feststellung eine bessere Sehschärfe als 1/50 naheliegend. Gleichwohl hat die Klägerin bei der klinischen Untersuchung als Sehschärfe nur Fingerzählen angegeben. Aus augenärztlicher Sicht liegen, wie Prof. Dr. E. ausdrücklich klargestellt hat, starke Diskrepanzen zwischen den objektiven Befunden und den subjektiven Angaben der Klägerin vor. Ein Ansatzpunkt für eine Erklärung, weshalb trotz der reproduzierbaren Potenziale und dem auslösbaren Optokinetischen Nystagmus eine so schlechte bzw. aufgehobene Sehschärfe bestehen sollte, findet sich nicht. Einen solchen hat auch weder die Klägerin noch das SG in seinem Gerichtsbescheid aufgezeigt.

In der Gesichtsfelduntersuchung durch Prof. Dr. E. hat sich an beiden Augen der Klägerin eine Einengung der Gesichtsfeldaußengrenzen mit einer horizontalen und vertikalen Ausdehnung des Gesichtsfelds von 10 Grad gezeigt. Wie der Sachverständige zutreffend darauf hingewiesen hat, hätte die Klägerin bei einer angegebenen Sehschärfe von (nur) Fingerzählen (binokular und monokular) die Testmarke III/4 jedoch gar nicht sehen können. Dies unterstreicht erneut die Diskrepanz zwischen den subjektiven Angaben und dem objektiven Untersuchungsbefund, aufgrund deren nach der überzeugenden Darlegung des Gutachters keine präzise Aussage über das Ausmaß der Sehbehinderung der Klägerin getroffen werden kann. Dies gilt im Übrigen auch hinsichtlich der Frage, ob vorliegend wegen eines speziellen Krankheitsbilds die Annahme von Blindheit auch außerhalb der Fallgruppen der VG bzw. der Richtlinien der DOG ausnahmsweise möglich ist (Fall der faktischen Blindheit außerhalb der normierten Fallgruppen, vgl. Urteil des Senats vom 31.01.2013, Az.: L 15 BL 6/07), was Prof. Dr. E. im Ergebnis ausdrücklich verneint hat.

Gewisse Zweifel im Hinblick auf den Blindheitsnachweis hat der Senat ferner auch wegen der vom Sachverständigen geschilderten Verhaltensbeobachtung. Jedoch kommt dieser Beobachtung keine entscheidende Bedeutung zu. Zwar sind, wie der Senat bereits ausdrücklich entschieden hat (vgl. Urteil vom 31.01.2013, a. a. O.), gerade in komplexen ophthalmologischen Problemlagen Plausibilitätskontrollen unabdingbar; dies gilt sowohl hinsichtlich nicht richtlinienkonformer Untersuchungsmethoden (vor allem Untersuchungen, die nicht mit dem Goldmann-Perimeter - Reizmarke III/4 - oder mit Landoltringen - Fernvisus - entsprechend den Vorgaben der VG bzw. der DOG durchgeführt worden sind) als auch für Verhaltensbeobachtungen (a. a. O.). Gerade bei Diskrepanzen ist kein Grund ersichtlich, der es verbieten würde, die Plausibilität von subjektiven Angaben zu hinterfragen. Den zusätzlichen Untersuchungsmethoden und Kontrollen darf nach der genannten Rechtsprechung des Senats (a. a. O.) keine (alleinige) Beweiskraft zugemessen werden. Wie der Beklagte jedoch zutreffend in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 29.11.2012 hervorgehoben hat, erlaubt eine Verhaltensbeobachtung grundsätzlich nur eine grobe Einschätzung des Sehvermögens. Sie ist nicht geeignet, mit der erforderlichen Zuverlässigkeit zwischen einer hochgradigen Sehbehinderung und einer Blindheit im Sinne des BayBlindG zu differenzieren.

Aus den vom Gutachter und von der Klägerseite (unterschiedlich) geschilderten Tatsachen, dass sich die Klägerin im Raum gut orientieren habe können, alleine den Untersuchungsstuhl gefunden, die Hand zur Begrüßung zielsicher reichen habe können bzw. dass der Fuß der Klägerin beim Hinsetzen auf den Behandlungsstuhl zwischen Stuhl und Boden gerutscht und die Klägerin beinahe gefallen sei und dass sie in jedem Behandlungsraum vom Personal an die Hand genommen etc. worden sei, ist somit kein rechtssicherer Rückschluss auf das exakte Sehvermögen der Klägerin möglich.

