Verwaltungsgericht München Urteil, 17. März 2015 - M 23 K 13.1156

bei uns veröffentlicht am17.03.2015

Gericht

Verwaltungsgericht München

Gründe

Bayerisches Verwaltungsgericht München

Aktenzeichen: M 23 K 13.1156

Im Namen des Volkes

Urteil

vom 17. März 2015

23. Kammer

Sachgebiets-Nr. 600

Hauptpunkte:

Türkischer Staatsangehöriger;

Ausweisung wegen Straftaten;

besonderer Ausweisungsschutz;

Prognose der konkreten Wiederholungsgefahr

Rechtsquellen:

In der Verwaltungsstreitsache

... - Kläger -

bevollmächtigt: Rechtsanwälte ...

gegen

Landeshauptstadt München KVR HA II, Ausländerangelegenheiten vertreten durch den Oberbürgermeister Ruppertstr. 19, 80337 München

- Beklagte -

wegen Ausweisung

erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht München, 23. Kammer,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht ..., die Richterin am Verwaltungsgericht ..., die Richterin ..., den ehrenamtlichen Richter ..., den ehrenamtlichen Richter ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17. März 2015 am 17. März 2015 folgendes Urteil:

I.

Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klage am 14. Januar 2015 zurückgenommen wurde.

II.

Der Bescheid der Beklagten vom ... Februar 2013 in Form der ergänzenden Erklärungen der Beklagten aus der mündlichen Verhandlung vom 14. Januar 2015 wird aufgehoben.

III.

Die Parteien tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte.

IV.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen seine von der Beklagten angeordnete Ausweisung.

Der am ... 1988 in ... geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er wuchs zunächst bei seinen Eltern in Deutschland auf, wobei sein Vater zumindest zum Zeitpunkt der Geburt des Klägers und in den darauffolgenden Jahren ununterbrochen einer Beschäftigung nachging. Seit der Trennung der Eltern im Jahr 1991 lebte der Kläger gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder bei seiner Mutter in ..., zeitweise in einem Frauenhaus, sowie von März 2005 bis Januar 2007 in einer teilbetreuten Einrichtung in ... Der Vater des Klägers war nach der Trennung in die Türkei zurückgekehrt.

Im Juni 1997 erhielt der Kläger erstmals eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die in der Folge wiederholt verlängert wurde, zuletzt bis zum 27. September 2007. Am selben Tag stellte der Kläger einen Antrag auf erneute Verlängerung des Aufenthaltstitels, über den die Beklagte aufgrund fortgesetzter Straffälligkeit des Klägers zunächst nicht entschieden hat. In der Folgezeit erhielt der Kläger wiederholt verlängerte Fiktionsbescheinigungen, zuletzt bis zum 4. Oktober 2011.

Nach der Grundschule besuchte der Kläger zunächst die Gesamtschule und schließlich für ein Jahr die Realschule. Von dort wechselte er auf die Hauptschule, welche er im Jahr 2003 ohne Abschluss verließ. Im Anschluss absolvierte der Kläger ein Berufsvorbereitungsjahr. Im Rahmen eines Volkshochschulbesuchs in den Jahren 2004/2005 erreichte er den qualifizierten Hauptschulabschluss. In den Jahren 2007/2008 besuchte der Kläger einen Volkshochschulkurs zur Erlangung der mittleren Reife, den er ohne Abschluss verließ. Anschließend begann er eine Berufsausbildung zum Drucker, die er nach drei Monaten abbrach. Ab November 2008 arbeitete der Kläger zunächst als Kellner, später für fünf Monate als Helfer auf einer Baustelle und für weitere fünf Monate als Lagerist.

Seit dem Jahr 2004 wurde der Kläger mehrfach straffällig und wurde bis zu seiner Ausweisung 13-mal rechtskräftig verurteilt:

Erstmalig am ... Juni 2004 wurde der Kläger vom Jugendgericht beim Amtsgericht ... (...) wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln im Wege der richterlichen Weisung verurteilt, sich für die Dauer eines Jahres der Betreuung durch einen Sozialpädagogen zu unterstellen.

Am ... Februar 2003 erhob die Staatsanwaltschaft ... Anklage gegen den Kläger wegen versuchten Raubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Das Verfahren wurde durch Beschluss des Jugendgerichts beim Amtsgericht ... am ... Juni 2004 (...) wegen Erfüllung der Auflage/Weisung nach §§ 47 Abs. 2 i. V. m. 109 Abs. 2 JGG eingestellt.

Das Jugendgericht beim Amtsgericht ... verurteilte den Kläger mit Urteil vom ... Dezember 2004 (...) wegen gefährlicher Körperverletzung tatmehrheitlich mit gefährlicher Körperverletzung in vier tatmehrheitlichen Fällen unter Einbeziehung seines Urteils vom ... Juni 2004 zu zwei Tagen Kurzarrest sowie im Wege der richterlichen Weisung, sich für die Dauer eines Jahres der Aufsicht und Betreuung durch einen Mitarbeiter des Vereins ... e.V. zu unterstellen und an einem großen Erste-Hilfe-Kurs teilzunehmen sowie dies nachzuweisen.

Mit weiterem Urteil vom ... Juni 2006 des Jugendgerichts beim Amtsgericht ... (...) wurde der Kläger wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit Diebstahl in zwei Fällen unter Einbeziehung seines Urteils vom ... Dezember 2004 im Wege der richterlichen Weisung verurteilt, zwanzig mal vier Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten und sich für die Dauer von einem Jahr der Betreuung und Aufsicht des bereits benannten Mitarbeiters des Vereins ... e.V. zu unterstellen.

Am ... Januar 2006 verurteilte des Jugendgericht beim Amtsgericht ... (...) den Kläger wegen Leistungserschleichung in zehn Fällen im Wege der richterlichen Weisung, sich für die Dauer von weiteren sechs Monaten der Betreuung und Aufsicht des bereits benannten Mitarbeiters des Vereins ... e.V. zu unterstellen.

Mit weiterem Urteil des Jugendgerichts beim Amtsgericht München vom ... Juli 2006 (...) wurde der Kläger wegen vorsätzlichen und unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit vorsätzlichen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln im Wege der richterlichen Weisung verurteilt, nach näherer Maßgabe seines Weisungsbetreuers Drogenscreenings abzugeben und zehn mal vier Stunden Sozialarbeit zu leisten.

Am ... November 2006 verurteilte des Jugendgericht beim Amtsgericht ... (...) den Kläger wegen Sachbeschädigung in Tatmehrheit mit vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu vier Wochen Dauerarrest.

Mit weiterem Urteil des Jugendgerichts beim Amtsgericht ... vom ... April 2008 (...) wurde der Kläger wegen Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen zu vier Tagen Kurzarrest verurteilt sowie durch richterliche Weisung angewiesen, nächstmöglich an einer Kurzintervention für alkoholauffällige junge Menschen des Blauen Kreuzes teilzunehmen sowie dies nachzuweisen.

Am ... April 2009 verurteilte das Jugendgericht beim Amtsgericht ... (...) den Kläger wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit Betrug unter Einbeziehung und Aufrechterhaltung der Sanktionen des Urteils vom ... April 2008 im Wege der richterlichen Auflage, Euro 600,00 in Raten an den Beratungsdienst AWO zu zahlen sowie im Wege der richterlichen Anweisung, 32 Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten.

Mit weiterem Urteil vom ... Oktober 2009 wurde der Kläger vom Amtsgericht ... (...) wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je Euro 40,00 verurteilt.

Am ... März 2011 verurteilte das Amtsgericht ... (...) den Kläger wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung in Tatmehrheit mit Beleidigung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je Euro 15,00.

Mit weiterem Urteil des Amtsgerichts ... vom ... September 2011 (...) wurde der Kläger wegen Hausfriedensbruchs zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je Euro 5,00 verurteilt.

Am ... Dezember 2011 wurde der Kläger durch das Amtsgericht ... (...) wegen zweier selbstständiger Fälle der gefährlichen Körperverletzung in Tatmehrheit mit drei selbstständigen Fällen der vorsätzlichen Körperverletzung in Tatmehrheit mit jeweils in Tateinheit stehenden Vergehen der zweifachen vorsätzlichen Körperverletzung sowie des Hausfriedensbruchs in Tatmehrheit mit acht selbstständigen Fällen des Hausfriedensbruchs in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung wurde zur Bewährung ausgesetzt.

Dieser Verurteilung lag insbesondere zugrunde, dass der Kläger im Zeitraum von März bis August 2011 wiederholt seine damalige Freundin und zwei weitere Personen schlug und verletzte: am 4./5. März schlug der Kläger seine Freundin mehrfach mit Fäusten und trat auf deren Körper mit den Füßen ein; am 23. März schubste der Kläger seine Freundin auf einer stehenden Rolltreppe derart heftig, dass sie stürzte, trat ihr sodann mit dem beschuhten Fuß in den Bauch und schlug sie mehrfach mit der flachen Hand ins Gesicht; am 2. April trat der Kläger mehrfach mit dem beschuhten Fuß auf seine am Boden liegende Freundin ein; am 26. Juni schubste der Kläger seine Freundin derart heftig, dass diese zu Boden ging; ebenso am 26. Juni schubste der Kläger die Schwester seiner Freundin zu Boden und trat mit den Füßen auf diese ein; am 2. August schlug der Kläger seiner Freundin mit einer Kehrschaufel die Beine weg, so dass diese zu Boden stürzte, und schlug sodann mehrfach mit den Fäusten auf deren Kopf ein; ebenso am 2. August schlug der Kläger einer weiteren Person unvermittelt mit der Faust mehrmals ins Gesicht, so dass diese zu Boden ging, und trat sodann mit dem beschuhten Fuß auf deren Kopf ein.

Zuletzt wurde der Kläger mit Urteil des Amtsgerichts ... vom ... Juli 2012 (...) wegen Bedrohung in Tatmehrheit mit versuchter schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung in Tatmehrheit mit vorsätzlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit Hausfriedensbruch unter Einbeziehung des Urteils vom ... Dezember 2011 und Auflösung der dort gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten sowie zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt.

Der Verurteilung lag insbesondere zugrunde, dass der Kläger am 17. Juni 2011 den später Geschädigten gezielt unter einem Vorwand aufsuchte, um mit diesem reden zu wollen. Als dieser dem Kläger nicht folgen wollte, schlug der Kläger mit der Faust auf den Kopf des Geschädigten ein. Im Rahmen der sich anschließenden tätlichen Auseinandersetzung schaltete sich die damalige Freundin des Klägers ein, welche den Geschädigten im einverständlichen Zusammenwirken mit dem Kläger biss und schlug. Währenddessen stach der Kläger dem Geschädigten mit einem Finger in das Auge, schlug weiter auf diesen ein, bis dieser zu Boden ging, und beschimpfte diesen unterdessen mit den Wörtern „Hurensohn“ und „Bastard“. Sodann schlug die damalige Freundin des Klägers im Zusammenwirken mit dem Kläger mit einem Besen auf den Geschädigten ein, bis der Stiel abbrach. Anschließend sprang der Kläger mit beiden Beinen auf Oberkörper und Kopfbereich des am Boden liegenden Geschädigten ein und ließ erst von ihm ab, als die Polizei eintraf. Der Geschädigte musste vier Tage stationär im Krankenhaus behandelt werden. Des Weiteren lagen dem Urteil Taten vom 10. Dezember 2011 und 28. Januar 2012 zugrunde: am 10. Dezember 2011 betrat der Kläger trotz Hausverbot eine Wohneinrichtung; am 28. Januar 2012 schlug der Kläger seiner damaligen Freundin mit beiden Händen gleichzeitig in das Gesicht, packte diese sodann am Kragen und schlug ihr mit der Faust in das Gesicht, so dass die Geschädigte zu Boden ging, vor Schmerzen schrie und weinte.

Im Rahmen der Urteilsbegründung führte das Gericht zugunsten des Klägers aus, dass dieser geständig gewesen sei und es hinsichtlich des Schwerpunkts der Straftaten (Vorwurf der schweren Körperverletzung) beim Versuch geblieben sei und dem Geschehen kein ausgereifter Tatplan vorausgegangen sei, sondern sich der Ablauf der Straftat als gruppendynamische Entwicklung darstelle. Zudem habe der Kläger seine Inhaftierung in der Untersuchungshaft in den vorangegangenen Monaten genutzt, um die mittlere Reife nachzuholen. Auch seien durch den Kläger keine bleibenden Schäden verursacht worden. Gegen den Kläger spreche dessen wiederholte Straffälligkeit. Die letzten Taten habe er nicht nur in offener Bewährung begangen, sondern auch in unmittelbarem Anschluss an die vorangegangene mehrmonatige Untersuchungshaft und Verurteilung. Der Kläger weise eine enorme Rückfallgeschwindigkeit betreffend neuer Straftaten auf und sei offenkundig nur durch längere Haft zu belehren.

Im Anschluss an die Untersuchungshaft seit 2. März 2012 verbüßte der Kläger mit Rechtskraft der Verurteilung seit dem 27. August 2012 seine Haftstrafe in der Justizvollzugsanstalt ... bzw. nach Verlegung in der Justizvollzugsanstalt ...

