Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 08. Mai 2015 - Au 7 K 14.30546

bei uns veröffentlicht am08.05.2015

Gericht

Verwaltungsgericht Augsburg

Tenor

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

Der am ... 1968 geborene Kläger ist nigerianischer Staatsangehöriger vom Volk der Ibo, christlicher Religionszugehörigkeit (Pfingstbewegung).

Er reiste am 20. Juni 2012 auf dem Luftweg, von ... kommend über den Flughafen ... in Deutschland ein und meldete sich am 27. Juli 2012 in ... als Asylsuchender. Am 17. August 2012 stellte der Kläger beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) einen Asylantrag.

Im Rahmen seiner Anhörung durch das Bundesamt am 10. September 2012, an der auch Frau ... von ... teilnahm, gab der Kläger u. a. an, er habe seinen Reisepass in ... verloren. In diesem Reisepass habe er ein deutsches Visum gehabt. Der Kläger übergab eine (auszugsweise) Kopie seines Reisepasses (Bl. 34 der Bundesamtsakte/BA). Seine letzte offizielle Adresse in Nigeria habe gelautet: Nr. ... Street, ... (... State). Seine Ehefrau und seine vier Kinder lebten noch unter dieser Adresse. Außerdem lebten in Nigeria noch seine Eltern, drei Brüder und sechs Schwestern.

Er habe in Nigeria zwei Berufe gehabt. Er sei medizinischer Laborant gewesen und habe die Berufung, Pastor zu sein.

Er sei das zweite Mal in Deutschland. Das erste Mal sei er am 17. April 2012 in Deutschland eingereist und am 30. April 2012 wieder ausgereist. Dann sei er am 20. Juni 2012 nochmals nach Deutschland eingereist. Er sei von ... im Direktflug nach ... und am gleichen Tag nach ... weitergeflogen. Hierzu legte der Kläger seine Flugtickets (Bl. 32 BA) vor.

Er sei in Nigeria Mitglied der PDP gewesen. In seiner Mission als Pastor habe er in einer Bewegung gearbeitet, die versucht habe, Drogenabhängige wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Ihre hierzu veranstalteten Meetings seien reichlich besucht worden. Einige Politiker des Nordens hätten versucht, die Veranstaltungen für parteipolitische Werbungen - für den Präsidentschaftskandidaten Buhari von der CPC - zu nutzen. Er habe sich gegen diese Anwerbungen der CPC gewehrt. Mit den nigerianischen Behörden, mit der Polizei, dem Militär oder der Justiz, habe er keine Probleme gehabt.

Wegen seiner Veranstaltungen sei er von bewaffneten Leuten verfolgt worden. Seine Veranstaltungen hätten immer von 17 Uhr bis 18:30 Uhr stattgefunden. Im Einzelnen schilderte der Kläger dann folgende fünf Vorfälle:

Am 4. März 2011 sei er zum ersten Mal angegriffen worden. Zwei Personen von der Bewegung „Arewa Youths Consultative Forum“ hätten gefordert, dass er seine Veranstaltung beende. Sie begründeten dies mit der Behinderung ihres Wahlkampfes und weil er in seinen Veranstaltungen auch Nicht-Christen mit Lebensmitteln versorgt habe. Daraus hätten sie den Vorwurf konstruiert, dass er Moslems zum Christentum bewegen würde. Er habe sich nicht einschüchtern lassen und weitergemacht.

Nach den Wahlen vom 16. April 2011 sei er am 22. April 2011 auf dem Heimweg an der Bushaltestelle „...“ von bewaffneten Personen, die eine von ihm verlegte Broschüre dabei gehabt hätten, angegriffen worden. Zuerst hätten sie ihn erschießen wollen, aber dann hätten sie ihm etwas Wertvolles weggenommen. Die Angreifer hätten ebenfalls eine seiner Broschüren mit sich geführt und sein darauf befindliches Foto mit ihm abgeglichen.

Am 23. Mai 2011 sei er an einer Bar vorbeigekommen und ein junger Mann hätte ihn gefragt, ob er der Pastor sei. Dieser Mann habe auch eine seiner Broschüren, auf der sich ein Foto von ihm befunden habe, dabeigehabt. Der junge Mann habe sich dann als professioneller Mörder vorgestellt und habe die Adresse des Klägers genannt. Dabei habe er gesagt, er werde ihn überall finden. Der Mann habe ihn aufgefordert, seine Veranstaltungen zu beenden, andernfalls würde er ihn überall finden und töten.

Am 3. Juni 2011 habe er die Firma ... zwecks Reklamation seiner Stromrechnung aufgesucht. Man habe ihm gesagt, er solle nach unten gehen und bestimmte Papiere kopieren. Als er dies getan habe, seien Schüsse gefallen. Der Mann neben ihm sei am Bein angeschossen worden. Die Täter, die mit einem Motorrad geflüchtet seien, hätten auch eine seiner Broschüren in der Hand gehabt.

Am 28. Februar 2012 habe er einkaufen wollen. Auf offener Straße seien ihm bewaffnete Personen entgegengekommen, die auch wieder eine seiner Broschüren in der Hand hielten. Er sei geflüchtet, die Personen hätten ihn verfolgt. Die Flucht sei ihm letztendlich aber doch gelungen. Spätestens hier sei ihm klar gewesen, dass sein Leben akut in Gefahr sei und er sein Heimatland verlassen müsse. Sein Gesundheitszustand sei durch die Überfälle so schlecht geworden, dass er an akutem Bluthochdruck leide. Hierzu übergab der Kläger den ärztlichen Bericht der der kardiologischen Gemeinschaftspraxis Dr. ..., ..., vom 30. August 2012 (Bl. 33 BA). An die nigerianischen Sicherheitsbehörden habe er sich wegen dieser Überfälle nicht gewandt, da ihm gesagt worden sei, es würde seinen Tod bedeuten, wenn er diese einschalte. Ausschlaggebend für seine Flucht sei der Überfall vom 28. Februar 2012 gewesen. Er habe dann bis zum Sommer 2012 organisatorische und finanzielle Fragen klären müssen. Dann sei seine Flucht am 19./20. Juni 2012, wie geschildert, erfolgt. Müsste er nach Nigeria zurückkehren, dann würden die Anschläge sich wiederholen und sein Leben wäre in Gefahr.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 6. Oktober 2014 wurde der Antrag des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgelehnt (Nr. 1), ebenso der Antrag auf Asylanerkennung (Nr. 2). Der subsidiäre Schutzstatus wurde nicht zuerkannt (Nr. 3). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 4). Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde dem Kläger die Abschiebung nach Nigeria oder in jeden anderen Staat angedroht, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei (Nr. 5).

Der Bescheid wurde mit Schreiben vom 7. Oktober 2014 an den Kläger versandt.

Am 14. Oktober 2014 erhob der Kläger zur Niederschrift vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg und beantragte:

I.Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 6. Oktober 2014 wird aufgehoben.

II.Die Bundesrepublik Deutschland wird verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen. Des Weiteren festzustellen, dass bei dem Kläger die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen. Des Weiteren ist festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen.

Das Bundesamt legte mit Schreiben vom 21. Oktober 2014 die Behördenakte vor, äußerte sich aber nicht zur Sache.

Mit Schreiben vom 27. Oktober 2014 zeigte der Bevollmächtigte des Klägers dessen Vertretung an und beantragte Akteneinsicht, die ihm mit gerichtlichem Schreiben vom 29. Oktober 2014 durch Übersendung der Bundesamtsakte gewährt wurde.

Mit Schreiben vom 3. November 2014 teilte die Landeskirchliche Gemeinschaft und EC-Jugendarbeit ... u. a. mit, dass der Kläger am Gemeindeleben der Kirche teilnehme. Um neben praktischer Unterstützung die Solidarität mit dem Kläger zu unterstreichen, werde die beiliegende Unterschriftenliste (193 Unterschriften) vorgelegt. Zur Unterstützung des Klägers werde bestätigt, dass er als christlicher nigerianischer Evangelist und Pastor tätig gewesen sei. Durch seine Verkündungstätigkeit, Radio und TV-Auftritte, Presseberichte sowie durch die Verbreitung der von ihm selbst verfassten christlichen Schriften - mit seinem Bild - sei er im ganzen Land und darüber hinaus als Christ bekannt. Seine Abschiebung nach Nigeria bringe ihn deshalb in Lebensgefahr. Der muslimische Übersetzer habe bei der Anhörung wohl die entscheidenden Gründe für einen positiven Bescheid nicht erkannt oder nur verkürzt weitergeben wollen. Bei der Verlesung, die der Kläger nur beschränkt verstanden habe, und der anschließenden Unterzeichnung des Gesprächsprotokolls habe der Kläger dies nicht erkennen können. Der Kläger habe während der Zeit seiner Tätigkeit seine Familie im Hintergrund gehalten und versuche derzeit, sie an einem unbekannten Ort versteckt zu halten. In einer Zeit, in der der überwiegende Teil der Asylbewerber muslimischen Hintergrund habe, dabei vielfach auch aus wirtschaftlichen Gründen nach Europa komme, sollte es einer christlich geprägten Rechtsprechung ein signifikantes Anliegen sein, dass sie insbesondere den aus religiösen Gründen verfolgten Menschen eine Zufluchtsstätte biete.

Der Klägerbevollmächtigte beantragte mit Schreiben vom 5. November 2014 die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

Mit Beschluss vom 31. März 2015 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen (§ 76 Abs. 1 AsylVfG).

Zur Begründung der Klage führte der Klägerbevollmächtigte mit Schreiben vom 22. April 2015 u. a. aus, der Kläger sei nicht Mitglied, sondern Anhänger und Sympathisant der Partei PDP gewesen. Der Kläger habe bei seinen Predigten und seiner Missionsarbeit auch - neben seinen religiösen Schriften und Bibeln - kostenlose, von Kirchenmitgliedern und Unterstützern gespendete Lebensmittel an die Zuhörer verteilt bzw. verteilen lassen. Offensichtlich sei es gerade dieser Aspekt der missionarischen und religiösen Aktivitäten des Klägers gewesen, der seine muslimischen Gegenspieler besonders verärgert habe, weil sie selbst in Nigeria durch Wohlfahrtsaktivitäten sowohl Nichtmuslime anzusprechen als auch praktizierende Muslime in ihrer religiösen Ausrichtung zu bestärken versuchten. Der Kläger sei als christlicher Prediger nicht nur in ..., sondern auch mit teilweise mehrtägigen Kampagnen auch in anderen Teilen Nigerias aktiv gewesen. Entgegen den Ausführungen des Bundesamtes im angefochtenen Bescheid sei es naheliegend, wenn Personen, die den Kläger bedrohen wollen oder sollen, mit einem Bild des Klägers in dem Stadtteil unterwegs sind, in dem er wohnt und hauptsächlich als Prediger aktiv ist. Man könne auch davon ausgehen, dass das Ziel dieser Personen hauptsächlich darin bestanden habe, die missionarischen Aktivitäten des Klägers gegenüber Andersgläubigen (insbesondere Moslems) zu behindern bzw. zu unterbinden. Dazu sei es nicht zwingend erforderlich, den Kläger zu erschießen. Das Ziel, was schließlich auch erreicht worden sei, nämlich die Beendigung der Aktivitäten des Klägers habe insofern mit einem weitaus geringeren Risiko erreicht werden können, als es bei einer Ermordung des Klägers der Fall gewesen wäre. Dass der Kläger sich persönlich bedroht gesehen habe, sei nachvollziehbar, weil er in einem Fall auch beraubt worden sei und in einem anderen Fall auch Schüsse abgegeben worden seien, durch die ein neben ihm Stehender verletzt worden sei. Unter Umständen sei dieser Vorfall nur eine in ... nicht seltene anderweitige kriminelle Aktion gewesen, die mit dem Kläger selbst nichts zu tun gehabt habe. Nach dem Vorfall vom 28. Februar 2012 habe sich der Kläger dazu entschlossen, auch zur Sicherheit seiner Familienmitglieder, die Wohnung zu wechseln. Deshalb habe er, als er nach seinem ersten Aufenthalt in Deutschland nach Nigeria zurückkehrte, seine Familie, in der Hoffnung, nicht unmittelbar gefährdet zu sein, aufsuchen können. Grund der Rückkehr sei eine schwere Erkrankung seines einjährigen Sohnes ... gewesen, der aufgrund fehlender finanzieller Mittel von nigerianischen Ärzten nicht behandelt worden sei. Der Kläger sei in Nigeria aufgrund seiner Beziehungen in der Lage gewesen, die finanziellen Mittel für die Behandlung seines Sohnes bei Bekannten zu beschaffen. Seine frühere Tätigkeit als medizinischer Laborant habe geholfen, die entsprechenden Medikamente zu besorgen. Nachdem es dem Sohn des Klägers besser gegangen sei, hätten Freunde und Familienmitglieder den Kläger eindringlich aufgefordert, Nigeria zu seiner Sicherheit erneut zu verlassen, da weiterhin nach ihm gesucht werde. Daher habe sich der Kläger erneut ein Visum besorgt und sei nach Deutschland gegangen, um hier einen Asylantrag zu stellen. Diesem Schreiben waren zwei nigerianische Zeitungen mit Artikeln über den Kläger, verschiedene Fotos zu Aktivitäten des Klägers in Nigeria und sechs Kopien (Vorder-/Rückseite) seiner Broschüren beigelegt.

Mit Beschluss vom 23. April 2015 wurde der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.

Inder mündlichen Verhandlung am 6. Mai 2015 wurde der Kläger informatorisch angehört. Der Klägerbevollmächtigte beantragte:

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 6. Oktober 2014 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und ihn als Asylberechtigten anzuerkennen,

hilfsweise:

Dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,

weiter hilfsweise:

Die Beklagte zu verpflichten, beim Kläger Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.

Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten auf den gesamten Inhalt der Gerichts- und Behördenakte sowie auf die Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung vom 6. Mai 2015 und auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisgrundlagen Bezug genommen.

Gründe

Die nach § 76 Abs. 1 AsylVfG zuständige Einzelrichterin konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da diese ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO).

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 6. Oktober 2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz/AsylVfG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG und auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Grundgesetz (GG) ( nachfolgend: 1.). Es ist ihm weder der subsidiäre Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylVfG zuzuerkennen (nachfolgend: 2.), noch liegen in seiner Person nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) vor (nachfolgend: 3.).

1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG und für die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG liegen nicht vor.

Nach § 3 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 AsyVfG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylVfG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylVfG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylVfG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylVfG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylVfG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylVfG).

Bei der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine "qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - NVwZ 2013, 936/940;VG München, U. v. 28.1.2015 - M 12 K 14.30579 - juris, Rn. 23). Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 ist hierbei die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bedroht werden. Dadurch wird der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden (VG München, U. v. 30.1.2015 - M 23 K 11.30180 - juris, Rn. 24). Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-)Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus (VG Köln, U. v. 26.2.2014 - 23 K 5187/11.A - juris, Rn. 26).

Es obliegt aber dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es - unter Angabe genauer Einzelheiten - einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. dazu VGH BW, U. v. 27.8.2013 - A 12 S 2023/11 - juris; HessVGH, U. v. 4.9.2014 - 8 A 2434/11.A - juris).

Ausgehend von diesen Grundsätzen führt das Begehren des Klägers nicht zum Erfolg. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger vor seiner Ausreise aus Nigeria oder im Falle einer Rückkehr nach Nigeria landesweit von politischer Verfolgung betroffen war bzw. bedroht sein würde.

Unabhängig von der Frage, ob die behauptete Verfolgung durch fundamentalistische /radikale Moslems, also durch nichtstaatliche Akteure, im Hinblick auf § 3d und § 3e AsylVfG überhaupt als „politische“ Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylVfG oder Art. 16a GG zu werten ist, geht das Gericht nach der ausführlichen Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung davon aus, dass er sein Heimatland unverfolgt verlassen hat. Es hält das Vorbringen des Klägers zu seinem Verfolgungsschicksal für unglaubhaft.

Diese Überzeugung des Gerichts folgt daraus, dass der Kläger in beiden Anhörungen, nämlich beim Bundesamt einerseits sowie in der mündlichen Verhandlung andererseits, in wesentlichen Punkten unterschiedliche Angaben gemacht hat und insbesondere sein Vorbringen erheblich gesteigert hat. Zudem stellt sich seine Ausreise aus Nigeria nicht als Flucht vor unmittelbar drohender Verfolgung dar, sondern als längerfristig und gut geplante Ausreise.

Beim Bundesamt hat der Kläger angegeben, der Überfall auf ihn am 28. Februar 2012 sei ausschlaggebend dafür gewesen, seine Flucht aus Nigeria vorzubereiten (vgl. Bundesamtsprotokoll, S. 6, 2. Absatz). Zu diesem Überfall trug der Kläger vor, als er einen Einkauf tätigen wollte, seien ihm auf offener Straße bewaffnete Personen entgegengekommen, die eine seiner Broschüren in der Hand hielten. Er sei geflohen, die Personen hätten ihn verfolgt, letztendlich sei ihm die Flucht aber gelungen (vgl. Bundesamtsprotokoll, S. 5, Vortrag nach der Pause). In der mündlichen Verhandlung konnte sich der Kläger an diesen angeblichen Überfall zunächst nicht einmal mehr erinnern, sondern gab an, er sei im Februar 2012 umgezogen und in diesem Zeitraum bzw. kurz davor habe es keinen Angriff von Moslems auf ihn gegeben. Der letzte Angriff auf ihn habe im Oktober 2011 stattgefunden (vgl. Sitzungsprotokoll, S. 8, letzter Absatz). Erst nach diesem Vortrag kam dem Kläger wohl wieder in Erinnerung, dass er beim Bundesamt hierzu andere Angaben gemacht hatte. Augenscheinlich um die Erinnerungslücke zu kaschieren, gab er nunmehr an, dass es am 28. Februar 2012 doch einen Vorfall gegeben habe, aber kein ernsthafter Angriff vorgelegen habe, nichts besonders Gefährliches passiert sei (vgl. Sitzungsprotokoll, S. 9, 1. Absatz). Im Widerspruch hierzu hatte er aber beim Bundesamt den Überfall vom 28. Februar 2012 als so gravierend bzw. gefährlich bezeichnet, dass er Anlass gewesen sei, sein Heimatland zu verlassen - „Spätestens hier war mir klar, dass ich mein Heimatland verlassen muss und mein Leben akut in Gefahr war.“ (vgl. Bundesamtsprotokoll, S. 5).

