Amtsgericht Wuppertal Urteil, 05. Feb. 2015 - 84 Ls 50 Js 156/14 - 22/14
Tenor
Die Angeklagten sind der versuchten schweren Brandstiftung schuldig.
Die Angeklagten F und B2 werden jeweils zu einer Freiheitsstrafe von
1 Jahr und 3 Monaten
verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.
Die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe über den Angeklagten B, wird zur Bewährung ausgesetzt.
Der Angeklagte B wird von Kosten und Auslagen freigestellt.
Die übrigen Angeklagten tragen die Kosten des Verfahrens und ihre notwendigen Auslagen.
1
Gründe:
2I.
31.
4Der Angeklagte F ist entgegen seinen früheren Angaben nicht im Jahre 1996, sondern 1990 geboren. Er ist ledig und kinderlos. Nach seinen Angaben ist er ausgebildeter Friseur, zurzeit jedoch arbeitslos. Er ist aus seiner Heimat Palästina 2012 nach Deutschland gekommen. Er hat bereits einen Monat nach seiner Einreise einen Asylantrag gestellt und hat derzeit den Status eines geduldeten Ausländers.
5Der Angeklagte F ist bislang einmal strafrechtlich in Erscheinung getreten:
6Am 17.09.2012 sah die Staatsanwaltschaft Wuppertal im Verfahren 326 Js 2812/12 von der Verfolgung eines Tatvorwurfs der versuchten Sachbeschädigung nach § 45 Abs. 1 JGG ab.
72.
8Der Angeklagte B2 ist ledig und Vater von zwei Kindern im Alter von 4 und 6 Jahren, die bei der Kindesmutter leben. Er ist nach seinen Angaben ausgebildeter Koch, zurzeit jedoch arbeitslos. Er befindet sich bereits seit 15 Jahren in Deutschland und ist anerkannter Asylbewerber.
9Er ist strafrechtlich unvorbelastet.
103.
11Der Angeklagte B, wurde in Jenin in Palästina geboren und wuchs dort im Haushalt seiner Großmutter väterlicherseits auf. Seine Mutter verstarb bereits als er zwei Jahre alt war. Er gab gegenüber der Jugendgerichtshilfe an, aus Erzählungen seiner Großmutter zu wissen, dass seine Mutter auf der Straße von Juden erschossen worden sei. Zunächst hatte der Angeklagte B nach seinen Angaben noch viel Kontakt zu seinem Vater, dieser sei jedoch mittlerweile neu verheiratet und habe Kinder aus der neuen Ehe. Der Angeklagte B kennt seine Halbgeschwister jedoch nicht. Die Beziehung zu seiner Großmutter beschreibt der Angeklagte als gut, auch wenn diese sehr streng gewesen sei, sei sie doch seine Hauptbezugsperson gewesen. Den Lebensunterhalt hat der Angeklagte durch seine Aushilfstätigkeit sichergestellt, die Großmutter versorgte den Haushalt. Zu der politischen Lage in Jenin gab der Angeklagte B an, dass es tagsüber relativ friedlich gewesen sei, man aber nachts nicht raus durfte.
12Im Januar 2012 kam der Angeklagte B nach Deutschland, zuvor war er drei Wochen lang mit dem Schiff unterwegs und reiste dann über Belgien nach X ein. Hier stellte er vier Monate nach seiner Einreise einen Asylantrag. Zu seiner Großmutter oder auch zu seinem Vater hat er nach seiner Einreise nach Deutschland keinen Kontakt mehr. In X wurde ihm Frau I vom Kinderheim O-Straße als Vormund an die Seite gestellt. Der Angeklagte B wurde nach Ankunft in X im Kinderheim O-Straße untergebracht und lebte dort bis zu seiner Verselbständigung. Seit April 2014 bewohnt der Angeklagte eine eigene Wohnung, im Rahmen der intensivpädagogischen Einzelfallhilfe (Inspe) wird er ambulant durch Frau T vom Sozialdienst Katholischer Frauen betreut. Finanzielle Unterstützung bekommt der Angeklagte durch die wirtschaftliche Jugendhilfe, die ihm monatlich ausgezahlt wird. Mit der eigenständigen Haushaltsführung kommt er gut zurecht.
13Der Angeklagte berichtete, dass er kurz nach seiner Ankunft in Deutschland begonnen habe, Marihuana zu konsumieren. Die Betäubungsmittel hätten sein Leben kaputt gemacht. Lediglich in der Zeit in der er Praktika abgeleistet habe, sei es ihm gelungen, clean zu bleiben.
