Kaufvertrag oder Bauvertrag? Abgrenzungsfragen und Herausforderungen

erstmalig veröffentlicht: 15.08.2021, letzte Fassung: 19.10.2022

Autoren

Rechtsanwalt

Dr. Andreas Neumann

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Zusammenfassung des Autors

Ein vertragliches Verhältnis zwischen zwei Parteien kann sich nach unterschiedlichen Rechtsgebieten richten. So ist die Qualifizierung eines Vertrages als Kauf-, Werk- oder Bauvertrag maßgeblich für die Beantwortung zahlreicher Rechtsfragen, welche sich hieraus ergeben. Die Zuordnung hat unter anderem große Bedeutung für eine etwaige Obliegenheit zur Mängelrüge (§ 377 HGB), den Zeitpunkt der Fälligkeit der Gegenleistung, sowie für Fragen der Verjährung

Ob ein Vertrag ins Kaufrecht einzuordnen ist – gegebenenfalls über die Brücke der Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen nach § 650 BGB –, einen Werkvertrag darstellt oder etwa eine Kombination aus beiden Typen, wie der Bauträgervertrag, hängt von sämtlichen vereinbarten Regelungen und auch von der gelebten Praxis nach Vertragsschluss ab. Die Parteien können durch die Bezeichnung des Vertrags und eine bestimmte Wortwahl die rechtliche Einordnung in das jeweils andere Rechtsgebiet nicht verhindern und die nötige rechtliche Gesamtwürdigung nicht verbindlich vorwegnehmen, so die ständige Rechtsprechung, Urteil des BGH vom 15.03.2018 - III ZR 126/17 mit weiteren Nachweisen. Maßgeblich ist vielmehr der Schwerpunkt des Rechtsgeschäftes, welcher sich bei gebotener Gesamtbetrachtung der beiden Vertragsleistungen ergibt, BGH, Urt. v. 19.7.2018 – VII ZR 19/18 in BauR 2018, 1879, 1881.

Diese Abgrenzung zwischen Kauf- und Werkvertragsrecht hat insbesondere Relevanz für die immer wichtiger werdende Erstattung von Kosten, welche durch unbegründete Mängelvorwürfe entstehen. Unberechtigte Nacherfüllungsverlangen führen bei Handwerksunternehmen zu immer mehr ärgerlichen Aufwendungen und Kosten. Die Grenze zur schädigenden Rechtsverfolgung bzw. zum Rechtsmissbrauch wird derzeit von der Rechtsprechung im Kaufrecht anders gezogen als im Bau- und Werkrecht (siehe im Allgemeinen dazu Hofmann, ZfPW 2018, Seiten 152 ff. und Thole, AcP 209, S. 498 ff.).

Im Kaufrecht kann bereits bei fahrlässiger Verkennung der eigenen Verantwortung ein Schadensersatzanspruch des Verkäufers gegen den Käufer wegen schuldhafter Vertragsverletzung entstehen, so das Urteil des BGH vom 23.01.2008 – VIII ZR 246/06 (BauR 2008, 671 und 722). Wenn der Käufer also zur Mängelbeseitigung auffordert, in Wahrheit aber fahrlässig handelte, weil er beispielsweise die Betriebsanleitung hätte besser studieren müssen, so können Aufwendungen des Verkäufers zur Erforschung einer Mängelursache als Schadensersatz erstattungspflichtig sein. Dies ist im Werkvertragsrecht und insbesondere im Baurecht traditionell anders. Denn nach dem Urteil des BGH vom 02.09.2010 – VII ZR 110/09, NJW 2010, 3649, darf die Untersuchung zur Fehleraufsuche nicht von der Zustimmung zur Kostentragung bei Unbegründetheit des Vorwurfs abhängig gemacht werden. Ein derartig bedingtes Angebot zur Mängelbeseitigung ist demnach keine ordnungsgemäße zweite Andienung. Eine daraufhin durch den Besteller dennoch durchgeführte Selbstvornahme ist somit im Ergebnis berechtigt, und der Unternehmer muss dafür trotz seines bedingt entgeltlichen Angebotes aufkommen.

