Amtsgericht Worms Beschluss, 14. Dez. 2016 - 1 Ds 3200 Js 28464/16

ECLI:ECLI:DE:AGWORMS:2016:1214.1DS3200JS28464.16.0A
bei uns veröffentlicht am14.12.2016

Tenor

1. Die Eröffnung des Hauptverfahrens wird aus tatsächlichen Gründen abgelehnt.

2. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Angeschuldigten trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

1

Dem Angeschuldigten wird mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Mainz vom 17.10.2016 zur Last gelegt, am 09.07.2016 in Worms einen versuchten Ladendiebstahl begangen zu haben. Konkret soll der Angeschuldigte in dem D. eine Packung des Parfums Chanel Coco Mademoiselle im Wert von 205,90 € in der Absicht aus dem dafür vorgesehenen Regal entnommen haben, dieses Parfum zu entwenden. Anschließend soll sich der Angeschuldigte in einen weiteren Gang begeben und die Verpackung der Parfumflasche entfernt haben. Als der Angeschuldigte bemerkt habe, dass ihn ein Ladendetektiv, der Zeuge R., beobachtete, habe er die Parfumflasche in ein Regal zurückgestellt. Im weiteren Verlauf sei er von dem Zeugen R. angesprochen und die Polizei verständigt worden.

II.

2

Gemäß den §§ 203, 204 StPO war das Hauptverfahren gegen den Angeschuldigten aus tatsächlichen Gründen nicht zu eröffnen.

3

Hinreichender Tatverdacht nach § 203 StPO ist anzunehmen, wenn die vorläufige Tatbewertung ergibt, dass die Verurteilung des Angeschuldigten wahrscheinlich ist (BGHSt 23, 304, 306; OLG Koblenz NJW 1994, 1887; OLG Hamburg StV 1996, 418; KG NJW 1997, 69; KK/Tolksdorf, StPO, 7. Aufl., § 203 Rn. 2; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 203 Rn. 2). Die Wahrscheinlichkeit muss so groß sein, dass es einer Entscheidung durch das erkennende Gericht in der Hauptverhandlung bedarf, um festzustellen, ob noch bestehende Zweifel gerechtfertigt sind (KK/Tolksdorf, a. a. O., § 203 Rn. 4).

4

Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. Nach der vorzunehmenden Gesamtwürdigung des vorhandenen Akteninhalts ist nach Auffassung des Gerichts eine Verurteilung des Angeschuldigten R. wegen der ihm im Rahmen der Anklageschrift vom 17.10.2016 vorgeworfenen Tat in Form eines versuchten Diebstahls nicht wahrscheinlich.

5

Der Angeschuldigte hat in seiner Vernehmung vom 10.08.2016 ausgeführt, er habe das Parfum nicht stehlen wollen. Vielmehr habe er die Flasche aus der Verpackung genommen, um sie sich anzuschauen und dann, weil er nicht die Absicht gehabt habe sie zu kaufen, in ein Regal zurück gestellt. Diese Angaben des Angeschuldigten werden sich in einer Hauptverhandlung nicht widerlegen lassen. Die Angaben des Zeugen R. und die bei den Akten befindliche Videoaufzeichnung bestätigen lediglich den äußeren Ablauf, der von dem Angeschuldigten nicht bestritten wird. Sie belegen jedoch für sich nicht ohne Weiteres einen etwaigen Tatentschluss des Angeschuldigten, einen Diebstahl zu begehen und damit den Straftatbestand des § 242 Abs. 1 StGB durch ein unmittelbares Ansetzen erfüllen zu wollen.

6

Voraussetzung für eine wahrscheinliche Verurteilung des Angeschuldigten R. wäre vorliegend, dass er zu dem Zeitpunkt des unmittelbaren Ansetzens, namentlich als er die Parfumflasche aus dem Regal entnahm, Tatentschluss dazu hatte, den an der Parfumflasche bestehenden fremden Gewahrsam des Ladeninhabers zu brechen und eigenen Gewahrsam zu begründen. Da es sich bei dem Gewahrsam um ein tatsächliches Sachherrschaftsverhältnis handelt, sind die Anschauungen des täglichen Lebens und vor allem die Umstände des Einzelfalles maßgebend (vgl. bspw. BGHSt 16, 271, 273 ; 23, 254, 255; 41, 198, 205). Zwar kommt ein unmittelbares Ansetzen in Betracht, wenn der Täter die Sache in die Hand nimmt, um sie wegzunehmen (BeckOK StGB/Wittig, Ed. 32, § 242 Rn. 42.1 unter Bezugnahme auf RGSt 55, 244). Allerdings sind an die Feststellung, der Täter habe die Ware entwenden wollen, bei im Geschäftsbereich offen getragenen kleineren Gegenständen erhöhte Anforderungen zu stellen (BayObLG NJW 1997, 3226, 3227). Bei offen im Bereich der Geschäftsfläche eines Selbstbedienungsladens mitgeführten Waren kann nämlich nicht ohne weiteres angenommen werden, der Kunde wolle sich diese Ware ohne Bezahlung zueignen. Es handelt sich nämlich um ein - wie die Videoaufzeichnung plastisch dokumentiert - grundsätzlich sozial übliches und von dem Ladeninhaber toleriertes Verhalten, das durch eine Vielzahl weiterer Besucher an den Tag gelegt wird.

