Verwaltungsgericht Schwerin Urteil, 10. Aug. 2018 - 4 A 1012/14

bei uns veröffentlicht am10.08.2018

Tenor

Der Grundbesitzabgabenbescheid des Beklagten vom 3. März 2014 und sein Widerspruchsbescheid vom 25. April 2014 über Straßenreinigungsgebühren werden aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

1

Der Kläger ficht einen Bescheid über Straßenreinigungsgebühren an.

2

Er ist Eigentümer des bebauten Grundstücks in R., bestehend aus den Flurstücken a und b der Flur c, Gemarkung H..

3

Vor dem Grundstück liegt auf (mindestens und größtenteils) dem Flurstück d der Flur 1, Gemarkung H., die im Zuge der Verwirklichung des Bebauungsplans Nr. x „Einkaufszentrum Neu-H.“ Anfang der 90er Jahre gebaute Straße „Neu H.“, die im Norden in die G. Straße mündet. Parallel zur Fahrbahn dieser Straße verläuft auf der Seite, an der das Grundstück liegt, ein Grünstreifen mit einem kleinen Graben, woran sich ein recht breiter befestigter Fuß- und Radweg anschließt. Dieser Weg befindet sich auf dem Verlauf der alten Straße mit wohl dem Namen G. Straße. Sowohl der Grünstreifen als auch der Fuß- und Radweg sind Teil des Flurstücks e der Flur 1, Gemarkung H.. Beide Flur- und Grundstücke stehen im Eigentum der Hansestadt R.

4

Die Straße „Neu H.“ im Bereich „H.er Straße bis G. Straße“ wurde mit der 2. Änderungssatzung der Straßenreinigungssatzung der Hansestadt R. vom 26. November 2013, veröffentlicht im Amts- und Mitteilungsblatt der Hansestadt R. vom 4. Dezember 2013, in das Verzeichnis der von der Hansestadt R. zu reinigenden öffentlichen Straßen aufgenommen.

5

Mit Grundbesitzabgabenbescheid vom 3. März 2014 setzte der Beklagte gegenüber dem Kläger für das genannte Grundstück Straßenreinigungsgebühren für das Kalenderjahr 2014 in Höhe von 139,32 € fest.

6

Den im gleichen Monat erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25. April 2014 zurück, dem Kläger am nächsten Tag zugestellt.

7

Am 26. Mai 2014 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben, mit der er vorträgt:

8

Er verweise auf § 1 Abs. 5 der Straßenreinigungssatzung. Zwischen seinem Grundstück und der Straße befinde sich das bebaute – inzwischen ehemalige – Flurstück f, seines Wissens nach im städtischen Eigentum. Sein Grundstück grenze nicht direkt an die Straße, sondern sei durch das genannte Flurstück von ihr getrennt. Es würde nur dann seiner „Anliegerschaft“ nicht entgegenstehen, wenn es unbenutzt und unbebaut wäre. Allerdings sei das Flurstück im Zuge der Flurbereinigung geteilt worden. Der entlang der Straße verbleibende (unbebaute) Teil sei zum Flurstück e geworden.

9

Bis heute könnten die Anlieger ihre Grundstücke nicht direkt von der neuen Straßenfahrbahn aus erreichen, hätten auch keinen direkten fußläufigen Zugang zu dieser, sondern müssten bis zur Einmündung der nächsten Straße fahren, die strittige Straße verlassen und könnten erst dort auf der nächsten Straße wenden und auf der alten, nun asphaltierten Zufahrtsstraße (dem Radwanderweg) zurück zum Grundstück gelangen. Grund sei der dazwischen liegende Drainagegraben.

10

Außerdem liege die Straße in einem in den 90er Jahren gebauten und mit einem Bebauungsplan aus den Jahren 1993/1994 überbauten Gewerbegebiet und sei einst für dieses als Zufahrt und zur Versorgung errichtet/ausgebaut worden und werde aktuell auch weiter so genutzt.

11

Dass die (neue) Verbindungsstraße ins Gewerbegebiet und zur G. Straße zum Teil parallel zur (alten) Anliegerstraße des Siedlungsgebiets verlaufe, begründe nicht zwingend deren Einheit.

12

Die „öffentliche Straße Neu H.“ existiere als solche vor Ort nicht, jedenfalls nicht in der damit unwillkürlich assoziierten üblichen Form als zusammenhängende fortlaufende Straße. Neu H. sei ein kleines gestreutes Siedlungsgebiet am Stadtrand von R., das aus mehreren nicht zusammenhängenden unbenannten Einzelstraßen und –wegen unterschiedlichster Art und Größe bestehe und dessen Hausnummern unabhängig von der jeweils anliegenden Einzelstraße im Gesamtgebiet unter „Neu H.“ (ohne Straße) fortlaufend durchadressiert worden seien.

13

Daraus eine einheitliche „öffentliche Straße Neu H.“ zu kreieren, harmoniere weder mit den rechtlichen noch mit den örtlichen Gegebenheiten.

14

Anliegerstraße für sein Grundstück sei nicht die Versorgungsstraße für das Gewerbegebiet, sondern die alte ehemalige Schotterstraße vor seinem Grundstück, die bei Errichtung des Gewerbegebiets zur kombinierten Wegenutzung als Fuß-/Rad- und Fahrweg ausgebaut worden sei. Im Bebauungsplan für das Gewerbegebiet und die zugehörenden Verkehrswege sei festgelegt worden, dass die Erschließung des Gebiets durch eine neu zu errichtende Straße erfolge, die vom Autobahnanschluss aus um das eigentliche Baugebiet herum bis an dessen nördliche Seite führe. Die hiervon berührten Verkehrsflächen lägen alle nördlich des bereits vorhandenen Drainagegrabens, der südöstlich am Rand des B-Plangebiets verlaufe.

15

Eine förmliche Widmung sei nicht erfolgt, sondern es werde eine bestehende Widmung des alten Fahrwegs herangezogen, um auf dieses Basis eine Widmung nach § 7 Abs. 5 StrWG – MV zu konstruieren. Die Änderungen seien jedoch nicht unwesentlich. Die neue Trasse sei mehr als eine Wegbreite von der alten entfernt, liege auf einer anderen räumlich getrennten Verkehrsfläche, sei vom Charakter und der Nutzung her weit über das bisherige Maß hinaus ausgebaut, habe zur Einziehung gleich mehrere alter Straßenteile geführt usw.

16

Der Kläger beantragt,

17

den Grundbesitzabgabenbescheid des Beklagten vom 3. März 2014 und seinen Widerspruchsbescheid vom 25. April 2014 aufzuheben.

18

Der Beklagte beantragt,

19

die Klage abzuweisen,

20

und trägt dazu vor:

21

Das Grundstück des Klägers grenze direkt an die öffentliche Straße an und könne sowohl fußläufig als auch mit Fahrzeugen ausschließlich über diese Straße erreicht werden. Diese bestehe aus einem Geh- und Radweg, einer Fahrbahn und einem Straßengraben zwischen beiden. Das Straßengrundstück umfasse die Flurstücke d und e, die im städtischen Eigentum seien. Das Flurstück f existiere mit Beendigung eines Bodenneuordnungsverfahrens im April 2013 nicht mehr; es sei u. a. das Flurstück e entstanden.

22

In der vorgelegten Erklärung „von: 66 an: 73.12“ heißt es: Das Flurstück e (ehemals f) sei als öffentlich gewidmete Verkehrsfläche zu den Stichtagen 22. August 1974 (StrVO DDR-1974) i. V. m. dem Einigungsvertrag und dem 30. Januar 1993 mit der in Kraft getretenen Fassung des Straßen- und Wegegesetzes Mecklenburg-Vorpommern genutzt worden. Diese Fläche sei in den topographischen Karten von 1900 und 1980 nachweislich vorhanden und gelte als öffentlich gewidmet. Auch vor Umsetzung des Bebauungsplans sei eine befahrbare Verkehrsanlage nachweislich (topographische Karte 1980) zur Erschließung der Anlieger vorhanden gewesen. Mit Umsetzung des B-Plans sei die öffentliche Straßenverkehrsfläche (Gemarkung H., Flur 1, Flurstück d) zur Erschließung des Einkaufscenters hinzugekommen. Eine Widmungsverfügung nach geltendem Straßen- und Wegegesetz sei nicht existent. Er, der Beklagte, gehe von der sog. Elastizität der Widmung nach § 7 Abs. 5 StrWG – MV aus, wonach durch Umsetzung des B-Plans die bestehende Verkehrsanlage durch einen Neubau erweitert worden sei.

23

Bei der Straße habe es sich bis Ende des Jahre 2017 um eine Kreisstraße nach § 3 Ziff. 3 StrWG M-V gehandelt.

24

Zur Straße Neu H. sei darauf hinzuweisen, dass im „rechtskräftigen“ Bebauungsplan die Verkehrsfläche der Straße mit Grünstreifen und Geh- und Radweg festgesetzt werde. Alle Teilanlagen seien Bestandteil einer einheitlichen Verkehrsanlage.

25

Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 7. Januar 2016 bzw. – versehentlich erneut – vom 29. August 2017 zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

Entscheidungsgründe

26

Die zulässige Anfechtungsklage hat Erfolg.

27

Der Grundbesitzabgabenbescheid des Beklagten vom 3. März 2014 über Straßenreinigungsgebühren und sein Widerspruchsbescheid vom 25. April 2014 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

28

Der Kläger ist (derzeit) nicht straßenreinigungsgebührenpflichtig.

29

Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 des Straßen- und Wegegesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern (im Folgenden gemäß dem ungewöhnlichen, aber bis heute nicht geänderten Abkürzungsansatz in der Gesetzesüberschrift: StrWG – MV [statt StrWG M-V]) sind alle innerhalb der geschlossenen Ortslage gelegenen „öffentlichen Straßen“ zu reinigen. Nach § 50 Abs. 4 Satz 1 StrWG – MV sind die Gemeinden reinigungspflichtig und nach Satz 2 Nr. 3 berechtigt, die Eigentümer oder dinglich Nutzungsberechtigten der anliegenden Grundstücke sowie der durch die (öffentliche) Straße erschlossenen Grundstücke zu den entstehenden Kosten heranzuziehen, so namentlich nach dem Satzteil hinter dem Semikolon durch (Straßenreinigungs-)Gebühren. Deren nähere Ausgestaltung regelt dann § 6 des Kommunalabgabengesetzes (KAG M-V).

30

Da die Gemeinde die Reinigungspflicht auch (ganz oder teilweise) den Eigentümern der anliegenden Grundstücke oder den zur Nutzung dinglich Berechtigten auferlegen kann (§ 50 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 StrWG – MV), wird über die „technische Satzung“, die Straßenreinigungssatzung, geklärt, wer überhaupt eine öffentliche Straße und ggf. welche Teile derselben zu reinigen hat und – soweit diese Aufgabe in der Pflicht der Gemeinde bleibt – für die Reinigung gebührenpflichtig nach der separaten Gebührensatzung für die Straßenreinigung in der Hansestadt R. ist.

31

Nur wenn die Kommune eine gewidmete (oder – so ist zu ergänzen – als gewidmet geltende) und damit öffentliche Straße reinigt, darf sie hierfür Gebühren verlangen (vgl. M. Wichmann, Straßenreinigung und Winterdienst in der kommunalen Praxis, 8. Aufl. 2018, Rn. 333 S. 613).

32

Die Straßenreinigungssatzung in der Fassung der 2. Änderungssatzung der Straßenreinigungssatzung der Hansestadt R. vom 26. November 2013 hat mit der Einbeziehung des dort näher eingegrenzten Bereichs der „Straße“ „Neu H.“ aber keine öffentliche Straße in das Verzeichnis der von der Stadt zu reinigenden öffentlichen Straßen aufgenommen. Die vermeintlich öffentliche Straße „Neu H.“ im satzungsrechtlich umschriebenen Umfang, die nach unbefangener Betrachtung ungeachtet der Straßennamensvielfalt auch (nach erfolgter Widmung) eine eigene Anlage i. S. des Straßenreinigungsgebührenrechts darstellen kann, ist derzeit keine öffentliche Straße.

33

Die Straße muss für den öffentlichen Verkehr gewidmet sein, damit sie eine öffentliche darstellt (§ 2 Abs. 1 StrWG – MV). Die Widmung verfügt der Träger der Straßenbaulast (§ 7 Abs. 1 Satz 1 StrWG – MV). Sie ist von dieser Behörde öffentlich bekanntzumachen (§ 7 Abs. 2 StrWG – MV).