Mit Bescheid vom ... Februar 2013 wies die Beklagte den Kläger nach vorheriger Anhörung aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. 1 des Bescheids), lehnte den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vom 27. September 2007 ab (Nr. 2 des Bescheids) und untersagte ihm die Wiedereinreise für sieben Jahre (Nr. 3 des Bescheids). Dem Kläger wurde die Abschiebung nach erfülltem Strafanspruch und Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht aus der Haft in die Türkei angedroht. Für den Fall der Haftentlassung vor Durchführbarkeit der Abschiebung wurde dem Kläger die Ausreise aus dem Bundesgebiet innerhalb von vier Wochen nach Haftentlassung aufgegeben unter Androhung der Abschiebung in die Türkei oder in einen anderen Staat, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, sofern der Kläger nicht fristgerecht ausreise (Nr. 4 des Bescheids). Zudem wurden dem Kläger die Kosten der Abschiebung auferlegt (Nr. 5 des Bescheids).

Der Bescheid wurde insbesondere damit begründet, dass der Kläger grundsätzlich den zwingenden Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG erfüllt habe, er aber, weil er ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht erworben habe, nur aus spezialpräventiven Gründen im Wege einer Ermessensausweisung nach § 55 AufenthG i. V. m. Art. 14 ARB 1/80 ausgewiesen werden dürfe. Auf Art. 28 Abs. 3 Buchstabe a der Richtlinie 2004/38/EG könne sich der Kläger nicht berufen. Der Kläger habe durch die von ihm verübten Straftaten, welche im Bereich der Schwerkriminalität anzusiedeln seien, wiederholt gegen die öffentliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland verstoßen. Es bestehe die konkrete, ernsthafte Gefahr weiterer schwerwiegender Straftaten nach der Haftentlassung des Klägers. Maßgeblich dafür seien die abgeurteilten Taten des Klägers, welche ein breites Spektrum an Straftaten abdeckten und sich in ihrer Delinquenz über die Jahre kontinuierlich gesteigert hätten. Jegliche Konfrontation des Klägers mit der Justiz (Jugendarrest, Untersuchungshaft, Bewährungsstrafe) habe ihn nicht davon abhalten können, wieder straffällig zu werden. Die durch den Kläger begangenen Gewaltdelikte würden ein enormes Aggressionspotenzial sowie eine erhebliche Gleichgültigkeit gegenüber der körperlichen Unversehrtheit anderer an den Tag legen. Zudem weise der Kläger in seinen Straftaten eine enorme Rückfallgeschwindigkeit auf. Die Ausweisung entspreche pflichtgemäßer Ermessensausübung und sei unter Berücksichtigung der persönlichen Interessen des Klägers auch im Hinblick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK verhältnismäßig. Dabei werde berücksichtigt, dass der Kläger seit seiner Geburt im Bundesgebiet lebe, so dass ihm der Status des faktischen Inländers zuzuerkennen sei. Es sei aber festzustellen, dass der Kläger keine aktiven Integrationsleistungen, weder schulisch noch beruflich, erbracht habe. Zudem sei davon auszugehen, dass die mündlichen türkischen Sprachkenntnisse des Klägers für eine Rückkehr ausreichend seien. Von dem Kläger könne verlangt werden, dass er als alleinstehender, junger und gesunder Mann in die Türkei gehe und dort seinen Lebensunterhalt durch die Aufnahme einer Beschäftigung selbst bestreite. Zudem habe der Kläger bei seinem Vater, der in der Türkei lebe, zunächst einen ersten Anlaufpunkt und wäre damit nicht auf sich alleine gestellt. Damit sei eine (zumindest zeitweise) Rückkehr in das Land seiner Staatsangehörigkeit, in die Türkei, zumutbar. Aufgrund der konkreten Wiederholungsgefahr der Begehung schwerer Straftaten müssten die privaten Belange des Klägers letztlich zurückstehen. Der Verlängerung des Aufenthaltstitels stehe der absolute Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 S. 2 i. V. m. S. 1 AufenthG entgegen. Selbst wenn der Kläger nicht ausgewiesen worden wäre, hätte die Ablehnung seines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Ermessenserwägungen erfolgen müssen. Das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts überwiege das persönliche Interesse des Klägers.

Wegen des Gewichts der gefährdeten Rechtsgüter und der festgestellten hohen Wiederholungsgefahr des Klägers werde auch im Hinblick auf die familiären und persönlichen Bindungen im Bundesgebiet ein Zeitraum von sieben Jahren als Sperrwirkung der Ausweisungsverfügung für erforderlich erachtet, um dem hohen Gefahrenpotenzial Rechnung tragen zu können. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Rückfallgefahr bei den vom Kläger verübten Straftaten sowie seines familiären Umfelds sei nicht zu erwarten, dass der Kläger die hier maßgebliche Gefahrenschwelle des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vor Ablauf der benannten Frist unterschreite. Sollte der Kläger frühestens drei Jahre vor Ablauf der benannten Frist Straf- und Drogenfreiheit nachweisen, werde der Antrag geprüft, inwieweit die Sperrfrist verkürzt werden könne.

Mit Schriftsatz vom 19. März 2013 erhoben die Bevollmächtigten des Klägers Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragten,

I.

den Bescheid der Beklagten vom ... Februar 2013 aufzuheben;

II.

die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

Mit weiterem Schriftsatz vom 22. April 2013 begründeten die Bevollmächtigten des Klägers die Klage insbesondere damit, dass der Kläger beruflich und sozial in die Bundesrepublik integriert und daher als faktischer Inländer anzusehen sei. Die türkische Sprache spreche der Kläger nur rudimentär, zu seinem in der Türkei lebenden Vater bestehe kein Kontakt. Sowohl die Mutter des Klägers, als auch sein Bruder sowie Onkel, Tanten und Cousins befänden sich in der Bundesrepublik Deutschland. Von dem Kläger gehe aktuell keine Wiederholungsgefahr aus. Es werde nicht verkannt, dass der Kläger massiv straffällig geworden sei, allerdings sei zu berücksichtigen, dass sich der Kläger nun erstmals länger in Haft befinde und sein vollzugliches Verhalten einwandfrei sei. Die erstmalige Verbüßung einer Haftstrafe könne die Reifung eines Straftäters fördern; mit zunehmender Dauer der Freiheitsentziehung verbessere sich die Prognose. Zudem erscheine eine Ausweisung unverhältnismäßig, da der Kläger faktischer Inländer sei und sein gesamtes soziales Umfeld in der Bundesrepublik liege.

Mit Schreiben vom 30. April 2013 beantragte die Beklagte,

die Klage abzuweisen.

Eine Begründung erfolgte nicht.

Mit Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt ... vom ... April 2014 trat diese einer Reststrafenbewährung für den Kläger nicht entgegen. Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, der Kläger arbeite am Vollzugsziel mit, sei in der Haft disziplinarisch nicht auffällig geworden und habe am Behandlungsprogramm (Einzelgespräche bei einem externen Psychotherapeuten und Teilnahme an einem Anti-Aggressionstraining) teilgenommen. Zudem seien zwei durchgeführte Urintests auf Einnahme illegaler Drogen negativ ausgefallen. Insgesamt sei eine Stabilisierung der Persönlichkeit des Klägers festzustellen. Zur Vorbereitung der endgültigen Entscheidung über eine Bewährungsentlassung nach Verbüßung von 2/3 der Haftstrafe wurde die Erholung eines Sachverständigengutachtens angeregt.

Daraufhin ordnete die zuständige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts ... - Auswärtige Strafvollstreckungskammer beim Amtsgericht ... -mit Beweisbeschluss vom ... Mai 2014 (...) die Einholung eines sachverständigen Prognosegutachtens an.

Am ... August 2014 erstattete der Sachverständige Dr. med. ..., M. Sc., u. a. Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie, Forensische Psychiatrie und Suchtmedizin, ein forensisch-psychiatrisches, kriminalprognostisches Gutachten zur Beurteilung der medizinischen, sozialen und legalen Prognose sowie fortbestehenden Gefährlichkeit des Klägers. Nach den Feststellungen des Sachverständigen sei die Prognose für den Kläger im Gesamten eher günstig, jedoch noch nicht als günstig einzustufen, so dass zum gegebenen Zeitpunkt noch nicht die Aussage getroffen werden könne, dass die in den Taten zutage getretene Gefährlichkeit des Klägers nicht weiter fortbestehe und seine Entlassung im Hinblick auf seine Entwicklung auch unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden könne. Um zu einer günstigen Sozial- und Legalprognose zu kommen, seien folgende aufeinander aufbauende Maßnahmen in den nächsten Monaten notwendig:

(1) Beendigung der aktuellen (in der Haft begonnenen) ambulanten Psychotherapie,

(2) Fortsetzung einer ambulanten Psychotherapie bei einem niedergelassenen psychologischen oder ärztlichen Psychotherapeuten im Sinne einer supportiven Gesprächspsychotherapie zur Aufbereitung zu erwartender Probleme und Schwierigkeiten,

(3) Anbindung an eine Institution wie das Münchner Informationszentrum für Männer im Sinne einer kontinuierlichen ambulanten Beratung und Mitbetreuung,

(4) Kontaktaufnahme mit dem später unterstellten Mitarbeiter der Bewährungshilfe in ...,

(5) Teilnahme an einer ambulanten Suchtrehabilitation an der örtlich zuständigen Sucht- und Drogenberatungsstelle mit Einhaltung einer strikten Abstinenz von psychotropen Substanzen wie Alkohol, Pharmaka und illegalen Drogen,

(6) Kontaktaufnahme mit der Bundesagentur für Arbeit zur Initiierung einer beruflichen Rehabilitation oder einer Ausbildung bzw. beruflichen Integration.

Würden diese Maßnahmen initiiert und eine so geartete Weiterbetreuung und berufliche Unterstützung bzw. Förderung des Klägers gewährleistet, sei es aus Sicht des Sachverständigen gerechtfertigt, von einer günstigen Sozial- und Legalprognose auszugehen.

Anknüpfend an das Sachverständigengutachten sprach sich die Justizvollzugsanstalt ... mit Schreiben vom 7. Oktober 2014 für eine Reststrafenbewährung unter Erteilung geeigneter Bewährungsauflagen aus.

Am 14. Oktober 2014 hörte die zuständige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts ... - Auswärtige Strafvollstreckungskammer beim Amtsgericht ... - den Kläger sowie den Sachverständigen Dr. med. ... gemäß § 454 Abs. 1 StPO zur vorzeitigen Bewährungsentlassung an. Nach Angaben des Sachverständigen habe sich die Legalprognose gegenüber dem vorangegangenen schriftlichen Gutachten zugunsten des Klägers weiter verbessert. Zur weiteren Beobachtung der Aggressionsproblematik seien aber eine unterstützende Psychotherapie sowie eine Anbindung an das Münchner Informationszentrum für Männer und an die Suchtberatungsstelle notwendig.

Mit Beschluss des Landgerichts ... - Auswärtige Strafvollstreckungskammer beim Amtsgericht ... - vom ... Oktober 2014 (...) wurde die Vollstreckung des Strafrests der mit Urteil des Amtsgerichts ... vom ... Juli 2012 verhängten Gesamtfreiheitsstrafe ab dem 23. Oktober 2014 zur Bewährung ausgesetzt. Neben der Festsetzung einer Bewährungszeit von vier Jahren und der Unterstellung eines Bewährungshelfers von drei Jahren wurden gegenüber dem Kläger diverse Bewährungsauflagen angeordnet, u. a. die in dem Sachverständigengutachten vom ... August 2014 für eine günstige Sozial- und Legalprognose aufgeführten Maßnahmen. Zur Begründung der Reststrafenbewährung führte das Gericht aus, der Kläger habe sich in der Haft beanstandungsfrei geführt und die in der Haft angebotene Therapie zur Aufbereitung der Ursachen für seine bisherige Delinquenz wahrgenommen. Die durch den Sachverständigen benannten Behandlungs- und Therapiemaßnahmen seien zwischenzeitlich vorbereitet; so könne der Kläger die ambulante Psychotherapie fortführen und habe auch bereits Kontakt zur Suchtberatungsstelle und zum ... Informationszentrum für Männer aufgenommen. Zudem seien die in der Justizvollzugsanstalt begonnenen ambulanten psychotherapeutischen Gespräche zwischenzeitlich ordnungsgemäß beendet. Nach Auffassung des Gerichts könne unter Beachtung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden, zu erproben, ob sich der Kläger künftig straffrei führen werde. Zudem solle die Unterstellung unter Bewährungshilfe die Erfolgsaussicht des Erprobungsversuches verbessern. Der Kläger wurde am 15. Oktober 2014 aus der Haft entlassen.

Mit Schreiben an die Bevollmächtigten des Klägers vom 6. November 2014 wies die Beklagte angesichts der erfolgten Haftentlassung auf die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht hin und datierte die Frist zur Ausreise auf den 13. November 2014.

Mit Schriftsatz vom 7. November 2014 beantragten die Bevollmächtigten des Klägers de Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (M 23 S 14.5040).

Mit Schriftsatz vom 9. Januar 2015 legten die Bevollmächtigten des Klägers eine Bestätigung über die mögliche Aufnahme des Klägers in eine regelmäßige ambulante Psychotherapie des Diplom-Psychologen ..., datiert mit ... Februar 2014, eine Bestätigung über eine Vorstellung des Klägers in der Drogenberatung ... („...“) vom ... Dezember 2014 sowie ein Jobangebot des Gastronomiebetriebs „...“ an den Kläger vom ... Januar 2015 vor.

In der mündlichen Verhandlung vom 14. Januar 2015 ergänzte die Beklagte schriftlich ihre Ermessenserwägungen zur Ausweisungsverfügung und reduzierte die gegenüber dem Kläger angeordnete Sperrfrist von sieben Jahren auf fünf Jahre. Die Bevollmächtigten des Klägers nahmen den Klageantrag unter II. (Verpflichtungsbegehren auf Aufenthaltserlaubnis) aufgrund des fehlenden Ausweisdokuments des Klägers zurück. Ebenso nahmen die Bevollmächtigten des Klägers den Eilantrag (M 23 S 15.5040) zurück.