14Der Angeklagte gab an, in Palästina zwei Jahre lang die Schule besucht zu haben. Ab seinem achten Lebensjahr habe er in einer Werkstatt für Lkw gearbeitet. In Deutschland besuchte der Angeklagte zunächst zwei Deutschkurse über sechs und sieben Monate. Nachfolgend leistete er über den Träger H ein Praktikum in einer Werkstatt ab. Danach absolvierte er jeweils dreiwöchige Praktika in einer Lkw-Werkstatt und einem Autohandel, aufgrund der fehlenden Papiere habe er dort jeweils nicht weiter arbeiten können. Er hofft weiterhin über Praktika eine Anstellung zu finden, was jedoch schwierig ist, da ihm mit seiner Duldung nur unter bestimmten Bedingungen eine Arbeitserlaubnis erteilt wird. Aktuell hat er nun wieder eine Praktikumsstelle über den Träger H seit dem 03.02.2015.
15Der Angeklagte B ist wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten:
16a.
17Am 28.08.2013 sah die Staatsanwaltschaft Wuppertal im Verfahren 326 Js 2561/13 von der Verfolgung eines Tatvorwurfs des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln nach § 45 Abs. 2 JGG unter der Auflage der Ableistung von 20 Stunden gemeinnütziger Arbeit ab. Der Angeklagte hat diese Auflage erledigt.
18b.
19Am 02.05.2014 sah die Staatsanwaltschaft Wuppertal im Verfahren 326 Js 1972/14 von der Verfolgung eines Tatvorwurfs des Diebstahls ebenfalls nach § 45 Abs. 2 JGG, diesmal unter der Auflage der Ableistung von 5 Stunden gemeinnütziger Arbeit ab. Auch diese Arbeitsauflage wurde von dem Angeklagten erledigt.
20Der Angeklagte F befand sich aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Wuppertal vom 30.07.2014 seit diesem Tag in Untersuchungshaft, zuletzt in der Justizvollzugsanstalt Wuppertal-Ronsdorf. Die Angeklagten B2 und B befanden sich aufgrund Haftbefehls vom 03.09.2014 seit diesem Tag in Untersuchungshaft, der Angeklagte B2 zuletzt in der Justizvollzugsanstalt Düsseldorf, der Angeklagte B zuletzt in der Justizvollzugsanstalt Iserlohn. Am 28.01.2015 wurden alle drei Angeklagten von dem Vollzug der Untersuchungshaft unter Auflagen verschont. Am 05.02.2015 wurden die Haftbefehle und der Haftverschonungsbeschluss aufgehoben.
21II.
22Die drei Angeklagten haben sich erst in Deutschland kennengelernt. Die Angeklagten F und B kennen sich durch einen Sprachkurs, die Angeklagten F und B2 kennen sich aus einem arabischen Club. Die Angeklagten F und B haben zudem auch eine Zeit lang gemeinsam in der Wohnung des Angeklagten B gewohnt.
23Der Angeklagte F verbrachte die Nacht vom 27. auf den 28.07.2014 in der Wohnung des Angeklagten B. Am nachfolgenden Tag begannen sie aus Anlass des Endes des Ramadans und der Feier des Zuckerfestes bereits am Nachmittag gegen 16:00 oder 17:00 Uhr damit, Alkohol zu trinken. Sie tranken im Wesentlichen Wodka-Mischgetränke und später noch Bier. Im weiteren Verlauf des Abends begaben sie sich wegen des schönen Wetters nach draußen und zur M-Straße in X. Dort tranken sie zunächst alleine weiter, bis der Angeklagte B2, der zuvor mit dem Angeklagten F telefoniert hatte, spontan dazu kam. Auch er hatte bereits zuvor zu Hause in erheblichem Maße Alkohol, unter anderem Whisky, getrunken. An der M-Straße konsumierten nun alle drei weiter Wodka-Mischgetränke und Bier und die Angeklagten B2 und B kifften zudem. Die Angeklagten F und B hatten sich über den Tag hinweg durch Nachrichten vom Stand des Konfliktes zwischen Israel und den im Gaza-Streifen lebenden Palästinensern unterrichtet. Alle drei Angeklagten haben Angehörige in Palästina. Zu ihnen hatten sie aufgrund des schwelenden Konfliktes jedenfalls zeitweilig keinen Kontakt. An der M-Straße diskutierten sie über den Konflikt und schließlich kam unter ihnen die Idee auf, Brandsätze auf die jüdische Synagoge in Wuppertal zu werfen, wobei nicht sicher festgestellt werden konnte, welches Motiv sie im Einzelnen dazu bewog. In Umsetzung ihres spontan gefassten Plans begaben sich alle drei gemeinsam zur Tankstelle an der G-Allee. Sie führten eine 1,5 Liter große Pet-Flasche mit sich, in der sich zuvor ein Wodka-Energie-Drink-Gemisch befunden hatte und die sie gemeinsam geleert hatten. Die Angeklagten F und B begaben sich zur Zapfsäule der Tankstelle, während der Angeklagte B2 sich in der Nähe aufhielt. Der Angeklagte B füllte die leere Pet-Flasche mit Diesel und die Angeklagten B und F begaben sich dann in die Tankstelle hinein, wo der Angeklagte F zunächst um 0:57 Uhr am 29.07.2014 1,54 Liter Diesel und anschließend eine Flasche Bier bezahlte. Damit begaben sich alle drei Angeklagte in die Wohnung des Angeklagten B, I-Straße in X.