34

Von diesen Erfordernissen befreit allerdings der Sache nach § 62 Abs. 1 Satz 1 StrWG – MV. Gemäß dieser Vorschrift bleiben alle Straßen, die nach bisherigem Recht die Eigenschaft einer öffentlichen Straße besitzen, öffentliche Straßen im Sinne dieses Gesetzes (dazu etwa näher Urt. der 2. Kammer vom 20. Jan. 2011 – 2 A 2151/06 –, juris, Rn. 33 ff.). Die alte G. Straße in dem fraglichen Bereich war eine solche alt-öffentliche Straße (zurückreichend mindestens bis ins Deutsche Reich), wie die von der Beklagten vorgelegten topographischen Karten nicht nur des Jahres 1980, sondern sogar des Jahres 1900 belegen. Von einer näheren Darlegung anhand des jeweils vormals geltenden Rechts sieht das Gericht ab, da die Beteiligten insoweit übereinstimmend ebenso von einem solchen Sachverhalt ausgehen.

35

Die nach der Deutschen Einheit an der alten G. Straße im hier gegenständlichen Bereich vorgenommenen Baumaßnahmen im Zusammenhang mit dem in der Nähe befindlichen überplanten Gewerbegebiet haben aber zur Überzeugung des Gerichts dazu geführt, dass nunmehr die neue Straße „Neu H.“ in diesem Bereich hätte gewidmet werden müssen, um den rechtlichen Charakter einer öffentlichen Straße zu erhalten. Dies ist aber nicht der Fall.

36

Das Gericht teilt nicht die Rechtsauffassung des Beklagten, der von der sog. Elastizität der Widmung nach § 7 Abs. 5 StrWG – MV ausgeht, wonach durch die Umsetzung des Bebauungsplans, bei der “die öffentliche Straßenverkehrsfläche (Gemarkung H., Flur 1, Flurstück d) zur Erschließung des Einkaufscenters“ hinzugekommen sei, die bestehende Verkehrsanlage durch einen Neubau erweitert worden sei.

37

§ 7 Abs. 5 Satz 1 StrWG – MV besagt, dass dann, wenn eine öffentliche Straße verbreitert, begradigt, durch Verkehrsanlagen ergänzt oder unwesentlich verlegt wird, die neu hinzugekommenen Straßenteile mit der Überlassung für den öffentlichen Straßenverkehr als gewidmet gelten, sofern die Voraussetzung des Absatzes 3 (im Regelfall also das Grundstück im Eigentum des Trägers der Straßenbaulast steht oder aber der Grundstückseigentümer zustimmt) vorliegt. Einer öffentlichen Bekanntmachung bedarf es dann nicht, § 7 Abs. 5 Satz 2 StrWG – MV.

38

Auch eine alt-öffentliche Straße i. S. des § 62 Abs. 1 Satz 1 StrWG – MV unterliegt dabei dieser Elastizität der (fiktiven) Widmung (vgl. Urt. der 2. Kammer vom 20. Jan. 2011, a. a. O. Rn. 37).

39

Das gesetzliche Band der widmungserstreckenden Elastizität ist nach Auffassung des Gerichts bei Betrachtung der Anfang der 90er Jahre durchgeführten Maßnahmen an der alten öffentlichen Straße „G. Straße“ im fraglichen Bereich allerdings nicht nur überdehnt, sondern gerissen.

40

Damals wurde nicht nur eine neue asphaltierte Fahrbahn parallel neben der nach unbestrittenen Angaben des Klägers alten Schotterfahrbahn ohne jegliche räumliche Überschneidungen errichtet. Zugleich wurde die alte Fahrbahn offenbar asphaltiert und sollte fortan nicht mehr als solche dienen, sondern als kombinierter Fuß- und Radweg, der nur noch von den Anliegern hat befahren werden dürfen. Darüber hinaus wurde zwischen alter (als solcher „ausgedienter“) und neuer Fahrbahn ein Grünstreifen mit einem Graben gesetzt (oder – soweit schon vorher vorhanden – beibehalten).

41

Zwar wäre es rabulistisch, die gesetzliche Vorschrift des § 7 Abs. 5 Satz 1 StrWG – MV deshalb nicht als einschlägig zu betrachten, weil die „Erweiterung“ (einer öffentlichen Straße) – so der Beklagte in seiner Erklärung „von: 66 an: 73.12“ vom 8. August 2018 – dort nicht erwähnt wird. Entscheidend ist nach Auffassung des Gerichts eine wertende Betrachtungsweise, wobei das Merkmal „unwesentlich“ auf alle in § 7 Abs. 5 Satz 1 StrWG – MV erwähnten Tatbestände zutreffen muss (ebenso Sauthoff, Öffentliche Straßen, 2. Aufl. 2010, Rn. 98 m. w. N. aus der Kommentarliteratur der Straßen- und Wegegesetze anderer Bundesländer).

42

Zutreffend spricht der Beklagte in diesem Zusammenhang aber im Hinblick auf die damals vorgenommenen Straßenbaumaßnahmen von einem „Neubau“. Hierbei wurde nach Auffassung des Gerichts indessen die alt-öffentliche Straße nicht nur von ihrer Verkehrsfunktion her gewissermaßen auf den Kopf gestellt, sondern auch im Übrigen – sinngemäß – kein Stein auf dem anderen gelassen. Der Beklagte hat damals straßen- und wegerechtlich keine reine „Kosmetik“ i. S. der Elastizitätsvorschrift des § 7 Abs. 5 Satz 1 StrWG – MV vorgenommen, sondern gleichsam „plastische Chirurgie“, die zu einem völlig anderen „Gesicht“ der alt-öffentlichen Straße geführt hat, die „nicht wiederzuerkennen“ ist. Aber die alt-öffentliche Straße hat nicht nur ihr Äußeres extrem verändert, auch ihr Charakter, straßenverkehrsrechtlich betrachtet, wurde wesentlich verändert.

43

Es liegt keine (bloße) „Verbreiterung“ der alt-öffentlichen Straße vor, wenn die alte Fahrbahn nicht mehr als solche genutzt werden soll, sondern nunmehr einem anderen Verkehrszweck (Rad- und Fußweg) dienen soll und stattdessen eine neue Fahrbahn nicht nur überschneidungslos daneben errichtet wird, sondern auch noch räumlich getrennt durch einen Grünstreifen mit Graben. Hier hat sich der bisherige (fiktive) Widmungsinhalt und –zweck der alt-öffentlichen Straße gewandelt, was bei einer Verbreiterung i. S. v. 3 7 Abs. 5 Satz 1 StrWG – M-V nach gerichtlicher Ansicht nicht der Fall sein darf (vgl. auch Sauthoff, in: ders./Witting, Straßen- und Wegegesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Stand: Oktober 2017, § 7 Rn. 104 m. w. N.; ders., Öffentliche Straßen, a. a. O., Rn. 100).

44

Im Übrigen hat sich die Straßenfläche mehr als verdoppelt, was einer unwesentlichen Verbreiterung (zum Erfordernis, die Unwesentlichkeit bei jedem Tatbestandsmerkmal festzustellen s. o.) und einer Befreiung vom Grundsatz der Widmung entgegensteht.

45

Vor diesem Hintergrund einer sowohl räumlichen Trennung von „altem“ und „neuem“ Straßenkörperbereich und deren reichhaltiger Vermehrung durch den sehr breiten Fuß- und Radweg, den Grünstreifen und den „mittigen“ Graben (vgl. die exemplarische Aufzählung in § 2 Abs. 2 Nr. 1 StrWG – MV) und einer faktischen „Umwidmung“ des alten Straßenbereichs, dem nunmehr eine völlig andere Verkehrsfunktion zukommen soll, kann auch nicht mehr von einer (bloß) „unwesentlichen Verlegung“ der alt-öffentlichen Straße nach dieser Alternative des § 7 Abs. 5 Satz 1 StrWG – MV gesprochen werden (vgl. auch OVG Münster, Urt. v. 26. Febr. 2018 – 11 A 129/15 –, juris Rn. 78 ff., wonach keine unwesentliche Veränderung oder Verlegung bei Änderung einer öffentlichen Straße vorliegt, wenn es sich dabei um Verschiebungen einer Straße von mehr als einer Wegesbreite oder bei der Verlegung eines Teils eines öffentlichen Wegs vollständig außerhalb des Verkaufs der bisherigen Trasse handelt; im Fall der teilweisen Verlegung der Fahrbahn und sonstigen Teileinrichtungen von „gebogener“ zu rechtwinkliger Trassenführung im Einmündungsbereich einer Straße liegt eine unwesentliche Verlegung vor, Urt. der Kammer v. 9. Jan. 2014 – 4 A 1507/10 –, juris Rn. 26).

46

Ebenso wenig wurde die alt-öffentliche Straße nur „durch Verkehrsanlagen ergänzt“ oder „begradigt“.

47

Zwar dürften die gesetzlich genannten Maßnahmen in § 7 Abs. 5 Satz 1 StrWG – MV wohl grundsätzlich auch kumulativ vorgenommen werden können, ohne dass die (fiktive) Widmung ihre Elastizität und damit Ausdehnbarkeit auf „Neues“ an der Straße verliert. Aber auch insoweit ist dem Ausnahmecharakter dieser Vorschrift durch eine enge Auslegung Rechnung zu tragen.

48

Zur Überzeugung des Gerichts liegt insoweit auch bei einer Gesamtschau nicht nur ein unerheblicher oder unwesentlicher Straßenumbau vor, sondern vielmehr gleichsam ein kompletter Neubau von „außen“ und „innen“, welcher der förmlichen Widmung nach § 7 Abs. 1 und 2 StrWG – MV bedarf. Hierbei ist mit Blick auf die Funktion der Widmung nicht nur bei der bereits vorgenommenen Einzel-, sondern auch bei der Gesamtbetrachtung der alt-öffentlichen Straße nach deren Neugestaltung von Kriterien wie denen der Bedeutung der Straße für die Erschließung der Grundstücke und für den allgemeinen Verkehr im Wegenetz (Anknüpfungspunkt und Streckenverlauf) sowie des Umfangs der hinzutretenden Fläche auszugehen (Sauthoff, a. a. O., § 7 Rn. 103 unter Hinweis auf OVG Münster, Urt. v. 19. Mai 1999 – 3 A 3506/95 –, juris Rn. 9 m. w. N.). Wäre eine tatsächliche Änderung der Verkehrsbedeutung einer Straße nach den Grundsätzen der Elastizität der Widmung möglich, würde dies dazu führen, dass diese aus der gleichbleibenden Widmungsverfügung (oder – hier – ihrer entsprechenden Widmungsfiktion) nicht erkenntlich werden; gleiches gilt für Einstufung (Sauthoff, a. a. O., § 7 Rn. 104). In einer funktionalen Betrachtungsweise ist darauf abzustellen, ob die neue Wegefläche erkennbar einem erheblich größeren oder andersartigen Verkehr als bisher dient, wobei es auf die tatsächlichen Verhältnisse, nicht auf die rechtlichen Auswirkungen ankommt, die für den Adressaten der unterbliebenen Widmung nicht erkennbar ist (Sauthoff, a. a. O., § 7 Rn. 105; ders., Öffentliche Straßen, a. a. O., Rn. 100). Unerheblich ist die Veränderung etwa, wenn die öffentliche Straße z. B. den Charakter einer Anliegerstraße im Gesamtwegenetz unverändert behalten hat (vgl. OVG Münster, Urt. v. 19. Mai 1999, a. a. O., Rn. 13) oder an sie etwa nur ein Geh- oder Radweg angebaut wird (Sauthoff, a. a. O., § 7 Rn. 106). Erheblich ist eine Änderung der öffentlichen Straße, wenn nach der Umgestaltung die den einzelnen Benutzerkreisen zur Verfügung stehenden Flächen verändert sind (Sauthoff, a. a. O., § 7 Rn. 106 m. w. N.).

