Verwaltungsgericht Schwerin Urteil, 10. Aug. 2018 - 4 A 1012/14
Gericht
Tenor
Der Grundbesitzabgabenbescheid des Beklagten vom 3. März 2014 und sein Widerspruchsbescheid vom 25. April 2014 über Straßenreinigungsgebühren werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
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Der Kläger ficht einen Bescheid über Straßenreinigungsgebühren an.
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Er ist Eigentümer des bebauten Grundstücks in R., bestehend aus den Flurstücken a und b der Flur c, Gemarkung H..
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Vor dem Grundstück liegt auf (mindestens und größtenteils) dem Flurstück d der Flur 1, Gemarkung H., die im Zuge der Verwirklichung des Bebauungsplans Nr. x „Einkaufszentrum Neu-H.“ Anfang der 90er Jahre gebaute Straße „Neu H.“, die im Norden in die G. Straße mündet. Parallel zur Fahrbahn dieser Straße verläuft auf der Seite, an der das Grundstück liegt, ein Grünstreifen mit einem kleinen Graben, woran sich ein recht breiter befestigter Fuß- und Radweg anschließt. Dieser Weg befindet sich auf dem Verlauf der alten Straße mit wohl dem Namen G. Straße. Sowohl der Grünstreifen als auch der Fuß- und Radweg sind Teil des Flurstücks e der Flur 1, Gemarkung H.. Beide Flur- und Grundstücke stehen im Eigentum der Hansestadt R.
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Die Straße „Neu H.“ im Bereich „H.er Straße bis G. Straße“ wurde mit der 2. Änderungssatzung der Straßenreinigungssatzung der Hansestadt R. vom 26. November 2013, veröffentlicht im Amts- und Mitteilungsblatt der Hansestadt R. vom 4. Dezember 2013, in das Verzeichnis der von der Hansestadt R. zu reinigenden öffentlichen Straßen aufgenommen.
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Mit Grundbesitzabgabenbescheid vom 3. März 2014 setzte der Beklagte gegenüber dem Kläger für das genannte Grundstück Straßenreinigungsgebühren für das Kalenderjahr 2014 in Höhe von 139,32 € fest.
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Den im gleichen Monat erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25. April 2014 zurück, dem Kläger am nächsten Tag zugestellt.
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Am 26. Mai 2014 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben, mit der er vorträgt:
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Er verweise auf § 1 Abs. 5 der Straßenreinigungssatzung. Zwischen seinem Grundstück und der Straße befinde sich das bebaute – inzwischen ehemalige – Flurstück f, seines Wissens nach im städtischen Eigentum. Sein Grundstück grenze nicht direkt an die Straße, sondern sei durch das genannte Flurstück von ihr getrennt. Es würde nur dann seiner „Anliegerschaft“ nicht entgegenstehen, wenn es unbenutzt und unbebaut wäre. Allerdings sei das Flurstück im Zuge der Flurbereinigung geteilt worden. Der entlang der Straße verbleibende (unbebaute) Teil sei zum Flurstück e geworden.
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Bis heute könnten die Anlieger ihre Grundstücke nicht direkt von der neuen Straßenfahrbahn aus erreichen, hätten auch keinen direkten fußläufigen Zugang zu dieser, sondern müssten bis zur Einmündung der nächsten Straße fahren, die strittige Straße verlassen und könnten erst dort auf der nächsten Straße wenden und auf der alten, nun asphaltierten Zufahrtsstraße (dem Radwanderweg) zurück zum Grundstück gelangen. Grund sei der dazwischen liegende Drainagegraben.
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Außerdem liege die Straße in einem in den 90er Jahren gebauten und mit einem Bebauungsplan aus den Jahren 1993/1994 überbauten Gewerbegebiet und sei einst für dieses als Zufahrt und zur Versorgung errichtet/ausgebaut worden und werde aktuell auch weiter so genutzt.
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Dass die (neue) Verbindungsstraße ins Gewerbegebiet und zur G. Straße zum Teil parallel zur (alten) Anliegerstraße des Siedlungsgebiets verlaufe, begründe nicht zwingend deren Einheit.