Ein anderes Ergebnis des Verfahrens folgt auch nicht aus dem ophthalmologischen Sachverständigengutachten von Dr. K., welches das SG eingeholt hat. Denn dieses Gutachten leidet an einer Reihe von deutlichen Mängeln, so dass aus ihm nach Auffassung des Senats kein Nachweis einer Blindheit erwachsen kann. So findet sich im Gutachten zu zentralen Widersprüchlichkeiten keine Stellungnahme. Unter anderem waren trotz der von der Gutachterin festgestellten stark reduzierten Sehschärfe (auch) bei Dr. K. (rechts) VEP reproduzierbar (hierzu vgl. oben die Darlegungen von Prof. Dr. E.). Zudem gibt es, worauf der Beklagte plausibel und überzeugend darauf hingewiesen hat, für die von der Klägerin bei der Begutachtung durch Dr. K. angegebene hochgradige Gesichtsfeldeinengung auf 5 Grad Abstand vom Zentrum bei unauffälliger Sehnervenscheibe und peripher anliegender Netzhaut kein morphologisches Korrelat. Auf dieses Argument ist die Sachverständige (im Übrigen auch in ihrer ergänzenden Stellungnahme) nicht eingegangen. Für die angegebene Verschlechterung des Visus rechts im Verlauf hat Dr. K. ebenfalls keine plausible Erklärung aufgezeigt. Wie der Beklagte zudem zutreffend dargelegt hat, hat sich die Sachverständige auch nicht mit der hohen Rate falsch negativer Fangfragen bei der von ihr ergänzend durchgeführten Computerperimetrie als Ausdruck unzuverlässiger Angaben auseinandergesetzt. Schließlich fehlt in ihrem Gutachten eine Verhaltensbeobachtung völlig.

Für den Senat steht außer Frage, dass bei der Klägerin - vor allem aufgrund der Hornhautnarben an beiden Augen - eine sehr ausgeprägte Sehbehinderung vorliegt, was die sicherlich drastischen Beeinträchtigungen in ihrem Alltag erklärt. Maßgeblich für das vorliegende Verfahren ist jedoch, ob die Klägerin die Blindheitsschwelle im Sinne des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 und 2 BayBlindG über- bzw. unterschritten hat. Eine hochgradige Einschränkung des Sehvermögens genügt nicht. Auf den von der Klägerseite geschilderten Hilfebedarf (im Haushalt und bei Begleitung) kommt es also nicht entscheidend an.

Zusammenfassend ist festzustellen: Aus Sicht des Senats ist es zwar aufgrund der Begrenztheit der diagnostischen Möglichkeiten nicht völlig auszuschließen, dass das unzweifelhaft sehr deutlich beeinträchtigte Sehvermögen der Klägerin die genannte Blindheitsschwelle über- bzw. unterschritten haben könnte. Dafür fehlt es aber jedenfalls am notwendigen Beweis. Kann das Gericht bestimmte Tatsachen trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht feststellen (non liquet), so gilt der Grundsatz, dass jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (vgl. z. B. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders., SGG, 11. Aufl., § 103, Rdnr. 19a, mit Nachweisen der höchstrichterlichen Rspr.). Die Klägerin muss daher nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast die Folgen tragen, dass eine (beträchtliche) Ungewissheit bezüglich der für sie günstigen Tatsachen verblieben ist. Denn für das Vorliegen der Voraussetzungen der Blindheit gemäß Art. 1 Abs. 2 BayBlindG trägt der sehbehinderte Mensch die objektive Beweislast.

Der Senat hat alle Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft. Gesichtspunkte, die zu weiteren Ermittlungen hätten veranlassen müssen, sind nicht erkennbar. So besteht insbesondere keinerlei Anlass für die Erwartung, bei einer erneuten Untersuchung könnten nun die Diskrepanzen zwischen den objektiven Befunden und den subjektiven Angaben der Klägerin geklärt werden o. ä.

Die Berufung hat somit Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Zahlung von Blindengeld durch den Beklagten.

