Bundesarbeitsgericht Urteil, 10. Dez. 2014 - 4 AZR 261/13
Gericht
Tenor
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1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 19. Oktober 2012 - 10 Sa 1475/11 - aufgehoben.
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2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung des Klägers.
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Der Kläger ist bei der Beklagten in deren Fahrzeuginstandhaltungswerkstatt in L beschäftigt. In einer Stellenbeschreibung vom 21. Mai 2007 ist die von ihm eingenommene Stelle „Qualifizierter Instandhalter“ mit „E 7“ bewertet. Unter Nr. 3 der Stellenbeschreibung heißt es: „Besonderheiten: Vertreter für ‚Freigabeberechtigten C‘“. Der Kläger hat diese Stellenbeschreibung als „Stelleninhaber“ unter dem Datum des 8. August 2007 unterschrieben und handschriftlich hinzugefügt: „Hiermit widerspreche ich gegen die Eingruppierung nach E 7 im Rahmen der Freigabenberechtigung C“.
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Der Kläger besitzt seit August 2007 die Lizenz als sog. Freigabeberechtigter C. Die Berechtigung ist notwendig, um nach der bei der Beklagten bestehenden Richtlinie 900.0001 „Schienenfahrzeuge instand halten“ (nachfolgend: RL) Fahrzeuge aus der Instandhaltung freizugeben. Für die Freigabeberechtigung sind nach Kap. 9 (3) RL bestimmte Qualifikationen erforderlich, die ua. bei einem „qualifizierten Facharbeiter mit langjähriger Erfahrung in der Instandhaltung der freizugebenden Fahrzeugbauarten und einer Schulung/Unterweisung zum Erwerb der Freigabeberechtigung für die betreffenden Fahrzeuge“ vorliegen. Nach Kap. 4 (6) Richtlinie 046.9000 sind der „Berechtigungsstufe C“ ua. die Freigabe von Zügen oder Fahrzeugen nach Instandhaltungsarbeiten zum Betrieb in Routinefällen zugeordnet. Die Lizenz für die Freigabeberechtigung verliert in sicherheitsrelevanten Bereichen ihre Gültigkeit zwölf Monate nach der Erteilung. Sie „verlängert sich jeweils um zwölf Monate, wenn innerhalb der vergangenen zwölf Monate ... insgesamt fünf Schichten Arbeiten in der entsprechenden Qualifikation geleistet wurden“. In einem Merkblatt der Beklagten heißt es hierzu:
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„Ein Mitarbeiter behält die Freigabeberechtigung, wenn er in den letzten 12 Monaten, 5 Schichten in einer Funktion mit Freigabeberechtigung geleistet, bzw. 20 Freigaben (ein Freigabebeleg ist eine Freigabe) selbstständig vollzogen hat.“
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Anders als die bei der Beklagten beschäftigten Instandhaltungsleiter und Fertigungsmeister mit Freigabeberechtigung müssen die Arbeitnehmer, die Freigaben lediglich vertretungsweise ausüben, entsprechende Einzelnachweise („Freigabebelege“) erbringen und darauf achten, dass die zum Lizenzerhalt erforderlichen fünf Schichten oder 20 Einzelfreigaben innerhalb von zwölf Monaten erreicht werden.
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Im Rahmen der in der Werkstatt L durchgeführten Instandhaltungsarbeiten werden sog. Erstfreigaben von Schienenfahrzeugen grundsätzlich durch den Instandhaltungsleiter und Zweitfreigaben durch einen Gruppenführer oder einen stellvertretenden Gruppenführer durchgeführt. Zu den „Vertretern der ständig Freigebenden“ gehören neben dem Vertreter des Instandhaltungsleiters und den Vertretern der Gruppenführer die Arbeitnehmer in der Funktion eines „Vertreters Freigabeberechtigung im Fall von Urlaub/Krankheit etc.“. Während der Kläger in einer vom 9. Februar 2009 datierenden Übersicht als „Vertreter GrF“ aufgeführt ist, heißt es in einer nachfolgenden Übersicht vom 1. Juni 2009 „Vertreter Freigabeberechtigung“. Der Kläger hat in den Jahren 2009 und 2010 Freigaben auch zu Zeiten durchgeführt, zu denen freigabeberechtigte (stellvertretende) Gruppenführer in der Werkstatt anwesend waren.