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Die „öffentliche Straße Neu H.“ existiere als solche vor Ort nicht, jedenfalls nicht in der damit unwillkürlich assoziierten üblichen Form als zusammenhängende fortlaufende Straße. Neu H. sei ein kleines gestreutes Siedlungsgebiet am Stadtrand von R., das aus mehreren nicht zusammenhängenden unbenannten Einzelstraßen und –wegen unterschiedlichster Art und Größe bestehe und dessen Hausnummern unabhängig von der jeweils anliegenden Einzelstraße im Gesamtgebiet unter „Neu H.“ (ohne Straße) fortlaufend durchadressiert worden seien.
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Daraus eine einheitliche „öffentliche Straße Neu H.“ zu kreieren, harmoniere weder mit den rechtlichen noch mit den örtlichen Gegebenheiten.
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Anliegerstraße für sein Grundstück sei nicht die Versorgungsstraße für das Gewerbegebiet, sondern die alte ehemalige Schotterstraße vor seinem Grundstück, die bei Errichtung des Gewerbegebiets zur kombinierten Wegenutzung als Fuß-/Rad- und Fahrweg ausgebaut worden sei. Im Bebauungsplan für das Gewerbegebiet und die zugehörenden Verkehrswege sei festgelegt worden, dass die Erschließung des Gebiets durch eine neu zu errichtende Straße erfolge, die vom Autobahnanschluss aus um das eigentliche Baugebiet herum bis an dessen nördliche Seite führe. Die hiervon berührten Verkehrsflächen lägen alle nördlich des bereits vorhandenen Drainagegrabens, der südöstlich am Rand des B-Plangebiets verlaufe.
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Eine förmliche Widmung sei nicht erfolgt, sondern es werde eine bestehende Widmung des alten Fahrwegs herangezogen, um auf dieses Basis eine Widmung nach § 7 Abs. 5 StrWG – MV zu konstruieren. Die Änderungen seien jedoch nicht unwesentlich. Die neue Trasse sei mehr als eine Wegbreite von der alten entfernt, liege auf einer anderen räumlich getrennten Verkehrsfläche, sei vom Charakter und der Nutzung her weit über das bisherige Maß hinaus ausgebaut, habe zur Einziehung gleich mehrere alter Straßenteile geführt usw.
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Der Kläger beantragt,
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den Grundbesitzabgabenbescheid des Beklagten vom 3. März 2014 und seinen Widerspruchsbescheid vom 25. April 2014 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen,
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und trägt dazu vor:
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Das Grundstück des Klägers grenze direkt an die öffentliche Straße an und könne sowohl fußläufig als auch mit Fahrzeugen ausschließlich über diese Straße erreicht werden. Diese bestehe aus einem Geh- und Radweg, einer Fahrbahn und einem Straßengraben zwischen beiden. Das Straßengrundstück umfasse die Flurstücke d und e, die im städtischen Eigentum seien. Das Flurstück f existiere mit Beendigung eines Bodenneuordnungsverfahrens im April 2013 nicht mehr; es sei u. a. das Flurstück e entstanden.
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In der vorgelegten Erklärung „von: 66 an: 73.12“ heißt es: Das Flurstück e (ehemals f) sei als öffentlich gewidmete Verkehrsfläche zu den Stichtagen 22. August 1974 (StrVO DDR-1974) i. V. m. dem Einigungsvertrag und dem 30. Januar 1993 mit der in Kraft getretenen Fassung des Straßen- und Wegegesetzes Mecklenburg-Vorpommern genutzt worden. Diese Fläche sei in den topographischen Karten von 1900 und 1980 nachweislich vorhanden und gelte als öffentlich gewidmet. Auch vor Umsetzung des Bebauungsplans sei eine befahrbare Verkehrsanlage nachweislich (topographische Karte 1980) zur Erschließung der Anlieger vorhanden gewesen. Mit Umsetzung des B-Plans sei die öffentliche Straßenverkehrsfläche (Gemarkung H., Flur 1, Flurstück d) zur Erschließung des Einkaufscenters hinzugekommen. Eine Widmungsverfügung nach geltendem Straßen- und Wegegesetz sei nicht existent. Er, der Beklagte, gehe von der sog. Elastizität der Widmung nach § 7 Abs. 5 StrWG – MV aus, wonach durch Umsetzung des B-Plans die bestehende Verkehrsanlage durch einen Neubau erweitert worden sei.
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Bei der Straße habe es sich bis Ende des Jahre 2017 um eine Kreisstraße nach § 3 Ziff. 3 StrWG M-V gehandelt.