49

Auch gemessen an diesen Maßstäben liegt eine völlig „neue“ Straße vor. So hat sich die straßenverkehrsrechtliche Bedeutung der alt-öffentlichen Straße wesentliche gewandelt. Vormals war sie wohl vornehmlich für die Erschließung der Anliegergrundstücke und im Übrigen – dies ist allerdings dem Gericht unklar geblieben – womöglich früher als Durchgangsstraße nach Goorstorf (siehe ihren früheren Namen) gedacht. Nunmehr ist auf der alt-öffentlichen Fahrbahn nur als Ausnahme ein Befahren des verkehrsrechtlich in einen Fuß- und Radweg gewandelten Trassenbereichs möglich. Im Zuge dieser straßenverkehrsrechtlichen Herabstufung oder wesentlichen Nutzungsänderung der alt-öffentlichen (Anlieger-) Straße wurde darüber hinaus die Bedeutung der neu geschaffenen Straßenteile namentlich mit Blick auf die neue Fahrbahn, die nunmehr „normalen“ Begegnungsverkehr auf einer asphaltierten Fahrbahn ermöglicht, für den allgemeinen Verkehr im Wegenetz entscheidend erhöht, da sie hauptsächlich dem viel größeren Verkehr zum und vom benachbarten Gewerbegebiet Rechnung tragen sollte, wie deren planerische Ausgestaltung und Einbeziehung in den entsprechenden Bebauungsplan zeigt.

50

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

51

Von Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kosten dieses Verfahrens sieht das Gericht ab (vgl. § 167 Abs. 2 VwGO), da auf Beklagtenseite eine insolvenzunfähige Gemeinde/Stadt und damit eine kraft Gesetzes stets zahlungsfähige Schuldnerin steht.

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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Verwaltungsgericht Schwerin Urteil, 09. Jan. 2014 - 4 A 1507/10

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Verwaltungsgericht Schwerin Urteil, 20. Jan. 2011 - 2 A 2151/06

bei uns veröffentlicht am 20.01.2011

Tenor 1. Die Beklagte wird verurteilt, die auf den Grundstücken der Gemarkung C-Stadt, Flur …, Flurstücke …, …, …, …, … und … errichtete Erschließungsstraße einschließlich Straßenbeleuchtung sowie sämtliche Versorgungs- und Entsorgungsleitungen zu

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, die auf den Grundstücken der Gemarkung C-Stadt, Flur …, Flurstücke …, …, …, …, … und … errichtete Erschließungsstraße einschließlich Straßenbeleuchtung sowie sämtliche Versorgungs- und Entsorgungsleitungen zu beseitigen.

2. Die Beklagte wird ferner verurteilt, die ursprünglich auf den Grundstücken Flurstücke …, … und … vorhandenen Maschendrahteinzäunungen und Toreinrichtungen, wie aus dem als Anlage K 4 der Klageschrift anliegenden Lageplan und den als Anlage K 5 zur Klageschrift anliegenden Lichtbildern ersichtlich, wiederherzustellen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 225.000,00 Euro vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Beseitigung einer auf den Grundstücken der Gemarkung C-Stadt, Flur …, Flurstücke …, …, …, …, … und … errichteten Erschließungsstraße einschließlich Straßenbeleuchtung und sämtlicher Versorgungs- und Entsorgungsleitungen sowie die Wiederherstellung der ursprünglich auf den Flurstücken …, … und … vorhandenen Maschendrahteinzäunungen und Toreinrichtungen.

2

Der Kläger ist Eigentümer der o. g. Flurstücke bis auf das Flurstück …. Dieses steht im Eigentum der Firma A. A., deren Inhaber der Kläger ist.

3

Aufgrund eines Ansiedlungswunsches der E…-Gruppe beschloss die Beklagte am 29. November 2000 die Aufstellung eines Bebauungsplanes für den Bereich der ehemaligen Baustoffversorgung, den Bebauungsplan Nr. 6.2.

4

Der Entwurf dieses Bebauungsplanes sah im Teil A vor, dass das Plangebiet im Westen durch das Bebauungsplangebiet 6.1, im Süden durch die Autobahn A … und im Nordwesten bis Südosten durch die Bahnstrecke … begrenzt wird. Im südöstlichen Teil war ein Industriegebiet vorgesehen. An dieses Industriegebiet schloss sich in Richtung Westen und Nordwesten ein weiteres Industriegebiet an, das im Westen mit der Westgrenze des Flurstücks … der Flur … der Gemarkung C-Stadt endete. Die im Eigentum des Klägers stehenden Flächen sollten größtenteils als Gewerbegebiet überplant werden. Innerhalb dieses Plangebietes befanden sich sowohl Gebäude sowie Asphalt- und Betonflächen. Auf dem Flurstück … befand und befindet sich in Nordwest-Ausrichtung der westliche Teil einer Portalkrananlage, die sich nach Südosten auf dem Flurstück … der Flur … der Gemarkung C-Stadt sowie dem Flurstück … der Gemarkung W. fortsetzt. Die Krananlage verfügt über einen Gleisanschluss, der sich nach Nordwesten fortsetzt. Auf dem Flurstück … befindet sich in der nordwestlichen Ecke eine 40-Tonnen-Waage. Die Krananlage ist ebenso wie die Waage mit umfangreichen Asphalt- und Betonflächen versehen. Weiter befinden sich auf den Flurstücken …, … und … betonierte Flächen, die als Fahrwege genutzt wurden.

5

Das Plangebiet sollte durch eine öffentliche Straße erschlossen werden, die im Nordwesten an eine bereits vorhandene öffentliche Straße anschließt und mit einem Wendehammer im Nordteil des Flurstücks … mit einem kleinen Stück auf dem Flurstück … im nordwestlichen Teil endet. Auf diese Weise wurden die vorhandene 40-Tonnen-Waage und die Flurstücke … und … sowie Teile der Flurstücke … und …, die im Eigentum des Klägers stehen, überplant. Eine weitere öffentliche Erschließung des Plangebietes war nicht vorgesehen. Wegen verschiedener Einwände des Klägers teilte die Beklagte das Bebauungsplangebiet im Folgenden in zwei Teilgebiete auf, nämlich den Bebauungsplan Nr. 6.2 der Stadt C-Stadt für den Bereich der ehemaligen Baustoffversorgung nördlicher und östlicher Teil sowie einen südwestlichen Teil. Durch die Aufteilung fielen die Grundstücke des Klägers im Wesentlichen aus dem Verfahren heraus; nur die nördlichen Teilflächen, die für die Erschließungsstraße benötigt wurden, verblieben im Bebauungsplan Nr. 6.2 nördlicher und östlicher Teil. In dieser Form wurde der Bebauungsplan von der Beklagten zunächst am 11. Juli 2001 beschlossen und im August 2001 öffentlich bekannt gemacht. Aufgrund eines Verfahrensfehlers fasste die Beklagte den Abwägungs- und Satzungsbeschluss zum Bebauungsplan Nr. 6.2 gemäß § 215 a Baugesetzbuch (BauGB) am 18. Dezember 2002 erneut und ohne Änderung gegenüber dem Beschluss vom 11. Juli 2001. Der erneut beschlossene Bebauungsplan wurde am 18./19. Januar 2003 bekannt gemacht.

6

Bereits mit Antrag vom 1. August 2001 hatte die Beklagte die Enteignung und vorzeitige Besitzeinweisung der für die Errichtung der Erschließungsstraße betreffenden Teilflächen des Klägers beantragt. Mit Beschluss vom 11. Juni 2003 wies das Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern als Enteignungsbehörde die Beklagte vorzeitig in den Besitz der entsprechenden Teilflächen der Grundstücke des Klägers ein.

7

Mit Vorabentscheidungsbeschluss vom selben Tag entzog die Enteignungsbehörde dem Kläger darüber hinaus das Eigentum an den vorgenannten Teilflächen und übertrug es auf die Beklagte. Besitzeinweisung und Enteignung erfolgten zu dem Zweck der Errichtung einer Erschließungsstraße auf der Grundlage der Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. 6.2 der Beklagten.

8

Nach vollzogener Besitzeinweisung errichtete die Beklagte im Jahre 2003/2004 die Erschließungsstraße. Diese wurde einseitig mit einem Gehweg und Straßenlampen versehen. Unterirdisch verlegte die Beklagte einen Entwässerungskanal sowie eine Wasserversorgungs- und eine Stromleitung.

9

Mit Urteil vom 22. Juni 2005 (Gesch.-Z. 3 K 25/01) erklärte das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern auf den Normenkontrollantrag des Klägers hin den Bebauungsplan Nr. 6.2 der Beklagten für den Bereich der ehemaligen Baustoffversorgung - nördlicher und östlicher Teil - gemäß § 47 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) für unwirksam. Unter anderem begründete das Oberverwaltungsgericht seine Entscheidung auch mit einer fehlerhaften Abwägung der zu berücksichtigenden Belange des Klägers. Das Urteil ist rechtskräftig. Mit Urteil vom 25. Juli 2006 (Gesch.-Z. 13 U 4/04) hob das Oberlandesgericht Rostock auf den vom Kläger gegen den Besitzeinweisungsbeschluss des Innenministeriums vom 11. Juni 2003 gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung diesen auf. Das Urteil ist ebenfalls rechtskräftig. Mit Urteil vom 25. Juli 2006 (Gesch.-Z. 13 U 5/04) hob das Oberlandesgericht auf Antrag des Klägers hin auch den Enteignungsbeschluss des Innenministeriums vom 11. Juni 2003 auf. Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde der Beklagten wies der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 22. Februar 2007 (Gesch.-Z. III ZR 216/06) zurück.

10

Mit anwaltlichem Schreiben vom 6. September 2006 forderte der Kläger die Beklagte auf, die auf seinen Grundstücken verlegte Straße nebst Leitungen zu beseitigen und den früheren Zustand wiederherzustellen.

11

Nachdem die Beklagte dieser Aufforderung in der Folgezeit nicht nachkam, hat der Kläger am 20. November 2006 die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor: Ihm stehe aufgrund des für unwirksam erklärten Bebauungsplanes ein Folgenbeseitigungsanspruch, gerichtet auf Beseitigung der auf seinem Grundstück errichteten Erschließungsstraße nebst einseitigem Gehweg, Straßenbeleuchtung sowie der von der Beklagten im Zuge des Straßenbaus verlegten Ver- und Entsorgungsleitungen zu. Des Weiteren könne er mindestens die Wiederherstellung der Einzäunung seines Grundstücks verlangen, da er nicht nur einen Anspruch auf Beseitigung der von der Beklagten gebauten Straße samt Nebenanlagen, sondern auch auf Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes habe.

12

Die Voraussetzungen für einen Folgenbeseitigungsanspruches seien gegeben. Ein hoheitlicher Eingriff liege aufgrund der tatsächlichen Herstellung der Erschließungsstraße und deren Nebenanlagen vor. Durch die plangemäße Herstellung der Erschließungsstraße samt Nebenanlagen habe die Beklagte in das Eigentumsrecht des Klägers eingegriffen. Angesichts der Aufhebung des Enteignungsbeschlusses des Innenministeriums vom 11. Juni 2003 durch Urteil des Oberlandesgerichts Rostock vom 25. Juli 2006 sei dem Kläger das Eigentum an den betroffenen Teilflächen nicht wirksam entzogen worden. Die Beklagte könne sich nach rechtskräftiger Aufhebung des Besitzeinweisungsbeschlusses der Enteignungsbehörde vom 11. Juni 2003 durch Urteil des Oberlandesgerichts ebenfalls vom 25. Juli 2006 auch nicht mehr auf ein Recht zum Besitz an den Grundstücksteilflächen des Klägers berufen. Schließlich könne die Beklagte sich nach allgemein verbindlicher Unwirksamkeitserklärung des Bebauungsplanes auch nicht auf eine bauplanerische Festsetzung der Erschließungsstraße zur Rechtfertigung der Inanspruchnahme der Grundstücke des Klägers zum Zweck des Straßenbaus berufen. Dieser rechtswidrige Zustand dauere an. Nach wie vor unterhalte die Beklagte auf den Grundstücken des Klägers die von ihr errichteten Anlagen; sie halte auch den öffentlichen Verkehr weiterhin aufrecht. Ein rechtsgültiger Bebauungsplan zur Legalisierung dieses Zustandes existiere nicht. Die Beklagte könne sich auch nicht mit Erfolg auf eine Widmung der Erschließungsstraße berufen. Die straßenrechtliche Widmung sei kein Vollzugsakt einer Straßenplanung; sie sei gegenüber dem Grundstückseigentümer rechtlich ungeeignet, den durch eine fehlerhafte Bauleitplanung rechtswidrig entstandenen Zustand aufzuheben und stehe deshalb einem Anspruch auf Folgenbeseitigung nicht entgegen. Zudem liege eine wirksame Widmung der Straße gemäß § 7 Straßen- und Wegegesetz M-V (StrWG M-V) nicht vor. Hierzu wäre nach Absatz 3 dieser Vorschrift Voraussetzung, dass der Träger der Straßenbaulast - also die Beklagte - "verfügungsberechtigt" im weitesten Sinne hinsichtlich des der Straße dienenden Grundstücks sei. Hiervon könne angesichts der Entscheidungen des Oberlandesgerichts Rostock nicht die Rede sein. Anhaltspunkte dafür, dass die Rückgängigmachung des rechtswidrigen Zustandes der Beklagten tatsächlich oder rechtlich nicht möglich oder ihr nicht zumutbar sein sollte, seien angesichts des Gewichts des verletzten Rechtsgutes - Eigentum - nicht ersichtlich.