Die Entscheidung des SG ist aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 30.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.02.2012 abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 16. Sept. 2015 - L 15 BL 2/13

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 16. Sept. 2015 - L 15 BL 2/13

Referenzen - Gesetze

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 16. Sept. 2015 - L 15 BL 2/13 zitiert 9 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 153


(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt. (2) Das Landessozialgericht

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 151


(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. (2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerh

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 143


Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 106


(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlich

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 16. Sept. 2015 - L 15 BL 2/13 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 16. Sept. 2015 - L 15 BL 2/13 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundessozialgericht Urteil, 11. Aug. 2015 - B 9 BL 1/14 R

bei uns veröffentlicht am 11.08.2015

Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. März 2014 aufgehoben und die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnbe
3 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 16. Sept. 2015 - L 15 BL 2/13.

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 27. Sept. 2016 - L 15 BL 11/15

bei uns veröffentlicht am 27.09.2016

Tenor I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 6. November 2015 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelas

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 26. Sept. 2017 - L 15 BL 8/14

bei uns veröffentlicht am 26.09.2017

Tenor I. Auf die Berufung des Beklagten hin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 29. Oktober 2014 aufgehoben und die Klage abgewiesen. II. Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen. III. A

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 10. Apr. 2018 - L 15 BL 4/16

bei uns veröffentlicht am 10.04.2018

Tenor I. Auf die Berufung werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 9. Februar 2016 und der Bescheid des Beklagten vom 4. September 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. April 2014 aufgehoben. Der Beklagte

Referenzen

(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(2) Der Vorsitzende hat bereits vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen.

(3) Zu diesem Zweck kann er insbesondere

1.
um Mitteilung von Urkunden sowie um Übermittlung elektronischer Dokumente ersuchen,
2.
Krankenpapiere, Aufzeichnungen, Krankengeschichten, Sektions- und Untersuchungsbefunde sowie Röntgenbilder beiziehen,
3.
Auskünfte jeder Art einholen,
4.
Zeugen und Sachverständige in geeigneten Fällen vernehmen oder, auch eidlich, durch den ersuchten Richter vernehmen lassen,
5.
die Einnahme des Augenscheins sowie die Begutachtung durch Sachverständige anordnen und ausführen,
6.
andere beiladen,
7.
einen Termin anberaumen, das persönliche Erscheinen der Beteiligten hierzu anordnen und den Sachverhalt mit diesen erörtern.

(4) Für die Beweisaufnahme gelten die §§ 116, 118 und 119 entsprechend.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. März 2014 aufgehoben und die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 15. Dezember 2010 zurückgewiesen.

Das beklagte Land trägt die Kosten auch des Berufungs- und Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1

Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG).

2

Der Kläger erlitt bei seiner Geburt (2005) wegen einer Minderversorgung mit Sauerstoff schwerste Gehirnschäden. Diese führten unter anderem zu einem Anfallsleiden, einer spastischen Bewegungsstörung sowie zu einer schweren mentalen Retardierung mit Intelligenzminderung. Der Entwicklungsstand des Klägers entspricht dem eines ein- bis viermonatigen Säuglings. Seine kognitive Wahrnehmungsfähigkeit ist im Bereich aller Sinnesmodalitäten stark eingeschränkt. Unter anderem verfügt der Kläger lediglich über basale visuelle Fähigkeiten, die unterhalb der Blindheitsschwelle liegen, so dass der Kläger nicht sehen kann.

3

Die allein sorgeberechtigte Mutter des Klägers beantragte 2006 für ihren Sohn Blindengeld nach dem BayBlindG. Der beklagte Freistaat lehnte den Antrag ab. Zwar liege beim Kläger eine schwerste Hirnschädigung vor, jedoch sei das Sehvermögen nicht wesentlich stärker beeinträchtigt als die übrigen Sinnesmodalitäten. Dies aber sei nach der Rechtsprechung des BSG zur sogenannten cerebralen Blindheit Voraussetzung für die Gewährung von Blindengeld (Bescheid vom 31.7.2007; Widerspruchsbescheid vom 4.12.2007).

4

Das SG hat der Klage stattgegeben, weil der Kläger faktisch blind und seine visuelle Wahrnehmung deutlich stärker betroffen sei als die Wahrnehmung durch andere Sinnesorgane (Urteil vom 15.12.2010). Auf die Berufung des beklagten Freistaates hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage nach Einholung weiterer Sachverständigengutachten abgewiesen. Der Kläger sei zwar faktisch blind. Auch stehe das Vorliegen cerebraler Schäden der Annahme von Blindheit nicht grundsätzlich entgegen. Bei Vorliegen umfangreicher cerebraler Schäden müsse für einen Anspruch auf Blindengeld jedoch im Vergleich zu anderen - möglicherweise ebenfalls eingeschränkten - Gehirnfunktionen eine spezifische Störung des Sehvermögens vorliegen. Dies sei entgegen der Ansicht des SG beim Kläger nicht der Fall. Die Unterschiede bei den noch vorhandenen Sinneswahrnehmungen seien nach den eingeholten Gutachten im Hinblick auf den Gesamtzustand des Klägers vielmehr marginal (Urteil vom 27.3.2014).

