Verwaltungsgericht München Urteil, 18. Apr. 2018 - M 11 K 17.32342

bei uns veröffentlicht am18.04.2018

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, wird das Verfahren eingestellt. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 25.01.2017 wird in Nr. 2 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger sub-sidiären Schutz (§ 4 Abs. 1 AsylG) zuzuerkennen.

II. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger ist ein nach seinen Angaben am … … … in Äthiopien geborener somalischer Staatsangehöriger mit der Volkszugehörigkeit der Ogaden. Er reiste ebenfalls nach eigenen Angaben am 9. September 2015 nach Deutschland ein.

Er stellte am 3. November 2015 in Deutschland einen Asylantrag. Am 21. Dezember 2016 fand die Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) statt. Der Kläger trug hierbei im Wesentlichen vor, weshalb er Äthiopien verlassen habe und was ihm dort zugestoßen sei. Insoweit wird auf die Niederschrift der persönlichen Anhörung beim Bundesamt (Bl. 43 ff. der Behördenakte) verwiesen. Ein Verfolgungsschicksal in Bezug auf Somalia trug der Kläger nicht vor.

Mit Bescheid vom 25. Januar 2017 lehnte es das Bundesamt jeweils ab, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen (Nr. 1), ihn als Asylberechtigten anzuerken nen (Nr. 2) und ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen (Nr. 3). Das Bundesamt stellte jedoch das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG fest (Nr. 4).

Die Ablehnung hinsichtlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wurde im Wesentlichen darauf gestützt, dass der Kläger durch seinen Sachvortrag eine Kausalität zwischen möglichen Verfolgungshandlungen und den Anknüpfungsmerkmalen des § 3b AsylG in Bezug auf sein Heimatland Somalia nicht habe substantiieren können. Eine solche sei auch aus sonstigen Gründen nicht ersichtlich. Weder gehöre der Kläger einer besonders vulnerablen Gruppe an, noch habe er vor seiner Ausreise eine exponierte Funktion innegehabt, was beides die Befürchtung begründen könnte, dass ihm nunmehr bei Rückkehr - trotz einer fehlenden Vorverfolgung - mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG drohten. Die Ablehnung hinsichtlich der Zuerkennung des subsidiären Schutzes wurde im Wesentlichen damit begründet, dass dem Kläger kein ernsthafter Schaden drohe. Insbesondere drohe ihm keine unmenschliche Behandlung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG, weil sein Vortrag nicht geeignet sei, zu einem für ihn abweichenden Ergebnis einer dennoch bestehenden individuellen Gefährdung zu gelangen. Ein ernsthafter Schaden sei weder explizit von ihm vorgetragen worden, noch sei ein solcher über die bereits bewerteten Umstände hinaus ersichtlich. Auch drohe ihm kein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Zwar sei davon auszugehen, dass in Somalia ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt bestehe oder zumindest nicht ausgeschlossen werden könne und der Kläger als Zivilperson sich daran nicht aktiv beteiligt habe. Der festgestellte Grad willkürlicher Gewalt erreiche jedoch nicht das für eine Schutzgewährung erforderliche hohe Niveau, demzufolge jedem Zivilisten allein wegen seiner Anwesenheit im Konfliktgebiet ohne weiteres Schutz zu gewähren sei. Im Übrigen wird auf die Begründung des Bescheids Bezug genommen.

Der Bescheid wurde dem Kläger am 27. Januar 2017 zugestellt.

Der Kläger ließ durch Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom *. Februar 2017, eingegangen bei Gericht am selben Tag, Klage gegen den Bescheid erheben.

In der mündlichen Verhandlung hat die Bevollmächtigte des Klägers die Klage hinsichtlich Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids zurückgenommen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 25.01.2017, Geschäftszeichen: … … … * …, in Nummer 2 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger subsidiären Schutz zuzuerkennen.