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Die Beklagte gruppierte den Kläger im März 2008 auf Grundlage des Entgelttarifvertrags für die Arbeitnehmer verschiedener Unternehmen des DB Konzerns (KonzernETV) in die Entgeltgruppe 107 „Facharbeiter 3“ des in der Anlage 3a zum KonzernETV enthaltenen Entgeltgruppenverzeichnisses 1 (EGV 1), Funktionsgruppe (FGr) 1 (Anlagen- und Fahrzeuginstandhaltung) um (nachfolgend: EG 107 KonzernETV).
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Mit seiner der Beklagten am 7. Oktober 2009 zugestellten Klage hat der Kläger die Vergütungsdifferenzen zwischen der EG 107, Stufe 6 und der EG 106, Stufe 5 KonzernETV für die Zeit ab dem Monat März 2008 verlangt.
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Zum 1. Januar 2010 wurde der KonzernETV durch den „Funktionsgruppenspezifischen Tarifvertrag für Tätigkeiten der Funktionsgruppe 1 - Anlagen- und Fahrzeuginstandhaltung - verschiedener Unternehmen des DB Konzerns“ (FGr 1-TV) (vom 14. Dezember 2009) abgelöst.
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Der Kläger hat die Ansicht vertreten, ihm stehe eine Vergütung nach der EG 106 KonzernETV sowie ab dem 1. Januar 2010 nach der inhaltsgleichen EG 106 FGr 1-TV zu. Er sei als „Facharbeiter 4“ tätig, denn er erteile regelmäßig und nicht nur vertretungsweise oder zur Lizenzerhaltung Freigaben. Diese Befugnis sei ihm mit Erwerb der Lizenz übertragen worden. Er habe dann mit Wissen und Wollen des Werkstattleiters und der Vorgesetzten im üblichen Ausmaß Freigaben erteilt. Jedenfalls sei es durch den Werkstattleiter anlässlich der Aushändigung des erforderlichen Stempels zur Erteilung von „Freigaben C“ zu einer konkludenten Vertragsänderung gekommen, die sich die Beklagte nach den Grundsätzen einer Duldungs- oder Anscheinsvollmacht zurechnen lassen müsse. Erst mit einer E-Mail vom 9. Juli 2009 habe sie angeordnet, er solle nur noch zu Freigaben herangezogen werden, wenn weder ein Gruppenführer noch ein stellvertretender Gruppenführer anwesend sei. Diese E-Mail sei bedeutungslos, da er arbeitsvertraglich eine Beschäftigung als „Freigabeberechtigter C“ beanspruchen könne.
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Der Kläger hat zuletzt beantragt,
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1.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 8.796,49 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus jeweils 419,74 Euro seit dem 1. April 2008, 1. Mai 2008, 1. Juni 2008, 1. Juli 2008, 1. August 2008, 1. September 2008, 1. Oktober 2008, 1. November 2008, 1. Dezember 2008, 1. Januar 2009, 1. Februar 2009, 1. März 2009, 1. April 2009, 1. Mai 2009, 1. Juni 2009, 1. Juli 2009, 1. August 2009, 1. September 2009, 1. Oktober 2009, 1. November 2009, 1. Dezember 2009 und 1. Januar 2010 zu zahlen,
2.
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihn seit dem 1. Januar 2010 nach der Entgeltgruppe 106 FGr 1-TV zu vergüten und die anfallenden monatlichen Bruttonachzahlungsbeträge zwischen der Vergütungsgruppe 107 und der Vergütungsgruppe 106 FGr 1-TV seit dem 1. des jeweiligen Folgemonats, beginnend mit dem 1. Februar 2010, mit fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen.
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Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags angeführt, eine Freigabetätigkeit sei dem Kläger nur vertretungsweise, deshalb nur vorübergehend und daher nicht im tariflich erforderlichen Umfang übertragen worden. Soweit der Kläger in Anwesenheit eines Gruppenführers oder stellvertretenden Gruppenführers Freigaben erteilt habe, sei dies lediglich zur Erhaltung seiner Freigabeberechtigung oder vertretungsweise erfolgt. Etwaige Weisungen von Vorgesetzten seien nicht maßgebend.