Mit Beschluss vom 14. Januar 2015 ordnete das Verwaltungsgericht München die Fortsetzung der mündlichen Verhandlung im hiesigen Verfahren sowie die Ladung des Sachverständigen Dr. med. ... zur Erläuterung und gegebenenfalls Ergänzung seines Gutachtens vom ... August 2014 zur mündlichen Verhandlung an.

Am 13. Februar 2015 fand eine persönliche Nachexploration durch den Sachverständigen Dr. med. ... in der Wohnung des Klägers statt.

Am 17. März 2015 wurde die mündliche Verhandlung fortgesetzt. Die Bevollmächtigten des Klägers legten eine Stellungnahme der Bewährungshelferin des Klägers vom 13. März 2015 vor. Hiernach sei der Kläger sehr zuverlässig und ernsthaft bemüht, seinem Leben eine positive Richtung zu geben; die erforderlichen Auflagen würden erfüllt.

Der in der mündlichen Verhandlung anwesende Sachverständige Dr. med. ... wurde zur Erläuterung seines Gutachtens vom ... August 2014 sowie zu seinen Beobachtungen und zur Bewertung des aktuellen Stands einer etwaigen Wiederholungsgefahr des Klägers aufgrund der erfolgten Nachexploration einvernommen. Hierbei führte der Sachverständige aus, er könne derzeit keine sichere Prognose abgeben, gehe aber von einem mäßigen Risiko der Begehung weiterer Straftaten aus. Die Prognosen für den Kläger hätten sich in medizinischer, sozialer und legaler Hinsicht von dem vormaligen „eher günstig“ zu einem „günstig“ entwickelt. Der Kläger weise seit der letzten Exploration nach seiner Kenntnis keine Rückfälle auf; ebenso bestehe in medizinischer Hinsicht keine Persönlichkeitsstörung des Klägers, jedoch persönlichkeitsstrukturelle Auffälligkeiten. In sozialer Hinsicht sei maßgeblich, dass der Kläger an dem sozialen Kompetenztraining teilgenommen habe und auch sonst ausreichende Bemühungen und Anstrengungen zeige; wegen der ihm nicht möglichen Arbeitsaufnahme könne der Kläger die soziale Kompetenz aber nicht unter Beweis stellen bzw. umsetzen. Die getroffene günstige Legalprognose gelte auch dann, wenn die im Bewährungsbeschluss enthaltenen Auflagen noch nicht abgeschlossen bzw. nicht begonnen worden seien; letzteres betreffe insbesondere das Antiaggressionstraining. Es sei maßgeblich, dass der Kläger im Vollzug an dem sozialen Kompetenztraining teilgenommen habe. Zudem habe sich der Kläger im Rahmen der Nachexploration als psychopathologisch unauffällig, sehr sachlich und stabil erwiesen; er habe im Gegensatz zu früher nun realistische Zukunftsperspektiven, zeige ein zielgerichtetes Verhalten und sei in keiner Weise auffällig; auch habe der Kläger von einem Wechsel des Milieus bzw. seiner Freunde seit seiner Haftentlassung berichten können. Die sozialen Verhältnisse zu Hause seien vollkommen in Ordnung. Als Faktoren der positiven Entwicklung des Klägers sehe er neben dem zunehmenden Alter des Klägers, der Erfahrung einer Justizvollzugsanstalt und der drohenden Ausweisung bei dem Kläger insbesondere die Erfahrung mit dem gescheiterten Schulabschluss und die Teilnahmen an dem sozialen Kompetenztraining sowie an der ambulanten Psychotherapie. Der Sachverständige führte weiter aus, er halte die Entwicklung des Klägers auch für belastbar, was etwaige Konfliktsituationen betreffe. Ein „sehr günstig“ könne erst vergeben werden, wenn die Auflagen im Bewährungsbeschluss abgearbeitet seien und zwei Jahre nichts vorgefallen sein sollte.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte im Eilverfahren (M 23 S 15.5040), die vorgelegte Behördenakte, die beigezogene Strafvollstreckungsakte (...) des Landgerichts ... - Auswärtige Strafvollstreckungskammer beim Amtsgericht ... - sowie auf die Niederschrift über die mündlichen Verhandlungen vom 14. Januar und 17. März 2015 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Soweit die Klage in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen wurde (= Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter Aufhebung der Ziff. 2 des streitgegenständlichen Bescheids) war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.

Im Übrigen hat die zulässige Klage Erfolg. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom ... Februar 2013 in der Fassung der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten schriftlichen Ergänzungen ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Maßgeblicher Zeitpunkt für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung der Ausweisungsentscheidung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts (vgl. BVerwG, U. v. 30.7.2013 - 1 C 9/12 und U. v. 14.5.2013 - 1 C 13.12 - jeweils juris m. w. N.).

Rechtsgrundlage für die Ausweisungsverfügung der Beklagten (Ziff. 1 des Bescheids) ist §§ 55 Abs. 1, 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i. V. m. Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei vom 19. September 1980 (ARB 1/80).

Der Kläger hat durch die den Verurteilungen des Amtsgerichts ... vom ... Dezember 2011 und ... Juli 2012 zugrunde liegenden Straftaten den zwingenden Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG erfüllt; er wurde wegen mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von über 3 Jahren verurteilt.

Als assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 genießt der Kläger aber besonderen Ausweisungsschutz gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i. V. m. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80. Hiervon geht auch die Beklagte in ihrem Bescheid zutreffend aus. Zumindest die ersten Lebensjahre lebte der Kläger in familiärer Lebensgemeinschaft mit seinem Vater, welcher zum damaligen Zeitpunkt durchgehend in einem festen Arbeitsverhältnis stand, und hat damit als Familienangehöriger die Begünstigung des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erworben. Insbesondere ist die Norm auch auf in der Bundesrepublik geborene Kinder türkischer Staatsangehöriger, wie den Kläger, anwendbar (EuGH, U. v. 11.11.2004 - Cetinkaya, C-467/02 - juris). Diese Berechtigung hat der Kläger in der Folge auch nicht wieder verloren. Für das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht des Klägers ist unschädlich, dass sein Vater, von dem er sein Aufenthaltsrecht ursprünglich abgeleitet hat, vor einigen Jahren weggezogen ist und seither in der Türkei lebt. Ebenso wenig führt die zurückliegende Inhaftierung des Klägers zu einem solchen Rechtsverlust. Weder die Auflösung der familiären Lebensgemeinschaft eines zwischenzeitlich Volljährigen zum stammberechtigten Arbeitnehmer noch eine mehrjährige Inhaftierung und dadurch bedingte Abwesenheit vom Arbeitsmarkt, wie dies beim Kläger der Fall ist, führen dazu, dass das einmal erworbene Recht aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 verloren geht (EuGH, U. v. 7.7.2005 - Aydinli, C-373/03 - juris).

Angesichts seiner Assoziationsberechtigung darf der Kläger gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nur im Ermessenswege nach § 55 AufenthG ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (st. Rspr. vgl. BVerwG, U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris, U. v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris, U. v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris, jeweils unter Verweis auf EuGH, U. v. 8.12.2011 - Ziebell, C-371/08 - juris; BayVGH, U. v. 25.3.2014 - 10 BV 13.484 - juris). Wie die Beklagte in ihrem Bescheid zutreffend ausführt, richten sich die Anforderungen an die Ausweisung eines türkischen Staatsangehörigen, der sich - wie der Kläger - seit mehr als zehn Jahren rechtmäßig im Gebiet eines Mitgliedstaats aufhält, auf der Grundlage von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nach Art. 12 Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatenangehörigen (ABl. 2004, L 16, S. 44 - Daueraufenthaltsrichtlinie); hierbei handelt es sich um eine Vorschrift zum Mindestschutz für Ausweisungen von Drittstaatsangehörigen, die in einem Mitgliedstaat die Rechtsstellung von langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzen (vgl. EuGH, U. v. 8.12.2011 a. a. O.; BVerwG, U. v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris, U. v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris).

Danach kann ein langfristig Aufenthaltsberechtigter nur ausgewiesen werden, wenn er eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt. Maßnahmen, die aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt sind, können nur getroffen werden, wenn sich nach einer Einzelfallprüfung durch die zuständigen Behörden herausstellt, dass das individuelle Verhalten der betroffenen Person zu einer gegenwärtigen, hinreichend schweren Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft führt. Bei dieser Prüfung müssen die Behörden zudem sowohl den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als auch die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens wahren (vgl. EuGH, U. v. 22.12.2010 - Bozkurt, C-308/08 - juris m. w. N. sowie U. v. 8.12.2011 - Ziebell, C-371/08 - juris). Dabei haben die Behörden auch nach der Ausweisungsverfügung eingetretene Tatsachen zu berücksichtigen, die den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen können (vgl. EuGH, U. v. 11.11.2004 - Cetinkaya, C-467/02 - juris sowie U. v. 8.12.2011 a. a. O.).

Von dem Kläger geht zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung durch sein persönliches Verhalten keine - für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen erforderliche - gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland mehr aus.

Eine in der Vergangenheit erfolgte strafrechtliche Verurteilung kann nur dann eine Ausweisung rechtfertigen, wenn die ihr zugrundeliegenden Umstände ein künftiges persönliches Verhalten erwarten lassen, das eine Gefährdung eines Grundinteresses der Gesellschaft darstellt (EuGH, U. v. 29.4.2004 - Orfanopoulos und Oliveri, C-482/01 und 493/01 - juris m. w. N.). Diese Gefährdung kann sich allerdings auch allein aufgrund eines strafgerichtlich abgeurteilten Verhaltens ergeben (EuGH, U. v. 22.10.1977 - Bouchereau, C 30/77 - juris). Andererseits gibt es keine Regel, wonach bei schwerwiegenden Straftaten das abgeurteilte Verhalten zwangsläufig die hinreichende Besorgnis der Begehung weiterer Straftaten begründet. Maßgeblich ist allein der jeweilige Einzelfall. Dies erfordert eine umfassende Würdigung aller Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Betroffenen (vgl. BVerwG, U. v. 30.6.1998 - 1 C 27.95 - juris; EuGH, U. v. 4.10.2007 - Polat, C-349/06 - juris). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind also die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BVerwG, U. v. 16.11.2000 - 9 C 6/00 - juris sowie U. v. 4.5.1990 - 1 B 82/89 - juris m. w. N.).

Für die Feststellung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. U. v. 2.9.2009 - 1 C 2.01 -juris) und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris) ein differenzierender Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wonach an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BVerwG, U. v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris m. w. N. sowie U. v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris). Der Rang des bedrohten Rechtsguts kann nicht außer Acht gelassen werden, denn dieser bestimmt die mögliche Schadenshöhe. Das bedeutet aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit einer Wiederholungsgefahr genügt. An die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts dürfen keine zu geringen Anforderungen gestellt werden (BVerwG, U. v. 4.10.2012 - a. a. O.). Die Beurteilung, ob sich aus dem persönlichen Verhalten des Klägers eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefährdung für ein Grundinteresse der Gesellschaft ergibt, erfordert eine tatrichterliche Prognose anhand der genannten Kriterien. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Dabei sind sie an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich nicht gebunden. Entscheidungen der Strafgerichte nach § 57 StGB sind zwar von tatsächlichem Gewicht und stellen bei der ausländerrechtlichen Prognose ein wesentliches Indiz dar. Von ihnen geht jedoch keine Bindungswirkung aus (vgl. BVerwG, U. v. 28.1.1997 - 1 C 17.04 - Buchholz 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 10 S. 41 und U. v. 16.11.2000 - 9 C 6.00 - BVerwGE 112, 185, 193 m. w. N., nochmals bestätigt durch U. v. 15.1.2013 - 1 C 10/12 - juris). Bei Aussetzungsentscheidungen nach § 57 StGB geht es um die Frage, ob die Wiedereingliederung eines in Haft befindlichen Straftäters weiter im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit ggf. unter Auflagen „offen“ inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann. Bei dieser Entscheidung stehen naturgemäß vor allem Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund; zu ermitteln ist, ob der Täter das Potenzial hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Demgegenüber geht es im ausländerrechtlichen Ausweisungsverfahren um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Herkunftsstaat des Ausländers getragen werden muss. Die der Ausweisung zugrunde liegende Prognoseentscheidung bezieht sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es geht hier um die Beurteilung, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen. Bei dieser längerfristigen Prognose kommt dem Verhalten des Betroffenen während der Haft und nach einer vorzeitigen Haftentlassung zwar erhebliches tatsächliches Gewicht zu. Dies hat aber nicht zur Folge, dass mit einer strafrechtlichen Aussetzungsentscheidung ausländerrechtlich eine Wiederholungsgefahr zwangsläufig oder zumindest regelmäßig entfällt bzw. umgekehrt ohne Aussetzungsentscheidung fortbesteht. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Täter im entscheidungserheblichen Zeitpunkt auf tatsächlich vorhandene Integrationsfaktoren verweisen kann; das Potenzial, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen, ist nur ein solcher Faktor, genügt aber für sich genommen nicht (vgl. BVerwG, U. v. 15.1.2013 - 1 C 10/12 - juris). Die erstmalige Verbüßung einer Haftstrafe kann die Reifung eines Straftäters fördern und die Gefahr eines neuen Straffälligwerdens mindern. Bei einem lang dauernden Strafvollzug wird den Umständen bei der Begehung der Straftat nur noch eine eingeschränkte Aussagekraft zukommen. Mit zunehmender Dauer der Freiheitsentziehung gewinnen stattdessen für die Prognose Umstände wie das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug und ihre augenblicklichen Lebensverhältnisse an Bedeutung (vgl. BayVGH, U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris). Die Frage, ob eine Wiederholungsgefahr vorliegt, kann und muss das Gericht aufgrund der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls selbst beurteilen.