Mit weiterem Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom … Februar 2017 wurde die Klage begründet. In tatsächlicher Hinsicht wurde nichts Ergänzendes vorgetragen. In rechtlicher Hinsicht wurde ausgeführt, dass das Bundesamt zu Unrecht angenommen habe, dass der Kläger somalischer Staatsangehöriger sei. Der Kläger fühle sich zwar als Somali, ihm sei jedoch bewusst, dass er auf äthiopischem Staatsgebiet geboren und aufgewachsen sei. Das Verfolgungsschicksal habe er in Äthiopien erlitten. Es handele sich hierbei um politische Verfolgung. Falls von einer somalischen Staatsbürgerschaft des Klägers ausgegangen werde, wurde darauf hingewiesen, dass die Ogaden auch in Somalia nicht gut gelitten würden. Der Kläger müsste in ein Land zurückgehen, das er nicht kenne, in dem er sich bisher nie aufgehalten habe, in dem er keine Familie habe und in dem er als Ausländer gelte. In Somalia bestehe selbst in Mogadischu ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Zudem würde dem Kläger in Somalia politische Verfolgung durch die al-Shabaab-Miliz drohen, vor der der somalische Staat nicht schützen könne, sodass zumindest die Voraussetzungen des subsidiären Schutzes gegeben seien. Auf den Schriftsatz vom … Februar 2017 wird Bezug genommen.

Mit weiterem Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom … März 2018 wurde zudem noch darauf hingewiesen, dass der Kläger aufgrund seines Dialekts in Somalia sofort auffallen würden und umgehend nach Äthiopien abgeschoben werden würde. Dies würde für den Kläger zu einer intensiveren Verfolgung seitens der äthiopischen Behörden führen, da diesen bekannt sei, dass der Kläger und sein Vater in der ONLF gewesen seien. Der Kläger sehe aus wie ein Somali und spreche nur somalisch. Es wurde zudem Beweis angeboten, dass Somalia äthiopische Somali nach Äthiopien abschiebe durch Vorlage eines Berichts von World News vom 31. August 2017. Auf den Schriftsatz vom … März 2018 samt Anlage wird Bezug genommen.

Die Beklagte hat in der Folge die Behördenakten in elektronischer Form vorgelegt, sich in der Sache jedoch nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Die Klage hat - soweit über sie noch zu entscheiden war - Erfolg.

1. Soweit die Klage sich ursprünglich auch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und mithin gegen Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids gerichtet hat, ist hierüber nicht mehr zu entscheiden, da der Kläger in der mündlichen Verhandlung insoweit die Klagerücknahme erklärt hat. Diesbezüglich ist somit die Rechtshängigkeit entfallen, § 92 VwGO.

2. Im Übrigen ist die zulässige Klage begründet, da die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den subsidiären Schutz zuzuerkennen; der angefochtene Bescheid ist dementsprechend in Nummer 2 rechtswidrig und daher insoweit aufzuheben (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Der Kläger hat Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes, weil er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland Somalia ein ernsthafter Schaden droht (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG).

Zum maßgeblichen gegenwärtigen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) besteht jedenfalls in Süd- und Zentralsomalia nach wie vor ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Der aktuelle Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 1. Januar 2017 (im Folgenden: Lagebericht) formuliert hinsichtlich Süd- und Zentralsomalia, wo auch die Hauptstadt Mogadischu liegt, als zentrale Aussagen zur allgemeinen politischen Lage, dass dort in vielen Gebieten Bürgerkrieg herrsche und die somalischen Sicherheitskräfte mit Unterstützung der Militärmission der Afrikanischen Union AMISOM gegen die radikalislamistische, al-Quaidaaffiliierte al-Shabaab-Miliz kämpfen (Lagebericht, S. 5).

Der Kläger wäre im Falle einer Rückkehr im Rahmen dieses Konflikts einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt.

Eine entsprechende Gefahr kann sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch aus einer allgemeinen Gefahr für eine Vielzahl von Zivilpersonen im Rahmen eines bewaffneten Konflikts ergeben, wenn sich die Gefahr in der Person des betreffenden Ausländers verdichtet. Eine solche Verdichtung bzw. Individualisierung kann sich zum einen aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Ausländers ergeben. Sie kann zum anderen ausnahmsweise auch bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, U.v. 14.07.2009 - 10 C 9/08 - BVerwGE 134, 188). Bezugspunkt für die Gefahrenprognose ist dabei der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr, in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, U.v. 31.01.2013 - 10 C 15/12 - InfAuslR 2013, 241). Soweit sich eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr ausnahmsweise aus dem hohen Gefahrengrad für jede sich in dem betreffenden Gebiet aufhaltende Zivilperson ergibt, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte bedarf es neben der quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos einer wertenden Gesamtbetrachtung, die auch die medizinische Versorgungslage würdigt. Der bei Bewertung der entsprechenden Gefahren anzulegende Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei der Prüfung der tatsächlichen Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK (BVerwG, U.v. 17.11.2011 - 10 C 13/10 - NVwZ 2012, 454).

