Steuerrecht: Gewerbe – Erträge aus Internetauktionen bei eBay als gewerbliche Einkünfte

erstmalig veröffentlicht: 05.08.2019, letzte Fassung: 19.10.2022

Autoren

Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Zusammenfassung des Autors

Der über Jahre nachhaltig ausgeübte Handel mit Gebrauchsgegenständen (z. B. aus Entrümpelungen und Haushaltsauflösungen) auf der Internetplattform eBay ist grundsätzlich als gewerbliche Tätigkeit einzustufen. Allerdings hat das Finanzgericht (FG) Hessen in seinem Fall pauschale Betriebsausgaben in Höhe von 60 Prozent anerkannt – BSP Rechtsanwälte – Anwalt für Steuerrecht Berlin

In dem Fall hatte eine Sammlerin beim Stöbern bei Haushaltsauflösungen kostengünstig Gegenstände eingekauft und diese auf eBay versteigert. Alle Artikel waren mit dem Mindestgebot von 1 EUR versehen. Über die Versteigerungen kamen – so die Erkenntnisse der Steuerfahndung – erhebliche Umsätze zustande. Nämlich in fünf Jahren bei insgesamt 3.076 Auktionen rund 380.000 EUR. Um diese Tätigkeiten durchzuführen, hatte die Händlerin vier eBay-Accounts und zwei Girokonten eingerichtet.

Vor dem FG ging es jetzt darum, ob die Tätigkeit gewerblich (und damit gewerbesteuerpflichtig) ist und in welcher Höhe den Einnahmen Betriebsausgaben gegenüberstehen.

Die Richter stellten klar, dass bei der Abgrenzung, ob ein Ebay-Verkäufer privat oder gewerblich tätig ist, die einzelnen Umstände zu berücksichtigen und abzuwägen sind. Dazu ist auf das Gesamtbild der Verhältnisse abzustellen. In Zweifelsfällen ist maßgebend, ob die Tätigkeit nach der Verkehrsanschauung einen Gewerbebetrieb ausmacht und einer privaten Vermögensverwaltung fremd ist. Hierbei haben die Merkmale der Professionalität eine besondere Bedeutung.

Gewerbliche Tätigkeit einer Sammlerin durch eBay-Verkäufe

Bei Würdigung der gesamten Umstände kam das FG im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass die Steuerpflichtige durch ihre Auktionen bei eBay nicht nur eine Hobbytätigkeit ausgeübt hatte. Vielmehr hat es sich um eine wirtschaftliche, d. h. auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko durchgeführte Tätigkeit gehandelt. Diese war darüber hinaus nachhaltig, da sie von der Absicht getragen war, sie bei passender Gelegenheit zu wiederholen.

Dass die Steuerpflichtige kein Ladenlokal unterhalten hatte, kam angesichts der übrigen Umstände kein solches Gewicht zu, dass eine gewerbliche Betätigung zu verneinen wäre.

Die zweite Frage (Höhe der Betriebsausgaben) ist für die Händlerin allerdings gut ausgegangen. Weil sie weder eine Steuererklärung noch eine Gewinnermittlung vorgelegt hatte, schätzte das Finanzamt die im Zusammenhang mit diesen Umsätzen angefallenen Betriebsausgaben mit 30 Prozent der Betriebseinnahmen. Dies erschien dem Finanzgericht Hessen jedoch als zu gering. Es hielt Betriebsausgaben in Höhe von 60 Prozent des Nettoumsatzes für gerechtfertigt.

Gegen dieses Urteil ist die Revision anhängig. Diese wurde zugelassen, weil die finanzgerichtliche Rechtsprechung den nachhaltigen Internethandel mit Gebrauchsgegenständen als gewerbliche Tätigkeit einstuft, wohingegen der nachhaltige An- und Verkauf von Wertpapieren auf eigene Rechnung nicht als gewerbliche Tätigkeit qualifiziert wird.

Quelle: FG Hessen, Urteil vom 19.7.2018, 2 K 1835/16, Rev. BFH Az. X R 26/18

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die

1.
seiner Fürsorge oder Obhut untersteht,
2.
seinem Hausstand angehört,
3.
von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder
4.
ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist,
quält oder roh mißhandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat in die Gefahr

1.
des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder
2.
einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung
bringt.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

Wer seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber einer Person unter sechzehn Jahren gröblich verletzt und dadurch den Schutzbefohlenen in die Gefahr bringt, in seiner körperlichen oder psychischen Entwicklung erheblich geschädigt zu werden, einen kriminellen Lebenswandel zu führen oder der Prostitution nachzugehen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die

1.
seiner Fürsorge oder Obhut untersteht,
2.
seinem Hausstand angehört,
3.
von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder
4.
ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist,
quält oder roh mißhandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat in die Gefahr

1.
des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder
2.
einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung
bringt.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 340/16
vom
31. August 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Misshandlung einer Schutzbefohlenen u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:310816B4STR340.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 31. August 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 15. März 2016 – mit Ausnahme der Entscheidung über den Adhäsionsantrag – mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen „durch Unterlassen“ in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung „durch Unterlassen“ mit der Maßgabe zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt, dass wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung zwei Monate als vollstreckt gelten. Ferner hat es eine Adhäsionsentscheidung zugunsten der Nebenklägerin getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision hat Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Nach Trennung vom Vater ihrer Tochter, der am 2. Mai 1993 geborenen Nebenklägerin, folgte die Angeklagte unter Mitnahme der Nebenklägerin ihrem neuen Lebensgefährten 2004 in dessen Heimatdorf in B. , wo sie diesen im Juni 2006 heiratete. Während die Nebenklägerin in den darauffolgenden Jahren in der Großfamilie ihres Stiefvaters aufwuchs, die in ihrem Heimatdorf über drei Wohnhäuser verfügte, arbeitete die Angeklagte etwa drei bis vier Monate pro Jahr im Hotel- und Gastgewerbe in Ö. . Die Nebenklägerin lebte im Haus ihres Stiefvaters in beengten Verhältnissen und musste in der Küche auf einer Matratze nächtigen. Wie schon zuvor in Deutschland sorgte die Angeklagte nicht für den Schulbesuch ihrer Tochter. Mit Beginn ihres 13. Lebensjahres im Mai 2006 wurde die Nebenklägerin von der Familie ihres Stiefvaters regelmäßig zu schweren Arbeiten herangezogen, die sie von 6.00 Uhr morgens bis in die späten Abendstunden verrichten musste. Sie hatte u.a. im Wald Bäume zu fällen, Feldarbeiten zu verrichten, die Tiere auf dem Anwesen zu versorgen und im Haushalt zu arbeiten. Schon ab Sommer desselben Jahres setzte bei ihr eine schleichende, aber für Dritte erkennbare Unterernährung ein, da sie lediglich einmal pro Tag eine aus Essensresten der Familie vom Vortag bestehende Mahlzeit erhielt. Infolge andauernden Hungers verwendete sie Teile des an die Hunde und Schweine ausgegebenen Futters für sich und entwendete ferner Nahrungsmittel in der Nachbarschaft. Regelmäßige Körperpflege wurde ihr ebenso verwehrt wie altersangemessene Kleidung und ärztliche Versorgung. Ab 2009 musste die Nebenklägerin unabhängig von der Jahreszeit ohne Decke auf dem Fußboden des Wohnzimmers schlafen. Da sie infolge der Lebensumstände in der Nacht regelmäßig einnässte, hatte die Familie ihr den Schlafplatz auf der Matratze weggenommen.
4
Zwischen ihrer Ankunft in B. im Sommer 2006 und der Herausnahme aus der Familie ihres Stiefvaters am 17. Mai 2012 wurde die Nebenklägerin regelmäßig mehrmals wöchentlich von Familienmitgliedern geschlagen oder getreten, nicht selten unter Einsatz von Gegenständen wie einem Besenstiel , einer Eisenstange, einem Kabel oder einem Gürtel.
5
Für den Zeitraum von Mai 2006 bis zum 18. Geburtstag der Nebenklägerin hat das Landgericht insbesondere folgende Fälle festgestellt:
6
An einem nicht mehr feststellbaren Tag schlug die Tochter des M. M. , Mo. , mit einer Kartoffelhacke auf die linke Hand der Nebenklägerin , weil sie mit deren Arbeit auf dem Feld nicht zufrieden war. Die Nebenklägerin erlitt starke Schmerzen und an der linken Hand blieb eine Narbe zurück.
7
Zu einem anderen Zeitpunkt schlug Mo. M. mit einem Besen auf den Kopf der Nebenklägerin, da diese ihrer Meinung nach nicht intensiv genug im Haushalt geholfen hatte. Die Angeklagte stand daneben, sagte nichts und ließ die „Bestrafungsaktion“ billigend zu.
8
M. M. hetzte an einem anderen Tag im Jahr 2010 seine Hunde auf die Nebenklägerin, wobei diese von einem Hund in die rechte Hand gebissen wurde. Trotz erheblicher Schmerzen wurde die Wunde nicht versorgt und es blieb eine Narbe an der rechten Hand zurück. Die Angeklagte war an diesem Tag nicht in B. , erfuhr jedoch später von ihrer Tochter, was geschehen war. Dennoch unternahm sie nichts.
9
An einem weiteren Tag schlug M. M. so stark auf die rechte Hand der Nebenklägerin, dass zwei Finger brachen. Auch diese Verletzung mit einhergehenden starken Schmerzen blieb unversorgt, sodass die Knochen nicht richtig zusammenwuchsen und eine starke Krümmung der beiden Mittelfinger zurückblieb.
10
Bei einer anderen Gelegenheit wurde die Nebenklägerin von M. M. mit einem Stock und einem Gürtel geschlagen, da dieser – zu Unrecht – vermutete, sie habe seine Zigaretten gestohlen. Die Angeklagte stand während des Geschehens schweigend daneben und schritt nicht ein.
11
Auch andere Mitglieder der Großfamilie des M. M. misshandelten die Nebenklägerin: Einer seiner Brüder schlug ihren Kopf gegen eine Wand, sodass die Nebenklägerin eine Narbe am Kopf davon trug. Ein Neffe des M. M. hielt der Nebenklägerin ein heißes Messer an die linke Wange. Mal schlugen und traten die M. s die Nebenklägerin grundlos, mal zur Bestrafung, wenn diese die ihr aufgetragenen Arbeiten nicht entsprechend den Vorstellungen der Familie erfüllte.
12
Mit Ausnahme der Monate, in denen sich die Angeklagte zur Arbeit in Ö. aufhielt, lebte sie im Haushalt der Familie ihres neuen Ehemannes in B. , sah wort- und tatenlos zu, wie die Nebenklägerin schwere körperliche Arbeit zu verrichten hatte und von den verschiedenen Mitgliedern der Familie misshandelt wurde. Hilfe leistete sie ihrer Tochter nicht, sondern ermunterte die Familie mit den Worten „wenn sie nicht spurt oder ich nicht da bin, haut ihr eine in die Fresse!“ zur körperlichen Züchtigung.
13
Neben zahlreichen, deutlich sichtbaren Narben an ihrem Körper und den fehlerhaft zusammengewachsenen Mittelfingern der rechten Hand, leidet die Nebenklägerin unter einer abhängigen Persönlichkeitsstörung und einer leichten geistigen Behinderung mit einer unvollständigen Entwicklung ihrer geistigen Fähigkeiten.
14
2. Das Landgericht hat angenommen, die Angeklagte habe den Tatbestand der Misshandlung von Schutzbefohlenen durch Unterlassen sowohl in der Tatvariante des Quälens als auch in der der rohen Misshandlung erfüllt. Die Garantenstellung der Angeklagten ergebe sich dabei aus ihrer Stellung als leiblicher Mutter der Nebenklägerin. Ferner habe sie die Voraussetzungen der Qualifikation gemäß § 225 Abs. 3 Nr. 2 StGB erfüllt, denn das jahrelange Nichtstun und Zuschauen bzw. Wegschauen der Angeklagten bei der Vielzahl der Misshandlungen habe zu der durch die Kammer festgestellten erheblichen Schädigung der körperlichen und seelischen Entwicklung der Nebenklägerin geführt. Zwar leide die Nebenklägerin bereits seit ihrer frühen Kindheit auf Grund problematischer Lebensumstände an einer Persönlichkeitsstörung. Die in B. erlittenen körperlichen und emotionalen Misshandlungen hätten diese Störung aber weiter stabilisiert. Die Angeklagte habe dies erkannt und billigend in Kauf genommen, sei aber aus Angst vor dem Verlust ihres Ehemannes und dem Ausschluss aus dessen Familie nicht eingeschritten. Ferner habe die Angeklagte den Tatbestand der schweren Körperverletzung durch Unterlassen gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB erfüllt.

II.


15
Die Verurteilung der Angeklagten begegnet in zweifacher Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
16
1. Das Landgericht hat zum einen die Voraussetzungen des Qualifikationstatbestandes des § 225 Abs. 3 Nr. 2 StGB nicht hinreichend belegt.
17
a) Dieser Verbrechenstatbestand setzt voraus, dass der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat, also durch eine Tathandlung im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB, in die konkrete Gefahr einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung bringt. Entscheidend ist danach, dass eine der in § 225 Abs. 1 StGB umschriebenen tatbestandlichen Handlungen die naheliegende Möglichkeit begründet, sie werde zu den in den Alternativen des § 225 Abs. 3 StGB genannten Weiterungen führen. Dabei erfordert die in Nummer 2 genannte erhebliche Entwicklungsschädigung in Anlehnung an § 171 StGB (§ 170d StGB aF), dass der normale Ablauf des körperlichen oder seelischen Entwicklungsprozesses dauernd oder nachhaltig gestört ist (BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 – 3 StR 633/14, NStZ-RR 2015, 369, 370; BGH, Urteil vom 20. April 1982 – 1 StR 50/82, NStZ 1982, 328 f. zu § 170d StGB aF). Handelt es sich um eine Unterlassungstat, so begründet der Täter die tatbestandlich vorausgesetzte konkrete Gefahr, wenn er deren Entstehen durch sein Eingreifen hätte abwenden können (BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 aaO). Der Tatbestand kann auch dann verwirklicht werden, wenn in der Person des Schutzbefohlenen bereits vor der Tat Schäden oder die Gefahr von Schäden im Sinne der Qualifikation gemäß § 225 Abs. 3 StGB bestanden haben. Zur Hervorrufung der für den qualifizierten Fall vorausgesetzten Gefahren ist es dann aber erforderlich , dass die Tat die Gefahr verursacht, die bereits vorhandenen oder zu befürchtenden Schäden in erheblichem Maße zu vergrößern bzw. die wegen einer bereits gegebenen individuellen Schadensdisposition bestehenden Gefahren messbar zu steigern (BGH aaO mwN). In subjektiver Hinsicht ist bezüglich der Verursachung der tatbestandlichen Gefahren des qualifizierten Falles zumindest bedingter Vorsatz erforderlich (BGH aaO).
18
b) Das Vorliegen dieser tatbestandlichen Voraussetzungen ist im angefochtenen Urteil nicht hinreichend dargetan.
19
aa) Das Landgericht hat – ausgehend von der Stellungnahme des psychiatrischen Sachverständigen – zum Beleg dafür, dass bei der Nebenklägerin tatbestandsmäßige Folgen im Sinne des § 225 Abs. 3 Nr. 2 StGB eingetreten sind, ohne nähere Differenzierung deren gesamte Entwicklung vom frühkindlichen Stadium über das frühe Kindesalter, die Präpubertät bis hin zu ihrer pubertären Entwicklung in den Blick genommen. Es hat angenommen, die Nebenklägerin habe bereits seit ihrer frühen Kindheit wegen emotionaler Vernachlässigung durch die Mutter unter einer Persönlichkeitsstörung gelitten. Die im Tatzeitraum von Mai 2006 bis zum 17. Mai 2012 von der Angeklagten geduldeten Misshandlungen der Nebenklägerin hätten nicht zu einer posttraumatischen Belastungsstörung geführt, sondern „die bereits in der Kindheit verursachte Persönlichkeitsstörung weiter stabilisiert“. Zu der Persönlichkeitsstörung wäre es nicht gekommen, wenn die Nebenklägerin bereits in der frühen Kindheit hinreichend gefördert, betreut und versorgt worden wäre.
20
bb) Ob die geduldeten Misshandlungen im Tatzeitraum im Sinne des Qualifikationstatbestandes des § 225 Abs. 3 Nr. 2 StGB die Gefahr verursacht haben, die bei der Nebenklägerin bereits vorhandene Störung noch in erheblichem Maße zu vergrößern bzw. – als eine bereits vorhandene individuelle Schadensdisposition – messbar zu steigern, erschließt sich daraus nicht. Die weitere Feststellung der Strafkammer, die Vernachlässigung der Nebenklägerin bereits seit dem frühen Kindesalter habe zusammen mit den körperlichen und emotionalen Misshandlungen während des Aufenthalts in B. die „Ausprä- gung“ der psychischen Störungen „verursacht“, vermag die Voraussetzungen des § 225 Abs. 3 Nr. 2 StGB ebenfalls nicht ausreichend zu belegen. Die Urteilsgründe ergeben schon nicht, welche nähere Bedeutung das Landgericht dem Begriff der „Ausprägung“ einer psychischen Störung in diesem Zusammenhang zumisst.
21
2. Auch die tateinheitliche Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
22
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgt aus dem Wortzusammenhang („geistige Erkrankung oder Behinderung“) und der Rege- lung körperlicher Behinderungen in anderen Merkmalen des Folgenkatalogs, dass unter § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB nur eine geistige Behinderung fällt (BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2008 – 3 StR 453/08, BGHR StGB § 226 Abs. 1 Behinderung 1). Als solche ist eine nicht nur unerhebliche und nicht nur vorübergehende Störung der Gehirntätigkeit anzusehen, die nicht bereits als geistige Krankheit zu qualifizieren ist (BGH aaO; vgl. Stree in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 226 Rn. 7; SSW-StGB/Momsen/Momsen-Pflanz, 3. Aufl., § 226 Rn. 22).
23
b) Die danach erforderliche, nicht nur vorübergehende Störung der Gehirntätigkeit im Sinne einer organischen Beeinträchtigung ergeben die Urteilsgründe nicht. Die Strafkammer geht vielmehr von einer unvollständigen Ent- wicklung der (allgemeinen) geistigen Fähigkeiten der Nebenklägerin als Folge ihres Aufenthaltes in B. aus, die sich in verlangsamten und umständlichen Denken äußere, einhergehend mit einer mittlerweile eingetretenen „Entleerung ihrer Persönlichkeit“ als Folge einer abhängigen Persönlichkeitsstörung.
24
3. Im Hinblick auf die rechtsfehlerfreie Annahme von Tateinheit zwischen Misshandlung von Schutzbefohlenen und schwerer Körperverletzung im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB bedarf die Sache insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Adhäsionsentscheidung wird von der Aufhebung nicht erfasst. Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat sich daran, dass die nicht angefochtene Entscheidung über den Adhäsionsantrag von der Aufhebung des Urteils im Übrigen unberührt bleibt, durch die mit dem Opferrechtsreformgesetz vom 24. Juni 2004 erfolgte, lediglich redaktionelle Änderung des § 406a Abs. 3 StPO nichts geändert (BGH, Urteil vom 28. November 2007 – 2 StR 477/07, BGHSt 52, 96, Rn. 28; SSW-StPO/Schöch, 2. Aufl., § 406a Rn. 7). Über die Aufhebung oder Änderung der Adhäsionsentscheidung hat der neue Tatrichter auf der Grundlage des Ergebnisses der neuen Hauptverhandlung zu entscheiden (BGH aaO).
25
4. Der Senat bemerkt ferner ergänzend Folgendes:
26
a) Zur Auslegung der Begehungsformen des Quälens und des rohen Misshandelns und zum Verhältnis der beiden Varianten zueinander verweist der Senat auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. u.a. Senatsbeschluss vom 19. Januar 2016 – 4 StR 511/15, NStZ 2016, 472; BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 – 3 StR 633/14, NStZ-RR 2015, 369, 370 f.). Gemessen daran hat das Landgericht im Ansatz zutreffend angenommen, dass das Tatbestandsmerkmal des Quälens im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB – im Unterschied zur Variante der rohen Misshandlung – typischerweise durch die Vornahme mehrerer Körperverletzungshandlungen verwirklicht wird, die für sich genommen den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB noch nicht erfüllen, sofern erst die ständige Wiederholung den gegenüber § 223 StGB gesteigerten Unrechtsgehalt ausmacht (Senatsbeschlüsse vom 19. Januar 2016 aaO, vom 24. Februar 2015 – 4StR 11/15, BGHR StGB § 225 Abs. 1 Misshandlung 1 und vom 20. März 2012 – 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467; vgl. auch BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, BGHR StGB § 225 Misshandlung 2). Allerdings muss der Tatrichter dazu auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen in einer Gesamtbetrachtung prüfen, ob sich die einzelnen Körperverletzungshandlungen zu einer als Quälen zu bezeichnenden Tathandlung zusammenfügen. Regelmäßig wird es dabei erforderlich sein, dass sich die einzelnen Gewalthandlungen als ein äußerlich und innerlich geschlossenes Geschehen darstellen, wobei räumliche und situative Zusammenhänge, zeitliche Dichte oder eine sämtliche Einzelakte prägende Gesinnung als mögliche Indikatoren herangezogen werden können (Senatsbeschluss vom 24. Februar 2015 aaO). Angesichts der im angefochtenen Urteil nur grob erfolgten zeitlichen Einordnung der einzelnen Vorfälle – in einem Tatzeitraum von fast sechs Jahren – wird der neue Tatrichter, sollte er erneut vom Tatbestandsmerkmal des Quälens ausgehen, dem Erfordernis der Gesamtbetrachtung besondere Aufmerksamkeit schenken müssen.
27
b) Wie die Strafkammer ebenfalls zutreffend angenommen hat, kann der Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB in den Tatvarianten des Quälens und des rohen Misshandelns auch durch Unterlassen verwirklicht werden. Im Hinblick auf den in einem solchen Fall an die Handlungspflicht und die Möglichkeit der Erfolgsabwendung anzulegenden rechtlichen Maßstab verweist der Senat – insbesondere vor dem Hintergrund der Feststellungen zu dem Tatgeschehen, dass sich in Abwesenheit der Angeklagten ereignet hat (Hetzen der Hunde auf die Nebenklägerin) – auf seinen Beschluss vom 17. Januar 1991 (4 StR 560/90, NStZ 1991, 234) sowie auf die Urteile des 1. und des 3. Strafsenats (BGH, Urteile vom 4. August 2015 – 1 StR 624/14, NJW 2015, 3047 m. Anm. Engländer, und vom 23. Juli 2015 – 3 StR 633/14, NStZ-RR 2015, 369).
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 479/16
vom
26. Januar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen
ECLI:DE:BGH:2017:260117U3STR479.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. Januar 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Becker,
Richter am Bundesgerichtshof Gericke, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Spaniol, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Tiemann, Dr. Berg als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof - in der Verhandlung - , Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof - bei der Verkündung - als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 31. Mai 2016, soweit es die Angeklagte M. W. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revision der Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.
Die Angeklagte hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Den mitangeklagten Ehemann der Angeklagten hat es wegen Mordes in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen "in einem besonders schweren Fall" und mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes sowie wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in vier Fällen zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich, soweit es die Angeklagte betrifft, das die Verletzung sachlichen Rechts rügende Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft sowie die auf die nicht weiter ausgeführte Verfahrensrüge und die allgemeine Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten.

I.


2
Nach den Feststellungen entwickelte der Ehemann der Angeklagten bald nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes eine heftige Eifersucht gegen das Kind, da es ihm die "Frau gestohlen" habe und er für sie nicht mehr im Mittelpunkt stand. Gleichzeitig sah er sich mit der Versorgung des Säuglings, die er meist in der Nacht übernahm, überfordert und durch die Ratschläge und Vorgaben seiner Frau bevormundet. Aus Eifersucht und Frustration, die zunehmend mit Wut gepaart waren, begann er spätestens ab dem 15. Oktober 2015 dem zu diesem Zeitpunkt 14 Tage alten Kind Schmerzen und Verletzungen zuzufügen, wobei er der Angeklagten für sichtbare Verletzungen harmlose Erklärungen lieferte. Auch in der Nacht zum 21. Oktober 2015 übernahm der Mitangeklagte die Versorgung seines Sohnes und begab sich deshalb mit ihm gegen 23.00 Uhr in das Wohnzimmer, während die Angeklagte im angrenzenden Schlafzimmer verblieb. Als er das Kind nach dem Füttern und Wickeln hochhob, glitt es ihm aus der Hand und schlug mit dem Kopf auf den Wohnzimmertisch, worauf es laut zu schreien begann. Da es dem Mitangeklagten nicht gelang, seinen Sohn zu beruhigen, beschloss er gegen Mitternacht, diesen zu töten. Zuvor nahm er über annähernd drei Stunden mehrfach Misshandlungen des Säuglings vor, indem er sich mit vollem Gewicht auf den Kopf des bäuchlings auf einem Kissen liegenden Kindes setzte und dieses, nachdem es zunächst verstummt war, dann aber wieder zu schreien angefangen hatte, mehrere Male heftig schüttelte. Auch dies führte dazu, dass das Kind eine Zeitlang ruhig wurde, bevor es wieder zu weinen begann. Schließlich missbrauchte der Mitangeklagte den Säugling sexuell, indem er seinen erigierten Penis einige Zentimeter weit in dessen Anus einführte. Obwohl die Angeklagte wiederholt das laute Geschrei des Kindes im angrenzenden Wohnzimmer hörte und erkannte, dass der Mitangeklagte dieses "quälte", gab sie sich schlafend und griff nicht ein, um ihrem Mann zu suggerieren, dass sie ihm vertraue. Dagegen traute sie ihm in Wahrheit nicht, sondern nahm zur Erreichung des genannten Zwecks billigend in Kauf, dass er dem Säugling wiederholt Schmerzen zufügte. Der Mitangeklagte, der sich durch das Nichteingreifen der Angeklagten in seinem Tötungsentschluss bestärkt sah, setzte diesen kurz vor 3.00 Uhr um, indem er das Kind mit beiden Händen an der Hüfte packte und seinen Kopf zweimal gegen die Kante des hölzernen Tisches schlug, so dass es alsbald verstarb. Dass die Angeklagte, die im angrenzenden Schlafzimmer die Schreie ihres Sohnes vernahm, es für möglich hielt, ihr Mann werde diesen töten oder durch die körperlichen Misshandlungen in die Gefahr des Todes bringen, konnte das Landgericht nicht feststellen.