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Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers ist begründet. Mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts konnte die auch hinsichtlich des Antrags zu 2. zulässige Klage, mit dem der Kläger - wie die gebotene Auslegung ergibt (dazu BAG 4. Juli 2012 - 4 AZR 759/10 - Rn. 13 mwN) - eine Vergütungsverpflichtung nach der Stufe 5 der EG 106 FGr 1-TV im Wege einer sog. Eingruppierungsfeststellungsklage festgestellt wissen will, nicht abgewiesen werden. Die Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar(§ 561 ZPO). Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO)und mangels ausreichender Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zur Zurückverweisung der Sache (§ 563 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO).
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I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Tätigkeit des Klägers erfülle nicht die Anforderungen des Tätigkeitsmerkmals der EG 106 - Facharbeiter 4 - Fall 1 KonzernETV und FGr 1-TV. Ausweislich der Stellenbeschreibung sei dem Kläger die Vertretung für „Freigabeberechtigte C“ nur vorübergehend bei Verhinderungsfällen wie etwa Urlaub und Krankheit übertragen worden. Es liege deshalb keine „nicht nur vorübergehende“ Übertragung iSd. § 5 Abs. 1 FGr 1-TV vor. Mit einer Vertretungsfunktion sei keine dauerhafte Übertragung der entsprechenden Tätigkeit verbunden.
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II. Dem folgt der Senat nicht.
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1. § 5 FGr 1-TV, der inhaltlich der Vorgängerregelung in § 5 KonzernETV entspricht, lautet auszugsweise wie folgt:
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„§ 5
Grundsätze für die Eingruppierung
(1)
Die Eingruppierung von Arbeitnehmern in eine Entgeltgruppe richtet sich nach der nicht nur vorübergehend übertragenen und ausgeführten Tätigkeit …
(2)
...
(3)
Werden Arbeitnehmern Tätigkeiten übertragen, die verschiedenen Entgeltgruppen zuzuordnen sind, so gilt für sie grundsätzlich die Entgeltgruppe, die der überwiegenden Tätigkeit entspricht.
...
(4)
Werden Arbeitnehmern nach dem EGV 1 Tätigkeiten übertragen, die mit dem Zusatz ‚(kein Ü)‘ gekennzeichnet sind, findet für die Eingruppierung das Überwiegend-Prinzip nach Abs. 3 keine Anwendung. Die Arbeitnehmer sind in diesen Fällen unabhängig vom zeitlichen Umfang der höherwertigen Tätigkeit in die höherwertige Entgeltgruppe einzugruppieren.“
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Das EGV 1, (FGr) 1 der Anlage 3a zum KonzernETV regelt ebenso wie die Nachfolgeregelung - EGV 1 der Anlage 2 zum FGr 1-TV - unter „I. Tätigkeitsgruppe Werke“ Folgendes:
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„Entgeltgruppe 106
...
Facharbeiter 4 (kein Ü)
Qualifizierte gewerblich technische Tätigkeiten, verbunden mit
●
Erteilung von Freigaben zum Einsatz von Fahrzeugen oder Komponenten zum Betrieb in Routinefällen
oder
●
Entscheidung in schwierigen Instandhaltungsfällen
Entgeltgruppe 107
...