13

Der Kläger beantragt:

14

1. Die Beklagte wird verurteilt, die auf den Grundstücken der Gemarkung C-Stadt, Flur …, Flurstücke …, …, …, …, … und … errichtete Erschließungsstraße einschließlich Gehweg, Straßenbeleuchtung sowie sämtliche Versorgungs- und Entsorgungsleitungen zu beseitigen.

15

2. Die Beklagte wird ferner verurteilt, die ursprünglich auf den Grundstücken Flurstücke …, … und … vorhandenen Maschendrahteinzäunungen und Toreinrichtungen, wie aus dem anliegenden Lageplan und den anliegenden Lichtbildern ersichtlich, wieder herzustellen.

16

Die Beklagte beantragt,

17

die Klage abzuweisen.

18

Sie führt zur Begründung im Wesentlichen aus:

19

Die Lage der Erschließungsstraße entspreche mit Ausnahme der Verschwenkung um das marode Waagehaus exakt dem Straßenverlauf, der seit der Errichtung des Geländes bestehe. Die Verschwenkung sei seinerzeit aufgrund des ausdrücklichen Wunsches des Klägers geplant und gebaut worden. Das Gelände sei Anfang der 1980er Jahre als Bauhof für die Herstellung der Autobahn A …errichtet worden. Nach Fertigstellung der Autobahn sei das Gelände nicht wieder rekultiviert, sondern für die Baustoffversorgung genutzt worden. Es hätten sich dort mehrere Betriebe, nämlich ein Baustoffkombinat, ein Landbaukombinat, das Wohnungskombinat H… sowie ein Baumarkt-Fachgeschäft, angesiedelt. Um diese vier Betriebe erreichen zu können, sei die streitbefangene Straße, die parallel entlang des Bahndammes vom westlichen in den östlichen Bereich des Geländes führe, genutzt worden. Die Nutzung sei nicht nur von den Mitarbeitern der Betriebe erfolgt, sondern sei der Öffentlichkeit zur Nutzung mit der Verkehrsübergabe faktisch gewidmet worden. Die Straße sei durch Schwerlast- und PKW-Verkehr, aber auch durch Fahrradfahrer und Fußgänger genutzt worden. Bei der Straße handele es sich um eine sog. (alt-) öffentliche Straße im Sinne von § 62 Abs. 1 StrWG M-V. Die Stadt C-Stadt habe seinerzeit durch ihren Bauhof auch die notwendigen Verkehrssicherungspflichten - z. B. einen regelmäßigen Winterdienst - durchgeführt.

20

Die Straße sei, soweit sich dies im Nachhinein nachvollziehen lasse, auf der Grundlage der Verordnung über die öffentlichen Straßen vom 22. August 1974 (DDR-StrVO 1974, GBl. DDR I, 515) als öffentliche Straße errichtet worden und gemäß § 62 Abs. 1 StrWG M-V auch öffentliche Straße geblieben. Die Straße sei seit Anfang der 1980er Jahre als öffentliche Straße dauerhaft genutzt worden und habe ihre Widmung als "tatsächlich" öffentliche Straße bis heute nicht verloren. Die zu DDR-Zeiten erfolgte faktische Widmung durch die Indienststellung begründe vorliegend gemäß § 7 Abs. 6 StrWG M-V die öffentlich-rechtliche Sachherrschaft über die Straße. Diese öffentlich-rechtliche Sachherrschaft überlagere das Eigentumsrecht und schränke es kraft der staatlichen Hoheitsgewalt in Anwendung der Straßen- und Wegegesetze ein. Die straßenrechtliche Widmung bewirke, dass der Kläger als Eigentümer der mit der Erschließungsstraße bebauten Fläche seines Grundstücks die Nutzung der Straße nicht mehr untersagen könne und dass für die Nutzung der Straße ein bestimmter Gemeingebrauch festgelegt werde. Der Beklagten stehe als Straßenbaulastträgerin die Ausübung der Rechte des Eigentümers insoweit zu, als dies die Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs und die Verwaltung und Unterhaltung erforderten. Dementsprechend unterlägen der Straßenkörper selbst sowie die unter der Trasse verlegten Versorgungsleitungen öffentlich-rechtlichen Bindungen. Diese öffentlich-rechtlichen Bindungen stünden dem vom Kläger geltend gemachten Folgenbeseitigungsanspruch entgegen.

21

Das Vorgehen des Klägers sei im Übrigen rechtsmissbräuchlich. Die Beklagte habe im Interesse des Klägers das bereits in Umsetzung befindliche B-Plan-Verfahren nicht zu Ende geführt. Der Abwägungsbeschluss sei bereits am 23. April 2008 gefasst worden. Der Kläger habe wiederholt in der Folgezeit verschiedene Investoren präsentiert. Im Interesse des Klägers habe eine Umsetzung der Planung möglichst nahe an dem konkreten Investitionsvorhaben erfolgen sollen. Der Kläger habe im Rahmen der zwischen den Beteiligten geführten Verhandlungen geäußert, keine gerichtliche Lösung mehr anzustreben. Ein zunächst beabsichtigtes Mediationsverfahren sei vom Kläger sodann jedoch im Widerspruch zu seinem vorherigen Verhalten und seinen getätigten Aussagen abgelehnt worden.

22

Der Kläger hat hierauf mit Schriftsätzen vom 15. Mai 2007, 27. Juni 2007 und 17. Januar 2011 erwidert:

23

Es sei falsch, dass die von der Beklagten in Realisierung des Bebauungsplanes Nr. 6.2 hergestellte Erschließungsstraße mit Ausnahme der Verschwenkung um das Waagehaus exakt dem Straßenverlauf entspreche, der seit der Errichtung des Geländes bestehe. Die von der Beklagten jetzt gebaute Erschließungsstraße stimme nur im nördlichen Bereich des Flurstücks … des Klägers mit dem Verlauf der ursprünglich vorhandenen Asphaltstraße überein. Im Folgenden liege die Erschließungsstraße jedoch südlich bzw. - nach der Verschwenkung - nördlich der alten Asphaltstraße. Es werde auch bestritten, dass der Kläger jemals im Verfahren eine Verschwenkung der Erschließungstraße um das Waagehaus herum gewünscht oder gefordert habe. Es komme daher nicht darauf an, ob die ursprüngliche Asphaltstraße faktisch gewidmet gewesen sei und ob es sich um eine sog. (alt-)öffentliche Straße im Sinne von § 62 Abs.1 StrWG M-V handele, weil die Beklagte eine neue Erschließungsstraße gebaut habe. Abgesehen davon habe es sich bei dieser Straße nie um eine dem öffentlichen Verkehr gewidmete Straße gehandelt. Auch heute handele es sich - soweit noch Restflächen dieser Straße vorhanden seien - nicht um eine öffentliche Straße.

24

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.

Entscheidungsgründe

25

Die zulässige Klage ist begründet. Die Beklagte ist aus dem Gesichtspunkt der Folgenbeseitigung für einen hoheitlich geschaffenen rechtswidrigen Zustand zur Beseitigung der auf den klägerischen Grundstücken der Gemarkung C-Stadt, Flur …, Flurstücke …, …, …, …, … und … errichteten Erschließungsstraße einschließlich Straßenbeleuchtung und sämtlicher Versorgungs- und Entsorgungsleitungen verpflichtet. Darüber hinaus hat der Kläger auch einen Anspruch auf Wiederherstellung des in den Anlagen zur Klageschrift in Lageplänen und Fotoaufnahmen dokumentierten ursprünglichen Zustandes des Geländes, soweit es die im Zuge der Errichtung der streitgegenständlichen Erschließungsstraße beseitigten Maschendrahteinzäunungen und Toreinrichtungen betrifft.

26

Der öffentlich-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch ist bundes- oder landesgesetzlich nicht ausdrücklich geregelt, sondern von der Rechtsprechung entwickelt und früher aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 861, 1004 BGB und später aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten hergeleitet worden (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.08.1993 - 4 C 24/91 -; Urt. v. 19.07.1984 - 3 C 81/82 -, zitiert nach Juris). Der Folgenbeseitigungsanspruch setzt einen hoheitlichen Eingriff in ein subjektives Recht voraus, durch den ein noch andauernder rechtswidriger Zustand geschaffen worden ist. Der Anspruch ist auf die Wiederherstellung des (rechtmäßigen) Zustandes gerichtet, der im Zeitpunkt des Eingriffs bestand; er ist ausgeschlossen, wenn die Wiederherstellung des früheren Zustandes durch Beseitigung der unmittelbaren Folgen tatsächlich oder rechtlich nicht möglich oder dem Hoheitsträger nicht zumutbar ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.08.1993 aaO.). Die Anspruchsvoraussetzungen sind vorliegend gegeben.

27

a. Der hoheitliche Eingriff besteht in der Herstellung der streitgegenständlichen Erschließungsstraße samt Nebenanlagen und den dadurch ermöglichten Auswirkungen auf die tatsächliche Nutzbarkeit der Grundstücke des Klägers.

28

b. Durch die plangemäße Herstellung der Erschließungsstraße und ihre bestimmungsgemäße Nutzung wurde in das Eigentumsrecht des Klägers eingegriffen. Eine rechtswirksame Entziehung des Eigentums des Klägers an den genannten Flurstücken liegt nicht vor, nachdem das Oberlandesgericht Rostock mit Urteilen vom 25. Juli 2006 sowohl den Vorabentscheidungsbeschluss des Innenministeriums Mecklenburg-Vorpommern vom 11. Juni 2003 als auch den Besitzeinweisungsbeschluss der Enteignungsbehörde vom selben Tag aufgehoben hat. Beide Urteile sind rechtskräftig geworden. Der Bebauungsplan Nr. 6.2 für den Bereich der ehemaligen Baustoffversorgung - nördlicher und östlicher Teil kann nicht als ausreichende Rechtsgrundlage für die Inanspruchnahme der Flurstücke des Klägers herangezogen werden, da das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern den Bebauungsplan mit Urteil vom 22. Juni 2005 gemäß § 47 VwGO für unwirksam erklärt hat. In diesem Sinne ist mit der Herstellung der Erschließungsstraße ein "Schwarzbau" entstanden (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.08.1993 aaO.).

29

c. Der durch die Beklagte geschaffene rechtswidrige Zustand dauert an. Der Zustand ist nicht legalisiert worden, da ein rechtsgültiger Bebauungsplan nicht besteht.