24Dort angekommen stellten sie alle drei in arbeitsteiligem Zusammenwirken Brandsätze, sogenannte „Molotowcocktails“ her, indem sie sechs leere Bierflaschen der Marken Krombacher, Becks und Heineken zunächst mit Dieselkraftstoff füllten, sodann in jede der Flaschen eine Lunte in Form eines Baumwollstoffstreifens hingen und die Flaschen mit Kreppband, das sich in der Wohnung bereits befunden hatte, umwickelten um insbesondere die Lunte zu fixieren.
25Danach begaben sich alle drei Angeklagte zu der in der Nähe fußläufig gelegenen Synagoge der jüdischen Gemeinde in X, H-Straße. Sie hatten zu dem Zeitpunkt die Vorstellung, mit den Brandsätzen gegebenenfalls die Synagoge in Brand zu setzen, ohne aber dabei Menschen zu gefährden, da sie zutreffend davon ausgingen, dass sich um diese Uhrzeit keine Menschen mehr in der Synagoge aufhalten würden. Gegen 2:12 Uhr warfen sie insgesamt fünf Brandsätze in Richtung des Eingangsbereichs der Synagoge, wo sich unter anderem ein Fenster und die mit Glaseinsätzen versehene Eingangstür befand, während der sechste Brandsatz einem von ihnen aus der Hand rutschte und noch vor einem Wurf zerschellte. Die fünf geworfenen Brandsätze erloschen bereits während des Fluges und prallten im Bereich der Treppe des Eingangsbereichs bzw. an der Fassade u.a. im Bereich des Fensters und des unmittelbaren Eingangsbereichs auf den Boden auf, wo sie zerbrachen.
26Dort entstanden aufgrund der Scherben der zerborstenen Flaschen und des Diesels Flecken, deren fachgerechte Beseitigung insgesamt 858,70 € inklusive Mehrwert- steuer kostete. Die Hemmschwelle der Angeklagten war aufgrund des zuvor genossenen Alkohols bzw. des Marihuanas herabgesetzt, hinreichende Anhaltspunkte aber dazu, dass ihre Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert oder gar aufgehoben gewesen ist, fanden sich nicht.
27Unmittelbar nach der Tat entfernten sich die Angeklagten B2 und B vom Tatort, während sich der Angeklagte F noch in der Nähe aufhielt und kurze Zeit später noch das Eintreffen der Polizei und der Feuerwehr mit seinem Mobiltelefon filmte. Er wurde auch noch in Tatortnähe festgenommen. Die bei ihm am 29.07.14 um 03:35 Uhr entnommene Blutprobe wies einen BAK-Wert von 1,31 Promille auf.
28Die Mitglieder der jüdischen Gemeinde in X waren aufgrund der Tat stark schockiert, das Gemeindeleben war jedoch nicht beeinträchtigt. Der Angeklagte F hat sich bei der jüdischen Gemeinde schriftlich für die von ihm begangene Tat entschuldigt. Dieses Schreiben war nach erfolgter Übersetzung in die deutsche Sprache am 28.01.2015 bei dem Zeugen H, dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, eingegangen. Alle drei Angeklagte haben sich zudem in der Hauptverhandlung sowohl am 14.01.2015, als auch am 05.02.2015 für ihre Tat entschuldigt.
29III.
30Diese Feststellungen beruhen auf dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu deren genauen Umfang auf die Sitzungsniederschriften vom 14.01.2015, 28.01.2015 und 05.02.2015 Bezug genommen wird.
31Die Angeklagten haben ihre eigene Tatbeteiligung und die der Mitangeklagten jeweils gestanden. Als Motiv für ihre Tat gaben die Angeklagten F und B an, dass sie mit ihrer Tat Aufmerksamkeit auf den zu dieser Zeit andauernden bewaffneten Konflikt zwischen Israel und den im Gaza-Streifen lebenden Palästinensern lenken wollten. Der Angeklagte B2 konnte kein Motiv nennen. Alle drei gaben an, dass sie nichts gegen Juden hätten.
32Das Gericht ist den Geständnissen der Angeklagten gefolgt und hielt sie für glaubhaft. Denn die jeweiligen Einlassungen waren in sich schlüssig und widerspruchsfrei und standen in Übereinstimmung mit den polizeilichen Ermittlungen, den Angaben der in der Hauptverhandlung zum Tathergang vernommenen Augenzeugen N und N2 sowie den in Augenschein genommenen Videoprints der Überwachungsvideos der an der Synagoge befindlichen Überwachungskameras vom Tatzeitraum und der Videoprints der Überwachungsfilme der Videokameras der Tankstelle G-Allee vom 29.07.2014 und den Kopien der Kassenbelege der Tankstelle G-Allee vom 29.07.2014, 0:57 Uhr.