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Zur Straße Neu H. sei darauf hinzuweisen, dass im „rechtskräftigen“ Bebauungsplan die Verkehrsfläche der Straße mit Grünstreifen und Geh- und Radweg festgesetzt werde. Alle Teilanlagen seien Bestandteil einer einheitlichen Verkehrsanlage.
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Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 7. Januar 2016 bzw. – versehentlich erneut – vom 29. August 2017 zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Anfechtungsklage hat Erfolg.
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Der Grundbesitzabgabenbescheid des Beklagten vom 3. März 2014 über Straßenreinigungsgebühren und sein Widerspruchsbescheid vom 25. April 2014 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Der Kläger ist (derzeit) nicht straßenreinigungsgebührenpflichtig.
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Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 des Straßen- und Wegegesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern (im Folgenden gemäß dem ungewöhnlichen, aber bis heute nicht geänderten Abkürzungsansatz in der Gesetzesüberschrift: StrWG – MV [statt StrWG M-V]) sind alle innerhalb der geschlossenen Ortslage gelegenen „öffentlichen Straßen“ zu reinigen. Nach § 50 Abs. 4 Satz 1 StrWG – MV sind die Gemeinden reinigungspflichtig und nach Satz 2 Nr. 3 berechtigt, die Eigentümer oder dinglich Nutzungsberechtigten der anliegenden Grundstücke sowie der durch die (öffentliche) Straße erschlossenen Grundstücke zu den entstehenden Kosten heranzuziehen, so namentlich nach dem Satzteil hinter dem Semikolon durch (Straßenreinigungs-)Gebühren. Deren nähere Ausgestaltung regelt dann § 6 des Kommunalabgabengesetzes (KAG M-V).
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Da die Gemeinde die Reinigungspflicht auch (ganz oder teilweise) den Eigentümern der anliegenden Grundstücke oder den zur Nutzung dinglich Berechtigten auferlegen kann (§ 50 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 StrWG – MV), wird über die „technische Satzung“, die Straßenreinigungssatzung, geklärt, wer überhaupt eine öffentliche Straße und ggf. welche Teile derselben zu reinigen hat und – soweit diese Aufgabe in der Pflicht der Gemeinde bleibt – für die Reinigung gebührenpflichtig nach der separaten Gebührensatzung für die Straßenreinigung in der Hansestadt R. ist.
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Nur wenn die Kommune eine gewidmete (oder – so ist zu ergänzen – als gewidmet geltende) und damit öffentliche Straße reinigt, darf sie hierfür Gebühren verlangen (vgl. M. Wichmann, Straßenreinigung und Winterdienst in der kommunalen Praxis, 8. Aufl. 2018, Rn. 333 S. 613).
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Die Straßenreinigungssatzung in der Fassung der 2. Änderungssatzung der Straßenreinigungssatzung der Hansestadt R. vom 26. November 2013 hat mit der Einbeziehung des dort näher eingegrenzten Bereichs der „Straße“ „Neu H.“ aber keine öffentliche Straße in das Verzeichnis der von der Stadt zu reinigenden öffentlichen Straßen aufgenommen. Die vermeintlich öffentliche Straße „Neu H.“ im satzungsrechtlich umschriebenen Umfang, die nach unbefangener Betrachtung ungeachtet der Straßennamensvielfalt auch (nach erfolgter Widmung) eine eigene Anlage i. S. des Straßenreinigungsgebührenrechts darstellen kann, ist derzeit keine öffentliche Straße.
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Die Straße muss für den öffentlichen Verkehr gewidmet sein, damit sie eine öffentliche darstellt (§ 2 Abs. 1 StrWG – MV). Die Widmung verfügt der Träger der Straßenbaulast (§ 7 Abs. 1 Satz 1 StrWG – MV). Sie ist von dieser Behörde öffentlich bekanntzumachen (§ 7 Abs. 2 StrWG – MV).
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Von diesen Erfordernissen befreit allerdings der Sache nach § 62 Abs. 1 Satz 1 StrWG – MV. Gemäß dieser Vorschrift bleiben alle Straßen, die nach bisherigem Recht die Eigenschaft einer öffentlichen Straße besitzen, öffentliche Straßen im Sinne dieses Gesetzes (dazu etwa näher Urt. der 2. Kammer vom 20. Jan. 2011 – 2 A 2151/06 –, juris, Rn. 33 ff.). Die alte G. Straße in dem fraglichen Bereich war eine solche alt-öffentliche Straße (zurückreichend mindestens bis ins Deutsche Reich), wie die von der Beklagten vorgelegten topographischen Karten nicht nur des Jahres 1980, sondern sogar des Jahres 1900 belegen. Von einer näheren Darlegung anhand des jeweils vormals geltenden Rechts sieht das Gericht ab, da die Beteiligten insoweit übereinstimmend ebenso von einem solchen Sachverhalt ausgehen.
