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Die Schuldnerin wurde errichtet mit Gesellschaftsvertrag vom 07.05.2004. Es handelt sich dabei um eine D.O.O. aufgrund Art. 332 - 391 des Unternehmensgesetzes und der Art. 17 - 23 des Gesetzes über die ausländischen Einlagen nach serbischem Recht. Die D.O.O. ist eine Kapitalgesellschaft und der mit deutschen GmbH vergleichbar.
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Bei dem Unternehmen handelt es sich um eine Neugründung. Gründungsgesellschafter waren
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Nach den Gründungsunterlagen wurden die Stammeinlagen in Höhe von 50 Prozent erbracht. Als Gesellschaftssitz wurde festgelegt ...
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Der Unternehmensgegenstand war äußerst weit gefasst und umfasste zahlreiche Tätigkeiten aus dem Bereich Produktion, Handel und Dienstleistungen.
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Mit Urkunde des Notars ... gart, wurde am 28.07.2005 eine Zweigniederlassung in der Bundesrepublik Deutschland gegründet und zur Urkunde 1516/2005 Ke des Urkundsnotars beim Handelsregister des AG angemeldet. Zur Eintragung in das deutsche Handelsregister wurde der Unternehmensgegenstand auf das Verkaufen und Verlegen von Fliesen beschränkt. Als Geschäftssitz war ... angegeben.
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Die Ursachen der Insolvenz im vorliegenden Verfahren bestehen darin, dass die Gesellschaft über keinerlei Kapitalausstattung verfügte. Das Stammkapital von rund 5.000 US-Dollar war lediglich zur Hälfte eingezahlt.
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Die Gesellschaft hatte kein produktives Anlagevermögen und arbeitete mit geliehenem Material. Lediglich zur Unterbringung von Arbeitern hatte die Schuldnerin ein Wohnmobil angeschafft. Es bestanden offensichtlich erhebliche Kompetenzdefizite bei der Ausführung der Arbeiten.
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Das Amtsgericht Ludwigsburg ist für die Durchführung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Antragstellerin international und örtlich zuständig.
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Gemäß § 11 Abs. 1 InsO kann das Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person eröffnet werden. Die D.O.O. serbischen Rechts entspricht einer personalistischen Kapitalgesellschaft mit einer Haftungsbeschränkung auf das Stammkapital, ähnlich einer deutschen GmbH. Grundsätzlich ist die D.O.O. damit ein geeignetes Insolvenzobjekt.
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Die Gesellschaft hat jedoch nicht nur eine Zweigniederlassung im Gerichtsbezirk des Amtsgerichts Ludwigsburg gegründet, sondern gleichzeitig ihren Hauptverwaltungssitz dorthin verlegt. Der Geschäftsführer ist dort ständig anwesend und führt nach eigenen Angaben die Geschäfte der Gesellschaft und nicht nur der Zweigniederlassung von dem Geschäftssitz in ... aus durch.
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Verlegt eine Kapitalgesellschaft ihren Hauptverwaltungssitz nach Deutschland, wird nach der derzeit gängigen Sitztheorie die wirksame Gründung anhand des
numerus clausus
der Gesellschaftsform nach deutschem Recht überprüft. Dabei scheitert die wirksame Gründung vorliegend bereits am Erfordernis des Mindeststammkapitals in Höhe von Euro 25.000,00. Die Schuldnerin wurde ausweislich ihres Gründungsakts mit einem Stammkapital von 5.000,00 US-Dollar gegründet.
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Auf der Grundlage der derzeit in Deutschland noch verbreiteten Sitztheorie handelt es sich also nicht um eine Kapitalgesellschaft, da sie bei Anwendung der deutschen Gründungsvorschrift nicht wirksam gegründet wurde. Die Sitzverlegung erfolgte nach derzeit noch herrschendem deutschen Verständnis, daher nicht identitätsverfahrend.
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In der Konsequenz bedeutet dies, dass die ausländische Kapitalgesellschaft, die unter Umgehung der deutschen Gründungsvorschriften ihren Sitz ins Inland verlegt hat, im Inland wie eine Personengesellschaft zu behandeln ist. Die Folge ist, dass das Insolvenzverfahren gemäß § 11 Abs. 2 InsO zwar über die Personengesellschaft eröffnet werden kann, der Insolvenzverwalter müsste die Gesellschafter anschließend zu unbeschränkten Haftungen nach den Regeln des Personengesellschaftsrechts heranziehen.