30

aa. Der rechtswidrige Zustand ist darüber hinaus auch nicht durch eine zwischenzeitliche Widmung der Erschließungsstraße nach dem Straßen- und Wegegesetz M-V beendet worden. Abgesehen davon, dass eine Widmung für den öffentlichen Verkehr durch den zuständigen Träger der Straßenbaulast gemäß § 7 Abs. 1 StrWG M-V formell nicht erfolgt sein dürfte, liegen auch die Anforderungen des § 7 Abs. 3 StrWG M-V nicht vor. Hiernach ist Voraussetzung für die Widmung, dass der Träger der Straßenbaulast Eigentümer des der Straße dienenden Grundstückes ist oder der Eigentümer und ein sonst zur Nutzung dinglich Berechtigter der Widmung zugestimmt oder das Grundstück für die Straße zur Verfügung gestellt haben oder der Träger der Straßenbaulast nach § 48 Abs. 6 StrWG M-V oder nach einem anderen förmlichen Verfahren unanfechtbar in den Besitz eingewiesen ist. Die Beklagte ist nach den bereits erwähnten Entscheidungen des Oberlandesgerichts Rostock vom 25. Juli 2006 weder Eigentümer der streitgegenständlichen Flächen noch ist sie unanfechtbar in deren Besitz eingewiesen worden. Bereits aus diesem Grund vermag eine Widmung der Erschließungsstraße nach dem Straßen- und Wegegesetz M-V den rechtswidrigen Zustand nicht zu beseitigen. Darüber hinaus ist die straßenrechtliche Widmung auch kein Vollzugsakt der - hier fehlgeschlagenen - Bauleitplanung. Nicht die straßenrechtliche Widmung, sondern der gemeindliche Bebauungsplan regelt das zwischen privatem Grundeigentum des Straßenanliegers bzw. - wie vorliegend - des Grundeigentümers einerseits und der öffentlichen Verkehrsfläche andererseits bestehende Konfliktfeld auch inhaltlich. Die straßenrechtliche Widmung mag daraus für ihr eigenes Regelungsfeld Folgerungen ziehen. Diese können etwa darin bestehen, dass der Eigentümer der Straße kraft des Widmungsaktes eine bestimmte Nutzung nicht mehr untersagen kann oder dass für die Nutzung der Straße ein bestimmter Inhalt des Gemeingebrauchs festgelegt wird. Derartige, dem Landesrecht zugewiesene Rechtsfolgen berühren die rechtlich gesondert zu regelnden Beziehungen zwischen dem Träger der Straßenbaulast und dem Grundstückseigentümer nicht. Die Widmung hat insoweit nur straßenrechtliche Bedeutung. Sie ist gegenüber dem Grundeigentümer rechtlich ungeeignet, den durch eine fehlerhafte Bauleitplanung rechtswidrig entstandenen Zustand aufzuheben, und steht deshalb einem Anspruch auf Folgenbeseitigung bei fehlerhafter Bauleitplanung nicht entgegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.08.1993 aaO.).

31

bb. Der rechtswidrige Zustand, der durch den Bau der Erschließungsstraße geschaffen wurde, ist auch nicht aus anderen Gründen zu verneinen. Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten muss der Kläger die derzeitige öffentliche Nutzung der Erschließungsstraße nicht deshalb weiterhin dulden, weil darüber eine aus übergeleitetem DDR-Recht resultierende öffentlich-rechtliche Sachherrschaft besteht, die das Eigentumsrecht des Klägers überlagert und es kraft der staatlichen Hoheitsgewalt in Anwendung der Straßen- und Wegegesetze einschränkt. Die Erschließungsstraße ist nicht deshalb als öffentliche Straße im Sinne des Straßen- und Wegegesetzes M-V vom 13. Januar 1993 anzusehen, weil sie mit einer früheren Straße identisch ist, die in Ausführung eines technologischen Gesamtplans des VEB Baustoffversorgung Schwerin aus dem Jahr 1984 geplant und bereits zum damaligen Zeitpunkt als öffentliche Straße angelegt wurde.

32

Zweifelhaft ist bereits, ob die hier in Rede stehende Straße als öffentliche Straße errichtet worden ist mit der Folge, dass sie nach dem nunmehr geltenden Straßen- und Wegegesetz weiterhin als öffentliche Straße gilt.

33

Gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 StrWG M-V bleiben alle Straßen, die nach bisherigem Recht die Eigenschaft einer öffentlichen Straße besitzen, öffentliche Straßen im Sinne dieses Gesetzes. Bei der Prüfung, ob eine Straße nach bisherigem Recht die Eigenschaft einer öffentlichen Straße besitzt, ist jeweils für den maßgebenden historischen Zeitpunkt zu ermitteln, welche Anforderungen nach damals geltendem Recht zu erfüllen waren. Denn es handelt sich hier um abgeschlossene Rechtsverhältnisse, die nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechts nach den seinerzeit geltenden Rechtsvorschriften unter Berücksichtigung der seinerzeitigen Rechtspraxis zu beurteilen sind. Mit der Widmungsfiktion des § 62 Abs. 1 Satz 1 StrWG M-V wird deutlich, dass der Bestand der öffentlichen Straßen nach bisherigem Recht beibehalten und entsprechend übergeleitet und abgeschlossene Sachverhalte nicht nachträglich abweichend beurteilt werden sollen (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 13.02.2002 - 1 L 151/00 -, zitiert nach Juris).

34

Bei der Bestimmung, welches Recht die Eigenschaft einer öffentlichen Straße in Mecklenburg-Vorpommern vor Inkrafttreten des Straßen- und Wegegesetzes begründet hat bzw. begründen konnte, sind diejenigen Vorschriften maßgeblich, unter denen die Straße erstellt bzw. von der Öffentlichkeit benutzt wurde. Für die Beurteilung der Öffentlichkeit der hier in Rede stehende Straße ist insoweit die Verordnung über die öffentlichen Straßen - Straßenverordnung - vom 22. August 1974 (GBl. DDR I, S. 515, Straßenverordnung 1974 - StrVO-DDR 1974 -), die gemäß Anlage II Kapitel XI Sachgebiet D Abschnitt III Nr. 1 Einigungsvertrag vom 30. September 1990 (BGBl. II, Seite 889) als Landesrecht bis zum Inkrafttreten des Straßen- und Wegegesetzes am 30. Januar 1993 fort galt, heranzuziehen. Gemäß § 3 Abs. 1 StrVO-DDR 1974 waren öffentliche Straßen alle Straßen, Wege und Plätze einschließlich Parkplätze, die der öffentlichen Nutzung durch den Fahrzeug- und Fußgängerverkehr dienten. § 3 Abs. 3 StrVO-DDR 1974 regelte, dass auch die Straßen öffentlich sind, die überwiegend den Interessen ihrer Rechtsträger oder Eigentümer und daneben der öffentlichen Nutzung dienen. Zu diesen als betrieblich-öffentliche Straßen bezeichneten Straßen bestimmte § 1 Abs. 1 Spiegelstrich 1 der Ersten Durchführungsbestimmung zur Straßenverordnung vom 22. August 1974 (GBl. I S. 522), dass in der Regel zu ihnen Zufahrtsstraßen zählten, die zu Objekten der Staatsorgane, der Betriebe, Kombinate, Genossenschaften oder Einrichtungen usw. führten, z. B. Werkzufahrtstraßen oder Wege und Plätze für die Warenanlieferung und den Abtransport von Leergut bei Handelseinrichtungen. Nach Abs. 2 Spiegelstrich 1 dieser Vorschrift gehörten Werkstraßen dagegen grundsätzlich nicht zu den öffentlichen Straßen.

35

Nach dem vom Beklagten vorgelegten Technologischen Gesamtplan des VEB Baustoffversorgung S… - ZL C-Stadt aus dem Jahr 1984 spricht einiges dafür, dass es sich bei den hier verzeichneten Straßen A bis Q lediglich um betriebsinterne Werkstraßen, nicht aber um öffentliche Betriebs- oder Werkzufahrtstraßen gehandelt hat. Dies kann jedoch dahinstehen. Denn die heutige Erschließungsstraße könnte nach übergeleitetem DDR-Recht nur dann (weiterhin) als öffentliche Straße angesehen werden, wenn Identität mit der betreffenden früheren öffentlichen Straße bestehen würde. Dies ist indes nicht der Fall.

36

Aufgrund der vorliegenden Pläne sowie dem vorerwähnten Technologischen Gesamtplan aus dem Jahr 1984 kommt eine Übereinstimmung der heutigen Erschließungsstraße nur mit der im Gesamtplan als Straße A bezeichneten Wegefläche in Betracht. Allerdings ist zwischen der Erschließungsstraße und der Straße A bestenfalls eine partielle Identität gegeben. So verläuft die Erschließungsstraße lediglich im nördlichen Teil des Flurstücks … auf der Trasse der früheren Straße A. Danach beschreibt sie einen Bogen um das Waagehaus, kreuzt die bisherige Trasse und verläuft anschließend nördlich davon bis zum neu angelegten Wendehammer. Angesichts dieser unterschiedlichen Streckenführung kann nicht mehr von einer Identität mit der früheren Straße A ausgegangen werden.

37

Die Öffentlichkeit der Erschließungsstraße ergibt sich darüber hinaus auch nicht aus einer grundsätzlich möglichen Erstreckung einer früheren faktischen Widmung der Straße A als öffentliche Straße auf die heutige Erschließungsstraße. Zwar bedarf es nach dem richterrechtlich entwickelten Grundsatz der sog. "Elastizität der Widmung" bei einer unwesentlichen Erweiterung oder Veränderung einer bestehenden Straße keiner erneuten Widmung der neu ausgebauten und dem Verkehr übergebenen Verkehrsflächen; die alte Widmung erstreckt sich in diesem Fall auch auf die neue Straße (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 19.05.1999 - 3 A 3506/95 -; BayVGH, Beschl. v. 31.07.2003 - 8 ZB 03.357 -; VG Berlin, Urt. v. 19.08.2009 - 1 A 207.08 -, zitiert nach Juris). Diese Voraussetzungen sind vorliegend allerdings nicht gegeben.

38

So ist bereits fraglich, ob es sich bei der veränderten Trassenführung der neu gebauten Erschließungsstraße lediglich um eine unwesentliche Erweiterung oder Veränderung der alten Straße A handelt. Dies gilt insbesondere angesichts des weiten Bogens, den die neue Erschließungsstraße um das Waagehaus zieht, während die frühere Straße A in gerader Linie daran vorbeiführte. Die Frage kann jedoch offen bleiben, da der Grundsatz der "Elastizität der Widmung" auch im Fall einer unwesentlichen Veränderung dann nicht gilt, wenn die bauliche Veränderung der Straße auf Grundstücke übergreift, die im Eigentum Dritter stehen. Denn die damit verbundenen enteignungsgleichen Auswirkungen wären mit der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG und den hiernach zu erfüllenden strengen Anforderungen an enteignende Maßnahmen unvereinbar (vgl. VG Berlin, Urt. v. 19.08.2009 aaO.). Vorliegend wurden für den Bau der von der alten Straße A abweichenden Trasse der Erschließungsstraße Flächen in Anspruch genommen, die im Eigentum des Klägers standen und - nach Aufhebung der enteignungsrechtlichen Entscheidungen des Innenministeriums vom 11. Juni 2003 - immer noch stehen. Selbst wenn der Kläger eine öffentliche Nutzung derjenigen Flächen hätte dulden müssen, über die die Trasse der vormaligen Straße A - deren frühere Eigenschaft als öffentliche Straße unterstellt - führte, gilt das nach den vorstehenden Grundsätzen jedoch nicht insoweit, als nunmehr für die neue Erschließungsstraße weitere in seinem Eigentum stehende Flächen in Anspruch genommen werden.

39

Dieses Ergebnis entspricht auch der Regelung in § 7 Abs. 5 StrWG M-V. Hiernach gelten neu hinzukommende Straßenteile nach Verbreiterung, Begradigung, Ergänzung durch Verkehrsanlagen oder unwesentlicher Verlegung einer öffentlichen Straße mit der Überlassung für den öffentlichen Straßenverkehr nur dann als gewidmet, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 3 vorliegen. Nach Absatz 3 der Vorschrift ist Voraussetzung für die Widmung, dass der Träger der Straßenbaulast Eigentümer des der Straße dienenden Grundstückes ist oder der Eigentümer oder ein sonst zur Nutzung dinglich Berechtigter der Widmung zugestimmt oder das Grundstück für die Straße zur Verfügung gestellt haben oder der Träger der Straßenbaulast nach § 48 Abs. 6 oder nach einem anderen förmlichen Verfahren unanfechtbar in den Besitz eingewiesen ist. Die hier geregelten Voraussetzungen - die im vorliegenden Fall sämtlich nicht gegeben sind - dienen ebenfalls der Gewährleistung der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG. Gründe, warum für den allgemeinen Rechtsgrundsatz der "Elastizität der Widmung" etwas anderes gelten sollte, sind nicht ersichtlich.