Durch eine solche Bedingung würden Mängelrechte verkürzt, so die Begründung in der ständigen Rechtsprechung. Die Prüfung der Frage, ob tatsächlich ein Mangel vorliegt, ist Aufgabe des Unternehmers und liegt nicht im Verantwortungsbereich des Bestellers (BGH VII ZR 110/19, Rn. 19). Eine Schadensersatzpflicht bejaht die Rechtsprechung bei unberechtigten Mängelvorwürfen im Baurecht und Werkrecht derzeit allenfalls bei offensichtlich willkürlicher Inanspruchnahme und fehlender subjektiver Ehrlichkeit des Bestellers, siehe OLG Düsseldorf, Urt. V. 18.12.1998 – 22 U 148/98 – BauR 1999, 519 und 919.

 

Die Problematik in der Praxis

Folgendes Beispiel soll verdeutlichen, wie sich diese Problematik in der Praxis häufig darstellt:

Ein Wohnungseigentümer macht gegenüber dem Elektromonteur geltend, dass der erworbene FI-Schalter defekt sei und unbemerkt zum Verderben seiner Lebensmittel im Gefrierschrank geführt habe. Aufgrund des dadurch entstandenen Schimmels habe er nun gegen den Monteur Anspruch auf einen neuen Gefrierschrank. Der Monteur wendet Fahrt- und Arbeitszeiten auf, untersucht die Elektrik in der Wohnung und wechselt sogar den beschädigten FI-Schalter aus, stellt dabei aber fest, dass der fragliche Gefrierschrank über 30 Jahre alt ist und die Ursache für den Fehlerstrom wohl selbst gesetzt haben dürfte.

Warum sollte der Monteur die Kosten der Untersuchung tragen, obwohl seine Verantwortung weitgehend ausgeschlossen werden und von einer Anspruchshöhe nennenswert über Null im Hinblick auf die Vorteilsausgleichung kaum die Rede sein kann? 

Zunächst ist fraglich, ob hier das Kaufrecht oder das Werkvertragsrecht anwendbar ist. Wie oben erläutert, hängt dies vom Schwerpunkt des Geschäfts ab. Wenn die Montageverpflichtung bei wertender Betrachtung als Leistung nicht ins Gewicht fällt und die Übertragung von Besitz und Eigentum dominiert, liegt ein Kaufvertrag vor, siehe Kniffka/Koeble Teil 11 Rn. 86. Dem ist hier jedoch nicht so. Denn die Montage eines FI-Schalters hat keine nur untergeordnete Bedeutung und ist sicher keine bloße Serviceleistung. Dem Besteller kommt es vielmehr auf eine funktionsfähige und sichere Elektrik im Haus entscheidend an. Daher ist im Beispielsfall das Kaufrecht nicht anwendbar, sondern das für den Unternehmer strengere Werkvertragsrecht. Es bleibt also dabei, dass der Monteur im Beispielsfall für seine Aufwendungen ohne weitere vertragliche Abreden keinen Ersatz verlangen kann.

Nach dem Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 30.01.2019 - Az. 2-16 S 121/18, IBR 2019, 263 - kann auf der Grundlage einer unberechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß § 684 BGB ein bereicherungsrechtlicher Ausgleichsanspruch bestehen, soweit noch eine Vermögensmehrung beim Besteller vorhanden sei (vgl. § 818 III BGB). Diese kann in Gestalt der Kosten für die Arbeitsleistung des Unternehmers, mit welcher dieser den Grund für den Mangel aufdeckte und somit seine eigene Verantwortung ausschließen konnte, liegen. Denn diese Fehleraufsuche hätte der Besteller ansonsten anderweitig durchführen lassen müssen. Sein Vermögen war durch diese Leistung demnach gemehrt. Unter Umständen kann daher nun Wertersatz für ein erspartes Privatgutachten, welches der Besteller zur Fehleraufsuche sonst hätte in Auftrag geben müssen, durchsetzbar sein. 

Entgegen den weiteren Ausführungen in diesem Urteil ist die Frage der Kostentragungspflicht bei Unbegründetheit des Nacherfüllungsverlangens allerdings auch im Werkrecht noch nicht hinreichend geklärt. Denn ein lediglich bereicherungsrechtlicher Anspruch führt aufgrund des möglichen Einwands der Entreicherung in vielen Fällen gerade nicht zu sachgerechten Ergebnissen. Es ist also noch viel juristische Fantasie gefragt und eine Weiterentwicklung des Rechts und der Rechtsprechung möglich und wünschenswert.