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Die nach der Deutschen Einheit an der alten G. Straße im hier gegenständlichen Bereich vorgenommenen Baumaßnahmen im Zusammenhang mit dem in der Nähe befindlichen überplanten Gewerbegebiet haben aber zur Überzeugung des Gerichts dazu geführt, dass nunmehr die neue Straße „Neu H.“ in diesem Bereich hätte gewidmet werden müssen, um den rechtlichen Charakter einer öffentlichen Straße zu erhalten. Dies ist aber nicht der Fall.
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Das Gericht teilt nicht die Rechtsauffassung des Beklagten, der von der sog. Elastizität der Widmung nach § 7 Abs. 5 StrWG – MV ausgeht, wonach durch die Umsetzung des Bebauungsplans, bei der “die öffentliche Straßenverkehrsfläche (Gemarkung H., Flur 1, Flurstück d) zur Erschließung des Einkaufscenters“ hinzugekommen sei, die bestehende Verkehrsanlage durch einen Neubau erweitert worden sei.
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§ 7 Abs. 5 Satz 1 StrWG – MV besagt, dass dann, wenn eine öffentliche Straße verbreitert, begradigt, durch Verkehrsanlagen ergänzt oder unwesentlich verlegt wird, die neu hinzugekommenen Straßenteile mit der Überlassung für den öffentlichen Straßenverkehr als gewidmet gelten, sofern die Voraussetzung des Absatzes 3 (im Regelfall also das Grundstück im Eigentum des Trägers der Straßenbaulast steht oder aber der Grundstückseigentümer zustimmt) vorliegt. Einer öffentlichen Bekanntmachung bedarf es dann nicht, § 7 Abs. 5 Satz 2 StrWG – MV.
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Auch eine alt-öffentliche Straße i. S. des § 62 Abs. 1 Satz 1 StrWG – MV unterliegt dabei dieser Elastizität der (fiktiven) Widmung (vgl. Urt. der 2. Kammer vom 20. Jan. 2011, a. a. O. Rn. 37).
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Das gesetzliche Band der widmungserstreckenden Elastizität ist nach Auffassung des Gerichts bei Betrachtung der Anfang der 90er Jahre durchgeführten Maßnahmen an der alten öffentlichen Straße „G. Straße“ im fraglichen Bereich allerdings nicht nur überdehnt, sondern gerissen.
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Damals wurde nicht nur eine neue asphaltierte Fahrbahn parallel neben der nach unbestrittenen Angaben des Klägers alten Schotterfahrbahn ohne jegliche räumliche Überschneidungen errichtet. Zugleich wurde die alte Fahrbahn offenbar asphaltiert und sollte fortan nicht mehr als solche dienen, sondern als kombinierter Fuß- und Radweg, der nur noch von den Anliegern hat befahren werden dürfen. Darüber hinaus wurde zwischen alter (als solcher „ausgedienter“) und neuer Fahrbahn ein Grünstreifen mit einem Graben gesetzt (oder – soweit schon vorher vorhanden – beibehalten).
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Zwar wäre es rabulistisch, die gesetzliche Vorschrift des § 7 Abs. 5 Satz 1 StrWG – MV deshalb nicht als einschlägig zu betrachten, weil die „Erweiterung“ (einer öffentlichen Straße) – so der Beklagte in seiner Erklärung „von: 66 an: 73.12“ vom 8. August 2018 – dort nicht erwähnt wird. Entscheidend ist nach Auffassung des Gerichts eine wertende Betrachtungsweise, wobei das Merkmal „unwesentlich“ auf alle in § 7 Abs. 5 Satz 1 StrWG – MV erwähnten Tatbestände zutreffen muss (ebenso Sauthoff, Öffentliche Straßen, 2. Aufl. 2010, Rn. 98 m. w. N. aus der Kommentarliteratur der Straßen- und Wegegesetze anderer Bundesländer).