Facharbeiter 3
Qualifizierte gewerblich technische Tätigkeiten, für die eine Berechtigung zur selbständigen Ausübung definierter Aufgaben in für die Eisenbahnbetriebssicherheit der Fahrzeuge oder Komponenten relevanten Bereichen - auch ohne schriftliche Arbeitsanweisungen oder Fertigungsunterlagen - erforderlich ist, sowie selbständige Durchführung der dazu erforderlichen Prüftätigkeiten und Systemkontrollen“
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2. Es kann dahinstehen, ob es sich bei der Tätigkeit des Klägers als qualifizierter Instandhalter um die nach § 5 Abs. 1 iVm. Abs. 3 KonzernETV/FGr 1-TV überwiegend ausgeübte Tätigkeit handelt, die für die zutreffende Eingruppierung maßgebend ist. Zwar geht § 5 Abs. 3 KonzernETV/FGr 1-TV davon aus, dass sich die auszuübende Tätigkeit eines Arbeitnehmers aus verschiedenen Teiltätigkeiten unterschiedlicher Entgeltgruppen zusammensetzen kann. Von dem in solchen Fällen vorrangigen „Überwiegend-Prinzip“ bestimmt § 5 Abs. 4 KonzernETV/FGr 1-TV aber dann eine Ausnahme, wenn einem Arbeitnehmer Tätigkeiten übertragen werden, die nach dem Entgeltgruppenverzeichnis mit dem Zusatz „kein Ü“ gekennzeichnet sind. Das ist bei der EG 106 KonzernETV/FGr 1-TV für den „Facharbeiter 4“ der Fall. In der Folge ist es für eine Eingruppierung nach dieser Entgeltgruppe ausreichend, wenn dem Kläger unabhängig vom zeitlichen Umfang solche Tätigkeiten übertragen worden sind.
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3. Die seiner rechtlichen Bewertung zugrunde liegende Annahme des Landesarbeitsgerichts, dem Kläger sei die „Erteilung von Freigaben“ iSd. tariflichen Qualifizierungsmerkmals der EG 106 - Facharbeiter 4 - Fall 1 KonzernETV/FGr 1-TV nur vorübergehend übertragen worden und deshalb sei der Tatbestand des § 5 Abs. 1 KonzernETV/FGr 1-TV „nicht nur vorübergehend“ nicht erfüllt, ist selbst dann unzutreffend, wenn es sich bei der dem Kläger übertragenen und ausgeführten Tätigkeit lediglich um diejenige handeln sollte, wie sie in der Stellenbeschreibung vom 8. August 2007 beschrieben ist.
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a) Nach § 5 Abs. 1 KonzernETV/FGr 1-TV ist für die Eingruppierung des Arbeitnehmers diejenige Entgeltgruppe maßgebend, die der von ihm nicht nur vorübergehend „übertragenen und ausgeführten“ Tätigkeit entspricht. Die übertragene Tätigkeit ist diejenige, die dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber im Rahmen der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen in Ausübung des arbeitgeberseitigen Weisungsrechts zugewiesen werden kann (vgl. etwa zu § 22 BAT - „auszuübende Tätigkeit“ - BAG 26. März 1997 - 4 AZR 489/95 - zu II 5.1 der Gründe mwN).
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b) Selbst wenn man - wie es die Vorinstanz ohne weitere Feststellungen in der Sache angenommen hat - zugunsten der Beklagten annimmt, bei der in der Stellenbeschreibung vom 8. August 2007 beschriebenen handele es sich um die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit des Klägers, konnte das Landesarbeitsgericht nicht davon ausgehen, es fehle jedenfalls hinsichtlich der Erteilung von Freigaben iSd. EG 106 - Facharbeiter 4 - Fall 1 KonzernETV/FGr 1-TV an der Voraussetzung einer „nicht nur vorübergehenden“ Übertragung iSd. § 5 Abs. 1 KonzernETV/FGr 1-TV.
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aa) Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht zunächst davon ausgegangen, dass dem Kläger jedenfalls eine Tätigkeit als qualifizierter Instandhalter übertragen worden ist und er diese auch ausführt. Weiterhin verfügt er durch den Erwerb der Lizenz „Freigabeberechtigter C“ über die erforderliche persönliche Qualifikation für das in Anspruch genommene Tätigkeitsmerkmal.
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bb) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die Erteilung von Freigaben in Vertretungsfällen dem Kläger „nicht nur vorübergehend“ übertragen worden.
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(1) Mit dem Tarifmerkmal „nicht nur vorübergehend“ haben die Tarifvertragsparteien klargestellt, dass erst die auf Dauer angelegte Ausführung der übertragenen Tätigkeit die Folgen einer Eingruppierung aufgrund der Tarifautomatik nach sich ziehen kann. Das wird systematisch durch die Regelungen in § 5 Abs. 4 KonzernETV und § 6 FGr 1-TV („Entgeltausgleich“) bestätigt, die von der vorübergehenden Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit handeln und hinsichtlich der Vergütung lediglich eine - zeitlich begrenzte - Zulage vorsehen.