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben geht das Gericht bei der - auch im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung zu treffenden - Prognoseentscheidung zur Wiederholungsgefahr im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung entgegen der Auffassung der Beklagten davon aus, dass im Fall des Klägers die erforderliche Wiederholungsgefahr zumindest nicht mit der für die Ausweisung notwendigen hinreichenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann. Hierfür war Folgendes maßgeblich:

Anlass für die Ausweisung des Klägers war insbesondere seine Verurteilung durch das Amtsgericht ... vom ... Juli 2012, mit dem der Kläger unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts ... vom ... Dezember 2011 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten sowie einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt wurde.

Die Feststellungen des Amtsgerichts ... aus beiden Urteilen zugrunde gelegt, verkennt das Gericht vorliegend nicht, dass diese ein hohes Aggressionspotential des Klägers zeigen, der nicht davor zurückschreckte, unterlegene Tatopfer teils ohne Anlass penetrant und massiv zu attackieren. Hierbei waren Rechtsgüter von hohem Rang, insbesondere die körperliche Unversehrtheit der Opfer, betroffen. Ebenso sieht das Gericht, dass der Kläger langjährig mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten ist und sich seine Delinquenz hierbei kontinuierlich gesteigert hat. Des Weiteren berücksichtigt das Gericht, dass sowohl der mit Urteil vom ... November 2006 verhängte Jugendarrest als auch die durch das Amtsgericht ... am ... Dezember 2011 ausgesprochene Bewährungsstrafe den Kläger nicht dazu bewegen konnten, von weiteren Straftaten abzusehen; im Gegenteil erfolgten weitere Straftaten des Klägers im nahen zeitlichen Zusammenhang mit den Verurteilungen. Es spricht zwar viel dafür, dass dieses Verhalten im Zeitpunkt des Bescheiderlasses im Februar 2013 die Annahme einer hinreichenden Wiederholungsgefahr tatsächlich ausreichend gerechtfertigt hat; für das hiesige Verfahren kommt es aber ausschließlich auf die zu treffende Prognose im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an. Insbesondere sind damit die weitere Entwicklung des Klägers sowie sämtliche Umstände bis zur Gerichtsentscheidung zu betrachten. Dies zugrunde gelegt, ist im Fall des Klägers maßgeblich zu berücksichtigen, dass dieser ab März 2012 erstmalig inhaftiert war und in der Haft über drei Jahre ein beanstandungsfreies, unauffälliges Vollzugsverhalten sowie eine positive Persönlichkeitsentwicklung gezeigt hat, was schließlich zu seiner Reststrafenbewährung nach Verbüßung von 2/3 der Haftstrafe geführt hat.

Der positiven Entwicklung des Klägers kommt aus Sicht des Gerichts eine entscheidende Bedeutung für die zu treffende Prognose zu:

Bereits während seiner Inhaftierung - wenn auch verstärkt erst nach Erlass der Ausweisungsverfügung - zeigte der Kläger guten Willen und ernsthafte Bemühungen, sich zu bessern. Er hat regelmäßig wöchentlich einen externen Psychotherapeuten zu Einzelgesprächen aufgesucht und auch an einem länger andauernden (20 Wochen) Antiaggressionstraining teilgenommen. Negative Vorfälle in der Haft hat sich der Kläger überdies nicht zu Schulden kommen lassen. Bereits die Justizvollzugsanstalt ... sah hierin eine Stabilisierung der Persönlichkeit des Klägers (vgl. Bericht vom ... April 2014, S. 2).

Auch der Gutachter Dr. med. ..., der den Kläger in der Haft untersuchte und hierüber ein ausführliches Gutachten erstellte, attestierte dem Kläger insbesondere auch aufgrund seiner Teilnahme an einem sozialen Kompetenztraining und der Einbindung in die Arbeitsstrukturen der Justizvollzugsanstalt sowohl in medizinischer als auch in sozialer und legaler Hinsicht eine „eher günstige Prognose“ (vgl. Gutachten vom ...08.2014). Es wurde in Aussicht gestellt, dem Kläger eine weiter positive („günstige“) Legalprognose zusprechen zu können, sollten geeignete Maßnahmen initiiert und der Kläger weiter betreut werden, was letztlich dann auch der Fall war.

Dieser Einschätzung schloss sich schließlich auch die Justizvollzugsanstalt ... an und befürwortete deshalb in ihrer Stellungnahme vom 7. Oktober 2014 die Reststrafenbewährung mit geeigneten Bewährungsauflagen.

Dem Kläger ist zugute zu halten, dass er die ambulante Psychotherapie in der Haft ausgeschöpft und abgeschlossen hat (vgl. Bericht der JVA vom 7. Oktober 2014), sich selbstständig um eine Fortführung der Therapie nach Haftentlassung gekümmert hat (vgl. Bestätigung des Herrn Dipl.-Psych. ... vom ... Februar „2014“, richtig „2015“) und ebenfalls bereits aus der Haft Kontakt mit dem ... Informationszentrum für Männer und mit der Suchtberatung aufgenommen hat (vgl. Bericht der JVA vom 7. Oktober 2014; vgl. hierzu auch neuere Bestätigung von „...“ vom 17. Dezember 2014).

Diese Initiativen und Bemühungen des Klägers führten schließlich dazu, dass ihm der Sachverständige Dr. med. ... in seiner Anhörung am 14. Oktober 2014 eine weitere Verbesserung der Legalprognose attestierte, woraufhin sich die zuständige Strafvollstreckungskammer - die Vorgaben des Sachverständigen durch Auflagen umsetzend - für eine den Kläger begünstigende Reststrafenbewährung entschied (vgl. Bewährungsbeschluss vom 14. Oktober 2014). Diese positive Entwicklung des Klägers während der Haft ist auch vorliegend zu würdigen.

Auch nach der Haftentlassung sich seine positive Entwicklung weiter fort:

Aus der Stellungnahme der Bewährungshelferin vom 13. März 2015 geht hervor, dass sich der Kläger als sehr zuverlässig und verantwortungsbewusst gezeigt habe und ernsthaft bemüht sei, seinem Leben eine positive Entwicklung zu geben. Die angeordneten Auflagen bzw. Weisungen würden durch ihn erfüllt.

Nach der Einschätzung des Sachverständigen Dr. med. ..., welcher in der mündlichen Verhandlung von seiner Nachexploration vom 13. Februar 2015 berichtete, habe sich die Sozial- und Legalprognose zugunsten des Klägers nochmal verbessert; gegenwärtig stufe er die Prognose für den Kläger sowohl in medizinischer als auch in sozialer und legaler Hinsicht von dem damaligen „eher günstig“ nun als „günstig“ (dies entspreche einer „+2“) ein. Hinsichtlich der Prognose der Begehung weiterer Straftaten gehe der Sachverständige damit derzeit von einem „mäßigen Risiko“ aus; diese Entwicklung halte er, auch was etwaige Konfliktsituationen betreffe, für belastbar und auch dann, wenn die Bewährungsauflagen noch nicht vollständig erfüllt seien. Maßgeblich für die positive Persönlichkeitsentwicklung sei das Zusammenspiel mehrerer Faktoren, wie das zunehmende Alter des Klägers, dessen Erfahrungen in der Vollzugsanstalt, die drohende Ausweisung und seine Teilnahmen an dem sozialen Kompetenztraining sowie an der ambulanten Psychotherapie. Seine Beobachtungen hätten ergeben, dass sich der Kläger als psychopathologisch unauffällig und stabil erweise. Eine Persönlichkeitsstörung sei nicht gegeben. Der Kläger habe nach seiner Kenntnis keinen Rückfall zu verzeichnen. Er habe im Gegensatz zu früher nun realistische Zukunftsperspektiven, zeige ein zielgerichtetes Verhalten und sei in keiner Weise auffällig. Weiterhin bemühe er sich ernsthaft um die Aufnahme einer Tätigkeit (könne dies mangels Arbeitserlaubnis aber nicht umsetzen) und stehe in regelmäßigem Kontakt mit seiner Bewährungshelferin, der Suchtberatungsstelle sowie mit dem ... Informationszentrum für Männer. Die sozialen Verhältnisse zuhause seien vollkommen in Ordnung; zudem habe der Kläger von seinem alten Freundeskreis Abstand genommen.

Das Gericht schließt sich vorliegend der fachkompetenten Einschätzung des Sachverständigen an. An der Prognose des Sachverständigen bestehen keine begründeten Zweifel, insbesondere sind dessen schriftliche und mündliche Ausführungen fundiert, nachvollziehbar und glaubwürdig. Bereits die ausführliche schriftliche Begutachtung des Sachverständigen beschäftigt sich sehr tiefgehend mit der Persönlichkeit des Klägers und deren Entwicklung. Der Sachverständige hat den Kläger bereits in der Haft intensiv begutachtet und dies im Rahmen des hiesigen Gerichtsverfahrens fortgesetzt. In der mündlichen Verhandlung konnte das Gericht den Eindruck eines sorgfältigen und gewissenhaften Sachverständigen gewinnen, der seine schriftlichen Ausführungen eingehend konkretisierte und aktualisierte und überzeugend wie glaubhaft darlegen konnte, dass sich die Klägerpersönlichkeit derart stabilisiert habe, dass gegenwärtig noch von einer „mäßigen“ Rückfallgefahr auszugehen sei. Da der Sachverständige den Kläger seit Juli 2014 mehrfach begutachtet hat, ist davon auszugehen, dass er in der Lage ist, einzuschätzen und zu bewerten, inwieweit sich der Kläger seither verändert und entwickelt hat. Das Gericht sieht keine konkreten Anhaltspunkte, welche entgegen der Einschätzung des Sachverständigen begründeten Anlass zu der Annahme geben könnten, dass die in den begangenen Straftaten vormals an den Tag getretene Wiederholungsgefahr trotz der gezeigten Initiativen und der positiven Persönlichkeitsentwicklung des Klägers weiterhin in vergleichbarer Weise fortbestehen könnte.

Auch die positive Entwicklung des Klägers in Freiheit bestätigt die vorliegende Prognose, wenn auch nur ein kurzer Bewährungszeitraum über fünf Monate mit nur eingeschränktem Aussagegehalt zu einer Wiederholungsgefahr bzw. künftigen Straffreiheit vorliegt. Schließlich wird die Legalprognose für den Kläger weiter dadurch begünstigt, dass er in den nächsten drei Jahren der Leitung und Aufsicht eines Bewährungshelfers unterstellt ist und für die Dauer der Bewährungszeit von vier Jahren den engen Vorgaben des Bewährungsbeschlusses, insbesondere den dort ausgesprochenen, sachverständig empfohlenen Auflagen, unterliegt. Das Gericht geht davon aus, dass diese Vorgaben das künftige Verhalten des Klägers hinsichtlich der erwünschten Straffreiheit zusätzlich fördern und steuern können.

Unter Berücksichtigung sämtlicher genannter Umstände ist anzunehmen, dass der Kläger tatsächlich einen Einstellungswandel durchlaufen hat und sich seine Persönlichkeit zumindest dergestalt gefestigt hat, dass dies der für die Ausweisung notwendigen hinreichenden Wiederholungsgefahr entgegensteht.

Da sich die Ausweisungsentscheidung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids - in der Fassung der in der mündlichen Verhandlung erfolgten Ergänzungen - zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als rechtswidrig erweist, verletzt sie den Kläger in seinen Rechten und war daher aufzuheben. Mit der Aufhebung der Ausweisung in Nr. 1 des angefochtenen Bescheids entfallen die Rechtsgrundlagen für die Festsetzung einer Frist zur Wiedereinreise (Nr. 3 des Bescheids), für die Abschiebungsandrohung (Nr. 4 des Bescheids) und die Kostenfestsetzung (Nr. 5 des Bescheids); sie waren aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des zurückgenommenen Teils der Klage auf § 155 Abs. 2 VwGO, im Übrigen auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Rechtsmittelbelehrung:

Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,

Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder

Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München

schriftlich beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.

Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,

Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder

Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München

Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach

einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.

Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.

Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf EUR 10.000,- festgesetzt

(§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i. V. m. Nr. 8.1 und 8.2 des Streitwertkatalogs).

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,

Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder

Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München

schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

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(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Die Entscheidung, ob die Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden soll (§§ 57 bis 58 des Strafgesetzbuches) sowie die Entscheidung, daß vor Ablauf einer bestimmten Frist ein solcher Antrag des Verurteilten unzulässig ist, trifft das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Die Staatsanwaltschaft, der Verurteilte und die Vollzugsanstalt sind zu hören. Der Verurteilte ist mündlich zu hören. Von der mündlichen Anhörung des Verurteilten kann abgesehen werden, wenn

1.
die Staatsanwaltschaft und die Vollzugsanstalt die Aussetzung einer zeitigen Freiheitsstrafe befürworten und das Gericht die Aussetzung beabsichtigt,
2.
der Verurteilte die Aussetzung beantragt hat, zur Zeit der Antragstellung
a)
bei zeitiger Freiheitsstrafe noch nicht die Hälfte oder weniger als zwei Monate,
b)
bei lebenslanger Freiheitsstrafe weniger als dreizehn Jahre
der Strafe verbüßt hat und das Gericht den Antrag wegen verfrühter Antragstellung ablehnt oder
3.
der Antrag des Verurteilten unzulässig ist (§ 57 Abs. 7, § 57a Abs. 4 des Strafgesetzbuches).
Das Gericht entscheidet zugleich, ob eine Anrechnung nach § 43 Abs. 10 Nr. 3 des Strafvollzugsgesetzes ausgeschlossen wird.