Dass ein Vorfall am 28. Februar 2012 nicht stattgefunden hat, sondern im Hinblick auf die Zeitpunkte der Reisen nach Deutschland (April 2012 und Juni 2012) lediglich aus asyltaktischen Gründen behauptet bzw. erfunden wurde, ergibt sich auch daraus, dass der Kläger im gerichtlichen Verfahren vortragen ließ, der Vorfall vom 28. Februar 2012 sei der Anlass gewesen, die Wohnung zu wechseln (vgl. Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 22.4.2015, S. 3, Punkt 4.: „Nach dem Vorfall vom 28. Februar 2012 hat sich der Kläger entschlossen, zur Sicherheit, insbesondere auch zur Sicherheit des Lebens seiner Familienmitglieder, die Wohnung zu wechseln.“). Dieser Zusammenhang zwischen einem Vorfall vom 28. Februar 2012 und einem anschließenden Umzug war dem Kläger in der mündlichen Verhandlung aber augenscheinlich auch nicht mehr erinnerlich. Denn zu Beginn seiner Befragung in der mündlichen Verhandlung hatte er angegeben, er sei bereits Anfang Februar 2012 umgezogen (vgl. Sitzungsprotokoll, S. 3, 1. Absatz: „Bis ca. Februar 2012 haben meine Familie und ich unter der Adresse: ... Street, ... Estate, ... Road, ..., gelebt. Dann sind wir Anfang Februar 2012 an die Adresse umgezogen, die ich beim Bundesamt genannt habe, nämlich nach Nr. ... ... Street, ....“).

Bei einer Bedrohung des eigenen Lebens, die den Kläger dazu veranlasst haben soll, auch zur Sicherheit seiner Familienmitglieder, nicht nur seine Wohnung zu wechseln, sondern auch das Verlassen seines Heimatlandes vorzubereiten, ist aber zu erwarten, dass ein solches Geschehen - anders als alltägliche Situationen - nachhaltig im Gedächtnis bleibt und detailgetreu wiedergegeben wird.

Zum Umzug des Klägers bleibt anzumerken, dass beide Adressen in ... liegen und nicht weit voneinander entfernt sind. Die bis Februar 2012 innegehabte Adresse lag im Gebiet ..., welches ca. 5 km westlich des Stadtteils ... liegt. Die danach bezogene Adresse befindet sich in ..., einem lokalen Verwaltungsgebiet von .... Hätte der Kläger tatsächlich Lebensgefahr für sich (und seine Familie) befürchtet, dann wäre zu erwarten gewesen, dass er sich wesentlich weiter vom Gefahrenort entfernt, z. B. in das Gebiet der Stadt ..., in den ca. 400 km entfernten Bundesstaat ... umzieht, in dem er geboren wurde und wo auch ein Teil seiner Verwandtschaft lebt.

Die widersprüchlichen Angaben sowohl zum angeblichen Vorfall vom 28. Februar 2012 als auch zum Zeitpunkt bzw. Anlass des Umzugs zeigen damit nicht nur, dass diese Angaben nicht der Wahrheit entsprechen. Sie zeigen vielmehr auch, dass bereits die erste Reise des Klägers nach Deutschland - im April 2012 - in keinem nahen zeitlichen Zusammenhang mit einem tatsächlichen Verfolgungsgeschehen stand. Denn auf ihn zielende Angriffe in einem noch als nah zu bezeichnenden zeitlichen Zusammenhang mit der Ausreise am 17. April 2012 bzw. 19. Juni 2012 hat der Kläger selbst nicht geltend gemacht. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger hierzu angegeben, er habe seine verfolgungsauslösende Tätigkeit bei den ... im Oktober 2011 eingestellt (vgl. Sitzungsprotokoll, S. 7), und der letzte Angriff von Moslems auf ihn habe im Oktober 2011 (vgl. Sitzungsprotokoll, S. 8, letzter Absatz), also ca. ein halbes Jahr vor der (ersten) Reise nach Deutschland, stattgefunden. Eine ernsthafte Verfolgungs- oder Bedrohungssituation im Oktober 2011 erscheint aber schon deswegen als unglaubhaft, da der der Kläger ein derartiges Geschehen („Angriff in unserer Kirche“, vgl. Sitzungsprotokoll, S. 8, letzter Absatz) erstmals in der mündlichen Verhandlung behauptet hat. Beim Bundesamt hat der Kläger dagegen - außer dem als unglaubhaft zu bewertenden Vorfall vom 28. Februar 2012 - nur Ereignisse benannt, die sich am 4. März 2011, 22. April 2011, 23. Mai 2011 und 3. Juni 2011 - also lange vor der Ausreise im April 2012 - zugetragen haben sollen. Selbst in der Klagebegründung vom 22. April 2015 hat der Kläger einen Angriff auf ihn bzw. auf seine Gemeinde oder Kirche, der sich im Oktober 2011 ereignet haben soll, nicht vortragen lassen.

Die Angaben des Klägers beim Bundesamt, selbst wenn sie als wahr unterstellt werden, drängen vielmehr den Eindruck auf, dass Angriffe im Jahr 2011 zum einen Folge der in Nigeria herrschenden alltäglichen Gewalt und Kriminalität und nicht Folge der Aktivitäten des Klägers als Prediger/Pastor waren, was sich insbesondere aus den Schilderungen des Klägers zu den Vorfällen vom 22. April 2011(bewaffnete Personen hätten ihn zuerst erschießen wollen, ihm dann aber etwas Wertvolles weggenommen) und 3. Juni 2011 (Schüsse beim Besuch einer Firma, die einen Umstehenden im Bein trafen) ergibt (vgl. Bundesamtsprotokoll, S. 5). Zum anderen zeigt die Schilderung des Klägers zum Vorfall vom 23. Mai 2011 - Bedrohung durch angeblichen professionellen Mörder -, selbst wenn dieser als wahr unterstellt wird, dass der Kläger lediglich eingeschüchtert, aber nicht ernsthaft verletzt oder gar getötet werden sollte. Nach eigenen Angaben hat der Kläger nämlich seine Aktivitäten bei den ... nach dem Vorfall vom 23. Mai 2011 trotzdem bis Oktober 2011 fortgeführt und hat - wiederum nach eigenen Angaben - erst Anfang Februar 2012 die dem professionellen Mörder bekannte Adresse gewechselt, ohne dass bis dahin ein weiterer Angriff auf ihn stattgefunden hätte. Damit hätte eine Bedrohung des Klägers zuletzt am 23. Mai 2011 stattgefunden. Eine asylrelevante Verfolgung/Bedrohung des Klägers im zeitlichen Zusammenhang mit den ca. ein Jahr später erfolgten Ausreisen im April 2012 oder Juni 2012 ist damit nicht erkennbar.

Dass der Kläger Nigeria nicht aufgrund einer asylrelevanten Verfolgung verlassen hat, ergibt sich auch aus Folgendem:

Erstmals in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger vorgetragen, dass ein Mitglied der ... namens ... zum christlichen Glauben übergetreten sei. Nachdem ... ab Oktober 2011 die Arbeit des Klägers bei den ... fortgeführt habe, sei er am 2. Dezember 2011 umgebracht worden (vgl. Bundesamtsprotokoll, S. 7).

Erstmals in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger auch vorgetragen, ein zu den ... gehörender junger Mann namens ... sei aufgrund der Aktivitäten des Klägers zum christlichen Glauben übergetreten. ... habe aber gute Kontakte zu den Moslems gehabt, die geglaubt hätten, er gehöre zu ihnen. ... habe ihn immer darüber informiert, in welcher Weise die Moslems, die Verbindungen zu Boko Haram gehabt hätten, gegen ihn vorgehen wollten. ... habe ihm auch gesagt, dass die Moslems, auch nachdem er seine Aktivitäten/Meetings bei den ... im Oktober 2011 eingestellt habe, immer noch nach ihm suchen würden. Er habe ... extra ein Guthaben auf dessen Handy finanziert, damit dieser ihn zu jeder Zeit anrufen und über geplante Angriffe informieren könne (vgl. Sitzungsprotokoll, S. 8, 9).

Diese Angaben können nur als frei erfunden bewertet werden. Insoweit drängt sich der Eindruck geradezu auf, dass der Kläger mit diesen vollkommen neuen Angaben in der mündlichen Verhandlung, die zudem eine erhebliche Steigerung seines bisherigen Vorbringens darstellen, lediglich auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes reagieren bzw. die erkannten „Schwachstellen“ seines bisherigen Vorbringens nachträglich korrigieren wollte. Hätten sich diese Ereignisse tatsächlich zugetragen, dann wäre zu erwarten gewesen, dass der Kläger so einschneidende Vorkommnisse - Ermordung seines Nachfolgers, Vorhandensein eines Informanten unter den radikalen Moslems -, wenn sie denn wahr wären, bereits beim Bundesamt geschildert hätte. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger beim Bundesamt keine Gelegenheit zu diesem Vortrag gehabt hätte oder der Dolmetscher den Vortrag des Klägers nicht korrekt wiedergegeben hätte, wie im Schreiben der Landeskirchlichen Gemeinschaft vom 3. November 2014 behauptet wurde, sind nicht erkennbar. Vielmehr ist festzustellen, dass der Kläger bei der Anhörung von einer Vertrauensperson, Frau ... von ..., begleitet wurde und die Anhörung in der Sprache Englisch stattfand, die der Kläger ausweislich der mündlichen Verhandlung gut beherrscht. Dass der Kläger unter diesen Umständen wesentliche Punkte seiner Verfolgungsgeschichte nicht hätte vortragen können oder solche Punkte aufgrund eines Dolmetscherverschuldens nicht ins Bundesamtsprotokoll übernommen worden wären bzw. solches nicht bemerkt worden wäre, erscheint ausgeschlossen.

Auch die Tatsache, dass der Kläger nach seiner ersten (legalen) Einreise nach Deutschland am 17. April 2012 am 30. April 2012 wieder nach Nigeria zurückkehrte, zeigt deutlich, dass er selbst eine asylrelevante Verfolgung in seinem Heimatland nicht befürchtete, sondern eine Migration nach Deutschland mit den Mitteln des Asylrechts sorgfältig vorbereitet und geplant hat.

In der Klagebegründung vom 22. April 2015 (S. 3) ließ der Kläger als Grund für seine Rückkehr vortragen, sein jüngstes Kind sei schwer erkrankt und er habe sich in Nigeria um die Bezahlung der Krankenhausbehandlung kümmern müssen. In der mündlichen Verhandlung gab der Kläger als weiteren Grund an, er habe sich deswegen entschlossen, nach Nigeria zurückzukehren, weil er sich, nachdem seine Frau mit dem erkrankten Kind ins Krankenhaus gegangen sei, um seine allein in der Wohnung zurückgebliebenen drei weiteren Kinder habe kümmern müssen (vgl. Sitzungsprotokoll, S. 4/5). Diese Erklärungsversuche überzeugen nicht.

Den behaupteten Rückehranlass, die erforderlichen finanziellen Mittel für die Krankenhausbehandlung in Nigeria beschaffen zu müssen, hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung durch seine eigenen Angaben widerlegt. Er führte nämlich aus, dass er von Deutschland aus mit mehreren Gemeindemitgliedern telefoniert und erreicht habe, dass Gemeindemitglieder das für die Behandlung seines Kindes erforderliche Geld im Krankenhaus hinterlegt haben (vgl. Sitzungsprotokoll, S. 5, 2. Absatz).

Völlig lebensfremd ist die Darstellung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, dass er zur Betreuung seiner drei weiteren Kinder nach Nigeria habe zurückkehren müssen (vgl. Sitzungsprotokoll, S. 4).Die Behauptung, dass es weder dem Kläger (durch telefonische Kontakte) noch seiner Ehefrau möglich gewesen sein soll, rasch eine zuverlässige Betreuung seiner drei weiteren Kinder zu organisieren, sondern dass hierfür - vier Tage nachdem der Kläger am 26. April 2012 von der Erkrankung erfahren habe - der Rückflug des Klägers erforderlich gewesen sein soll, kann angesichts der vom Kläger selbst dargestellten guten Kontakte zu seinen Gemeindemitgliedern und angesichts des langjährigen Aufenthalts des Klägers und seiner Ehefrau im Großraum ... nur als absurd und (schlecht) erfunden gewertet werden.

Damit drängt es sich geradezu auf, dass der Kläger am 30. April 2012 (nur) deswegen nochmals nach Nigeria zurückgekehrt ist, um letzte Vorbereitungen für seine beabsichtigte Migration nach Deutschland zu treffen.

Der Kläger muss bei einer Rückkehr in sein Heimatland auch nicht deswegen Verfolgungshandlungen befürchten, weil er im Bundesgebiet einen Asylantrag gestellt hat. Die Asylantragstellung ist nach der derzeitigen politischen Lage als solche kein Grund, der seinerseits politische Verfolgung nach sich zieht (vgl. Auswärtiges Amt, Lageberichte zu Nigeria vom 28. November 2014, 28. August 2013, vom 6. Mai 2012 und 7. März 2011, jeweils Ziffer IV.2.).

Der Kläger hat damit auch keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter im Sinne von Art. 16a GG. Auch insoweit wäre nämlich die Feststellung der beachtlichen Gefahr einer politischen Verfolgung notwendig.

2. Der hilfsweise beantragte (unionsrechtliche) subsidiäre Abschiebungsschutz nach § 4 AsylVfG (zuvor § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG a. F.) bleibt ohne Erfolg.

Hinsichtlich des Prognosemaßstabs ist - wie bereits oben dargelegt - der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Eine konkrete Gefahr, dass die Kläger im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG in Nigeria Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen werden könnte, ist nicht erkennbar. Der Kläger wird in Nigeria auch nicht wegen einer Straftat gesucht, die mit der Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe verbunden ist (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylVfG). Schließlich ist der Kläger im Falle seiner Rückkehr nicht der erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG). Dies kann auch nicht im Hinblick auf die religiös motivierten Auseinandersetzungen in Nigeria angenommen werden. Die immer wieder aufkommenden, gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen christlichen und muslimischen Gruppen bzw. die Angriffe und Auseinandersetzung mit der Gruppierung Boko Haram sind überwiegend regional begrenzt und weisen nicht die Merkmale eines innerstaatlichen Konflikts i. S. der Vorschrift und der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung auf (vgl. BVerwG, U. v. 17.11.2011 - 10 C 13/10 -; U. v. 27.4.2010 - 10 C 4/09 -; U. v. 24.6.2008 - 10 C 43/09 - jeweils juris). Das Ausmaß dieser Konflikte ist in Intensität und Dauerhaftigkeit nicht mit Bürgerkriegsauseinandersetzungen oder Guerillakämpfen, die in Nigeria nicht festzustellen sind, vergleichbar (vgl. dazu: Auswärtiges Amt, Lageberichte zu Nigeria vom 28. November 2014, 28. August 2013, vom 6. Mai 2012 und 7. März 2011, jeweils Ziffer II.3.).

3. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ist nicht gegeben. Es sind insbesondere nach dem Vorbringen des Klägers keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass ihm in Nigeria eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i. S. von Art. 3 EMRK durch den Staat oder eine staatsähnliche Organisation landesweit droht.

Auch die Voraussetzungen eines (zielstaatsbezogenen) Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vermag das Gericht nicht festzustellen. Danach soll von der Abschiebung in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.

Dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Nigeria, entgegen seinem Vortrag, von Seiten radikaler Moslems keine asylerheblichen Gefahren für Leib und Leben drohen, wurde bereits unter 1. ausführlich dargelegt.

Auch die Erkrankung des Klägers an einer arteriellen Hypertonie rechtfertigt nicht die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Medikamente zur Behandlung dieser Erkrankung sind in Nigeria in Apotheken erhältlich. In Großstädten existiert eine medizinische Grundversorgung, allerdings in der Regel weit unter europäischem Standard. Es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht zu Nigeria vom 28. November 2014, IV., 1.3 und 1.4).

Im Übrigen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 6. Oktober 2014 verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylVfG).

Nach allem war die Klage abzuweisen.

4. Die im angefochtenen Bescheid enthaltene Abschiebungsandrohung nach Nigeria gemäß § 34 AsylVfG i. V. m. § 59 AufenthG ist ebenfalls rechtmäßig, weil der Kläger nicht als Asylberechtigter anerkannt, ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt worden ist, ihm kein subsidiärer Schutz gewährt wird, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen und er keinen - asylunabhängigen - Aufenthaltstitel besitzt. Die Ausreisefrist von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens ergibt sich aus § 38 Abs. 1 AsylVfG.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 83b Abs. 1 AsylVfG.

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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.

(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.

(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.

(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.

Tenor

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger paschtunischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit. Er reiste am ... Januar 2012 auf dem Landweg von Belgien aus in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am ... Februar 2012 einen Asylantrag.

Bei der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am ... April 2012 erklärte der Kläger im Wesentlichen, dass er als Boxer Mitglied der afghanischen Nationalmannschaft gewesen sei. Einmal habe er an einem landesweiten Wettkampf teilgenommen. Es sei eine Person zu ihm gekommen und habe ihn gefragt, ob er wisse, gegen wen er den nächsten Kampf habe. Er habe ihm gesagt, es sei ihm egal, gegen wen er kämpfe. Die Person habe ihm dann erklärt, dass er gegen den Sohn des Kommandanten ... kämpfen würde. Die Person habe ihm gesagt, er solle nicht zu dem Kampf erscheinen. Von diesem Vorfall habe er dann seinem Trainer erzählt. Der habe gesagt, dass sie ihn nur einschüchtern wollten, seine Kampfmoral beeinflussen wollten. Er solle trotzdem kämpfen. Er sei dann am nächsten Morgen zum Kampf angetreten und habe auch gesiegt. Er habe von dem Kampf auch Fotos und ein Diplom. Nach dem Kampf sei er von Männern des Kommandanten angegriffen und verletzt worden. Ihm sei die Nase gebrochen worden und er habe eine Schnittwunde mit dem Messer am Po erlitten. Der Kommandant ... arbeite wie die Mafia. Er sei Abgesandter des hohen Rates der Stammesführer vom Stadtteil ... Deshalb habe für ihn keine Möglichkeit bestanden, gegen diesen vorzugehen. Daher habe der Kläger einen Monat später Afghanistan verlassen.