7

Selbst wenn man jedoch zu der Annahme gelangen würde, dass der Angeschuldigte durch die Entnahme der Parfumflasche aus dem Regal zu einer Tatbestandsverwirklichung des § 242 Abs. 1 StGB unmittelbar angesetzt haben sollte, wäre er hier nach § 24 Abs. 1 StGB von einem offensichtlich unbeendeten Versuch strafbefreiend zurück getreten, weil eine etwaige Angst vor Entdeckung die Freiwilligkeit nicht auszuschließen vermag (Fischer, StGB, 63. Aufl., § 24 Rn. 19b).

8

Aufgrund der vorstehenden Erwägungen gelangt das Gericht nach nochmaliger Abwägung sämtlicher Umstände mithin zu dem Ergebnis, dass aufgrund der vorhandenen Beweissituation nach der derzeitigen Aktenlage, bei der maßgebliche Veränderungen nicht zu erwarten stehen, in einer Hauptverhandlung nach dem Grundsatz „In dubio pro reo“ ein Freispruch zu Gunsten des Angeklagten wahrscheinlich ist. Zwar ist der Grundsatz „In dubio pro reo“ auf das Wahrscheinlichkeitsurteil nicht anwendbar (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 203 Rn 2; KK/Tolksdorf, a.a.O., § 203 Rn 4; KG NJW 1997, 69). Jedoch kann hinreichender Tatverdacht mit der Begründung verneint werden, dass in einer Hauptverhandlung nach dieser Regel wahrscheinlich Freispruch ergehen würde (OLG Köln StraFo 1998, 230; OLG Karlsruhe 1974, 806; OLG Bamberg NStZ 1991, 252; Meyer-Goßner/Schmit, a.a.O., § 203 Rn 2; KK/Tolksdorf, a.a.O., § 203 Rn 4). So liegt es hier.

9

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten folgt aus §§ 464 Abs. 1, 467 Abs. 1 StPO.

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Referenzen - Gesetze

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Strafgesetzbuch - StGB | § 242 Diebstahl


(1) Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.

Strafgesetzbuch - StGB | § 24 Rücktritt


(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft be

Strafprozeßordnung - StPO | § 464 Kosten- und Auslagenentscheidung; sofortige Beschwerde


(1) Jedes Urteil, jeder Strafbefehl und jede eine Untersuchung einstellende Entscheidung muß darüber Bestimmung treffen, von wem die Kosten des Verfahrens zu tragen sind. (2) Die Entscheidung darüber, wer die notwendigen Auslagen trägt, trifft da

Strafprozeßordnung - StPO | § 203 Eröffnungsbeschluss


Das Gericht beschließt die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint.

Strafprozeßordnung - StPO | § 204 Nichteröffnungsbeschluss


(1) Beschließt das Gericht, das Hauptverfahren nicht zu eröffnen, so muß aus dem Beschluß hervorgehen, ob er auf tatsächlichen oder auf Rechtsgründen beruht. (2) Der Beschluß ist dem Angeschuldigten bekanntzumachen.

Referenzen

Das Gericht beschließt die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint.

(1) Beschließt das Gericht, das Hauptverfahren nicht zu eröffnen, so muß aus dem Beschluß hervorgehen, ob er auf tatsächlichen oder auf Rechtsgründen beruht.

(2) Der Beschluß ist dem Angeschuldigten bekanntzumachen.

Das Gericht beschließt die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint.

(1) Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern.

(2) Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Jedoch genügt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird.

(1) Jedes Urteil, jeder Strafbefehl und jede eine Untersuchung einstellende Entscheidung muß darüber Bestimmung treffen, von wem die Kosten des Verfahrens zu tragen sind.

(2) Die Entscheidung darüber, wer die notwendigen Auslagen trägt, trifft das Gericht in dem Urteil oder in dem Beschluß, der das Verfahren abschließt.

(3) Gegen die Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen ist sofortige Beschwerde zulässig; sie ist unzulässig, wenn eine Anfechtung der in Absatz 1 genannten Hauptentscheidung durch den Beschwerdeführer nicht statthaft ist. Das Beschwerdegericht ist an die tatsächlichen Feststellungen, auf denen die Entscheidung beruht, gebunden. Wird gegen das Urteil, soweit es die Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen betrifft, sofortige Beschwerde und im übrigen Berufung oder Revision eingelegt, so ist das Berufungs- oder Revisionsgericht, solange es mit der Berufung oder Revision befaßt ist, auch für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde zuständig.