Insbesondere vor dem Hintergrund des neuen Baurechts, welches zu einer weiteren Annäherung des Bau- und Werkrechts an das Kaufrecht geführt hat, sollte nochmals gründlich über die Berechtigung einer solchen Inanspruchnahme von Bau- und Werk-Unternehmern und über die Übertragbarkeit der einschlägigen kaufrechtlichen Rechtsprechung auf das Bau- und Werkrecht nachgedacht werden. Bis dahin kommen Unternehmer zur Vermeidung einer möglicherweise doch berechtigten Selbstvornahme nicht umhin, bei der zweiten Andienung keine Bedingungen zu stellen. Erst vor Ort kann bei Feststellung einer anderen Verantwortlichkeit ein neues Vertrags- oder Nachtragsangebot unterbreitet werden. Besteller und Bauherren können das Risiko einer Inanspruchnahme aus §§ 684, 812 I, 1, 2. Alt. BGB nur durch gewissenhafte Prüfung ihrer Mängelvorwürfe minimieren und durch Privatgutachten weitgehend ausschließen. 

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Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 684 Herausgabe der Bereicherung


Liegen die Voraussetzungen des § 683 nicht vor, so ist der Geschäftsherr verpflichtet, dem Geschäftsführer alles, was er durch die Geschäftsführung erlangt, nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung herauszugeben

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 650 Werklieferungsvertrag; Verbrauchervertrag über die Herstellung digitaler Produkte


(1) Auf einen Vertrag, der die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen zum Gegenstand hat, finden die Vorschriften über den Kauf Anwendung. § 442 Abs. 1 Satz 1 findet bei diesen Verträgen auch Anwendung, wenn der Mangel auf d

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(1) Auf einen Vertrag, der die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen zum Gegenstand hat, finden die Vorschriften über den Kauf Anwendung. § 442 Abs. 1 Satz 1 findet bei diesen Verträgen auch Anwendung, wenn der Mangel auf den vom Besteller gelieferten Stoff zurückzuführen ist. Soweit es sich bei den herzustellenden oder zu erzeugenden beweglichen Sachen um nicht vertretbare Sachen handelt, sind auch die §§ 642, 643, 645, 648 und 649 mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle der Abnahme der nach den §§ 446 und 447 maßgebliche Zeitpunkt tritt.

(2) Auf einen Verbrauchervertrag, bei dem der Unternehmer sich verpflichtet,

1.
digitale Inhalte herzustellen,
2.
einen Erfolg durch eine digitale Dienstleistung herbeizuführen oder
3.
einen körperlichen Datenträger herzustellen, der ausschließlich als Träger digitaler Inhalte dient,
sind die §§ 633 bis 639 über die Rechte bei Mängeln sowie § 640 über die Abnahme nicht anzuwenden. An die Stelle der nach Satz 1 nicht anzuwendenden Vorschriften treten die Vorschriften des Abschnitts 3 Titel 2a. Die §§ 641, 644 und 645 sind mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle der Abnahme die Bereitstellung des digitalen Produkts (§ 327b Absatz 3 bis 5) tritt.

(3) Auf einen Verbrauchervertrag, bei dem der Unternehmer sich verpflichtet, einen herzustellenden körperlichen Datenträger zu liefern, der ausschließlich als Träger digitaler Inhalte dient, sind abweichend von Absatz 1 Satz 1 und 2 § 433 Absatz 1 Satz 2, die §§ 434 bis 442, 475 Absatz 3 Satz 1, Absatz 4 bis 6 und die §§ 476 und 477 über die Rechte bei Mängeln nicht anzuwenden. An die Stelle der nach Satz 1 nicht anzuwendenden Vorschriften treten die Vorschriften des Abschnitts 3 Titel 2a.

(4) Für einen Verbrauchervertrag, bei dem der Unternehmer sich verpflichtet, eine Sache herzustellen, die ein digitales Produkt enthält oder mit digitalen Produkten verbunden ist, gilt der Anwendungsausschluss nach Absatz 2 entsprechend für diejenigen Bestandteile des Vertrags, welche die digitalen Produkte betreffen. Für einen Verbrauchervertrag, bei dem der Unternehmer sich verpflichtet, eine herzustellende Sache zu liefern, die ein digitales Produkt enthält oder mit digitalen Produkten verbunden ist, gilt der Anwendungsausschluss nach Absatz 3 entsprechend für diejenigen Bestandteile des Vertrags, welche die digitalen Produkte betreffen.

Liegen die Voraussetzungen des § 683 nicht vor, so ist der Geschäftsherr verpflichtet, dem Geschäftsführer alles, was er durch die Geschäftsführung erlangt, nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung herauszugeben. Genehmigt der Geschäftsherr die Geschäftsführung, so steht dem Geschäftsführer der in § 683 bestimmte Anspruch zu.