Mit Bescheid vom ... März 2014 lehnte das Bundesamt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1), den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter (Ziffer 2) und die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Ziffer 3) ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Afghanistan oder in einen anderen Staat angedroht, in den der Kläger einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist (Ziffer 5).

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lägen nicht vor. Der Kläger habe keine gegen ihn gerichteten Verfolgungsmaßnahmen vorgetragen, denen er in Anknüpfung an ein asylrelevantes Merkmal vor der Ausreise ausgesetzt gewesen sei bzw. nach seiner Rückkehr nach Afghanistan unterliegen würde.

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung es subsidiären Schutzstatus lägen ebenfalls nicht vor. Eine Gefährdung des Klägers sei weder substantiiert vorgetragen worden noch sei diese anderweitig erkennbar. Der Kläger habe eine begründete Furcht vor einem ernsthaften Schaden nicht glaubhaft gemacht. Die Schilderung der angeblich fluchtauslösenden Ereignisse durch den Kläger seien insgesamt zu pauschal und unpräzise, um als glaubhaft zu erscheinen. Der Kläger beschränke sich in seinen Darstellungen auf den schlichten Ablauf der Ereignisse. Detailangaben, die eine lebensechte Schilderung erst ausmachen, fehlten. Sofern der Kläger darauf verweise, dass er nach dem letzten Wettkampf angegriffen worden sei von Leuten des Kommandanten ... stelle dies eine bloße Vermutung des Klägers dar. Er habe nicht schlüssig dargelegt, dass die Auseinandersetzung tatsächlich mit Gefolgsleuten des Kommandanten erfolgt sei, da der Kommandant oder dessen Sohn auch nicht persönlich involviert gewesen seien. Aus der Verwicklung des Klägers in eine Schlägerei, bei der er verletzt worden sei, könne noch nicht auf eine zielgerichtete Verfolgung des Klägers geschlossen werden. Selbst wenn man aber als wahr unterstellen würde, dass der Kläger von Gefolgsleuten des Kommandanten ... angegriffen worden sei, weil er gegen dessen Sohn im Boxkampf angetreten sei, begründe dies noch keinen Schutzanspruch des Klägers. Er habe nicht nachvollziehbar dargelegt, dass er auch künftig weitere Verfolgungsmaßnahmen seitens dieser Leute ausgesetzt wäre und er diesen möglichen lokalen Übergriffen nicht entgehen könne, indem er sich in einem anderen Landesteil niederlasse.

Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Der Kläger habe vor seiner Ausreise in Kabul gelebt, wo auch noch immer seine Eltern, Geschwister und andere Verwandte leben. Es sei davon auszugehen, dass die Verwandten dem Kläger nach dessen Rückkehr behilflich seien und ihm bei der Wiedereingliederung in die afghanische Gesellschaft unterstützen werden. Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, sei zu erwarten, dass der Kläger als volljähriger, gesunder Mann, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten habe, auch ohne nennenswertes Vermögen, ohne abgeschlossene Berufsausbildung und ohne familiären Rückhalt im Falle einer Rückkehr in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten im Kabul wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen, sich damit zumindest ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren.

Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom ... März 2014, bei Gericht am selben Tag eingegangen, hat der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht München erhoben und beantragt,

den Bescheid des Bundesamts vom ... März 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG, hilfsweise dass die Voraussetzungen der §§ 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG bezüglich des Klägers vorliegen.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom ... April 2014 die Behördenakten vorgelegt. Einen Antrag hat die Beklagte nicht gestellt.

Mit Beschluss vom ... Januar 2015 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.

In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger im Wesentlichen erklärt, dass bei der nationalen Boxmeisterschaft im Jahr 2011 vor dem dritten Kampf zwei Männer zu ihm gekommen seien, die sich als Männer des Kommandanten ... vorgestellt und ihm gesagt hätten, er habe seinen nächsten Kampf gegen den Sohn des Kommandanten. Er solle hierzu nicht antreten. Nach Rücksprache mit seinem Trainer sei er jedoch angetreten und habe gewonnen. Gleich darauf hätten ihn im Ring bewaffnete Männer angegriffen. Sein Boxgegner habe geäußert, dass sie ihn weiter schlagen und ihn umbringen sollten. Dann sei er bewusstlos geworden. Er glaube, dass ihn seine Freunde und sein Trainer herausgeholt hätten. Wäre er nicht angetreten, wäre der Sohn des Kommandanten Meister gewesen. Es sei das Finale gewesen. Da er sehr viel Erfahrung im Boxsport habe, habe der Sohn des Kommandanten Angst gehabt. Nach der Schlägerei habe er sich in Kabul im Stadtteil ... bei einem Freund aufgehalten. Die Leute, die ihn angegriffen hätten, hätten versucht herauszufinden, wo er wohne. Sie hätten den Dorfvorsteher bedroht, dass sie ihn umbringen würden, wenn er ihnen nicht sage, wo sich der Kläger aufhalte. Auch bei seinen Freunden seien sie bewaffnet aufgetaucht. Da habe er gemerkt, dass es diese Leute ernst meinten und habe Afghanistan verlassen. Er habe ein Haus in Kabul verkauft und seine Mutter habe Schmuck verkauft. Die Ausreise habe er telefonisch organisiert, da man ihn gesucht habe. Auch seine Familie habe mittlerweile Probleme bekommen und sei nach Pakistan gegangen. Auf Frage, warum er nicht bereits bei der Anhörung vor dem Bundesamt vorgetragen habe, dass er nach der Schlägerei noch weiter verfolgt und bedroht worden sei, erklärte der Kläger, er habe lediglich auf die Fragen geantwortet. Er habe nur auf die Fragen antworten können.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Bundesamtsakte Bezug genommen.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28. Januar 2014 entschieden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen ist. Denn in der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Beklagte ist form- und fristgerecht geladen worden.

1. Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylVfG oder auf Anerkennung als Asylberechtigter noch liegen beim Kläger Gründe für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG oder nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG vor. Der Bescheid der Beklagten vom ... März 2014 ist vielmehr rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 i. V. m. Abs. 5 VwGO.

a) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylVfG bzw. auf Anerkennung als Asylberechtigter gem. Art. 16a GG.

Nach § 3 Abs. 4 AsylVfG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylVfG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl, 1953 II S.559, 560-Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine Verfolgung kann dabei gem. § 3c AsylVfG ausgehen von einem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylVfG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Weiter darf für den Ausländer keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen, § 3e AsylVfG.

Eine Verfolgung in Afghanistan, die an ein gem. § 3 AsylVfG relevantes Merkmal anknüpfen würde, hat der Kläger nicht ansatzweise geltend gemacht noch ist eine solche ersichtlich. Seine Befürchtungen beziehen sich vielmehr auf eine private Auseinandersetzung wegen eines Boxkampfes. Mangels Anknüpfung an ein asylrelevantes Merkmal scheidet auch eine Anerkennung als Asylberechtigter gem. Art. 16a Abs. 1 GG aus.

b) Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG.

Der europarechtlich herrührende subsidiäre Schutz nach § 4 AsylVfG bildet einen eigenständigen, vorrangig vor sonstigen herkunftslandbezogenen ausländerrechtlichen (nationalen) Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu prüfenden Streitgegenstand (vgl. ausführlich BVerwG, U. v. 24.6.2008 - 10 C 43/07 - BVerwGE 131, 198 = NVwZ 2008, 1241 = InfAuslR 2008, 474).

Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt dabei die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylVfG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG). Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG gelten dabei die §§ 3c bis 3e AsylVfG entsprechend.

aa) Die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe hat der Kläger nicht geltend gemacht.

bb) Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 2 AsylVfG liegen nicht vor. Bei der Prüfung, ob dem Ausländer ein ernsthafter Schaden droht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzulegen (vgl. BVerwG, U. v. 27.4.2010 - 10 C 5/09 - BVerwGE 136, 377/384 m. w. N.). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - NVwZ 2013, 936/940). Weiter ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder von einem solchen Schaden bedroht wird. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (vgl. BVerwG, U. v. 27.4.2010 -10 C 5/09 - BVerwGE 136, 377/385).

Dabei obliegt es dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es - unter Angabe genauer Einzelheiten - einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, U. v. 27.8.2013 - A 12 S 2023/11 - juris; HessVGH, U. v. 4.9.2014 - 8 A 2434/11.A - juris).

Gemessen an diesen Maßstäben geht das Gericht nicht davon aus, dass dem Kläger bei seiner Rückkehr nach Afghanistan ein ernsthafter Schaden droht. Die geltend gemachte Gefahr von Seiten des Kommandanten ... bzw. von dessen Gefolgsleuten wegen eines gewonnenen Boxkampfes gegen den Sohn des Kommandanten ist nicht glaubhaft. Zwar mag es zutreffend sein, dass es nach einem Boxkampf des Klägers zu einer Schlägerei mit Zuschauern gekommen ist. Dies allein kann jedoch nicht zur Annahme einer zielgerichteten Verfolgung des Klägers führen. Dass es sich bei den Angreifern um Gefolgsleute des Kommandanten ... gehandelt hat, ist Spekulation. Eine persönliche Beteiligung des Kommandanten hat der Kläger bei der Anhörung beim Bundesamt selbst nicht behauptet. Nachdem das Bundesamt im Bescheid vom ... März 2014 ausgeführt hat, dass nicht schlüssig dargelegt sei, dass die Auseinandersetzung tatsächlich mit Gefolgsleuten des Kommandanten erfolgt sei, hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung seinen Sachvortrag diesbezüglich erheblich gesteigert, indem er angegeben hat, dass sich die Männer, die ihn vor dem Kampf aufgesucht hätten, als Gefolgsleute des Kommandanten zu erkennen gegeben hätten, und der Sohn des Kommandanten im Ring die Angreifer verbal angefeuert hätte. Warum der Kläger diese für das Verfolgungsschicksal wesentlichen Umstände, die auf die Täterschaft des Kommandanten bzw. von dessen Gefolgsleuten schließen ließen, nicht bereits bei der Anhörung beim Bundesamt angegeben hat, erschließt sich nicht. Dies wäre im Rahmen eines detaillierten Sachvortrags vielmehr zu erwarten gewesen. Zudem ist der Vortrag auch insofern widersprüchlich, als der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, dass ihn zwei Männer aufgesucht hätten, um ihn von dem Kampf abzuhalten, während bei der Anhörung vor dem Bundesamt immer nur von einer Person die Rede war. Den Sachvortrag des Klägers hält das Gericht daher insoweit für nicht glaubhaft.

Auch dass es nach der Schlägerei im Boxring zu weiteren Verfolgungsmaßnahmen gekommen sein soll, hält das Gericht für nicht glaubhaft. Auch diesbezüglich hat der Kläger seinen Sachvortrag erheblich gesteigert. Von derartigen weiteren Verfolgungsmaßnahmen hat der Kläger bei der Anhörung beim Bundesamt nämlich überhaupt nichts berichtet. Dass die Gefolgsleute des Kommandanten weiter nach dem Kläger gesucht hätten, ja sogar den Dorfvorsteher mit dem Tod bedroht hätten, um seinen Aufenthaltsort zu erfahren, ist jedoch für das geltend gemachte Verfolgungsschicksal von erheblicher Bedeutung, so dass es nicht nachvollziehbar ist, warum der Kläger diese nunmehr in der mündlichen Verhandlung geschilderte Verfolgung und Bedrohung bei der Anhörung vor dem Bundesamt mit keinem Wort erwähnt hat. Soweit der Kläger angibt, dass er nur auf die gestellten Fragen habe antworten können, stellt dies keine ausreichende Erklärung dar. Denn ausweislich des Protokolls der Anhörung beim Bundesamt wurde der Kläger zunächst offen gefragt, welche Gründe dazu geführt hätten, dass er sich entschlossen habe, sein Heimatland zu verlassen. Hier hätte der Kläger ohne weiteres sämtliche Verfolgungsmaßnahmen darstellen können. Auch auf Frage des Bundesamts, ob er jetzt alle Gründe dargelegt habe oder er noch etwas Wichtiges hinzuzufügen habe, hat der Kläger erklärt, dass er das, was gewesen sei, erzählt habe. Sogar auf weitere Nachfrage, dass dies ein Vorfall gewesen sei, der noch nicht heiße, dass er Afghanistan gleich verlassen müsse, hat der Kläger lediglich erklärt, dies sei halt der Grund, auch wenn es nur ein einmaliger Vorfall gewesen sei. Keine der ihm gestellten Fragen zu seinem Verfolgungsschicksal hat der Kläger vorliegend zum Anlass genommen, das nunmehr in der mündlichen Verhandlung dargelegte angebliche Verfolgungsgeschehen nach der Schlägerei zu erwähnen. Das gesteigerte Vorbringen des Klägers zu weiteren Verfolgungsmaßnahmen hält das Gericht daher für nicht glaubhaft. Dies vermag auch die vorgelegte angebliche Erklärung des Dorfvorstands nicht zu ändern, die der Kläger über Bekannte besorgt haben will. Hierbei handelt es sich lediglich um wenige pauschale Angaben, aus denen weder hervorgeht, wer der Boxgegner gewesen sein soll noch wer den Kläger angegriffen und bedroht haben soll. Auch die angebliche Todesdrohung gegen den Dorfvorsteher und damit den Verfasser selbst wird mit keinem Wort erwähnt, obwohl dies angesichts der Einbeziehung des Dorfvorstehers in die Ereignisse zu erwarten gewesen wäre.

cc) Der Kläger hat weiter keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots auf der Grundlage von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG, nach dem von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen ist, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Die Vorschrift setzt die sich aus Art. 18 i. V. m. Art. 15 Buchst. c QualRL ergebenden Verpflichtungen auf Gewährung eines „subsidiären Schutzstatus“ bzw. „subsidiären Schutzes“ in nationales Recht um.

Dabei ist zu überprüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende - und damit allgemeine - Gefahr in der Person des Klägers so verdichtet hat, dass sie eine erhebliche individuelle Gefahr i. S. v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG darstellt. Der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt muss ein so hohes Niveau erreichen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson würde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, U. v. 17.2.2009 - Elgafaji, C-465/07 - Slg. 2009, I-921).

Die Frage, ob die in Afghanistan oder Teilen von Afghanistan stattfindenden gewalttätigen Auseinandersetzungen nach Intensität und Größenordnung als vereinzelt auftretende Gewalttaten i. S. v. Art. 1 Nr. 2 des Zusatzprotokolls vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (BGBl 1990 II S. 1637)- ZP II - oder aber als anhaltende Kampfhandlungen bewaffneter Gruppen im Sinne von Art. 1 Nr. 1 ZP II zu qualifizieren sind, kann dahinstehen, weil der Kläger nach überschlägiger Prüfung keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wäre. Bezüglich der Gefahrendichte ist zunächst auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die ein Kläger typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, U. v. 14.7.2009 - 10 C 9/08 - BVerwGE 134, 188). Zur Feststellung der Gefahrendichte ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung erforderlich (BVerwG, U. v. 27.4.2010 - 10 C 5/09 - BVerwGE 136, 377).

Der Kläger stammt aus K., so dass hinsichtlich der Gefahrenlage primär darauf abzustellen ist.

Der Jahresbericht der UNAMA vom Februar 2012 (UNAMA, Afghanistan Annual Report 2011 Protection of Civilians in Armed Conflict) geht für das Jahr 2011 für Afghanistan landesweit von 3.021 toten Zivilisten (gegenüber den 2.777 toten Zivilisten des Vorjahres eine Steigerung von 8 Prozent) und 4.507 Verletzten (im Vorjahr 4.368 Verletzte), somit von insgesamt 7.528 zivilen Opfern aus. Der Jahresbericht der UNAMA vom Februar 2013 (UNAMA, Afghanistan Annual Report 2012 Protection of Civilians in Armed Conflict) geht für das Jahr 2012 von 7.559 zivilen Opfern aus (2.754 Tote und 4.805 Verletzte). Nach dem Afghanistan Annual Report 2013 Protection of Civilians in Armed Conflicts der UNAMA sind im Jahr 2013 2.959 tote und 5.656 verletzte Zivilpersonen zu beklagen. Hieraus ergibt sich dem Bericht zufolge im Vergleich zu 2012 eine Steigerung der Zahl der toten Zivilpersonen um 7 Prozent und der Zahl der verletzten Zivilpersonen um 17 Prozent. Der Midyear Report 2014 der UNAMA gibt für das erste Halbjahr 2014 1.564 tote und 3.289 verletzte Zivilpersonen in ganz Afghanistan an. Dies entspricht einer Steigerung gegenüber dem Vergleichszeitraum 2013 um knapp 17 bzw. 28 Prozent. Betrachtet man die durchschnittliche Gefährdung landesweit ergibt sich bei ca. 8.615 toten und verletzten Zivilisten im Jahr 2013 bzw. hochgerechnet 9.706 zivilen Opfern im Jahr 2014 bezogen auf eine Gesamtbevölkerung von mindestens 25 Millionen trotz steigender Opferzahlen weiterhin kein so hoher Gefährdungsgrad, dass praktisch jede Zivilperson dort einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Das Verhältnis der zivilen Opfer pro Jahr zur Gesamtbevölkerung liegt weiterhin vorsichtig geschätzt bei höchstens 1:2.500. Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG liegen damit nicht vor (vgl. BVerwG, U. v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris; VGH Baden-Württemberg, U. v. 26.2.2014 - A 11 S 2519/12 - juris).

Die regional unterschiedliche Veränderung der Opferzahlen lässt sich in Beziehung zu der Zahl der Zwischenfälle in den einzelnen Provinzen im Jahr 2012 setzen. Nach dem Bericht des Afghanistan NGO Safety Office (ANSO, Internet: www.ngosafety.org) gab es im Jahr 2012 in Afghanistan insgesamt 21.784 Angriffe (ANSO Quarterly Data Report Q.4 2012). Bei einer Gesamtopferzahl von 7.559 entfallen damit rechnerisch auf jeden Angriff 0,3469 Opfer. Überträgt man dies auf die Zentralregion, kann bei den dort gezählten 2.417 Angriffen im Jahr 2012 von etwa 839 toten/verletzten Zivilisten ausgegangen werden. Bei einer Einwohnerzahl von 5,7 Millionen in der Zentralregion und 839 Toten/Verletzten ergibt sich eine Wahrscheinlichkeit von 0,015 Prozent, Opfer eines Anschlages zu werden.