33Die Feststellungen zu den Tatfolgen beruhen auf den Angaben des Zeugen H, dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in X, und den auszugsweise verlesenen Rechnungen der Firma H2 vom 08.08.14 und der Firma L-Gebäudereinigung vom 31.07.14.
34Da die Angeklagten angaben, sich an Teile des Geschehens aufgrund ihrer Alkoholisierung bzw. ihres Marihuanakonsums nicht mehr erinnern zu können, hat das Gericht geprüft, ob hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit der Angeklagten zum Tatzeitpunkt erheblich vermindert oder gar aufgehoben gewesen ist. Letztlich konnten sich dazu aber keine hinreichenden Anhaltspunkte finden. Nur dem Angeklagten F ist unmittelbar nach der Tat, um 3:35 Uhr, eine Blutprobe entnommen worden, die ausweislich des auszugsweise verlesenen Alkoholbefundes des Universitätsklinikums Düsseldorf, Institut für Rechtsmedizin, vom 29.07.2014 einen Blutalkoholwert von 1,31 Promille ergab. Selbst bei zulässiger Rückrechnung auf den Tatzeitpunkt nach den Grundsätzen des Bundesgerichtshofes ergibt sich danach zum Tatzeitpunkt für den Angeklagten F eine Alkoholisierung von 1,81 Promille. Erst ein Blutalkoholwert von 2,0 Promille gibt aber Anlass, an der Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit eines Täters zum Tatzeitpunkt zu zweifeln. Gegen die Annahme einer verminderten oder aufgehobenen Einsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit sprachen aber auch die Einlassungen der Angeklagten, die im Wesentlichen das über mehrere Stunden andauernde Tatgeschehen detailliert wiedergeben konnten, des Weiteren die zielgerichtete Art und Weise der Tatausführung und letztlich auch die Angaben der Zeugen N und N2, die keinerlei erhebliche Ausfallerscheinungen im Verhalten der Angeklagten zum Tatzeitpunkt wahrgenommen haben.
35Das Gericht hat auch das Motiv der Angeklagten hinterfragt. Für die Angaben der Angeklagten F und B, dass sie durch ihre Tat die Aufmerksamkeit auf den israelisch-palästinensischen Konflikt zur Tatzeit lenken wollten, spricht zunächst die Tatsache, dass alle drei Angeklagte aus Palästina stammen und nicht wiederlegbar zum Zeitpunkt der Tat aufgrund des andauernden Konflikts keinen Kontakt mehr zu ihren Angehörigen in Palästina hatten. Zudem zeigen auch Aufnahmen aus dem Facebook-Profil des Angeklagten F, dass dieser für einen palästinensischen Staat eintritt.
36Als Motiv der Tat kam allerdings auch Antisemitismus in Betracht. Dafür sprach der Umstand, dass die Angeklagten als Palästinenser und Angehörige muslimischen Glaubens mit Brandsätzen eine jüdische Synagoge beworfen haben. Diese zugegebenermaßen schwerwiegenden Indizien, ließen für das Gericht allein jedoch nicht den hinreichend sicheren Schluss zu, dass die Tat in jedem Falle antisemitisch motiviert war.
37Denn das Ergebnis der Ermittlungen ergab ansonsten keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Angeklagten antisemitisch eingestellt sind. Die Polizei hat die Wohnungen der Angeklagten durchsucht und Zeugen aus ihrem Umfeld befragt. Es ergaben sich daraus keine Umstände, die den Rückschluss zulassen könnten, dass die Angeklagten eine grundsätzlich judenfeindliche Einstellung haben.
38Das Gericht konnte daher im Ergebnis nicht sicher ausschließen, dass möglicherweise auch tatsächlich eine rein politische Motivation, jedenfalls bei zwei der drei Angeklagten, der Grund für die Tatbegehung war. Sicherlich ist dabei klarzustellen, dass die in Deutschland lebende jüdische Bevölkerung, insbesondere die jüdische Gemeinde in X, nichts mit der Politik der israelischen Regierung und ihrer Auseinandersetzung mit den im Gaza-Streifen lebenden Palästinensern zu tun hat. Andererseits ist aber bei Würdigung aller Umstände und der Persönlichkeit der Angeklagten auch zu berücksichtigen, dass es keineswegs fernliegend ist, dass sie gerade diesen Schluss nicht gezogen haben, sondern – auch mangels eines anderen dem Staat Israel in der Tatnacht eindeutig zuzuordnenden Tatobjekts – eine Synagoge als Zeichen jüdischen Lebens zum Tatobjekt gewählt haben, um daran ihr Anliegen, Aufmerksamkeit auf den zwischen Israel und den Palästinensern lodernden Konflikt zu lenken, deutlich zu machen.
39IV.
40Die Angeklagten sind der am 29.07.2014 zulasten der Synagoge der jüdischen Gemeinde in X gemeinschaftlich begangenen versuchten schweren Brandstiftung gemäß §§ 306 a Abs. 1 Ziffer 2; 25 Abs. 2; 23 Abs. 1; 22 StGB schuldig.