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Die Sitztheorie beruht auf einem von Rechtsprechung und Lehre entwickeltem Grundsatz des Deutschen internationalen Gesellschaftsrechts.
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Die Sitztheorie basiert nicht auf einer gesetzlichen Regelung. Die Anwendung der Sitztheorie in Deutschland ist derzeit nicht mehr zeitgemäß, so dass das Gericht davon abweicht.
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In letzter Konsequenz hieße die Anwendung der Sitztheorie, dass die Gesellschaft zwar rechts- und parteifähig bleibt, auch das Insolvenzverfahren könnte gemäß § 11 Abs. 2 InsO über ihr Vermögen eröffnet werden. Im Insolvenzfall hieße dies aber auch, dass der Verwalter die Gesellschafter zur unbegrenzten Nachschusspflicht heranziehen könnte und auch müsste. Wenn dies für die Masse zwar wünschenswert wäre, so ist es doch zu prüfen, welche Auswirkungen ein solcher Eröffnungsbeschluss auf das im Ausland belegene Vermögen hätte.
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Innerhalb der EU wird eine solche Behandlung zweifellos einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit der Art. 43, 48 EGV darstellen, denn die unbeschränkte persönliche Haftung der Gesellschafter im Insolvenzfall stellt ein erhebliches Hindernis für die Entscheidung dar, innerhalb der EU den Sitz frei zu verlegen.
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Außerhalb der EU könnte die Umqualifizierung einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft zur Folge haben, dass ein Eröffnungsbeschluss über die D.O.O. als OHG oder GbR vom serbischen Staat nicht anerkannt wird. Serbien wendet die Sitztheorie nicht an. Es lässt also die Sitzverlegung deutscher GmbHs nach Serbien problemlos zu, ohne die Gründungsvoraussetzungen nach serbischem Recht nachzuprüfen und die GmbH gegebenenfalls herunterzuqualifizieren. Eine Nichtanerkennung des deutschen Insolvenzbeschlusses hätte schließlich zur Folge, dass der deutsche Insolvenzverwalter keinen Zugriff auf das in Serbien oder anderen Orts belegene Gesamtvermögen hätte, und dass schließlich ein serbischer Insolvenzverwalter über das Vermögen der Gesellschaft bestellt würde, der dann gem. § 343 InsO allerdings das im Inland belegene Vermögen zu verwalten hätte.
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Die Anwendung der Sitztheorie führt deshalb zu langwierigen, teuren und unnötigen Rechtsstreitigkeiten über die Zuständigkeit und den Umfang eines eventuellen deutschen oder serbischen Beschlagnahmebeschlusses.
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Die Anwendung der Gründungstheorie kommt im Vergleich dazu zu eindeutigeren Ergebnissen. Nach der Gründungstheorie bleibt eine Kapitalgesellschaft in ihrer Identität auch bei einem grenzüberschreitenden Sitzwechsel erhalten, wenn sie in ihrem Heimatstaat einmal wirksam gegründet wurde. Nur bei Anwendung dieser Theorie kann das deutsche Gericht das Insolvenzverfahren über die serbische Gesellschaft in ihrer Eigenschaft als Kapitalgesellschaft eröffnen. Das serbische internationale Insolvenzrecht gibt dem serbischen Richter dann wiederum die Möglichkeit, den deutschen Eröffnungsbeschluss anzuerkennen und die Beschlagnahmewirkung auf das in Serbien belegene Vermögen zu erstrecken (Art. 148
serb.
InsG., der insoweit fast wortgleich mit § 335 InsO ist). Voraussetzung ist dort lediglich, dass ein Eröffnungsbeschluss über das Vermögen der D.O.O. als Kapitalgesellschaft vorliegt und der Gesellschaftssitz faktisch tatsächlich in Deutschland belegen ist, das deutsche Gericht also zuständig war.
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Die Anwendung der Gründungstheorie führt auch ansonsten nicht zu unbilligen Ergebnissen. Zweck der Sitztheorie war stets der Schutz des Geschäftsverkehrs vor unbekannten Gesellschaftsformen. Die deutschen Gründungsvorschriften sollten zudem nicht durch Auslandsgründungen und Zuzug ins Inland umgangen werden können.
