Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) stellte ein Ablehnungsgesuch mit dem Begehren, den Richter Müller aus dem Verfahren auszuschließen. Der Angeklagte war im Besitz von über 25 Gramm Cannabis. Das Ablehnungsgesuch wurde mit seinem bisherigen Engagement für die Entkriminalisierung von Cannabis begründet. Ein solches lehnte das LG Frankfurt (Oder) (24 Qs 11/21)ab: Das Ablehnungsgesuch wurde verfrüht gestellt. Tatsächlich wollte Richter Müller das Verfahren aussetzen, bis das Bundesverfassungsgericht eine erneute Entscheidung über das Cannabis Verbot trifft. Unklar war demzufolge, wann das Gericht eine solche Entscheidung treffen würde und ob Müller sodann für den Fall (laut Geschäftsverteilungsplan) noch zuständig sei. Ein begründetes Ablehnungsgesuch erfordert außerdem eine konkrete Verknüpfung zwischen der richterlichen Aussage und dem Verfahren. Dies sei hier außerdem nicht der Fall.
Engagement des Richters für die Legalisierung von Cannabis; Wie geht die Justiz mit der Droge Cannabis um?
In dem zugrunde liegenden Verfahren gegen einen Heranwachsenden aufgrund seines Besitzes von 28,4 Gramm Cannabis hatte die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) beim Amtsgericht Bernau einen Befangenheitsantrag gegen den Richter Müller gestellt. Grund hierfür war sein bisheriges Engagement für die Legalisierung von Cannabis. Müller selbst begehrte das Verfahren bis zu dem Zeitpunkt auszusetzen, indem das Bundesverfassungsgericht erneut über das Cannabis Verbot entscheiden würde.
Seit einigen Jahren setzt er sich für die Entkriminalisierung der Droge Cannabis ein; bereits im Jahr 2002 rief er das Bundesverfassungsgericht (2 BvL 8/02) an und ließ vom Gericht prüfen, ob das Cannabis-Verbot mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Das Bundesverfassungsgericht erachtete diese Richtervorlage (mangels Vorlage neuer Tatsachen) als unzulässig und verwies auf das damalige Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1994 (BVerfGE 90, 145). Schon dort betonte das Gericht, dass ein straffreies Recht auf Rausch nicht existiere und das Cannabis-Verbot demzufolge mit der Verfassung in Einklang stünde. Artikel 3 GG gebiete nicht, alle potenziell gleich gefährlichen Drogen (thematisiert wurde v. a. die Ungleichbehandlung mit dem legalen Konsum von Alkohol) zu legalisieren. Gerettet hatte das Gericht v. a. die Möglichkeit der Strafverfolgungsorgane von der Strafe (§ 29 V BtMG) und der Strafverfolgung (§ 153 ff StPO; 31 a BtMG) abzusehen; insb. in solchen Fällen von – nicht fremdschädigenden – gelegentlichen Eigenkonsum von Cannabisprodukten.
Im Vorwort einer neuen eingereichten Vorlage des AG Bernau schreibt Richter Müller folgendes:
„Es ist dringend geboten, dass sich das Bundesverfassungsgericht, das sich nun über 26 Jahre nicht mehr mit der Cannabis-Prohibition auseinander gesetzt hat, mit der Frage befasst, ob die Verfolgung von Millionen von Menschen in der Bundesrepublik Deutschland wegen des Umgangs mit Cannabis noch zeitgemäß ist und den Ansprüchen einer freiheitlichen Gesellschaft und dem Auftrag des Grundgesetztes, insbesondere Minderheiten zu schützen, entspricht.“
Befangenheitsantrag wird abgelehnt
Die Kammer lehnte das Ablehnungsgesuch ab mit der Begründung, dass der Zeitpunkt eines solchen zu früh erfolgt ist. Wie bereits dargelegt hatte der Richter Müller das Strafverfahren bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ohnehin aussetzen wollen. Deshalb bliebe für den derzeitigen Zeitpunkt unklar, wann das höchstrichterliche Gericht über die Sache entscheiden würde und ob der Richter dann überhaupt noch zur Entscheidung berufen sei.
Der Befangenheitsantrag wurde also verfrüht gestellt – die Kammer wies darauf hin, dass eine Ablehnung nicht im Voraus für gewisse richterliche Entscheidungen erklärt werden könne, wenn noch gar nicht feststünde, ob der Richter daran überhaupt mitwirken werde. Maßgeblich sei vielmehr ein konkreter Bezug zwischen dem konkreten Verfahren und einer Äußerung, die der Richter diesbezüglich tätigte.
Ablehnungsgesuch erfordert konkrete Anhaltspunkte für Unvoreingenommenheit
Richter Müller tritt in der Öffentlichkeit für eine Entkriminalisierung von Cannabis ein. Dies hat aber nicht zur Folge, dass er im Vornherein, wenn es um Verfahren zum Thema Cannabis geht, als „befangen“ abgestempelt werden darf. Dann wäre er nämlich de facto bei jedem Verfahren mit Cannabis-Bezug auszuschließen. Eine persönliche Einstellung reicht hierfür freilich natürlich nicht aus. Vielmehr notwendig sind – wie so immer – konkrete Anhaltspunkte, die uns an der Objektivität des Richters zweifeln lassen:
Damit ein solches Ablehnungsgesuch Erfolg hat, muss er „den bösen Schein der Unvoreingenommenheit“ aus Sicht des Angeklagten i. F. e. Aussage, Handlung etc. begründen. Dies war im vorliegenden Fall aber nicht gegeben und deshalb war es auch richtig, dass das LG das Ablehnungsgesuch des Richter Müller abgelehnt hat.