(2) Das Gericht holt das Gutachten eines Sachverständigen über den Verurteilten ein, wenn es erwägt, die Vollstreckung des Restes

1.
der lebenslangen Freiheitsstrafe auszusetzen oder
2.
einer zeitigen Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren wegen einer Straftat der in § 66 Abs. 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art auszusetzen und nicht auszuschließen ist, daß Gründe der öffentlichen Sicherheit einer vorzeitigen Entlassung des Verurteilten entgegenstehen.
Das Gutachten hat sich namentlich zu der Frage zu äußern, ob bei dem Verurteilten keine Gefahr mehr besteht, daß dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbesteht. Der Sachverständige ist mündlich zu hören, wobei der Staatsanwaltschaft, dem Verurteilten, seinem Verteidiger und der Vollzugsanstalt Gelegenheit zur Mitwirkung zu geben ist. Das Gericht kann von der mündlichen Anhörung des Sachverständigen absehen, wenn der Verurteilte, sein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft darauf verzichten.

(3) Gegen die Entscheidungen nach Absatz 1 ist sofortige Beschwerde zulässig. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluß, der die Aussetzung des Strafrestes anordnet, hat aufschiebende Wirkung.

(4) Im Übrigen sind § 246a Absatz 2, § 268a Absatz 3, die §§ 268d, 453, 453a Absatz 1 und 3 sowie die §§ 453b und 453c entsprechend anzuwenden. Die Belehrung über die Aussetzung des Strafrestes wird mündlich erteilt; die Belehrung kann auch der Vollzugsanstalt übertragen werden. Die Belehrung soll unmittelbar vor der Entlassung erteilt werden.

(1) Der Kläger kann bis zur Rechtskraft des Urteils seine Klage zurücknehmen. Die Zurücknahme nach Stellung der Anträge in der mündlichen Verhandlung setzt die Einwilligung des Beklagten und, wenn ein Vertreter des öffentlichen Interesses an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, auch seine Einwilligung voraus. Die Einwilligung gilt als erteilt, wenn der Klagerücknahme nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Rücknahme enthaltenden Schriftsatzes widersprochen wird; das Gericht hat auf diese Folge hinzuweisen.

(2) Die Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als zwei Monate nicht betreibt. Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und § 155 Abs. 2 ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen. Das Gericht stellt durch Beschluß fest, daß die Klage als zurückgenommen gilt.

(3) Ist die Klage zurückgenommen oder gilt sie als zurückgenommen, so stellt das Gericht das Verfahren durch Beschluß ein und spricht die sich nach diesem Gesetz ergebenden Rechtsfolgen der Zurücknahme aus. Der Beschluß ist unanfechtbar.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

Tenor

I.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 18. November 2008 weiter, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, ihm (zunächst) die Wiedereinreise (auf Dauer) untersagt sowie für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung in die Türkei angedroht wurde.

Der 1972 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er wuchs zunächst bei seiner Mutter in der Türkei auf, zeitweise war er dort auch in einem Heim untergebracht. Seine Eltern hatten sich bereits vor seiner Geburt getrennt. 1987 zog der Kläger zu seinem spätestens seit Anfang der 1970er Jahre in Deutschland lebenden und arbeitenden Vater nach. Hier wurde ihm erstmals am 26. Mai 1988 eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt, die in der Folge wiederholt verlängert wurde. Am 31. Juli 2003 erhielt er schließlich eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.

In Deutschland arbeitete der Kläger nach einem zweijährigen Besuch einer Sprachschule zunächst in einem von seinem Vater betriebenen Café, in den Jahren 1995 bis 2001 als Reinigungskraft bei zwei verschiedenen Putzfirmen und ab Herbst 2002 bis zu seiner Festnahme am 28. Oktober 2006 in einem Hotel in M. als Spüler. Von 1995 bis zur Scheidung der Ehe am 24. Juli 2002 war der Kläger mit der türkischen Staatsangehörigen Y.Y. verheiratet. Aus dieser Ehe stammt die am 25. Oktober 1996 geborene Tochter D., die die türkische Staatsangehörigkeit besitzt.

In den Jahren 1996, 1997 und 1998 wurden gegen den Kläger wegen Vergehen der Beförderungserschleichung in einer größeren Zahl von Fällen jeweils Gesamtgeldstrafen von 50 Tagessätzen verhängt. 1993 war der Kläger bereits vom Jugendgericht beim Amtsgericht München wegen Beförderungserschleichung zu 40 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden.

Mit Urteil des Amtsgerichts München vom 23. Juli 2002 wurde der Kläger wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 6 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Kläger hatte seine (frühere) Ehefrau, die sich scheiden lassen wollte und bereits einen Anwalt aufgesucht hatte, im Mai 2001 in der gemeinsamen Wohnung vergewaltigt.

Mit Urteil des Landgerichts München I vom 19. September 2007 wurde der Kläger wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren 9 Monaten verurteilt. Nach den Feststellungen des Strafgerichts kam es in dem Hotel, in dem der Kläger als Spüler beschäftigt war, zwischen zwei Arbeitskollegen des Klägers zu einem Streit, den der Kläger zunächst schlichtete. In dieser Situation machte der spätere Geschädigte gegenüber den beiden Arbeitskollegen des Klägers eine Bemerkung, über die sich der Kläger ärgerte und deretwegen er sich in seinem Bemühen um die Schlichtung des Streits nicht ernst genommen fühlte. Der Kläger forderte daraufhin den Geschädigten auf, mit ihm den Arbeitsplatz zu verlassen, um sich vor dem Hotel zu schlagen. Beide wollten daraufhin das Gebäude über den Personaleingang verlassen, wurden jedoch vom Pförtner daran gehindert und wieder in die Küche zurückgeschickt. Der Kläger äußerte gegenüber dem Geschädigten, die Sache sei noch nicht erledigt und solle später geklärt werden. Nach Beendigung seiner Arbeit um 4:00 Uhr wartete der Kläger vor dem Personaleingang des Hotels auf den Geschädigten, der dort um ca. 5:00 Uhr in Begleitung von zwei anderen Arbeitskollegen erschien. Da der Kläger befürchtete, der Geschädigte, ein sportlicher und kräftiger junger Mann könnte ihm bei einer Schlägerei überlegen sein, hatte er vor Verlassen des Hotels ein spitzes Küchenmesser mit einer Klingenlänge von ca. 6,5 cm eingesteckt und in seiner Hosentasche verborgen. Auf die Aufforderung des Klägers hin ging der Geschädigte in Begleitung der anderen Arbeitskollegen mit dem Kläger in einen in der Nähe gelegenen Park, wo es zunächst zu einem Wortwechsel und einem Gerangel kam. Infolge eines kräftigen Schlags durch den Geschädigten erlitt der Kläger dabei einen Kieferbruch. Nachdem er zunächst infolge des Schlags kurz zu Boden gegangen war, zog der Kläger das Messer, trat an den Geschädigten von vorne heran und stach auf diesen mit 2 wuchtigen Stößen ein, einmal im Bereich des linken Ohrs am Kopf des Geschädigten, einmal im Bereich der linken Achselhöhle, wobei das Messer, das auf eine Rippe traf, verbogen wurde und nach der Ablenkung insgesamt 5 cm tief in den Körper eindrang. Bei beiden Stichen nahm der Kläger den Tod des Geschädigten zumindest billigend in Kauf. Der Kläger, der den Geschädigten bei dessen anschließender Flucht verfolgen wollte, wurde von den beiden anderen Arbeitskollegen erst an der Verfolgung gehindert und konnte dann den Geschädigten letztlich nicht mehr einholen.

Mit Bescheid vom 18. November 2008 wies die Beklagte den Kläger nach vorheriger Anhörung aus der Bundesrepublik Deutschland aus, untersagte ihm die Wiedereinreise und drohte für den Fall, dass er nicht aus der Haft abgeschoben werde und nicht fristgerecht ausreise, die Abschiebung in die Türkei an. Der Kläger habe grundsätzlich den zwingenden Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG erfüllt, dürfe aber, weil er ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht erworben habe, nur aus spezialpräventiven Gründen im Wege einer Ermessensausweisung nach § 55 AufenthG in Verbindung mit Art. 14 ARB 1/80 ausgewiesen werden. Auf Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG könne sich der Kläger nicht berufen. Der Kläger habe durch die von ihm begangene schwere Straftat schwerwiegend gegen die öffentliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland verstoßen. Auch bestehe die konkrete Gefahr weiterer schwerwiegender Straftaten nach der Haftentlassung des Klägers. Maßgeblich dafür sei zum einen die abgeurteilte Tat selbst, durch die der Kläger sein hohes Aggressionspotenzial und seine hohe Gewaltbereitschaft gezeigt habe. Auch durch die Vergewaltigung seiner Ehefrau im Jahr 2001 habe er gezeigt, dass er die körperliche Unversehrtheit anderer Leute nur gering achte. Weder die damalige Untersuchungshaft noch die strafrechtliche Verurteilung infolge dieses Delikts hätten ihn davon abgehalten, erneut ein schwerwiegendes Gewaltdelikt zu begehen. Die Ausweisung entspreche pflichtgemäßer Ermessensausübung und sei unter Berücksichtigung der persönlichen Interessen des Klägers auch im Hinblick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK verhältnismäßig. Dabei werde berücksichtigt, dass er seit nunmehr 21 Jahren im Bundesgebiet lebe und die meiste Zeit gearbeitet habe. Auch der bisherige, nicht regelmäßige Kontakt zur Tochter stünde der Ausweisung nicht entgegen. Aufgrund der konkreten Wiederholungsgefahr schwerer Straftaten müssten die privaten Belange des Klägers letztlich zurückstehen.

Die vom Kläger gegen den Bescheid vom 18. November 2008 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 14. Mai 2009 abgewiesen. Da der Kläger die Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erworben habe, komme nur eine Ermessensausweisung nach § 55 AufenthG in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in Betracht. Die Beklagte habe zu Recht angenommen, dass vom Kläger die ernsthafte Gefahr weiterer schwerer Gewalttaten nach seiner Haftentlassung ausgehe. Sein Einwand, er sei bei dieser Tat provoziert worden, greife nicht. Das hohe Aggressionspotenzial des Klägers werde schon daraus deutlich, dass dieser wegen einer verhältnismäßig belanglosen Äußerung seines Kontrahenten selbst mit erheblichem Zeitabstand noch die Konfrontation gesucht habe und den von ihm erheblich Verletzten sogar nach dessen Flucht noch habe verfolgen wollen. Seine Bereitschaft zu Gewalttaten habe er auch bei der Vergewaltigung seiner (damaligen) Ehefrau gezeigt. Die Ausweisung sei auch unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK verhältnismäßig. Die Beklagte habe die familiäre Situation des Klägers ausreichend und fehlerfrei gewürdigt und zugunsten des Klägers berücksichtigt, dass er seit über zwanzig Jahren im Bundesgebiet lebe, hier arbeite und hier nahe Angehörige habe. Andererseits verfüge der Kläger über hinreichende türkische Sprachkenntnisse und habe die ersten fünfzehn Jahre seines Lebens in der Türkei verbracht, wo auch seine Mutter noch lebe. Dem Kläger sei zuzumuten, dass sich seine Beziehung zur Tochter künftig auf wenige Besuchskontakte und ansonsten telefonische und briefliche Kontakte reduziere. Auch sonstige Ermessensfehler bestünden nicht.