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Der Schutzzweck kann aber in der heutigen Zeit nicht mehr dadurch erreicht werden, dass die Gesellschaften schließlich als nicht existent behandelt und die Gesellschafter zur persönlichen Haftung herangezogen werden. Dies ist innerhalb der EU bereits unzulässig und wurde auch im außereuropäischen Ausland nicht akzeptiert mit der Folge, dass das Insolvenzverfahren stets auf das Inlandsvermögen beschränkt bliebe.
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Die Globalisierung der Wirtschaft zieht aber automatisch eine gewisse Globalisierung der Rechtssysteme nach sich. In der Realität wird es daher bereits heute etliche Gesellschaften geben, die die Sitzverlegung faktisch bereits unternommen haben, ohne dass sie selbst oder der Geschäftsverkehr dies je bemerkt hätten. Dies zu sanktionieren, muss einer Einzelfallbetrachtung unterliegen und kann nicht mehr pauschal beantwortet werden. Im Insolvenzverfahren muss insbesondere abgewogen werden, ob man der Anerkennung im Ausland den Vorrang vor einer Sanktionierung über die persönliche Haftung der Gesellschafter gibt. Wegen der Abschreckungswirkung sollte dies auch mit Blick auf künftige Verfahren geschehen. Eine Sanktionierung über die persönliche Haftung macht das deutsche Insolvenzverfahren unattraktiv für ausländische Gesellschaften.
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Für den Geschäftsverkehr macht es heute keinen Unterschied mehr, ob die Gesellschaft in ihrem Gründungsstaat bleibt und von dort aus in Deutschland operiert oder ob sie das vom Inland aus tut. Tatsächlich haben offenbar sehr viele ausländische Gesellschaften diesen Schritt getan und sind faktisch bereits seit Langem ins Inland gezogen und von hieraus tätig. Man wird deshalb nicht mehr umhinkommen, diese Gesellschaften auch als solche anzuerkennen, wenn sie nach ihrem Heimatrecht wirksam gegründet wurden (sogenannte Gründungstheorie) und nur ihren faktischen Sitz ins Inland verlegt haben. Die Sitzverlegung ins Inland kommt zwar nach wie vor einer Umgehung der schärferen inländischen Gründungsvorschriften gleich, aber die Geschäftspartner der ausländischen Gesellschaft und damit die potenziellen Gläubiger sind allein durch den ausländischen Gesellschaftszusatz ausreichend gewarnt. Neben der serbischen D.O.O. ist hier auf die zwischenzeitlich im Inland sehr weit verbreiteten Ltds. hinzuweisen. Es wird den inländischen Gläubigern weniger darauf ankommen, wo die Gesellschaft ihren faktischen Hauptverwaltungssitz hat, da dieser heutzutage ohnehin recht mobil ist. Vielmehr wird es ihnen auf die Informationen ankommen, welchem Recht die Gesellschaftsform unterliegt, insbesondere wer sie vertritt und mit welchem Haftungsvermögen sie ausgestattet ist. Die Entscheidung, mit einer D.O.O. zu kontrahieren oder davon Abstand zu nehmen, fällt aufgrund dieser Informationen und nicht aufgrund des Sitzes der Gesellschaft.
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Der Zugriff auf derlei Informationen hat sich über das Internet in der Zwischenzeit auch so gründlich geändert, dass die potenziellen Geschäftspartner sich über das Wesen, insbesondere das Haftungskapital der Gesellschaft schnell unterrichten können.
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Die Sitztheorie kann man demgegenüber als nicht mehr zeitgemäß betrachten. Sie führt dazu, dass das deutsche Insolvenzverfahren unattraktiv wird und in der internationalen Konkurrenz weiter abfällt. Sie sollte daher zu Gunsten der sogenannten Gründungstheorie – zumindest hinsichtlich der Insolvenzfähigkeit ausländischer Gesellschaften – aufgegeben werden. Das Gericht ist insoweit an keine höher rechtlichen Vorgaben gebunden und kann die Entscheidung, welcher Theorie es den Vorrang gibt, frei treffen.
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Die Frage der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte über das Vermögen ausländischer Gesellschaften ist in der InsO nicht geregelt.