II.


3
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft
4
a) Die zuungunsten der Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, führt zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung. Sie hat schon deshalb Erfolg, weil die Strafkammer den festgestellten Sachverhalt nicht unter allen rechtlichen Gesichtspunkten geprüft und damit gegen die ihr obliegende allseitige Kognitionspflicht (§ 264 StPO) verstoßen hat. Diese gebietet, dass der - durch die zugelassene Anklage abgegrenzte - Prozessstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 29. Oktober 2009 - 4 StR 239/09, NStZ 2010, 222, 223 mwN). Der Unrechtsgehalt der Tat muss ohne Rücksicht auf die dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte Bewertung ausgeschöpft werden, soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen (BGH, Urteil vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 258/13, NStZ-RR 2014, 57). Fehlt es daran, so stellt dies einen sachlich-rechtlichen Mangel dar (vgl. KK-Kuckein, StPO, 7. Aufl., § 264 Rn. 25 mwN).
5
So liegt es hier. Das Landgericht hat das Vorliegen einer Qualifikation nach § 225 Abs. 3 StGB nur dahingehend geprüft, ob die Angeklagte durch ihr Unterlassen den Säugling in die Gefahr des Todes gebracht hat (§ 225 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 1 StGB). Hingegen hat es nicht erörtert, ob die Angeklagte den Verbrechenstatbestand gemäß § 225 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 StGB - durch Unterlassen - verwirklicht hat, obwohl nach den Feststellungen das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Vorschrift in Betracht kommt. Im Einzelnen:
6
aa) Der Qualifikationstatbestand des § 225 Abs. 3 Nr. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat, also durch einen Angriff im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB, in die konkrete Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsbeschädigung bringt (vgl. S/SStree /Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 225 Rn. 19 ff.). Entscheidend ist, dass eine der in § 225 Abs. 1 StGB umschriebenen tatbestandlichen Handlungen die naheliegende Möglichkeit begründet, sie werde zu den in den Alternativen des § 225 Abs. 3 StGB genannten Weiterungen führen (vgl. LK/Hirsch, StGB, 11. Aufl., § 225 Rn. 24). Schwere Gesundheitsbeschädigungen im Sinne des § 225 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 StGB sind dabei solche Folgen der Misshandlung, die mit einer anhaltenden nachhaltigen Beeinträchtigung der physischen oder psychischen Leistungsfähigkeit verbunden sind oder in einer lebensbedrohenden, qualvollen oder ernsten und langwierigen Krankheit bestehen. Handelt es sich um eine Unterlassungstat, so begründet der Täter die tatbestandlich vorausgesetzte konkrete Gefahr einer solchen Gesundheitsbeschädigung, wenn er deren Entstehen durch sein Eingreifen hätte abwenden können. In subjektiver Hinsicht ist bezüglich der Verursachung der tatbestandlichen Gefahren des qualifizierten Falles (zumindest bedingter) Vorsatz erforderlich (BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 - 3 StR 633/14, BGHR StGB § 225 Abs. 3 Gefahr 1).
7
bb) Das Landgericht hat den Qualifikationstatbestand des § 225 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 1 StGB wegen Fehlens der subjektiven Voraussetzungen nicht als erfüllt angesehen, weil die Angeklagte mit der - tatsächlich gegebenen - Gefahr tödlicher Verletzungen des Kindes durch ihren Ehemann nicht gerechnet habe. Indessen hat es nicht geprüft, ob die Angeklagte, als sie die von ihr in Kauf genommenen Misshandlungen des Kindes durch ihren Ehemann nicht unterband, jedenfalls mit der konkreten Gefahr schwerer Gesundheitsbeschädigungen im Sinne des § 225 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 StGB rechnete. Hierzu hätte aber schon deshalb Anlass bestanden, weil das später getötete Kind nach den Feststellungen erst 19 Tage alt war und im Hinblick auf die Konstitution und besondere Verletzlichkeit eines so jungen Säuglings schon bei nicht allzu gravierenden Verletzungshandlungen erhebliche körperliche Folgen eintreten können. Vor diesem Hintergrund hätte gegebenenfalls auch § 225 Abs. 3 Nr. 2 StGB in Betracht gezogen werden müssen.
8
b) Da das Urteil bereits deshalb der Aufhebung unterliegt, kann dahinstehen, ob das Landgericht rechtsfehlerfrei nicht auf eine Verurteilung wegen Totschlags durch Unterlassen erkannt hat.
9
Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird - wenn auch er einen Tötungsvorsatz der Angeklagten nicht sollte feststellen können - zu prüfen haben, ob möglicherweise eine Bestrafung auch wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) oder fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) durch Unterlassen in Betracht kommt. Insoweit gilt:
10
Die Möglichkeit, § 227 StGB aufgrund einer Körperverletzung durch Unterlassen zu verwirklichen, ist in der Rechtsprechung anerkannt (BGH, Urteil vom 22. November 2016 - 1 StR 354/16, NJW 2017, 418, 419 f. mwN). Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob der Rechtsauffassung des 4. Strafsenats, eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen komme nur in Betracht, wenn erst durch das Unterbleiben der gebotenen Handlung eine Todesgefahr geschaffen wird (BGH, Urteil vom 20. Juli 1995 - 4 StR 129/95, NStZ 1995, 589, 590), in dieser Allgemeinheit gefolgt werden könnte (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 20. Juli 2006 - 3 StR 244/06, StraFo 2006, 466 f.; Urteil vom 22. November 2016 - 1 StR 354/16, NJW 2017, 418, 420). Denn auch nach der Auffassung des 4. Strafsenats ist dieser Zusammenhang zwischen dem Unterlassen und der tödlichen Folge jedenfalls dann gegeben, wenn dem unterlassenden Garanten anzulasten ist, die zum Tode führenden Gewalthandlungen des aktiv Handelnden nicht verhindert zu haben (vgl. BGH, Urteile vom 30. März 1995 - 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 117 ff.; vom 20. Juli 1995 - 4 StR 129/95, NStZ 1995, 589, 590).
11
Hier hat das Landgericht das Vorliegen einer Körperverletzung mit Todesfolge in subjektiver Hinsicht verneint, da die Angeklagte nicht die Vorstellung gehabt habe, dass der Mitangeklagte Körperverletzungen vornahm, die das Kind in die Gefahr des Todes brachten. Dem hat die Strafkammer die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zugrunde gelegt, wonach zur Erfüllung des Tatbestandes des § 227 StGB der Vorsatz des Unterlassungstäters sich auf solche Körperverletzungen des aktiv Handelnden beziehen muss, denen die spezifische Gefahr anhaftet, zum Tode des Opfers zu führen (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 1995 - 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 118). Die Urteilsgründe lassen indes zweifelhaft erscheinen, ob das Landgericht hierbei hinreichend bedacht hat, dass sich der Vorsatz des Garanten bei einer Unterlassungstat nach § 227 StGB nur auf die Eignung der Körperverletzungshandlung, die Todesgefahr zu begründen, beziehen muss, nicht dagegen auf den Tod des Opfers als Ergebnis des Körperverletzungserfolgs. Hinsichtlich der tödlichen Folge genügt in subjektiver Hinsicht Fahrlässigkeit (§ 18 StGB). Die qualifizierende Tatfolge muss daher lediglich vorhersehbar sein. Für deren Vorhersehbarkeit reicht es aus, dass der Täter die Möglichkeit des Todeserfolgs im Ergebnis hätte erkennen können. Einer Voraussehbarkeit aller Einzelheiten des zum Tode führenden Geschehensablaufs bedarf es nicht (BGH, Urteil vom 10. Juni 2009 - 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009, 309, 310).
12
Eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen nach §§ 13, 222 StGB käme bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen hier schon dann in Betracht, wenn die Angeklagte aufgrund ihrer akustischen Wahrnehmungen hätte erkennen können, dass der Mitangeklagte im Begriff war, den gemeinsamen Sohn zu töten.
13
2. Die Revision der Angeklagten
14
Dagegen ist dem Rechtsmittel der Angeklagten der Erfolg zu versagen. Die Verfahrensrüge ist nicht näher ausgeführt und deshalb schon unzulässig im Sinne des § 344 Abs. 2 StPO. Auch die durch die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Urteils hat Rechtsfehler nicht aufgedeckt. Der Schuldspruch wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen durch Unterlassen unterliegt keiner rechtlichen Beanstandung. Insbesondere belegen die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des angefochtenen Urteils die vom Landgericht angenommene Tatbestandsalternative des "Quälens" im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB durch Unterlassen in objektiver und subjektiver Hinsicht.
15
a) Quälen im Sinne dieser Vorschrift bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender (erheblicher) Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art. Es wird im Allgemeinen durch mehrere Tathandlungen bewirkt, wobei oft erst die ständige Wiederholung mehrerer Körperverletzungshandlungen, die für sich genommen noch nicht den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB erfüllen, den besonderen Unrechtsgehalt des Quälens verwirklichen (BGH, Urteile vom 30. März 1995 - 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115; vom 17. Juli 2007 - 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306). Ob sich mehrere Körperverletzungen zu einer als Quälen zu bezeichnenden Tathandlung zusammenfügen, ist auf Grund einer Gesamtbetrachtung zu entscheiden. Dabei sind räumliche und situative Zusammenhänge, zeitliche Dichte oder eine sämtliche Einzelakte prägende Gesinnung mögliche Indikatoren (BGH, Beschlüsse vom 24. Februar 2015 - 4 StR 11/15, BGHR StGB § 225 Abs. 1 Misshandlung 1; vom 20. März 2012 - 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467). Die zugefügten Schmerzen oder Leiden müssen über die typischen Auswirkungen einzelner Körperverletzungshandlungen hinausgehen. Ist dies der Fall, so kann Quälen auch durch Unterlassen begangen werden (vgl. BGH, Urteile vom 3. Juli2003 - 4 StR 190/03, NStZ 2004, 94 f.; vom 23. Juli 2015 - 3 StR 633/14, BGHR StGB § 225 Abs. 1 Tathandlungen 1). In subjektiver Hinsicht, in der bedingter Vorsatz genügt (BGH, Urteil vom 4. August 2015 - 1 StR 624/14, NStZ 2016, 95, 97), ist es erforderlich, dass der Täter den Vorsatz hat, dem Opfer erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, die über die typischen Auswirkungen hinausgehen, die mit der aktuellen Körperverletzungshandlung verbunden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2012 - 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467 mwN; Urteil vom 23. Juli 2015 - 3 StR 633/14, BGHR StGB § 225 Abs. 1 Tathandlungen 1).
16
b) Vorliegend standen die mehrfachen, innerhalb eines Zeitraums von wenigen Stunden vorgenommenen gravierenden Verletzungshandlungen des Ehemanns der Angeklagten in einem engen zeitlichen und - bedingt durch dessen Übernahme der Versorgung des Säuglings in dieser Nacht - situativen Zusammenhang, der den Übergriffen ein besonderes Gepräge gab, so dass die dem Säugling wiederholt zugefügten erheblichen Schmerzen über die typischen Auswirkungen der einzelnen Verletzungshandlungen hinausgingen und sich als Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB darstellten. Die Feststellungen tragen auch die Annahme des Landgerichts, dass die Angeklagte es wegen des heftigen Geschreis ihres Kindes für möglich hielt, dass der Mitangeklagte den Säugling in diesem Sinne quälte, was sie aufgrund ihrer Garantenstellung zu unterbinden verpflichtet war. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann entnommen werden, dass die am Ort des Geschehens nicht anwesende Angeklagte aufgrund ihrer akustischen Wahrnehmungen nicht nur von situativ bedingten einzelnen Verletzungshandlungen ausging, sondern damit rechnete, dass der Mitangeklagte dem Säugling wiederholt erheblich wehtat, was sie hinnahm, um ihrem Mann zu zeigen, dass sie ihm vertraue. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts den Umstand, dass das Kind phasenweise still war, dahin missdeutete, dass dieses sich zwischendurch immer wieder beruhigt hatte, weil es über die vorangegangenen Schmerzen hinweggekommen war. Denn selbst wenn die Schmerzen aus ihrer Sicht immer wieder abklangen, stellte die wiederholte Misshandlung des Säuglings ein in sich geschlossenes Geschehen dar, in dem diesem immer wieder Leiden zugefügt wurde. Damit ist jedenfalls ein bedingter, auf die Zufügung über die konkrete Verletzungshandlung hinausgehender Schmerzen gerichteter Vorsatz festgestellt.
Becker Gericke Spaniol Tiemann Berg

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 6 3 3 / 1 4
vom
23. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. Juli 2015,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Mayer,
Gericke
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 22. August 2014 mit den Feststellungen aufgehoben , soweit es die Angeklagte betrifft.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen und mit unterlassener Hilfeleistung zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Den Mitangeklagten E. hat es wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zur Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die (allein) gegen die Verurteilung der Angeklagten H. gerichtete Revision des Nebenklägers erstrebt deren Verurteilung wegen schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 3 StGB und rügt die Verletzung materiellen Rechts.
2
Das zulässige Rechtsmittel (§ 395 Abs. 1 Nr. 3, § 400 Abs. 1 StPO; vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 2001 - 3 StR 400/00, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 11 mwN) führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den Feststellungen, soweit es die Angeklagte betrifft.

I.


3
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen das Folgende festgestellt:
4
Am 1. März 2014 war der Mitangeklagte E. ab etwa 20 Uhr in seiner Wohnung alleine mit dem rund fünf Monate alten Säugling L. , dem leiblichen Sohn seiner damaligen Lebensgefährtin - der Angeklagten H. - aus einer früheren Beziehung. Als L. quengelte, holte der Mitangeklagte E. aus dem Schlafzimmer einen selbstgebastelten Schlagstock aus Eisen und schlug damit dem Säugling - um diesen zum Schweigen zu bringen - heftig je einmal auf die linke und auf die rechte Stirnseite des Kopfes. L. erlitt hierdurch beidseitig ein schweres Schädel/Hirn-Trauma mit ausgedehntem Knochenbruchsystem in beiden Scheitelregionen. Zudem erlitt er ein subdurales Hämatom, Einblutungen in tiefergelegene Hirnstrukturen sowie massive Hämatome an der rechten Kopfschwarte und im Stirnbereich. Aufgrund der Schläge wurde L. zumindest für kurze Zeit bewusstlos und litt an neurologischen Einschränkungen, sodass er sich entweder in einem Dämmerzustand befand oder längere Zeit bewusstlos war. Deswegen hörte er unmittelbar nach den Schlägen auf, Geräusche von sich zu geben. E. nahm L. daraufhin aus dem "Maxi-Cosi", in den ihn die Angeklagte gelegt hatte, und legte ihn in das Kinderbett.
5
Etwa zehn Minuten später kam auch die Angeklagte, die von einem Imbiss Essen geholt hatte, hinzu. Als sie feststellte, dass L. nicht mehr in dem "Maxi-Cosi" lag, fragte die Angeklagte nach seinem Verbleib. E. antwortete, dass L. gequengelt und er ihn ins Bett gelegt habe. Die Angeklagte schaute daraufhin kurz im Schlafzimmer nach. Zwar zeigten sich zu diesem Zeitpunkt schon die Folgen der Schläge bei L. , die Angeklagte bemerkte diese jedoch aufgrund der Verdunklung des Schlafzimmers nicht. Auch in der Folgezeit erkannte sie den Zustand des Kindes zunächst nicht.
6
Am nächsten Morgen gegen 05:45 Uhr erwachte die Angeklagte und wollte das Kind aus dem Bett heben. Dabei fiel ihr auf, dass sein Kopf anders als gewöhnlich aussah. Daraufhin legte sie L. aufs Bett und schaltete das Licht an. In der Folge stellte sie fest, dass der gesamte Kopf des Kindes angeschwollen war, die Stirnpartie sowie die Augen lila und blau unterlaufen waren. Als sie den Kopf anfasste, fühlte sich dieser unnormal weich an. Erschrocken rief sie nach dem Mitangeklagten E. und sagte, er solle sich L. anschauen , der Kopf sei weich und blau. Auf die Frage der Angeklagten, was passiert sei, antwortete E. , es sei nichts passiert und gab sich erstaunt über das Aussehen des Säuglings. Obgleich der Angeklagten sofort klar war, dass L. in ärztliche Behandlung musste, unternahm sie zunächst nichts. Sie hatte Angst, dass ihr - ginge sie ins Krankenhaus - das Kind weggenommen würde. Zudem vermutete sie eine Beteiligung von E. an den Verletzungen und wollte diesen möglicherweise schützen. Es besteht indes kein Anhalt für die Annahme , dass sie mit dem Tode des Kindes rechnete und ihn billigend in Kauf nahm. Die Angeklagte entschloss sich sodann, zunächst ihre Mutter zu kontaktieren , um diese um Rat zu bitten. Nachdem die Mutter jedoch nicht ans Telefon ging, begab sich die Angeklagte zurück zu L. in das Schlafzimmer.
7
Etwa gegen 08:30 Uhr gelang es der Angeklagten, ihre Mutter zu erreichen. Sie erzählte ihr wahrheitswidrig, sie sei mit L. auf der Treppe gestürzt und dieser sei nun am Kopf verletzt. Die Mutter kam daraufhin zur Wohnung gefahren, holte die Angeklagte und L. ab und brachte diesen in die Kinderklinik , wo er etwa gegen elf Uhr aufgenommen werden konnte. Das Kind war zu diesem Zeitpunkt ruhig und in einem Dämmerzustand, wenngleich es aufgrund der Schwellung unter Schmerzen litt. Seine Stirnpartie war stark angeschwollen und zeigte - wie auch im Bereich der Augen - eine bläulich/lila Verfärbung. Die Augen waren teilweise zugeschwollen.
8
Der Säugling musste rund drei Wochen in stationärer Behandlung bleiben. Er wurde einige Tage nach seiner Aufnahme am Kopf operiert, wobei die Impressionsfraktur behoben und die subduralen sowie die intrazerebralen Blutungsanteile ausgeräumt wurden. Nach seiner Entlassung entwickelte er sich altersgerecht, wenngleich er Entwicklungsverzögerungen im motorischen Bereich zeigt. Ob bei ihm dauerhafte Folgeschäden auftreten werden, ist (noch) nicht absehbar. In vergleichbaren Fällen kommt es bei etwa 40 Prozent der Kinder zu Folgeschäden bis hin zu massiven körperlichen und geistigen Behinderungen. Da bei der Operation ein Teil des beschädigten Gehirngewebes entfernt werden musste, besteht auch die Gefahr, dass sich eine Epilepsie entwickelt.
9
2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das Landgericht die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5, § 13 StGB in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB und mit unterlassener Hilfeleistung gemäß § 323c StGB schuldig gesprochen. Soweit das Landgericht bei der rechtlichen Würdigung § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nennt, handelt es sich ersichtlich um ein Schreibversehen, wie sich aus der Liste der angewendeten Vorschriften und dem allein auf § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB gestützten Schuldspruch gegen den Mitangeklagten E. ergibt.

II.


10
Das Urteil gegen die Angeklagte hat auf die Revision des Nebenklägers keinen Bestand, da es sowohl zu ihrem Vorteil als auch zu ihrem Nachteil durchgreifende Rechtsfehler enthält; letzteres ist auf die Revision des Nebenklägers ebenfalls zu berücksichtigen (§ 301 StPO entsprechend; vgl. § 401 Abs. 3 Satz 1 StPO).
11
1. Wie der Nebenkläger zu Recht beanstandet, hat das Landgericht zum Vorteil der Angeklagten rechtsfehlerhaft nicht geprüft, ob sie den Verbrechenstatbestand gemäß § 225 Abs. 3 Nr. 1 und 2 StGB - gegebenenfalls durch Unterlassen - verwirklicht hat, obwohl es von einer durch die Angeklagte begangenen Tat gemäß § 225 Abs. 1 StGB ausgegangen und nach den Feststellungen des Landgerichts die Verwirklichung aller Alternativen des Qualifikationstatbestandes jedenfalls nicht ausgeschlossen ist. Dies führt wegen der Einheitlichkeit der Tat zur Aufhebung des Urteils insgesamt, soweit es die Angeklagte betrifft. Ohne Belang ist insoweit, dass die tateinheitliche ausgeurteilte unterlassene Hilfeleistung kein Nebenklagedelikt ist (vgl. § 395 Abs. 1 bis 3 StPO).
12
Im Einzelnen:
13
Der Verbrechenstatbestand des § 225 Abs. 3 StGB setzt voraus, dass der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat, also durch einen Angriff im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB, in die konkrete Gefahr des Todes, einer schweren Gesundheitsbeschädigung (Nr. 1; vgl. S/S-Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 225 Rn. 19 ff.) oder in die konkrete Gefahr einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung bringt (Nr. 2). Entscheidend ist danach, dass eine der in § 225 Abs. 1 StGB umschriebenen tatbe- standlichen Handlungen die naheliegende Möglichkeit begründet, sie werde zu den in den Alternativen des § 225 Abs. 3 StGB genannten Weiterungen führen (vgl. LK/Hirsch, StGB, 11. Aufl., § 225 Rn. 24). Unter schweren Gesundheitsbeschädigungen im Sinne der Nummer 1 sind solche Gesundheitsschäden zu verstehen, die mit einer anhaltenden nachhaltigen Beeinträchtigung der physischen oder psychischen Leistungsfähigkeit verbunden sind oder in einer lebensbedrohenden , qualvollen oder ernsten und langwierigen Krankheit bestehen. Die in der Nummer 2 genannte erhebliche Entwicklungsschädigung erfordert , dass der normale Ablauf des körperlichen oder seelischen Entwicklungsprozesses dauernd oder nachhaltig gestört ist (vgl. LK/Hirsch, aaO, Rn. 25 mwN). Handelt es sich um eine Unterlassungstat, so begründet der Täter die tatbestandlich vorausgesetzte konkrete Gefahr, wenn er deren Entstehen durch sein Eingreifen hätte abwenden können. Auch wenn vor der Tat bereits Schäden oder die Gefahr von Schäden im Sinne der Qualifikation gemäß § 225 Abs. 3 StGB bestehen, kann der Tatbestand gleichwohl verwirklicht werden. Zur Hervorrufung ("bringen") der für den qualifizierten Fall vorausgesetzten Gefahren ist dann aber erforderlich, dass die Tat die Gefahr verursacht, die bereits vorhandenen oder zu befürchtenden Schäden in erheblichem Maß zu vergrößern bzw. die wegen einer bereits gegebenen individuellen Schadensdisposition bestehenden Gefahren messbar zu steigern (vgl. S/S-Stree/SternbergLieben , aaO, Rn. 22; BeckOK-StGB/Eschelbach, § 225 Rn. 33). In subjektiver Hinsicht ist bezüglich der Verursachung der tatbestandlichen Gefahren des qualifizierten Falles (zumindest bedingter) Vorsatz erforderlich.
14
Das Vorliegen dieser tatbestandlichen Voraussetzungen kann im vorliegenden Fall nicht abschließend beurteilt werden, da das Landgericht keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob und ggf. wie sich die durch den Mitangeklagten E. bewirkten Verletzungen des Kindes während der Zeit, in der die Angeklagte eine ärztliche Versorgung pflichtwidrig unterlassen hat, hinsichtlich der tatbestandlichen Gefahren entwickelt haben. Eine wesentliche Gefahrerhöhung im Sinne von § 225 Abs. 3 StGB in diesem Zeitraum kann indes - vor allem mit Blick auf das bestehende subdurale Hämatom und die Einblutungen in die Hirnstrukturen - auch nicht ausgeschlossen werden.
15
2. Der Schuldspruch ist indes auch zum Nachteil der Angeklagten rechtsfehlerhaft. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils, das keinerlei Subsumtion enthält, belegen - neben dem unzweifelhaft bestehenden Schutzverhältnis zwischen der Angeklagten und ihrem Sohn - keine der in den Tatbestandsalternativen des § 225 Abs. 1 StGB bezeichneten Tathandlungen hinreichend und tragen daher die Verurteilung der Angeklagten wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen nicht.
16
Im Einzelnen:
17
Das Quälen, das rohe Misshandeln und die böswillige Fürsorgepflichtverletzung sind selbständige Begehungsformen der Misshandlung Schutzbefohlener gemäß § 225 Abs. 1 StGB. Die beiden Tatalternativen des Quälens und des Misshandelns können durch aktives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen begangen werden. Bei der Alternative des böswilligen Vernachlässigens der Fürsorgepflicht handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 15).
18
a) Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender (erheblicher) Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art. Es wird im Allgemeinen durch mehrere Tathandlungen bewirkt, wobei oft erst deren ständige Wiederholung den be- sonderen Unrechtsgehalt des Quälens verwirklicht (BGH, Urteile vom 30. März 1995 - 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115; vom 17. Juli 2007 - 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306). Die zugefügten Schmerzen oder Leiden müssen über die typischen Auswirkungen einzelner Körperverletzungshandlungen hinausgehen. Ist dies der Fall, so kann Quälen durch Unterlassen allerdings auch dadurch verwirklicht werden, dass die gebotene ärztliche Hilfe durch die Eltern des Kindes nicht veranlasst wird (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 17). In subjektiver Hinsicht ist es erforderlich, dass der Täter den Vorsatz hat, dem Opfer erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, die über die typischen Auswirkungen hinausgehen, die mit der aktuellen Körperverletzungshandlung verbunden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2012 - 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467 mwN). Diese tatbestandlichen Voraussetzungen belegen die Feststellungen weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht. Die Angeklagte hat dadurch, dass sie es nach dem Erkennen der schweren Verletzung ihres Kindes über mehrere Stunden pflichtwidrig unterlassen hat, den Säugling einer ärztlichen Versorgung zuzuführen, nach den bisherigen Feststellungen bei diesem keine Schmerzen oder Leiden im Sinne von § 225 Abs. 1 Alternative 1 StGB verursacht, die über die Folgen der durch den Mitangeklagten E. begangenen Körperverletzung des Säuglings und ihrer eigenen, durch das pflichtwidrige Unterlassen an dem Kind begangenen Körperverletzung hinausgingen. Den Urteilsgründen ist auch nicht zu entnehmen, dass die Angeklagte einen entsprechenden Vorsatz hatte.
19
b) Rohes Misshandeln im Sinne der Vorschrift liegt vor, wenn der Täter einem anderen eine Körperverletzung aus gefühlloser Gesinnung zufügt, die sich in erheblichen Handlungsfolgen äußert. Eine gefühllose Gesinnung ist gegeben , wenn der Täter bei der Misshandlung das - notwendig als Hemmung wirkende - Gefühl für das Leiden des Misshandelten verloren hat, das sich bei jedem menschlich und verständlich Denkenden eingestellt haben würde (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2007 - 5 StR 44/07, NStZ 2007, 405 mwN). Dass die Angeklagte die durch ihr pflichtwidriges Unterlassen begangene Körperverletzung des Kindes aus einer solchen Gesinnung heraus begangen hat, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Vielmehr war nach den bisherigen Feststellungen nicht Gefühllosigkeit der Grund für ihr pflichtwidriges Verhalten gegenüber ihrem Säugling, sondern die Furcht, bei Aufsuchen eines Krankenhauses das Kind zu verlieren und möglicherweise der Wille, ihren Lebensgefährten , den Mitangeklagten E. , zu schützen, da sie dessen Beteiligung an den schweren Verletzungen des Kindes vermutete.
20
c) Die Misshandlung eines Schutzbefohlenen ist schließlich auch gegeben , wenn der Täter durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für die schutzbedürftige Person zu sorgen, diese an der Gesundheit schädigt. Böswillig handelt, wer seine Pflicht für einen anderen zu sorgen, aus einem verwerflichen Beweggrund vernachlässigt (vgl. LK/Hirsch, aaO, Rn. 18). Das Gesinnungsmerkmal der Böswilligkeit ist gekennzeichnet durch feindseliges Verhalten aus Bosheit, Lust an fremdem Leid, Hass und anderen verwerflichen Gründen, etwa auch aus Geiz und Eigensucht. Gleichgültigkeit, Abgestumpftheit oder Schwäche sowie Überforderung wegen mangelnder Reife reichen hingegen in der Regel nicht aus (vgl. LK/Hirsch, aaO). Bei der Prüfung von Böswilligkeit, die eine Erforschung der Motive des Täters erfordert, sind psychopathologische Befunde, wie Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen zu berücksichtigen (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 24 ff. mwN). Daran gemessen ist auch die Verwirklichung dieser Tatbestandsalternative durch die Angeklagte jedenfalls nicht hinreichend belegt. Die festgestellten Motive der Angeklagten für ihr pflichtwidriges Verhalten - die Angst, ihr werde das Kind weggenommen und der Schutz ihres Freundes, des Mitangeklagten E. - sind jedenfalls nicht ohne weiteres unter das Merkmal der Böswilligkeit zu subsumieren, zumal das Landgericht sie auch nicht entsprechend, etwa als selbstsüchtig und verwerflich , bewertet hat.
21
3. Der Senat weist den neuen Tatrichter darauf hin, dass er alle in Tateinheit mit dem Nebenklagedelikt stehenden Delikte - auch Offizialdelikte - erneut zu prüfen haben wird (vgl. BGH, Urteil vom 9. November 1993 - 5 StR 539/93, BGHSt 39, 390, 391; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 400 Rn. 7a mwN). Hinsichtlich der tateinheitlich abgeurteilten unterlassenen Hilfeleistung gemäß § 323c StGB gilt, dass diese regelmäßig als subsidiär hinter einer durch Unterlassen begangenen gefährlichen Körperverletzung und/oder der Misshandlung eines Schutzbefohlenen zurücktritt bzw. von diesen verdrängt wird (vgl. MüKoStGB/Freund, 2. Aufl., § 13 Rn. 289, 291, § 323c Rn. 125 ff.).
Becker Pfister Hubert RiBGH Mayer befindet sich Gericke im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 414/18
vom
10. Oktober 2018
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Misshandlung eines Schutzbefohlenen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 10. Oktober 2018 einstimmig beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Detmold vom 8. Juni 2018 wird als unbegründet verworfen, da die
Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
ECLI:DE:BGH:2018:101018B4STR414.18.0