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Zutreffend spricht der Beklagte in diesem Zusammenhang aber im Hinblick auf die damals vorgenommenen Straßenbaumaßnahmen von einem „Neubau“. Hierbei wurde nach Auffassung des Gerichts indessen die alt-öffentliche Straße nicht nur von ihrer Verkehrsfunktion her gewissermaßen auf den Kopf gestellt, sondern auch im Übrigen – sinngemäß – kein Stein auf dem anderen gelassen. Der Beklagte hat damals straßen- und wegerechtlich keine reine „Kosmetik“ i. S. der Elastizitätsvorschrift des § 7 Abs. 5 Satz 1 StrWG – MV vorgenommen, sondern gleichsam „plastische Chirurgie“, die zu einem völlig anderen „Gesicht“ der alt-öffentlichen Straße geführt hat, die „nicht wiederzuerkennen“ ist. Aber die alt-öffentliche Straße hat nicht nur ihr Äußeres extrem verändert, auch ihr Charakter, straßenverkehrsrechtlich betrachtet, wurde wesentlich verändert.
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Es liegt keine (bloße) „Verbreiterung“ der alt-öffentlichen Straße vor, wenn die alte Fahrbahn nicht mehr als solche genutzt werden soll, sondern nunmehr einem anderen Verkehrszweck (Rad- und Fußweg) dienen soll und stattdessen eine neue Fahrbahn nicht nur überschneidungslos daneben errichtet wird, sondern auch noch räumlich getrennt durch einen Grünstreifen mit Graben. Hier hat sich der bisherige (fiktive) Widmungsinhalt und –zweck der alt-öffentlichen Straße gewandelt, was bei einer Verbreiterung i. S. v. 3 7 Abs. 5 Satz 1 StrWG – M-V nach gerichtlicher Ansicht nicht der Fall sein darf (vgl. auch Sauthoff, in: ders./Witting, Straßen- und Wegegesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Stand: Oktober 2017, § 7 Rn. 104 m. w. N.; ders., Öffentliche Straßen, a. a. O., Rn. 100).
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Im Übrigen hat sich die Straßenfläche mehr als verdoppelt, was einer unwesentlichen Verbreiterung (zum Erfordernis, die Unwesentlichkeit bei jedem Tatbestandsmerkmal festzustellen s. o.) und einer Befreiung vom Grundsatz der Widmung entgegensteht.
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Vor diesem Hintergrund einer sowohl räumlichen Trennung von „altem“ und „neuem“ Straßenkörperbereich und deren reichhaltiger Vermehrung durch den sehr breiten Fuß- und Radweg, den Grünstreifen und den „mittigen“ Graben (vgl. die exemplarische Aufzählung in § 2 Abs. 2 Nr. 1 StrWG – MV) und einer faktischen „Umwidmung“ des alten Straßenbereichs, dem nunmehr eine völlig andere Verkehrsfunktion zukommen soll, kann auch nicht mehr von einer (bloß) „unwesentlichen Verlegung“ der alt-öffentlichen Straße nach dieser Alternative des § 7 Abs. 5 Satz 1 StrWG – MV gesprochen werden (vgl. auch OVG Münster, Urt. v. 26. Febr. 2018 – 11 A 129/15 –, juris Rn. 78 ff., wonach keine unwesentliche Veränderung oder Verlegung bei Änderung einer öffentlichen Straße vorliegt, wenn es sich dabei um Verschiebungen einer Straße von mehr als einer Wegesbreite oder bei der Verlegung eines Teils eines öffentlichen Wegs vollständig außerhalb des Verkaufs der bisherigen Trasse handelt; im Fall der teilweisen Verlegung der Fahrbahn und sonstigen Teileinrichtungen von „gebogener“ zu rechtwinkliger Trassenführung im Einmündungsbereich einer Straße liegt eine unwesentliche Verlegung vor, Urt. der Kammer v. 9. Jan. 2014 – 4 A 1507/10 –, juris Rn. 26).
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Ebenso wenig wurde die alt-öffentliche Straße nur „durch Verkehrsanlagen ergänzt“ oder „begradigt“.
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Zwar dürften die gesetzlich genannten Maßnahmen in § 7 Abs. 5 Satz 1 StrWG – MV wohl grundsätzlich auch kumulativ vorgenommen werden können, ohne dass die (fiktive) Widmung ihre Elastizität und damit Ausdehnbarkeit auf „Neues“ an der Straße verliert. Aber auch insoweit ist dem Ausnahmecharakter dieser Vorschrift durch eine enge Auslegung Rechnung zu tragen.