Maßgeblich für die Gefahrenprognose ist das Herkunftsland Somalia, dessen Staatsangehörigkeit der Kläger besitzt, auch wenn er in Äthiopien geboren und aufgewachsen ist. Da der Kläger nie in Somalia gelebt hat, kann eine Rückkehrregion kaum in sinnvoller Weise bestimmt werden. Das Gericht stellt daher hilfsweise auf die Haupt stadt Mogadischu ab, da angenommen werden kann, dass ein somalischer Staatsangehöriger, der nie in Somalia gelebt hat und über keine Verwandschafts- oder Clanbeziehungen in Somalia verfügt, sich am ehesten in Mogadischu niederlassen würde, da im somaliaweiten Vergleich die Clanzugehörigkeit dort wohl am wenigsten eine Rolle spielt.

Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt liegt nach Auffassung des Gerichts auch in Mogadischu weiterhin vor.

Vom Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist auszugehen, wenn die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen. Dafür, dass ein derartiger Konflikt angenommen werden kann, kommt es weder auf einen bestimmten Organisationsgrad der beteiligten bewaffneten Streitkräfte noch auf eine bestimmte Dauer des Konflikts an. Insbesondere ist für die Annahme eines bewaffneten innerstaatlichen Konflikts auch keine besondere Intensität des Konflikts notwendig, da die Intensität nur bei der Frage zu berücksichtigen ist, ob der Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass er auch zu einer Gefährdung im Sinne des Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG führt (BayVGH, U.v. 7.4.2016 - 20 B 14.30101 - juris Rn. 20 unter Hinweis auf die einschlägige Rspr. des EuGH).

Die Situation in Mogadischu stellt sich danach wie folgt dar:

Entsprechend der Zusammenfassung des Berichts des Auswärtigen Amtes vom 1. Januar 2017 hat Somalia den Zustand des „failed state“ überwunden, es bleibt aber ein fragiler Staat (Lagebericht, S. 4). Der vorhergehende Bericht vom 1. Dezember 2015 geht dagegen noch davon aus, dass sich Somalia auf dem Weg von einem „fai-led state“ zu einem fragilen Staatswesen befindet (Lagebericht, S. 4). Der Wortlaut der beiden Berichte ist bis auf minimale Nuancen gleich: Es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach. In vielen Gebieten der Gliedstaaten Süd-/Zentralsomalias und in der Hauptstadt Mogadischu herrscht Bürgerkrieg. In den von al-Shabaab befreiten Gebieten kommt es zu Terroranschlägen durch diese Miliz.

Der frühere Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 12. Juni 2013 verweist darauf, dass nach übereinstimmenden Schätzungen diverser VN-Organisationen und internationaler Nichtregierungsorganisationen im somalischen Bürgerkrieg 2007 bis 2011 über 20.000 Zivilisten zu Tode gekommen sind, davon der größte Teil in Süd- und Zentralsomalia. Im Jahr 2012 seien allein in Mogadischu mindestens 160 Zivilisten getötet worden. Außerdem habe es mindestens 6.700 Verletzte durch Kampfhandlungen gegeben (Lagebericht, S. 8).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich (BFA) geht demgegenüber in seiner detaillierten Analyse und auf Grundlage zahlreicher Quellen einschließlich der Rechtsprechung des EGMR im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia - vom 25.4.2016 (im Folgenden: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - S. 27) von Folgendem aus:

„Mogadischu bleibt weiterhin unter Kontrolle von Regierung und AMISOM. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass al Shabaab wieder die Kontrolle über Mogadischu erlangt. Der Rückzug der formalen Präsenz der al Shabaab aus Mogadischu ist dabei dauerhaft. Es gibt in der Stadt auch kein Risiko mehr, von der al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden. Es gibt in Mogadischu keine Clanmilizen und keine Clangewalt, auch wenn einzelne Clans angeblich noch in der Lage sein sollen, Angriffe führen zu können. In Mogadischu gibt es eine Präsenz von AMISOM, somalischer Armee und Polizei, sowie des Geheimdienstes NISA. Die Stadt ist generell sicher, auch wenn sie von al Shabaab bedroht wird. Es besteht keine Angst mehr, dass in Mogadischu wie der Bürgerkrieg herrschen könnte. Seit 2011 hat sich die Sicherheitslage in der Stadt sehr verbessert. Die größte Gefahr geht heute von terroristischen Aktivitäten der al Shabaab aus. Die Hauptziele dafür sind die Regierung und die internationale Gemeinde. Die Situation in Mogadischu ist nicht derartig, dass jeder Mensch in der Stadt einem Risiko entsprechend Artikel 3 EMRK ausgesetzt wäre. Die Stadtbewohner sind normalerweise nur dann betroffen, wenn sie zur falschen Zeit am falschen Ort sind. Jeder Stadtbürger kann sein eigenes Risiko weiter minimieren, indem er Gebiete oder Einrichtungen meidet, die klar als Ziel der al Shabaab erkennbar sind.“