Ergänzend bemerkt der Senat:
Dass die Strafkammer die verschiedenen massiven Gewalthandlungen des Angeklagten zum Nachteil seines im Tatzeitraum zwei Monate alten Kindes nicht jeweils als ein rohes Misshandeln im Sinne des § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB bewertet hat (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 7. August 2018 – 4 StR 89/18, Rn. 4 mwN), beschwert den Angeklagten nicht. Durch die Feststellung, dass das Tatopfer in dem kurzen, insgesamt nur ca. einmonatigen Tatzeitraum infolge der wiederholten Gewalthandlungen des Angeklagten an länger andauernden, wiederkehrenden Schmerzen litt, was dem Angeklagten auch bewusst war und von ihm billigend in Kauf genommen wurde, wird auch ein Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB hinreichend belegt.
Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender (erheblicher) Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art. Es wird im Allgemeinen durch mehrere Tathandlungen bewirkt, wobei oft erst deren ständige Wiederholung den besonderen Unrechtsgehalt des Quälens verwirklicht. Die zugefügten Schmerzen oder Leiden müssen dabei über die typischen Auswirkungen einzelner Körperverletzungshandlungen hinausgehen und der Vorsatz des Täters sich auch hierauf erstrecken (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 – 3 StR 633/14, NStZ-RR 2015, 369, 370; Beschluss vom 24. Februar 2015 – 4 StR 11/15, StV 2016, 434; Beschluss vom 20. März 2012 – 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467; Beschluss vom 7. Dezember 2006 – 2 StR 470/06, Rn. 5 [insoweit in NStZ 2007, 720 nicht abgedruckt]). Das Erfordernis, dass die zugefügten Schmerzen oder Leiden über die typischen Auswirkungen der einzelnen Körperverletzungshandlungen hinausgehen müssen, ist dabei insbesondere dann von Bedeutung , wenn die einzelnen Körperverletzungshandlungen für sich genommen eher niederschwellig sind (vgl. den Sachverhalt in BGH, Beschluss vom 20. März 2012 – 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466 ff.) und erst deren ständige Wiederholung den gegenüber § 223 StGB gesteigerten Unrechtsgehalt ausmacht (vgl. BGH, Beschluss
vom 31. August 2016 – 4 StR 340/16, NStZ 2017, 282, 284 mwN). Bringt derTäter – wie hier – dem Tatopfer vorsätzlich in enger Folge mehrere schwere Verletzungen (zeitverschiedene handgelenksnahe Speichenfrakturen auf beiden Seiten, metaphysäre Kantenabrisse an beiden Oberschenkelknochen, Schlüsselbeinfraktur, Unterschenkelschaftfraktur am Schien- und Wadenbein, Hirngewebsverletzungen, tiefe Verbrühung am Mundboden u.a.) bei, die jeweils schon für sich zu länger dauernden und erheblichen Schmerzen führen, sodass die neu zugefügten Schmerzen und Leiden zu noch nicht oder gerade abgeklungenen Schmerzen und Leiden aus früheren Gewalthandlungen hinzutreten oder sich an diese anschließen, ist auch damit ein Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB gegeben.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke Quentin Feilcke

(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die

1.
seiner Fürsorge oder Obhut untersteht,
2.
seinem Hausstand angehört,
3.
von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder
4.
ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist,
quält oder roh mißhandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat in die Gefahr

1.
des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder
2.
einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung
bringt.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die

1.
seiner Fürsorge oder Obhut untersteht,
2.
seinem Hausstand angehört,
3.
von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder
4.
ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist,
quält oder roh mißhandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat in die Gefahr

1.
des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder
2.
einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung
bringt.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 479/16
vom
26. Januar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen
ECLI:DE:BGH:2017:260117U3STR479.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. Januar 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Becker,
Richter am Bundesgerichtshof Gericke, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Spaniol, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Tiemann, Dr. Berg als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof - in der Verhandlung - , Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof - bei der Verkündung - als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 31. Mai 2016, soweit es die Angeklagte M. W. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revision der Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.
Die Angeklagte hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Den mitangeklagten Ehemann der Angeklagten hat es wegen Mordes in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen "in einem besonders schweren Fall" und mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes sowie wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in vier Fällen zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich, soweit es die Angeklagte betrifft, das die Verletzung sachlichen Rechts rügende Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft sowie die auf die nicht weiter ausgeführte Verfahrensrüge und die allgemeine Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten.

I.


2
Nach den Feststellungen entwickelte der Ehemann der Angeklagten bald nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes eine heftige Eifersucht gegen das Kind, da es ihm die "Frau gestohlen" habe und er für sie nicht mehr im Mittelpunkt stand. Gleichzeitig sah er sich mit der Versorgung des Säuglings, die er meist in der Nacht übernahm, überfordert und durch die Ratschläge und Vorgaben seiner Frau bevormundet. Aus Eifersucht und Frustration, die zunehmend mit Wut gepaart waren, begann er spätestens ab dem 15. Oktober 2015 dem zu diesem Zeitpunkt 14 Tage alten Kind Schmerzen und Verletzungen zuzufügen, wobei er der Angeklagten für sichtbare Verletzungen harmlose Erklärungen lieferte. Auch in der Nacht zum 21. Oktober 2015 übernahm der Mitangeklagte die Versorgung seines Sohnes und begab sich deshalb mit ihm gegen 23.00 Uhr in das Wohnzimmer, während die Angeklagte im angrenzenden Schlafzimmer verblieb. Als er das Kind nach dem Füttern und Wickeln hochhob, glitt es ihm aus der Hand und schlug mit dem Kopf auf den Wohnzimmertisch, worauf es laut zu schreien begann. Da es dem Mitangeklagten nicht gelang, seinen Sohn zu beruhigen, beschloss er gegen Mitternacht, diesen zu töten. Zuvor nahm er über annähernd drei Stunden mehrfach Misshandlungen des Säuglings vor, indem er sich mit vollem Gewicht auf den Kopf des bäuchlings auf einem Kissen liegenden Kindes setzte und dieses, nachdem es zunächst verstummt war, dann aber wieder zu schreien angefangen hatte, mehrere Male heftig schüttelte. Auch dies führte dazu, dass das Kind eine Zeitlang ruhig wurde, bevor es wieder zu weinen begann. Schließlich missbrauchte der Mitangeklagte den Säugling sexuell, indem er seinen erigierten Penis einige Zentimeter weit in dessen Anus einführte. Obwohl die Angeklagte wiederholt das laute Geschrei des Kindes im angrenzenden Wohnzimmer hörte und erkannte, dass der Mitangeklagte dieses "quälte", gab sie sich schlafend und griff nicht ein, um ihrem Mann zu suggerieren, dass sie ihm vertraue. Dagegen traute sie ihm in Wahrheit nicht, sondern nahm zur Erreichung des genannten Zwecks billigend in Kauf, dass er dem Säugling wiederholt Schmerzen zufügte. Der Mitangeklagte, der sich durch das Nichteingreifen der Angeklagten in seinem Tötungsentschluss bestärkt sah, setzte diesen kurz vor 3.00 Uhr um, indem er das Kind mit beiden Händen an der Hüfte packte und seinen Kopf zweimal gegen die Kante des hölzernen Tisches schlug, so dass es alsbald verstarb. Dass die Angeklagte, die im angrenzenden Schlafzimmer die Schreie ihres Sohnes vernahm, es für möglich hielt, ihr Mann werde diesen töten oder durch die körperlichen Misshandlungen in die Gefahr des Todes bringen, konnte das Landgericht nicht feststellen.

II.


3
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft
4
a) Die zuungunsten der Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, führt zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung. Sie hat schon deshalb Erfolg, weil die Strafkammer den festgestellten Sachverhalt nicht unter allen rechtlichen Gesichtspunkten geprüft und damit gegen die ihr obliegende allseitige Kognitionspflicht (§ 264 StPO) verstoßen hat. Diese gebietet, dass der - durch die zugelassene Anklage abgegrenzte - Prozessstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 29. Oktober 2009 - 4 StR 239/09, NStZ 2010, 222, 223 mwN). Der Unrechtsgehalt der Tat muss ohne Rücksicht auf die dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte Bewertung ausgeschöpft werden, soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen (BGH, Urteil vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 258/13, NStZ-RR 2014, 57). Fehlt es daran, so stellt dies einen sachlich-rechtlichen Mangel dar (vgl. KK-Kuckein, StPO, 7. Aufl., § 264 Rn. 25 mwN).
5
So liegt es hier. Das Landgericht hat das Vorliegen einer Qualifikation nach § 225 Abs. 3 StGB nur dahingehend geprüft, ob die Angeklagte durch ihr Unterlassen den Säugling in die Gefahr des Todes gebracht hat (§ 225 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 1 StGB). Hingegen hat es nicht erörtert, ob die Angeklagte den Verbrechenstatbestand gemäß § 225 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 StGB - durch Unterlassen - verwirklicht hat, obwohl nach den Feststellungen das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Vorschrift in Betracht kommt. Im Einzelnen:
6
aa) Der Qualifikationstatbestand des § 225 Abs. 3 Nr. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat, also durch einen Angriff im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB, in die konkrete Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsbeschädigung bringt (vgl. S/SStree /Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 225 Rn. 19 ff.). Entscheidend ist, dass eine der in § 225 Abs. 1 StGB umschriebenen tatbestandlichen Handlungen die naheliegende Möglichkeit begründet, sie werde zu den in den Alternativen des § 225 Abs. 3 StGB genannten Weiterungen führen (vgl. LK/Hirsch, StGB, 11. Aufl., § 225 Rn. 24). Schwere Gesundheitsbeschädigungen im Sinne des § 225 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 StGB sind dabei solche Folgen der Misshandlung, die mit einer anhaltenden nachhaltigen Beeinträchtigung der physischen oder psychischen Leistungsfähigkeit verbunden sind oder in einer lebensbedrohenden, qualvollen oder ernsten und langwierigen Krankheit bestehen. Handelt es sich um eine Unterlassungstat, so begründet der Täter die tatbestandlich vorausgesetzte konkrete Gefahr einer solchen Gesundheitsbeschädigung, wenn er deren Entstehen durch sein Eingreifen hätte abwenden können. In subjektiver Hinsicht ist bezüglich der Verursachung der tatbestandlichen Gefahren des qualifizierten Falles (zumindest bedingter) Vorsatz erforderlich (BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 - 3 StR 633/14, BGHR StGB § 225 Abs. 3 Gefahr 1).
7
bb) Das Landgericht hat den Qualifikationstatbestand des § 225 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 1 StGB wegen Fehlens der subjektiven Voraussetzungen nicht als erfüllt angesehen, weil die Angeklagte mit der - tatsächlich gegebenen - Gefahr tödlicher Verletzungen des Kindes durch ihren Ehemann nicht gerechnet habe. Indessen hat es nicht geprüft, ob die Angeklagte, als sie die von ihr in Kauf genommenen Misshandlungen des Kindes durch ihren Ehemann nicht unterband, jedenfalls mit der konkreten Gefahr schwerer Gesundheitsbeschädigungen im Sinne des § 225 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 StGB rechnete. Hierzu hätte aber schon deshalb Anlass bestanden, weil das später getötete Kind nach den Feststellungen erst 19 Tage alt war und im Hinblick auf die Konstitution und besondere Verletzlichkeit eines so jungen Säuglings schon bei nicht allzu gravierenden Verletzungshandlungen erhebliche körperliche Folgen eintreten können. Vor diesem Hintergrund hätte gegebenenfalls auch § 225 Abs. 3 Nr. 2 StGB in Betracht gezogen werden müssen.
8
b) Da das Urteil bereits deshalb der Aufhebung unterliegt, kann dahinstehen, ob das Landgericht rechtsfehlerfrei nicht auf eine Verurteilung wegen Totschlags durch Unterlassen erkannt hat.
9
Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird - wenn auch er einen Tötungsvorsatz der Angeklagten nicht sollte feststellen können - zu prüfen haben, ob möglicherweise eine Bestrafung auch wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) oder fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) durch Unterlassen in Betracht kommt. Insoweit gilt:
10
Die Möglichkeit, § 227 StGB aufgrund einer Körperverletzung durch Unterlassen zu verwirklichen, ist in der Rechtsprechung anerkannt (BGH, Urteil vom 22. November 2016 - 1 StR 354/16, NJW 2017, 418, 419 f. mwN). Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob der Rechtsauffassung des 4. Strafsenats, eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen komme nur in Betracht, wenn erst durch das Unterbleiben der gebotenen Handlung eine Todesgefahr geschaffen wird (BGH, Urteil vom 20. Juli 1995 - 4 StR 129/95, NStZ 1995, 589, 590), in dieser Allgemeinheit gefolgt werden könnte (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 20. Juli 2006 - 3 StR 244/06, StraFo 2006, 466 f.; Urteil vom 22. November 2016 - 1 StR 354/16, NJW 2017, 418, 420). Denn auch nach der Auffassung des 4. Strafsenats ist dieser Zusammenhang zwischen dem Unterlassen und der tödlichen Folge jedenfalls dann gegeben, wenn dem unterlassenden Garanten anzulasten ist, die zum Tode führenden Gewalthandlungen des aktiv Handelnden nicht verhindert zu haben (vgl. BGH, Urteile vom 30. März 1995 - 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 117 ff.; vom 20. Juli 1995 - 4 StR 129/95, NStZ 1995, 589, 590).
11
Hier hat das Landgericht das Vorliegen einer Körperverletzung mit Todesfolge in subjektiver Hinsicht verneint, da die Angeklagte nicht die Vorstellung gehabt habe, dass der Mitangeklagte Körperverletzungen vornahm, die das Kind in die Gefahr des Todes brachten. Dem hat die Strafkammer die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zugrunde gelegt, wonach zur Erfüllung des Tatbestandes des § 227 StGB der Vorsatz des Unterlassungstäters sich auf solche Körperverletzungen des aktiv Handelnden beziehen muss, denen die spezifische Gefahr anhaftet, zum Tode des Opfers zu führen (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 1995 - 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 118). Die Urteilsgründe lassen indes zweifelhaft erscheinen, ob das Landgericht hierbei hinreichend bedacht hat, dass sich der Vorsatz des Garanten bei einer Unterlassungstat nach § 227 StGB nur auf die Eignung der Körperverletzungshandlung, die Todesgefahr zu begründen, beziehen muss, nicht dagegen auf den Tod des Opfers als Ergebnis des Körperverletzungserfolgs. Hinsichtlich der tödlichen Folge genügt in subjektiver Hinsicht Fahrlässigkeit (§ 18 StGB). Die qualifizierende Tatfolge muss daher lediglich vorhersehbar sein. Für deren Vorhersehbarkeit reicht es aus, dass der Täter die Möglichkeit des Todeserfolgs im Ergebnis hätte erkennen können. Einer Voraussehbarkeit aller Einzelheiten des zum Tode führenden Geschehensablaufs bedarf es nicht (BGH, Urteil vom 10. Juni 2009 - 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009, 309, 310).
12
Eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen nach §§ 13, 222 StGB käme bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen hier schon dann in Betracht, wenn die Angeklagte aufgrund ihrer akustischen Wahrnehmungen hätte erkennen können, dass der Mitangeklagte im Begriff war, den gemeinsamen Sohn zu töten.
13
2. Die Revision der Angeklagten
14
Dagegen ist dem Rechtsmittel der Angeklagten der Erfolg zu versagen. Die Verfahrensrüge ist nicht näher ausgeführt und deshalb schon unzulässig im Sinne des § 344 Abs. 2 StPO. Auch die durch die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Urteils hat Rechtsfehler nicht aufgedeckt. Der Schuldspruch wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen durch Unterlassen unterliegt keiner rechtlichen Beanstandung. Insbesondere belegen die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des angefochtenen Urteils die vom Landgericht angenommene Tatbestandsalternative des "Quälens" im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB durch Unterlassen in objektiver und subjektiver Hinsicht.
15
a) Quälen im Sinne dieser Vorschrift bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender (erheblicher) Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art. Es wird im Allgemeinen durch mehrere Tathandlungen bewirkt, wobei oft erst die ständige Wiederholung mehrerer Körperverletzungshandlungen, die für sich genommen noch nicht den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB erfüllen, den besonderen Unrechtsgehalt des Quälens verwirklichen (BGH, Urteile vom 30. März 1995 - 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115; vom 17. Juli 2007 - 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306). Ob sich mehrere Körperverletzungen zu einer als Quälen zu bezeichnenden Tathandlung zusammenfügen, ist auf Grund einer Gesamtbetrachtung zu entscheiden. Dabei sind räumliche und situative Zusammenhänge, zeitliche Dichte oder eine sämtliche Einzelakte prägende Gesinnung mögliche Indikatoren (BGH, Beschlüsse vom 24. Februar 2015 - 4 StR 11/15, BGHR StGB § 225 Abs. 1 Misshandlung 1; vom 20. März 2012 - 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467). Die zugefügten Schmerzen oder Leiden müssen über die typischen Auswirkungen einzelner Körperverletzungshandlungen hinausgehen. Ist dies der Fall, so kann Quälen auch durch Unterlassen begangen werden (vgl. BGH, Urteile vom 3. Juli2003 - 4 StR 190/03, NStZ 2004, 94 f.; vom 23. Juli 2015 - 3 StR 633/14, BGHR StGB § 225 Abs. 1 Tathandlungen 1). In subjektiver Hinsicht, in der bedingter Vorsatz genügt (BGH, Urteil vom 4. August 2015 - 1 StR 624/14, NStZ 2016, 95, 97), ist es erforderlich, dass der Täter den Vorsatz hat, dem Opfer erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, die über die typischen Auswirkungen hinausgehen, die mit der aktuellen Körperverletzungshandlung verbunden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2012 - 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467 mwN; Urteil vom 23. Juli 2015 - 3 StR 633/14, BGHR StGB § 225 Abs. 1 Tathandlungen 1).
16
b) Vorliegend standen die mehrfachen, innerhalb eines Zeitraums von wenigen Stunden vorgenommenen gravierenden Verletzungshandlungen des Ehemanns der Angeklagten in einem engen zeitlichen und - bedingt durch dessen Übernahme der Versorgung des Säuglings in dieser Nacht - situativen Zusammenhang, der den Übergriffen ein besonderes Gepräge gab, so dass die dem Säugling wiederholt zugefügten erheblichen Schmerzen über die typischen Auswirkungen der einzelnen Verletzungshandlungen hinausgingen und sich als Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB darstellten. Die Feststellungen tragen auch die Annahme des Landgerichts, dass die Angeklagte es wegen des heftigen Geschreis ihres Kindes für möglich hielt, dass der Mitangeklagte den Säugling in diesem Sinne quälte, was sie aufgrund ihrer Garantenstellung zu unterbinden verpflichtet war. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann entnommen werden, dass die am Ort des Geschehens nicht anwesende Angeklagte aufgrund ihrer akustischen Wahrnehmungen nicht nur von situativ bedingten einzelnen Verletzungshandlungen ausging, sondern damit rechnete, dass der Mitangeklagte dem Säugling wiederholt erheblich wehtat, was sie hinnahm, um ihrem Mann zu zeigen, dass sie ihm vertraue. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts den Umstand, dass das Kind phasenweise still war, dahin missdeutete, dass dieses sich zwischendurch immer wieder beruhigt hatte, weil es über die vorangegangenen Schmerzen hinweggekommen war. Denn selbst wenn die Schmerzen aus ihrer Sicht immer wieder abklangen, stellte die wiederholte Misshandlung des Säuglings ein in sich geschlossenes Geschehen dar, in dem diesem immer wieder Leiden zugefügt wurde. Damit ist jedenfalls ein bedingter, auf die Zufügung über die konkrete Verletzungshandlung hinausgehender Schmerzen gerichteter Vorsatz festgestellt.
Becker Gericke Spaniol Tiemann Berg