5

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung formellen und materiellen Rechts (§§ 62, 103 SGG, Art 1 Abs 2 BayBlindG). Die vom LSG gestellten Anforderungen an die Prüfung einer spezifischen Sehstörung seien mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht vereinbar. Soweit gutachterlich zur Darstellung der Entwicklung von Kindern mit schwerer Mehrfachbehinderung und motorischer sowie mentaler Retardierung auf die sogenannten Griffiths Entwicklungsskalen (GES) zurückgegriffen worden sei, fehle es an einer allgemein anerkannten Grundlage für die Prüfung einzelner Sinneswahrnehmungen.

6

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. März 2014 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 15. Dezember 2010 zurückzuweisen.

7

Der beklagte Freistaat beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Er hält das Urteil für zutreffend.

9

Der Senat hat zu den GES als Methode der Diagnostik spezifischer Sehstörungen bei cerebral geschädigten Kindern Auskünfte der Gesellschaft für Neuropädiatrie und des Gemeinsamen Bundesausschusses eingeholt.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet (§ 170 Abs 2 S 1 SGG). Die streitgegenständlichen Bescheide sind rechtswidrig. Der Kläger hat Anspruch auf Blindengeld nach dem BayBlindG.

11

1. Der Senat ist, obwohl in der Sache um die Auslegung bayerischen und damit an sich irreversiblen Landesrechts gestritten wird, nicht an einer Sachentscheidung gehindert.

12

Nach § 162 SGG kann die Revision nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt. Zwar erstreckt sich das BayBlindG nicht über den Freistaat Bayern und damit den Bezirk des Bayerischen LSG hinaus. Revisibilität von Landesrecht hat das BSG jedoch auch angenommen, wenn inhaltsgleiche Vorschriften verschiedener Länder in den Bezirken verschiedener LSG gelten und die Übereinstimmung nicht nur zufällig, sondern im Interesse der Rechtsvereinheitlichung bewusst und gewollt ist (vgl dazu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 162 RdNr 5a mwN; Heinz in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 162 RdNr 17 f mwN). Letzteres hat das BSG in ständiger Rechtsprechung auch für den Begriff der Blindheit nach dem BayBlindG angenommen. Der dort verwendete - hier umstrittene und entscheidungserhebliche - Blindheitsbegriff stimmt mit dem Blindheitsbegriff überein, den auch die in den Bezirken anderer LSG geltenden landesrechtlichen Blindengeldgesetze zu Grunde legen (zB für NRW § 1 Gesetz über die Hilfen für Blinde und Gehörlose vom 25.11.1997, GVBl S 430 idF des Gesetzes vom 5.4.2005, GVBl S 332). Übereinstimmung besteht zudem mit dem bundeseinheitlich geltenden Begriff der Blindheit in § 72 Abs 5 SGB XII, auf den im Schwerbehindertenrecht(§ 3 Abs 1 Nr 3 Schwerbehindertenausweisverordnung) Bezug genommen wird (vgl BSG Urteil vom 26.10.2004, SozR 4-5921 Art 1 Nr 1 RdNr 5; Urteil vom 20.7.2005 - B 9a BL 1/05 R, BSGE 95, 76 = SozR 4-5921 Art 1 Nr 2, RdNr 6 mwN).

13

2. Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage des Klägers ist begründet. Der allein gegenständliche Bescheid vom 31.7.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4.12.2007, mit dem der Beklagte dem Kläger Blindengeld versagt hat, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat seit Antragstellung Anspruch auf Gewährung von Blindengeld nach dem BayBlindG. Er ist blind im Sinne des Gesetzes (dazu a). Dem Anspruch steht nicht entgegen, dass beim Kläger auch weitere Sinnesorgane wie das Hörvermögen oder der Tastsinn nicht weniger auf Schwerste beeinträchtigt sind (dazu b).