40

d. Der nach alldem bestehende Anspruch des Klägers auf Folgenbeseitigung ist auch nicht entfallen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Wiederherstellung des früheren Zustandes durch Beseitigung der unmittelbaren Folgen der Beklagten tatsächlich oder rechtlich nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Eine Legalisierung des bestehenden rechtswidrigen Zustandes ist - wie bereits erwähnt - nicht erfolgt. Es existieren derzeit weder ein neuer Bebauungsplan noch eine straßenrechtliche Planungsgrundlage. Die Beklagte kann dem Anspruch des Klägers auf Beseitigung der Erschließungsstraße und Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes daher insoweit nicht den Grundsatz von Treu und Glauben entgegenhalten. Die Annahme einer unzulässigen Rechtsausübung erfordert hinsichtlich des Anspruchs auf Folgenbeseitigung, dass die Legalisierung des als rechtswidrig erkannten und andauernden Zustandes zeitlich unmittelbar bevorsteht. Dafür ist hier nichts ersichtlich. Hier hat die Beklagte lediglich vorgetragen, dass im eingeleiteten Planungsverfahren bislang lediglich ein Abwägungsbeschluss vom 23. April 2008 existiert. Eine unmittelbar bevorstehende Legalisierung des bestehenden rechtswidrigen Zustandes ergibt sich daraus nicht. Der Rechtsschutz der öffentlichen Hand ist im Übrigen durch die Möglichkeit der Vollstreckungsgegenklage hinreichend gewahrt (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.08.1993 aaO.).

41

Die Beklagte kann dem Kläger auch darüber hinaus kein rechtsmissbräuchliches Verhalten vorwerfen. Die Beklagte beruft sich insoweit darauf, dass es intensive Verhandlungen mit dem Kläger über die künftige Nutzung seiner Grundstücke durch verschiedene Investoren gegeben habe, wobei zwingende Voraussetzung für die Durchsetzung eines Investitionsvorhabens immer die weitere Nutzung der Erschließungsstraße gewesen sei. Im Interesse des Klägers habe die Beklagte daher das bereits in Umsetzung befindliche neue B-Planverfahren bislang nicht zu Ende geführt.

42

Soweit die Beklagte vor dem Hintergrund dieses Sachverhalts in der weiteren Verfolgung des Klaganspruchs ein widersprüchliches und damit rechtlich zu missbilligendes Verhalten des Klägers sieht, folgt die Kammer dieser Auffassung nicht. Ausgangspunkt ist in diesem Zusammenhang, dass sich nicht der Kläger rechtsuntreu verhält, sondern die beklagte Stadt. Sie ist offenbar der Ansicht, sie könne und dürfe den eingetretenen rechtswidrigen Zustand, den sie selbst und nicht der Kläger zu verantworten hat, so belassen. Das ist eine grundlegende Verkennung der Rechtslage. Wesen des hier in Rede stehenden Folgenbeseitigungsanspruchs ist es gerade, rechtswidriges Handeln der öffentlichen Hand - hier der beklagten Stadt - auch und gerade dann rückgängig zu machen, wenn "vollendete Tatsachen" geschaffen worden sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.08.1993 aaO.). Vor diesem Hintergrund hat der Kläger die Beklagte durch sein Verhalten nicht in den berechtigten Glauben versetzt, er werde die Beeinträchtigung seines Grundstücks hinnehmen.

43

Zwar mag es sein, dass die Beteiligten außergerichtliche Verhandlungen geführt haben, um für beide Seiten eine befriedigende Lösung des bestehenden Konfliktes herbeizuführen. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung auch nicht in Abrede gestellt, dass er unter Umständen auf einen Rückbau der Erschließungsstraße verzichtet hätte. Allerdings hat der Kläger die Beklagte zu keinem Zeitpunkt im Unklaren darüber gelassen, dass es ihm in erster Linie auf Rückgängigmachung der durch die Umsetzung des für unwirksam erklärten Bebauungsplanes geschaffenen (rechtswidrigen) Situation ankommt. Hierzu hat der Kläger auch alle ihm zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten genutzt. So hat er gegen den Bebauungsplan einen Normenkontrollantrag beim Oberverwaltungsgericht gestellt und nach Obsiegen in diesem Verfahren mit Erfolg auch die enteignungsrechtlichen Entscheidungen des Innenministeriums angegriffen. Schließlich hat der Kläger die vorliegende Klage mit dem Ziel der Durchsetzung des geltend gemachten Folgenbeseitigungsanspruches erhoben. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger insoweit nochmals betont, dass es ihm in erster Linie um die eigene Nutzung seiner Grundstücke gehe, wozu vor allem auch die Anbindung an die vorhandene Bahnstrecke gehöre. Diese Anbindung ist durch die die Gleise zerschneidende Erschließungsstraße jedoch unterbrochen worden. Angesichts dieser Sachlage konnte die Beklagte nicht darauf vertrauen, dass der Kläger aufgrund der zwischen den Beteiligten stattfindenden Verhandlungen auf den geltend gemachten Folgenbeseitigungsanspruch verzichten und die Beeinträchtigung seiner Grundstücke hinnehmen würde.

44

e. Schließlich können einem Anspruch des Klägers auf Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands auch nicht die Interessen der Firma E… entgegengesetzt werden, auch wenn diese durch die Beseitigung der Erschließungsstraße den Zugang zu ihrem Betriebsgelände verlieren sollte. Eine Wiederherstellung des ursprünglichen rechtmäßigen Zustandes soll dem Verpflichteten dann nicht angesonnen werden, wenn damit ein unverhältnismäßig hoher Aufwand verbunden ist, der zu dem erreichbaren Erfolg bei allem Respekt für das Verlangen nach rechtmäßigen Zuständen in keinem vernünftigen Verhältnis mehr steht. Dagegen meint die Frage der Zumutbarkeit im Allgemeinen nicht die weitere Frage, ob die Wiederherstellung des früheren Zustandes ihrerseits Folgen auslösen wird, die zu vermeiden ein berechtigtes Anliegen sein kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.08.1993 aaO).

45

Abgesehen von der Frage, ob der Firma E… ein zivilrechtliches Notwegerecht über die Flächen des Klägers zusteht, über die die frühere Zuwegung verlief, muss sich die Beklagte darauf verweisen lassen, dass eine Erschließung des Betriebsgeländes der Firma E… auch über andere Wegeführungen möglich ist. Der Kläger hatte hierzu im Aufstellungsverfahren zum Bebauungsplan Nr. 6.2 auf zwei Varianten der derzeitigen Erschließungsstraße hingewiesen, die die Beklagte jedoch nicht in ihre Abwägungen eingestellt hat.

46

Der von dem Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung beantragte Schriftsatznachlass war nicht zu gewähren. Soweit es dem Beklagtenvertreter um weiteren Vortrag zur Veränderung des Straßenverlaufs der streitgegenständlichen Erschließungsstraße und die Behauptung geht, dass Veränderungen des Straßenverlaufs aufgrund von Wünschen des Klägers vorgenommen worden seien, kommt es nach Rechtsauffassung der Kammer darauf nicht entscheidungserheblich an. Dasselbe gilt, soweit es um den in der mündlichen Verhandlung eingesehenen ursprünglichen Vorhabenplan des Klägers und ein von diesem vorgelegtes Foto geht.

47

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

48

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 Zivilprozessordnung (ZPO).

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B e s c h l u s s

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Der Streitwert wird auf 110.000,-- € festgesetzt.

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Gründe:

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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz und legt die diesbezüglichen Angaben des Klägers zu Grunde, denen die Beklagte nicht widersprochen hat.

Tenor

Soweit die Klage seitens der Kläger zu 2 und 3 zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.

Der Bescheid vom 18.5.2010, Az.: xxx, und der Widerspruchsbescheid vom 4.10.2010, Az.: xxx, werden dahingehend geändert, dass der Straßenbaubeitrag in Höhe von 42.015,66 € durch einen von der Beklagten nach Maßgabe der Entscheidungsgründe neu zu errechnenden Betrag ersetzt wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu 2 und 3 je 25 %, der Kläger zu 1 30 % und die Beklagte 20 % zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die jeweiligen Vollstreckungsschuldner sind befugt, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe geleistet haben.

Tatbestand

1

Die Kläger sind im Rahmen einer Erbengemeinschaft Miteigentümer des Grundstücks „S-Straße“ in S.

2

Mit Vorausleistungsbescheid vom 5. November 2008 zog die Beklagte den Kläger zu 1 zu einer Vorausleistung für den geplanten Straßenausbau der S-Straße in Höhe von 49.516,45 € heran. Die Straßenbaumaßnahme war seinerzeit zwar schon im Jahr 2002 technisch abgeschlossen. Im Hinblick auf ein bereits zuvor begonnenes und immer noch anhängiges Bodenneuordnungsverfahren sah sich die Beklagte jedoch nicht in der Lage, das Abrechnungsgebiet endgültig zu bestimmen. Im Rahmen der technischen Baumaßnahme wurde der Straßenverlauf im nördlichen Bereich der S-Straße dahingehend geändert, dass die ursprünglich in einem Viertelbogen nach Westen abbiegende Fahrbahn, die sodann in einem spitzen Winkel in die M-Straße einmündete, nunmehr gradlinig in Fortführung der von Süden nach Norden führenden Fahrbahn rechtwinklig in die M-Straße einmündet. Zur Realisierung dieser Maßnahme wurden im notwendigen Umfang Teilflächen der angrenzenden Grundstücke gekauft bzw. getauscht, wie zum Beispiel das Flurstück .../8 aus dem Grundstück des Klägers zu 1 mit einer Fläche von 53 m² gegen das ursprünglich zum Straßengrundstück gehörende Flurstück .../10 mit einer Fläche von 74 m² getauscht wurde.

3

Den seinerzeitigen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Vorausleistungsbescheid hat das Gericht mit Beschluss vom 2. Dezember 2009 (8 B 973/08) abgelehnt. Auch seinerzeit war Antragsteller die „Eigentümergemeinschaft“, bestehend aus den Mitgliedern der Erbengemeinschaft. Bereits damals hat das Gericht entschieden, dass lediglich der Antrag des Klägers zu 1, gegen den der Vorausleistungsbescheid gerichtet war, zulässig sei. Die anderen Mitglieder der Erbengemeinschaft seien nicht durch den Vorausleistungsbescheid rechtlich beschwert.

4

Mit „Leistungsbescheid über Nebenforderungen (Säumniszuschläge)“ vom 13. Januar 2010 setzte die Beklagte Säumniszuschläge in Höhe von 6.435,00 € fest. Der Bescheid war mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen. Nach Aktenlage ist gegen diesen Bescheid kein Widerspruch erhoben worden.

5

Nach Abschluss des Umlegungsverfahrens erließ die Beklagte gegen den Kläger zu 1 den Heranziehungsbescheid vom 18. Mai 2010, mit dem ein Straßenbaubeitrag von 42.015,66 € festgesetzt wurde. Im Hinblick auf die zwischenzeitlich geleistete Vorausleistung in Höhe von 49.516,45 € wurde eine Überzahlung von 7.500,79 € festgestellt, so dass der Bescheid kein Leistungsgebot enthielt.

6

Hiergegen erhob der Kläger zu 1 mit Schreiben vom 31. Mai 2010, das am 2. Juni 2010 beim Beklagten einging, Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, dass die Veranlagung des nicht bebauten Grundstücks mit einer 5-geschossigen Bebauung rechtswidrig sei, weil diese Art der Bebauung für das Grundstück nicht prägend sei. Eine 5-geschossige Bebauung gebe es nur auf der gegenüberliegenden Straßenseite, die für das Grundstück und dessen Umgebung nicht prägend sei. In der unmittelbaren Umgebung des Grundstücks sei nur eine zweigeschossige Bebauung festzustellen. Auch der Neubau der Schule sehe nur eine zweigeschossige Bebauung vor. Das früher auf dem Grundstück befindliche Gebäude sei ebenfalls nur zweigeschossig gewesen.