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(2) Von einer „nicht nur vorübergehenden“ Übertragung ist dann auszugehen, wenn eine Tätigkeit nach dem bei ihrer - mit Einverständnis des Arbeitnehmers erfolgten - Übertragung zum Ausdruck kommenden Willen des Arbeitgebers auf Dauer übertragen werden soll (BAG 30. November 1994 - 4 AZR 889/93 - zu I 4 a der Gründe mwN; 24. Januar 1973 - 4 AZR 104/72 - BAGE 25, 12). Dabei kommt es nicht darauf an, wie lange dem Arbeitnehmer die Tätigkeit tatsächlich übertragen wird, sondern ausschließlich auf den bei der Übertragung erkennbar werdenden Willen des Arbeitgebers (so schon BAG 22. März 1967 - 4 AZR 107/66 - BAGE 19, 295; s. auch 10. Februar 1988 - 4 AZR 585/87 -; 19. Juli 1978 - 4 AZR 31/77 - BAGE 31, 26). Maßgebend ist daher, ob der Arbeitgeber zu irgendeinem Zeitpunkt seinen Willen zu erkennen gegeben hat, der Arbeitnehmer solle in Zukunft eine bestimmte Tätigkeit auf Dauer ausüben. Dabei ist es nicht erforderlich, dass die zeitliche Lage und der Umfang dieser Tätigkeit bereits im Einzelnen bestimmt sind und es vorliegend feststeht, wann und wie oft Vertretungsfälle eintreten. Maßgebend ist vielmehr, ob der Arbeitgeber zu irgendeinem Zeitpunkt zum Ausdruck gebracht hat, der Arbeitnehmer solle nicht nur in dem einzelnen, konkreten Vertretungsfall tätig werden, sondern darüber hinaus auch in weiteren zu erwartenden Vertretungsfällen (st. Rspr., etwa BAG 30. November 1994 - 4 AZR 889/93 - aaO). Demgegenüber erfordert eine nur vorübergehende Übertragung einer Tätigkeit regelmäßig, dass dem Arbeitnehmer bei der Übertragung der Tätigkeit deutlich geworden ist, dass er die „andere“ Tätigkeit nur zeitlich begrenzt ausüben soll (BAG 16. Januar 1991 - 4 AZR 301/90 - BAGE 67, 59).
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(3) Nach diesen Maßstäben ist bei der tariflichen Bewertung der Tätigkeit des Klägers entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts die nur vertretungsweise übertragene Freigabetätigkeit zu berücksichtigen.
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(a) Die „Vertretungstätigkeit“ ist dem Kläger dauerhaft, also „nicht nur vorübergehend“ übertragen worden und deshalb für die Eingruppierung maßgebend (vgl. bereits BAG 29. September 1982 - 4 AZR 1161/79 -). Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es zur Bestimmung der dauerhaft übertragenen Tätigkeit grundsätzlich weder auf eine gewisse Regelmäßigkeit der Vertretungsfälle noch auf deren zeitlichen Umfang an.
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(b) Das Landesarbeitsgericht kann sich für seine Rechtsauffassung nicht auf das von ihm herangezogene Urteil des Senats vom 23. Februar 2011 stützen (- 4 AZR 336/09 - Rn. 23 ff.). Die Entscheidung handelt von dem Tarifmerkmal der „ständigen Vertretung“ des leitenden Arztes einer Klinik, den der Vertreter auch während dessen Anwesenheit dadurch vertritt, dass er Leitungsaufgaben auszuüben hat. Eine solche Rechtsfrage stellt sich nach der Begründungslinie des Landesarbeitsgerichts im Entscheidungsfall nicht. Auch befasst sich die genannte Entscheidung nicht mit der Frage, in welchen Fällen eine „nicht nur vorübergehende“ übertragene Tätigkeit vorliegt.