14

a) Monatliches Blindengeld nach dem BayBlindG erhalten blinde und taubblinde Menschen auf Antrag, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben oder durch die VO (EG) Nr 883/2004 gleichgestellt sind, zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen (Art 1 Abs 1 BayBlindG vom 7.4.1995, GVBl 1995, 150, zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des BayBlindG vom 24.7.2013, GVBl 2013, 464). Dies ist beim Kläger der Fall. Er lebt in Bayern und ist entgegen der Ansicht des beklagten Freistaates auch blind im Sinne des Gesetzes.

15

Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art 1 Abs 2 S 1 BayBlindG). Als (faktisch) blind gelten darüber hinaus Personen, deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 1/50 beträgt (Art 1 Abs 2 S 2 Nr 1 BayBlindG) sowie bei denen hierdurch (Nr 1) nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr 1 gleichzuachten sind (Art 1 Abs 2 S 2 Nr 2 BayBlindG; zur Entwicklung des Begriffs "Blindheit" vgl Dau, jurisPR-SozR 24/2009 Anm 4).

16

Dies ist beim Kläger der Fall. Nach den Feststellungen des LSG besitzt er lediglich basale visuelle Fähigkeiten, die unterhalb der Blindheitsschwelle liegen. Der Einsatz seiner Sehfähigkeit im Alltag unter Tageslichtbedingungen ist nicht möglich.

17

Dabei kann es sowohl nach dem Wortlaut als auch nach Sinn und Zweck des Gesetzes dahingestellt bleiben, auf welcher konkreten Ursache die Blindheit im Einzelfall beruht, ob sie auf einer Schädigung des optischen Sehapparates, einer Hirnschädigung oder einer Kombination denkbarer Ursachen beruht. Auch cerebrale Schäden, die zu einer Beeinträchtigung des Sehvermögens führen, sind beachtlich und können zur Blindheit führen (etwa der Ausfall der Sehrinde , vgl auch Anl zu § 2 Teil A Nr 6 Buchst c Versorgungsmedizin-Verordnung), und zwar für sich allein oder im Zusammenwirken mit Beeinträchtigungen des Sehorgans. Der erkennende, für das BayBlindG allein zuständige 9. Senat des BSG gibt insoweit seine bisherige anderslautende, an die Materialien zum Gesetzentwurf für ein BayBlindG anknüpfende Rechtsprechung auf.

18

Das BSG hatte bisher in Anlehnung an Empfehlungen der Sektion Versorgungsmedizin des Ärztlichen Sachverständigenbeirates beim früheren Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA, Rundschreiben vom 16.2.1990) zwischen Störungen beim "Erkennen" (Schädigung des Sehapparates) und beim "Benennen" (Schädigung in der Verarbeitung wahrgenommener optischer Reize) unterschieden. Ausgangspunkt der Empfehlung war der Antrag eines Mädchens, das infolge einer Gewalttat unter einem apallischen Syndrom litt und die Versorgung mit einem Blindenführhund beantragt hatte. Der Sachverständigenbeirat beim BMA kam zu dem Ergebnis, dass bei einer solchen cerebralen Schädigung (dort als "Seelenblindheit" oder "visuelle Agnosie" bezeichnet) keine Blindheit vorliege; nicht das Sehvermögen mit dem Sehorgan im engeren Sinne sei beeinträchtigt, sondern die Fähigkeit, das Gesehene geistig zu verarbeiten (vgl dazu Stefan Jungeblut, Nicht sehen können - doch nicht blind? in: Sozialrecht im Umbruch, 2010, S 69, 70). Das BSG hat bei seiner Differenzierung zwischen "Erkennens- und Benennungsstörungen" selbst darauf hingewiesen, dass es sich im Einzelfall als sehr schwierig erweisen könne, eine Störung zu lokalisieren und einer dieser Kategorien zuzuweisen (vgl BSG Urteil vom 31.1.1995 - 1 RS 1/93 - SozR 3-5920 § 1 Nr 1 S 5, Juris RdNr 34 zum Saarländischen Gesetz Nr 761 über die Gewährung einer Blindheitshilfe; zum BayBlindG wieder Urteil vom 26.10.2004 - B 7 SF 2/03 R - SozR 4-5921 Art 1 Nr 1 RdNr 13; Urteil vom 20.7.2005 - B 9a BL 1/05 R - BSGE 95, 76 = SozR 4-5921 Art 1 Nr 2, RdNr 9-11).