41Ausreichende Anhaltspunkte für die Annahme einer versuchten schweren Brandstiftung im minderschweren Fall i.S.v. § 306 a Abs. 3 StGB fanden sich nicht.
42Eine Vollendung der Tat ist nicht eingetreten, da wesentliche Bestandteile der Synagoge nicht in Brand geraten sind.
43Alle drei Angeklagten handelten aber in der Vorstellung und mit dem zumindest bedingten Vorsatz, durch die von ihnen geworfenen Brandsätze wesentliche Teile der Synagoge in Brand zu setzen. Sie nahmen dies zumindest billigend in Kauf. Denn sie warfen aufgrund des zuvor gefassten gemeinsamen Tatplans fünf mit Diesel gefüllte, mit einer Lunte versehene und angezündete Molotowcocktails in arbeitsteiligem Zusammenwirken in Richtung des Eingangsbereichs der Synagoge, wobei sie unter anderem die Fassade und ein Fenster trafen, die übrigen Flaschen jedoch im Eingangsbereich zerschellten. Da die Angeklagten das Innere der Synagoge nicht kannten, haben sie nach ihrer Vorstellung dabei zumindest billigend in Kauf genommen, dass die Flaschen durch das Fenster oder etwa den Glaseinsatz der Eingangstüre in das Innere der Synagoge eindringen hätten können und dort wesentliche Bestandteile, etwa einen fest verlegten Teppichboden, in Brand setzen hätten können. Dies geschah letztlich zum einen deshalb nicht, weil die von ihnen geworfenen Flaschen weder das Fenster noch die Eingangstür durchdrangen und zum anderen weil die Brandsätze bereits zuvor noch im Flug erloschen.
44Die Angeklagten setzten zur Tat unmittelbar an, indem sie fünf der sechs Flaschen in Richtung des Eingangsbereichs warfen. Sie handelten dabei auch rechtswidrig und schuldhaft. Insbesondere ergaben sich keinerlei hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Angeklagten aufgrund des zuvor genossenen Alkohols oder Marihuanas im Zustand erheblich verminderter oder gar aufgehobener Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit nach den §§ 20, 21 StGB gehandelt haben.
45Allerdings war zu ihren Gunsten davon auszugehen, dass ihre Hemmschwelle bei der Tatausführung herabgesetzt war.
46V.
47Die Angeklagten F und B2 waren zum Zeitpunkt der Tat erwachsen, der Angeklagte B war zum Zeitpunkt der Tat 18 Jahre und 4 Monate alt, mithin Heranwachsender.
48Auf den Angeklagten B war gemäß § 105 Abs. 1 JGG Jugendstrafrecht anzuwenden, da eine Würdigung seiner Persönlichkeit ergab, dass er zum Zeitpunkt der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand.
49Dabei war zu berücksichtigen, dass der Angeklagte noch als Minderjähriger unbegleitet nach Deutschland eingereist ist und hier den dadurch bedingten kulturellen Wechsel zwischen seinem Heimatland und Deutschland zu verarbeiten hatte. Er hat zudem in seinem Heimatland nur kurze Zeit eine Schulausbildung genossen und ist bis heute Analphabet. Des Weiteren konsumiert er bereits seit mehreren Jahren mehr oder weniger regelmäßig Marihuana, worunter ebenfalls seine Entwicklung gelitten hat. Das Gericht ist daher zu der Auffassung gelangt, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat noch eher die Reife eines Jugendlichen als die eines Erwachsenen aufwies.
50Bei der Frage, wie auf die Angeklagten F und B2 einzuwirken ist, hat das Gericht zunächst den Strafrahmen des § 306 a Abs. 1 StGB zugrunde gelegt und sodann von der Milderungsmöglichkeit wegen des Versuchs nach den §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB Gebrauch gemacht.
51Gründe für eine Nichtanwendung der Milderungsmöglichkeit sah das Gericht nicht.
52Danach reduzierte sich der auf diese beiden Angeklagten anzuwendende Strafrahmen auf eine Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis zu 11 Jahren und 3 Monaten.
53Im Rahmen der konkreten Strafzumessung hinsichtlich dieser beiden Angeklagten hat das Gericht sodann nach den Grundsätzen der Strafzumessung gemäß § 46 StGB die Schuld der Angeklagten, d. h. die Schwere der Tat und ihre persönliche Schuld, die Wirkungen die von der Strafe für das künftige Leben der Angeklagten in der Gesellschaft zu erwarten ist, ebenso berücksichtigt, wie Gründe der General- und Spezialprävention.
54Bei der konkreten Strafzumessung bezüglich der Angeklagten F und B2 und auch bei der Beurteilung der Frage, wie auf den Angeklagten B erzieherisch einzuwirken ist, waren alle für und gegen die Angeklagten sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen.