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III. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die Berufungsentscheidung erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Zwar hat der Kläger die Voraussetzungen für eine Eingruppierung nach der EG 106 KonzernETV/FGr 1-TV noch nicht hinreichend dargelegt (zu den Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast im Eingruppierungsrechtsstreit zB BAG 11. Februar 2004 - 4 AZR 684/02 - zu I 3 c bb (1) der Gründe, BAGE 109, 321). Aufgrund der Begründung des Landesarbeitsgerichts, der fehlenden tatsächlichen Feststellungen und der bisherigen Erörterungen des Rechtsstreits in den Tatsacheninstanzen war die Sache dennoch an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Im Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG wird das Landesarbeitsgericht insbesondere dem Kläger Gelegenheit zu weiterem tatsächlichen Vortrag geben müssen.
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1. Selbst wenn die Tätigkeit des Klägers derjenigen - stichwortartig beschriebenen - aus der Stellenbeschreibung entspricht, die das Landesarbeitsgericht seiner Entscheidung als maßgebend zugrunde gelegt hat, fehlt es an den erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zur Beurteilung, ob die qualifizierende tarifliche Anforderung „Erteilung von Freigaben“ in einem rechtlich erheblichen Ausmaß anfällt oder nicht.
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a) Für eine Zuordnung der Tätigkeit des Klägers zu der von ihm begehrten Entgeltgruppe ist entscheidend, dass er im Rahmen der ihm übertragenen Tätigkeit in rechtserheblichem Ausmaß Tätigkeiten auszuüben hat, die das tarifliche Qualifizierungsmerkmal der „Erteilung von Freigaben“ erfüllt (zu diesem Erfordernis BAG 21. August 2013 - 4 AZR 968/11 - Rn. 24 mwN; s. auch zu Heraushebungsmerkmalen und höheren Anforderungen: BAG 25. Januar 2012 - 4 AZR 264/10 - Rn. 49, BAGE 140, 311; 22. März 1995 - 4 AZN 1105/94 -; 18. Mai 1994 - 4 AZR 461/93 - zu B 4 c der Gründe; grdl. 19. März 1986 - 4 AZR 642/84 - zu 6 der Gründe, BAGE 51, 282).
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b) Die rechtliche Bewertung, ob der Kläger in rechtlich relevantem Umfang Freigaben erteilt hat, kann der Senat mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen nicht vornehmen. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat er zum Erhalt seiner Lizenz jährlich 20 Freigaben zu erteilen. Ob zu diesen auch diejenigen vom Kläger angeführten Freigabeerteilungen gehören, die er an sechs von ihm benannten Tagen in den Jahren 2009 und 2010 durchgeführt hat - ohne allerdings aufzuführen, wieviel Freigaben am jeweiligen Tag erteilt wurden - oder ob diese zusätzlich angefallen sind, ist nicht festgestellt. Soweit sich der Kläger erstinstanzlich auf eine Liste von ihm durchgeführter Freigaben gestützt hat, kann diese schon deshalb nicht zur rechtlichen Beurteilung herangezogen werden, weil eine solche dem entsprechenden Schriftsatz nicht beigefügt war. Es ist weiterhin auch nicht ersichtlich, in welchem Umfang Freigabeerteilungen in der Werkstatt in L insgesamt angefallen sind.
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2. Ob die Rechtsauffassung des Klägers zutrifft, er schulde arbeitsvertraglich die ständige Erteilung von Freigaben, die deshalb für seine Eingruppierung maßgebend sei, kann der Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen ebenfalls nicht beurteilen.
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a) Das Landesarbeitsgericht ist bei seiner Begründung allein von der Stellenbeschreibung ausgegangen, die die Beklagte erstellt hat. Es hat in diesem Zusammenhang versäumt, die vertraglich geschuldete Tätigkeit zu bestimmen. Ob der Inhalt der Stellenbeschreibung der vertraglich vereinbarten Tätigkeit entspricht, hat es nicht festgestellt. Allein der Umstand, dass dem Kläger nach der Stellenbeschreibung die „Vertretung Freigabeberechtigung“ übertragen worden ist, rechtfertigt unter Berücksichtigung des klägerischen Vorbringens nicht ohne weitere Begründung den rechtlichen Schluss, damit werde der Inhalt der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung abschließend bestimmt.