Auch wenn man dies zugrunde legt, bedeutet das jedoch nicht, dass es dort zu keiner die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft ziehenden willkürlichen Gewalt mehr kommt. Eine die Einstufung eines bewaffneten innerstaatlichen Konflikts in Frage stellende wesentliche und ausreichend dauerhafte (vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2011/95/EU) Verbesserung der Sicherheitslage ist bisher auch in Mogadischu nicht festzustellen.

Al-Shabaab ist nach wie vor in der Lage, über die Peripherie in Randbezirke von Mogadischu einzudringen. Außerdem kann der Einfluss von al-Shabaab in Randbezirken von Mogadischu in der Nacht in der Peripherie größer werden (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, S. 29).

Das BFA führt zudem im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Sicherheitslage in Süd-/Zentralsomalia (S. 20 ff.) u.a. aus:

„Die Unsicherheit in den von der Regierung kontrollierten Gebieten, einschließlich Mogadischu, sowie politische Machtkämpfe behindern Fortschritte im Bereich der Justiz und die Reform des Sicherheitssektors. Politische Anstrengungen zur Etablierung von Bundesländern verstärkten die Clankämpfe in einigen Bereichen. Dabei kam es auch zu zahlreichen Todesopfern und Vertreibungen, z.B. zwischen Dir und Hawadle im Jänner 2015.

Auch Regierungstruppen und Clanmilizen geraten regelmäßig aneinander. Dadurch werden viele Zivilisten schwerverletzt bzw. getötet und deren Eigentum wird zerstört. In solchen Fällen bleibt Zivilisten nichts andres übrig als die Flucht zu ergreifen, da weder Clan- noch staatlicher Schutz gegeben ist. Neben den Kampfhandlungen gegen al Shabaab gibt es aus dem ganzen Land auch Berichte über Inter- und Intra-Clankonflikte um Land und Wasserressourcen.

Die Sicherheitslage in von der Regierung kontrollierten Städten bleibt also volatil. Al Shabaab ist nach wie vor in der Lage, auch auf die am schwersten bewachten Teile von Mogadischu oder anderer Städte tödliche Angriffe zu führen. Bei aller Fragilität der Lage hat aber auch UNHCR festgestellt, dass es Zeichen zunehmender Stabilität gibt. Seitens der Regierung, AMISOM und der internationalen Gemeinde gibt es Anstrengungen, die neu eroberten Bezirke zu stabilisieren. So wurden etwa nach Diinsoor unmittelbar Verwaltungsbeamte entsendet. Dass al Shabaab unter den gegenwärtigen Umständen Städte zurückerobert, in denen starke Garnisonen („strong-holds“) der AMISOM stationiert sind, ist sehr unwahrscheinlich.“

Die Zahl der Bombenanschläge in Mogadischu hat im Jahr 2013 gegenüber dem Jahr 2012 zugenommen (vgl. Bericht des Generalsekretärs der VN an den Sicherheitsrat vom 31.5.2013). Dass die al-Shabaab-Miliz relativ leicht prominente und theoretisch gut bewachte Ziele in der Hauptstadt angreifen kann, stellt nach Einschätzung von Beobachtern eine schwerwiegende Besorgnis für die Regierung dar und schwächt ihre Hoffnungen auf eine schnelle Rückkehr zur „Normalität“ in Somalia (vgl. Länderbericht der UK Border Agency zu Somalia vom 5.8.2013, dort Ziffer 1.28, S. 23).