7

Mit Widerspruchsbescheid vom 4. Oktober 2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde bezüglich der zugrunde gelegten 5-geschossigen Bebauung auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 2. Dezember 2009 verwiesen, wonach die Ausnutzbarkeit des Grundstücks mit bis zu fünf Vollgeschossen bei summarischer Prüfung keinen rechtlichen Bedenken begegne. Die S-Straße sei im Zeitraum von April 2000 bis März 2003 grundhaft ausgebaut worden. Das Abrechnungsgebiet umfasse sowohl Grundstücke, welche im unbeplanten Innenbereich lägen, als auch solche, die im Gebiet „rechtskräftiger“ Bebauungspläne lägen. Die sachliche Beitragspflicht sei am 5. März 2010 entstanden, als im Stadtanzeiger die Feststellung der Unanfechtbarkeit des Umlegungsverfahrens „Hafen-Speicher“ veröffentlicht worden sei. Soweit in diesem Zeitpunkt Bebauungspläne „rechtskräftig“ gewesen seien, seien sie berücksichtigt worden. Für das streitgegenständliche Grundstück, das im unbeplanten Innenbereich liege, sei die Zahl der in der näheren Umgebung überwiegend vorhandenen Vollgeschosse herangezogen worden. Das sich nördlich anschließende Grundstück liege im unbeplanten Innenbereich, sei eingeschossig bebaut und werde gewerblich genutzt. Die sich nordöstlich anschließenden Grundstücke lägen ebenfalls im unbeplanten Innenbereich, nicht aber an der S-Straße und seien eingeschossig bebaut. Das südlich angrenzende Grundstück liege im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der dort drei Vollgeschosse festsetze. Es sei tatsächlich noch unbebaut. Auf den direkt gegenüber dem streitgegenständlichen Grundstück liegenden Grundstücken an der S-Straße stünden mehrere 5-geschossige Wohnhäuser im unbeplanten Innenbereich, welche den Charakter der näheren Umgebung wesentlich prägten. Diese würden zwar nicht von der S-Straße, sondern von der Hafenstraße erschlossen, seien jedoch wegen ihrer direkten Nähe zu dem Grundstück bei der Beurteilung berücksichtigt worden. Die andere sich in der Nachbarschaft des Grundstücks befindliche Bebauung vermittle dagegen eine eher untergeordnete Bedeutung. Der Widerspruchsbescheid wurde am 6. Oktober 2010 zugestellt.

8

Hiergegen haben die Kläger am 25. Oktober 2010 Klage erhoben. Sie sind der Auffassung, dass der Straßenbaubeitragsbescheid bereits deshalb rechtswidrig sei, weil der Ausbau der S-Straße insgesamt ohne Rechtsgrundlage erfolgt sei. Es bedürfe nicht nur einer Rechtsgrundlage für die Beitragserhebung, sondern auch für den Straßenbau als solchen. Letztere fehle vorliegend. Die Straße sei nicht im Rahmen eines Bebauungsplans geplant worden. Es gebe lediglich einen Vorhaben- und Erschließungsplan, der sich jedoch nicht zum Bau der Straße verhalte. Zudem sei die Straße nicht durch den Träger des Vorhaben- und Erschließungsplans errichtet worden, sondern durch die Beklagte selbst. Die Rechtmäßigkeit der Baumaßnahme könne nicht allein auf den Straßenausbau gestützt werden, weil die Straße im nördlichen Bereich vollständig neu errichtet worden sei. Ursprünglich sei die Straße in einer Biegung nach Westen in die M-Straße eingemündet. Nunmehr münde sie praktisch rechtwinklig in diese ein. Dieser Teil der Straßentrasse sei auf einer Länge von nahezu 100 m völlig neu errichtet worden. Dabei handele es sich nicht mehr um eine unerhebliche Verlegung des Straßenverlaufs. Dementsprechend hätte hierfür eine eigene Straßenplanung erfolgen müssen, die tatsächlich nicht stattgefunden habe. Der Straßenausbau sei vielmehr lediglich verwaltungsseitig vorbereitet worden.

9

Im Übrigen sei die Beitragspflicht bereits vor der Erhebung der Vorausleistung und der endgültigen Veranlagung verjährt gewesen. Es sei Festsetzungsverjährung eingetreten. Die Ausbaumaßnahme sei im Jahr 2003 abgeschlossen worden. Dementsprechend sei Festsetzungsverjährung bereits am 1. Januar 2008 eingetreten. Der Umstand, dass ein Teil der Anliegergrundstücke in ein Umlegungsverfahren einbezogen gewesen sei, könne die Festsetzungsverjährung nicht hindern. Das Grundstück der Kläger sei von der Umlegung nicht betroffen gewesen.

10

Jedenfalls sei der Straßenbaubeitrag aber zu hoch berechnet. Die Annahme, dass das Grundstück von einer 5-geschossigen Nachbarbebauung geprägt sei, treffe nicht zu. Alle Gebäude auf der Ostseite der S-Straße seien maximal zweigeschossig bebaut. Die Wohngebäude auf der anderen Seite der S-Straße übten keine prägende Wirkung auf das Grundstück der Kläger aus. Es handele sich um zwei klar geschiedene und durch die S-Straße getrennte Baugebiete.

11

Auf den Hinweis des Gerichts, dass der streitgegenständliche Bescheid nur gegen den Kläger zu 1 gerichtet sei, haben die Kläger die Klage auf ihn beschränkt, mithin die Klage der Kläger zu 2 und 3 zurückgenommen.

12

Der Kläger zu 1 beantragt,

13

den Beitragsbescheid vom 18. Mai 2010 sowie den Widerspruchsbescheid vom 4. Oktober 2010 aufzuheben,

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hilfsweise die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides zur Neubescheidung nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts zu verurteilen,

15

ferner

16

die Beklagte zur Rückzahlung der Säumniszuschläge für 12 Monate, d.h. in Höhe von 5.941,92 € zu verpflichten unter Neufassung des Leistungsbescheid über Nebenforderungen vom 13. Januar 2010.

17

Die Beklagte beantragt,

18

die Klage abzuweisen.

19

Sie weist darauf hin, dass der streitgegenständliche Bescheid nur gegen den Kläger zu 1 gerichtet sei. Die Straßenbaumaßnahme habe keine erstmalige Herstellung der Straße zum Gegenstand gehabt. Die nähere Umgebung sei mit 5-geschossigen Wohnhäusern bebaut. Die Forderung aus dem Vorausleistungsbescheid sei erst am 21. Dezember 2009 gezahlt worden, nachdem der Eilantrag durch Beschluss des Verwaltungsgerichts abgelehnt worden sei. Während des Zeitraums dieses Eilverfahrens sei nicht gemahnt worden. Nach Ablehnung des Antrages fielen jedoch vom Zeitpunkt der Fälligkeit bis zur Zahlung der Forderung gemäß § 240 AO Säumniszuschläge an. Diese seien mit gesondertem Leistungsbescheid angefordert worden. Der Bescheid sei bestandskräftig geworden. Im abschließenden Beitragserhebungsverfahren seien der tatsächlich angefallene Aufwand und das – sich im Vergleich zum Vorausleistungsverfahren geänderte – Abrechnungsgebiet bei der Ermittlung der Höhe der Beiträge berücksichtigt worden. Deshalb sei es zu einem geringeren Ausbaubeitrag als bei der Berechnung der Vorausleistung gekommen. Eine verzinsliche Erstattung von Vorausleistungen sei mit Ausnahme der Regelung in § 7 Abs. 4 KAG M-V nicht vorgesehen. Die S-Straße sei als Anliegerstraße eingestuft worden.

20

Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die von den Beteiligten zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze, die Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 9. Januar 2014 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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1. Soweit die Kläger zu 2 und 3 die Klage zurückgenommen haben, ist das Verfahren mit der Kostenfolge des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.

22

2. Die vom Kläger zu 1 erhobene Klage gegen den Heranziehungsbescheid vom 18. Mai 2010 und den Widerspruchsbescheid vom 4. Oktober 2010 ist zulässig, jedoch nur in dem tenorierten Umfang begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig, soweit der festgesetzte Straßenbaubeitrag auf der Grundlage von mehr als zwei Vollgeschossen berechnet worden ist. Im Übrigen ist er rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

23

Der angefochtene Bescheid beruht auf einer hinreichenden Rechtsgrundlage. Die „Satzung der Stadt S über die Erhebung von Ausbaubeiträgen (Ausbaubeitragssatzung)“ vom 14.02.2002 (im Folgenden: ABS 2002) ist nach Auffassung des Gerichts vollständig und mit höherrangigem Recht vereinbar. Sie ist die maßgebliche Rechtsgrundlage, weil die neuere Ausbaubeitragssatzung vom 5. Juli 2013 nur rückwirkend zum 1. Januar 2013 in Kraft gesetzt worden ist, so dass sie für die hier zu beurteilende Straßenbaumaßnahme vom zeitlichen Anwendungsbereich her keine Rechtsgrundlage sein kann.

24

Zwar hat die Beklagte es für den hier maßgeblichen Zeitraum versäumt, den Kreis der Beitragspflichtigen gemäß § 9 Abs. 1 ABS 2002 entsprechend der Regelung des § 7 Abs. 2 Satz 4 KAG M-V innerhalb der Anpassungsfrist des § 22 Abs. 2 KAG M-V von den Gebäudeeigentümern gemäß § 286 des Zivilgesetzbuches der DDR auf den Kreis der dinglich Nutzungsberechtigten nach Art. 233 § 4 EGBGB umzustellen. Dies hat nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht zur Folge, dass in Bezug auf die hier zu beurteilende Straßenbaumaßnahme in Ermangelung des der gesetzlichen Regelung entsprechenden Kreises der Abgabenschuldner die Ausbaubeitragssatzung den Kreis der beitragspflichtigen unvollständig oder fehlerhaft bezeichnet. Nach der Rechtsprechung des Gerichts ist dies nur dann der Fall, wenn im Abrechnungsgebiet einer konkreten Straßenbaumaßnahme tatsächlich Eigentums- bzw. Nutzungsverhältnisse vorhanden sind, die nunmehr gemäß Art. 233 § 4 EGBGB geregelt sind. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall.

25

Die von der Beklagten durchgeführte Straßenbaumaßnahme ist dem Grunde nach gemäß § 8 Abs. 1 KAG M-V beitragsfähig. Es handelt sich vorliegend nach Auffassung des Gerichts um die grundständige Erneuerung bzw. Verbesserung einer öffentlichen Straße.

26

Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers kommt es nicht darauf an, dass der konkrete Verlauf der S-Straße durch einen Bebauungsplan oder in anderer förmlicher Weise festgesetzt worden ist. Gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 des Straßen- und Wegegesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern (StrWG – MV) bleiben alle Straßen, die nach bisherigem Recht die Eigenschaft einer öffentlichen Straße besessen haben, öffentliche Straßen im Sinne des Gesetzes. Dass die S-Straße in ihrer ursprünglichen Straßenführung vor Inkrafttreten des Straßen- und Wegegesetzes die Eigenschaft einer öffentlichen Straße im Straßensystem der Stadt Schwerin hatte, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Insoweit bedarf es keiner weiteren Erörterung. Nach Auffassung des Gerichts ist die S-Straße auch insoweit weiterhin eine öffentliche Straße, als im nördlichen Bereich der Straßenverlauf im Rahmen der hier streitgegenständlichen Straßenbaumaßnahme geändert worden ist. Die teilweise Verlegung der Fahrbahn und der sonstigen Teileinrichtungen bedurfte keiner gesonderten Widmung, weil es sich nach Auffassung des Gerichts um eine unwesentliche Verlegung einer öffentlichen Straße handelt, für die es gemäß § 7 Abs. 5 StrWG - MV keiner Widmung bedarf. Die teilweise Verlegung der Fahrbahn im Einmündungsbereich zur M-Straße ist offensichtlich lediglich dem Wegfall der Gleise für die ehemalige Hafenbahn geschuldet, die allein in dem ursprünglichen Bogen in die S-Straße einmünden konnte. Für den Kfz-Verkehr ist hingegen eine rechtwinklige Einmündung in die M-Straße vorteilhaft. Die damit verbundenen Umlegungsmaßnahmen sind aus der Sicht des Gerichts allerdings in Anbetracht der Gesamtmaßnahme nicht gravierend. Zudem sind die erforderlichen Flächenregelungen im Einvernehmen mit den Eigentümern erfolgt. Dieser Straßenteil galt deshalb mit der Überlassung für den öffentlichen Straßenverkehr als gewidmet. Da für die Beitragsfähigkeit einer Straßenbaumaßnahme gemäß § 8 Abs. 1 KAG M-V maßgeblich ist, dass sie an einer öffentlichen Straße erfolgt und vorliegend eine öffentliche Straße im vorgenannten Sinne gegeben ist, kommt es auch auf weitere planungsrechtliche oder straßenrechtliche Betrachtungen zur Rechtmäßigkeit der Herstellung der S-Straße nicht an.