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b) Einer Eingruppierung nach der EG 106 KonzernETV/FGr 1-TV steht allerdings nicht bereits entgegen, dass es an einem entsprechenden formalen Übertragungsakt hinsichtlich einer Tätigkeit „Erteilung von Freigaben“ fehlt.
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aa) Nach dem Tätigkeitsmerkmal der EG 106 - Facharbeiter 4 - KonzernETV/FGr 1-TV iVm. § 5 Abs. 1 KonzernETV/FGr 1-TV muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Übertragung der Erteilung von Freigaben übertragen haben. Diese Anforderung ist eine Klarstellung der Tarifvertragsparteien über die zivilrechtliche Zurechenbarkeit der entsprechenden Aufgabenzuweisung. Mit „Übertragung“ wird jedoch keine von allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen abweichende besondere Anforderung an die Wirksamkeit von Willenserklärungen oder rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen aufgestellt (ausf. BAG 9. Dezember 2009 - 4 AZR 495/08 - Rn. 56 ff., BAGE 132, 365). Vielmehr zeigt § 5 Abs. 1 KonzernETV/FGr 1-TV, dass der Grundsatz der Tarifautomatik gelten soll(dazu BAG 22. September 2010 - 4 AZR 166/09 - Rn. 18).
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bb) Die Eingruppierung richtet sich gemäß § 5 Abs. 1 KonzernETV/FGr 1-TV nach der „übertragenen und ausgeführten Tätigkeit“. Maßgebend ist danach grundsätzlich nicht allein die tatsächlich ausgeübte, sondern die nach dem Arbeitsvertrag geschuldete Tätigkeit. Die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit kann allerdings für die Auslegung des Arbeitsvertrags, insbesondere hinsichtlich der genauen Bestimmung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit dann von Bedeutung sein, wenn der schriftliche Arbeitsvertrag hierzu keine oder unzureichende Angaben enthält. Entscheidend ist letztlich jedoch die - wie auch immer bestimmte - vertraglich vereinbarte und geschuldete Tätigkeit (BAG 22. September 2010 - 4 AZR 166/09 - Rn. 17; 25. Oktober 1995 - 4 AZR 479/94 -).
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cc) In der Folge wäre es deshalb rechtlich grundsätzlich ohne Bedeutung, wenn die Beklagte die arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit des Klägers mit der E-Mail vom 9. Juli 2009 oder der von ihr erstellten Liste der „Freigabeberechtigten der Werkstatt L“ einseitig auf die Erteilung von Freigaben in Verhinderungsfällen beschränkt hätte.
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c) Nach den bisherigen Feststellungen kann der Senat bereits nicht davon ausgehen, die nicht nur vertretungsweise „Erteilung von Freigaben“ gehöre zum Inhalt der vertraglich vereinbarten Arbeitsleistung des Klägers.
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aa) Es fehlt bereits an den erforderlichen Feststellungen, aus welchem Rechtsgrund die vom Kläger in Anspruch genommenen tariflichen Tätigkeitsmerkmale des KonzernETV und des FGr 1-TV für das Arbeitsverhältnis maßgebend sein sollen, wie es das Landesarbeitsgericht angenommen hat. Weder ist eine beiderseitige Tarifgebundenheit noch eine arbeitsvertragliche Bezugnahme auf die vom Landesarbeitsgericht angewandten Tarifregelungen festgestellt.
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bb) Der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts kann auch nicht entnommen werden, ob die Parteien einen schriftlichen Arbeitsvertrag, ggf. mit einer näheren Bestimmung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung, vereinbart haben.
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cc) Der pauschale Vortrag des Klägers, er erteile je nach den betrieblichen Gegebenheiten und unabhängig von einer Verhinderung eines Gruppenführers oder stellvertretenden Gruppenführers „wiederholt und ständig“ Freigaben in Routinefällen, ist zu unsubstanziiert, um die von ihm zur Begründung seines Anspruchs behauptete vertragliche Vereinbarung annehmen zu können.