Auch wenn der Vergleich der Opferzahlen mit der Zahl der Angriffe nicht exakt auf die tatsächliche Opferzahl schließen lässt, gibt er doch eine realistische Basis für die erforderliche Risikoabschätzung. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Sicherheitslage in Gesamtafghanistan und auch in der Zentralregion weiterhin angespannt bleibt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der diesen Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist (BayVGH, U. v. 1.2.2013 - 13a B 12.300045 - juris). Dies gilt auch unter Berücksichtigung der unzureichenden medizinischen Versorgungslage in Afghanistan, die eine Notfallbehandlung Schwerverletzter nur eingeschränkt ermöglichen dürfte.

Bezogen auf die Herkunftsprovinz Kabul ergibt sich bei 819 Angriffen eine geschätzte Opferzahl von 285. Bei einer Einwohnerzahl von 3.900.000 liegt die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Anschlages zu werden bei 0,007 Prozent. Nach ANSO Q 1 haben sich in der Provinz Kabul im 1. Quartal des Jahres 2013 12 Anschläge ereignet. Hochgerechnet aufs Jahr bedeutet dies ca. 48 Angriffe mit einer geschätzten Opferzahl von 17 Personen. Auch hieraus errechnet sich bei einer Einwohnerzahl von 3.900.000 eine Wahrscheinlichkeit im Promillebereich, Opfer eines Anschlags zu werden.

Es sind auch keine besonderen, in der Person des Klägers liegenden, individuellen Umstände ersichtlich, die auf eine erhöhte Gefährdung im Verhältnis zu sonstigen Angehörigen der Zivilbevölkerung schließen lassen.

c) Der Kläger hat schließlich keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots gem. § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG liegt nicht vor. Eine Abschiebung ist gem. § 60 Abs. 5 AufenthG unzulässig, wenn sich dies aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt. Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nach der Rechtsprechung des BVerwG (U. v. 15.4.1997 - 9 C 38/96 -BVerwGE 104, 265) nur in Frage, wenn die umschriebenen Gefahren durch den Staat oder eine staatsähnliche Organisation drohen oder dem Staat zuzurechnen sind. Schon diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben.

Auch ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt nicht vor. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, wie etwa eine unzureichenden Versorgungslage, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist jedoch im Einzelfall Ausländern, die einer gefährdeten Gruppe im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angehören, für welche aber ein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 AufenthG oder eine andere Regelung, die vergleichbaren Schutz gewährleistet, nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Das ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (st. Rspr. des BVerwG, vgl. U. v. 17.10.1995 - 9 C 9/95 - BVerwGE 99, 324/328; U. v. 19.11.1996 - 1 C 6/95 - BVerwGE 102, 249/258 f.; U. v. 8.12.1998 - 9 C 4/98 - BVerwGE 108, 77/80 f.; U. v. 12.7.2001 - 1 C 2/01 - BVerwGE 114, 379/382; U. v. 29.6.2010 - 10 C 10/09 - BVerwGE 137, 226/232 f.). Diese Grundsätze über die Sperrwirkung bei allgemeinen Gefahren und die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise verfassungskonforme Anwendung in den Fällen, in denen dem Betroffenen im Abschiebezielstaat eine extreme zugespitzte Gefahr droht, sind auch für die neue Rechtslage nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes maßgeblich (vgl. BVerwG, B. v. 23.8.2006 - 1 B 60/06, 1 B 60/06 (1 C 21/06) - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 19).

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht allerdings davon aus, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende allein stehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit keine extreme Gefahrenlage besteht, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (vgl. BayVGH, B. v. 17.1.2014 - 13a ZB 13.30377 - juris Rn. 4; B. v. 4.2.2014 - 13a ZB 13.30393 - juris Rn. 4; B. v. 5.2.2014 - 13a ZB 13.30224 - juris Rn. 7). Demnach ist ein arbeitsfähiger, gesunder Mann regelmäßig auch ohne nennenswertes Vermögen im Fall einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland Afghanistan in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten in Kabul ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten (vgl. auch HessVGH, U. v. 30.1.2014 - 8 A 119/12.A - juris). Dem schließt sich das Gericht an. Gerade dem Kläger, der nach eigenen Angaben die 12. Klasse abgeschlossen und das Abitur abgelegt hat, wird es aller Voraussicht nach gelingen, seinen Lebensunterhalt auch über das bloße Existenzminimum hinaus zu sichern.

Damit liegt die für eine verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger alsbald existenzbedrohenden Mangellagen ausgesetzt wäre, nicht vor.

d) Die nach Maßgabe des § 34 Abs. 1 AsylVfG erlassene Abschiebungsandrohung ist wie die nach § 38 AsylVfG festgesetzte Ausreisefrist nicht zu beanstanden.

2. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Tenor

I.

Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 10. Februar 2011 wird in den Nrn. 3 und 4 aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger subsidiären Schutz (§ 4 Abs. 1 AsylVfG) zuzuerkennen.

II.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der am ... 1988 in der Provinz Kunar, Bezirk ..., Dorf ..., geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, zugehörig zur Volksgruppe der Paschtunen. Nach seiner Einreise in das Bundesgebiet am 9. April 2010 stellte er am 30. April 2010 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag.

Mit Schreiben vom 9. April 2010 gab der Bevollmächtigte des Klägers an, die Aufforderung, für die Regierung zu arbeiten und das Einsickern der Taliban zu melden, sowie die daraufhin folgenden Auseinandersetzungen mit den Taliban und die Drohung einer Entführung oder des Umbringens seien wie im Asylverfahren des Cousins des Klägers beschrieben. Auf das dortige Vorbringen werde verwiesen.

Bei seiner Anhörung gemäß § 25 AsylVfG am 18. Mai 2010 trug der Kläger im Wesentlichen vor, er habe bis zu seiner Ausreise in seinem Heimatort gelebt. Dort würden weiterhin seine Eltern, zwei Brüder, eine Schwester sowie ein Onkel väterlicherseits leben. In Deutschland würden vier Onkel und zwei Tanten mütterlicherseits leben. Er habe bis zur 9. Klasse die Schule in ..., im Anschluss daran die Oberschule in ... besucht. Parallel dazu habe er einen Englischkurs absolviert. Nach Abschluss seiner Schulausbildung 2006 sei er zunächst zwei bis drei Monate arbeitslos gewesen. Danach habe er etwa drei Jahre beim Sicherheitsdienst „... in der Provinz Kunar gearbeitet. Dies sei seinen Eltern bekannt gewesen, nicht aber seinen Onkeln. Monatlich habe er 18.500 Afghani verdient. Seine Aufgabe sei es gewesen, über verdächtige Personen im Dorf oder in den umliegenden Dörfern oder solche, die über die Grenze gekommen seien, an die Zentrale zu berichten. Die Zentrale des Sicherheitsdienstes sei in ... gewesen. Er habe den Dienstgrad vergleichbar einem Oberstleutnant innegehabt. Von seinem Chef sei er informiert worden, dass ein anderer Mitarbeiter von den Taliban entführt worden sei. Bis Genaueres bekannt sei, sollten sie nicht mehr nach Hause gehen. Er habe dann in ... bei Verwandten für einige Tage übernachtet. Sie hätten dann erfahren, dass der entführte Mitarbeiter den Taliban alle Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes verraten haben muss, da ein paarmal die Taliban bei ihnen zu Hause gewesen seien. Die Taliban seien zu seinem Vater nach Hause gekommen und hätten das Haus durchsucht. Sie hätten seinen Vater geschlagen und gesagt, dass sie den Kläger suchen würden, da dieser ein Mitarbeiter der Regierung sei und durch seine Tätigkeit viele Taliban ums Leben gekommen seien. Der Kläger habe dies, als er davon erfahren habe, auch seinem Chef mitgeteilt; dieser habe jedoch gesagt, dass die Taliban sehr mächtig seien und er nicht dagegen vorgehen könne. Im Gebiet der Provinzhauptstadt habe der Kläger nicht bleiben können, da der entführte Mitarbeiter in diesem Gebiet, für das dieser zuständig gewesen sei, entführt worden sei. Zu seiner Tätigkeit führte er aus, er habe z. B. Kontakt zu einem Ladenbesitzer gehabt, der seinen Laden an der Grenze zu Pakistan gehabt habe und für sie Informationen besorgt habe. Zu diesem sei er etwa alle zwei Wochen gereist und habe Informationen geholt. Von dem Ladenbesitzer habe er auch telefonische Informationen erhalten. Zur Tarnung habe er Kindern in der Schule in ... Englisch- und Mathematikunterricht erteilt. Als er einmal von dem Ladenbesitzer informiert worden sei, dass eine Gruppe pakistanischer Taliban über die Grenze gekommen sei, habe er dies auch der in der Nähe sich befindenden amerikanischen Basis mitgeteilt. Dies habe er mehrmals getan, wenn etwas sehr Wichtiges passiert sei. Bei den Amerikanern sei er jeweils persönlich gewesen, insgesamt zweimal. Seiner Zentrale habe er telefonisch die Informationen, die er erhalten habe, weitergegeben. In einem anderen Teil Afghanistans könne er auch nicht leben, da er überall gefährdet sei.

Seine Ausreise habe er durch seine eigenen Ersparnisse finanziert; außerdem habe sein Vater Ländereien und Ersparnisse. Zunächst sei er zu seinem Cousin nach ... gegangen, wo er sich zehn Tage aufgehalten habe. Ein Schleuser habe ihn nach ... gebracht. Mit einem weiteren Schleuser sei er illegal in den Iran und von dort weiter über die Türkei nach Griechenland gelangt. Nach dortiger Inhaftierung für ca. zehn bis elf Tage sei er zurück in die Türkei gereist. Nach weiteren 20 Tagen sei er zusammen mit seinem Cousin in einem Lkw nach Deutschland verbracht worden.

Mit Bescheid vom 10. Februar 2011, am 2. März 2011 per Einschreiben zur Post gegeben, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Der Kläger wurde zur Ausreise aufgefordert und die Abschiebung nach Afghanistan für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise angedroht. Auf den Inhalt des Bescheids wird Bezug genommen.

Mit Schriftsatz vom 4. März 2011, bei Gericht eingegangen am 7. März 2011, erhob der Bevollmächtigte des Klägers Klage zum Verwaltungsgericht München mit folgendem Antrag:

Der Bescheid des Bundesamts vom 10.2.20111, Aktenzeichen ..., zugestellt am 3.3.2011, wird in Ziff. 3 aufgehoben, soweit Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 7 verneint werden.

Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass in der Person des Klägers die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegen.

Mit Schriftsatz vom 26. Juli 2011 wurde die Klage im Wesentlichen damit begründet, dass für die Provinz Kunar, aus der der Kläger stamme, inzwischen allgemein ein bewaffneter innerstaatlicher Konflikt angenommen werde, so dass die Voraussetzungen von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegen würden. Weiterhin wurden ein Dienstausweis des Klägers, ein Belobigungs- und Bestätigungsschreiben über die Tätigkeit des Klägers beim Geheimdienst, eine Urkunde über einen Kurs bei ..., eine Bestätigung über die Teilnahme an einem Seminar für Englischlehrer, eine weitere Bestätigung über einen Englischkurs vom 2. Januar 2006 sowie eine Bestätigung des Ministeriums für Erziehung über den Schulabschluss in der Hochschule von ... aus 2006 vorgelegt.

Die Beklagte beantragte

Klageabweisung.

Durch Beschluss der Kammer vom 21. März 2012 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.

Den Beteiligten ist mit Schreiben vom 4. November 2011 mitgeteilt worden, welche Unterlagen zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden (Erkenntnismittelliste Nr. 423b, Stand: 17.09.2014). Weiter wurden mit Schreiben vom 9. Januar 2015 die Akte des Bundesamts zum Verfahren des Cousins des Klägers, Herrn ... (Az. ...) zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Behördenakten sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da diese ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Klage ist begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist vorliegend die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylVfG, hilfsweise die Feststellung der Voraussetzungen des nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl S. 3474) hat die Bundesrepublik Deutschland die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 337, S. 9; sog. - neuere - Qualifikationsrichtlinie), umgesetzt, die die vorausgehende Qualifikationsrichtlinie RL 2004/83/EG (ABl EU Nr. L 304, S. 12) in einer überarbeiteten Fassung ablöste. In diesem Zuge wurde die bisherige Normierung in § 60 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F., die die Flüchtlingsanerkennung auf der Grundlage des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK) und den europarechtlichen Abschiebeschutz (nunmehr insgesamt als internationaler Schutz bezeichnet) betraf, zugleich in das Asylverfahrensgesetz transferiert.

Im Hinblick auf die Unteilbarkeit der Streitgegenstände war der ursprünglich auf die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG, in der mündlichen Verhandlung in Anpassung an die geltende Rechtslage auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG, hilfsweise die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gerichtete Klageantrag dahingehend auszulegen, dass der Kläger die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylVfG, hilfsweise die Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes auf der Grundlage der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG begehrt. Bei dem subsidiären Schutz im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylVfG wie auch bei dem nationalen Abschiebungsschutz auf der Grundlage der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG handelt es sich jeweils um einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand mit mehreren Anspruchsgrundlagen (vgl. BVerwG, U. v. 24.6.2008 - 10 C 43/07 - juris Rn. 11; U. v. 8.9.2011 - 10 C 14/10 - juris Rn. 16 zur früheren Gesetzeslage). Diese beiden Streitgegenstände wurden mit dem Klage vom 4. März 2011 rechtshängig. Im Hinblick auf die Einheitlichkeit und Unteilbarkeit der beiden Verfahrensgegenstände sind daher alle Alternativen des § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG und alle Anspruchsgrundlagen des nationalen Abschiebungsschutzes in den Blick zu nehmen (BVerwG, U. v. 8.9.2011, a. a. O. Rn. 16, 17); eine wirksame Beschränkung einheitlicher prozessualer Ansprüche auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen wäre gar nicht möglich (BVerwG, U. v. 27.4.2010 - 10 C 5/09 - juris Rn. 13 zu den unionsrechtlich vorgezeichneten Abschiebungsverboten nach früherer Gesetzeslage). Mit der ausdrücklichen Nennung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG und des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Klageantrag hat der Kläger daher keine Begrenzung der jeweiligen Streitgegenstände vorgenommen, sondern lediglich die aus seiner Sicht besonders naheliegenden Anspruchsgrundlagen bezeichnet. Da der unionsrechtliche subsidiäre Schutz weitergehender ist, ist über ihn vorrangig vor dem nationalen Abschiebungsschutz zu entscheiden (vgl. BVerwG, U. v. 8.9.2011 - 10 C 14/10 - BVerwGE 140, 319 zur früheren Gesetzeslage; vgl. auch § 31 Abs. 2 und 3 AsylVfG).

Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 10. Februar 2011 ist rechtswidrig, soweit darin in Nr. 3 festgestellt wird, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG a. F. hinsichtlich Afghanistans nicht vorliegt, und verletzt den Kläger insoweit in seinen Rechten. Gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO hat der Kläger in dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG; vgl. auch Art. 4 Abs. 3 Buchst. a Richtlinie 2011/95/EU) einen Anspruch auf eine entsprechende Feststellung bzw. nach der aktuellen Gesetzeslage auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG hinsichtlich Afghanistans (vgl. § 31 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG). Damit erübrigt es sich, weitere materielle Anspruchsgrundlagen des einheitlichen prozessualen Anspruchs zu prüfen.

Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten dabei unter anderem Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG; vgl. § 60 Abs. 2 AufenthG a. F.) Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistigseelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2004/83/EG insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach der Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (vgl. VGH BW, U. v. 6.3.2012 - A 11 S 3070/11 - juris Rn. 16).

Bei der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit steht die Rechtsgutsverletzung bevor, wenn bei qualifizierender Betrachtungsweise, d. h. bei einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung, die für die Rechtsgutsverletzung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Die in diesem Sinne erforderliche Abwägung bezieht sich nicht allein auf das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe des befürchteten Ereignisses; auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs ist in die Betrachtung einzubeziehen (vgl. VGH BW, U. v. 6.3.2012 - A 11 S 3070/11 - juris Rn. 17 unter Bezugnahme auf BVerwG, B. v. 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; U. v. 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.; U. v. 05.11.1991 - 9 C 118.90 - juris Rn. 17).

Für die Prüfung der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylVfG gelten gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG die §§ 3c bis 3e AsylVfG über Verfolgungs- und Schutzakteure sowie internen Schutz entsprechend. Die Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG kann gemäß § 4 Abs. 3 AsylVfG i. V. m. § 3c AsylVfG ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Schutz vor einem ernsthaften Schaden gemäß § 4 Abs. 3 AsylVfG i. V. m. § 3d Abs. 1 AsylVfG nur geboten werden vom Staat oder von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, sofern sie willens und in der Lage sind, wirksamen und nicht nur vorübergehenden Schutz zu gewähren, vgl. § 3d Abs. 2 Satz 1 AsylVfG. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat, § 3d Abs. 2 Satz 2 AsylVfG. Gemäß § 4 Abs. 3 AsylVfG i. V. m. § 3e Abs. 1 AsylVfG wird dem Ausländer subsidiärer Schutz nicht zuerkannt, wenn eine sogenannte interne Schutzalternative besteht, weil in einem Teil seines Herkunftslands keine Gefahr eines ernsthaften Schadens besteht oder der Ausländer Zugang zu Schutz vor einem ernsthaften Schaden nach § 3d AsylVfG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

Nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bedroht werden. Dadurch wird der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür dazulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Ob die Vermutung durch „stichhaltige Gründe“ widerlegt ist, obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung (vgl. BVerwG, U. v. 27.4.2010 - 10 C 5/09 - BVerwGE 136, 377 - in Bezug auf den wortgleichen Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2004/83 EG). Die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU kommt dem von ernsthaftem Schaden bedrohten Antragsteller auch bei der Prüfung zugute, ob für ihn im Gebiet einer internen Schutzalternative gemäß § 3e AsylVfG (vgl. vormals Art. 8 Abs. 1 Richtlinie 2004/83/EG) keine begründete Furcht vor Verfolgung besteht (vgl. BVerwG, U. v. 5.5.2009 - 10 C 21/08 - NVwZ 2009, 1308 in Bezug auf Art. 8 Abs. 1 Richtlinie 2004/83/EG). Mit Blick auf den Normzweck der Beweiserleichterung erscheint es nicht nachvollziehbar, der Prüfung internen Schutzes als Ausdruck der Subsidiarität des Flüchtlingsschutzes einen strengeren Maßstab zugrunde zu legen als der systematisch vorgelagerten Stellung der Verfolgungsprognose. Die hinter der Beweiserleichterung stehende Teleologie - der humanitäre Charakter des Asyls - verbietet es, einem Schutzsuchenden, der das Schicksal der Verfolgung bereits einmal erlitten hat, das Risiko einer Wiederholung solcher Verfolgung aufzubürden (BVerwG, U. v. 5.5.2009 - 10 C 21/08 - NVwZ 2009, 1308).