55Dabei war zunächst die Gesinnung der Angeklagten, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat angewendete Wille der Angeklagten zu berücksichtigen. Dabei war nicht etwa auf eine allgemeine Gesinnung der Angeklagten, etwa eine mögliche judenfeindliche Haltung, sondern die Einzeltatgesinnung abzustellen. Hier war konkret zu berücksichtigen, dass die Angeklagten gegenüber den Angehörigen der jüdischen Gemeinde für die ihre Synagoge besondere Symbolkraft hat und Ausdruck der ihnen nach Jahren der Verfolgung gerade in Deutschland wieder möglichen Ausübung ihrer Religionsfreiheit ist, besondere Rücksichtslosigkeit gezeigt haben. Gleichzeitig haben sie sich gedankenlos, wenn nicht sogar rücksichtslos auch gegenüber der gesamten, auch nicht jüdischen, Bevölkerung verhalten, die ein gedeihliches Zusammenleben von jüdischer und nicht jüdischer Bevölkerung anstrebt und es dabei insbesondere nie wieder zu Straftaten kommen lassen will, die auch nur den Anschein des Antisemitismus tragen.
56Hinsichtlich des bei den Angeklagten aufgewendeten Willens bei der Tatausführung war das Maß der kriminellen Intensität zu berücksichtigen.
57Hier handelt es sich zwar einerseits um eine relativ spontane Tat, denn erst wenige Stunden vor der Tat entstand der Entschluss zur Tatbegehung unter Alkohol- und Drogeneinfluss, wodurch eine gewisse Enthemmung eingetreten sein mag. Andererseits ging aber auch ein gewisses Maß an Planung durch Kauf des Diesels und Herstellung der Molotowcocktails der Tat voraus.
58Zu berücksichtigen war weiter bei der konkreten Strafzumessung bzw. bei der Beurteilung der Frage, was zur erzieherischen Einwirkung auf den Angeklagten B notwendig ist, die Art der Ausführung der Tat und die verschuldeten Auswirkungen. Zu berücksichtigen war dabei, dass Dieselkraftstoff verwendet wurde, der gerichtsbekannt weniger leicht entzündlich ist als Benzin. Zudem sind nur fünf von sechs Molotowcocktails geworfen worden, die allesamt während des Fluges erloschen sind. Andererseits wurden Fassade bzw. Fenster und der Treppenaufgang der Synagoge getroffen, und mit Diesel sowie Glasscherben beschmutzt, wodurch ein Schaden von 858,70 € entstanden ist.
59Das Gericht hatte weiter das Vorleben der Angeklagten, ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu berücksichtigen.
60Keiner der Angeklagten ist zuvor von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt worden. Der Angeklagte B2 ist völlig unvorbelastet und gegen den Angeklagten F ist ein Verfahren wegen des Tatvorwurfs der versuchten Sachbeschädigung ohne Auflagen nach dem Jugendstrafrecht eingestellt worden. Die Staatsanwaltschaft hat zwei Verfahren gegen den Angeklagten B wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln bzw. Diebstahls jeweils unter einer Auflage nach dem Jugendstrafrecht eingestellt. Alle drei Angeklagten stammen aus Palästina, sind dort unter mutmaßlich schwierigen Bedingungen aufgewachsen und die Angeklagten F und B befinden sich auch erst seit drei Jahren in Deutschland. Alle drei Angeklagten sind hier ohne feste Beschäftigung, nicht zuletzt aufgrund ihres ausländerrechtlichen Status.
61Die Angeklagten F und B haben zudem auch nur geringe soziale Bindungen und sind im Wesentlichen auf sich allein gestellt. Der Angeklagte B2 hat zwar Kinder, allerdings zu ihnen keinen nennenswerten Kontakt. Bei dem Angeklagten B kommt noch hinzu, dass er Analphabet ist, wodurch ihm eine Integration zusätzlich erschwert ist.
62Bei der Strafzumessung hinsichtlich der Angeklagten F und B2 und bei der Prüfung was bezüglich des Angeklagten B erzieherisch sinnvoll ist, war weiter das Verhalten der Angeklagten nach der Tat zu berücksichtigen, besonders ihr Bemühen, den Schaden wieder gut zu machen und einen Ausgleich mit den Verletzten zu erreichen.
63Die Angeklagten haben sich alle drei für ihre Tat entschuldigt, ihre Einsicht und Reue in das von ihnen begangene Unrecht gezeigt. Der Angeklagte F hat sich zudem auch schriftlich gegenüber der jüdischen Gemeinde entschuldigt. Alle drei Angeklagten haben die Tat der versuchten schweren Brandstiftung glaubhaft gestanden, wobei sie jeweils nicht nur ihre eigene Tatbeteiligung eingeräumt haben, sondern auch Angaben zur Beteiligung der Mitangeklagten gemacht haben. Sie haben damit die Hauptverhandlung wesentlich verkürzt. Bei Schweigen der Angeklagten hätte eine umfangreichere, über mehrere Verhandlungstage andauernde, Beweisaufnahme durchgeführt werden müssen.