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR11/15
vom
24. Februar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 24. Februar 2015 gemäß § 46
Abs. 1, § 349 Abs. 2 und Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag und seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 30. September 2014 gewährt. Damit ist der Beschluss des Landgerichts Konstanz vom 2. Dezember 2014 gegenstandslos. 2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 30. September 2014 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen Misshandlung Schutzbefohlener in vier Fällen verurteilt worden ist, und im Ausspruch über die Gesamtstrafe. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Misshandlung Schutzbefohlener in vier Fällen und wegen Körperverletzung in 24 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die er – verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Revisionsbegründungsfrist – auf die Sachrüge stützt. Der Wiedereinsetzungsantrag hat Erfolg. Die Revision führt zur Aufhebung der Verurteilung wegen Misshandlung Schutzbefohlener und der Gesamtstrafe; im Übrigen ist sie unbegründet.
2
1. Dem Angeklagten ist aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 27. Januar 2015 dargelegten Gründen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zu gewähren. Damit ist der das Rechtsmittel als unzulässig verwerfende Beschluss des Landgerichts vom 2. Dezember 2014 gegenstandslos.
3
2. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Verurteilung wegen Körperverletzung in 24 Fällen zum Nachteil seiner früheren Ehefrau richtet (§ 349 Abs. 2 StPO). Dagegen hat sie hinsichtlich der Verurteilung wegen Misshandlung Schutzbefohlener in vier Fällen Erfolg.
4
a) Insofern begegnet schon die Beweiswürdigung zu den Misshandlungen der Kinder J. und R. durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
5
aa) Die Beweiswürdigung ist zwar Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Die zur richterlichen Überzeugung erforderliche persönliche Gewissheit des Richters setzt aber objektive Grundlagen voraus, die aus rationalen Gründen den Schluss auf das festgestellte Geschehen zulassen müssen. Das ist der Nachprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich. Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen , verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen Verdacht zu begründen vermag (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 24. März 2000 – 3 StR 585/99; vom 12. Dezember 2001 – 5 StR 520/01, StV 2002, 235; MeyerGoßner /Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 261 Rn. 38, § 337 Rn. 26 jeweils mwN).
6
bb) Dem wird die Beweiswürdigung des Landgerichts hinsichtlich der Feststellungen zu den Misshandlungen der Kinder J. und R. nicht gerecht.
7
Nach den insofern getroffenen Feststellungen schlug der Angeklagte in den Jahren 2008 bis 2011 (auch) diese Kinder „regelmäßig drei- bis viermal in der Woche, überwiegend mit der flachen Hand auf das Gesäß, aber auch in das Gesicht, außerdem mit den Fäusten auf den Körper, so dass die Kinder erheb- liche Schmerzen, Blutergüsse, Schwellungen und Nasenbluten erlitten“ (UA S. 11); darüber hinaus schloss der Angeklagte die Kinder mehrfach in ihrem Zimmer ein (UA S. 12). Konkrete Ereignisse zum Nachteil dieser Kinder teilen die Urteilsfeststellungen – anders als bei E. und Ja. – nicht mit.
8
Der Angeklagte hat zwar eingeräumt, seine Kinder etwa jeden dritten Monat „mal“ mit der flachen Hand geschlagen zu haben, alle anderen Vorwürfe bestreitet er indes. Seine Überzeugung, dass der Angeklagte (auch) J. und R. misshandelt habe, stützt die Strafkammer im Wesentlichen auf die Anga- ben der früheren Ehefrau des Angeklagten, wonach dieser „sie und die Kinder oft geschlagen“ habe, „die Kinder hätten drei- bis viermal in der Woche Schläge bekommen, zeitweise auch täglich“, dabei habe es „ordentlich gerumst“ (UA S. 15); J. und R. hätten „auch mal einen ‚Klaps auf den Arsch‘ und auch mal eine flache Hand ins Gesicht bekommen“ (UA S. 15 und 18).
9
Auf Grund dieser hinsichtlich der Häufigkeit und der Art sowie der Intensität der Schläge widersprüchlichen, zudem Faustschläge auf den Körper, die auch bei J. und R. zu „erheblichen Schmerzen, Blutergüssen, Schwel- lungen und Nasenbluten“ geführt haben, nicht bestätigenden Angaben der Zeu- gin ist nicht nachvollziehbar, auf welcher Grundlage die Strafkammer die Feststellungen zu diesen Misshandlungen von J. und R. getroffen hat. Die Feststellungen hierzu werden auch nicht dadurch plausibel, dass der damals drei bis sechs Jahre alte Ja. bestätigt hat, dass „auch alle anderen Ge- schwister“ vom Angeklagten geschlagen worden seien (UA S. 21) und ein (lediglich) verlesener Bericht des Jugendamts mitteilt, dass im Kindergarten bemerkt worden sei, dass J. häufig blaue Flecken gehabt und dazueinmal geäußert habe, dass ihr Vater sie geschlagen und getreten habe (UA S. 23). Denn insbesondere hinsichtlich der häufigen blauen Flecke kann Bedeutung haben, dass die Zeugin selbst eingeräumt hat, ihre Kinder – auch mit einem Kochlöffel – geschlagen zu haben (UA S. 19).
10
b) Im Übrigen begegnet aber – hinsichtlich aller vier Fälle – die rechtliche Bewertung der Misshandlungen der Kinder durch den Angeklagten als Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
11
aa) Diese rechtliche Bewertung stützt die Strafkammer neben den „regelmäßig drei- bis viermal in der Woche“ alle vier Kinder betreffenden Schlägen sowie dem Einsperren für den Tatzeitraum von 2008 bis 2011 konkret lediglich auf einen Vorfall zum Nachteil von Ja. und E. (Schläge auf das Gesäß, so dass diese kaum mehr laufen konnten) und vier weitere Vorfälle zum Nachteil von Ja. (Schlag auf das Auge, Schlag auf das Gesäß mit einem Kochlöffel , Schlag des Kopfes von Ja. gegen eine Wand, Verabreichen von Bier).
12
bb) Damit ist ein Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB jedoch nicht hinreichend belegt.
13
(1) Quälen im Sinne dieser Vorschrift bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender Schmerzen oder Leiden, die über die typischen Auswirkungen der festgestellten einzelnen Körperverletzungshandlungen hinausgehen. Mehrere Körperverletzungshandlungen, die für sich genommen noch nicht den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB erfüllen, können als ein Quälen im Sinne dieser Vorschrift zu beurteilen sein, wenn erst die ständige Wiederholung den gegenüber § 223 StGB gesteigerten Unrechtsgehalt ausmacht. In diesem Fall werden die jeweiligen Einzelakte zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit und damit einer den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB verwirklichenden Tat zusammengefasst. Ob sich mehrere Körperverletzungen zu einer als Quälen zu bezeichnenden Tathandlung zusammenfügen, ist auf Grund einer Gesamtbetrachtung zu entscheiden. Regelmäßig wird es dabei erforderlich sein, dass sich die festgestellten einzelnen Gewalthandlungen als ein äußerlich und innerlich geschlossenes Geschehen darstellen. Dabei sind räumliche und situative Zusammenhänge, zeitliche Dichte oder eine sämtliche Einzelakte prägende Gesinnung mögliche Indikatoren. In subjektiver Hinsicht ist es erforderlich, dass der Täter bei jeder Einzelhandlung den Vorsatz hat, dem Op- fer sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, die über die typischen Verletzungsfolgen hinausgehen, die mit der aktuellen Körperverletzungshandlung verbunden sind (zum Ganzen: BGH, Beschluss vom 20. März 2012 – 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467 m. Anm. Renzikowski/Sick mwN).
14
(2) Ausgehend hiervon wird der Schuldspruch wegen vier Fällen der Misshandlung von Schutzbefohlenen im Sinne von § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB von den Feststellungen nicht getragen. Denn das Landgericht hat nicht festgestellt, dass die Gewalthandlungen jeweils zu länger andauernden Schmerzen geführt haben, die über die typischen Auswirkungen der festgestellten Körperverletzung hinausgegangen sind; als Folgen der Misshandlungen hat es vielmehr „Verhaltensauffälligkeiten“ bei allen Kindern und eine posttraumatische Belastungsstö- rung bei Ja. aufgeführt. Soweit das Landgericht – wie seine Ausführungen in der rechtlichen Würdigung nahelegen – davon ausgegangen ist, dass erst durch die Vielzahl der körperlichen Übergriffe ein Quälen im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB bewirkt worden ist, begegnet auch eine Zusammenfassung aller festgestellten „Einzeltaten“ zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Begriff des Quälens in § 225 Abs. 1 StGB setzt zwar nicht notwendig voraus, dass zwischen den einzelnen Teilakten ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht. Intervalle von mehreren Tagen , bis hin zu einigen Wochen, können daher unschädlich sein, wenn das Gesamtgeschehen auf Grund anderer Umstände innerlich und äußerlich geschlossen bleibt; mehrere Monate oder sogar Jahre auseinander liegende Körperverletzungshandlungen werden in der Regel aber nicht mehr als eine einzige dem Opfer bereitete Qual verstanden werden können (BGH aaO). Die allgemein gehaltene Feststellung des Landgerichts, wonach der Angeklagte von 2008 bis 2011 „regelmäßig drei- bis viermal in der Woche“ seine Kinder geschlagen hat, mag zwar ausreichen, um objektiv die Annahme einer sich über vier Jahre hin- ziehenden tatbestandlichen Handlungseinheit zu rechtfertigen, sie ist aber für sich genommen nicht geeignet, auch die innere Tatseite einer Handlungseinheit tragfähig zu belegen. Denn nach den Feststellungen ging es dem Angeklagten bei den einzelnen Taten stets darum, „seine Wut abzureagieren“ (UA S. 11). Dies spricht dafür, dass jeder Einzeltat ein anlassbezogener neuer Tatentschluss des Angeklagten zu Grunde lag. Ein übergreifender Vorsatz, der auf die Zufügung sich wiederholender und über die konkreten Tatfolgen hinausgehender erheblicher Schmerzen oder Leiden gerichtet ist, wird dadurch nicht belegt.
15
c) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet die rechtliche Würdigung der Strafkammer auch, soweit sie bei Ja. neben dem Quälen den Tatbestand der rohen Misshandlung (§ 225 Abs. 1 StGB) bejaht.
16
Insofern verweist das Landgericht zwar auf drei der Misshandlungen des Kindes (Schlag auf das Auge, Schlag auf das Gesäß mit einem Kochlöffel, Schlag des Kopfes von Ja. gegen eine Wand), die Ausführungen lassenes aber als jedenfalls nicht ausgeschlossen erscheinen, dass es dabei – zumal es hinsichtlich Ja. lediglich eine Misshandlung Schutzbefohlener angenommen hat – davon ausgegangen ist, die drei Körperverletzungen seien erst in ihrer Gesamtheit als eine rohe Misshandlung zu bewerten. Anders als das Quälen bezieht sich diese Tatalternative des § 225 Abs. 1 StGB jedoch stets auf ein einzelnes Körperverletzungsgeschehen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2007 – 5 StR 44/07, NStZ 2007, 405).
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die

1.
seiner Fürsorge oder Obhut untersteht,
2.
seinem Hausstand angehört,
3.
von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder
4.
ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist,
quält oder roh mißhandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat in die Gefahr

1.
des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder
2.
einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung
bringt.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 561/11
vom
20. März 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 20. März 2012 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 8. Juli 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen sexueller Nötigung in zwei Fällen (II. 4 und II. 5 der Urteilsgründe) verurteilt worden ist,
b) soweit der Angeklagte wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen tateinheitlich in acht Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung (II. 1, II. 6 bis II. 12 der Urteilsgründe) verurteilt worden ist. Hiervon ausgenommen bleiben die Feststellungen zum äußeren Sachverhalt ,
c) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „sexueller Nötigung (Vergewaltigung )“ in zwei Fällen, Bedrohung, gefährlicher Körperverletzung und wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen tateinheitlich in acht Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat in dem tenorierten Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Die Verurteilung des Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen nach § 177 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 1 StGB in den Fällen II. 4 und II. 5 der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
1. Nach den Feststellungen lebten der aus dem Iran stammende Angeklagte und seine deutsche Ehefrau, die Zeugin A. N. , anfänglich in einer harmonischen Beziehung. Dem Angeklagten gefiel, dass sich A. N. erfolgreich darum bemühte, die persische Sprache zu erlernen und von ihrem alten Bekanntenkreis lossagte. Nach der Geburt des zweiten Kindes änderte der Angeklagte sein Verhalten. Er zeigte sich leicht reizbar und nahm alltägliche Belanglosigkeiten zum Anlass, A. N. zu beschimpfen und zu beleidigen. Ab dem Jahr 2000 kam es auch zu tätlichen Übergriffen. Diese ereigneten sich insbesondere dann, wenn sich A. N. dem Willen des Angeklagten widersetzte oder eine abweichende Meinung äußerte.
A. N. lebte seit dieser Zeit in ständiger Angst und in der Erwartung neuerlicher Übergriffe.
4
a) An einem Abend im Sommer 2009 äußerte der Angeklagte gegenüber A. N. in der gemeinsamen Ehewohnung den Wunsch, mit ihr den Analverkehr auszuüben. Obwohl sie sein Ansinnen entschieden ablehnte, holte der Angeklagte eine Fettcreme aus dem Badezimmer und begab sich zu A. N. , die sich bereits auf einer Schlafcouch im Wohnzimmer zum Schlafen niedergelegt hatte. Als der Angeklagte erneut kundtat, jetzt den Analverkehr durchführen zu wollen, lehnte A. N. dies wiederum ab und fügte hinzu, dass eine Ausübung des Analverkehrs gegen ihren Willen eine Vergewaltigung sei. Der Angeklagte gab A. N. daraufhin zu verstehen , dass sie sich nicht so anstellen solle und zog ihr die Schlafanzughose herunter. A. N. sah in dieser Situation keine Möglichkeit mehr, sich dem Willen des Angeklagten zu widersetzen. Für den Fall einer Gegenwehr rechnete sie mit Schlägen. Außerdem befürchtete sie, dass dann die beiden gemeinsamen Kinder erwachen und ebenfalls Opfer von Tätlichkeiten des Angeklagten werden könnten. Der Angeklagte vollzog nun mit der weinenden und sich vor Schmerzen windenden A. N. den Analverkehr bis zum Samenerguss. Dabei drückte er sie so an eine Wand, dass sie sich aus ihrer Position nicht befreien konnte. Bei alldem ging der Angeklagte davon aus, dass A. N. den Analverkehr nur deshalb ohne Gegenwehr erduldete, weil sie unter dem Eindruck der regelmäßig stattfindenden Übergriffe keine Chance sah, sich seinem Willen zu widersetzen und Angst um ihre eigene körperliche Unversehrtheit und die ihrer Kinder hatte. Im Fall einer Gegenwehr wäre der Angeklagte auch gewillt gewesen, sein Vorhaben mit Gewalt durchzusetzen. A. N. hatte bis zum nächsten Tag Schmerzen beim Sitzen und erlitt eine Blutung im Analbereich (Fall II. 4 der Urteilsgründe).
5
Wenige Monate nach diesem Vorfall kehrte der Angeklagte mit A. N. von einem gemeinsamen Restaurantbesuch in die Ehewohnung zurück. Während des gesamten Tages herrschte eine harmonische und ausgelassene Stimmung. Nachdem sich A. N. bereits schlafen gelegt hatte, trat der Angeklagte zu ihr an die Schlafcouch und kündigte an, ein weiteres Mal den Analverkehr mit ihr ausüben zu wollen. A. N. begann zu weinen und lehnte die Durchführung des Analverkehrs unter Hinweis auf die damit für sie verbundenen Schmerzen ab. Der Angeklagte erwiderte, dass Sex wehtun müsse, zog A. N. die Schlafanzughose aus und vollzog mit ihr den Analverkehr. A. N. verzichtete auf eine Gegenwehr, weil sie auch diesmal - trotz des harmonischen Tages - mit Gewalttätigkeiten des Angeklagten rechnete. Dem Angeklagten war bewusst, dass er nur deshalb keinen Widerstand zu erwarten hatte, weil ihn A. N. als einen Menschen kennengelernt hatte, der seine Wünsche notfalls unter Zuhilfenahme von Gewalt durchsetzt. Da sich A. N. vor Schmerzen hin und her wandte, glitt der Angeklagte mit seinem Penis aus ihrem After heraus. Obgleich er hierüber sehr erzürnt war, ließ er entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten von ihr ab und sprach in der Folgezeit kein Wort mehr (Fall II. 5 der Urteilsgründe).
6
b) Das Landgericht hat angenommen, dass sich A. N. in beiden Fällen in einer schutzlosen Lage im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB befand, weil sie auf Grund äußerer und in ihrer Person liegender Faktoren keine effektive Möglichkeit hatte, sich der Einwirkung des Angeklagten zu entziehen oder erfolgversprechend Widerstand zu leisten. In der ehelichen Wohnung hielten sich neben A. N. und dem Angeklagten jeweils nur die gemeinsamen neun und zehn Jahre alten Kinder auf. Der Angeklagte war ihr und den Kindern körperlich überlegen. Auf Grund ihrer Gewalterfahrungen lebte A. N. in ständiger Furcht vor neuen Übergriffen und verfügte nur über ein geringes Selbstbewusstsein. Es fiel ihr deshalb schwer, dem Willen des Angeklagten etwas entgegen zu setzen. Diese Lage wurde von dem Angeklagten bewusst ausgenutzt. Eine Gewaltanwendung (§ 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB) oder eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB) hat das Landgericht nicht feststellen können. Soweit A. N. von dem Angeklagten bei der Ausführung des Analverkehrs gegen eine Wand gedrückt wurde, ist das Landgericht davon ausgegangen, dass dadurch nicht der sexuelle Kontakt erzwungen werden sollte (UA S. 42).
7
2. Die Feststellungen belegen in beiden Fällen nicht, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB gegeben sind.
8
a) Der objektive Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt voraus, dass sich das Opfer in einer Lage befindet, in der es über keine effektiven Schutz- oder Verteidigungsmöglichkeiten mehr verfügt und deshalb nötigender Gewalt des Täters ausgeliefert ist (vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2007 – 4 StR 345/06, NJW 2007, 2341, 2343; Urteil vom 3. November 1998 – 1 StR 521/98, BGHSt 44, 228, 231 f.; MüKoStGB/Renzikowski, 2. Aufl., § 177 Rn. 43; LK/Hörnle, 12. Aufl., § 177 Rn. 98; SSW-StGB/Wolters § 177 Rn. 18 mwN). Hiervon ist auszugehen, wenn das Opfer bei objektiver ex-anteBetrachtung keine Aussicht hat, sich den als mögliche Nötigungsmittel in Betracht zu ziehenden Gewalthandlungen des Täters zu widersetzen, sich seinem Zugriff durch Flucht zu entziehen oder fremde Hilfe zu erlangen. Dazu ist eine Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände vorzunehmen, bei der neben den äußeren Gegebenheiten (Beschaffenheit des Tatortes, Vorhandensein von Fluchtmöglichkeiten, Erreichbarkeit fremder Hilfe etc.) auch das individuelle Vermögen des Tatopfers zu wirksamem Widerstand oder erfolgreicher Flucht und die Fähigkeit des Täters zur Anwendung von nötigender Gewalt in den Blick zu nehmen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 2011 – 3 StR 359/11 Rn. 5 und 7; Urteil vom 25. Januar 2006 – 2 StR 345/05, BGHSt 50, 359, 362 f.; Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 44).
9
b) Den sich hieraus ergebenden Anforderungen hat das Landgericht nicht hinreichend Rechnung getragen. Bei der von ihm vorgenommenen Gesamtbewertung sind wichtige Gesichtspunkte außer Ansatz geblieben.
10
So hat sich das Landgericht in beiden Fällen nicht mit eventuell gegebenen Fluchtmöglichkeiten von A. N. auseinandergesetzt. Die Tatsache , dass sich A. N. jeweils allein mit dem Angeklagten im Wohnzimmer der Familienwohnung befand und von den schlafenden Kindern keine Hilfe erwarten konnte, belegt für sich genommen noch nicht, dass es ihr nicht möglich war, sich dem Angeklagten durch Flucht zu entziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juli 2004 – 4 StR 229/04, NStZ 2005, 267 Rn. 2; Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 44; MüKoStGB/ Renzikowski, 2. Aufl., § 177 Rn. 44; Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder 28. Aufl., § 177 Rn. 9). Konkrete Feststellungen zu den räumlichen Gegebenheiten in der Wohnung und zum Schließzustand der Türen hat das Landgericht nicht getroffen. Die mitgeteilten Begleitumstände legen es in beiden Fällen nicht nahe, dass der Angeklagte vorab darauf bedacht gewesen sein könnte, eventuelle Fluchtwege durch entsprechende Vorkehrungen zu versperren. Im Fall II. 4 der Urteilsgründe ließ er A. N. zunächst allein im Wohnzimmer zurück , nachdem er bereits angekündigt hatte, den Analverkehr durchführen zu wollen und auch ihren entgegenstehenden Willen kannte (UA S. 10). Im Fall II. 5 der Urteilsgründe herrschte zwischen den Eheleuten bis zur Tatsituation eine ausgelassene und harmonische Stimmung, die A. N. an den Beginn ihrer Beziehung erinnerte (UA S. 11).
11
Zudem hätte sich das Landgericht auch eingehend mit der Frage befassen müssen, ob es A. N. in zumutbarer Weise möglich war, durch Schreie oder andere Geräusche fremde Hilfe zu erlangen. Die Feststellung, dass sie bei einer Gegenwehr mit Schlägen des Angeklagten rechnete und alles unterließ, was ihre Kinder wecken konnte, damit nicht auch sie Opfer befürchteter Übergriffe des Angeklagten werden (UA S. 10), belegt nur, dass sich A. N. schutzlos fühlte, weil sie keinen Weg sah, Dritte ohne Risiko für sich selbst und ihre Kinder auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Ob und inwieweit ihre Befürchtungen tatsächlich berechtigt waren und siedeshalb – woraufes hier maßgeblich ankommt – auch bei objektiver Betrachtung (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 2011 – 3 StR 359/11, Rn. 7; Urteil vom 25. Januar 2006 – 2 StR 345/05, BGHSt 50, 359, 362 f.; a.A. MüKoStGB/ Renzikowski, 2. Aufl., § 177 Rn. 44 mwN) keine Möglichkeit hatte, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen, hat das Landgericht nicht geprüft, obgleich hierzu Anlass bestand. Die Eheleute wohnten in einem Mehrfamilienhaus. Der Nachbarin Ar. war auf Grund von Gesprächen schon seit 2007/2008 bekannt, dass A. N. unter gewalttätigen Übergriffen des Angeklagten litt (UA S. 13). Auch die Nachbarin P. wusste um die bestehenden Eheschwierigkeiten (UA S. 13). Wie sich aus den zu Fall II. 11 getroffenen Feststellungen ergibt, haben beide bei anderer Gelegenheit sofort an der Wohnungstür geklingelt, als sie aus der Wohnung Schreie des von dem Angeklagten misshandelten Sohnes R. hörten. Anschließend verständigten sie die Polizei. Als der Angeklagte durch A. N. hiervon erfuhr, ließ er sofort von R. ab und bemühte sich stattdessen um eine Verheimlichung des Vorgefallenen (UA S. 16). Danach versteht es sich nicht von selbst, dass Hilferufe ohne Resonanz geblieben wären und der Angeklagte hierauf tatsächlich mit Schlägen reagiert hätte. Sein Verhalten im Fall II. 11 der Urteilsgründe lässt auch die Möglichkeit offen, dass er aus Angst vor einer durch die Rufe erzeugten Aufmerksamkeit der Nachbarn und einer möglichen Verständigung der Polizei von seinem Vorhaben Abstand genommen und ohne tätlich zu werden versucht hätte, den Vorfall nicht bekannt werden zu lassen. Schließlich findet sich auch für die Annahme, der Angeklagte könnte die durch Geräusche geweckten Kinder schlagen, im Urteil keine ausreichende Tatsachengrundlage. Nach den Feststellungen wurde von dem Angeklagten nur der gemeinsame Sohn R. vielfach misshandelt, wobei er dies für eine Form der Erziehung hielt und damit jeweils auf vorheriges Fehlverhalten reagierte. Übergriffe zum Nachteil der Tochter B. werden im Urteil an keiner Stelle geschildert. Stattdessen ist davon die Rede, dass B. N. von dem Angeklagten verwöhnt und bevorzugt wurde (UA S. 13).
12
Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
13
3. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:
14
Eine sexuelle Nötigung durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB) begeht auch, wer eine sexuelle Handlung erzwingt, indem er durch ein schlüssiges Verhalten auf frühere Gewaltanwendungen hinweist oder frühere Drohungen konkludent bekräftigt (Nachweise bei Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder 28. Aufl., § 177 Rn. 7). Dabei kann auch Gewalt, die der Täter zuvor aus anderen Gründen angewendet hat, als gegenwärtige Drohung mit nötigendem körperlichem Zwang fortwirken. Der objektive Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist deshalb auch dann verwirklicht, wenn eine Gesamtschau aller maßgeblichen Umstände ergibt, dass der Täter gegenüber dem Opfer durch häufige Schläge ein Klima der Angst und Einschüchterung geschaffen hat (BGH, Beschluss vom 1. Juli 2004 – 4 StR 229/04, NStZ 2005, 267, 268; Urteil vom 6. Juli 1999 – 1 StR 216/99, NStZ 1999, 505; Urteil vom 31. August 1993 – 1 StR 418/93, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 8; vgl. Beschluss vom 5. April 1989 – 2 StR 557/88, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 5) und das Opfer die ihm abverlangten sexuellen Handlungen nur deshalb duldet, weil es auf Grund seiner Gewalterfahrungen mit dem Täter befürchtet, von ihm erneut körperlich misshandelt zu werden, falls es sich seinem Willen nicht beugt (BGH, Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 43; Beschluss vom 5. April 1989 – 2 StR 557/88, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 5; Beschluss vom 15. März 1984 – 1 StR 72/84, StV 1984, 330, 331). In subjektiver Hinsicht setzt § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB in diesen Fällen voraus, dass der Täter die von seinem Vorverhalten ausgehende latente Androhung weiterer Misshandlungen in ihrer aktuellen Bedeutung für das Opfer erkennt und als Mittel zur Erzwingung der sexuellen Handlungen einsetzt (BGH, Beschluss vom 1. Juli 2004 – 4 StR 229/04, NStZ 2005, 267, 268; Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 43; Beschluss vom 26. Februar 1986 – 2 StR 76/86, NStZ 1986, 409; Beschluss vom 15. März 1984 – 1 StR 72/84, StV 1984, 330, 331).

II.


15
Auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen tateinheitlich in acht Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung gemäß den § 223 Abs. 1, § 225 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1, § 52 StGB begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
16
1. Nach den Feststellungen schlug der Angeklagte seinen am 18. Dezember 1998 geborenen Sohn R. schon im Kleinkindalter mit der flachen Hand. Nach der Einschulung im Jahr 2005 begann er damit, seinen Sohn auch mit einem Pantoffel oder einem Gürtel zu schlagen. Der Angeklagte verstand diese Misshandlungen als körperliche Züchtigung und glaubte auf diese Weise, seine Erziehungsziele (Gehorsam, Disziplin und schulischer Erfolg) durchsetzen zu können. Durchschnittlich kam es einmal in der Woche zu einem Übergriff. Außerdem belegte der Angeklagte seinen Sohn R. vielfach mit herabsetzenden Äußerungen, die sich insbesondere auf seine Leibesfülle und seine schulischen Leistungen bezogen. R. N. litt unter den Misshandlungen und dem erniedrigenden Verhalten des Angeklagten so sehr, dass er Mitte des Jahres 2009 von seiner Mutter die Trennung von dem Angeklagten forderte und seine Selbsttötung androhte. Im Einzelnen hat das Landgericht der Verurteilung folgende Übergriffe zugrunde gelegt:
17
(1) An einem nicht mehr näher bestimmbaren Tag zwischen Sommer 2005 und Sommer 2007 warf der Angeklagte seinen Sohn R. auf den Boden des Kinderzimmers, weil er sich über eine Belanglosigkeit im Zusammenhang mit dem Schulbesuch geärgert hatte. Anschließend schleifte er ihn an den Beinen durch den Raum, wobei das Gesicht von R. N. über denTeppich gezogen wurde. Dieser erlitt dadurch eine Schürfwunde am Auge (Fall II. 7 der Urteilsgründe).
18
(2) An einem nicht mehr näher bestimmbaren Tag im Sommer 2005 stieß der Angeklagte seinen Sohn R. zu Boden und zog ihn anschließend an einem Ohr nach oben, weil er in der Schule sein Pausenbrot mit einem farbigen Mitschüler getauscht hatte (Fall II. 8 der Urteilsgründe).
19
(3) Im Februar 2008 schlug der Angeklagte seinem Sohn R. mehrfach mit den bloßen Händen auf den Oberkörper, nachdem eine Mathematik- arbeit mit „ungenügend“ bewertet worden war. Als sich A. N. zwi- schen den Angeklagten und den gemeinsamen Sohn stellte, verdrehte ihr der Angeklagte zur Strafe die linke Hand. A. N. erlitt dadurch eine Bänderdehnung, die ärztlich behandelt werden musste (Fall II. 1 der Urteilsgründe ).
20
(4) Am Morgen des 28. November 2009 würgte der Angeklagte seine Ehefrau A. N. aus Wut über den am Vortag nicht zu Ende geführten Analverkehr bis zur Luftnot. Als R. N. den Versuch unternahm, den Angeklagten von seiner Mutter wegzuziehen, verdrehte ihm der Angeklagte den Arm und stieß ihn in schmerzhafter Art und Weise weg (Fall II. 6 der Urteilsgründe

).


