Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 09. Juli 2014 - 8 S 827/14

published on 09/07/2014 00:00
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 09. Juli 2014 - 8 S 827/14
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Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 27. März 2014 - 2 K 3527/13 - wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen als Gesamtschuldner.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat es das Verwaltungsgericht abgelehnt, gegen den Antragsgegner eine einstweilige Anordnung gerichtet auf baurechtliches Einschreiten in Form einer Baueinstellungsverfügung gegen die Beigeladene zu erlassen. Die im Beschwerdeverfahren dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, geben zu einer Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts keinen Anlass.
1. a) Die Antragsteller wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die auf der ihrem Grundstück zugewandten Seite vorgesehenen Vorbauten hielten den erforderlichen Abstand nicht ein. Das Verwaltungsgericht hat insoweit entschieden, dass es sich bei dem geplanten Vorbau um einen solchen nach § 5 Abs. 6 Nr. 2 LBO handele, weil er nach seiner räumlichen Ausdehnung im Verhältnis zum Baukörper des Hauptgebäudes deutlich untergeordnet sei und sich für den objektiven Betrachter noch als vorgebauter Annex und nicht bereits als angebauter Teil des Hauptgebäudes darstelle. Er erstrecke sich an der Nordseite des Gebäudes über das Unter- und das Erdgeschoss. In der Höhe reiche er über zwei Stockwerke. Im darüber liegenden Dachgeschoss sei ein Balkon vorgesehen. Die um einen knappen Meter vor die Hauptwand tretende Wand weise eine Länge von 4,65 m auf. Der dominierende Eindruck der Hauptwand, die im Erdgeschoss eine Länge von 17,43 m und im Untergeschoss vom 16,06 m aufweise, nicht in Frage gestellt. Da der Vorbau auch mit 2,06 m mehr als 2 m von der Nachbargrenze entfernt bleibe, bleibe er bei der Bemessung der Abstandsflächen außer Betracht.
b) Hiergegen bringen die Antragsteller vor, dass der umstrittene Vorbau zur Grundstücksgrenze ihres Grundstücks nicht im Sinne der Rechtsprechung des beschließenden Gerichtshofs deutlich untergeordnet sei. Zwar halte das vorgestellte Bauteil die in § 5 Abs. 6 Nr. 2 LBO vorgeschriebenen Außenmaße ein, aber es erweise sich nicht als deutlich untergeordnet. Das Verwaltungsgericht habe nicht darauf abgestellt, dass das vorgestellte Bauteil mit seiner Oberkante bis in das Dachgeschoss hineinrage. Im Blick auf seine höhenmäßige Ausdehnung sei es nicht mehr deutlich untergeordnet, sondern stelle vielmehr ein dominantes Bauteil dar. Vom Erdgeschoss bis zur Oberkante der Balkonbrüstung weise es eine Höhe von 6 m auf. Aufgrund der nachgereichten Schnitte errechne sich eine Wandhöhe von 6,18 m. Hinzukomme, dass der Vorbau sich in Form des Balkons fortsetze. Erweise sich das Bauvorhaben aber im Hinblick auf die Abstandsfläche des vorgestellten Bauteils als rechtswidrig, verletze es die rechtlich geschützten Interessen der Antragsteller in Form der Verletzung der gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächen.
c) Dieses Vorbringen verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg. Denn das Verwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dass der geplante Vorbau abstandsflächenrechtlich nach § 5 Abs. 6 Nr. 2 LBO privilegiert ist und deshalb bei der Bemessung der Abstandsfläche außer Betracht zu bleiben hat.
aa) Nach dieser Vorschrift bleiben bei der Bemessung der Abstandsfläche Vorbauten wie Wände, Erker, Balkone, Tür- und Fenstervorbauten, wenn sie nicht breiter als 5 m sind, nicht mehr als 1,5 m vortreten und von Nachbargrenzen mindestens 2 m entfernt bleiben, außer Betracht. Vorbauten im Sinne dieser Vorschrift müssen nicht oberhalb der Erdoberfläche oder unterhalb des Daches enden. Sie müssen aber dem hinter ihnen liegenden Gebäude zu- und untergeordnet sein. Ein vor die Außenwand gesetzter Bauteil fällt danach jedenfalls im Grundsatz nur dann unter diesen Begriff, wenn er diese Wand nicht überragt (Senatsbeschluss vom 04.07.2003 - 8 S 1251/03 - juris Rn. 9). Er muss sich für den objektiven Betrachter noch als vorgebauter Annex und nicht bereits als angebauter Teil des Hauptgebäudes darstellen (Senatsurteil vom 15.04.2008 - 8 S 12/07 - VBlBW 2009, 184). Mehrere Vorbauten im Sinne des § 5 Abs. 6 Nr. 2 LBO vor der Außenwand eines Gebäudes sind nach dieser Vorschrift nur dann abstandsflächenrechtlich privilegiert, wenn sie sich in ihrer Gesamtheit unterordnen und das Erscheinungsbild der Außenwand weiterhin dominiert (vgl. Sauter, LBO, 3. Aufl., Stand: März 2010, § 5 Rn. 99 zur vertikalen Verteilung von Vorbauten einer Außenwand).