64Schließlich war die Verfahrensdauer und der Umstand, dass sich der Angeklagte F fast genau sechs Monate und die beiden übrigen Angeklagten fast fünf Monate in Untersuchungshaft befunden haben, zu berücksichtigen. Bereits letzeres sollte hinreichende Abschreckung für eventuelle Nachahmungstäter sein.
65Nach Abwägung aller für und gegen die Angeklagten F und B2 zu berücksichtigenden Umstände und unter Berücksichtigung ihrer Persönlichkeit sah das Gericht zur Einwirkung auf sie jeweils eine Freiheitsstrafe von
661 Jahr und 3 Monaten
67als tat- und schuldangemessen an.
68Die Vollstreckung dieser Freiheitsstrafen hat das Gericht zur Bewährung ausgesetzt.
69Es ist der Auffassung, dass die Angeklagten sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen werden und besondere Umstände in der Tat und der Persönlichkeit der beiden Angeklagten vorliegen, die eine Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 Abs. 1, Abs. 2 StGB rechtfertigt.
70Dabei war hinsichtlich der Tat zu berücksichtigen, dass die Tatausführung durch die Benutzung von Dieselkraftstoff und durch das Erlöschen der Molotowcocktails noch im Flug eher als dilettantisch einzustufen ist.
71Hinsichtlich der Persönlichkeit der Angeklagten war zu berücksichtigen, dass sie zum ersten Mal vor Gericht standen und bereits durch jeweils mehrmonatige Untersuchungshaft erheblich auf sie eingewirkt worden ist und das Gericht deshalb insgesamt die begründete Erwartung hegen kann, dass sie sich unter entsprechenden Auflagen und Weisungen und unter dem Eindruck des Verfahrens künftig straflos führen werden.
72Bei dem Angeklagten B war unter Abwägung aller genannter Umstände zu prüfen, was erzieherisch notwendig ist, um auf ihn einzuwirken und ihn insbesondere künftig zu einem straflosen Leben zu veranlassen.
73Nach Abwägung aller genannter Umstände und unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Angeklagten B hielt das Gericht zur erzieherischen Einwirkung auf ihn Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel nicht für ausreichend. Dabei war insbesondere zu berücksichtigen, dass auf den Angeklagten B vor der Tat bereits in zwei Diversionsverfahren jeweils durch Arbeitsauflagen versucht worden war, erzieherisch Einfluss zu nehmen. Dies hat ihn aber nicht von weiterer Straffälligkeit abhalten lassen. Erforderlich war weiter auch, dem Angeklagten B das besondere Unrecht seiner Tat hinreichend deutlich vor Augen zu halten.
74Das Gericht hat daher weiter auch geprüft, ob bei dem Angeklagten B die Verhängung einer Jugendstrafe nach § 17 Abs. 2 JGG erforderlich ist.
75Anders als die Staatsanwaltschaft vermag das Gericht bei dem Angeklagten B eine Schwere der Schuld nicht zu erkennen.
76Bei der Prüfung einer eventuellen Schwere der Schuld im Sinne von § 17 Abs. 2 JGG ist mehr auf die subjektiven und persönlichkeitsbegründenden Beziehungen des Täters zu seiner Tat als auf deren äußere Schwere abzustellen. Demgemäß hat das äußere Geschehen nur insoweit Berücksichtigung zu finden, als es Schlüsse auf das Maß der persönlichen Schuld zulässt und es kommt darauf an, inwieweit sich der äußere Unrechtsgehalt nach der charakterlichen Haltung und Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten in vorwerfbare Schuld niedergeschlagen hat.
77Bei dem Angeklagten B war in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass er die Tat mit zwei wesentlich älteren, erwachsenen Mittätern begangen hat, seine Hemmschwelle bei der Tatausführung alkohol- und drogenbedingt erheblich herabgesetzt war, die Tat im Versuch stecken geblieben ist, der Schaden relativ gering war und sein Nachtatverhalten seine Einsicht und Reue gezeigt hat. Letztlich waren allein das Motiv des Angeklagten und die in der Tat zum Ausdruck gekommene Rücksichtslosigkeit gegenüber der jüdischen wie auch der Gesamtbevölkerung nicht ausreichend, von einer besonderen Schwere der Schuld auszugehen.
78Allerdings war zu prüfen, ob über den Angeklagten B eine Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen zu verhängen ist. Für die Annahme schädlicher Neigungen sprach, dass der Angeklagte nun zum wiederholten Mal straffällig geworden ist, sich in der Vergangenheit durch über ihn verhängte Arbeitsauflagen nicht von weiterer Straffälligkeit hat abhalten lassen und zudem auch bis zu seiner Inhaftierung in erheblichem Maße Drogen konsumiert hat.
79Gegen die Annahme schädlicher Neigungen, mithin charakterlicher Mängel, die die Verhängung einer Jugendstrafe erforderlich machen und ihren Ausdruck in der von ihm begangenen Tat gefunden haben, sprach, dass der Angeklagte nun zum ersten Mal vor Gericht gestanden hat. Er befand sich über fünf Monate in Untersuchungshaft, wodurch auf ihn auch erzieherisch eingewirkt worden ist, und was der Angeklagte als besonders einschneidendes Erlebnis empfunden haben muss.