21
(5) Im Dezember 2009 drückte der Angeklagte seinem SohnR. beim Schneiden der Haare die Spitze der Friseurschere in die Kopfhaut, weil sich R. zuvor über einen unabsichtlichen Schnitt in das Ohr beklagt hatte. R. N. erlitt starke Schmerzen und begann zu weinen (Fall II. 9 der Urteilsgründe ).
22
(6) Am 19. Januar 2010 stellte sich der Angeklagte mit einem Fuß auf den Brustkorb des am Boden liegenden R. und trat ihm zweimal in das Gesicht. Der Angeklagte reagierte damit auf die Weigerung seines Sohnes, weiter Sport zu treiben. Bei den Tritten trug der Angeklagte Badeschuhe (Fall II. 10 der Urteilsgründe).
23
(7) Am 25. Januar 2010 versetzte der Angeklagte seinem Sohn R. mindestens fünf Schläge mit einem Hosengürtel auf die Beine und den Oberkörper , weil er bei dem Fertigen der Hausaufgaben Strichmännchen mit Geschlechtsmerkmalen gezeichnet hatte. Als R. laut zu schreien begann, klingelten die Nachbarinnen Ar. und P. gemeinsam an der Wohnungstür der Familie N. und verständigten die Polizei. Als der Angeklagte hiervon durch A. N. erfuhr, ließ er von seinem Sohn R. ab und drohte ihm an, dass er in ein Heim komme, wenn er von den Schlägen berichte (Fall II. 11 der Urteilsgründe).
24
(8) Am 30. Januar 2010 schlug der Angeklagte mehrfach mit der flachen Hand auf seinen Sohn ein, weil er aus seiner Sicht unnötige Telefonkosten verursacht hatte. Als A. N. intervenierte und den Angeklagten fragte, ob der vorangegangene Vorfall mit der Polizei nicht genug gewesen sei, ließ er von R. ab (Fall II. 12 der Urteilsgründe).
25
Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte durch die in den Fällen II. 1 und II. 6 bis II. 12 der Urteilsgründe festgestellten Körperverletzungshandlungen zum Nachteil seines Sohnes R. das Tatbestandsmerkmal des Quälens im Sinne von § 225 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 StGB verwirklicht hat. Dabei ist das Landgericht zugunsten des Angeklagten von einer „deliktischen Einheit der Geschehnisse im Sinne einer tatbestandlichen Handlungseinheit“ (UA S. 45) ausgegangen. Zur Begründung hat es auf die Identität des Geschädigten , die Kontinuität der Tatsituationen und die ohne Zäsur vorhandene gefühllose , das Leiden von R. missachtende Erziehungsmotivation des Angeklagten abgestellt. Danach lag bei dem Angeklagten ein den gesamten Tatzeitraum überspannender Vorsatz vor, seinen Sohn R. bei gegebenem Anlass körperlich zu züchtigen, um das eigene Wertesystem durchzusetzen. Die in den Fällen II. 1 und 6 der Urteilsgründe begangenen Körperverletzungen zum Nachteil von A. N. stünden hierzu in Tateinheit.
26
2. Hiergegen bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.
27
a) Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender Schmerzen oder Leiden (BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; Urteil vom 6. Dezember 1995 – 2 StR 465/95, NStZ-RR 1996, 197; Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115), die über die typischen Auswirkungen der festgestellten einzelnen Körperverletzungshandlungen hinausgehen (BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2006 – 2 StR 470/06). Mehrere Körperverletzungshandlungen , die für sich genommen noch nicht den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB erfüllen, können als ein Quälen im Sinne dieser Vorschrift zu beurteilen sein, wenn erst die ständige Wiederholung den gegenüber § 223 StGB gesteigerten Unrechtsgehalt ausmacht. In diesem Fall werden die jeweiligen Einzelakte zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit und damit einer den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB verwirklichenden Tat zusammengefasst (BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; vgl. Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115; Warda in Festschrift Hirsch, 1999, S. 391, 395 f., 400; Wolfslast/Schmeissner JR 1996, 338). Ob sich mehrere Körperverletzungen zu einer als Quälen zu bezeichnenden Tathandlung zusammenfügen, ist auf Grund einer Gesamtbetrachtung zu entscheiden. Regelmäßig wird es dabei erforderlich sein, dass sich die festgestellten einzelnen Gewalthandlungen als ein äußerlich und innerlich geschlossenes Geschehen darstellen. Dabei sind räumliche und situative Zusammenhänge, zeitliche Dichte oder eine sämtliche Einzelakte prägende Gesinnung mögliche Indikatoren (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; Warda in Festschrift Hirsch, 1999, S. 391, 395 f., 406 ff.). In subjektiver Hinsicht ist es erforderlich, dass der Täter bei jeder Einzelhandlung den Vorsatz hat, dem Opfer sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, die über die typischen Verletzungsfolgen hinausgehen, die mit der aktuellen Körperverletzungshandlung verbunden sind (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; MüKoStGB/Hardtung § 225 Rn. 14; Hirsch NStZ 1996, 37; Wolfslast/Schmeissner JR 1996, 338, 339).
28
b) Ausgehend hiervon wird der Schuldspruch wegen acht Fällen der Misshandlung von Schutzbefohlenen im Sinne von § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB von den Feststellungen nicht getragen. Keine der geschilderten Gewalthandlungen hat zu länger andauernden oder sich wiederholenden Schmerzen geführt, die über die typischen Auswirkungen der festgestellten Körperverletzung hinausgegangen sind. Soweit das Landgericht – wie seine Ausführungen in der rechtlichen Würdigung nahelegen – davon ausgegangen ist, dass erst durch die Vielzahl der körperlichen Übergriffe ein Quälen im Sinne von § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB bewirkt worden ist, vermag dies nur eine Verurteilung wegen einer Misshandlung von Schutzbefohlenen, nicht aber einen Schuldspruch wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in acht – lediglich zu Gunsten des Angeklagten zu einer Tateinheit zusammengeführten (UA S. 45) – Fällen zu rechtfertigen.
29
Dessen ungeachtet begegnet auch eine Zusammenfassung aller festgestellten acht Einzeltaten zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die unter II. 7 der Urteilsgründe dargestellte erste konkretisierte Körperverletzungshandlung wurde zwischen Sommer 2005 und Sommer 2007 begangen. Tatzeit der unter II. 8 der Urteilsgründe festgestellten Körperverletzung ist der Sommer 2005. Der unter II. 1 der Urteilsgründe geschilderte körperliche Übergriff fand im Februar 2008 statt. Ab dem 28. November 2009 schlossen sich dann bis zum 30. Januar 2010 die unter II. 6 und II. 9 bis II. 12 festgestellten Körperverletzungen an. Der Begriff des Quälens in § 225 Abs. 1 StGB setzt zwar nicht notwendig voraus, dass zwischen den einzelnen Teilakten ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht. Intervalle von mehreren Tagen, bis hin zu einigen Wochen, können daher unschädlich sein, wenn das Gesamtgeschehen auf Grund anderer Umstände innerlich und äußerlich geschlossen bleibt (vgl. MüKoStGB/Hardtung § 225 Rn. 14; Warda in Festschrift Hirsch, 1999, S. 391, 395 f., 406 f.). Mehrere Monate oder sogar Jahre auseinander liegende Körperverletzungshandlungen werden in der Regel aber nicht mehr als eine einzige dem Opfer bereitete Qual verstanden werden können. Die allgemein gehaltene Feststellung des Landgerichts (UA S. 14), wonach der Angeklagte ab dem Jahr 2005 durchschnittlich einmal in der Woche seinen Sohn geschlagen hat, ist nicht hinreichend bestimmt, um die Annahme einer sich über mehr als vier Jahre hinziehenden tatbestandlichen Handlungseinheit zu rechtfertigen.
30
Schließlich sind auch die Erwägungen des Landgerichts zum inneren Tatbestand nicht tragfähig. Nach den Feststellungen ging es dem Angeklagten bei den einzelnen Taten stets darum, seinen Sohn R. für ein – aus seiner Sicht gegebenes – vorangegangenes Fehlverhalten körperlich zu züchtigen, um die von ihm angestrebten Erziehungsziele durchzusetzen (UA S. 7 und 13 f.). Dies spricht dafür, dass jeder Einzeltat ein anlassbezogener neuer Tatentschluss des Angeklagten zu Grunde lag (vgl. Hirsch NStZ 1996, 37). Ein übergreifender Vorsatz, der auf die Zufügung sich wiederholender und über die konkreten Tatfolgen hinausgehender erheblicher Schmerzen oder Leiden gerichtet ist, wird dadurch nicht belegt.
31
c) Die Aufhebung erfasst auch die an sich rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) in zwei Fällen zum Nachteil von A. N. . Das Landgericht hat jeweils Tateinheit angenommen und damit einen eine Teilaufhebung hindernden Zusammenhang hergestellt.
32
Die Feststellungen zum äußeren Tageschehen bleiben aufrechterhalten, weil sie auf einer sorgfältigen und rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhen und von der Gesetzesverletzung nicht berührt werden (§ 353 Abs. 2 StPO). Soweit der Angeklagte eine Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO geltend macht, weil die Akten eines früheren, die Zeugin A. N. betreffenden Scheidungsverfahrens nicht beigezogen worden sind, entspricht sein Vorbringen nicht den Erfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Eine zulässige Aufklärungsrüge setzt voraus, dass ein bestimmtes Beweismittel und ein bestimmtes zu erwartendes Beweisergebnis benannt werden (BGH, Beschluss vom 23. November 2004 – KRB 23/04, NJW 2005, 1381, 1382; KK-StPO/Fischer, 6. Aufl., § 244 Rn. 216). Die bloße Bezeichnung einer Akte und die Angabe, dass sich aus dieser Akte die Unwahrheit einzelner Angaben der Zeugin A. N. und das Vorliegen einer „tiefgreifenden psychischen Störung“ bei dieser Zeugin ergeben hätte, reicht dafür nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 29. August 1990 – 3 StR 184/90, NStZ 1990, 602).
33
Durch die Aufhebungen wird auch dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage entzogen.
Ernemann Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 414/18
vom
10. Oktober 2018
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Misshandlung eines Schutzbefohlenen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 10. Oktober 2018 einstimmig beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Detmold vom 8. Juni 2018 wird als unbegründet verworfen, da die
Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
ECLI:DE:BGH:2018:101018B4STR414.18.0

Ergänzend bemerkt der Senat:
Dass die Strafkammer die verschiedenen massiven Gewalthandlungen des Angeklagten zum Nachteil seines im Tatzeitraum zwei Monate alten Kindes nicht jeweils als ein rohes Misshandeln im Sinne des § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB bewertet hat (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 7. August 2018 – 4 StR 89/18, Rn. 4 mwN), beschwert den Angeklagten nicht. Durch die Feststellung, dass das Tatopfer in dem kurzen, insgesamt nur ca. einmonatigen Tatzeitraum infolge der wiederholten Gewalthandlungen des Angeklagten an länger andauernden, wiederkehrenden Schmerzen litt, was dem Angeklagten auch bewusst war und von ihm billigend in Kauf genommen wurde, wird auch ein Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB hinreichend belegt.
Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender (erheblicher) Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art. Es wird im Allgemeinen durch mehrere Tathandlungen bewirkt, wobei oft erst deren ständige Wiederholung den besonderen Unrechtsgehalt des Quälens verwirklicht. Die zugefügten Schmerzen oder Leiden müssen dabei über die typischen Auswirkungen einzelner Körperverletzungshandlungen hinausgehen und der Vorsatz des Täters sich auch hierauf erstrecken (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 – 3 StR 633/14, NStZ-RR 2015, 369, 370; Beschluss vom 24. Februar 2015 – 4 StR 11/15, StV 2016, 434; Beschluss vom 20. März 2012 – 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467; Beschluss vom 7. Dezember 2006 – 2 StR 470/06, Rn. 5 [insoweit in NStZ 2007, 720 nicht abgedruckt]). Das Erfordernis, dass die zugefügten Schmerzen oder Leiden über die typischen Auswirkungen der einzelnen Körperverletzungshandlungen hinausgehen müssen, ist dabei insbesondere dann von Bedeutung , wenn die einzelnen Körperverletzungshandlungen für sich genommen eher niederschwellig sind (vgl. den Sachverhalt in BGH, Beschluss vom 20. März 2012 – 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466 ff.) und erst deren ständige Wiederholung den gegenüber § 223 StGB gesteigerten Unrechtsgehalt ausmacht (vgl. BGH, Beschluss
vom 31. August 2016 – 4 StR 340/16, NStZ 2017, 282, 284 mwN). Bringt derTäter – wie hier – dem Tatopfer vorsätzlich in enger Folge mehrere schwere Verletzungen (zeitverschiedene handgelenksnahe Speichenfrakturen auf beiden Seiten, metaphysäre Kantenabrisse an beiden Oberschenkelknochen, Schlüsselbeinfraktur, Unterschenkelschaftfraktur am Schien- und Wadenbein, Hirngewebsverletzungen, tiefe Verbrühung am Mundboden u.a.) bei, die jeweils schon für sich zu länger dauernden und erheblichen Schmerzen führen, sodass die neu zugefügten Schmerzen und Leiden zu noch nicht oder gerade abgeklungenen Schmerzen und Leiden aus früheren Gewalthandlungen hinzutreten oder sich an diese anschließen, ist auch damit ein Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB gegeben.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke Quentin Feilcke

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 6 3 3 / 1 4
vom
23. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. Juli 2015,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Mayer,
Gericke
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 22. August 2014 mit den Feststellungen aufgehoben , soweit es die Angeklagte betrifft.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen und mit unterlassener Hilfeleistung zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Den Mitangeklagten E. hat es wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zur Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die (allein) gegen die Verurteilung der Angeklagten H. gerichtete Revision des Nebenklägers erstrebt deren Verurteilung wegen schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 3 StGB und rügt die Verletzung materiellen Rechts.
2
Das zulässige Rechtsmittel (§ 395 Abs. 1 Nr. 3, § 400 Abs. 1 StPO; vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 2001 - 3 StR 400/00, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 11 mwN) führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den Feststellungen, soweit es die Angeklagte betrifft.

I.


3
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen das Folgende festgestellt:
4
Am 1. März 2014 war der Mitangeklagte E. ab etwa 20 Uhr in seiner Wohnung alleine mit dem rund fünf Monate alten Säugling L. , dem leiblichen Sohn seiner damaligen Lebensgefährtin - der Angeklagten H. - aus einer früheren Beziehung. Als L. quengelte, holte der Mitangeklagte E. aus dem Schlafzimmer einen selbstgebastelten Schlagstock aus Eisen und schlug damit dem Säugling - um diesen zum Schweigen zu bringen - heftig je einmal auf die linke und auf die rechte Stirnseite des Kopfes. L. erlitt hierdurch beidseitig ein schweres Schädel/Hirn-Trauma mit ausgedehntem Knochenbruchsystem in beiden Scheitelregionen. Zudem erlitt er ein subdurales Hämatom, Einblutungen in tiefergelegene Hirnstrukturen sowie massive Hämatome an der rechten Kopfschwarte und im Stirnbereich. Aufgrund der Schläge wurde L. zumindest für kurze Zeit bewusstlos und litt an neurologischen Einschränkungen, sodass er sich entweder in einem Dämmerzustand befand oder längere Zeit bewusstlos war. Deswegen hörte er unmittelbar nach den Schlägen auf, Geräusche von sich zu geben. E. nahm L. daraufhin aus dem "Maxi-Cosi", in den ihn die Angeklagte gelegt hatte, und legte ihn in das Kinderbett.
5
Etwa zehn Minuten später kam auch die Angeklagte, die von einem Imbiss Essen geholt hatte, hinzu. Als sie feststellte, dass L. nicht mehr in dem "Maxi-Cosi" lag, fragte die Angeklagte nach seinem Verbleib. E. antwortete, dass L. gequengelt und er ihn ins Bett gelegt habe. Die Angeklagte schaute daraufhin kurz im Schlafzimmer nach. Zwar zeigten sich zu diesem Zeitpunkt schon die Folgen der Schläge bei L. , die Angeklagte bemerkte diese jedoch aufgrund der Verdunklung des Schlafzimmers nicht. Auch in der Folgezeit erkannte sie den Zustand des Kindes zunächst nicht.
6
Am nächsten Morgen gegen 05:45 Uhr erwachte die Angeklagte und wollte das Kind aus dem Bett heben. Dabei fiel ihr auf, dass sein Kopf anders als gewöhnlich aussah. Daraufhin legte sie L. aufs Bett und schaltete das Licht an. In der Folge stellte sie fest, dass der gesamte Kopf des Kindes angeschwollen war, die Stirnpartie sowie die Augen lila und blau unterlaufen waren. Als sie den Kopf anfasste, fühlte sich dieser unnormal weich an. Erschrocken rief sie nach dem Mitangeklagten E. und sagte, er solle sich L. anschauen , der Kopf sei weich und blau. Auf die Frage der Angeklagten, was passiert sei, antwortete E. , es sei nichts passiert und gab sich erstaunt über das Aussehen des Säuglings. Obgleich der Angeklagten sofort klar war, dass L. in ärztliche Behandlung musste, unternahm sie zunächst nichts. Sie hatte Angst, dass ihr - ginge sie ins Krankenhaus - das Kind weggenommen würde. Zudem vermutete sie eine Beteiligung von E. an den Verletzungen und wollte diesen möglicherweise schützen. Es besteht indes kein Anhalt für die Annahme , dass sie mit dem Tode des Kindes rechnete und ihn billigend in Kauf nahm. Die Angeklagte entschloss sich sodann, zunächst ihre Mutter zu kontaktieren , um diese um Rat zu bitten. Nachdem die Mutter jedoch nicht ans Telefon ging, begab sich die Angeklagte zurück zu L. in das Schlafzimmer.
7
Etwa gegen 08:30 Uhr gelang es der Angeklagten, ihre Mutter zu erreichen. Sie erzählte ihr wahrheitswidrig, sie sei mit L. auf der Treppe gestürzt und dieser sei nun am Kopf verletzt. Die Mutter kam daraufhin zur Wohnung gefahren, holte die Angeklagte und L. ab und brachte diesen in die Kinderklinik , wo er etwa gegen elf Uhr aufgenommen werden konnte. Das Kind war zu diesem Zeitpunkt ruhig und in einem Dämmerzustand, wenngleich es aufgrund der Schwellung unter Schmerzen litt. Seine Stirnpartie war stark angeschwollen und zeigte - wie auch im Bereich der Augen - eine bläulich/lila Verfärbung. Die Augen waren teilweise zugeschwollen.
8
Der Säugling musste rund drei Wochen in stationärer Behandlung bleiben. Er wurde einige Tage nach seiner Aufnahme am Kopf operiert, wobei die Impressionsfraktur behoben und die subduralen sowie die intrazerebralen Blutungsanteile ausgeräumt wurden. Nach seiner Entlassung entwickelte er sich altersgerecht, wenngleich er Entwicklungsverzögerungen im motorischen Bereich zeigt. Ob bei ihm dauerhafte Folgeschäden auftreten werden, ist (noch) nicht absehbar. In vergleichbaren Fällen kommt es bei etwa 40 Prozent der Kinder zu Folgeschäden bis hin zu massiven körperlichen und geistigen Behinderungen. Da bei der Operation ein Teil des beschädigten Gehirngewebes entfernt werden musste, besteht auch die Gefahr, dass sich eine Epilepsie entwickelt.
9
2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das Landgericht die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5, § 13 StGB in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB und mit unterlassener Hilfeleistung gemäß § 323c StGB schuldig gesprochen. Soweit das Landgericht bei der rechtlichen Würdigung § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nennt, handelt es sich ersichtlich um ein Schreibversehen, wie sich aus der Liste der angewendeten Vorschriften und dem allein auf § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB gestützten Schuldspruch gegen den Mitangeklagten E. ergibt.

II.