Bei der individuellen Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz sind alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen zu berücksichtigen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Herkunftslands und der Weise, in der sie angewandt werden, sowie die maßgeblichen Angaben des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Unterlagen, einschließlich Informationen zu der Frage, ob er einen ernsthaften Schaden erlitten bzw. erleiden könnte (vgl. Art. 4 Abs. 3 Buchst. a und b Richtlinie 2011/95/EU). Weiterhin sind zu berücksichtigen die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, um bewerten zu können, ob in Anbetracht seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einem sonstigen ernsthaften Schaden gleichzusetzen sind (vgl. Art. 4 Abs. 3 Buchst. c Richtlinie 2011/95/EU).

Das Gericht ist auf der Grundlage des Vortrags des Klägers und des in der mündlichen Verhandlung von ihm gewonnenen persönlichen Eindrucks davon überzeugt, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung droht. Die Beweiserleichterung gemäß Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU kommt dem Kläger zugute und das Gericht kann im Rahmen der freien Beweiswürdigung keine stichhaltigen Gründe für eine Widerlegung der gesetzlichen Vermutung erkennen.

Unter Berücksichtigung seines Herkommens, seines Bildungsstands und seines Alters hält das Gericht den Vortrag des Klägers für glaubhaft. Der Kläger hat die Geschehnisse lebensnah und mit vielen Einzelheiten plausibel und überzeugend vorgetragen. Er hat in allen Verfahrensstadien hierzu nahezu vollständig übereinstimmende Angaben gemacht, die Geschehnisse unter Nennung von Einzelheiten und zusammenhängend ohne Übertreibungen dargestellt und verbliebene Unklarheiten und Widersprüche im Rahmen der informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung ohne Zögern nachvollziehbar erläutert.

Danach ist davon auszugehen, dass der Kläger vor seiner Ausreise etwa drei Jahre für den afghanischen Geheimdienst gearbeitet hat und in dieser Eigenschaft verdeckt Informationen über die Taliban, über sonstige bewaffnete Personen sowie über Drogen- und Waffenhändler gesammelt und an seinen Vorgesetzten, teilweise auch an einen Kontaktmann bei den amerikanischen Truppen weitergegeben hat. Nach der Entführung eines anderen Mitarbeiters des Geheimdienstes bestellte der Vorgesetzte des Klägers diesen zu sich und riet ihm, zunächst nicht wieder nach Hause zurückzukehren. Der Kläger hielt sich zunächst in ... auf und ging dann nach ... zu einem Cousin. Der Vater des Klägers informierte diesen dann telefonisch, dass der Vorgesetzte des Klägers angerufen und mitgeteilt habe, dass der entführte Mitarbeiter erschossen worden sei und nun die Namen weiterer Mitarbeiter des Geheimdienstes, unter anderem des Klägers, den Taliban bekannt seien. Nach Mitteilung des Vaters seien die Taliban bereits zum Haus der Familie gekommen, hätten nach dem Kläger gesucht und den Vater geschlagen. Der Kläger entschloss sich daraufhin zur Flucht und organisierte seine Flucht mit Hilfe des Cousins, bei dem er Unterschlupf gefunden hatte.

Soweit sich in seinem Vortrag in der mündlichen Verhandlung Abweichungen gegenüber seinem Vortrag vor dem Bundesamt zeigten, hat der Kläger darauf hingewiesen, dass der Dolmetscher vor dem Bundesamt ihn teilweise nicht richtig verstanden habe. Dies erscheint vorliegend zum einen deshalb glaubhaft, weil der Kläger auf eine Abweichung schon von sich aus und ungefragt in der mündlichen Verhandlung hinwies, nämlich, dass nicht er selbst, sondern sein Vorgesetzter vom Dienstgrad her Oberstleutnant gewesen sei. Zum anderen hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung das diesbezügliche Geschehen nicht gänzlich anders vorgetragen oder völlig übergangen, sondern lediglich in Details richtig gestellt. Dies betrifft zum einen das Vorbringen, dass sich der Kläger auch bei seinen Besuchen im Laden im Grenzgebiet zu Pakistan auf ein Beobachten beschränkt, nicht jedoch vom Ladenbesitzer zusätzlich telefonische Informationen erhalten habe. Ebenso stellte der Kläger richtig, dass er, wie auch vor dem Bundesamt vorgetragen, zweimal seinen Kontaktmann „...“ bei den amerikanischen Streitkräften persönlich aufsuchte, die weitere Informationsweitergabe jedoch telefonisch ablief. Auch die Tatsache, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung erstmals erwähnte, dass die Taliban erfolglos mit dem entführten Mitarbeiter drei von den Amerikanern Talibankämpfer freipressen wollten und ihre Forderung über einen Brief und ein Video übermittelten, spricht nicht gegen die Glaubwürdigkeit des Klägers. Der Kläger machte diese Angaben erst auf die ausdrückliche Frage des Gerichts, ob er wisse, was aus dem entführten Mitarbeiter geworden sei, und wie er davon erfahren habe. Da sich aus dem Protokoll der Anhörung vor dem Bundesamt nicht ergibt, dass ihm hierzu Fragen gestellt worden wären, kann ihm nicht vorgehalten werden, dass er diese Einzelheiten erst in der mündlichen Verhandlung angab.

Der Kläger hatte im Laufe des Verfahrens Dokumente zur Stützung seines Vorbringens vorgelegt, unter anderem eine beglaubigte Kopie seiner Geburtsurkunde, seinen Dienstausweis sowie ein Belobigungsschreiben über seine Tätigkeit beim Geheimdienst. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar erläutert, dass Anlass für die Ausstellung der Geburtsurkunde das Auslaufen der alten, in Form eines Heftes ausgestellten Geburtsurkunde war. Die vorgelegte Kopie wie auch das Vorbringen des Klägers zu seiner alten Geburtsurkunde stimmen überein mit den in der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 12. März 2013 zur Tazkira beschriebenen Merkmalen. Der vorgelegte Dienstausweis trägt einen Stempel mit der Aufschrift „afghanischer Geheimdienst“, eine Ausweisnummer in afghanischen Ziffern und ein Foto des Klägers. Dass der Ausweis Name und Dienststelle auch in englischer Sprache nennt, erscheint vor dem Hintergrund der Zusammenarbeit mit den ausländischen Streitkräften plausibel. Das Belobigungsschreiben trägt Briefkopf, Datum nach dem Sonnenkalender sowie denselben Stempel wie der Dienstausweis. Nach der Auskunftslage gibt es zwar in Afghanistan neben gefälschten Dokumenten auch in erheblichen Umfang echte Dokumente unwahren Inhalts (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistan, Stand: Februar 2014, S. 22). Vorliegend lässt sich jedenfalls feststellen, dass die vorlegten Dokumente mit den Angaben des Klägers übereinstimmen und keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich sind, die gegen die Echtheit der Dokumente sprechen (vgl. hierzu auch Auswärtiges Amt, Auskunft vom 24.11.2008 an VG Darmstadt).

Das Gericht hat jedoch vor allem aufgrund des Vortrags des Klägers keine Zweifel daran, dass der Kläger das von ihm geschilderte Geschehen tatsächlich erlebt hat. Der Kläger konnte in der mündlichen Verhandlung die Geschehnisse mit einer Vielzahl von Details wiedergeben. So konnte er die Art und Weise seiner Tätigkeit, aber auch die von seinem Chef angebahnte Kontaktaufnahme mit seinem Ansprechpartner bei den amerikanischen Streitkräften schlüssig schildern. Darüber hinaus sprach der Kläger auch für sein Verfolgungsschicksal an sich unbedeutende Einzelheiten an, wie etwa, dass eine andere Person als sein Vorgesetzter seinen Dienstausweis ausgestellt hatte, dass das Büro seines Vorgesetzten in einem Gebäude der Polizei untergebracht war oder dass der entführte und ermordete Mitarbeiter des Geheimdienstes den vierthöchsten Rang beim Geheimdienst in Kunar bekleidet hatte.

Auch hinsichtlich des Vortrags des Klägers zur Entführung des anderen Geheimdienstmitarbeiters, zur Warnung seines Vorgesetzten und zu den vom Vater des Klägers mitgeteilten Informationen sieht das Gericht sieht keinen Anlass, am Vortrag des Klägers zu zweifeln. Die vom Bundesamt aufgeworfene Frage, woher der Vorgesetzte des Klägers überhaupt bei dem Gespräch mit dem Kläger gewusst habe, dass der andere Mitarbeiter von den Taliban entführt worden sei, dürfte vom Kläger kaum abschließend zu beantworten sein. Nach der Erkenntnislage sind Regierungsmitarbeiter immer wieder Ziel von Angriffen der Taliban (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistan, Stand: Februar 2014, S. 15/16; UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 6. August 2013, S. 34 ff., zu Mitarbeitern des afghanischen Inlandsgeheimdienstes S. 38 f.); es erscheint daher durchaus möglich, dass der Vorgesetzte des Klägers wenige Tage nach dem Verschwinden des anderen Mitarbeiters Kenntnis erhielt oder zumindest den starken Verdacht hatte, dass dieser Mitarbeiter von den Taliban entführt worden war. Aus dem Vorbringen des Klägers, die Taliban hätten (nach dem Gespräch des Klägers mit seinem Vorgesetzten) die Forderung gestellt, dass im Austausch für den Entführten von den Amerikanern festgehaltene Taliban freikämen, ergibt sich zudem, dass zumindest später klar wurde, was mit dem anderen Mitarbeiter geschehen war. Der Vortrag des Klägers, sein Vater habe von seinem Vorgesetzten erfahren, dass den Taliban die Namen weiterer Geheimdienstmitarbeiter bekannt geworden seien, erklärt, warum der Kläger davon ausgeht, nun enttarnt und damit Zielscheibe der Taliban zu sein. Soweit der Kläger diesbezüglich auf einen seinem Vorgesetzten zugesandten Brief und ein Video der Taliban verweist, kann nach Auffassung des Gerichts dem Kläger nicht entgegen gehalten werden, dass er hierzu keine näheren Details nennen konnte, da er diese Informationen selbst nur aus zweiter Hand erhalten hatte. Auch die Darstellung des Klägers, er habe zwar den entführten Mitarbeiter nicht gekannt, er gehe aber aufgrund von dessen gehobener Position davon aus, dass dieser ihn gekannt habe, erscheint nachvollziehbar. Weiter spricht es aus Sicht des Gerichts nicht gegen die Glaubhaftigkeit des Vortrags des Klägers, dass sein Vorgesetzter ihm zwar geraten hatte, nicht nach Hause zu gehen, er selbst aber noch in seinem Büro war. Der Kläger wies darauf hin, dass er während seines Aufenthalts bei Verwandten mehrmals erfolglos versucht habe, seinen Chef telefonisch zu erreichen; es erscheint daher durchaus möglich, dass auch der Vorgesetzte des Klägers zu diesem Zeitpunkt Maßnahmen getroffen hatte, um sich vor Anschlägen der Taliban zu schützen. Schließlich hat das Gericht auch keine Zweifel an der Glaubhaftigkeit des klägerischen Vortrags zum Auftauchen der Taliban im Hause seiner Familie. Der Kläger führte aus, die Taliban seien bei seiner Familie erschienen, hätten ihn gesucht und seinen Vater geschlagen; seine Geheimdiensttätigkeit sei daher auch anderen Dorfbewohnern bekannt geworden. Der Mangel an näheren Details zu diesem Vorkommnis erklärt sich zum einen daraus, dass der Kläger selbst nicht zugegen war. Zum anderen erscheint es angesichts der von seinem Vater geschilderten Geschehnisse auch nicht unbedingt naheliegend, noch weitere Details zu diesem Vorfall zu erfragen, nachdem der Kläger wohl allein aufgrund dieser Umstände in Verbindung mit der Ermordung seines Kollegen von einer unmittelbaren Gefahr für sich ausging. Auch zur Organisation seiner Ausreise erscheinen die Angaben des Klägers glaubhaft. Danach hat ihm hierbei sein in ... lebender Cousin geholfen. Nach Auffassung des Gerichts erscheint es bei der vom Kläger angegebenen Verweildauer von zehn Tagen in ... möglich, in dieser Zeit die Ausreise zu organisieren. Schließlich sind auch die Bezugnahmen des Bevollmächtigten des Klägers im Schreiben vom 9. April 2010 auf das Vorbringen des Cousins des Klägers nach Auffassung des Gerichts nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit des Vortrags des Klägers selbst vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung in Zweifel zu ziehen. Das Schreiben des Bevollmächtigten wurde unmittelbar nach Einreise des Klägers und seines Cousins in das Bundesgebiet erstellt; die Bezugnahme auf das Vorbringen des Cousins des Klägers dient ersichtlich nur dazu, das Geschehen um die Flucht der beiden Cousins, das sich in Teilen überschneidet, im Groben zu umreißen, nicht aber auch schon das Verfolgungsgeschehen des Klägers detailliert wiederzugeben.

Nach Einschätzung des Gerichts muss der Kläger unmenschliche Behandlung bis hin zur Ermordung durch die Taliban befürchten. Das Auftauchen der Taliban beim Haus der Familie des Klägers, die Schläge gegen seinen Vater und die von den Taliban geäußerten Vorwürfe gegen den Kläger, für die Regierung zu arbeiten und für den Tod von Talibankämpfern mitverantwortlich zu sein, zeigen, dass die Taliban entschlossen waren, den Kläger für seine Tätigkeit beim Geheimdienst zur Rechenschaft zu ziehen. Nach der Auskunftslage greifen die Taliban systematisch und gezielt Zivilisten an, die tatsächlich oder vermeintlich die afghanische Regierung und die internationale Gemeinschaft unterstützen oder mit diesen verbunden sind (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 6. August 2013, S. 34 ff.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistan, Stand: Februar 2014, S. 15/16); auch Mitarbeiter des afghanischen Inlandsgeheimdienstes sind dabei Ziel von Anschlägen. Berichtet wird dabei von vielen Fällen der Ermordung oder Verstümmelung; auch Familienangehörige, selbst Kinder von Personen, die für die afghanischen nationalen Sicherheitskräften arbeiten, wurden zum Ziel von Angriffen der Taliban (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 6. August 2013, S. 39). Die Auskünfte, aber auch das vom Kläger geschilderte Schicksal seines Kollegen zeigen, dass Personen, die von den Taliban der Mitarbeit bei der Regierung verdächtigt werden, nicht lediglich schikaniert oder eingeschüchtert werden, sondern mit schweren Körperverletzungen bis hin zu ihrer Ermordung rechnen müssen. Vor diesem Hintergrund ist das Gericht auf der Grundlage des Vortrags des Klägers überzeugt, dass ihm im Falle einer Rückkehr die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung droht.

Die Taliban sind Akteure im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 3 c Nr. 3 AsylVfG von denen die Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgehen kann. Der Kläger wäre vor der ihm drohenden konkreten Gefahr auch durch den Staat nicht hinreichend geschützt. Eine Schutzfähigkeit des Staates vor Übergriffen Dritter ist im Hinblick auf die Verhältnisse im Herkunftsland des Klägers nicht gegeben. Wegen des schwachen Zustands des Verwaltungs- und Rechtswesens bleiben Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan häufig ohne Sanktionen (Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand März 2013, S. 13 f). Die nationale Polizei (ANP) wird bei der Durchsetzung von Recht und Gesetz ihrer Aufgabe trotz erster Fortschritte insgesamt noch nicht gerecht. Auch wenn zwischenzeitlich der quantitative Aufwuchs der afghanischen Sicherheitskräfte voran geht, so kann der qualitative Aufwuchs hiermit nicht Schritt halten (Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand: Januar 2012, S. 11 f.). Dementsprechend muss weiterhin davon ausgegangen werden, dass in der öffentlichen Wahrnehmung die ANP daher insgesamt noch kein Stabilitätsfaktor ist, sondern an vielen Orten sogar ein Unsicherheitsfaktor, in den die Bevölkerung wenig Vertrauen setzt (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand: Februar 2011, S. 12 f). Schwächen der „Afghan National Police“ sind dabei auch Korruption und Bestechung. In dem Themenpapier der Schweizerischen Flüchtlingshilfe hierzu wird ausgeführt, die Tatsache, dass die Polizeikräfte äußerst korrupt seien, zeige sich auch darin, dass verhaftete Personen teilweise selbst dann, wenn Beweise für eine Tat vorlägen, am nächsten Tag wieder freigelassen würden. Diesbezüglich habe sich auch die deutsche Bundeswehr mehr als einmal empört gezeigt über die Freilassung von Verdächtigen, welche sie den afghanischen Behörden übergeben hätten. Weiter sei bekannt, dass afghanische Sicherheitskräfte, welche in abgelegenen Gebieten stationiert seien, den Taliban teilweise Informationen lieferten, um im Gegenzug dazu nicht von diesen angegriffen zu werden (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Schutzfähigkeit der Afghan National Police und Sicherheitssituation in Kabul, 20.10.2011; S. 5). Auch sei die Polizei in massive Menschenrechtsverletzungen verwickelt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe a. a. O., S. 6). Es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger keinen wirksamen Schutz von staatlicher Seite, sei es durch die Polizei, sei es durch sonstige Strafverfolgungsbehörden, erlangen könnte.

Die Beweiserleichterung gemäß Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU kommt dem Kläger zugute, da der Kläger vor seiner Ausreise von einem ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG bereits unmittelbar bedroht war. Das vom Kläger geschilderte Auftauchen der Taliban bei seiner Familie, die geäußerten Vorwürfe gegen den Kläger und die Schläge gegen seinen Vater zeigen, dass nur die Tatsache, dass der Kläger nicht zu Hause war, ihn davor bewahrt haben, von den Taliban misshandelt oder getötet zu werden. Das Gericht kann im Rahmen der freien Beweiswürdigung keine stichhaltigen Gründe für eine Widerlegung der gesetzlichen Vermutung erkennen. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Taliban mittlerweile eine versöhnlichere Haltung gegenüber Regierungsmitarbeitern einnehmen würden.

Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger in seiner Eigenschaft als Mitarbeiter des Geheimdienstes an Handlungen beteiligt war, die zu einem Ausschluss des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 2 AsylVfG, führen könnten, sind nicht ersichtlich. Nach dem glaubhaften Vortrag des Klägers bestand seine Tätigkeit für den Geheimdienst ausschließlich im Beobachten und gesprächsweisen Sammeln von Informationen.

Für den Kläger besteht auch keine inländische Fluchtalternative (§ 4 Abs. 3 i. V. m. § 3e AsylVfG). Auch insoweit kommt ihm die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU zugute. Die Auskunftslage lässt nicht den gesicherten Schluss zu, dass der Kläger in anderen Landesteilen vor den Taliban sicher wäre. Nach den Erkenntnissen des UNHCR ist zu bedenken, dass einige Befehlshaber und bewaffnete Gruppen sowohl auf lokaler als auch auf zentraler Ebene agieren. In einigen Fällen sind sie eng mit der örtlichen Verwaltung verbunden, während sie in anderen Fällen Verbindungen zu mächtigeren und einflussreichen Akteuren einschließlich auf der zentralen Ebene verfügen und von diesen geschützt werden. Der Staat ist hierbei nicht in der Lage, Schutz vor Gefahren, die von diesen Akteuren ausgehen, zu gewährleisten. Die Verbindungen zu anderen Akteuren kann - abhängig vom Einzelfall - eine Person einer Gefahr aussetzen, die über das Einflussgebiet eines lokalen Befehlhabers hinausgeht, einschließlich in Kabul. Sogar in einer Stadt wie Kabul, die in Viertel eingeteilt ist, wo sich die Menschen zumeist untereinander kennen, bleibt eine Verfolgungsgefahr bestehen, da Neuigkeiten über eine Person, die aus einem anderen Landesteil oder dem Ausland zuzieht, potentielle Akteure einer Verfolgung erreichen können (UNHCR, Auskunft an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 30.11.2009, S. 4). Dass die Taliban auch in Kabul agieren und dort Unterstützer haben, zeigen insbesondere die wiederholten Anschläge, die trotz hoher Sicherheitsvorkehrungen von den Taliban in Kabul verübt werden. Nach einem im September 2011 für das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum „LandInfo“ veröffentlichten Bericht haben die Taliban ihre Operationen zur Beschaffung von Informationen laufend ausgeweitet. Einige Teile des Landes, vor allem der Süden aber auch der Südosten, der Osten sowie die Provinzen südlich und westlich von Kabul (Wardak, Logar), würden vollständig abgedeckt und dort gebe es wenig, was die Taliban nicht wüssten. Dies sei nicht zuletzt auf die weitgehende Infiltrierung der Polizei und der staatlichen Verwaltung zurückzuführen (vgl. Zitierung bei Accord: Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Fähigkeit der Taliban, Personen in ganz Afghanistan aufzuspüren und zu verfolgen, 15.2.2013, S. 3).

Nach alledem war der Klage auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylVfG stattzugeben. Über den hilfsweise gestellten Antrag auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG war aufgrund des Eventualverhältnisses nicht mehr zu entscheiden.

Weiter waren die Nrn. 3 und 4 des Bescheids des Bundesamts vom 10. Februar 2011 aufzuheben. Die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung von subsidiären Schutz lässt die negative Feststellung des Bundesamts, auch soweit sie die Ablehnung der Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG betrifft, angesichts des Eventualverhältnisses (vgl. BVerwG, U. v. 15.4.1997 - 9 C 19/96 - BVerwGE 104, 260) gegenstandslos werden, so dass der ablehnende Bescheid auch insoweit in Nr. 3 aufzuheben ist. Entsprechendes gilt im Hinblick auf die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung (vgl. die Ausführungen in Hailbronner, AuslR, Stand Oktober 2014, § 34 AsylVfG Rn. 83 zur alten Rechtslage, die im Hinblick auf § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AsylVfG auf die Gewährung von subsidiären Schutz übertragbar sind).

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83 b AsylVfG nicht erhoben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Tenor

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 07.09.2011 wird in Nr. 3 insoweit aufgehoben, als festgestellt wurde, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG a.F. (§ 60 Abs. 2 S. 1 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 1 AsylVfG n.F.) nicht vorliegt, und in Nr. 4 insoweit aufgehoben, als die Abschiebung nach Pakistan angedroht wurde.

Die Beklagte wird verpflichtet, festzustellen, dass zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 S. 1 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 1 AsylVfG hinsichtlich Pakistans vorliegt.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 5/6, die Beklagte zu 1/6; Gerichtskosten werden nicht erhoben.


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(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.

(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.

(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.

(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tatbestand

1

Der Kläger, ein irakischer Staatsangehöriger, erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm im Irak drohender Gefahren.

2

Der 1976 in Mosul geborene Kläger ist kurdischer Volkszugehöriger sunnitischen Glaubens. Zur Begründung des im Juli 2001 beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -) gestellten Asylantrags gab er an, dass er in Mosul ein Lebensmittelgeschäft betrieben habe. Eine von einem Kunden in seinem Laden abgestellte Tasche, die Flugblätter von Schiiten enthalten habe, sei von einem Unbekannten inspiziert worden. Sein Vater habe ihm daraufhin zur Flucht geraten und sei seinetwegen später verhaftet worden. Er befürchte, wegen des Vorfalls getötet oder lebenslang inhaftiert zu werden. Mit Bescheid vom 14. September 2001 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers ab, stellte jedoch fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (inzwischen § 60 Abs. 1 AufenthG) hinsichtlich des Irak vorliegen. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger aufgrund der illegalen Ausreise und der Asylantragstellung verfolgt werde.

3

Wegen der veränderten politischen Verhältnisse im Irak widerrief das Bundesamt am 16. März 2006 die Flüchtlingsanerkennung und stellte zugleich fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen.

4

Die hiergegen erhobene Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 1. Februar 2007 im Wesentlichen ausgeführt, der Widerruf sei rechtmäßig, weil der Kläger im Irak nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein keine Verfolgung mehr zu befürchten habe. Er könne auch keine Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bzw. subsidiären Schutz gemäß Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG beanspruchen. Im Irak liege kein landesweiter innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vor. Zudem habe der Kläger die Möglichkeit, in Teilen des Irak internen Schutz zu finden. Im Übrigen stehe die Erlasslage des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, die bei allgemeinen Gefahren vergleichbaren Abschiebungsschutz biete, der Gewährung richtliniengemäßen subsidiären Schutzes entgegen.

5

Während des Revisionsverfahrens hat der Kläger seine Revision hinsichtlich des Widerrufs der Flüchtlingsanerkennung zurückgenommen. Der erkennende Senat hat mit Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 44.07 - das Revisionsverfahren insoweit eingestellt. Im Übrigen hat er, soweit die Verpflichtung zur Feststellung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes aus § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG und hilfsweise nationalen Abschiebungsschutzes aus § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG begehrt wird, das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Zur Begründung hat er darauf abgestellt, dass § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG keinen landesweiten bewaffneten Konflikt voraussetze. Die zusätzliche Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger könne innerhalb des Irak internen Schutz finden, beruhe auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage. Schließlich verletze der Verweis auf die Aussetzung von Abschiebungen durch ministerielle Erlasse revisibles Recht. Denn § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG sei richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die Sperrwirkung nicht greife, wenn die Voraussetzungen des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG erfüllt seien.

6

Während des neuen Berufungsverfahrens hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass der Kläger im Besitz einer Niederlassungserlaubnis sei. Damit sei sein Aufenthalt gesichert und es komme auf subsidiären Schutz nicht mehr an.

7

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 21. Januar 2010 zurückgewiesen, soweit sie sich auf das noch anhängige Begehren zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bezieht. Die Berufung sei zulässig, denn für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis, obwohl der Kläger mittlerweile im Besitz einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG sei. Die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach Art. 18 der Richtlinie 2004/83/EG könne dem Kläger eine zusätzliche Rechtsposition vermitteln. Die Berufung sei aber unbegründet. Mit Blick auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG führt das Berufungsgericht aus, es könne dahinstehen, ob die im Irak seit 2003 andauernden und durch staatliche Sicherheitskräfte bekämpften terroristischen Handlungen nach Intensität und Größenordnung als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zu qualifizieren seien. Jedenfalls sei der Kläger keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt. An seinem Herkunftsort in Mosul bestehe keine so hohe Gefahrendichte, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt sei. Dies ergebe sich aus der Zahl der Anschläge und der Anzahl der Opfer im Verhältnis zur Einwohnerzahl. Die Wahrscheinlichkeit, durch einen Terroranschlag in der Provinz Ninive verletzt oder getötet zu werden, habe 2009 ca. 0,12 % oder ca. 1:800 pro Jahr betragen. Für eine Verschärfung der Sicherheitslage gebe es keine Anhaltspunkte. Gefahrerhöhende individuelle Umstände seien bei dem Kläger nicht ersichtlich. Die Voraussetzungen des hilfsweise begehrten nationalen Abschiebungsschutzes (§ 60 Abs. 7 Satz 1 und § 60 Abs. 5 AufenthG) lägen ebenfalls nicht vor.

8

Mit seiner vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision wendet sich der Kläger allein gegen die Ablehnung der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Er rügt, der Verwaltungsgerichtshof habe bei der Ermittlung der Gefahrendichte auf die im Rahmen der Gruppenverfolgung entwickelten Kriterien der Verfolgungsdichte abgestellt, ohne zwischen den Schutzsystemen zu differenzieren und die Besonderheiten des subsidiären Schutzes zu berücksichtigen. Auch seien die in das Verfahren eingeführten Quellen zur Häufigkeit von Anschlägen im Irak und zur Zahl der Toten und Verletzten nicht interpretiert und bewertet worden.

9

Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Klägers, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat die begehrte Verpflichtung zur Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes ohne Verstoß gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) abgelehnt.

11

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch das Verpflichtungsbegehren auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes. Die darüber hinausgehende Beschränkung des Revisionsantrags auf das Vorliegen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG erweist sich als unwirksam. Denn der geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 S. 12; ber. ABl EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (Urteile vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11 und vom 8. September 2011 - BVerwG 10 C 14.10 - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen - Rn. 16). Eine Revision kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 13).

12

Für diesen Verpflichtungsantrag ist, obwohl der Kläger mittlerweile eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG besitzt, entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten das Rechtsschutzinteresse nicht entfallen. Dieses Interesse fehlt nur, wenn die Klage für den Kläger offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann (Urteil vom 29. April 2004 - BVerwG 3 C 25.03 - BVerwGE 121, 1 <3>). Der Beklagten ist einzuräumen, dass sich nach nationalem Aufenthaltsrecht die Rechtsstellung eines Ausländers in der Situation des Klägers, der im Besitz einer Niederlassungserlaubnis gemäß § 26 Abs. 4 AufenthG ist, durch die Zuerkennung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes derzeit nicht verbessern kann. Diese Betrachtung greift aber zu kurz. Denn aus dem Umsetzungsdefizit des deutschen Gesetzgebers, der - entgegen den unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2004/83/EG im 5. Erwägungsgrund, in Art. 2 Buchst. f und in Art. 18 - den Status des subsidiär Schutzberechtigten im nationalen Recht nicht explizit ausgeformt hat, darf für den Kläger kein Nachteil entstehen (vgl. auch Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 13). Er hat daher ein legitimes Interesse, dass trotz seiner gesicherten aufenthaltsrechtlichen Stellung mit Blick auf diesen Schutzstatus und die damit einhergehenden Vergünstigungen über das Bestehen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots entschieden wird.

13

Die zulässige Klage ist aber unbegründet. Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen, nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und das Revisionsgericht daher bindenden tatsächlichen Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) greift keines der auf Unionsrecht beruhenden Abschiebungsverbote (§ 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG).

14

1. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Senats trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG und ist in diesem Sinne auszulegen (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 17 und Rn. 36).

15

Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob die im Irak seit 2003 andauernden und durch staatliche Sicherheitskräfte bekämpften terroristischen Handlungen nach Intensität und Größenordnung als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt anzusprechen sind, weil der Kläger auch bei Annahme eines derartigen Konflikts keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wären. Das hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.

16

a) Für seine Prognose, ob der Kläger bei Rückkehr in den Irak einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt ist, hat der Verwaltungsgerichtshof zu Recht auf die tatsächlichen Verhältnisse in seiner Herkunftsregion Mosul abgestellt. Dort hat der Kläger zuletzt gelebt, so dass die Annahme gerechtfertigt ist, dass er dorthin zurückkehren wird (Urteil vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 17).

17

b) Das Berufungsgericht hat des Weiteren zutreffend geprüft, ob von dem - zugunsten des Klägers unterstellten - bewaffneten Konflikt in der Region von Mosul für eine Vielzahl von Zivilpersonen eine allgemeine Gefahr ausgeht, die sich in der Person des Klägers so verdichtet, dass sie für diesen eine erhebliche individuelle Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG darstellt. Denn auch eine von einem bewaffneten Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr kann sich individuell verdichten und damit die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG und des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG erfüllen (Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 34).

18

Eine derartige Individualisierung kann sich bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben. Dazu gehören in erster Linie persönliche Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Möglich sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht bereits die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt (Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 4.09 - BVerwGE 136, 360 Rn. 33). Gefahrerhöhende individuelle Umstände hat das Berufungsgericht bei dem Kläger nicht festgestellt (UA S. 12); dem ist der Kläger mit der Revision auch nicht entgegengetreten.

19

Eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann aber auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (Urteil vom 14. Juli 2009 a.a.O. Rn. 15 mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07, Elgafaji - Slg. 2009, I-921 = NVwZ 2009, 705). Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 33).

20

In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Das ergibt sich aus dem Tatbestandsmerkmal "... tatsächlich Gefahr liefe ..." in Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG. Der darin enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab ("real risk"; vgl. nur EGMR (GK), Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi/Italien - NVwZ 2008, 1330 ); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 22 zu § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2004/83/EG).

21

Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Beweiserleichterung in Gestalt einer widerleglichen tatsächlichen Vermutung setzt aber auch im Rahmen des subsidiären Schutzes voraus, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem vor der Ausreise erlittenen oder damals unmittelbar drohenden Schaden (Vorschädigung) und dem befürchteten künftigen Schaden besteht. Denn die der Vorschrift zugrunde liegende Wiederholungsvermutung beruht wesentlich auf der Vorstellung, dass eine Verfolgungs- oder Schadenswiederholung - bei gleichbleibender Ausgangssituation - aus tatsächlichen Gründen naheliegt (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 31).

22

Eine für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr ausreichende Gefahrendichte hat das Berufungsgericht für den Bereich der Stadt Mosul verneint. Es hat - in Anlehnung an die Vorgehensweise zur Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts (vgl. dazu Urteil vom 18. Juli 2006 - BVerwG 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243 Rn. 20 ff.) - aufgrund aktueller Quellen die Gesamtzahl der in der Provinz Ninive und deren Hauptstadt Mosul lebenden Zivilpersonen annäherungsweise ermittelt und dazu die Häufigkeit von Akten willkürlicher Gewalt sowie der Zahl der dabei Verletzten und Getöteten in Beziehung gesetzt. Dabei hat es festgestellt, dass das Risiko, in der Provinz Ninive verletzt oder getötet zu werden, für das gesamte Jahr 2009 ungefähr 1:800 betrug. Einen Trend zur Verschlechterung der Sicherheitslage vermochte es nicht festzustellen (UA S. 12). Seine auf der Grundlage dieser Feststellungen gezogene Schlussfolgerung, dass der Kläger bei seiner Rückkehr in sein Herkunftsland keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt ist, ist revisionsgerichtlich im Ergebnis nicht zu beanstanden.

23

Zwar bedarf es - wie die Revision im Ansatz zu Recht rügt - neben dieser quantitativen Ermittlung auch einer wertenden Gesamtbetrachtung des statistischen Materials mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 33). Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Der Mangel in der Vorgehensweise des Berufungsgerichts bleibt aber im vorliegenden Fall ohne Folgen. Denn die Höhe des vom Berufungsgericht festgestellten Risikos eines dem Kläger drohenden Schadens ist so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass sich der Mangel im Ergebnis nicht auszuwirken vermag.

24

Auch der Umstand, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht auf die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG eingegangen ist, verhilft der Revision nicht zum Erfolg, denn das Vorfluchtschicksal des Klägers gab dazu keinen Anlass. Dieses lässt keine Beeinträchtigung erkennen, die auch unter dem Blickwinkel des Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG die Qualität einer Vorschädigung erreichen könnte. Zudem bestünde kein sachlicher Zusammenhang mit den nunmehr im Irak drohenden Gefahren.

25

2. Das Berufungsgericht hat auch die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2 und 3 AufenthG in den Blick genommen, sie aber nicht als durchgreifend angesehen. Dagegen bestehen aus revisionsgerichtlicher Sicht keine Bedenken.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten im vorliegenden Verfahren nur noch um die Feststellung eines Abschiebungsverbots in Bezug auf Afghanistan nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (sog. Qualifikationsrichtlinie).

2

Der 1972 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger paschtunischer Volkszugehörigkeit. Er stammt aus der südöstlich von Kabul gelegenen Provinz Paktia. Im Februar 2001 reiste er nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor, er habe Afghanistan verlassen, um sich einer erzwungenen Rekrutierung durch die Taliban zu entziehen.

3

Im Juli 2001 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - im Folgenden: Bundesamt - den Antrag auf Asyl- und Flüchtlingsanerkennung ab und verneinte das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 1 bis 4 AuslG, stellte aber fest, dass zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hinsichtlich Afghanistans besteht. Zur Begründung führte es aus, die vom Kläger geschilderte Rekrutierung durch die Taliban könne nicht zur Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung führen, da sie nicht an asylerhebliche Merkmale anknüpfe. Sie begründe jedoch ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG. Zwangsrekrutierungen junger Männer durch die Taliban oder die Nordallianz seien im ganzen Land üblich und drohten auch dem Kläger bei einer Rückkehr. Wenn der Kläger in die Armee gepresst und praktisch unvorbereitet in den heftig geführten Kämpfen eingesetzt werde, bestehe akute Gefahr für Leib und Leben.