80Das Gericht war deshalb letztlich im Zweifel, ob zum Zeitpunkt der Urteilsfindung bei dem Angeklagten B noch charakterliche Mängel in einem Maße vorhanden sind, dass sie die Verhängung einer Jugendstrafe erforderlich machen.
81Es hat deshalb die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe gemäß § 27 JGG zur Bewährung ausgesetzt.
82VI.
83Die Kostenentscheidung bezüglich der Angeklagten F und B2 findet ihre Grundlage in § 465 StPO.
84Die Kostenentscheidung bezüglich des Angeklagten B findet ihre Grundlage in § 74 JGG.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Amtsgericht Wuppertal Urteil, 05. Feb. 2015 - 84 Ls 50 Js 156/14 - 22/14
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Referenzen - Gesetze
(1) Der Staatsanwalt kann ohne Zustimmung des Richters von der Verfolgung absehen, wenn die Voraussetzungen des § 153 der Strafprozeßordnung vorliegen.
(2) Der Staatsanwalt sieht von der Verfolgung ab, wenn eine erzieherische Maßnahme bereits durchgeführt oder eingeleitet ist und er weder eine Beteiligung des Richters nach Absatz 3 noch die Erhebung der Anklage für erforderlich hält. Einer erzieherischen Maßnahme steht das Bemühen des Jugendlichen gleich, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Der Staatsanwalt regt die Erteilung einer Ermahnung, von Weisungen nach § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, 7 und 9 oder von Auflagen durch den Jugendrichter an, wenn der Beschuldigte geständig ist und der Staatsanwalt die Anordnung einer solchen richterlichen Maßnahme für erforderlich, die Erhebung der Anklage aber nicht für geboten hält. Entspricht der Jugendrichter der Anregung, so sieht der Staatsanwalt von der Verfolgung ab, bei Erteilung von Weisungen oder Auflagen jedoch nur, nachdem der Jugendliche ihnen nachgekommen ist. § 11 Abs. 3 und § 15 Abs. 3 Satz 2 sind nicht anzuwenden. § 47 Abs. 3 findet entsprechende Anwendung.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, wenn
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die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder - 2.
es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.
(2) § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ist auch dann anzuwenden, wenn der Heranwachsende wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig nach allgemeinem Strafrecht verurteilt worden ist.
(3) Das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende beträgt zehn Jahre. Handelt es sich bei der Tat um Mord und reicht das Höchstmaß nach Satz 1 wegen der besonderen Schwere der Schuld nicht aus, so ist das Höchstmaß 15 Jahre.
(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.
(2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1).
(3) Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).
(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.
(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.
(2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen.
(3) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet.
(4) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Strafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen.
(1) Die Jugendstrafe ist Freiheitsentzug in einer für ihren Vollzug vorgesehenen Einrichtung.
(2) Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist.
Kann nach Erschöpfung der Ermittlungsmöglichkeiten nicht mit Sicherheit beurteilt werden, ob in der Straftat eines Jugendlichen schädliche Neigungen von einem Umfang hervorgetreten sind, daß eine Jugendstrafe erforderlich ist, so kann der Richter die Schuld des Jugendlichen feststellen, die Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe aber für eine von ihm zu bestimmende Bewährungszeit aussetzen.
(1) Die Kosten des Verfahrens hat der Angeklagte insoweit zu tragen, als sie durch das Verfahren wegen einer Tat entstanden sind, wegen derer er verurteilt oder eine Maßregel der Besserung und Sicherung gegen ihn angeordnet wird. Eine Verurteilung im Sinne dieser Vorschrift liegt auch dann vor, wenn der Angeklagte mit Strafvorbehalt verwarnt wird oder das Gericht von Strafe absieht.
(2) Sind durch Untersuchungen zur Aufklärung bestimmter belastender oder entlastender Umstände besondere Auslagen entstanden und sind diese Untersuchungen zugunsten des Angeklagten ausgegangen, so hat das Gericht die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, wenn es unbillig wäre, den Angeklagten damit zu belasten. Dies gilt namentlich dann, wenn der Angeklagte wegen einzelner abtrennbarer Teile einer Tat oder wegen einzelner von mehreren Gesetzesverletzungen nicht verurteilt wird. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für die notwendigen Auslagen des Angeklagten. Das Gericht kann anordnen, dass die Erhöhung der Gerichtsgebühren im Falle der Beiordnung eines psychosozialen Prozessbegleiters ganz oder teilweise unterbleibt, wenn es unbillig wäre, den Angeklagten damit zu belasten.
(3) Stirbt ein Verurteilter vor eingetretener Rechtskraft des Urteils, so haftet sein Nachlaß nicht für die Kosten.
Im Verfahren gegen einen Jugendlichen kann davon abgesehen werden, dem Angeklagten Kosten und Auslagen aufzuerlegen.