10
Das Urteil gegen die Angeklagte hat auf die Revision des Nebenklägers keinen Bestand, da es sowohl zu ihrem Vorteil als auch zu ihrem Nachteil durchgreifende Rechtsfehler enthält; letzteres ist auf die Revision des Nebenklägers ebenfalls zu berücksichtigen (§ 301 StPO entsprechend; vgl. § 401 Abs. 3 Satz 1 StPO).
11
1. Wie der Nebenkläger zu Recht beanstandet, hat das Landgericht zum Vorteil der Angeklagten rechtsfehlerhaft nicht geprüft, ob sie den Verbrechenstatbestand gemäß § 225 Abs. 3 Nr. 1 und 2 StGB - gegebenenfalls durch Unterlassen - verwirklicht hat, obwohl es von einer durch die Angeklagte begangenen Tat gemäß § 225 Abs. 1 StGB ausgegangen und nach den Feststellungen des Landgerichts die Verwirklichung aller Alternativen des Qualifikationstatbestandes jedenfalls nicht ausgeschlossen ist. Dies führt wegen der Einheitlichkeit der Tat zur Aufhebung des Urteils insgesamt, soweit es die Angeklagte betrifft. Ohne Belang ist insoweit, dass die tateinheitliche ausgeurteilte unterlassene Hilfeleistung kein Nebenklagedelikt ist (vgl. § 395 Abs. 1 bis 3 StPO).
12
Im Einzelnen:
13
Der Verbrechenstatbestand des § 225 Abs. 3 StGB setzt voraus, dass der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat, also durch einen Angriff im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB, in die konkrete Gefahr des Todes, einer schweren Gesundheitsbeschädigung (Nr. 1; vgl. S/S-Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 225 Rn. 19 ff.) oder in die konkrete Gefahr einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung bringt (Nr. 2). Entscheidend ist danach, dass eine der in § 225 Abs. 1 StGB umschriebenen tatbe- standlichen Handlungen die naheliegende Möglichkeit begründet, sie werde zu den in den Alternativen des § 225 Abs. 3 StGB genannten Weiterungen führen (vgl. LK/Hirsch, StGB, 11. Aufl., § 225 Rn. 24). Unter schweren Gesundheitsbeschädigungen im Sinne der Nummer 1 sind solche Gesundheitsschäden zu verstehen, die mit einer anhaltenden nachhaltigen Beeinträchtigung der physischen oder psychischen Leistungsfähigkeit verbunden sind oder in einer lebensbedrohenden , qualvollen oder ernsten und langwierigen Krankheit bestehen. Die in der Nummer 2 genannte erhebliche Entwicklungsschädigung erfordert , dass der normale Ablauf des körperlichen oder seelischen Entwicklungsprozesses dauernd oder nachhaltig gestört ist (vgl. LK/Hirsch, aaO, Rn. 25 mwN). Handelt es sich um eine Unterlassungstat, so begründet der Täter die tatbestandlich vorausgesetzte konkrete Gefahr, wenn er deren Entstehen durch sein Eingreifen hätte abwenden können. Auch wenn vor der Tat bereits Schäden oder die Gefahr von Schäden im Sinne der Qualifikation gemäß § 225 Abs. 3 StGB bestehen, kann der Tatbestand gleichwohl verwirklicht werden. Zur Hervorrufung ("bringen") der für den qualifizierten Fall vorausgesetzten Gefahren ist dann aber erforderlich, dass die Tat die Gefahr verursacht, die bereits vorhandenen oder zu befürchtenden Schäden in erheblichem Maß zu vergrößern bzw. die wegen einer bereits gegebenen individuellen Schadensdisposition bestehenden Gefahren messbar zu steigern (vgl. S/S-Stree/SternbergLieben , aaO, Rn. 22; BeckOK-StGB/Eschelbach, § 225 Rn. 33). In subjektiver Hinsicht ist bezüglich der Verursachung der tatbestandlichen Gefahren des qualifizierten Falles (zumindest bedingter) Vorsatz erforderlich.
14
Das Vorliegen dieser tatbestandlichen Voraussetzungen kann im vorliegenden Fall nicht abschließend beurteilt werden, da das Landgericht keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob und ggf. wie sich die durch den Mitangeklagten E. bewirkten Verletzungen des Kindes während der Zeit, in der die Angeklagte eine ärztliche Versorgung pflichtwidrig unterlassen hat, hinsichtlich der tatbestandlichen Gefahren entwickelt haben. Eine wesentliche Gefahrerhöhung im Sinne von § 225 Abs. 3 StGB in diesem Zeitraum kann indes - vor allem mit Blick auf das bestehende subdurale Hämatom und die Einblutungen in die Hirnstrukturen - auch nicht ausgeschlossen werden.
15
2. Der Schuldspruch ist indes auch zum Nachteil der Angeklagten rechtsfehlerhaft. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils, das keinerlei Subsumtion enthält, belegen - neben dem unzweifelhaft bestehenden Schutzverhältnis zwischen der Angeklagten und ihrem Sohn - keine der in den Tatbestandsalternativen des § 225 Abs. 1 StGB bezeichneten Tathandlungen hinreichend und tragen daher die Verurteilung der Angeklagten wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen nicht.
16
Im Einzelnen:
17
Das Quälen, das rohe Misshandeln und die böswillige Fürsorgepflichtverletzung sind selbständige Begehungsformen der Misshandlung Schutzbefohlener gemäß § 225 Abs. 1 StGB. Die beiden Tatalternativen des Quälens und des Misshandelns können durch aktives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen begangen werden. Bei der Alternative des böswilligen Vernachlässigens der Fürsorgepflicht handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 15).
18
a) Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender (erheblicher) Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art. Es wird im Allgemeinen durch mehrere Tathandlungen bewirkt, wobei oft erst deren ständige Wiederholung den be- sonderen Unrechtsgehalt des Quälens verwirklicht (BGH, Urteile vom 30. März 1995 - 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115; vom 17. Juli 2007 - 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306). Die zugefügten Schmerzen oder Leiden müssen über die typischen Auswirkungen einzelner Körperverletzungshandlungen hinausgehen. Ist dies der Fall, so kann Quälen durch Unterlassen allerdings auch dadurch verwirklicht werden, dass die gebotene ärztliche Hilfe durch die Eltern des Kindes nicht veranlasst wird (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 17). In subjektiver Hinsicht ist es erforderlich, dass der Täter den Vorsatz hat, dem Opfer erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, die über die typischen Auswirkungen hinausgehen, die mit der aktuellen Körperverletzungshandlung verbunden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2012 - 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467 mwN). Diese tatbestandlichen Voraussetzungen belegen die Feststellungen weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht. Die Angeklagte hat dadurch, dass sie es nach dem Erkennen der schweren Verletzung ihres Kindes über mehrere Stunden pflichtwidrig unterlassen hat, den Säugling einer ärztlichen Versorgung zuzuführen, nach den bisherigen Feststellungen bei diesem keine Schmerzen oder Leiden im Sinne von § 225 Abs. 1 Alternative 1 StGB verursacht, die über die Folgen der durch den Mitangeklagten E. begangenen Körperverletzung des Säuglings und ihrer eigenen, durch das pflichtwidrige Unterlassen an dem Kind begangenen Körperverletzung hinausgingen. Den Urteilsgründen ist auch nicht zu entnehmen, dass die Angeklagte einen entsprechenden Vorsatz hatte.
19
b) Rohes Misshandeln im Sinne der Vorschrift liegt vor, wenn der Täter einem anderen eine Körperverletzung aus gefühlloser Gesinnung zufügt, die sich in erheblichen Handlungsfolgen äußert. Eine gefühllose Gesinnung ist gegeben , wenn der Täter bei der Misshandlung das - notwendig als Hemmung wirkende - Gefühl für das Leiden des Misshandelten verloren hat, das sich bei jedem menschlich und verständlich Denkenden eingestellt haben würde (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2007 - 5 StR 44/07, NStZ 2007, 405 mwN). Dass die Angeklagte die durch ihr pflichtwidriges Unterlassen begangene Körperverletzung des Kindes aus einer solchen Gesinnung heraus begangen hat, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Vielmehr war nach den bisherigen Feststellungen nicht Gefühllosigkeit der Grund für ihr pflichtwidriges Verhalten gegenüber ihrem Säugling, sondern die Furcht, bei Aufsuchen eines Krankenhauses das Kind zu verlieren und möglicherweise der Wille, ihren Lebensgefährten , den Mitangeklagten E. , zu schützen, da sie dessen Beteiligung an den schweren Verletzungen des Kindes vermutete.
20
c) Die Misshandlung eines Schutzbefohlenen ist schließlich auch gegeben , wenn der Täter durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für die schutzbedürftige Person zu sorgen, diese an der Gesundheit schädigt. Böswillig handelt, wer seine Pflicht für einen anderen zu sorgen, aus einem verwerflichen Beweggrund vernachlässigt (vgl. LK/Hirsch, aaO, Rn. 18). Das Gesinnungsmerkmal der Böswilligkeit ist gekennzeichnet durch feindseliges Verhalten aus Bosheit, Lust an fremdem Leid, Hass und anderen verwerflichen Gründen, etwa auch aus Geiz und Eigensucht. Gleichgültigkeit, Abgestumpftheit oder Schwäche sowie Überforderung wegen mangelnder Reife reichen hingegen in der Regel nicht aus (vgl. LK/Hirsch, aaO). Bei der Prüfung von Böswilligkeit, die eine Erforschung der Motive des Täters erfordert, sind psychopathologische Befunde, wie Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen zu berücksichtigen (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 24 ff. mwN). Daran gemessen ist auch die Verwirklichung dieser Tatbestandsalternative durch die Angeklagte jedenfalls nicht hinreichend belegt. Die festgestellten Motive der Angeklagten für ihr pflichtwidriges Verhalten - die Angst, ihr werde das Kind weggenommen und der Schutz ihres Freundes, des Mitangeklagten E. - sind jedenfalls nicht ohne weiteres unter das Merkmal der Böswilligkeit zu subsumieren, zumal das Landgericht sie auch nicht entsprechend, etwa als selbstsüchtig und verwerflich , bewertet hat.
21
3. Der Senat weist den neuen Tatrichter darauf hin, dass er alle in Tateinheit mit dem Nebenklagedelikt stehenden Delikte - auch Offizialdelikte - erneut zu prüfen haben wird (vgl. BGH, Urteil vom 9. November 1993 - 5 StR 539/93, BGHSt 39, 390, 391; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 400 Rn. 7a mwN). Hinsichtlich der tateinheitlich abgeurteilten unterlassenen Hilfeleistung gemäß § 323c StGB gilt, dass diese regelmäßig als subsidiär hinter einer durch Unterlassen begangenen gefährlichen Körperverletzung und/oder der Misshandlung eines Schutzbefohlenen zurücktritt bzw. von diesen verdrängt wird (vgl. MüKoStGB/Freund, 2. Aufl., § 13 Rn. 289, 291, § 323c Rn. 125 ff.).
Becker Pfister Hubert RiBGH Mayer befindet sich Gericke im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 561/11
vom
20. März 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 20. März 2012 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 8. Juli 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen sexueller Nötigung in zwei Fällen (II. 4 und II. 5 der Urteilsgründe) verurteilt worden ist,
b) soweit der Angeklagte wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen tateinheitlich in acht Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung (II. 1, II. 6 bis II. 12 der Urteilsgründe) verurteilt worden ist. Hiervon ausgenommen bleiben die Feststellungen zum äußeren Sachverhalt ,
c) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „sexueller Nötigung (Vergewaltigung )“ in zwei Fällen, Bedrohung, gefährlicher Körperverletzung und wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen tateinheitlich in acht Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat in dem tenorierten Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Die Verurteilung des Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen nach § 177 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 1 StGB in den Fällen II. 4 und II. 5 der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
1. Nach den Feststellungen lebten der aus dem Iran stammende Angeklagte und seine deutsche Ehefrau, die Zeugin A. N. , anfänglich in einer harmonischen Beziehung. Dem Angeklagten gefiel, dass sich A. N. erfolgreich darum bemühte, die persische Sprache zu erlernen und von ihrem alten Bekanntenkreis lossagte. Nach der Geburt des zweiten Kindes änderte der Angeklagte sein Verhalten. Er zeigte sich leicht reizbar und nahm alltägliche Belanglosigkeiten zum Anlass, A. N. zu beschimpfen und zu beleidigen. Ab dem Jahr 2000 kam es auch zu tätlichen Übergriffen. Diese ereigneten sich insbesondere dann, wenn sich A. N. dem Willen des Angeklagten widersetzte oder eine abweichende Meinung äußerte.
A. N. lebte seit dieser Zeit in ständiger Angst und in der Erwartung neuerlicher Übergriffe.
4
a) An einem Abend im Sommer 2009 äußerte der Angeklagte gegenüber A. N. in der gemeinsamen Ehewohnung den Wunsch, mit ihr den Analverkehr auszuüben. Obwohl sie sein Ansinnen entschieden ablehnte, holte der Angeklagte eine Fettcreme aus dem Badezimmer und begab sich zu A. N. , die sich bereits auf einer Schlafcouch im Wohnzimmer zum Schlafen niedergelegt hatte. Als der Angeklagte erneut kundtat, jetzt den Analverkehr durchführen zu wollen, lehnte A. N. dies wiederum ab und fügte hinzu, dass eine Ausübung des Analverkehrs gegen ihren Willen eine Vergewaltigung sei. Der Angeklagte gab A. N. daraufhin zu verstehen , dass sie sich nicht so anstellen solle und zog ihr die Schlafanzughose herunter. A. N. sah in dieser Situation keine Möglichkeit mehr, sich dem Willen des Angeklagten zu widersetzen. Für den Fall einer Gegenwehr rechnete sie mit Schlägen. Außerdem befürchtete sie, dass dann die beiden gemeinsamen Kinder erwachen und ebenfalls Opfer von Tätlichkeiten des Angeklagten werden könnten. Der Angeklagte vollzog nun mit der weinenden und sich vor Schmerzen windenden A. N. den Analverkehr bis zum Samenerguss. Dabei drückte er sie so an eine Wand, dass sie sich aus ihrer Position nicht befreien konnte. Bei alldem ging der Angeklagte davon aus, dass A. N. den Analverkehr nur deshalb ohne Gegenwehr erduldete, weil sie unter dem Eindruck der regelmäßig stattfindenden Übergriffe keine Chance sah, sich seinem Willen zu widersetzen und Angst um ihre eigene körperliche Unversehrtheit und die ihrer Kinder hatte. Im Fall einer Gegenwehr wäre der Angeklagte auch gewillt gewesen, sein Vorhaben mit Gewalt durchzusetzen. A. N. hatte bis zum nächsten Tag Schmerzen beim Sitzen und erlitt eine Blutung im Analbereich (Fall II. 4 der Urteilsgründe).
5
Wenige Monate nach diesem Vorfall kehrte der Angeklagte mit A. N. von einem gemeinsamen Restaurantbesuch in die Ehewohnung zurück. Während des gesamten Tages herrschte eine harmonische und ausgelassene Stimmung. Nachdem sich A. N. bereits schlafen gelegt hatte, trat der Angeklagte zu ihr an die Schlafcouch und kündigte an, ein weiteres Mal den Analverkehr mit ihr ausüben zu wollen. A. N. begann zu weinen und lehnte die Durchführung des Analverkehrs unter Hinweis auf die damit für sie verbundenen Schmerzen ab. Der Angeklagte erwiderte, dass Sex wehtun müsse, zog A. N. die Schlafanzughose aus und vollzog mit ihr den Analverkehr. A. N. verzichtete auf eine Gegenwehr, weil sie auch diesmal - trotz des harmonischen Tages - mit Gewalttätigkeiten des Angeklagten rechnete. Dem Angeklagten war bewusst, dass er nur deshalb keinen Widerstand zu erwarten hatte, weil ihn A. N. als einen Menschen kennengelernt hatte, der seine Wünsche notfalls unter Zuhilfenahme von Gewalt durchsetzt. Da sich A. N. vor Schmerzen hin und her wandte, glitt der Angeklagte mit seinem Penis aus ihrem After heraus. Obgleich er hierüber sehr erzürnt war, ließ er entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten von ihr ab und sprach in der Folgezeit kein Wort mehr (Fall II. 5 der Urteilsgründe).
6
b) Das Landgericht hat angenommen, dass sich A. N. in beiden Fällen in einer schutzlosen Lage im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB befand, weil sie auf Grund äußerer und in ihrer Person liegender Faktoren keine effektive Möglichkeit hatte, sich der Einwirkung des Angeklagten zu entziehen oder erfolgversprechend Widerstand zu leisten. In der ehelichen Wohnung hielten sich neben A. N. und dem Angeklagten jeweils nur die gemeinsamen neun und zehn Jahre alten Kinder auf. Der Angeklagte war ihr und den Kindern körperlich überlegen. Auf Grund ihrer Gewalterfahrungen lebte A. N. in ständiger Furcht vor neuen Übergriffen und verfügte nur über ein geringes Selbstbewusstsein. Es fiel ihr deshalb schwer, dem Willen des Angeklagten etwas entgegen zu setzen. Diese Lage wurde von dem Angeklagten bewusst ausgenutzt. Eine Gewaltanwendung (§ 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB) oder eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB) hat das Landgericht nicht feststellen können. Soweit A. N. von dem Angeklagten bei der Ausführung des Analverkehrs gegen eine Wand gedrückt wurde, ist das Landgericht davon ausgegangen, dass dadurch nicht der sexuelle Kontakt erzwungen werden sollte (UA S. 42).
7
2. Die Feststellungen belegen in beiden Fällen nicht, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB gegeben sind.
8
a) Der objektive Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt voraus, dass sich das Opfer in einer Lage befindet, in der es über keine effektiven Schutz- oder Verteidigungsmöglichkeiten mehr verfügt und deshalb nötigender Gewalt des Täters ausgeliefert ist (vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2007 – 4 StR 345/06, NJW 2007, 2341, 2343; Urteil vom 3. November 1998 – 1 StR 521/98, BGHSt 44, 228, 231 f.; MüKoStGB/Renzikowski, 2. Aufl., § 177 Rn. 43; LK/Hörnle, 12. Aufl., § 177 Rn. 98; SSW-StGB/Wolters § 177 Rn. 18 mwN). Hiervon ist auszugehen, wenn das Opfer bei objektiver ex-anteBetrachtung keine Aussicht hat, sich den als mögliche Nötigungsmittel in Betracht zu ziehenden Gewalthandlungen des Täters zu widersetzen, sich seinem Zugriff durch Flucht zu entziehen oder fremde Hilfe zu erlangen. Dazu ist eine Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände vorzunehmen, bei der neben den äußeren Gegebenheiten (Beschaffenheit des Tatortes, Vorhandensein von Fluchtmöglichkeiten, Erreichbarkeit fremder Hilfe etc.) auch das individuelle Vermögen des Tatopfers zu wirksamem Widerstand oder erfolgreicher Flucht und die Fähigkeit des Täters zur Anwendung von nötigender Gewalt in den Blick zu nehmen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 2011 – 3 StR 359/11 Rn. 5 und 7; Urteil vom 25. Januar 2006 – 2 StR 345/05, BGHSt 50, 359, 362 f.; Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 44).
9
b) Den sich hieraus ergebenden Anforderungen hat das Landgericht nicht hinreichend Rechnung getragen. Bei der von ihm vorgenommenen Gesamtbewertung sind wichtige Gesichtspunkte außer Ansatz geblieben.
10
So hat sich das Landgericht in beiden Fällen nicht mit eventuell gegebenen Fluchtmöglichkeiten von A. N. auseinandergesetzt. Die Tatsache , dass sich A. N. jeweils allein mit dem Angeklagten im Wohnzimmer der Familienwohnung befand und von den schlafenden Kindern keine Hilfe erwarten konnte, belegt für sich genommen noch nicht, dass es ihr nicht möglich war, sich dem Angeklagten durch Flucht zu entziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juli 2004 – 4 StR 229/04, NStZ 2005, 267 Rn. 2; Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 44; MüKoStGB/ Renzikowski, 2. Aufl., § 177 Rn. 44; Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder 28. Aufl., § 177 Rn. 9). Konkrete Feststellungen zu den räumlichen Gegebenheiten in der Wohnung und zum Schließzustand der Türen hat das Landgericht nicht getroffen. Die mitgeteilten Begleitumstände legen es in beiden Fällen nicht nahe, dass der Angeklagte vorab darauf bedacht gewesen sein könnte, eventuelle Fluchtwege durch entsprechende Vorkehrungen zu versperren. Im Fall II. 4 der Urteilsgründe ließ er A. N. zunächst allein im Wohnzimmer zurück , nachdem er bereits angekündigt hatte, den Analverkehr durchführen zu wollen und auch ihren entgegenstehenden Willen kannte (UA S. 10). Im Fall II. 5 der Urteilsgründe herrschte zwischen den Eheleuten bis zur Tatsituation eine ausgelassene und harmonische Stimmung, die A. N. an den Beginn ihrer Beziehung erinnerte (UA S. 11).
11
Zudem hätte sich das Landgericht auch eingehend mit der Frage befassen müssen, ob es A. N. in zumutbarer Weise möglich war, durch Schreie oder andere Geräusche fremde Hilfe zu erlangen. Die Feststellung, dass sie bei einer Gegenwehr mit Schlägen des Angeklagten rechnete und alles unterließ, was ihre Kinder wecken konnte, damit nicht auch sie Opfer befürchteter Übergriffe des Angeklagten werden (UA S. 10), belegt nur, dass sich A. N. schutzlos fühlte, weil sie keinen Weg sah, Dritte ohne Risiko für sich selbst und ihre Kinder auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Ob und inwieweit ihre Befürchtungen tatsächlich berechtigt waren und siedeshalb – woraufes hier maßgeblich ankommt – auch bei objektiver Betrachtung (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 2011 – 3 StR 359/11, Rn. 7; Urteil vom 25. Januar 2006 – 2 StR 345/05, BGHSt 50, 359, 362 f.; a.A. MüKoStGB/ Renzikowski, 2. Aufl., § 177 Rn. 44 mwN) keine Möglichkeit hatte, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen, hat das Landgericht nicht geprüft, obgleich hierzu Anlass bestand. Die Eheleute wohnten in einem Mehrfamilienhaus. Der Nachbarin Ar. war auf Grund von Gesprächen schon seit 2007/2008 bekannt, dass A. N. unter gewalttätigen Übergriffen des Angeklagten litt (UA S. 13). Auch die Nachbarin P. wusste um die bestehenden Eheschwierigkeiten (UA S. 13). Wie sich aus den zu Fall II. 11 getroffenen Feststellungen ergibt, haben beide bei anderer Gelegenheit sofort an der Wohnungstür geklingelt, als sie aus der Wohnung Schreie des von dem Angeklagten misshandelten Sohnes R. hörten. Anschließend verständigten sie die Polizei. Als der Angeklagte durch A. N. hiervon erfuhr, ließ er sofort von R. ab und bemühte sich stattdessen um eine Verheimlichung des Vorgefallenen (UA S. 16). Danach versteht es sich nicht von selbst, dass Hilferufe ohne Resonanz geblieben wären und der Angeklagte hierauf tatsächlich mit Schlägen reagiert hätte. Sein Verhalten im Fall II. 11 der Urteilsgründe lässt auch die Möglichkeit offen, dass er aus Angst vor einer durch die Rufe erzeugten Aufmerksamkeit der Nachbarn und einer möglichen Verständigung der Polizei von seinem Vorhaben Abstand genommen und ohne tätlich zu werden versucht hätte, den Vorfall nicht bekannt werden zu lassen. Schließlich findet sich auch für die Annahme, der Angeklagte könnte die durch Geräusche geweckten Kinder schlagen, im Urteil keine ausreichende Tatsachengrundlage. Nach den Feststellungen wurde von dem Angeklagten nur der gemeinsame Sohn R. vielfach misshandelt, wobei er dies für eine Form der Erziehung hielt und damit jeweils auf vorheriges Fehlverhalten reagierte. Übergriffe zum Nachteil der Tochter B. werden im Urteil an keiner Stelle geschildert. Stattdessen ist davon die Rede, dass B. N. von dem Angeklagten verwöhnt und bevorzugt wurde (UA S. 13).
12
Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
13
3. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:
14
Eine sexuelle Nötigung durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB) begeht auch, wer eine sexuelle Handlung erzwingt, indem er durch ein schlüssiges Verhalten auf frühere Gewaltanwendungen hinweist oder frühere Drohungen konkludent bekräftigt (Nachweise bei Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder 28. Aufl., § 177 Rn. 7). Dabei kann auch Gewalt, die der Täter zuvor aus anderen Gründen angewendet hat, als gegenwärtige Drohung mit nötigendem körperlichem Zwang fortwirken. Der objektive Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist deshalb auch dann verwirklicht, wenn eine Gesamtschau aller maßgeblichen Umstände ergibt, dass der Täter gegenüber dem Opfer durch häufige Schläge ein Klima der Angst und Einschüchterung geschaffen hat (BGH, Beschluss vom 1. Juli 2004 – 4 StR 229/04, NStZ 2005, 267, 268; Urteil vom 6. Juli 1999 – 1 StR 216/99, NStZ 1999, 505; Urteil vom 31. August 1993 – 1 StR 418/93, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 8; vgl. Beschluss vom 5. April 1989 – 2 StR 557/88, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 5) und das Opfer die ihm abverlangten sexuellen Handlungen nur deshalb duldet, weil es auf Grund seiner Gewalterfahrungen mit dem Täter befürchtet, von ihm erneut körperlich misshandelt zu werden, falls es sich seinem Willen nicht beugt (BGH, Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 43; Beschluss vom 5. April 1989 – 2 StR 557/88, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 5; Beschluss vom 15. März 1984 – 1 StR 72/84, StV 1984, 330, 331). In subjektiver Hinsicht setzt § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB in diesen Fällen voraus, dass der Täter die von seinem Vorverhalten ausgehende latente Androhung weiterer Misshandlungen in ihrer aktuellen Bedeutung für das Opfer erkennt und als Mittel zur Erzwingung der sexuellen Handlungen einsetzt (BGH, Beschluss vom 1. Juli 2004 – 4 StR 229/04, NStZ 2005, 267, 268; Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 43; Beschluss vom 26. Februar 1986 – 2 StR 76/86, NStZ 1986, 409; Beschluss vom 15. März 1984 – 1 StR 72/84, StV 1984, 330, 331).

II.


15
Auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen tateinheitlich in acht Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung gemäß den § 223 Abs. 1, § 225 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1, § 52 StGB begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
16
1. Nach den Feststellungen schlug der Angeklagte seinen am 18. Dezember 1998 geborenen Sohn R. schon im Kleinkindalter mit der flachen Hand. Nach der Einschulung im Jahr 2005 begann er damit, seinen Sohn auch mit einem Pantoffel oder einem Gürtel zu schlagen. Der Angeklagte verstand diese Misshandlungen als körperliche Züchtigung und glaubte auf diese Weise, seine Erziehungsziele (Gehorsam, Disziplin und schulischer Erfolg) durchsetzen zu können. Durchschnittlich kam es einmal in der Woche zu einem Übergriff. Außerdem belegte der Angeklagte seinen Sohn R. vielfach mit herabsetzenden Äußerungen, die sich insbesondere auf seine Leibesfülle und seine schulischen Leistungen bezogen. R. N. litt unter den Misshandlungen und dem erniedrigenden Verhalten des Angeklagten so sehr, dass er Mitte des Jahres 2009 von seiner Mutter die Trennung von dem Angeklagten forderte und seine Selbsttötung androhte. Im Einzelnen hat das Landgericht der Verurteilung folgende Übergriffe zugrunde gelegt:
17
(1) An einem nicht mehr näher bestimmbaren Tag zwischen Sommer 2005 und Sommer 2007 warf der Angeklagte seinen Sohn R. auf den Boden des Kinderzimmers, weil er sich über eine Belanglosigkeit im Zusammenhang mit dem Schulbesuch geärgert hatte. Anschließend schleifte er ihn an den Beinen durch den Raum, wobei das Gesicht von R. N. über denTeppich gezogen wurde. Dieser erlitt dadurch eine Schürfwunde am Auge (Fall II. 7 der Urteilsgründe).
18
(2) An einem nicht mehr näher bestimmbaren Tag im Sommer 2005 stieß der Angeklagte seinen Sohn R. zu Boden und zog ihn anschließend an einem Ohr nach oben, weil er in der Schule sein Pausenbrot mit einem farbigen Mitschüler getauscht hatte (Fall II. 8 der Urteilsgründe).
19
(3) Im Februar 2008 schlug der Angeklagte seinem Sohn R. mehrfach mit den bloßen Händen auf den Oberkörper, nachdem eine Mathematik- arbeit mit „ungenügend“ bewertet worden war. Als sich A. N. zwi- schen den Angeklagten und den gemeinsamen Sohn stellte, verdrehte ihr der Angeklagte zur Strafe die linke Hand. A. N. erlitt dadurch eine Bänderdehnung, die ärztlich behandelt werden musste (Fall II. 1 der Urteilsgründe ).
20
(4) Am Morgen des 28. November 2009 würgte der Angeklagte seine Ehefrau A. N. aus Wut über den am Vortag nicht zu Ende geführten Analverkehr bis zur Luftnot. Als R. N. den Versuch unternahm, den Angeklagten von seiner Mutter wegzuziehen, verdrehte ihm der Angeklagte den Arm und stieß ihn in schmerzhafter Art und Weise weg (Fall II. 6 der Urteilsgründe

).