19

Das BSG gibt diese Differenzierung nunmehr auf. Soweit in der Gesetzesbegründung ausgeführt wird, unter dem Begriff "Störungen des Sehvermögens" seien Störungen beim Erkennen optischer Reize zu verstehen, die sich nicht auf eine Beeinträchtigung elementarer visueller Leistungen, auf eine Benennungsstörung oder auf eine allgemeine Herabsetzung kognitiver Fähigkeiten zurückführen lassen (Gesetzentwurf der Staatsregierung für ein BayBlindG, BayLT-Drucks 13/458 S 5; vgl zum Ausschluss jeder visuellen Agnosie nach Anl zu § 2 Teil A Nr 6 Buchst c VersMedV; zur Teilnichtigkeit dieser Regelung SG Osnabrück Urteil vom 24.6.2009 - S 9 SB 231/07 mit Anm Dau, jurisPR-SozR 24/2009 Anm 4), hat diese Differenzierung in Art 1 BayBlindG keinen normativen Niederschlag gefunden.

20

Die Differenzierung kann zudem gerade bei cerebral geschädigten Menschen vielfach medizinisch kaum nachvollzogen werden, dh die Ursache der Beeinträchtigung des Sehvermögens nicht genau bestimmt werden. Denn die Untersuchung visueller Wahrnehmungsleistungen setzt voraus, dass Untersuchungsfähigkeit gegeben ist; dazu gehören ua ausreichende Leistungen in den kognitiven Bereichen Aufmerksamkeit und Gedächtnis, ausreichende Sprachleistungen (Mitteilung ua über das eigene Sehvermögen bzw Beschreiben von optischen Reizen) oder ausreichende Handfunktionen, etwa um Reaktionstasten im Rahmen perimetrischer Untersuchungen betätigen zu können (vgl dazu Braun/Zihl, Der Blindheitsnachweis bei zerebralen Funktionsstörungen, MED SACH 2/2015, 81 ff; und sogleich unter 2b, aa).

21

Ein hinreichend sachlicher Grund für das Erfordernis einer genauen Lokalisierung der Sehstörung ist daher nicht nachweisbar. Entscheidend für den Anspruch auf Blindengeld ist allein, ob es insgesamt an der Möglichkeit zur Sinneswahrnehmung "Sehen" (optische Reizaufnahme und deren weitere Verarbeitung im Bewusstsein des Menschen) fehlt, ob der behinderte Mensch "blind" ist. Damit wird die Frage hinfällig, ob die zugrunde liegende Annahme, der Wahrnehmungsvorgang stelle einen in strikter zeitlicher Abfolge stattfindenden Prozess mit mehreren voneinander klar abgrenzbaren Phasen (perzeptiv, semantisch und lexikalisch) dar, mit der aktuellen wissenschaftlichen Evidenzlage vereinbar ist (vgl Braun/Zihl, Der Blindheitsnachweis bei zerebralen Funktionsstörungen, MED SACH 2/2015, 81, 82: fehlende Trennschärfe visueller Verarbeitungsstrukturen; aA und für einen mehrstufigen Prozess weiterhin vgl Zimbardo/Gerrig, Psychologie, 20. Aufl, 2015, S 112 ff, 161 f).

22

b) Dem Anspruch des Klägers steht auch nicht entgegen, dass bei ihm darüber hinaus auch sonstige Sinnesorgane wie sein Hörvermögen oder der Tastsinn auf Schwerste beeinträchtigt sind. Soweit der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung für den Blindengeldanspruch verlangt hat, dass bei cerebralen Schäden eine spezifische Störung des Sehvermögens vorliegt, hält er auch daran nicht mehr fest (Aufgabe von BSGE 95, 76 = SozR 4-5921 Art 1 Nr 2). Der Senat hat für den Nachweis einer schweren Störung des Sehvermögens bisher verlangt, dass die visuelle Wahrnehmung deutlich stärker betroffen ist, als die Wahrnehmung in anderen Modalitäten (vgl BSG Urteil vom 20.7.2005 - B 9a BL 1/05 R - BSGE 95, 76 = SozR 4-5921 Art 1 Nr 2, RdNr 9). Zu einer Aufgabe dieser Rechtsprechung sieht sich der Senat aus den oben bereits angesprochenen Erkenntnisschwierigkeiten (dazu aa) sowie unter dem Aspekt der Gleichbehandlung veranlasst (dazu bb).