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dd) Nach dem derzeitigen Vorbringen des Klägers kann auch nicht von einer vertraglichen Abrede über die nicht nur vertretungsweise Erteilung von Freigaben mit dem Leiter der Werkstatt ausgegangen werden, die sich die Beklagte im Wege einer Anscheins- oder Duldungsvollmacht zurechnen lassen müsste (vgl. zu den Zurechnungsmaßstäben etwa BAG 23. Februar 2011 - 4 AZR 336/09 - Rn. 42 ff.; 9. Dezember 2009 - 4 AZR 495/08 - Rn. 65 ff., BAGE 132, 365). Es ist bereits unklar, ob der Aushändigung des entsprechenden Stempels zur Erteilung von „Freigaben C“ durch den Leiter der Werkstatt ein Erklärungswert zukommt, wonach der Kläger als Lizenzinhaber diese Tätigkeit ständig als arbeitsvertraglich geschuldet ausüben solle. Soweit der Kläger weiterhin anführt, die von ihm nicht nur vertretungsweise erklärten Freigaben seien mit Wissen und Wollen des Werkstattleiters und der drei Instandhaltungsleiter erfolgt, kann seinem Vorbringen nicht entnommen werden, ob diese Arbeitnehmer etwa zur eigenständigen Organisation der Werkstatt und zur Übertragung von Tätigkeiten befugt sind und ihre Handlungen deshalb der Beklagten zuzurechnen sein könnten.
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3. Das Landesarbeitsgericht wird deshalb dem Kläger Gelegenheit zu einem weiteren Vortrag geben müssen, aus dem sich die maßgebenden Tatsachen für eine Geltung oder Anwendbarkeit der tariflichen Eingruppierungs- und Vergütungsregelungen ergeben soll sowie weiterhin zum Inhalt der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung und vorsorglich zum Umfang der in der Werkstatt insgesamt und der von ihm als Vertreter erteilten Freigaben.
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4. Für den Fall, dass der Kläger nach der EG 106 KonzernETV/FGr 1-TV zu vergüten ist, wird das Landesarbeitsgericht noch nähere Feststellungen zur begehrten Vergütungsstufe treffen müssen. Derzeit ist nicht ersichtlich, dass der Kläger ein Entgelt nach der Stufe 5 entsprechend der Anlage 5a zum KonzernETV und der Anlage 4 zum FGr 1-TV („Tätigkeitsjahre in der Entgeltgruppe 20 - <25“) beanspruchen kann. Auch erschließt sich vor dem Hintergrund der Monatsentgelttabellen in den genannten Anlagen die vom Kläger für die Zeit vom 1. März 2008 bis zum 31. Dezember 2009 beanspruchte monatliche Entgeltdifferenz von 419,75 Euro nicht.
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5. Schließlich wird das Landesarbeitsgericht ggf. die Wahrung der tariflichen Ausschlussfrist nach § 24 Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer von Schienenverkehrs- und Schieneninfrastrukturunternehmen (MTV Schiene) zu beachten haben. In diesem Zusammenhang kann zu prüfen sein, ob der „Widerspruch“ des Klägers gegen die im Jahr 2007 mitgeteilte Eingruppierung nach „E 7“ eine ausreichende Geltendmachung für im hiesigen Rechtsstreit beanspruchte Entgeltdifferenzen darstellen kann (zu den Anforderungen an eine Geltendmachung vgl. etwa BAG 7. Juli 2010 - 4 AZR 549/08 - Rn. 83 mwN, BAGE 135, 80), obwohl dieser vor der Umgruppierung des Klägers zum 1. März 2008 in die EG 107 KonzernETV erfolgte.
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Eylert
Creutzfeldt
Treber
Drechsler
Schuldt
Annotations
Ergibt die Begründung des Berufungsurteils zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Revision zurückzuweisen.
(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen.
(2) Das Berufungsgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(3) Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.
(4) Kommt im Fall des Absatzes 3 für die in der Sache selbst zu erlassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
Ergibt die Begründung des Berufungsurteils zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Revision zurückzuweisen.
(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen.
(2) Das Berufungsgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(3) Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.
(4) Kommt im Fall des Absatzes 3 für die in der Sache selbst zu erlassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.