21
(5) Im Dezember 2009 drückte der Angeklagte seinem SohnR. beim Schneiden der Haare die Spitze der Friseurschere in die Kopfhaut, weil sich R. zuvor über einen unabsichtlichen Schnitt in das Ohr beklagt hatte. R. N. erlitt starke Schmerzen und begann zu weinen (Fall II. 9 der Urteilsgründe ).
22
(6) Am 19. Januar 2010 stellte sich der Angeklagte mit einem Fuß auf den Brustkorb des am Boden liegenden R. und trat ihm zweimal in das Gesicht. Der Angeklagte reagierte damit auf die Weigerung seines Sohnes, weiter Sport zu treiben. Bei den Tritten trug der Angeklagte Badeschuhe (Fall II. 10 der Urteilsgründe).
23
(7) Am 25. Januar 2010 versetzte der Angeklagte seinem Sohn R. mindestens fünf Schläge mit einem Hosengürtel auf die Beine und den Oberkörper , weil er bei dem Fertigen der Hausaufgaben Strichmännchen mit Geschlechtsmerkmalen gezeichnet hatte. Als R. laut zu schreien begann, klingelten die Nachbarinnen Ar. und P. gemeinsam an der Wohnungstür der Familie N. und verständigten die Polizei. Als der Angeklagte hiervon durch A. N. erfuhr, ließ er von seinem Sohn R. ab und drohte ihm an, dass er in ein Heim komme, wenn er von den Schlägen berichte (Fall II. 11 der Urteilsgründe).
24
(8) Am 30. Januar 2010 schlug der Angeklagte mehrfach mit der flachen Hand auf seinen Sohn ein, weil er aus seiner Sicht unnötige Telefonkosten verursacht hatte. Als A. N. intervenierte und den Angeklagten fragte, ob der vorangegangene Vorfall mit der Polizei nicht genug gewesen sei, ließ er von R. ab (Fall II. 12 der Urteilsgründe).
25
Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte durch die in den Fällen II. 1 und II. 6 bis II. 12 der Urteilsgründe festgestellten Körperverletzungshandlungen zum Nachteil seines Sohnes R. das Tatbestandsmerkmal des Quälens im Sinne von § 225 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 StGB verwirklicht hat. Dabei ist das Landgericht zugunsten des Angeklagten von einer „deliktischen Einheit der Geschehnisse im Sinne einer tatbestandlichen Handlungseinheit“ (UA S. 45) ausgegangen. Zur Begründung hat es auf die Identität des Geschädigten , die Kontinuität der Tatsituationen und die ohne Zäsur vorhandene gefühllose , das Leiden von R. missachtende Erziehungsmotivation des Angeklagten abgestellt. Danach lag bei dem Angeklagten ein den gesamten Tatzeitraum überspannender Vorsatz vor, seinen Sohn R. bei gegebenem Anlass körperlich zu züchtigen, um das eigene Wertesystem durchzusetzen. Die in den Fällen II. 1 und 6 der Urteilsgründe begangenen Körperverletzungen zum Nachteil von A. N. stünden hierzu in Tateinheit.
26
2. Hiergegen bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.
27
a) Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender Schmerzen oder Leiden (BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; Urteil vom 6. Dezember 1995 – 2 StR 465/95, NStZ-RR 1996, 197; Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115), die über die typischen Auswirkungen der festgestellten einzelnen Körperverletzungshandlungen hinausgehen (BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2006 – 2 StR 470/06). Mehrere Körperverletzungshandlungen , die für sich genommen noch nicht den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB erfüllen, können als ein Quälen im Sinne dieser Vorschrift zu beurteilen sein, wenn erst die ständige Wiederholung den gegenüber § 223 StGB gesteigerten Unrechtsgehalt ausmacht. In diesem Fall werden die jeweiligen Einzelakte zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit und damit einer den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB verwirklichenden Tat zusammengefasst (BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; vgl. Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115; Warda in Festschrift Hirsch, 1999, S. 391, 395 f., 400; Wolfslast/Schmeissner JR 1996, 338). Ob sich mehrere Körperverletzungen zu einer als Quälen zu bezeichnenden Tathandlung zusammenfügen, ist auf Grund einer Gesamtbetrachtung zu entscheiden. Regelmäßig wird es dabei erforderlich sein, dass sich die festgestellten einzelnen Gewalthandlungen als ein äußerlich und innerlich geschlossenes Geschehen darstellen. Dabei sind räumliche und situative Zusammenhänge, zeitliche Dichte oder eine sämtliche Einzelakte prägende Gesinnung mögliche Indikatoren (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; Warda in Festschrift Hirsch, 1999, S. 391, 395 f., 406 ff.). In subjektiver Hinsicht ist es erforderlich, dass der Täter bei jeder Einzelhandlung den Vorsatz hat, dem Opfer sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, die über die typischen Verletzungsfolgen hinausgehen, die mit der aktuellen Körperverletzungshandlung verbunden sind (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; MüKoStGB/Hardtung § 225 Rn. 14; Hirsch NStZ 1996, 37; Wolfslast/Schmeissner JR 1996, 338, 339).
28
b) Ausgehend hiervon wird der Schuldspruch wegen acht Fällen der Misshandlung von Schutzbefohlenen im Sinne von § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB von den Feststellungen nicht getragen. Keine der geschilderten Gewalthandlungen hat zu länger andauernden oder sich wiederholenden Schmerzen geführt, die über die typischen Auswirkungen der festgestellten Körperverletzung hinausgegangen sind. Soweit das Landgericht – wie seine Ausführungen in der rechtlichen Würdigung nahelegen – davon ausgegangen ist, dass erst durch die Vielzahl der körperlichen Übergriffe ein Quälen im Sinne von § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB bewirkt worden ist, vermag dies nur eine Verurteilung wegen einer Misshandlung von Schutzbefohlenen, nicht aber einen Schuldspruch wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in acht – lediglich zu Gunsten des Angeklagten zu einer Tateinheit zusammengeführten (UA S. 45) – Fällen zu rechtfertigen.
29
Dessen ungeachtet begegnet auch eine Zusammenfassung aller festgestellten acht Einzeltaten zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die unter II. 7 der Urteilsgründe dargestellte erste konkretisierte Körperverletzungshandlung wurde zwischen Sommer 2005 und Sommer 2007 begangen. Tatzeit der unter II. 8 der Urteilsgründe festgestellten Körperverletzung ist der Sommer 2005. Der unter II. 1 der Urteilsgründe geschilderte körperliche Übergriff fand im Februar 2008 statt. Ab dem 28. November 2009 schlossen sich dann bis zum 30. Januar 2010 die unter II. 6 und II. 9 bis II. 12 festgestellten Körperverletzungen an. Der Begriff des Quälens in § 225 Abs. 1 StGB setzt zwar nicht notwendig voraus, dass zwischen den einzelnen Teilakten ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht. Intervalle von mehreren Tagen, bis hin zu einigen Wochen, können daher unschädlich sein, wenn das Gesamtgeschehen auf Grund anderer Umstände innerlich und äußerlich geschlossen bleibt (vgl. MüKoStGB/Hardtung § 225 Rn. 14; Warda in Festschrift Hirsch, 1999, S. 391, 395 f., 406 f.). Mehrere Monate oder sogar Jahre auseinander liegende Körperverletzungshandlungen werden in der Regel aber nicht mehr als eine einzige dem Opfer bereitete Qual verstanden werden können. Die allgemein gehaltene Feststellung des Landgerichts (UA S. 14), wonach der Angeklagte ab dem Jahr 2005 durchschnittlich einmal in der Woche seinen Sohn geschlagen hat, ist nicht hinreichend bestimmt, um die Annahme einer sich über mehr als vier Jahre hinziehenden tatbestandlichen Handlungseinheit zu rechtfertigen.
30
Schließlich sind auch die Erwägungen des Landgerichts zum inneren Tatbestand nicht tragfähig. Nach den Feststellungen ging es dem Angeklagten bei den einzelnen Taten stets darum, seinen Sohn R. für ein – aus seiner Sicht gegebenes – vorangegangenes Fehlverhalten körperlich zu züchtigen, um die von ihm angestrebten Erziehungsziele durchzusetzen (UA S. 7 und 13 f.). Dies spricht dafür, dass jeder Einzeltat ein anlassbezogener neuer Tatentschluss des Angeklagten zu Grunde lag (vgl. Hirsch NStZ 1996, 37). Ein übergreifender Vorsatz, der auf die Zufügung sich wiederholender und über die konkreten Tatfolgen hinausgehender erheblicher Schmerzen oder Leiden gerichtet ist, wird dadurch nicht belegt.
31
c) Die Aufhebung erfasst auch die an sich rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) in zwei Fällen zum Nachteil von A. N. . Das Landgericht hat jeweils Tateinheit angenommen und damit einen eine Teilaufhebung hindernden Zusammenhang hergestellt.
32
Die Feststellungen zum äußeren Tageschehen bleiben aufrechterhalten, weil sie auf einer sorgfältigen und rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhen und von der Gesetzesverletzung nicht berührt werden (§ 353 Abs. 2 StPO). Soweit der Angeklagte eine Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO geltend macht, weil die Akten eines früheren, die Zeugin A. N. betreffenden Scheidungsverfahrens nicht beigezogen worden sind, entspricht sein Vorbringen nicht den Erfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Eine zulässige Aufklärungsrüge setzt voraus, dass ein bestimmtes Beweismittel und ein bestimmtes zu erwartendes Beweisergebnis benannt werden (BGH, Beschluss vom 23. November 2004 – KRB 23/04, NJW 2005, 1381, 1382; KK-StPO/Fischer, 6. Aufl., § 244 Rn. 216). Die bloße Bezeichnung einer Akte und die Angabe, dass sich aus dieser Akte die Unwahrheit einzelner Angaben der Zeugin A. N. und das Vorliegen einer „tiefgreifenden psychischen Störung“ bei dieser Zeugin ergeben hätte, reicht dafür nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 29. August 1990 – 3 StR 184/90, NStZ 1990, 602).
33
Durch die Aufhebungen wird auch dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage entzogen.
Ernemann Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 479/16
vom
26. Januar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen
ECLI:DE:BGH:2017:260117U3STR479.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. Januar 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Becker,
Richter am Bundesgerichtshof Gericke, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Spaniol, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Tiemann, Dr. Berg als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof - in der Verhandlung - , Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof - bei der Verkündung - als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 31. Mai 2016, soweit es die Angeklagte M. W. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revision der Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.
Die Angeklagte hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Den mitangeklagten Ehemann der Angeklagten hat es wegen Mordes in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen "in einem besonders schweren Fall" und mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes sowie wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in vier Fällen zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich, soweit es die Angeklagte betrifft, das die Verletzung sachlichen Rechts rügende Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft sowie die auf die nicht weiter ausgeführte Verfahrensrüge und die allgemeine Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten.

I.


2
Nach den Feststellungen entwickelte der Ehemann der Angeklagten bald nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes eine heftige Eifersucht gegen das Kind, da es ihm die "Frau gestohlen" habe und er für sie nicht mehr im Mittelpunkt stand. Gleichzeitig sah er sich mit der Versorgung des Säuglings, die er meist in der Nacht übernahm, überfordert und durch die Ratschläge und Vorgaben seiner Frau bevormundet. Aus Eifersucht und Frustration, die zunehmend mit Wut gepaart waren, begann er spätestens ab dem 15. Oktober 2015 dem zu diesem Zeitpunkt 14 Tage alten Kind Schmerzen und Verletzungen zuzufügen, wobei er der Angeklagten für sichtbare Verletzungen harmlose Erklärungen lieferte. Auch in der Nacht zum 21. Oktober 2015 übernahm der Mitangeklagte die Versorgung seines Sohnes und begab sich deshalb mit ihm gegen 23.00 Uhr in das Wohnzimmer, während die Angeklagte im angrenzenden Schlafzimmer verblieb. Als er das Kind nach dem Füttern und Wickeln hochhob, glitt es ihm aus der Hand und schlug mit dem Kopf auf den Wohnzimmertisch, worauf es laut zu schreien begann. Da es dem Mitangeklagten nicht gelang, seinen Sohn zu beruhigen, beschloss er gegen Mitternacht, diesen zu töten. Zuvor nahm er über annähernd drei Stunden mehrfach Misshandlungen des Säuglings vor, indem er sich mit vollem Gewicht auf den Kopf des bäuchlings auf einem Kissen liegenden Kindes setzte und dieses, nachdem es zunächst verstummt war, dann aber wieder zu schreien angefangen hatte, mehrere Male heftig schüttelte. Auch dies führte dazu, dass das Kind eine Zeitlang ruhig wurde, bevor es wieder zu weinen begann. Schließlich missbrauchte der Mitangeklagte den Säugling sexuell, indem er seinen erigierten Penis einige Zentimeter weit in dessen Anus einführte. Obwohl die Angeklagte wiederholt das laute Geschrei des Kindes im angrenzenden Wohnzimmer hörte und erkannte, dass der Mitangeklagte dieses "quälte", gab sie sich schlafend und griff nicht ein, um ihrem Mann zu suggerieren, dass sie ihm vertraue. Dagegen traute sie ihm in Wahrheit nicht, sondern nahm zur Erreichung des genannten Zwecks billigend in Kauf, dass er dem Säugling wiederholt Schmerzen zufügte. Der Mitangeklagte, der sich durch das Nichteingreifen der Angeklagten in seinem Tötungsentschluss bestärkt sah, setzte diesen kurz vor 3.00 Uhr um, indem er das Kind mit beiden Händen an der Hüfte packte und seinen Kopf zweimal gegen die Kante des hölzernen Tisches schlug, so dass es alsbald verstarb. Dass die Angeklagte, die im angrenzenden Schlafzimmer die Schreie ihres Sohnes vernahm, es für möglich hielt, ihr Mann werde diesen töten oder durch die körperlichen Misshandlungen in die Gefahr des Todes bringen, konnte das Landgericht nicht feststellen.

II.


3
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft
4
a) Die zuungunsten der Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, führt zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung. Sie hat schon deshalb Erfolg, weil die Strafkammer den festgestellten Sachverhalt nicht unter allen rechtlichen Gesichtspunkten geprüft und damit gegen die ihr obliegende allseitige Kognitionspflicht (§ 264 StPO) verstoßen hat. Diese gebietet, dass der - durch die zugelassene Anklage abgegrenzte - Prozessstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 29. Oktober 2009 - 4 StR 239/09, NStZ 2010, 222, 223 mwN). Der Unrechtsgehalt der Tat muss ohne Rücksicht auf die dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte Bewertung ausgeschöpft werden, soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen (BGH, Urteil vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 258/13, NStZ-RR 2014, 57). Fehlt es daran, so stellt dies einen sachlich-rechtlichen Mangel dar (vgl. KK-Kuckein, StPO, 7. Aufl., § 264 Rn. 25 mwN).
5
So liegt es hier. Das Landgericht hat das Vorliegen einer Qualifikation nach § 225 Abs. 3 StGB nur dahingehend geprüft, ob die Angeklagte durch ihr Unterlassen den Säugling in die Gefahr des Todes gebracht hat (§ 225 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 1 StGB). Hingegen hat es nicht erörtert, ob die Angeklagte den Verbrechenstatbestand gemäß § 225 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 StGB - durch Unterlassen - verwirklicht hat, obwohl nach den Feststellungen das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Vorschrift in Betracht kommt. Im Einzelnen:
6
aa) Der Qualifikationstatbestand des § 225 Abs. 3 Nr. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat, also durch einen Angriff im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB, in die konkrete Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsbeschädigung bringt (vgl. S/SStree /Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 225 Rn. 19 ff.). Entscheidend ist, dass eine der in § 225 Abs. 1 StGB umschriebenen tatbestandlichen Handlungen die naheliegende Möglichkeit begründet, sie werde zu den in den Alternativen des § 225 Abs. 3 StGB genannten Weiterungen führen (vgl. LK/Hirsch, StGB, 11. Aufl., § 225 Rn. 24). Schwere Gesundheitsbeschädigungen im Sinne des § 225 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 StGB sind dabei solche Folgen der Misshandlung, die mit einer anhaltenden nachhaltigen Beeinträchtigung der physischen oder psychischen Leistungsfähigkeit verbunden sind oder in einer lebensbedrohenden, qualvollen oder ernsten und langwierigen Krankheit bestehen. Handelt es sich um eine Unterlassungstat, so begründet der Täter die tatbestandlich vorausgesetzte konkrete Gefahr einer solchen Gesundheitsbeschädigung, wenn er deren Entstehen durch sein Eingreifen hätte abwenden können. In subjektiver Hinsicht ist bezüglich der Verursachung der tatbestandlichen Gefahren des qualifizierten Falles (zumindest bedingter) Vorsatz erforderlich (BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 - 3 StR 633/14, BGHR StGB § 225 Abs. 3 Gefahr 1).
7
bb) Das Landgericht hat den Qualifikationstatbestand des § 225 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 1 StGB wegen Fehlens der subjektiven Voraussetzungen nicht als erfüllt angesehen, weil die Angeklagte mit der - tatsächlich gegebenen - Gefahr tödlicher Verletzungen des Kindes durch ihren Ehemann nicht gerechnet habe. Indessen hat es nicht geprüft, ob die Angeklagte, als sie die von ihr in Kauf genommenen Misshandlungen des Kindes durch ihren Ehemann nicht unterband, jedenfalls mit der konkreten Gefahr schwerer Gesundheitsbeschädigungen im Sinne des § 225 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 StGB rechnete. Hierzu hätte aber schon deshalb Anlass bestanden, weil das später getötete Kind nach den Feststellungen erst 19 Tage alt war und im Hinblick auf die Konstitution und besondere Verletzlichkeit eines so jungen Säuglings schon bei nicht allzu gravierenden Verletzungshandlungen erhebliche körperliche Folgen eintreten können. Vor diesem Hintergrund hätte gegebenenfalls auch § 225 Abs. 3 Nr. 2 StGB in Betracht gezogen werden müssen.
8
b) Da das Urteil bereits deshalb der Aufhebung unterliegt, kann dahinstehen, ob das Landgericht rechtsfehlerfrei nicht auf eine Verurteilung wegen Totschlags durch Unterlassen erkannt hat.
9
Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird - wenn auch er einen Tötungsvorsatz der Angeklagten nicht sollte feststellen können - zu prüfen haben, ob möglicherweise eine Bestrafung auch wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) oder fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) durch Unterlassen in Betracht kommt. Insoweit gilt:
10
Die Möglichkeit, § 227 StGB aufgrund einer Körperverletzung durch Unterlassen zu verwirklichen, ist in der Rechtsprechung anerkannt (BGH, Urteil vom 22. November 2016 - 1 StR 354/16, NJW 2017, 418, 419 f. mwN). Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob der Rechtsauffassung des 4. Strafsenats, eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen komme nur in Betracht, wenn erst durch das Unterbleiben der gebotenen Handlung eine Todesgefahr geschaffen wird (BGH, Urteil vom 20. Juli 1995 - 4 StR 129/95, NStZ 1995, 589, 590), in dieser Allgemeinheit gefolgt werden könnte (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 20. Juli 2006 - 3 StR 244/06, StraFo 2006, 466 f.; Urteil vom 22. November 2016 - 1 StR 354/16, NJW 2017, 418, 420). Denn auch nach der Auffassung des 4. Strafsenats ist dieser Zusammenhang zwischen dem Unterlassen und der tödlichen Folge jedenfalls dann gegeben, wenn dem unterlassenden Garanten anzulasten ist, die zum Tode führenden Gewalthandlungen des aktiv Handelnden nicht verhindert zu haben (vgl. BGH, Urteile vom 30. März 1995 - 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 117 ff.; vom 20. Juli 1995 - 4 StR 129/95, NStZ 1995, 589, 590).
11
Hier hat das Landgericht das Vorliegen einer Körperverletzung mit Todesfolge in subjektiver Hinsicht verneint, da die Angeklagte nicht die Vorstellung gehabt habe, dass der Mitangeklagte Körperverletzungen vornahm, die das Kind in die Gefahr des Todes brachten. Dem hat die Strafkammer die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zugrunde gelegt, wonach zur Erfüllung des Tatbestandes des § 227 StGB der Vorsatz des Unterlassungstäters sich auf solche Körperverletzungen des aktiv Handelnden beziehen muss, denen die spezifische Gefahr anhaftet, zum Tode des Opfers zu führen (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 1995 - 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 118). Die Urteilsgründe lassen indes zweifelhaft erscheinen, ob das Landgericht hierbei hinreichend bedacht hat, dass sich der Vorsatz des Garanten bei einer Unterlassungstat nach § 227 StGB nur auf die Eignung der Körperverletzungshandlung, die Todesgefahr zu begründen, beziehen muss, nicht dagegen auf den Tod des Opfers als Ergebnis des Körperverletzungserfolgs. Hinsichtlich der tödlichen Folge genügt in subjektiver Hinsicht Fahrlässigkeit (§ 18 StGB). Die qualifizierende Tatfolge muss daher lediglich vorhersehbar sein. Für deren Vorhersehbarkeit reicht es aus, dass der Täter die Möglichkeit des Todeserfolgs im Ergebnis hätte erkennen können. Einer Voraussehbarkeit aller Einzelheiten des zum Tode führenden Geschehensablaufs bedarf es nicht (BGH, Urteil vom 10. Juni 2009 - 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009, 309, 310).
12
Eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen nach §§ 13, 222 StGB käme bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen hier schon dann in Betracht, wenn die Angeklagte aufgrund ihrer akustischen Wahrnehmungen hätte erkennen können, dass der Mitangeklagte im Begriff war, den gemeinsamen Sohn zu töten.
13
2. Die Revision der Angeklagten
14
Dagegen ist dem Rechtsmittel der Angeklagten der Erfolg zu versagen. Die Verfahrensrüge ist nicht näher ausgeführt und deshalb schon unzulässig im Sinne des § 344 Abs. 2 StPO. Auch die durch die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Urteils hat Rechtsfehler nicht aufgedeckt. Der Schuldspruch wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen durch Unterlassen unterliegt keiner rechtlichen Beanstandung. Insbesondere belegen die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des angefochtenen Urteils die vom Landgericht angenommene Tatbestandsalternative des "Quälens" im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB durch Unterlassen in objektiver und subjektiver Hinsicht.
15
a) Quälen im Sinne dieser Vorschrift bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender (erheblicher) Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art. Es wird im Allgemeinen durch mehrere Tathandlungen bewirkt, wobei oft erst die ständige Wiederholung mehrerer Körperverletzungshandlungen, die für sich genommen noch nicht den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB erfüllen, den besonderen Unrechtsgehalt des Quälens verwirklichen (BGH, Urteile vom 30. März 1995 - 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115; vom 17. Juli 2007 - 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306). Ob sich mehrere Körperverletzungen zu einer als Quälen zu bezeichnenden Tathandlung zusammenfügen, ist auf Grund einer Gesamtbetrachtung zu entscheiden. Dabei sind räumliche und situative Zusammenhänge, zeitliche Dichte oder eine sämtliche Einzelakte prägende Gesinnung mögliche Indikatoren (BGH, Beschlüsse vom 24. Februar 2015 - 4 StR 11/15, BGHR StGB § 225 Abs. 1 Misshandlung 1; vom 20. März 2012 - 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467). Die zugefügten Schmerzen oder Leiden müssen über die typischen Auswirkungen einzelner Körperverletzungshandlungen hinausgehen. Ist dies der Fall, so kann Quälen auch durch Unterlassen begangen werden (vgl. BGH, Urteile vom 3. Juli2003 - 4 StR 190/03, NStZ 2004, 94 f.; vom 23. Juli 2015 - 3 StR 633/14, BGHR StGB § 225 Abs. 1 Tathandlungen 1). In subjektiver Hinsicht, in der bedingter Vorsatz genügt (BGH, Urteil vom 4. August 2015 - 1 StR 624/14, NStZ 2016, 95, 97), ist es erforderlich, dass der Täter den Vorsatz hat, dem Opfer erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, die über die typischen Auswirkungen hinausgehen, die mit der aktuellen Körperverletzungshandlung verbunden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2012 - 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467 mwN; Urteil vom 23. Juli 2015 - 3 StR 633/14, BGHR StGB § 225 Abs. 1 Tathandlungen 1).
16
b) Vorliegend standen die mehrfachen, innerhalb eines Zeitraums von wenigen Stunden vorgenommenen gravierenden Verletzungshandlungen des Ehemanns der Angeklagten in einem engen zeitlichen und - bedingt durch dessen Übernahme der Versorgung des Säuglings in dieser Nacht - situativen Zusammenhang, der den Übergriffen ein besonderes Gepräge gab, so dass die dem Säugling wiederholt zugefügten erheblichen Schmerzen über die typischen Auswirkungen der einzelnen Verletzungshandlungen hinausgingen und sich als Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB darstellten. Die Feststellungen tragen auch die Annahme des Landgerichts, dass die Angeklagte es wegen des heftigen Geschreis ihres Kindes für möglich hielt, dass der Mitangeklagte den Säugling in diesem Sinne quälte, was sie aufgrund ihrer Garantenstellung zu unterbinden verpflichtet war. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann entnommen werden, dass die am Ort des Geschehens nicht anwesende Angeklagte aufgrund ihrer akustischen Wahrnehmungen nicht nur von situativ bedingten einzelnen Verletzungshandlungen ausging, sondern damit rechnete, dass der Mitangeklagte dem Säugling wiederholt erheblich wehtat, was sie hinnahm, um ihrem Mann zu zeigen, dass sie ihm vertraue. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts den Umstand, dass das Kind phasenweise still war, dahin missdeutete, dass dieses sich zwischendurch immer wieder beruhigt hatte, weil es über die vorangegangenen Schmerzen hinweggekommen war. Denn selbst wenn die Schmerzen aus ihrer Sicht immer wieder abklangen, stellte die wiederholte Misshandlung des Säuglings ein in sich geschlossenes Geschehen dar, in dem diesem immer wieder Leiden zugefügt wurde. Damit ist jedenfalls ein bedingter, auf die Zufügung über die konkrete Verletzungshandlung hinausgehender Schmerzen gerichteter Vorsatz festgestellt.
Becker Gericke Spaniol Tiemann Berg

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 6 3 3 / 1 4
vom
23. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. Juli 2015,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Mayer,
Gericke
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 22. August 2014 mit den Feststellungen aufgehoben , soweit es die Angeklagte betrifft.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen und mit unterlassener Hilfeleistung zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Den Mitangeklagten E. hat es wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zur Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die (allein) gegen die Verurteilung der Angeklagten H. gerichtete Revision des Nebenklägers erstrebt deren Verurteilung wegen schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 3 StGB und rügt die Verletzung materiellen Rechts.
2
Das zulässige Rechtsmittel (§ 395 Abs. 1 Nr. 3, § 400 Abs. 1 StPO; vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 2001 - 3 StR 400/00, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 11 mwN) führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den Feststellungen, soweit es die Angeklagte betrifft.

I.