23

aa) Die Praxis der Instanzgerichte, darunter diejenige über den Anspruch des Klägers, zeigen, dass sich gerade bei mehrfach schwerstbehinderten Kindern eine spezifische Störung des Sehvermögens medizinisch kaum verlässlich feststellen lässt (vgl weiter zB Urteil des Bayerischen LSG vom 17.7.2012 - L 15 BL 11/08 - Juris RdNr 58 ff). Insoweit fehlt es an Erhebungs- und Untersuchungsmethoden, deren Einsatz sowohl zu medizinisch sicheren Ergebnissen führt als auch ethisch vertretbar ist. Das Kriterium der "spezifischen Sehstörung" hat sich aus Sicht des Senates insgesamt als nicht praktikabel erwiesen, weil es zu einer Erhöhung des Risikos von Zufallsergebnissen führt.

24

Anspruchsbegründende Tatsachen im Recht der sozialen Leistungen unterliegen grundsätzlich einem notwendigen Vollbeweis (BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 15 RdNr 46), die Nichterweislichkeit geht zu Lasten des Klägers. Die Nichterweislichkeit ginge auch im Falle des bayerischen Blindengelds zu Lasten des Klägers (hierzu Demmel, Die Entwicklung und Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Blindengeldleistung als Sozialleistung, 2003, S 228). Etwaige Beweiserleichterungen des sozialen Entschädigungsrechts kommen nicht zum Tragen (zB § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung; Wahrscheinlichkeitsmaßstab bei Kausalitätsfragen BSG SozR 4-3200 § 81 Nr 6 RdNr 25). Besondere Vorschriften der Kriegsopferversorgung gelten im Rahmen des BayBlindG nur, soweit solche im SGG vorgesehen sind (vgl Art 7 Abs 3 S 2 BayBlindG, zB § 154 Abs 2 SGG; vgl BayLT-Drucks 13/458 S 6).

25

Die mit dem Beweisrecht verbundene typisierende Annahme, dass die relevanten Tatsachen im Ansatz hinreichend verlässlich feststellbar sind, ist in Bezug auf die vorhandene medizinische Diagnostik zur Feststellung einer spezifischen Sehstörung nicht gerechtfertigt. Die Diagnostik spezifischer Sehstörungen insbesondere bei cerebral geschädigten Kindern ist beschränkt. Medizintechnische Untersuchungsmethoden sind - worauf in der Vorinstanz unangegriffen hingewiesen wurde - wegen der notwendigen Sedierung oder gar Narkotisierung ethisch kaum vertretbar, verbleibende Befragungen der Betreuungspersonen störanfällig, weil oftmals subjektiv gefärbt (vgl dazu Braun/Zihl, Der Blindheitsnachweis bei zerebralen Funktionsstörungen, MED SACH 2/2015, 81, 83). Der Einsatz von Entwicklungsskalen hängt nach Auskunft der Gesellschaft für Neuropädiatrie maßgeblich von der Expertise des Testleiters ab. Die Anwendung der GES für Kleinkinder (im Alter von 0 bis 12 Monaten) auf ältere Kinder begünstigt weitere Unwägbarkeiten, unabhängig davon, ob sie dem neuesten anerkannten Stand des einschlägigen Erfahrungswissens genügen, welcher im Rahmen der richterlichen Sachaufklärung (§ 103 SGG) verbindlich zugrunde zu legen wäre (vgl BSG Urteil vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 63). Zweifel bestehen jedenfalls insofern auch in Anbetracht des Umstandes, dass die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in ihrer S2k-Praxisleitlinie "Intelligenzminderung" von Dezember 2014 S 35 die GES (Brandt und Sticker 2001) wegen ihrer geringen Testgüte und mangels aktueller Normen für den diagnostischen Einsatz nicht einmal mehr empfohlen hat (abrufbar unter www.awmf.de).

26

bb) Vor allem aber lässt es der allgemeine Gleichheitssatz nicht zu, bei schwer cerebral geschädigten Menschen zu verlangen, dass die zu Blindheit führende Beeinträchtigung ihres Sehvermögens noch deutlich stärker ausgeprägt ist als die Beeinträchtigung ihrer sonstigen Sinneswahrnehmungen (Hören, Tasten etc), sog spezifische Sehstörung. Hieran hält der Senat im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung behinderter Menschen vor dem Gesetz nicht mehr fest (Art 3 Abs 1 und 3 S 2 GG; Art 5 UN-Behindertenrechtskonvention, zur unmittelbaren Anwendbarkeit BSGE 110, 194 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 69, RdNr 29 ff).