Mit seiner durch das Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung macht der Kläger im Wesentlichen geltend, er sei ausweislich der Feststellungen eines im Strafvollstreckungsverfahren eingeschalteten Gutachters ein „ruhiger, besonnener, bescheidener und nicht provokativ auftretender Türke“, der auf den Sachverständigen einen sehr unauffälligen, nicht aggressiven und auch nicht kriminellen Eindruck gemacht habe und zusammenfassend als „nicht sehr gefährlich eingestuft“ worden sei. Soweit auf ihn die Unionsbürgerrichtlinie Anwendung fände, lägen danach die Voraussetzungen einer Ausweisung schon aufgrund der Höhe der strafrechtlichen Verurteilung nicht vor. Das erstinstanzliche Urteil sei hinsichtlich der Ermessensbeurteilung rechtsfehlerhaft. Die Einschätzung des Gerichts, beim Kläger sei ein hohes Aggressionspotenzial vorhanden und es bestehe die Gefahr weiterer besonders schwerwiegender Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, liege insbesondere unter Berücksichtigung des angeführten Gutachtens neben der Sache. Der Kläger werde vielmehr zu Unrecht als brutaler Schläger dargestellt, der aggressiv und zu weiteren schweren Gewalttaten bereit sei. Die abgeurteilte Vergewaltigung stelle eine Tat mit Ausnahmecharakter dar, die auch keinen inneren Zusammenhang mit dem späteren Gewaltdelikt des Klägers aufweise. Der Kläger habe durch die Haft und die inzwischen durchgeführte Therapie dazugelernt. Sein Verhalten während aber auch nach der Haft spreche dafür, dass die Strafhaft bei ihm positive Wirkungen gezeigt habe. Auch die familiäre Situation des Klägers, insbesondere dessen Beziehung zu seiner Tochter, sei weder im angefochtenen Bescheid noch im Urteil ausreichend gewürdigt worden. Eine Ausweisung würde für die Vater-Tochter-Beziehung sehr negative und nachteilige Folgen haben. Die in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vorgenommenen Ergänzungen der Ermessenserwägungen der Beklagten könnten nicht zur Heilung der Ermessensfehler des Ausgangsbescheids führen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 14. Mai 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 18. November 2008 in der in der mündlichen Verhandlung (vor dem Verwaltungsgerichtshof) geänderten Form aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Nach Auffassung der Beklagten bestehe nach wie vor die konkrete Gefahr weiterer schwerwiegender Straftaten. Er sei bereits in zwei Fällen wegen gravierender Gewaltdelikte zu Freiheitsstrafen verurteilt worden. Die Einstellung des Klägers zur Rechtsordnung zeige sich im Übrigen auch an den abgeurteilten Fällen der Leistungserschleichung. Das angeführte Gutachten des Dr. W. führe zu keinem anderen Ergebnis. Dessen Prognose möge gegebenenfalls eine Entscheidung gemäß § 57 Abs. 1 StGB begründen, stehe aber der Annahme einer konkreten Gefahr im Sinne schwerwiegender Gründe nach § 56 Abs. 1 AufenthG oder Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nicht entgegen. Auch die Justizvollzugsanstalt habe beim Kläger offenbar eine Therapie für erforderlich gehalten. Das vom Kläger nach der Haft gezeigte Wohlverhalten sei nicht so nachhaltig, dass auch längerfristig eine Wiederholung ähnlich schwerer Straftaten wie in der Vergangenheit ausgeschlossen werden könnte. Zudem habe sich der Kläger offensichtlich bis heute nicht hinreichend mit seinen schweren Straftaten auseinandergesetzt. Auch nach der ersten Untersuchungshaft und ersten strafrechtlichen Verurteilung habe der Kläger einige Jahre keine Straftaten begangen, dann sich jedoch aus einem nichtigen Anlass zu dem Totschlagsdelikt hinreißen lassen. Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG sei nach zutreffender Auffassung im Fall des Klägers nicht anwendbar.

Mit Beschluss vom 23. Februar 2010 hat der Verwaltungsgerichtshof das Berufungsverfahren im Hinblick auf ein beim Gerichtshof der Europäischen Union anhängiges Vorabentscheidungsersuchen in einem gleich gelagerten Fall ausgesetzt und das Verfahren nach Ergehen der Entscheidung des Gerichtshofs auf Antrag der Klägers vom 4. März 2013 wieder fortgesetzt.

Zur aktuellen Situation wurde vom Kläger noch ausgeführt, er stehe seit seiner Entlassung aus der Justizvollzugsanstalt in einem ununterbrochenen und ungekündigten Arbeitsverhältnis bei einer Zeitarbeitsfirma und verdiene derzeit monatlich netto ungefähr 1.300,- Euro. Er wohne bei seinen Eltern (Vater und Stiefmutter), das Verhältnis zu seiner Tochter D. sei gut; beide würden sich regelmäßig sehen. Er zahle auch monatlich Kindesunterhalt an die Mutter. Er habe bereits in der Strafhaft an einem Antiaggressionstraining teilgenommen und eine psychotherapeutische Behandlung bei Herrn Dr. Sch. bis zur Beendigung im Sommer 2012 durchgeführt.

Durch die Beklagte wurden noch ergänzend der Beschluss der 2. Auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts A. bei dem Amtsgericht L. vom 16. April 2011 bezüglich der Führungsaufsicht (Dauer: 5 Jahre) beim Kläger sowie Berichte des Bewährungshelfers des Klägers vom 22. April und 30. Dezember 2013 vorgelegt, wonach der Kläger einen absolut zuverlässigen und guten Kontakt zum Bewährungshelfer halte, weiter über eine Zeitarbeitsfirma versicherungspflichtig beschäftigt sei und auch sonst geordnete Lebensverhältnisse aufweise. Die bei Herrn Dr. Sch. durchgeführte Therapie habe er mittlerweile beendet. Von neuen Straftaten oder anhängigen Strafverfahren sei nichts bekannt.

Mit Schriftsatz vom 19. März 2014 ergänzte die Beklagte den aus ihrer Sicht ausländerrechtlich relevanten Sachverhalt beim Kläger und im Hinblick darauf die Ermessenserwägungen der streitbefangenen Ausweisungsverfügung. Aufgrund der Schwere der Delinquenz des Klägers, der gegen ihn verhängten Haftstrafen und der bis zum 10. Juli 2016 angeordneten Führungsaufsicht würden im Ergebnis nach wie vor die öffentlichen Interessen an einer zumindest vorübergehenden Aufenthaltsbeendigung des Klägers gegenüber dessen persönlichen Interessen (seit knapp 3 Jahren wieder berufstätig, keine neuen Straftaten, Kontakt zur Familie und insbesondere zur Tochter) und seiner Angehörigen am Verbleib im Bundesgebiet überwiegen. Gleichzeitig wurde eine Befristung des Einreiseverbots auf vier Jahre ab Ausreise des Klägers verfügt und entsprechend begründet.

In der mündlichen Verhandlung am 24. März 2014 wurde mit den Beteiligten die Sach- und Rechtslage eingehend erörtert. Die Beklagte erklärte in Abänderung der Nr. 2. des streitbefangenen Bescheids vom 18. November 2008 ihre Befristungsregelung mit einer Sperrfrist von vier Jahren ab Ausreise des Klägers zu Protokoll des Gerichts. Bezüglich der Gründe dieser Befristungsentscheidung verwies der Beklagtenvertreter auf die diesbezüglichen Erwägungen im Schriftsatz der Beklagten vom 19. März 2014. Der in der mündlichen Verhandlung anwesende Vertreter des öffentlichen Interesses unterstützte die Rechtsposition der Beklagten. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der Behörden- und beigezogenen Strafakten verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die Klage des Klägers auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 18. November 2008 in der in der mündlichen Verhandlung vom 24. März 2014 geänderten Form ist ebenso unbegründet wie das in seinem Anfechtungsbegehren gegen die Ausweisungsverfügung enthaltene Hilfsbegehren auf Festsetzung einer kürzeren als der von der Beklagten zuletzt bestimmten Frist nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Die im streitbefangenen Bescheid verfügte Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO; nachfolgend 1.). Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Festsetzung einer kürzeren Sperrfrist; die von der Beklagten zuletzt festgesetzte Frist nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG von vier Jahren ist verhältnismäßig und verletzt den Kläger ebenfalls nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO; nachfolgend 2.).

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung und der vom Kläger hilfsweise begehrten Festsetzung einer kürzeren Sperrfrist ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder der Entscheidung des Berufungsgerichts (st. Rspr. des BVerwG; vgl. U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - Rn. 12 m. w. N.).

1. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Rechtsgrundlage für diese Verfügung der Beklagten ist § 55 Abs. 1, § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i. V. m. Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80).

Der Kläger, der als Familienangehöriger seines dem regulären Arbeitsmarkt in Deutschland angehörenden türkischen Vaters (vgl. Bl. 13 der Behördenakte) 1988 die Genehmigung erhalten hat, zu seinem Vater zu ziehen, und dort in der Folge seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz hatte, hat - zwischen den Beteiligten unstreitig - eine Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erworben. Wie das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend festgestellt hat, hat der Kläger dieses assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht in der Folge auch nicht wieder verloren. Der Kläger kann daher nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nur im Ermessenswege ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (st. Rspr.; z. B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 13, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris Rn. 17, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - Rn. 14 jeweils unter Verweis auf EuGH, U.v. 8.12.2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2012, 422). Wie der Gerichtshof der Europäischen Union inzwischen geklärt hat (vgl. EuGH, U.v. 8.12.2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2012, 422), richten sich die Anforderungen an die Ausweisung von sich seit mehr als zehn Jahren rechtmäßig im Gebiet eines Mitgliedstaats aufhaltenden assoziationsrechtlich Aufenthaltsberechtigten auf der Grundlage von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nicht, wie der Kläger meint, nach Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG (vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 12.7.2013 - 10 ZB 11.150 - juris Rn. 4).

1.1. Insbesondere das seiner Verurteilung durch das Landgericht München I vom 19. September 2007 wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zugrunde liegende persönliche Verhalten des Klägers stellt eine schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft im Sinne des Art. 14 ARB 1/80 dar. Der Kläger hat ausweislich der Feststellungen des Strafgerichts bei einer Auseinandersetzung mit einem Arbeitskollegen aus nichtigem Anlass - einer ihn nicht einmal unmittelbar selbst betreffenden, relativ belanglosen Äußerung, die er als persönliche Kränkung empfunden hat - gezielt die Konfrontation gesucht und bei der körperlichen Auseinandersetzung unter Einsatz eines für diesen Zweck bereitgehaltenen, spitzen Messers als Tatwaffe seinem Kontrahenten mit zwei wuchtig ausgeführten Stichen Verletzungen am Kopf und im Bereich der linken Achselhöhle zugefügt, wobei er den als möglich angesehenen Tod des Geschädigten zumindest billigend in Kauf nahm. Dabei hat der Kläger gezeigt, dass er bei einer von ihm empfundenen persönlichen Kränkung auch aus einem völlig belanglosen Anlass selbst vor besonders gefährlichen und sogar lebensbedrohlichen Gewalthandlungen nicht zurückschreckt. Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) nimmt innerhalb der Wertordnung des Grundgesetzes einen besonderen Platz ein. Der der Verurteilung des Klägers wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zugrunde liegende Verstoß gegen dieses Grundrecht stellt deshalb sowohl mit Blick auf den unionsrechtlichen als auch mit Blick auf den nationalen Ausweisungsschutz einen hinreichend schweren Ausweisungsanlass dar, der über die mit jedem Rechtsverstoß verbundene Störung der öffentlichen Ordnung (weit) hinausgeht und ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (st. Rspr.; vgl. z. B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 14; BayVGH, U.v. 5.3.2013 - 10 B 12.2219 - juris Rn. 34).

1.2. Auch im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs ist beim Kläger die Gefahr der Wiederholung seines strafbaren Verhaltens im Bereich der schweren Gewaltkriminalität noch zu bejahen.

1.2.1. Dabei ist von einem differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab auszugehen (BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - Rn. 16 m. w. N. seiner st. Rspr.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Auch die den Gerichten der Mitgliedstaaten obliegende und auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Beurteilung, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt (EuGH, U.v. 8.12.2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - a. a. O.), kann im Hinblick auf die erforderliche Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts den Rang des bedrohten Rechtsguts nicht außer Acht lassen, denn dieser bestimmt die mögliche Schadenshöhe. Das bedeutet aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet. Vielmehr dürfen an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit keine zu geringen Anforderungen gestellt werden (BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - Rn. 16).

1.2.2. Nach diesen Maßstäben teilt der Senat im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs trotz einiger durchaus für den Kläger sprechender Umstände (1.2.2.1.) die von der Beklagten aufrechterhaltende Prognose einer hinreichenden Rückfallgefahr gerade auch hinsichtlich schwerer Gewalttaten. Die vom Kläger dagegen angeführte Einschätzung des Gutachters Dr. W. in dessen für die zuständige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts A. erstellten nervenfachärztlichen Gutachten vom 2. Oktober 2009, wonach der Kläger „als nicht sehr gefährlich eingestuft“ und die Wiederholungsgefahr „als nicht sehr groß“ angegeben wird, hält der Senat letztlich für nicht überzeugend. Vielmehr sprechen nach wie vor gewichtige Gründe wie insbesondere die Tatumstände der Anlasstat, die strafrechtliche Biografie des Klägers, die fehlende Einsicht und Auseinandersetzung mit seinen Straftaten, die erforderliche Langfristigkeit der ausländerrechtlichen Prognose und nicht zuletzt das hohe Gewicht der bei einem Rückfall bedrohten Rechtsgüter für die Prognose der konkreten Wiederholungsgefahr (1.2.2.2.).

1.2.2.1. Zwar kann der Kläger für sich in Anspruch nehmen, dass er im Strafverfahren wegen seines versuchten Totschlags geständig war, es während der Haft zu keinerlei Beanstandungen gekommen ist, er seit seiner Haftentlassung im Jahr 2011 wieder für eine Zeitarbeitsfirma arbeitet, ca. ein Jahr lang eine Antiaggressionstherapie und psychotherapeutische Behandlung bei Herrn Dr. Sch. durchgeführt hat, in soweit ersichtlich stabilen familiären Verhältnissen lebt und auch nach der aktuellen Stellungnahme seines Bewährungshelfers im Rahmen der Führungsaufsicht „negative Fakten im bisherigen Verlauf der Führungsaufsicht nicht bekannt geworden“ sind. Auch erneute Straftaten hat der Kläger seit seiner Haftentlassung nicht begangen, was auf eine positive Wirkung der Strafhaft hindeuten könnte. Gleichwohl hat der Senat aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht die Überzeugung gewonnen (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), dass das bisher vom Kläger gezeigte Wohlverhalten bereits so nachhaltig ist und eine grundlegende Wesens- und Verhaltensänderung hinreichend belegt, nach der die Gefahr der Wiederholung seines strafbaren Verhaltens im Bereich der Gewaltkriminalität nur noch als entfernt oder unwahrscheinlich angesehen werden müsste.