3
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen das Folgende festgestellt:
4
Am 1. März 2014 war der Mitangeklagte E. ab etwa 20 Uhr in seiner Wohnung alleine mit dem rund fünf Monate alten Säugling L. , dem leiblichen Sohn seiner damaligen Lebensgefährtin - der Angeklagten H. - aus einer früheren Beziehung. Als L. quengelte, holte der Mitangeklagte E. aus dem Schlafzimmer einen selbstgebastelten Schlagstock aus Eisen und schlug damit dem Säugling - um diesen zum Schweigen zu bringen - heftig je einmal auf die linke und auf die rechte Stirnseite des Kopfes. L. erlitt hierdurch beidseitig ein schweres Schädel/Hirn-Trauma mit ausgedehntem Knochenbruchsystem in beiden Scheitelregionen. Zudem erlitt er ein subdurales Hämatom, Einblutungen in tiefergelegene Hirnstrukturen sowie massive Hämatome an der rechten Kopfschwarte und im Stirnbereich. Aufgrund der Schläge wurde L. zumindest für kurze Zeit bewusstlos und litt an neurologischen Einschränkungen, sodass er sich entweder in einem Dämmerzustand befand oder längere Zeit bewusstlos war. Deswegen hörte er unmittelbar nach den Schlägen auf, Geräusche von sich zu geben. E. nahm L. daraufhin aus dem "Maxi-Cosi", in den ihn die Angeklagte gelegt hatte, und legte ihn in das Kinderbett.
5
Etwa zehn Minuten später kam auch die Angeklagte, die von einem Imbiss Essen geholt hatte, hinzu. Als sie feststellte, dass L. nicht mehr in dem "Maxi-Cosi" lag, fragte die Angeklagte nach seinem Verbleib. E. antwortete, dass L. gequengelt und er ihn ins Bett gelegt habe. Die Angeklagte schaute daraufhin kurz im Schlafzimmer nach. Zwar zeigten sich zu diesem Zeitpunkt schon die Folgen der Schläge bei L. , die Angeklagte bemerkte diese jedoch aufgrund der Verdunklung des Schlafzimmers nicht. Auch in der Folgezeit erkannte sie den Zustand des Kindes zunächst nicht.
6
Am nächsten Morgen gegen 05:45 Uhr erwachte die Angeklagte und wollte das Kind aus dem Bett heben. Dabei fiel ihr auf, dass sein Kopf anders als gewöhnlich aussah. Daraufhin legte sie L. aufs Bett und schaltete das Licht an. In der Folge stellte sie fest, dass der gesamte Kopf des Kindes angeschwollen war, die Stirnpartie sowie die Augen lila und blau unterlaufen waren. Als sie den Kopf anfasste, fühlte sich dieser unnormal weich an. Erschrocken rief sie nach dem Mitangeklagten E. und sagte, er solle sich L. anschauen , der Kopf sei weich und blau. Auf die Frage der Angeklagten, was passiert sei, antwortete E. , es sei nichts passiert und gab sich erstaunt über das Aussehen des Säuglings. Obgleich der Angeklagten sofort klar war, dass L. in ärztliche Behandlung musste, unternahm sie zunächst nichts. Sie hatte Angst, dass ihr - ginge sie ins Krankenhaus - das Kind weggenommen würde. Zudem vermutete sie eine Beteiligung von E. an den Verletzungen und wollte diesen möglicherweise schützen. Es besteht indes kein Anhalt für die Annahme , dass sie mit dem Tode des Kindes rechnete und ihn billigend in Kauf nahm. Die Angeklagte entschloss sich sodann, zunächst ihre Mutter zu kontaktieren , um diese um Rat zu bitten. Nachdem die Mutter jedoch nicht ans Telefon ging, begab sich die Angeklagte zurück zu L. in das Schlafzimmer.
7
Etwa gegen 08:30 Uhr gelang es der Angeklagten, ihre Mutter zu erreichen. Sie erzählte ihr wahrheitswidrig, sie sei mit L. auf der Treppe gestürzt und dieser sei nun am Kopf verletzt. Die Mutter kam daraufhin zur Wohnung gefahren, holte die Angeklagte und L. ab und brachte diesen in die Kinderklinik , wo er etwa gegen elf Uhr aufgenommen werden konnte. Das Kind war zu diesem Zeitpunkt ruhig und in einem Dämmerzustand, wenngleich es aufgrund der Schwellung unter Schmerzen litt. Seine Stirnpartie war stark angeschwollen und zeigte - wie auch im Bereich der Augen - eine bläulich/lila Verfärbung. Die Augen waren teilweise zugeschwollen.
8
Der Säugling musste rund drei Wochen in stationärer Behandlung bleiben. Er wurde einige Tage nach seiner Aufnahme am Kopf operiert, wobei die Impressionsfraktur behoben und die subduralen sowie die intrazerebralen Blutungsanteile ausgeräumt wurden. Nach seiner Entlassung entwickelte er sich altersgerecht, wenngleich er Entwicklungsverzögerungen im motorischen Bereich zeigt. Ob bei ihm dauerhafte Folgeschäden auftreten werden, ist (noch) nicht absehbar. In vergleichbaren Fällen kommt es bei etwa 40 Prozent der Kinder zu Folgeschäden bis hin zu massiven körperlichen und geistigen Behinderungen. Da bei der Operation ein Teil des beschädigten Gehirngewebes entfernt werden musste, besteht auch die Gefahr, dass sich eine Epilepsie entwickelt.
9
2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das Landgericht die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5, § 13 StGB in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB und mit unterlassener Hilfeleistung gemäß § 323c StGB schuldig gesprochen. Soweit das Landgericht bei der rechtlichen Würdigung § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nennt, handelt es sich ersichtlich um ein Schreibversehen, wie sich aus der Liste der angewendeten Vorschriften und dem allein auf § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB gestützten Schuldspruch gegen den Mitangeklagten E. ergibt.

II.


10
Das Urteil gegen die Angeklagte hat auf die Revision des Nebenklägers keinen Bestand, da es sowohl zu ihrem Vorteil als auch zu ihrem Nachteil durchgreifende Rechtsfehler enthält; letzteres ist auf die Revision des Nebenklägers ebenfalls zu berücksichtigen (§ 301 StPO entsprechend; vgl. § 401 Abs. 3 Satz 1 StPO).
11
1. Wie der Nebenkläger zu Recht beanstandet, hat das Landgericht zum Vorteil der Angeklagten rechtsfehlerhaft nicht geprüft, ob sie den Verbrechenstatbestand gemäß § 225 Abs. 3 Nr. 1 und 2 StGB - gegebenenfalls durch Unterlassen - verwirklicht hat, obwohl es von einer durch die Angeklagte begangenen Tat gemäß § 225 Abs. 1 StGB ausgegangen und nach den Feststellungen des Landgerichts die Verwirklichung aller Alternativen des Qualifikationstatbestandes jedenfalls nicht ausgeschlossen ist. Dies führt wegen der Einheitlichkeit der Tat zur Aufhebung des Urteils insgesamt, soweit es die Angeklagte betrifft. Ohne Belang ist insoweit, dass die tateinheitliche ausgeurteilte unterlassene Hilfeleistung kein Nebenklagedelikt ist (vgl. § 395 Abs. 1 bis 3 StPO).
12
Im Einzelnen:
13
Der Verbrechenstatbestand des § 225 Abs. 3 StGB setzt voraus, dass der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat, also durch einen Angriff im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB, in die konkrete Gefahr des Todes, einer schweren Gesundheitsbeschädigung (Nr. 1; vgl. S/S-Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 225 Rn. 19 ff.) oder in die konkrete Gefahr einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung bringt (Nr. 2). Entscheidend ist danach, dass eine der in § 225 Abs. 1 StGB umschriebenen tatbe- standlichen Handlungen die naheliegende Möglichkeit begründet, sie werde zu den in den Alternativen des § 225 Abs. 3 StGB genannten Weiterungen führen (vgl. LK/Hirsch, StGB, 11. Aufl., § 225 Rn. 24). Unter schweren Gesundheitsbeschädigungen im Sinne der Nummer 1 sind solche Gesundheitsschäden zu verstehen, die mit einer anhaltenden nachhaltigen Beeinträchtigung der physischen oder psychischen Leistungsfähigkeit verbunden sind oder in einer lebensbedrohenden , qualvollen oder ernsten und langwierigen Krankheit bestehen. Die in der Nummer 2 genannte erhebliche Entwicklungsschädigung erfordert , dass der normale Ablauf des körperlichen oder seelischen Entwicklungsprozesses dauernd oder nachhaltig gestört ist (vgl. LK/Hirsch, aaO, Rn. 25 mwN). Handelt es sich um eine Unterlassungstat, so begründet der Täter die tatbestandlich vorausgesetzte konkrete Gefahr, wenn er deren Entstehen durch sein Eingreifen hätte abwenden können. Auch wenn vor der Tat bereits Schäden oder die Gefahr von Schäden im Sinne der Qualifikation gemäß § 225 Abs. 3 StGB bestehen, kann der Tatbestand gleichwohl verwirklicht werden. Zur Hervorrufung ("bringen") der für den qualifizierten Fall vorausgesetzten Gefahren ist dann aber erforderlich, dass die Tat die Gefahr verursacht, die bereits vorhandenen oder zu befürchtenden Schäden in erheblichem Maß zu vergrößern bzw. die wegen einer bereits gegebenen individuellen Schadensdisposition bestehenden Gefahren messbar zu steigern (vgl. S/S-Stree/SternbergLieben , aaO, Rn. 22; BeckOK-StGB/Eschelbach, § 225 Rn. 33). In subjektiver Hinsicht ist bezüglich der Verursachung der tatbestandlichen Gefahren des qualifizierten Falles (zumindest bedingter) Vorsatz erforderlich.
14
Das Vorliegen dieser tatbestandlichen Voraussetzungen kann im vorliegenden Fall nicht abschließend beurteilt werden, da das Landgericht keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob und ggf. wie sich die durch den Mitangeklagten E. bewirkten Verletzungen des Kindes während der Zeit, in der die Angeklagte eine ärztliche Versorgung pflichtwidrig unterlassen hat, hinsichtlich der tatbestandlichen Gefahren entwickelt haben. Eine wesentliche Gefahrerhöhung im Sinne von § 225 Abs. 3 StGB in diesem Zeitraum kann indes - vor allem mit Blick auf das bestehende subdurale Hämatom und die Einblutungen in die Hirnstrukturen - auch nicht ausgeschlossen werden.
15
2. Der Schuldspruch ist indes auch zum Nachteil der Angeklagten rechtsfehlerhaft. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils, das keinerlei Subsumtion enthält, belegen - neben dem unzweifelhaft bestehenden Schutzverhältnis zwischen der Angeklagten und ihrem Sohn - keine der in den Tatbestandsalternativen des § 225 Abs. 1 StGB bezeichneten Tathandlungen hinreichend und tragen daher die Verurteilung der Angeklagten wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen nicht.
16
Im Einzelnen:
17
Das Quälen, das rohe Misshandeln und die böswillige Fürsorgepflichtverletzung sind selbständige Begehungsformen der Misshandlung Schutzbefohlener gemäß § 225 Abs. 1 StGB. Die beiden Tatalternativen des Quälens und des Misshandelns können durch aktives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen begangen werden. Bei der Alternative des böswilligen Vernachlässigens der Fürsorgepflicht handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 15).
18
a) Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender (erheblicher) Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art. Es wird im Allgemeinen durch mehrere Tathandlungen bewirkt, wobei oft erst deren ständige Wiederholung den be- sonderen Unrechtsgehalt des Quälens verwirklicht (BGH, Urteile vom 30. März 1995 - 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115; vom 17. Juli 2007 - 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306). Die zugefügten Schmerzen oder Leiden müssen über die typischen Auswirkungen einzelner Körperverletzungshandlungen hinausgehen. Ist dies der Fall, so kann Quälen durch Unterlassen allerdings auch dadurch verwirklicht werden, dass die gebotene ärztliche Hilfe durch die Eltern des Kindes nicht veranlasst wird (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 17). In subjektiver Hinsicht ist es erforderlich, dass der Täter den Vorsatz hat, dem Opfer erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, die über die typischen Auswirkungen hinausgehen, die mit der aktuellen Körperverletzungshandlung verbunden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2012 - 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467 mwN). Diese tatbestandlichen Voraussetzungen belegen die Feststellungen weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht. Die Angeklagte hat dadurch, dass sie es nach dem Erkennen der schweren Verletzung ihres Kindes über mehrere Stunden pflichtwidrig unterlassen hat, den Säugling einer ärztlichen Versorgung zuzuführen, nach den bisherigen Feststellungen bei diesem keine Schmerzen oder Leiden im Sinne von § 225 Abs. 1 Alternative 1 StGB verursacht, die über die Folgen der durch den Mitangeklagten E. begangenen Körperverletzung des Säuglings und ihrer eigenen, durch das pflichtwidrige Unterlassen an dem Kind begangenen Körperverletzung hinausgingen. Den Urteilsgründen ist auch nicht zu entnehmen, dass die Angeklagte einen entsprechenden Vorsatz hatte.
19
b) Rohes Misshandeln im Sinne der Vorschrift liegt vor, wenn der Täter einem anderen eine Körperverletzung aus gefühlloser Gesinnung zufügt, die sich in erheblichen Handlungsfolgen äußert. Eine gefühllose Gesinnung ist gegeben , wenn der Täter bei der Misshandlung das - notwendig als Hemmung wirkende - Gefühl für das Leiden des Misshandelten verloren hat, das sich bei jedem menschlich und verständlich Denkenden eingestellt haben würde (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2007 - 5 StR 44/07, NStZ 2007, 405 mwN). Dass die Angeklagte die durch ihr pflichtwidriges Unterlassen begangene Körperverletzung des Kindes aus einer solchen Gesinnung heraus begangen hat, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Vielmehr war nach den bisherigen Feststellungen nicht Gefühllosigkeit der Grund für ihr pflichtwidriges Verhalten gegenüber ihrem Säugling, sondern die Furcht, bei Aufsuchen eines Krankenhauses das Kind zu verlieren und möglicherweise der Wille, ihren Lebensgefährten , den Mitangeklagten E. , zu schützen, da sie dessen Beteiligung an den schweren Verletzungen des Kindes vermutete.
20
c) Die Misshandlung eines Schutzbefohlenen ist schließlich auch gegeben , wenn der Täter durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für die schutzbedürftige Person zu sorgen, diese an der Gesundheit schädigt. Böswillig handelt, wer seine Pflicht für einen anderen zu sorgen, aus einem verwerflichen Beweggrund vernachlässigt (vgl. LK/Hirsch, aaO, Rn. 18). Das Gesinnungsmerkmal der Böswilligkeit ist gekennzeichnet durch feindseliges Verhalten aus Bosheit, Lust an fremdem Leid, Hass und anderen verwerflichen Gründen, etwa auch aus Geiz und Eigensucht. Gleichgültigkeit, Abgestumpftheit oder Schwäche sowie Überforderung wegen mangelnder Reife reichen hingegen in der Regel nicht aus (vgl. LK/Hirsch, aaO). Bei der Prüfung von Böswilligkeit, die eine Erforschung der Motive des Täters erfordert, sind psychopathologische Befunde, wie Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen zu berücksichtigen (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 24 ff. mwN). Daran gemessen ist auch die Verwirklichung dieser Tatbestandsalternative durch die Angeklagte jedenfalls nicht hinreichend belegt. Die festgestellten Motive der Angeklagten für ihr pflichtwidriges Verhalten - die Angst, ihr werde das Kind weggenommen und der Schutz ihres Freundes, des Mitangeklagten E. - sind jedenfalls nicht ohne weiteres unter das Merkmal der Böswilligkeit zu subsumieren, zumal das Landgericht sie auch nicht entsprechend, etwa als selbstsüchtig und verwerflich , bewertet hat.
21
3. Der Senat weist den neuen Tatrichter darauf hin, dass er alle in Tateinheit mit dem Nebenklagedelikt stehenden Delikte - auch Offizialdelikte - erneut zu prüfen haben wird (vgl. BGH, Urteil vom 9. November 1993 - 5 StR 539/93, BGHSt 39, 390, 391; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 400 Rn. 7a mwN). Hinsichtlich der tateinheitlich abgeurteilten unterlassenen Hilfeleistung gemäß § 323c StGB gilt, dass diese regelmäßig als subsidiär hinter einer durch Unterlassen begangenen gefährlichen Körperverletzung und/oder der Misshandlung eines Schutzbefohlenen zurücktritt bzw. von diesen verdrängt wird (vgl. MüKoStGB/Freund, 2. Aufl., § 13 Rn. 289, 291, § 323c Rn. 125 ff.).
Becker Pfister Hubert RiBGH Mayer befindet sich Gericke im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker

(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die

1.
seiner Fürsorge oder Obhut untersteht,
2.
seinem Hausstand angehört,
3.
von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder
4.
ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist,
quält oder roh mißhandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat in die Gefahr

1.
des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder
2.
einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung
bringt.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 7/11
vom
13. April 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 13. April 2011 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der Strafkammer des Landgerichts Bochum bei dem Amtsgericht Recklinghausen vom 21. September 2010 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 200 Fällen und wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 100 Fällen verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und im Maßregelausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes sowie wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 200 Fällen und schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 100 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass ein Jahr der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung zu vollstrecken ist.
2
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision; er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
Den Verfahrensrügen, mit denen der Beschwerdeführer die Verletzung von § 244 Abs. 3 StPO beanstandet, bleibt aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 25. Februar 2011 der Erfolg versagt.

II.


4
Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes zum Nachteil der Nebenklägerin A. M. verurteilt hat (UA 6/7), hat die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge einen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler nicht ergeben.
5
Die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 200 Fällen und wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 100 Fällen wegen der Taten zum Nachteil seiner Tochter C. S. begegnet jedoch durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
6
1. Das Landgericht hat insoweit folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
7
a) Spätestens ab dem 24. September 1997 (Vollendung des siebten Lebensjahres ) kam es bis Ende 2000 zu einer Vielzahl von sexuellen Übergriffen des Angeklagten auf seine Tochter C. . Er suchte sie, in der Regel in alkoholisiertem Zustand, mindestens zweimal wöchentlich abends in dem Kinderzimmer auf, in dem sie und ihre Schwester J. schliefen, während seine Ehefrau entweder überhaupt nicht anwesend war oder, was häufig vorkam, im Wohnzimmer nächtigte. Er legte sich zu dem Kind ins Bett, zog es aus und berührte es am ganzen Körper, auch im Brust- und Genitalbereich. Ferner veranlasste er die Nebenklägerin, ihn ihrerseits im Genitalbereich anzufassen. Mindestens dreimal führte er in diesem Tatzeitraum auch den Finger in ihre Scheide ein. Im Jahr 2000 kam es dazu, dass der Angeklagte mehrfach wöchentlich entweder mit einem Finger in der Scheide seiner Tochter manipulierte oder diese veranlasste, seinen Penis in ihren Mund zu nehmen und an seinen Hoden zu lecken.
8
b) Der Angeklagte, zu dessen Gunsten das Landgericht eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit nicht ausschließen konnte, hat die ihm zur Last gelegten Tatvorwürfe bestritten. Die Strafkammer hat ihren Feststellungen die Angaben der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung zu Grunde gelegt, die, so die Urteilsgründe, "weitestgehend" den Aussagen der Geschädigten bei der Polizei und bei ihrer richterlichen Vernehmung entsprachen. Soweit der Angeklagte wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes verurteilt worden ist, hat das Landgericht einen Tatzeitraum vom 24. September 1997 bis 2000 zu Grunde gelegt und die Strafverfolgung durch Beschluss gemäß § 154 Abs. 2 StPO auf 200 Fälle in diesem Zeitraum beschränkt. Im Hinblick auf die drei Taten , in denen der Angeklagte, wie bereits dargelegt, auch seinen Finger in die Scheide der Nebenklägerin einführte, ist das Landgericht ebenfalls gemäß § 154 Abs. 2 StPO verfahren.
9
2. Die vom Landgericht zum Tatzeitraum getroffenen Feststellungen genügen nicht den Anforderungen, die gemäß § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO an die Urteilsgründe zu stellen sind.
10
In Fällen, in denen dem Angeklagten eine Vielzahl sexueller Übergriffe zur Last gelegt wird, die erst nach Jahren aufgedeckt werden, dürfen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Vermeidung gewichtiger Strafbarkeitslücken an die Individualisierung der einzelnen Missbrauchshandlungen keine überzogenen Anforderungen gestellt werden (vgl. nur BGH, Beschluss vom 25. März 1994 - 3 StR 18/94, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Mindestfeststellungen 5; Senatsbeschluss vom 6. September 1994 - 4 StR 485/94, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 9). So ist es grundsätzlich methodisch zulässig, wenn der Tatrichter, ausgehend vom Gesamtbild des Geschehensablaufs, für einen festliegenden Zeitraum die sichere Überzeugung von einer Mindestzahl nicht notwendig durch individuelle Merkmale voneinander unterscheidbarer Einzeltaten gewinnt (Senatsbeschluss aaO mwN).
11
Danach ist es im vorliegenden Fall im Grundsatz nicht zu beanstanden, dass sich das Landgericht auf der Grundlage der in tatrichterlicher Verantwortung geprüften und für sich genommen rechtsfehlerfrei bejahten Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten vor dem Hintergrund eines regelmäßig wiederkehrenden Geschehens im Kinderzimmer von einer bestimmten Anzahl an Einzeltaten überzeugt hat. Die Ausführungen zum Tatzeitraum begegnen indes durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Vor allem fehlt es an einem hinreichend bestimmten Endzeitraum. Das Landgericht hat lediglich festgestellt, dass es spätestens ab dem 24. September 1997, dem Tag der Vollendung des siebten Lebensjahres der Geschädigten, bis "Ende 2000" zu einer Vielzahl sexueller Übergriffe kam. Sind damit ersichtlich zusammenfassend sämtliche sexuellen Übergriffe zum Nachteil der Geschädigten C. S. gemeint, beziehen sich die nachfolgenden Urteilsfeststellungen zunächst auf die 200 Fälle des sexuellen Missbrauchs eines Kindes. Sodann stellt das Landgericht für den Zeitpunkt "im Jahr 2000" ohne genauere Bestimmung eines Anfangs- und eines Endzeitpunktes fest, dass sich weitere 100 Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs anschlossen. Diese Ausführungen genügen schon für sich genommen nicht den Anforderungen an die hinreichend präzise Feststellung eines Tatzeitraums; der Angeklagte ist dadurch in seinen Verteidigungsmöglichkeiten gegenüber den einzelnen Tatvorwürfen unangemessen beschränkt. Es kommt im vorliegenden Fall aber noch hinzu, dass der Tatzeitraum in der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage, die der Senat von Amts wegen zur Kenntnis zu nehmen hat, auf die "Zeit vom 24.09.1997 bis zum 08.03.2001" festgelegt worden ist. Die Gründe für die Verkürzung des Tatzeitraums sind dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Ob sie von der vom Landgericht in den Urteilsgründen erwähnten Beschränkung der Strafverfolgung gemäß § 154 Abs. 2 StPO gedeckt ist, kann der Senat in Ermangelung einer genaueren Begründung für die Einstellung nicht nachprüfen.
12
Wegen des Wegfalls der insoweit verhängten Einzelstrafen ist auch über die Höhe der Gesamtstrafe neu zu befinden.
13
3. Der Senat hebt zugleich den Ausspruch über die Maßregel auf.
14
a) Auf der Grundlage der zum Werdegang, zu den Vorstrafen und zu den abgeurteilten Taten getroffenen Feststellungen hat das Landgericht, sachverständig beraten, den gemäß § 64 Satz 1 StGB erforderlichen Hang, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, ebenso rechtsfehlerfrei bejaht wie den symptomatischen Zusammenhang zwischen Hang und Tat. Auch die Prognoseentscheidung der Strafkammer ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Indessen sind die Voraussetzungen für die gemäß § 64 Satz 2 StGB geforderte hinreichend konkrete Aussicht eines Behandlungserfolges nicht dargetan.
15
b) Zwar steht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Tatsache , dass ein Täter bereits eine Therapie absolviert hat und rückfällig geworden ist, der Erfolgsaussicht einer neuen Therapie regelmäßig nicht entgegen (Senatsbeschluss vom 23. Oktober 1996 - 4 StR 473/96, NStZ-RR 1997, 131). Es kann dahin stehen, ob bei einem mehrfachen Therapieabbruch oder einem Rückfall nach jeweils erfolgreicher Absolvierung mehrerer Therapien in der Regel eine andere rechtliche Bewertung veranlasst ist (vgl. dazu Senat aaO). Jedenfalls im vorliegenden Fall durfte sich das Landgericht nicht auf die bloße Mitteilung des Ergebnisses der Bewertung des Sachverständigen beschränken, es bestehe trotz der bisher erfolglosen Behandlungen die "hinreichende Aussicht , die Abhängigkeit des Angeklagten zu heilen". Der Beschwerdeführer hat über einen Zeitraum von nahezu zehn Jahren hinweg neben stationären Aufenthalten zur Behandlung psychischer Erkrankungen eine außergewöhnlich hohe Zahl stationärer Entwöhnungstherapien von unterschiedlicher Dauer ohne durchgreifenden Erfolg absolviert. Die gleichwohl für eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht sprechenden Gesichtspunkte, zu denen auch der - vom Landgericht nicht erörterte - Grad der Therapiewilligkeit des Angeklagten gehört (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2009 - 3 StR 516/09, NStZ-RR 2010, 141), hätten daher einer eingehenderen Darlegung in den Urteilsgründen bedurft.

III.


16
Für die neue Verhandlung und Entscheidung bemerkt der Senat:
17
1. Wenn die eine Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs tragenden Feststellungen, wie regelmäßig und auch im vorliegenden Fall, im Wesentlichen auf den Angaben des Tatopfers aus Anlass verschiedener Vernehmungen im Ermittlungsverfahren sowie auf der Einvernahme als Zeugin in der Hauptverhandlung beruhen, kann eine Wiedergabe des wesentlichen Inhalts der Aussagen etwa bei der polizeilichen Vernehmung und vor dem Ermittlungsrichter zweckmäßig sein, um dem Revisionsgericht eine nähere Überprüfung der Beweiswürdigung zu ermöglichen (BGH, Beschluss vom 23. Mai 2000 - 1 StR 156/00, NStZ 2000, 496). Die Urteilsgründe müssen in solchen Fällen auch erkennen lassen, ob und in welchem Umfang von der rechnerisch ermittelten Gesamtzahl der Taten nach den besonderen Umständen des jeweiligen Falles Abzüge vorgenommen werden müssen (Senatsbeschluss vom 6. September 1994 aaO).
18
2. Sollte die zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Strafkammer wiederum zur Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) kommen, wird bei der Bestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs nach § 67 Abs. 2 Satz 2, 3 StGB zu beachten sein, dass eine Kürzung der Dauer des Vorwegvollzugs um die Dauer der erlittenen Untersuchungshaft nicht zulässig ist (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2010 - 4 StR 504/09, NStZ-RR 2010, 171).
Ernemann RinBGH Solin-Stojanović befindet Roggenbuck sich im Ruhestand und ist daher gehindert zu unterschreiben. Ernemann Franke Bender

(1) Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung von Urkundenfälschung oder Betrug verbunden hat,
2.
einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführt oder in der Absicht handelt, durch die fortgesetzte Begehung von Betrug eine große Zahl von Menschen in die Gefahr des Verlustes von Vermögenswerten zu bringen,
3.
eine andere Person in wirtschaftliche Not bringt,
4.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger mißbraucht oder
5.
einen Versicherungsfall vortäuscht, nachdem er oder ein anderer zu diesem Zweck eine Sache von bedeutendem Wert in Brand gesetzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört oder ein Schiff zum Sinken oder Stranden gebracht hat.

(4) § 243 Abs. 2 sowie die §§ 247 und 248a gelten entsprechend.

(5) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer den Betrug als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach den §§ 263 bis 264 oder 267 bis 269 verbunden hat, gewerbsmäßig begeht.

(6) Das Gericht kann Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(7) (weggefallen)

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.

(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die

1.
seiner Fürsorge oder Obhut untersteht,
2.
seinem Hausstand angehört,
3.
von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder
4.
ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist,
quält oder roh mißhandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat in die Gefahr

1.
des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder
2.
einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung
bringt.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.