27

Abgesehen davon, dass sich bei schwersten cerebralen Schäden die mit dem Merkmal einer spezifischen Sehstörung angestrebte Begrenzung des blindengeldberechtigten Personenkreises angesichts des erhöhten Risikos von Zufallsergebnissen (dazu oben aa) nach derzeitigen Erkenntnissen nicht hinreichend rechtssicher erreichen lässt (zum vorgelagerten Aspekt einer genauen Abgrenzung des begünstigten Personenkreises bereits BVerfGE 37, 154, 155, 164 f), besteht auch sonst keine Möglichkeit die genannte Differenzierung zu rechtfertigen.

28

Der Senat sieht keinen hinreichenden sachlichen Grund dafür, dass zwar derjenige Blindengeld erhalten soll, der "nur" blind ist, nicht aber derjenige, bei dem zusätzlich zu seiner Blindheit noch ein Verlust oder eine schwere Schädigung des Tastsinns oder sonstiger Sinnesorgane vorliegt, bei dem aber nicht von einer deutlich stärkeren Betroffenheit des Sehvermögens gegenüber der Betroffenheit sonstiger Sinnesorgane gesprochen werden kann (im Ergebnis ebenso bereits BVerfG Beschluss vom 7.5.1974 - 1 BvL 6/72 - BVerfGE 37, 154, 165 f zur Differenzierung zwischen zu einer zu fehlendem Sehvermögen führenden Beeinträchtigung der Sehschärfe und einer vergleichbar wirkenden Einschränkung des Gesichtsfeldes).

29

Zwar kommt in der früheren Rechtsprechung des BSG das Anliegen zum Ausdruck, dass Störungen aus dem seelisch/geistigen Bereich nicht zu einem Blindengeldanspruch führen sollen, weil Behinderungen solcher Art ggf durch anderweitige, auch einkommens- und vermögensunabhängige Sozialleistungen ausgeglichen werden, wenn deren Voraussetzungen vorliegen (etwa Leistungen der Pflegeversicherung oder der Eingliederungshilfe, §§ 61 ff SGB XII; vgl Demmel, aaO, S 501 ff; zur Reform der Eingliederungshilfe durch Einführung eines Bundesteilhabegelds vgl Koalitionsvertrag 2013, S 111 abrufbar unter www.bundesregierung.de). Dies kann die Ungleichbehandlung schwer cerebral geschädigter Behinderter jedoch nicht begründen.

30

Insbesondere stellt die Erwägung, dass derjenige, der wegen schwerster cerebraler Schäden zu keiner oder so gut wie keinen Sinneswahrnehmungen fähig ist, des Blindengeldes nicht bedarf, weil behinderungsbedingte Mehraufwendungen ohnehin nicht ausgeglichen werden können, keinen solchen sachlichen Grund dar. Zwar heißt es in Art 1 Abs 1 BayBlindG, das Blindengeld werde "zum Ausgleich der durch diese Behinderungen bedingten Mehraufwendungen" gezahlt. Das BSG hat jedoch entsprechend der Praxis der zuständigen Behörden, ohne dass dem der Gesetzgeber entgegengetreten wäre, entschieden, dass das Blindengeld derzeit ohne Rücksicht auf einen im Einzelfall nachzuweisenden oder nachweisbaren Bedarf pauschal gezahlt wird. Dabei ist gerade Sinn und Zweck der Pauschale, bei festgestellter Schädigung auf die Ermittlung des konkreten Mehrbedarfs sowie einer konkreten Ausgleichsfähigkeit zu verzichten. "Blindheitsbedingte Mehraufwendungen" sind insoweit keine eigenständige Anspruchsvoraussetzung, sondern umschreiben lediglich die allgemeine Zielsetzung der gesetzlichen Regelung (vgl BSG Urteil vom 26.10.2004 - B 7 SF 2/03 R - SozR 4-5921 Art 1 Nr 1, RdNr 10 und 11; BSG SozR 3-5922 § 1 Nr 1; BVerwGE 51, 281, 286). Insoweit hält der Senat an seiner Rechtsprechung fest.

31

Nach allem gilt: Auch in den Fällen, in denen neben dem fehlenden Sehvermögen weitere oder alle Sinnesorgane schwer geschädigt sind, ändert dies nichts daran, dass der Betroffene sowohl in tatsächlich wie auch in rechtlicher Hinsicht blind ist und jedenfalls Anspruch auf Blindengeld hat.

32

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.