4

Im Februar 2006 leitete das Bundesamt hinsichtlich des zuerkannten Abschiebungshindernisses ein Widerrufsverfahren ein, weil durch den Sturz der Taliban die Gefahr der Zwangsrekrutierung für den Kläger entfallen sei. Im Rahmen der Anhörung machte dieser geltend, bei ihm lägen nach wie vor individuelle Gründe für die Gewährung von Abschiebungsschutz vor. Sein Heimatdorf in der Provinz Paktia liege nahe der pakistanischen Grenze. Dort sei auch gegenwärtig eines der Hauptoperationsgebiete der Taliban. Für ihn bestehe die Gefahr einer Bestrafung durch die Taliban, weil er sich seinerzeit der Zwangsrekrutierung entzogen habe. Auch die Gefahr der Zwangsrekrutierung bestehe weiterhin. Er wisse von keinen in Afghanistan lebenden Verwandten mehr, die ihm Schutz oder Hilfe geben könnten. Sein Heimatdorf sei bombardiert und das Familienhaus zerstört worden. Seine dort lebende Verwandtschaft solle dabei ums Leben gekommen sein. Seine Ehefrau sei mit den Kindern nach Pakistan geflohen und habe dort in einem Dorf gelebt, das im Oktober 2005 durch ein Erdbeben zerstört worden sei. Seitdem habe er von ihnen kein Lebenszeichen mehr erhalten. Zudem träten bei ihm seit seiner Kindheit drei- bis viermal monatlich epileptische Anfälle auf, die sowohl ärztliche Behandlung als auch teure Medikamente erforderten. Außerdem leide er an einer posttraumatischen Belastungsstörung.

5

Mit Bescheid vom 29. Mai 2006 widerrief das Bundesamt gemäß § 73 Abs. 3 AsylVfG den zuerkannten Abschiebungsschutz und stellte fest, dass sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 6 AufenthG ebenfalls nicht vorliegen. Zumindest im Raum Kabul sei die Sicherheits- und Versorgungslage nicht derart schlecht, dass der Kläger bei einer Rückkehr dorthin "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde". Im Hinblick auf die persönliche Lebenssituation des Klägers als alleinstehender männlicher Erwachsener sei davon auszugehen, dass er im Kabuler Raum eine vergleichsweise stabile Existenzgrundlage finden werde. Er gehöre nicht zu den Personen, die aufgrund ihrer individuellen Situation besonders schutzbedürftig seien. Auch seine epileptischen Anfälle könnten in Kabul ebenso wie seine posttraumatische Belastungsstörung behandelt werden.

6

Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht im September 2007 abgewiesen. Der Widerruf sei zu Recht erfolgt, weil im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ein Abschiebungsverbot nach der jetzt maßgeblichen Nachfolgevorschrift zu § 53 Abs. 6 AuslG, dem § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, nicht bestehe. Auch das in Umsetzung von Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie nunmehr neu eingeführte Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liege im Falle des Klägers nicht vor. Ebenso wenig bestünden sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG. Nach dem Sturz des Taliban-Regimes brauche der Kläger eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban nicht mehr zu befürchten. Dass in der Provinz Paktia die Taliban wieder erstarkt und aktiv seien, sei unerheblich, weil der Kläger sich im Raum Kabul niederlassen könne. Dort sei auch eine Behandlung seiner Erkrankungen möglich. Für den Großraum Kabul könne ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, der zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers infolge willkürlicher Gewalt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG führe, nicht angenommen werden.

7

Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hatte Erfolg. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 11. Dezember 2008 das erstinstanzliche Urteil abgeändert, den Bescheid der Beklagten vom 29. Mai 2006 aufgehoben, soweit die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG widerrufen worden ist, und das Bundesamt verpflichtet, in Bezug auf Afghanistan das Vorliegen der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG festzustellen. Für den Kläger lägen in Bezug auf Afghanistan die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG vor. Dabei sei nach der zwischenzeitlichen Rechtsänderung durch Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes am 28. August 2007 aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes vorrangig auf das neu eingefügte Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG abzustellen. Die Voraussetzungen für ein solches Abschiebungsverbot lägen vor. In der Heimatregion des Klägers, der Provinz Paktia, herrsche derzeit ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt in Form von Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zwischen der afghanischen Regierungsarmee/ISAF/NATO einerseits und den Taliban und anderen oppositionellen Kräften andererseits. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt erfordere keine landesweite Konfliktsituation, sondern liege schon dann vor, wenn seine Voraussetzungen nur in einem Teil des Staatsgebietes erfüllt seien. Die Provinz Paktia liege im südöstlichen Afghanistan im sog. Paschtunengürtel und werde von Hilfsorganisationen und ausländischen Militärs inzwischen als eine der gefährlichsten Gegenden der Welt beschrieben. Die Taliban gewönnen im gesamten Südosten Afghanistans wieder an Stärke und betrachteten Paktia als Rückzugs- und Transitraum. Der Gouverneur der Provinz sei am 10. September 2006 von den Taliban ermordet worden, die während der Beerdigung noch ein Selbstmordattentat verübt hätten. Die Infiltration der Guerilla über die nahe pakistanische Grenze habe rapide zugenommen. In diesem paschtunisch geprägten Gebiet fänden vermehrt Überfälle und Selbstmordattentate der "Fundis der Neo-Taliban" statt. Der Verwaltungsgerichtshof stützt sich dabei auf ein Gutachten von Dr. D. vom Dezember 2006, einen Bericht von Amnesty International vom Januar 2007 sowie den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom März 2008 über den Anstieg gewaltsamer Übergriffe regruppierter Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte im Süden und Südosten Afghanistans.

8

Von diesem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt gingen für eine Vielzahl von Zivilpersonen Gefahren aus, die sich in der Person des Klägers im Falle seiner Rückkehr so verdichten würden, dass sie für ihn als Angehörigen der Zivilbevölkerung eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in Form von Bestrafung und/oder Zwangsrekrutierung durch die Taliban begründen würden, zumal zu seinen Gunsten im Sinne einer Beweislastumkehr der herabgemilderte Prognosemaßstab gemäß Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie heranzuziehen sei: Es sei nämlich davon auszugehen, dass der Kläger im Februar 2001 vor einer ihm drohenden Zwangsrekrutierung und/oder Bestrafung durch die Taliban aus seinem Heimatdorf geflüchtet sei. Die Schilderung des Klägers decke sich mit der Beschreibung der Zwangsrekrutierungspraktiken der Taliban in den Erkenntnismitteln des Bundesamts. Deshalb könne seinen Angaben auch nach Auffassung des Senats geglaubt werden. Es sprächen keine stichhaltigen Gründe dagegen, dass er bei einer Rückkehr wegen seiner Vorgeschichte von einer Bestrafung oder einer Zwangsrekrutierung durch die mit großem Rückhalt der dortigen Bevölkerung agierenden Taliban bedroht würde. Da die dem Kläger infolge des bewaffneten Konflikts drohende Gefahr danach nicht auf neuen, andersartigen verfolgungsbegründenden Umständen beruhe, sondern in einem inneren Zusammenhang mit den für seine Ausreise maßgeblichen Gründen stehe, sei die Anwendung der Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie gerechtfertigt.

9

Der Kläger könne schließlich nicht auf einen internen Schutz in einem anderen Teil Afghanistans verwiesen werden. Denn in anderen Landesteilen, insbesondere in dem wohl allein hier infrage kommenden Bereich der Hauptstadt Kabul, könne der aus der ländlichen Provinz stammende, ungelernte, kranke und seit knapp acht Jahren in Deutschland lebende Kläger angesichts der angespannten Arbeitsmarktsituation und der schlechten Sicherheits- und Versorgungslage sein Existenzminimum nicht sichern. Er verfüge in Kabul über keinerlei familiäres oder soziales Netzwerk oder über Ortskenntnisse. Zu den allgemeinen schwierigen Lebensbedingungen komme hinzu, dass er wegen seiner nachgewiesenen Epilepsie-Erkrankung zusätzlich gesundheitlich gefährdet und deshalb auch nur als sehr eingeschränkt arbeitsfähig anzusehen sei. In diesem Fall seien daher auch nach den vom Senat bisher zu Grunde gelegten strengen Maßstäben sogar die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach nationalem Recht in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen. Auch deshalb sei der angefochtene Widerrufsbescheid aufzuheben.

10

Die Beklagte wendet sich mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision nicht gegen die Aufhebung des Widerrufs des nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, sondern nur noch gegen die Verpflichtung zur zusätzlichen Feststellung eines gemeinschaftsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Sie macht geltend, es sei bereits fraglich, ob der Verwaltungsgerichtshof ordnungsgemäß nach den Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts festgestellt habe. Jedenfalls habe er keine hinreichend nachvollziehbaren Feststellungen dazu getroffen, warum gerade der Kläger aufgrund dieses Konflikts in eine Gefahr für Leib oder Leben geraten solle. Es sei weder festgestellt noch ersichtlich, dass der Kläger etwa einer Personengruppe angehöre, die aufgrund ihrer Stellung und Funktion besonderen Verfolgungsrisiken seitens fanatischer Islamisten ausgesetzt sein könnte. Er gehöre auch keiner religiösen oder ethnischen Minderheit an. Er sei vielmehr ein einfacher Bauer, der Afghanistan wegen seiner damaligen Befürchtung, zwangsrekrutiert zu werden, schon vor über acht Jahren verlassen habe. Dass genau diese Gefahr heute noch bestehen solle, nachdem der Kläger mit 36 Jahren zwar noch im wehrfähigen Alter, aber nach allen Feststellungen ein kranker Mann sei, sei nicht nachvollziehbar. Die Anwendung von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie sei rechtsfehlerhaft, weil die frühere und die etwaige künftige Gefahr nicht gleichartig seien. Von einer derartig hohen Gefahr, dass jedenfalls in der Provinz Paktia praktisch jeder überall und jederzeit einer Gefahr für Leib oder gar Leben ausgesetzt wäre, könne nach den Darstellungen des Verwaltungsgerichtshofs nicht gesprochen werden. Außerdem rügt die Beklagte in der Revisionsverhandlung zusätzlich eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch den Verwaltungsgerichtshof. Dieser habe über das erst in der Berufungsverhandlung vom Hilfsantrag zum Hauptantrag aufgewertete Begehren auf Feststellung des neuen gemeinschaftsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entschieden, ohne der in der Berufungsverhandlung nicht anwesenden Beklagten Gelegenheit zum Tatsachen- und Rechtsvortrag hierzu zu geben.

11

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

12

Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren und ist der Auffassung, der Verwaltungsgerichtshof habe zwar zutreffend einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Süden und Osten Afghanistans angenommen, er habe aber keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, dass dem Kläger eine individuelle erhebliche Gefahr infolge willkürlicher Gewalt drohe. Er habe insoweit Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie rechtsfehlerhaft angewandt. Insbesondere habe er nicht geprüft, ob stichhaltige Gründe dagegen sprächen, dass der Kläger heute noch eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban zu befürchten hätte. Hierzu hätte aber unter anderem angesichts des Alters und des Gesundheitszustandes des Klägers sowie der veränderten politischen Verhältnisse in Afghanistan Anlass bestanden. Das Berufungsgericht habe auch keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen zu den allgemeinen Konfliktgefahren wie etwa den Auswirkungen von Kampfhandlungen, Minen oder Bombardierungen für die Zivilbevölkerung im Herkunftsgebiet des Klägers getroffen.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision der Beklagten, die sich nicht gegen die Aufhebung des Widerrufsbescheides durch das Berufungsgericht, sondern nur gegen die zusätzliche Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG richtet, ist begründet. Zwar ist die von der Beklagten erhobene Verfahrensrüge unzulässig (1.), die Rüge der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) hat indes Erfolg (2.). Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG mit einer Begründung bejaht, die mit Bundesrecht nicht in vollem Umfang vereinbar ist. Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil in der Sache nicht abschließend entscheiden kann, ist das Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

14

1. Die von der Beklagten erhobene Verfahrensrüge ist schon deshalb unzulässig, weil sie nicht, wie nach § 139 Abs. 3 VwGO erforderlich, innerhalb der Revisionsbegründungsfrist geltend gemacht worden ist. Die Einhaltung dieser Frist war entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Im Übrigen fehlt es an der schlüssigen Darlegung der behaupteten Verletzung des rechtlichen Gehörs. Denn die Beklagte zeigt nicht auf, welches entscheidungserhebliche Vorbringen ihr durch die Heraufstufung des bisherigen Hilfsantrags des Klägers zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zum (weiteren) Hauptantrag in der Berufungsverhandlung abgeschnitten worden ist. Ihre Einwände gegenüber dem Begehren auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG hätte sie schon angesichts des entsprechenden Hilfsantrags vorbringen können und müssen.

15

2. Die Revision rügt dagegen zu Recht, dass die Berufungsentscheidung, soweit sie sich auf das Verpflichtungsbegehren auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bezieht, mit Bundesrecht nicht vereinbar ist.

16

a) Zutreffend ist der Verwaltungsgerichtshof allerdings davon ausgegangen, dass der (weitere) Hauptantrag auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zulässig ist. Zwar hat die Beklagte in der angefochtenen Widerrufsentscheidung vom 29. Mai 2006 nur das Vorliegen der seinerzeit geltenden ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 3 bis 6 AufenthG a.F. verneint. Dies hindert aber nicht, die mit Wirkung vom 28. August 2007 in das Aufenthaltsgesetz aufgenommenen neuen unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG, auf die sich der Kläger von Anfang an auch berufen hat, in das vorliegende gerichtliche Verfahren einzubeziehen. Diese Abschiebungsverbote beruhen auf Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 S. 12) - sog. Qualifikationsrichtlinie - und sind durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz - in das Aufenthaltsgesetz aufgenommen worden. Sie bilden nach der Rechtsprechung des Senats einen eigenständigen, vorrangig vor den verbleibenden nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu prüfenden Streitgegenstand (vgl. Urteile vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 9 und vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11 ff.). Ob und unter welchen Voraussetzungen dieser neue Streitgegenstand - ebenso wie in asylrechtlichen Antragsverfahren - auch in Widerrufsfällen hinsichtlich des subsidiären Schutzes nach § 73 Abs. 3 AsylVfG mit Inkrafttreten des Umsetzungsgesetzes am 28. August 2007 im gerichtlichen Verfahren kraft Gesetzes angewachsen ist, kann hier dahinstehen. Denn jedenfalls dann, wenn das Bundesamt in dem Widerrufsbescheid - wie hier - über sämtliche zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote sachlich entschieden hat, kann der Kläger die neuen, auf der Richtlinie beruhende subsidiären Abschiebungsverbote in das anhängige gerichtliche Verfahren einbeziehen. Insoweit bedarf es nicht eines erneuten Antrags beim Bundesamt und der Durchführung eines vorherigen Verwaltungsverfahrens. Damit wird auch der den Asylprozess beherrschenden Beschleunigungs- und Konzentrationsmaxime Rechnung getragen, nach der am Ende eines gerichtlichen Verfahrens grundsätzlich geklärt sein soll, ob und welchen (zielstaatsbezogenen) Abschiebungsschutz der Kläger zu diesem Zeitpunkt (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) genießt.

17

Der Zulässigkeit des Verpflichtungsbegehrens auf Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots steht entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht entgegen, dass das Berufungsgericht dem ersten Hauptantrag des Klägers (auf Aufhebung des Widerrufs der Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots) entsprochen hat und damit zu Gunsten des Klägers weiterhin ein Abschiebungsverbot nach nationalem Recht (jetzt nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) besteht. Denn ebenso wie der Ausländer im Antragsverfahren verlangen kann, dass vorrangig über das Vorliegen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG entschieden wird, und die Feststellung eines nachrangigen Abschiebungsverbots nach nationalem Recht einer solchen Entscheidung nicht entgegensteht, kann er auch im Widerrufsverfahren eine Klärung seiner vorrangigen Ansprüche in Bezug auf die unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote erstreiten. Er muss sich nicht darauf verweisen lassen, dass ihm bereits ein nachrangiges Abschiebungsverbot nach nationalem Recht zusteht. Der Kläger konnte daher sein Begehren auf Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots neben seinem Antrag auf Aufhebung des Widerrufsbescheides in zulässiger Weise zum Gegenstand eines (weiteren) Hauptantrags machen.

18

Das danach zulässige Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 oder Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist auch nicht deshalb unzulässig geworden, weil das Rechtsschutzinteresse des Klägers an einer solchen Feststellung im Lauf des Revisionsverfahrens entfallen wäre. Zwar ist dem Kläger - wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist - nach rechtskräftig gewordener Aufhebung des Widerrufs des Abschiebungsverbots nach § 53 Abs. 6 AuslG 1990/§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch das Berufungsurteil inzwischen von der Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt worden. Dies führt indes nicht zum Wegfall des Rechtsschutzinteresses an der Zuerkennung eines unionsrechtlich begründeten subsidiären Abschiebungsverbots. Denn die mit dem subsidiären Schutzstatus nach der Richtlinie verbundenen Rechte erschöpfen sich nicht in der Erteilung einer (befristeten) Aufenthaltserlaubnis, sondern können sich auch sonst in vielfältiger Weise zu Gunsten des Klägers auswirken (vgl. Art. 20 ff. der Richtlinie). Zudem würde es dem Sinn und Zweck der Richtlinie, die von einer Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Art. 18 der Richtlinie) ausgeht, widersprechen, wenn dem Kläger mit Rücksicht auf einen nach nationalem Recht erteilten befristeten Aufenthaltstitel eine Entscheidung über das Vorliegen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots versagt würde.

19

b) Die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass im Falle des Klägers die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in Bezug auf Afghanistan vorliegen, hält dagegen einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand.

20

Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Senats trotz teilweise geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie (Urteile vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 17, 36 und vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 11) und ist in diesem Sinne auszulegen.

21

Das Berufungsgericht hat zwar das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Herkunftsgebiet des Klägers zutreffend bejaht (aa). Seine Auffassung, dass der Kläger im Rahmen dieses Konflikts einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt wäre, ist aber mit den rechtlichen Anforderungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht in vollem Umfang vereinbar. Insbesondere reichen die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs nicht für die Annahme aus, dass dem Kläger wegen eines vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden ernsthaften Schadens die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie zugute kommt (bb). Außerdem fehlt es auch an ausreichenden Feststellungen dazu, dass die Situation in der Herkunftsregion des Klägers durch einen so hohen Grad willkürlicher Gewalt gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit dort einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre oder zumindest der Kläger als Zivilperson aufgrund gefahrerhöhender persönlicher Umstände in dieser Weise individuell bedroht wäre (cc).