Der durch die zuständige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts A. insbesondere zur Frage der Voraussetzungen einer Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung gemäß § 57 Abs. 1 StGB beauftragte Gutachter Dr. W. ist zwar in seiner zusammenfassenden Beurteilung im nervenfachärztlichen Gutachten vom 2. Oktober 2009 zu dem Ergebnis gelangt, dass beim Kläger eine Wiederholungsgefahr nicht auszuschließen sei, aber gering erscheine, und der Kläger als nicht sehr gefährlich eingestuft werden könne. Demgemäß hat der Gutachter die bedingte Entlassung des Klägers zum Zweidrittelzeitpunkt befürwortet. Ebenso wie bereits die Auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts A. beim Amtsgericht L. in dessen Beschluss vom 4. Dezember 2009 (Bl. 126 ff. der Strafvollstreckungsakte des Klägers) vermag der Senat diese gutachterliche Einschätzung nicht zu teilen. Denn dieses Gutachten basiert, wie die Strafvollstreckungskammer zu Recht festgestellt hat, nicht auf den tatsächlichen Feststellungen der rechtskräftigen Strafurteile, sondern ist vor allem auf den vom Gutachter nicht näher hinterfragten Angaben des Klägers aufgebaut. So wird vom Gutachter die Vorverurteilung des Klägers wegen Vergewaltigung seiner Ehefrau unreflektiert aufgrund der Angaben des Klägers infrage gestellt - die Frau habe sich scheiden lassen und einen Grund dafür haben wollen - und entgegen der ausdrücklichen Feststellung des Strafgerichts bei der Anlasstat eine Notwehrlage des Klägers aufgrund dessen Einlassungen in den Raum gestellt. Die Beschwerde des Klägers gegen diesen Beschluss der Auswärtigen Strafvollstreckungskammer hat das Oberlandesgericht München im Übrigen mit Beschluss vom 5. Februar 2010 verworfen und dabei auf die ausführlich begründete Prognoseentscheidung der Strafvollstreckungskammer, der nichts hinzuzufügen sei, Bezug genommen (Bl. 133 ff. der Strafvollstreckungsakte des Klägers).

1.2.2.2. Für die Annahme einer fortdauernden konkreten Wiederholungsgefahr von Gewaltdelikten, wie sie der Kläger begangen hat, sprechen weiterhin gewichtige Gründe, die im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände für die vom Senat angestellte Prognose letztlich den Ausschlag geben. Danach hat sich der Kläger weder bis heute hinreichend mit seinen gravierenden Gewaltstraftaten auseinandergesetzt noch ist bei ihm von einer grundlegenden Verhaltensänderung auszugehen, nach der die Gefahr der Begehung erneuter entsprechender Straftaten nur mehr als entfernte Möglichkeit anzusehen wäre.

Obwohl der Kläger vom Gutachter Dr. W. als ruhiger, besonnener, bescheidener und nicht provokativ auftretender Mann, der einen „sehr unauffälligen, nicht aggressiven und auch nicht kriminellen Eindruck“ hinterlasse, beschrieben wird, bei dem es „eher unwahrscheinlich ist, dass er sich erneut in eine verbale Auseinandersetzungen einlässt und sich wieder so provozieren lässt, dass es zu einer Übersprungshandlung wieder kommt mit Einsatz eines Messers“, ist der Kläger wegen einer 2001 im Schlafzimmer der ehelichen Wohnung an seiner (früheren) Ehefrau begangenen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung verurteilt worden. Im Oktober 2006 und damit über fünf Jahren nach dieser Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden war, kam es zu dem versuchten Totschlag in Tateinheit mit der gefährlichen Körperverletzung durch den Kläger. Bei dieser Tat ist der Kläger ausweislich der tatsächlichen Feststellungen im rechtskräftigen Strafurteil des Landgerichts München I „während des ganzen Geschehensablaufs als Provokateur aufgetreten“, der - aus einem objektiv nichtigen Anlass - die konkrete Tatsituation (zwei wuchtige Messerstiche gegen den Kopf und den Oberkörper des Geschädigten) erst durch das Warten auf den Geschädigten (ca. eine Stunde vor dem Hotel) und die bewusste und gezielte vorherige Bewaffnung mit dem Messer geschaffen hatte, weil er entschlossen war, eine tätliche Auseinandersetzung herbeizuführen. Der Kläger musste schließlich sogar von zwei bei der Tat anwesenden weiteren Arbeitskollegen gewaltsam zurückgehalten werden, als er den Geschädigten, der nach den erlittenen Stichen davonlief, verfolgen und seine Tat fortsetzen wollte. Demgegenüber hat der Kläger seine Verantwortung bzw. Schuld bei diesen Straftaten konsequent geleugnet oder herunterzuspielen versucht. So hat der Kläger die Vergewaltigung seiner Ehefrau nicht nur im Strafverfahren, sondern auch bei seiner Begutachtung durch Dr. W. abgestritten und behauptet, seine Frau habe die angebliche Vergewaltigung nur als Scheidungsgrund gebraucht. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof hat sich der Kläger noch in diese Richtung eingelassen. Ähnlich wie bereits im Strafverfahren hat sich der Kläger gegenüber dem Gutachter Dr. W. dahingehend eingelassen, er sei vom Geschädigten provoziert worden, habe das Messer - ein Arbeitsgerät - ohnehin in der Tasche gehabt und sich letztlich nur gegen die Aggression des anderen, der ihn bei der Auseinandersetzung erheblich am Kiefer verletzt habe, gewehrt, wobei es dann zu dem „tragischen Vorfall“ gekommen sei. Eine affektive Ausnahmesituation bei dieser Tat hat aber bereits das Strafgericht mit überzeugenden Gründen verneint. Demgegenüber ist der unsubstantiierte Einwand im Gutachten des Dr. W., im Strafurteil sei zu wenig berücksichtigt worden, dass der Kläger bei der Tat möglicherweise in einer „fast-Notwehrsituation“ gewesen sein könnte, aber es sei nicht Sache des Gutachters, das Urteil anzufechten, weder nach dem gesamten Tatgeschehen schlüssig noch nachvollziehbar. Dass sich der Kläger letztlich auch heute noch eher als Opfer denn als Täter fühlt, belegen auch seine Einlassungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof. Dort hat der Kläger geschildert, bei seinen Therapiesitzungen mit Herrn Dr. Sch. sei mit ihm darüber gesprochen worden, wie er künftig in eskalierenden Situationen reagieren könne, Konfliktsituationen von vornherein aus dem Weg gehen könne, um beispielsweise im Streitfall nicht sofort zu reagieren oder zum Beispiel Beschimpfungen zu ignorieren. Er habe gelernt, verbalen Auseinandersetzungen und Beschimpfungen aus dem Weg zu gehen (vgl. S. 4 der Sitzungsniederschrift vom 24.3.2014). Beiden Gewaltdelikten des Klägers ist aber gemeinsam, dass Ausgangspunkt der jeweiligen Taten nicht etwa eine eskalierende Konfliktsituation war, in die der Kläger - eher unfreiwillig - geraten ist, sondern vielmehr Situationen, in denen der Kläger (wohl jeweils) aus gekränkter Ehre von sich aus aktiv und zum Straftäter geworden ist. Die Erfahrungen des Klägers im Zusammenhang mit seinem ersten Gewaltdelikt (u. a. Untersuchungshaft, Freiheitsstrafe zur Bewährung) haben beim Kläger offensichtlich nicht zu einer grundlegenden Aufarbeitung und Verhaltensänderung geführt. Denn auch nach einem längeren Abstand von immerhin fünf Jahren hat sich der Kläger aufgrund der von ihm empfundenen persönlichen Kränkung zu einem massiven Gewaltdelikt hinreißen lassen, bei der er sogar den Tod des Opfers billigend in Kauf nahm. Die Auffassung des Klägerbevollmächtigten, die abgeurteilte Vergewaltigung stelle eine Tat mit Ausnahmecharakter dar, die auch keinen inneren Zusammenhang mit dem späteren Gewaltdelikt des Klägers aufweise (vgl. S. 5 der Sitzungsniederschrift vom 24.3.2014) teilt der Senat daher ebenso wenig wie die Einschätzung, der Kläger habe durch die erfahrene Strafhaft und die Therapie bei Dr. Sch. dazugelernt und seine Grenzen inzwischen akzeptiert.

Bei der hier angestellten Prognose einer fortdauernden konkreten Wiederholungsgefahr muss auch berücksichtigt werden, dass den bei einem erneuten Rückfall des Klägers bedrohten Rechtsgütern Leben und körperliche Unversehrtheit auch nach der Bewertung des Grundgesetzes (s. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ein besonders hohes Gewicht zukommt und dass die ausländerrechtliche Gefahrenprognose zudem langfristig(er) angelegt ist (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 21). Schließlich hat die Beklagte in dem Zusammenhang auch zu Recht darauf hingewiesen, dass beim Kläger mit Beschluss der 2. Auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts A. bei dem Amtsgericht L. vom 16. April 2011 eine Führungsaufsicht für die Dauer von fünf Jahren verfügt worden ist, weil nicht zu erwarten sei, dass der Verurteilte (Kläger) ohne diese Maßregel keine Straftaten mehr begehen werde (§ 68f Abs. 2 StGB).

1.3. Die Ausweisung des Klägers erweist sich als zur Wahrung des oben dargelegten Grundinteresses der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland unerlässlich im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (U.v. 8.12.2011 a. a. O. Rn. 86). Bei dieser Prüfung müssen die Behörden sowohl die Grundrechte des Betroffenen, vor allem das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK), als auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren und dabei die Dauer des Aufenthalts der betreffenden Person im Hoheitsgebiet dieses Staates, ihr Alter, die Folgen einer Ausweisung für die betreffende Person und ihre Familienangehörigen sowie ihre (persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen) Bindungen zum Aufenthaltsstaat oder fehlende Bindungen zum Herkunftsstaat berücksichtigen (EuGH, U.v. 8.12.2011 a. a. O. Rn. 80 und 82).

Gemessen an diesen Grundsätzen stellt die angefochtene Ausweisung des Klägers bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände weder einen unverhältnismäßigen Eingriff in sein Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens (Art. 8 EMRK) noch in sein Grundrecht aus Art. 6 GG dar.

Die Beklagte, die ihrer im materiellen Recht wurzelnden Verpflichtung zur Aktualisierung ihrer (Ausweisungs-)Ermessenserwägungen entsprechend zuletzt mit Schriftsatz vom 19. März 2014 in verfahrensrechtlich zulässiger Weise gemäß § 114 Satz 2 VwGO die die Ausweisungsverfügung vom 18. November 2008 tragenden Ermessenserwägungen aktualisiert und ergänzt hat (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2011 - 1 C 14.10 - juris Rn. 8 ff., 17), hat die schützenswerten Belange des Klägers in rechtlich nicht zu beanstandender Weise gewürdigt und abgewogen. Die Beklagte hat dabei insbesondere berücksichtigt, dass der Kläger seit ca. 27 Jahren im Bundesgebiet lebt und arbeitet sowie hier enge familiäre Bindungen hat. So lebt der Kläger seit seiner Haftentlassung wieder bei seinem Vater und seiner Stiefmutter in deren Wohnung. Andererseits steht auch fest, dass der Kläger bis zum Alter von 15 Jahren in der Türkei gelebt hat, über gute türkische Sprachkenntnisse verfügt, mit den Verhältnissen in der Türkei noch einigermaßen vertraut ist und auch noch Angehörige in der Türkei hat (vgl. Bl. 2 der Sitzungsniederschrift vom 24.3.2014), die ihn jedenfalls in der ersten Zeit dort unterstützen könnten. Die Beklagte hat auch gewürdigt, dass der Kläger eine besonders schützenswerte familiäre Bindung zu seiner am 25. Oktober 1996 geborenen Tochter D. hat, die wie der Kläger die türkische Staatsangehörigkeit besitzt. Angesichts des regelmäßigen persönlichen Kontakts des Klägers zu seiner Tochter, für die er nach eigenen Angaben noch regelmäßig Unterhalt bezahlt, nicht nur während, sondern insbesondere auch nach Beendigung der Haft hat die Beklagte eine schützenswerte und gefestigte Vater-Kind-Beziehung des Klägers zu seiner Tochter angenommen, die bei den privaten Interessen des Klägers eine herausgehobene Stellung einnimmt. Andererseits durfte die Beklagte insoweit auch berücksichtigen, dass eine zeitlich befristete Rückkehr des Klägers in die Türkei weder für den Kläger noch seine in München lebende Familie und insbesondere seine Tochter D. eine vollkommen neue Situation darstellen würde, weil bereits während seiner Inhaftierung von Oktober 2006 bis Juli 2011 die Kontaktmöglichkeiten auf Besuche, Telefonate etc. beschränkt gewesen seien. Zudem seien über Betretenserlaubnisse auch mehrere Besuche des Klägers pro Kalenderjahr bei seiner Familie in Deutschland möglich. Überdies bleibe es der Familie unbenommen, den Kläger in der Türkei zu besuchen. Hinzu komme, dass die Tochter des Klägers im Oktober 2014 volljährige werde und jedenfalls ab diesem Zeitpunkt zumindest nicht mehr auf die intensive Unterstützung des Klägers angewiesen sei. Die Folgen der durch die Ausweisung bedingten zeitlichen Trennung von seiner Familie wögen dadurch nicht mehr so schwer. Die Beklagte hat schließlich auch zugunsten des Klägers gewürdigt, dass dieser seit seiner Haftentlassung durchgängig erwerbstätig ist, bisher keine Straftaten mehr begangen, die therapeutische Behandlung bei Herrn Dr. Sch. besucht und abgeschlossen hat sowie engen Kontakt zu seiner Familie hat. Den Umstand, dass der Kläger seit seiner Haftentlassung keine neuen Straftaten begangen hat, durfte die Beklagte bei ihrer Interessenabwägung als nicht so bedeutsam ansehen, weil es dem Kläger auch nach seiner ersten strafrechtlichen Verurteilung wegen der Vergewaltigung gelungen war, sich über mehrere Jahre hinweg normgerecht zu verhalten, bis er schließlich im Oktober 2006 aus nichtigem Anlass die äußerst massive Anlassstraftat begangen hat.