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Art. 3 der Eu Ins VU findet keine Anwendung, da Serbien nicht EU-Mitglied ist. Geregelt ist in § 3 InsO lediglich die Frage der örtlichen Zuständigkeit, die gemäß § 3 Abs. 2 InsO am Ort des faktischen Hauptverwaltungssitzes gegründet ist.
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Fraglich ist, ob die örtliche Zuständigkeit gleichzeitig die Frage der internationalen Zuständigkeit bei Auslandssachverhalten regelt. Dies ist durchaus umstritten. Teilweise wird etwas oberflächlich eine analoge Anwendung von § 3 Abs. 2 InsO empfohlen (Gantner in:
MüKo
– InsO, Band 1, § 3 Randziffer 22 mit Hinweis auf eine 30 Jahre alte Literaturmeinung). Hierbei wird nicht geprüft, ob § 3 InsO überhaupt analogiefähig ist. Es ist bereits fraglich, ob überhaupt eine planwidrige Regelungslücke vorliegt, denn der Gesetzgeber hatte mit Gesetz vom 14.03.2003 Gelegenheit, das internationale Insolvenzrecht mit allen Zuständigkeitsproblemen zu regeln. Die Frage der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte wurde aber nicht geregelt, obwohl das Problem bereits bekannt war.
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Für die Beantwortung dieser Frage muss deshalb auf allgemeine Grundsätze des internationalen Zivilprozessrechts zurückgegriffen werden. In Deutschland besteht ein allgemeiner Konsens darüber, dass mit der örtlichen Zuständigkeit in der Regel gleichzeitig die internationale Zuständigkeit geregelt werden soll (sogenannte Doppelfunktionalität; so: Schack, internationales Zivilverfahrensrecht, 3. Auflage, Seite 106 mit Hinweisen auf BGHZ 94, 156). Es darf deshalb davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber mit der örtlichen Zuständigkeit auch gleichzeitig die internationale Zuständigkeit regeln wollte, so dass § 3 InsO unmittelbar anzuwenden ist.
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Das Amtsgericht Ludwigsburg ist deshalb örtlich und international zuständig, da der faktische Hauptverwaltungssitz im Gerichtsbezirk des Amtsgerichts Backnang liegt.
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Letztlich kommt es aber darauf an, ob diese internationale Zuständigkeit vom serbischen Staat anerkannt wird und der Beschlagnahmebeschluss auch in Serbien belegenes Vermögen erfasst.
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Serbien hat im Jahr 2004 das UNCITRAL-Modellgesetz zum internationalen Insolvenzrecht übernommen und in Kraft gesetzt. Gemäß Art. 148 ff. des serbischen Insolvenzgesetzes wird ein ausländischer Eröffnungsbeschluss in Serbien anerkannt, sofern die internationale Zuständigkeit auch nach serbischen Vorschriften im Ausland gegeben war.
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Gemäß Art. 162 des serbischen Insolvenzgesetzes ist die Zuständigkeit ebenfalls am Ort des faktischen Hauptverwaltungssitzes gegeben, so dass insoweit Konformität vorliegt.
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Da es in der Praxis aber darauf ankommt, ob und wie die Gerichte das neue Gesetz tatsächlich anwenden, hat der vorläufige Insolvenzverwalter über die ... Kontakt hergestellt zum Präsidenten des örtlich und sachlich zuständigen Handelsgerichts in ... dem Registersitz der Schuldnerin. Auf der Grundlage des Umstandes, dass die Schuldnerin ihren faktischen Hauptverwaltungssitz tatsächlich und auch nachweislich in den Amtsgerichtsbezirk Ludwigsburg verlegt hat, hat der Präsident des Handelsgerichts in ... keine Bedenken geäußert, die Eröffnungszuständigkeit des Amtsgerichts auch für das in Serbien belegene Vermögen anzuerkennen. Aufgrund der aktenkundigen Fakten, insbesondere der Tatsache, dass der serbische Geschäftsführer seinen Wohnsitz in ... hat und angegeben hat, in Serbien keinerlei geschäftliche Aktivitäten mehr zu haben, war der Präsident des Handelsgerichts ebenfalls der Meinung, dass der faktische Hauptverwaltungssitz in ... belegen sei.
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