22

aa) Bei der Prüfung des Vorliegens eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist der Verwaltungsgerichtshof von den im Urteil des Senats vom 24. Juni 2008 (a.a.O. Rn. 19 ff.) entwickelten Grundsätzen ausgegangen und hat den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts unter Berücksichtigung der Bedeutung dieses Begriffs im humanitären Völkerrecht ausgelegt, insbesondere in den vier Genfer Konventionen vom 12. August 1949 einschließlich der Zusatzprotokolle I und II vom 8. Juni 1977 - hier einschlägig: Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte - Zusatzprotokoll II - ZP II - (BGBl 1990 II S. 1550 <1637>). Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. An diesem Ansatz hält der Senat auch angesichts des inzwischen ergangenen Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07 - (Elgafaji, ABl EU 2009, Nr. C 90, 4) fest, das sich mit diesem Tatbestandsmerkmal nicht näher befasst hat. Auch soweit die Gerichte des Vereinigten Königreichs in ihrer neueren Rechtsprechung eine eigenständige Auslegung der Voraussetzungen des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie allein nach dessen Sinn und Zweck befürworten (Urteil des Court of Appeal vom 24. Juni 2009, QD and AH v. Secretary of State for the Home Department <2009> EWCA Civ. 620), gibt dies aus Sicht des Senats keinen Anlass, bei der Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts von dem bisherigen Ansatz abzurücken.

23

Der Ansatz des Senats sieht, wie sich aus den Ausführungen im Urteil vom 24. Juni 2008 (a.a.O. Rn. 19 ff.) im Einzelnen ergibt, keineswegs eine bedingungslose Übernahme der Anforderungen des Art. 1 ZP II vor, sondern zielt auf eine Orientierung an diesen Kriterien, wobei daneben oder ergänzend auch die Auslegung dieses Begriffs im Völkerstrafrecht berücksichtigt werden kann (Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 23). Die Orientierung am humanitären Völkerrecht bedeutet danach, dass einerseits - am unteren Rand der Skala - Fälle innerer Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen nicht als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt gelten (Art. 1 Abs. 2 ZP II) und andererseits - am oberen Rand der Skala - jedenfalls dann ein solcher Konflikt vorliegt, wenn die Kriterien des Art. 1 Abs. 1 ZP II erfüllt sind, d.h. wenn bewaffnete Konflikte im Hoheitsgebiet eines Staates zwischen dessen Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebietes des Staates ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll (ZP II) anzuwenden vermögen. Für zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegende Konflikte ist die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie nicht von vornherein ausgeschlossen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein gewisses Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Wie der Senat ausdrücklich hervorgehoben hat, findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts jedenfalls dort ihre Grenze, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für Zivilpersonen, die in ihrem Herkunftsstaat von willkürlicher Gewalt in bewaffneten Konflikten bedroht sind, entgegensteht. Mit Blick auf diesen Zweck setzt nach Auffassung des Senats das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie nicht zwingend voraus, dass die Konfliktparteien einen so hohen Organisationsgrad erreicht haben müssen, wie er für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 und für den Einsatz des Internationalen Roten Kreuzes erforderlich ist (vgl. Art. 1 Abs. 1 ZP II; im Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 22 noch offengelassen). Vielmehr kann es bei einer Gesamtwürdigung der Umstände auch genügen, dass die Konfliktparteien in der Lage sind, anhaltende und koordinierte Kampfhandlungen von solcher Intensität und Dauerhaftigkeit durchzuführen, dass die Zivilbevölkerung davon typischerweise erheblich in Mitleidenschaft gezogen wird. Entsprechendes dürfte auch für das Erfordernis gelten, dass die den staatlichen Streitkräften gegenüberstehende Konfliktpartei eine effektive Kontrolle über einen Teil des Staatsgebietes ausüben muss. Das bedeutet allerdings nicht, dass das Vorliegen eines dieser Merkmale bei der Gesamtwürdigung nicht als Indiz für die Intensität und Dauerhaftigkeit des Konflikts von Bedeutung sein kann.

24

Zusammenfassend betrachtet ist damit dem von der neueren britischen Rechtsprechung betonten Anliegen, die unterschiedlichen Zielsetzungen des humanitären Völkerrechts einerseits und des internationalen Schutzes nach der Qualifikationsrichtlinie andererseits zu beachten, hinreichend Rechnung getragen, ohne dass das Merkmal des bewaffneten Konflikts völlig losgelöst vom bisherigen Verständnis desselben Begriffs im humanitären Völkerrecht interpretiert und damit konturenlos und - entgegen dem Wortlaut der Vorschrift - praktisch entbehrlich würde.

25

Gemessen an diesen Kriterien reichen die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs für die Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Herkunftsgebiet des Klägers, der Provinz Paktia, aus. Nach den Feststellungen im Berufungsurteil finden im Osten und Süden Afghanistans zwischen den Truppen der ISAF/NATO und der afghanischen Armee einerseits und den Taliban und anderen oppositionellen Kräften andererseits bürgerkriegsähnliche bewaffnete Auseinandersetzungen statt. Dies betreffe auch die im südöstlichen Afghanistan im sog. Paschtunengürtel gelegene Provinz Paktia. Auch diese Region werde von den zunehmenden Kämpfen gegen die Taliban erfasst, deren Angriffe kriegsähnliche Dimensionen annähmen. Dies entspreche auch dem Bericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008, wonach seit Frühjahr 2007 vor allem im Süden und Osten des Landes ein Anstieg der gewaltsamen Übergriffe regruppierter Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte zu verzeichnen sei (UA S. 19 ff.). Diese Feststellungen sind jedenfalls mit Blick auf den Bericht des Auswärtigen Amtes noch ausreichend aktuell, um den Schluss auf einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in der Herkunftsregion des Klägers zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung zu rechtfertigen. Dass der Verwaltungsgerichtshof zum Organisationsgrad der Taliban keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen hat, ist nach den oben dargestellten Auslegungsmaßstäben unschädlich, da angesichts der festgestellten militärischen Stärke und "Erfolge" der Taliban in Teilen Afghanistans keine Zweifel am Vorliegen eines ausreichend intensiven und dauerhaften bewaffneten Konflikts bestehen. Vom Vorliegen eines nichtinternationalen bewaffneten Konflikts im Sinne des Völkerstrafrechts geht im Übrigen auch der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof für die Auseinandersetzungen zwischen den aufständischen Taliban und der afghanischen Regierung sowie der ISAF in Afghanistan aus (Presseerklärung vom 19. April 2010 Nr. 8/2010; vgl. hierzu auch Ambos, NJW 2010, 1725).

26

bb) Die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger bei einer Rückkehr als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben (einschließlich körperlicher Unversehrtheit) infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt wäre, hält dagegen einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat dies unter Anwendung der Beweiserleichterung nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie bejaht. Es ist davon ausgegangen, dass der Kläger 2001 vor einer ihm drohenden Zwangsrekrutierung oder/und Bestrafung durch die Taliban aus seinem Heimatdorf in der Provinz Paktia geflüchtet ist und keine stichhaltigen Gründe dagegensprechen, dass er bei einer Rückkehr dorthin wegen seiner Vorgeschichte von einer Bestrafung oder jedenfalls wegen seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der paschtunischen Männer im wehrfähigen Alter von einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban bedroht würde. Da die den Kläger infolge des bewaffneten Konflikts bedrohende Leib- und Lebensgefahr danach nicht auf neuen, andersartigen verfolgungsbegründenden Umständen beruhe, sondern in einem inneren Zusammenhang mit den zu seiner Ausreise führenden Gründen stehe, sei die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie gerechtfertigt (UA S. 23 f.). Die so begründete Anwendung der Beweiserleichterung im Rahmen des subsidiären Schutzes ist mit Bundesrecht nicht vereinbar.

27

(1) Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder solchem Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder solchem Schaden bedroht wird. Diese Beweiserleichterung in Gestalt einer widerleglichen gesetzlichen Vermutung gilt sowohl für den Flüchtlingsschutz als auch für den subsidiären Schutz nach der Richtlinie (vgl. auch § 60 Abs. 11 AufenthG). Sie setzt für den subsidiären Schutz voraus, dass der Antragsteller im Herkunftsstaat bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war (Vorschädigung). Was unter einem ernsthaften Schaden im Sinne der Richtlinie zu verstehen ist, ist in Art. 15 Buchst. a bis c der Richtlinie definiert.

28

Die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs rechtfertigen schon nicht den Schluss, dass der Kläger vor seiner Ausreise unmittelbar von einem ernsthaften Schaden in diesem Sinne bedroht war und damit die Voraussetzungen für das Eingreifen der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie überhaupt vorliegen. Dass der Kläger als Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Art. 15 Buchst. c der Richtlinie) ausgesetzt war, hat der Verwaltungsgerichtshof nicht festgestellt. Insofern fehlt es für den Zeitraum vor der Ausreise des Klägers sowohl an Feststellungen zum Vorliegen eines bewaffneten Konflikts in der Heimatprovinz des Klägers als auch an jeglichen Feststellungen zum Niveau willkürlicher Gewalt und ihren Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung. Ferner fehlt es an Feststellungen zum Bestehen einer Gefahr für Leib oder Leben des Klägers als Zivilperson.

29

Auch wenn man zu Gunsten des Klägers davon ausgeht, dass der vor der Ausreise erlittene oder unmittelbar drohende Schaden nicht notwendig ein solcher im Sinne des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie sein muss, sondern auch ein Schaden nach den anderen Alternativen dieser Vorschrift sein kann - jedenfalls sofern ein innerer Zusammenhang mit dem aktuell drohenden Schaden besteht - , reichen die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs für die Annahme eines dem Kläger vor der Ausreise unmittelbar drohenden ernsthaften Schadens nach den anderen Alternativen des Art. 15 der Richtlinie nicht aus. Der Sache nach käme vorliegend nur ein Schaden im Sinne von Art. 15 Buchst. b der Richtlinie, also eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung, wegen der vom Verwaltungsgerichtshof angenommenen, im Jahr 2001 drohenden Zwangsrekrutierung des Klägers seitens der Taliban oder einer damit zusammenhängenden Bestrafung in Betracht. Die Feststellungen im Berufungsurteil über die Umstände der Zwangsrekrutierung reichen indes für die Annahme einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK nicht aus. Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar die Überzeugung gewonnen, dass dem Kläger damals eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban drohte, und hat auch die näheren Umstände einer derartigen Rekrutierung (willkürlich, nach Gutdünken, ohne Rechtsgrundlage, Abtransport ohne Umstände in Militärfahrzeugen) festgestellt (UA S. 23), er hat aber keine Ausführungen dazu gemacht, dass und inwiefern darin oder in einer eventuellen Bestrafung im Falle der Verweigerung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK zu sehen ist. Die Zwangsrekrutierung zum Kriegsdienst stellt als solche ebenso wie die Tötung oder Verletzung im Krieg nicht ohne Weiteres eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in diesem Sinne dar. Zur Art und Weise einer Bestrafung enthält das Urteil ebenfalls keinerlei Feststellungen. Auch die Bezugnahme des Verwaltungsgerichtshofs auf die Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG 1990 durch den bestandskräftig gewordenen Bescheid des Bundesamts vom 18. Juli 2001 genügt insoweit nicht. Dieser betraf nicht die Zuerkennung von Abschiebungsschutz wegen Verletzung von Art. 3 EMRK (damals nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990), sondern von nationalem subsidiären Abschiebungsschutz wegen sonstiger Gefahren. Dabei wurde auf die akute Gefahr für Leib und Leben durch den unvorbereiteten Einsatz in der Armee bei heftig geführten Kämpfen abgestellt und damit auf eine Gefahr, die als solche keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK darstellt.

30

Da es an ausreichenden Feststellungen dazu fehlt, ob der Kläger vor der Ausreise von einem ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15 der Richtlinie unmittelbar bedroht war, besteht schon keine ausreichende Tatsachengrundlage für die Anwendung der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie. Auf die Frage des Zusammenhangs zwischen dem vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Schaden und dem aktuell drohenden Schaden sowie auf die Frage, ob stichhaltige Gründe dagegensprechen, dass der Kläger erneut von einem solchen Schaden bedroht wird, kommt es daher nicht mehr an.

31

Der Senat bemerkt allerdings, dass für das Eingreifen der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie nicht nur im Rahmen des Flüchtlingsschutzes sondern auch im Rahmen des subsidiären Schutzes erforderlich ist, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem früher erlittenen oder unmittelbar drohenden Schaden und dem befürchteten künftigen Schaden besteht. Denn die der Vorschrift zu Grunde liegende Vermutung, erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht zu sein, beruht wesentlich auch auf der Vorstellung, dass eine Verfolgungs- oder Schadenswiederholung - bei gleichbleibender Ausgangssituation - aus tatsächlichen Gründen naheliegt (vgl. auch Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - Rn. 21 zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen). Es ist deshalb im Einzelfall jeweils zu prüfen und festzustellen, auf welche tatsächlichen Schadensumstände sich die Vermutungswirkung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie erstreckt. Dabei erscheint es nicht ausgeschlossen, dass etwa ein erlittener Eingriff in die körperliche Unversehrtheit nach Art. 15 Buchst. b der Richtlinie durch eine der Konfliktparteien eines später entstandenen bewaffneten Konflikts, sofern nicht ohnehin eine Schutzgewährung nach dieser Alternative des Art. 15 der Richtlinie geboten ist, auch als ernsthafter Hinweis auf einen persönlichen gefahrerhöhenden Umstand im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie angesehen werden kann, der geeignet ist, schon bei einem nicht extrem hohen Niveau willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts eine erhebliche individuelle Bedrohung der betroffenen Zivilperson an Leib oder Leben anzunehmen. Dagegen dürfte sich die Vermutungswirkung insoweit nicht etwa auf das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts oder auf ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt gegen die Zivilbevölkerung erstrecken (vgl. hierzu unten (2)).

32

(2) Für die Zuerkennung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG fehlt es auch an ausreichenden Feststellungen dazu, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan als Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt wäre. Das in Art. 15 Buchst. c der Richtlinie genannte Merkmal der Bedrohung "infolge willkürlicher Gewalt" ist auch in der nationalen Umsetzungsvorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sinngemäß enthalten (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - a.a.O. Rn. 36). Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07 - (Elgafaji a.a.O.) das Erfordernis einer ernsthaften individuellen Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie dahingehend ausgelegt, dass es sich auf schädigende Eingriffe beziehe, die sich gegen Zivilpersonen ungeachtet ihrer Identität richteten, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreiche, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung im Sinne der Richtlinie ausgesetzt zu sein (Rn. 35). Mit Blick auf den 26. Erwägungsgrund und die Systematik des Art. 15 der Richtlinie bleibe dies allerdings einer außergewöhnlichen Situation vorbehalten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sei, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dass die fragliche Person dieser Gefahr individuell ausgesetzt wäre (Rn. 36, 37). Dies sei dahin zu präzisieren, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen müsse, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz habe, um so geringer sein werde, je mehr er möglicherweise zu belegen vermöge, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen sei (Rn. 39).

33

Aus diesem Verständnis der Vorschrift, das nach Auffassung des Senats der Sache nach den Ausführungen in seinem Urteil vom 24. Juni 2008 entspricht (vgl. Urteil vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 15), folgt, dass in jedem Fall Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt in dem betreffenden Gebiet getroffen werden müssen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Senats auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Insoweit können auch die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden (vgl. Beschluss vom 7. August 2008 - BVerwG 10 B 39.08 - juris Rn. 4 unter Hinweis auf das Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 35; ebenso das britische AIT, Urteil aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22./23. Juli 2009, Afghanistan CG <2009> UKAIT 00044, Rn. 124 ff.).

34

Hierbei ist nach den Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem Urteil vom 17. Februar 2009 (Elgafaji) davon auszugehen, dass nicht nur solche Gewaltakte zu berücksichtigen sind, die die Regeln des humanitären Völkerrechts verletzen (vgl. zu dieser Auffassung auch Urteil des Senats vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 37), sondern auch andere Gewaltakte, die nicht zielgerichtet gegen bestimmte Personen oder Personengruppen, sondern wahllos ausgeübt werden und sich auf Zivilpersonen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken (vgl. EuGH a.a.O. Rn. 34). Angesichts der Auslegung des Begriffs der willkürlichen Gewalt durch den Gerichtshof, aber auch mit Blick auf Sinn und Zweck der Schutzgewährung nach Art. 15 Buchst. c der Richtlinie kann dieser Vorschrift eine Beschränkung auf gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßenden Gewaltakte, zu denen etwa unvorhersehbare Kollateralschäden nicht zählen würden, nicht entnommen werden (so auch die neuere britische Rechtsprechung, Urteil des Court of Appeal vom 24. Juni 2009, QD and AH v. Secretary of State for the Home Department <2009> EWCA Civ. 620).

35

Den vorgenannten Anforderungen an die Feststellung des Niveaus willkürlicher Gewalt bzw. der Gefahrendichte genügt das Berufungsurteil nicht. So fehlt es schon an der zumindest annähernd ermittelten Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet zum maßgeblichen Zeitpunkt lebenden Zivilpersonen. Auch die Feststellungen zur Größenordnung der zivilen Opfer sind nur kursorisch und beziehen sich auf einen länger zurückliegenden Zeitpunkt (UA S. 20). Auch deshalb kann die Berufungsentscheidung insoweit keinen Bestand haben.

36

3. Eine abschließende Entscheidung des Senats auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts ist weder zu Gunsten noch zu Lasten des Klägers möglich. Insbesondere reichen, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, die Feststellungen des Berufungsgerichts über das Niveau willkürlicher Gewalt in der Herkunftsregion des Klägers in keinem Fall aus, um unabhängig von einer etwaigen zusätzlichen Bedrohung aufgrund gefahrerhöhender persönlicher Umstände eine individuelle Betroffenheit des Klägers im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie allein aufgrund seiner Anwesenheit in diesem Gebiet zu bejahen.

37

Das Verfahren ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Bei der erneuten Prüfung wird es gegebenenfalls auch die Gelegenheit haben, auf die von der Revision und dem Vertreter des Bundesinteresses in den Vordergrund gestellte Frage einzugehen, ob die inzwischen bekannt gewordene Erkrankung des Klägers an Epilepsie und sein aktueller Gesundheitszustand der Gefahr einer Zwangsrekrutierung entgegensteht.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.