bb) Gemessen an diesen Maßstäben sind sowohl der erkerähnliche Vorbau als auch der auf ihm vorgesehene Balkon abstandsflächenrechtlich privilegiert. Rechtlich unzutreffend ist der Ansatz der Beschwerde, den erkergleichen, sich über Unter- und Erdgeschoss erstreckenden Vorbau und den auf ihm im Dachgeschoss vorgesehenen Balkon als einheitlichen Vorbau im Sinne des § 5 Abs. 6 Nr. 2 LBO zu betrachten. Vielmehr sind die beiden Vorbauten nach den obigen Maßstäben zunächst getrennt voneinander zu betrachten und zu bewerten.
(1) Der erkerähnliche Vorbau ist ein untergeordneter Vorbau im Sinne von § 5 Abs. 6 Nr. 2 LBO. Er hält - wie die Beschwerde einräumt - die von § 5 Abs. 6 Nr. 2 LBO vorgeschriebenen Außenmaße ein und ragt selbst auch nicht über die Außenwand in die Giebelfläche des Bauvorhabens hinein. Weiter erstreckt sich auf deutlich weniger als ein Drittel der Länge der Außenwand und ist mithin im Verhältnis zu ihr untergeordnet.
(2) Der auf dem erkerähnlichen Vorbau vorgesehene, im Dachgeschoss teilweise in die Giebelfläche des geplanten Gebäudes hineinragende Balkon ist eigenständig an § 5 Abs. 6 Nr. 2 LBO zu messen. Denn er wäre ohne den erkerähnlichen Vorbau konstruierbar, da er ihn nicht als Fundament benötigt. Es handelt sich damit um einen eigenständigen Vorbau, der als Balkon ebenfalls nach § 5 Abs. 6 Nr. 2 LBO privilegiert ist. Er ist nämlich für sich betrachtet erkennbar der Außenwand untergeordnet.
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(3) Die Gesamtheit der vor der Außenwand befindlichen Vorbauten - Erker und Balkon - erweist sich ebenfalls als untergeordnet und im Umkehrschluss die Außenwand weiterhin als optisch dominierend. Dafür ist im Wesentlichen die Ausdehnung in der Länge von deutlich weniger als einem Drittel der Außenwand und ergänzend ausschlaggebend, dass die Außenwand und die Giebelfläche hinter dem Balkon weiterhin sichtbar bleiben und nicht etwa vollständig verdeckt werden.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2, 162 Abs. 3 VwGO. Da die Beigeladene einen eigenen Antrag gestellt hat und damit ein Kostenrisiko eingegangen ist (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es billigem Ermessen, ihre außergerichtlichen Kosten den unterlegenen Antragstellern aufzuerlegen.
12 
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG und lehnt sich an Nr. 9.7 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ 2013, Beilage S. 57) an. Eine Reduzierung des Streitwerts in Anlehnung an Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs 2013 kommt nach ständiger Senatsrechtsprechung nicht in Betracht, da sich die Antragsteller nicht allein gegen die Auswirkungen der zukünftigen Nutzung des Nachbargrundstücks zur Wehr setzten.
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Der Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.
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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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Annotations

(1) Gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.

(2) Prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über eine Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen sowie Beschlüsse über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint, können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

(3) Außerdem ist vorbehaltlich einer gesetzlich vorgesehenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision die Beschwerde nicht gegeben in Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands zweihundert Euro nicht übersteigt.

(4) Die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123) ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Das Verwaltungsgericht legt die Beschwerde unverzüglich vor; § 148 Abs. 1 findet keine Anwendung. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.

(5) u. (6) (weggefallen)

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.