Die durch die Beklagte unter Abwägung der öffentlichen und privaten Belange im Hinblick auf die Strafbiographie, die schwere Delinquenz des Klägers und die Wiederholungsgefahr weiterer schwerwiegender Straftaten im Bereich der Gewaltkriminalität getroffene Bewertung, dass die Aufenthaltsbeendigung und (auf vier Jahre befristete) Ausreise in die Türkei dem Kläger gleichwohl zumutbar sei, ist gemessen am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden und auch sonst ermessensfehlerfrei im Sinne von § 114 Satz 1 VwGO.

2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Festsetzung einer kürzeren Sperrfrist als die von der Beklagten in Abänderung der Nr. 2. des angefochtenen Bescheids vom 18. November 2008 nachträglich verfügte Frist nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG von vier Jahren ab Ausreise des Klägers. Die im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 19. März 2014 und Erklärung der Beklagten zu Protokoll des Verwaltungsgerichtshofs in der mündlichen Verhandlung am 24. März 2014 erfolgte Festsetzung der Sperrfrist für die Wiedereinreise in das Bundesgebiet gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 bis 6 AufenthG auf vier Jahre ab Ausreise des Klägers ist rechtlich nicht zu beanstanden, weil die Festsetzung einer kürzeren Sperrfrist unter Zugrundelegung der gesetzlichen Maßstäbe des § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG und der dazu in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats nicht in Betracht kommt. In der Person des Klägers besteht - wie oben festgestellt - nach wie vor die Gefahr der erneuten Begehung von Straftaten im Bereich der Gewaltkriminalität und damit eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung. Die Beklagte hat unter Berücksichtigung dieses Umstands, der Massivität des vom Kläger verwirklichten Gewaltdelikts und der andauernden konkreten Gefahr für die hochrangigen Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit im ersten Schritt entsprechend dem Gewicht des Ausweisungsgrundes und dem mit der Ausweisung verfolgten Zweck eine Höchstfrist von sieben Jahren angesetzt. Die Beklagte hat dann in rechtlich nicht zu beanstandender Weise mit Blick auf die verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie die Vorgaben aus Art. 8 EMRK die ermittelte Höchstfrist relativiert, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Klägers und insbesondere seine familiären Beziehungen im Bundesgebiet, vor allem zu seiner Tochter D., zu begrenzen. Demgemäß hat die Beklagte die Sperrfrist auf vier Jahre ab Ausreise des Klägers herabgesetzt. Gleichzeitig hat sich die Beklagte im Falle einer freiwilligen Ausreise des Klägers bereit erklärt, diesem auf Antrag im Hinblick auf seine familiären Beziehungen im Bundesgebiet ab dem 1. Mai 2015 innerhalb von 12 Monaten jeweils drei Betretenserlaubnisse für jeweils maximal 14 Tage auszustellen.

Die Festsetzung einer noch kürzeren Sperrfrist, wie sie der Klägerbevollmächtigte (hilfsweise) für erforderlich gehalten hat, kommt nach alledem nach Auffassung des Senats nicht in Betracht.

Schließlich ist auch die noch nicht vollzogene Abschiebungsandrohung im streitbefangenen Bescheid rechtmäßig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1.
zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind,
2.
dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und
3.
die verurteilte Person einwilligt.
Bei der Entscheidung sind insbesondere die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind.

(2) Schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, kann das Gericht die Vollstreckung des Restes zur Bewährung aussetzen, wenn

1.
die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt oder
2.
die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, daß besondere Umstände vorliegen,
und die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind.

(3) Die §§ 56a bis 56e gelten entsprechend; die Bewährungszeit darf, auch wenn sie nachträglich verkürzt wird, die Dauer des Strafrestes nicht unterschreiten. Hat die verurteilte Person mindestens ein Jahr ihrer Strafe verbüßt, bevor deren Rest zur Bewährung ausgesetzt wird, unterstellt sie das Gericht in der Regel für die Dauer oder einen Teil der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers.

(4) Soweit eine Freiheitsstrafe durch Anrechnung erledigt ist, gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne der Absätze 1 bis 3.

(5) Die §§ 56f und 56g gelten entsprechend. Das Gericht widerruft die Strafaussetzung auch dann, wenn die verurteilte Person in der Zeit zwischen der Verurteilung und der Entscheidung über die Strafaussetzung eine Straftat begangen hat, die von dem Gericht bei der Entscheidung über die Strafaussetzung aus tatsächlichen Gründen nicht berücksichtigt werden konnte und die im Fall ihrer Berücksichtigung zur Versagung der Strafaussetzung geführt hätte; als Verurteilung gilt das Urteil, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(6) Das Gericht kann davon absehen, die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn die verurteilte Person unzureichende oder falsche Angaben über den Verbleib von Gegenständen macht, die der Einziehung von Taterträgen unterliegen.

(7) Das Gericht kann Fristen von höchstens sechs Monaten festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag der verurteilten Person, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.

(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.

(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.

(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.

(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(1) Die Beteiligten können vor dem Verwaltungsgericht den Rechtsstreit selbst führen.

(2) Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Darüber hinaus sind als Bevollmächtigte vor dem Verwaltungsgericht vertretungsbefugt nur

1.
Beschäftigte des Beteiligten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes); Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen,
2.
volljährige Familienangehörige (§ 15 der Abgabenordnung, § 11 des Lebenspartnerschaftsgesetzes), Personen mit Befähigung zum Richteramt und Streitgenossen, wenn die Vertretung nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit steht,
3.
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Personen und Vereinigungen im Sinne der §§ 3a und 3c des Steuerberatungsgesetzes im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 3a des Steuerberatungsgesetzes, zu beschränkter geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen nach den §§ 3d und 3e des Steuerberatungsgesetzes berechtigte Personen im Rahmen dieser Befugnisse sowie Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch Personen im Sinne des § 3 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes handeln, in Abgabenangelegenheiten,
3a.
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Personen und Vereinigungen im Sinne der §§ 3a und 3c des Steuerberatungsgesetzes im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 3a des Steuerberatungsgesetzes, zu beschränkter geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen nach den §§ 3d und 3e des Steuerberatungsgesetzes berechtigte Personen im Rahmen dieser Befugnisse sowie Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch Personen im Sinne des § 3 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes handeln, in Angelegenheiten finanzieller Hilfeleistungen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie, wenn und soweit diese Hilfsprogramme eine Einbeziehung der Genannten als prüfende Dritte vorsehen,
4.
berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder,
5.
Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
6.
Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder in Angelegenheiten der Kriegsopferfürsorge und des Schwerbehindertenrechts sowie der damit im Zusammenhang stehenden Angelegenheiten,
7.
juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in den Nummern 5 und 6 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Bevollmächtigte, die keine natürlichen Personen sind, handeln durch ihre Organe und mit der Prozessvertretung beauftragten Vertreter.

(3) Das Gericht weist Bevollmächtigte, die nicht nach Maßgabe des Absatzes 2 vertretungsbefugt sind, durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten und Zustellungen oder Mitteilungen an diesen Bevollmächtigten sind bis zu seiner Zurückweisung wirksam. Das Gericht kann den in Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 bezeichneten Bevollmächtigten durch unanfechtbaren Beschluss die weitere Vertretung untersagen, wenn sie nicht in der Lage sind, das Sach- und Streitverhältnis sachgerecht darzustellen.

(4) Vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht oder einem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind nur die in Absatz 2 Satz 1 bezeichneten Personen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Vor dem Bundesverwaltungsgericht sind auch die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 5 bezeichneten Organisationen einschließlich der von ihnen gebildeten juristischen Personen gemäß Absatz 2 Satz 2 Nr. 7 als Bevollmächtigte zugelassen, jedoch nur in Angelegenheiten, die Rechtsverhältnisse im Sinne des § 52 Nr. 4 betreffen, in Personalvertretungsangelegenheiten und in Angelegenheiten, die in einem Zusammenhang mit einem gegenwärtigen oder früheren Arbeitsverhältnis von Arbeitnehmern im Sinne des § 5 des Arbeitsgerichtsgesetzes stehen, einschließlich Prüfungsangelegenheiten. Die in Satz 5 genannten Bevollmächtigten müssen durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln. Vor dem Oberverwaltungsgericht sind auch die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 bezeichneten Personen und Organisationen als Bevollmächtigte zugelassen. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe der Sätze 3, 5 und 7 zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten.

(5) Richter dürfen nicht als Bevollmächtigte vor dem Gericht auftreten, dem sie angehören. Ehrenamtliche Richter dürfen, außer in den Fällen des Absatzes 2 Satz 2 Nr. 1, nicht vor einem Spruchkörper auftreten, dem sie angehören. Absatz 3 Satz 1 und 2 gilt entsprechend.

(6) Die Vollmacht ist schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Sie kann nachgereicht werden; hierfür kann das Gericht eine Frist bestimmen. Der Mangel der Vollmacht kann in jeder Lage des Verfahrens geltend gemacht werden. Das Gericht hat den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, sind die Zustellungen oder Mitteilungen des Gerichts an ihn zu richten.

(7) In der Verhandlung können die Beteiligten mit Beiständen erscheinen. Beistand kann sein, wer in Verfahren, in denen die Beteiligten den Rechtsstreit selbst führen können, als Bevollmächtigter zur Vertretung in der Verhandlung befugt ist. Das Gericht kann andere Personen als Beistand zulassen, wenn dies sachdienlich ist und hierfür nach den Umständen des Einzelfalls ein Bedürfnis besteht. Absatz 3 Satz 1 und 3 und Absatz 5 gelten entsprechend. Das von dem Beistand Vorgetragene gilt als von dem Beteiligten vorgebracht, soweit es nicht von diesem sofort widerrufen oder berichtigt wird.

(1) Kammerrechtsbeistände stehen in den nachfolgenden Vorschriften einem Rechtsanwalt gleich:

1.
§ 79 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2 Satz 1, § 88 Absatz 2, § 121 Absatz 2 bis 4, § 122 Absatz 1, den §§ 126, 130d und 133 Absatz 2, den §§ 135, 157 und 169 Absatz 2, den §§ 174, 195 und 317 Absatz 5 Satz 2, § 348 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 Buchstabe d, § 397 Absatz 2 und § 702 Absatz 2 Satz 2 der Zivilprozessordnung,
2.
§ 10 Absatz 2 Satz 1, § 11 Satz 4, § 13 Absatz 4, den §§ 14b und 78 Absatz 2 bis 4 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit,
3.
§ 11 Absatz 2 Satz 1 und § 46g des Arbeitsgerichtsgesetzes,
4.
den §§ 65d und 73 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 6 Satz 5 des Sozialgerichtsgesetzes, wenn nicht die Erlaubnis das Sozial- und Sozialversicherungsrecht ausschließt,
5.
den §§ 55d und 67 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 6 Satz 4 der Verwaltungsgerichtsordnung,
6.
den §§ 52d und 62 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 6 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung, wenn die Erlaubnis die geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen umfasst.

(2) Registrierte Erlaubnisinhaber stehen im Sinn von § 79 Abs. 2 Satz 1 der Zivilprozessordnung, § 10 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, § 11 Abs. 2 Satz 1 des Arbeitsgerichtsgesetzes, § 73 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes, § 67 Abs. 2 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung und § 62 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung einem Rechtsanwalt gleich, soweit ihnen die gerichtliche Vertretung oder das Auftreten in der Verhandlung

1.
nach dem Umfang ihrer bisherigen Erlaubnis,
2.
als Prozessagent durch Anordnung der Justizverwaltung nach § 157 Abs. 3 der Zivilprozessordnung in der bis zum 30. Juni 2008 geltenden Fassung,
3.
durch eine für die Erteilung der Erlaubnis zum mündlichen Verhandeln vor den Sozialgerichten zuständige Stelle,
4.
nach § 67 der Verwaltungsgerichtsordnung in der bis zum 30. Juni 2008 geltenden Fassung oder
5.
nach § 13 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in der bis zum 30. Juni 2008 geltenden Fassung
gestattet war. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 bis 3 ist der Umfang der Befugnis zu registrieren und im Rechtsdienstleistungsregister bekanntzumachen.

(3) Das Gericht weist registrierte Erlaubnisinhaber, soweit sie nicht nach Maßgabe des Absatzes 2 zur gerichtlichen Vertretung oder zum Auftreten in der Verhandlung befugt sind, durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten und Zustellungen oder Mitteilungen an diesen Bevollmächtigten sind bis zu seiner Zurückweisung wirksam. Das Gericht kann registrierten Erlaubnisinhabern durch unanfechtbaren Beschluss die weitere Vertretung oder das weitere Auftreten in der Verhandlung untersagen, wenn sie nicht in der Lage sind, das Sach- und Streitverhältnis sachgerecht darzustellen.§ 335 Abs. 1 Nr. 5 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.