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Zur Überzeugung des Gerichts liegt insoweit auch bei einer Gesamtschau nicht nur ein unerheblicher oder unwesentlicher Straßenumbau vor, sondern vielmehr gleichsam ein kompletter Neubau von „außen“ und „innen“, welcher der förmlichen Widmung nach § 7 Abs. 1 und 2 StrWG – MV bedarf. Hierbei ist mit Blick auf die Funktion der Widmung nicht nur bei der bereits vorgenommenen Einzel-, sondern auch bei der Gesamtbetrachtung der alt-öffentlichen Straße nach deren Neugestaltung von Kriterien wie denen der Bedeutung der Straße für die Erschließung der Grundstücke und für den allgemeinen Verkehr im Wegenetz (Anknüpfungspunkt und Streckenverlauf) sowie des Umfangs der hinzutretenden Fläche auszugehen (Sauthoff, a. a. O., § 7 Rn. 103 unter Hinweis auf OVG Münster, Urt. v. 19. Mai 1999 – 3 A 3506/95 –, juris Rn. 9 m. w. N.). Wäre eine tatsächliche Änderung der Verkehrsbedeutung einer Straße nach den Grundsätzen der Elastizität der Widmung möglich, würde dies dazu führen, dass diese aus der gleichbleibenden Widmungsverfügung (oder – hier – ihrer entsprechenden Widmungsfiktion) nicht erkenntlich werden; gleiches gilt für Einstufung (Sauthoff, a. a. O., § 7 Rn. 104). In einer funktionalen Betrachtungsweise ist darauf abzustellen, ob die neue Wegefläche erkennbar einem erheblich größeren oder andersartigen Verkehr als bisher dient, wobei es auf die tatsächlichen Verhältnisse, nicht auf die rechtlichen Auswirkungen ankommt, die für den Adressaten der unterbliebenen Widmung nicht erkennbar ist (Sauthoff, a. a. O., § 7 Rn. 105; ders., Öffentliche Straßen, a. a. O., Rn. 100). Unerheblich ist die Veränderung etwa, wenn die öffentliche Straße z. B. den Charakter einer Anliegerstraße im Gesamtwegenetz unverändert behalten hat (vgl. OVG Münster, Urt. v. 19. Mai 1999, a. a. O., Rn. 13) oder an sie etwa nur ein Geh- oder Radweg angebaut wird (Sauthoff, a. a. O., § 7 Rn. 106). Erheblich ist eine Änderung der öffentlichen Straße, wenn nach der Umgestaltung die den einzelnen Benutzerkreisen zur Verfügung stehenden Flächen verändert sind (Sauthoff, a. a. O., § 7 Rn. 106 m. w. N.).
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Auch gemessen an diesen Maßstäben liegt eine völlig „neue“ Straße vor. So hat sich die straßenverkehrsrechtliche Bedeutung der alt-öffentlichen Straße wesentliche gewandelt. Vormals war sie wohl vornehmlich für die Erschließung der Anliegergrundstücke und im Übrigen – dies ist allerdings dem Gericht unklar geblieben – womöglich früher als Durchgangsstraße nach Goorstorf (siehe ihren früheren Namen) gedacht. Nunmehr ist auf der alt-öffentlichen Fahrbahn nur als Ausnahme ein Befahren des verkehrsrechtlich in einen Fuß- und Radweg gewandelten Trassenbereichs möglich. Im Zuge dieser straßenverkehrsrechtlichen Herabstufung oder wesentlichen Nutzungsänderung der alt-öffentlichen (Anlieger-) Straße wurde darüber hinaus die Bedeutung der neu geschaffenen Straßenteile namentlich mit Blick auf die neue Fahrbahn, die nunmehr „normalen“ Begegnungsverkehr auf einer asphaltierten Fahrbahn ermöglicht, für den allgemeinen Verkehr im Wegenetz entscheidend erhöht, da sie hauptsächlich dem viel größeren Verkehr zum und vom benachbarten Gewerbegebiet Rechnung tragen sollte, wie deren planerische Ausgestaltung und Einbeziehung in den entsprechenden Bebauungsplan zeigt.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Von Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kosten dieses Verfahrens sieht das Gericht ab (vgl. § 167 Abs. 2 VwGO), da auf Beklagtenseite eine insolvenzunfähige Gemeinde/Stadt und damit eine kraft Gesetzes stets zahlungsfähige Schuldnerin steht.
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Annotations
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.