27

Die Straßenbaumaßnahme ist auch dem Straßenbaubeitragsrecht zuzuordnen, weil die S-Straße zum maßgeblichen Stichtag des § 242 Abs. 9 BauGB bereits in ortsüblicher Weise hergestellt war. Nach den Feststellungen des Gerichts verfügte die S-Straße am 3. Oktober 1990 bereits über Fahrbahn, Straßenentwässerung und Straßenbeleuchtung, die für eine Straße in einem Gewerbegebiet ortsüblich gewesen sind. Darauf, dass die Straße vor der Straßenbaumaßnahme noch nicht über Parkflächen für den ruhenden Verkehr oder andere Teileinrichtungen verfügte, die nunmehr geschaffen worden sind, kommt es nicht an, weil für den ortsüblichen Ausbau auf die seinerzeitige Funktion der Straße abzustellen ist und nicht auf die Funktion, die die Straße im Rahmen der hier streitgegenständlichen Straßenbaumaßnahme erfüllen soll.

28

Eine beitragsfähige Maßnahme liegt gemäß § 8 Abs. 1 KAG M-V insoweit vor, als die Straße grundständig erneuert worden ist und zudem in der Anordnung der Teileinrichtungen mit Parkflächen und Gehwegen auch in Bezug auf die neue Funktion als Anliegerstraße in einem Wohngebiet verbessert worden ist. Bezüglich der grundständigen Erneuerung ist aufgrund der Dokumentation der Beklagten deutlich zu erkennen, dass die maßgeblichen Straßenteile vor der Durchführung der Straßenbaumaßnahme verschlissen waren. Auf die Frage, ob dieser Verschleiß auf einer unzulänglichen Instandhaltung der Straße beruht, kommt es vorliegend nicht an, weil die Straße bereits vor so langer Zeit hergestellt bzw. letztmalig erneuert worden war, dass es eine Rechtfertigung für die grundständige Erneuerung nicht bedarf.

29

Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers war die Beitragserhebung vorliegend auch nicht deshalb grundsätzlich ausgeschlossen, weil im Zeitpunkt des Erlasses des Heranziehungsbescheides bereits Festsetzungsverjährung getreten wäre. Der Lauf der Verjährungsfrist gemäß § 12 Abs. 2 KAG M-V beginnt mit dem Eintritt der sachlichen Beitragspflicht. Die sachliche Beitragspflicht ist vorliegend jedoch erst mit dem Abschluss des Umlegungsverfahrens eingetreten, das bereits im Zeitpunkt der Durchführung der Straßenbaumaßnahme anhängig war. Da durch ein derartiges Umlegungsverfahren die endgültig in die Berechnung einzubeziehende Beitragsfläche noch nicht bestimmt werden kann, hindert es das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Grundstück des Klägers selbst in das Umlegungsverfahren mit einbezogen worden ist. Maßgeblich ist insoweit allein die Tatsache, dass das Abrechnungsgebiet noch nicht abschließend bestimmt werden kann. Dies war vorliegend der Fall. Insoweit wird im Weiteren auf die Gründe des den Beteiligten bekannten Beschlusses vom 2. Dezember 2009 im Verfahren 8 B 973/08 Bezug genommen.

30

Nach Auffassung des Gerichts ist der angefochtene Heranziehungsbescheid aber insoweit rechtswidrig, als die Berechnung des Straßenbaubeitrages auf einer Veranlagung von mehr als zwei Vollgeschossen beruht. Zwar hat das Gericht im vorgenannten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bezüglich der Veranlagung des Grundstücks unter der Annahme einer Bebaubarkeit mit fünf Vollgeschossen bei summarischer Prüfung keine rechtlichen Bedenken erhoben. Diese Auffassung wird aus den folgenden Erwägungen jedoch nicht aufrecht erhalten:

31

Zwar ist der Ansatz der Beklagten, gemäß § 5 Abs. 3 Ziff. 2 Buchstabe b) SBS 2002 für das im unbeplanten Innenbereich liegende und unbebaute Grundstück auf die Zahl der in der näheren Umgebung überwiegend vorhandenen Vollgeschosse abzustellen, zutreffend. Diese Satzungsregelung ist zur Überzeugung des Gerichts auch mit höherrangigem Recht vereinbar, weil sie eine im Sinne der §§ 7 Abs. 1 Satz 2, 8 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V vorteilsgerechte Veranlagung unbebauter Grundstücke zulässt. Die Beklagte hat jedoch nach Auffassung des Gerichts in der Normanwendung auf Grundstücke abgestellt, die die Bebauungssituation des Grundstücks des Klägers unter dem beitragsrechtlichen Gesichtspunkt der Veranlagung nach den mit der Straßenbaumaßnahme für das konkrete Grundstück verbundenen Vorteilen nicht maßgeblich prägen. Der Begriff der „näheren Umgebung“ kann nicht durch eine metrische Festlegung im Sinne eines Umkreises ausgefüllt werden. Im Hinblick auf die allein zulässige Veranlagung nach Vorteilsgesichtspunkten ist vielmehr auch zu überprüfen, ob die Bebauung in der näheren Umgebung die Bebaubarkeit des zu veranlagenden und noch unbebauten Grundstücks in einer Weise prägt, dass mit einer Ausnutzung des Grundstücks in einer der umgebenden Bebauung vergleichbaren Weise gerechnet werden darf. Nur dann kann von einer prägenden Bebauung in der näheren Umgebung gesprochen werden.

32

In diesem Sinne können alle die Grundstücke in der näheren Umgebung nicht mit in die Betrachtung einbezogen werden, bei denen die Bebauung planungsrechtlich durch Bebauungspläne festgelegt ist. Denn in der Regel kann sich der Grundstückseigentümer eines im unbeplanten Innenbereich gelegenen Grundstücks nicht ohne weiteres bezüglich der Art und des Maßes der Bebauung des Grundstücks auf die Festsetzungen eines Bebauungsplans berufen, der nicht sein Grundstück, sondern nur in der Nähe liegende Flächen betrifft. Denn die planerischen Festsetzungen erstrecken sich gerade nur das beplante Gebiet und entwickeln keine unmittelbaren oder mittelbaren Rechtswirkungen für die angrenzenden nicht beplanten Gebiete. Insoweit können die südlich gelegenen Grundstücke in der S-Straße, die jeweils in beplanten Gebieten liegen, nicht berücksichtigt werden.

33

Aber auch die von der Beklagten als maßgeblich für die Festsetzung angesehene 5-geschossige Bebauung auf der gegenüberliegenden Seite der S-Straße im nördlichen Bereich kann nach Auffassung des Gerichts nicht als die für die Festsetzung maßgebliche „prägende“ Bebauung angesehen werden.

34

Zum einen ist es zwar zutreffend, dass die aus mehreren 5-geschossigen Wohnbauten bestehende Bebauung von einigem Gewicht ist. Die konkrete Entstehung dieser Bebauung lässt es nach Auffassung des Gerichts aber nicht zu, daraus auf die Ausnutzung der Bebaubarkeit des Grundstücks des Klägers zu schließen. Denn die von der Beklagten vorrangig für die Betrachtung in Bezug genommenen 5-geschossigen Bauten sind seinerzeit im Rahmen eines noch in Aufstellung befindlichen Vorhaben- und Erschließungsplans erstellt worden, der schließlich aber nicht für diesen Bereich realisiert worden ist. Gleichwohl ist diese Bebauung in einer Zeit entstanden, in der mit der Durchführung eines Vorhaben- und Erschließungsplans eine Planung in Angriff genommen worden war, der in etwa das planungsrechtliche Gewicht im Sinne des § 33 BauGB, d.h. eines Bebauungsplans in Aufstellung mit der Folge der vorzeitigen Genehmigungsfähigkeit von Bauvorhaben nach den Maßgaben des noch nicht verabschiedeten Bebauungsplans, beizumessen ist. Wenn aber diese Bebauung aufgrund einer bereits konkretisierten, wenn auch schließlich nicht realisierten Planung entstanden ist, ist es nicht möglich, dass sich der Grundstückseigentümer eines nicht in diesem Bereich gelegenen Grundstücks ohne weiteres auf die seinerzeit entstandene Bebauung beziehen kann. Dies gilt vorliegend auch deshalb, weil das Grundstück des Klägers zeitenweise in eine andere Planung mit anderen Festsetzungen der Art und des Maßes der baulichen Nutzung einbezogen war, die ebenfalls nicht realisiert worden ist.

35

Das Abstellen auf die auf der anderen Straßenseite gelegene Bebauung ist vorliegend aber zum anderen auch deshalb nach Auffassung des Gerichts nicht zulässig, weil die in Bezug genommene Bebauung für das Grundstück des Klägers auch in tatsächlicher Hinsicht nicht prägend ist. Bei natürlicher Betrachtungsweise stellt die zwischen den Grundstücken verlaufende S-Straße in diesem Fall ein trennendes Element dar, aufgrund dessen eine bauliche Ausnutzung der Grundstücke auf der östlichen Straßenseite im Hinblick auf die tatsächlich vorhandene Bebauung auf der westlichen Straßenseite nicht anzunehmen ist. Dieser Eindruck entsteht vorliegend konkret daraus, dass sich nördlich des streitgegenständlichen Grundstücks eine Bebauung von gewerblich und zu Wohnzwecken nutzbaren Gebäuden befindet, die nicht mehr als zwei Vollgeschosse aufweisen. In dieser konkreten Nachbarschaftssituation drängt es sich nicht auf, dass das Grundstück des Klägers nach Maßgabe der auf der anderen Straßenseite gelegenen Grundstücke und nicht nach Maßgabe der unmittelbar auf derselben Straßenseite angrenzenden Grundstücke im unbeplanten Innenbereich bebaut werden darf. Auch im Hinblick auf die Festsetzungen des Bebauungsplans, der für die südlich unmittelbar angrenzenden Grundstücke gilt, ist es vielmehr eher wahrscheinlich, dass es einer planerischen Abwägung im Sinne eines Bebauungsplans bedürfte, um ein Baurecht entsprechend der auf der westlichen Straßenseite befindlichen Bebauung zu schaffen.

36

Da mithin nach Auffassung des Gerichts weder auf die Bebaubarkeit der in der näheren Umgebung in Bebauungsplangebieten gelegenen Grundstücke noch auf die Bebauung auf der gegenüberliegenden Straßenseite abgestellt werden kann, kann nach Auffassung des Gerichts nur auf die nördlich ebenfalls im unbeplanten Innenbereich gelegenen Grundstücke der näheren Umgebung abgestellt werden. Diese weisen aber, wie dargelegt, lediglich eine Bebauung mit maximal zwei Vollgeschossen auf. Deshalb ist nach Auffassung des Gerichts vorliegend die Bemessung des Straßenbaubeitrages auf der Grundlage der Annahme der Bebaubarkeit des Grundstücks mit zwei Vollgeschossen vorzunehmen. Dementsprechend ist der angefochtene Bescheid insoweit abzuändern.

37

Da die Ermittlung des festzusetzenden Betrages aufgrund der dargelegten Maßgabe des Gerichts einen nicht unerheblichen Aufwand bedeutet, hat das Gericht von der Regelung des § 113 Abs. 2 Satz 2 VwGO Gebrauch gemacht und bestimmt, dass die Beklagte den Betrag aufgrund der Entscheidung zu errechnen hat.

38

3. Soweit sich die Klage des Klägers zu 1 gegen den „Leistungsbescheid über Nebenforderungen (Säumniszuschläge)“ vom 13. Januar 2010 richtet, ist die Klage unzulässig. Als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO wäre sie nur statthaft, wenn zuvor das Vorverfahren gemäß §§ 68 VwGO ff. durchgeführt worden ist. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Der Kläger hat nicht innerhalb der Widerspruchsfrist des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO Widerspruch erhoben. Somit ist der Bescheid vom 13. Januar 2010 bestandskräftig geworden. Eine unmittelbare Klageerhebung nach versäumter Durchführung des Widerspruchsverfahrens ist unzulässig.

39

Eine “direkte“ Leistungsklage auf „Rückzahlung“ – wie beantragt – hätte für ihren Erfolg vorausgesetzt, dass der Rechts- und Behaltensgrund, hier der „Leistungsbescheid über Nebenforderungen (Säumniszuschläge)“ vom 13. Januar 2010 beseitigt ist. Dies ist aber gerade nicht der Fall.

40

Die Kostenentscheidung beruht, soweit das Verfahren nicht aufgrund der teilweisen Klagerücknahme mit der Kostenfolge des § 92 Abs. 3 VwGO eingestellt worden ist, auf § 155 Abs. 1 VwGO. Die Kostenverteilung beruht insoweit auf den überschlägig geschätzten teilweisen Erfolg der Klage. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

41

Gründe für die Zulassung der Berufung liegen nicht vor (§ 124 VwGO).

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.