Die Gewährleistung grundlegender Sicherheitsbedürfnisse ist in Mogadischu im Hinblick auf die schwierige bürgerkriegsbedingte Situation für Rückkehrer ohne entsprechendes Netzwerk nicht gewährleistet. In Mogadischu war im Jahr 2013 gegenüber dem Jahr 2012 keine Verbesserung bzw. eher eine Verschlechterung der Sicherheitslage festzustellen. Das ergibt sich bereits aus den vom Bundesamt im angefochtenen Bescheid unter Bezug auf die Datenbank von Armed Conflict Location & Event Dataset (ACLED; The Robert S. Strauss Center for International Security and Law, www.acleddata.com) benannten Zahlen. Danach fanden aufgrund von 588 sicherheitsrelevanten Vorfällen in Mogadischu im Jahr 2012 insgesamt 445 Personen den Tod. Die Anzahl der Vorfälle, bei denen Zivilisten beteiligt waren, belief sich auf 178. Zu Tode kamen hierbei 135 Angehörige der Zivilbevölkerung. Für das Jahr 2013 verzeichnete die ACLED 971 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 707 Toten. Die Anzahl der Vorfälle, bei denen Zivilisten betroffen waren, betrug 259, die Anzahl der Todesfälle unter Zivilisten 288. Im Jahr 2014 wurden insgesamt 739 Vorfälle mit 586 Toten registriert. In 235 Vorfällen waren Zivilisten betroffen, zu Tode kamen 268 Zivilisten. Für den Zeitraum 1. Januar 2015 bis 31. Oktober 2015 dokumentierte ACLED 416 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 426 Toten. Die Anzahl der Vorfälle mit Beteiligung von Zivilisten betrug 117. Bei diesen kamen 132 Angehörige der Zivilbevölkerung ums Leben. Im ersten Quartal 2016 wurden für die gesamte Region Banaadir einschließlich Mogadischu 66 Vorfälle mit 80 Toten genannt. Die aktuellsten verfügbaren Zahlen nach Maßgabe der Kurzübersicht von ACCORD, die auf den Daten von ACLED basieren, ergeben ein ähnliches Bild. Danach ergeben sich in der Region Banaadir für den Berichtszeitraum 1. Quartal 2017 120 Vorfälle mit 199 Toten und für das 2. Quartal 139 Vorfälle mit 192 Toten. Für das 4. Quartal ergeben sich bereits aus dem Anschlag vom 14. Oktober 2017 512 Tote und fast 300 Verletzte (Deutschland today vom 2.12.2017 auf Grundlage von AFP).

Entsprechend den Zahlen des BFA zu sicherheitsrelevanten Vorfällen in Mogadischu ist die Zahl der Handgranatenanschläge ab 2014 deutlich zurückgegangen und liegt nach den aktuellsten Zahlen bei ca. 15 Anschlägen/Quartal. Auch die Zahl der gezielten Attentate und Sprengstoffanschläge ist rückläufig. Im Gegenzug ist aber die Zahl der bewaffneten Auseinandersetzungen gestiegen, von durchschnittlich 22/Quartal im Jahr 2013 auf 36 im Jahr 2014 und 44 im Jahr 2015. Zudem differiert die Gefährdungssituation extrem stark von Bezirk zu Bezirk (vgl. zu den Zahlen im Einzelnen BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, S. 27 ff.; BFA, Analyse der Staatendokumentation Somalia - Lagekarten zur Sicherheitslage - vom 12.10.2015 - im Folgenden: Lagekarten - S. 22 ff.). Einzelne Bezirke liegen beim Gewaltniveau an der Spitze der landesweiten Skala terroristischer Gewalt. Werden noch die Zahlen bewaffneter Zusammenstöße hinzugezählt, müssen drei Bezirke (Yaqshiid, Hodan und Heliwaa) vermutlich als gewaltsamste Orte Somalias bezeichnet werden (BFA, Lagekarten, S. 30).

Zudem lässt die Vielzahl von Einzelmeldungen zu terroristischen Aktivitäten und bewaffneten Auseinandersetzungen in Süd- und Zentralsomalia einschließlich Mogadischu erkennen, dass auch in Mogadischu noch nicht von einer wesentlichen und ausreichend dauerhaften Verbesserung der Sicherheitslage auszugehen ist. So gab es im Juli 2015 wohl mindestens 28 Tote bei Anschlägen auf drei Hotels (Meldungen der Deutschen Welle vom 10.7.2015 - „Tote bei Anschlägen auf Hotels in Somalia“ und vom 27.7.2015 - „Tote bei Bombenexplosion in Mogadischu“). Wohl Ende August 2015 überrannten Kämpfer der al-Shabaab-Miliz gut 75 Kilometer südlich von Mogadischu einen Militärstützpunkt der AMISOM-Friedensmission der Afrikanischen Union, und richteten ein Blutbad an (Meldung der Deutschen Welle vom 1.9.2015 -„Viele Tote bei Anschlag auf AU-Soldaten in Somalia“). Bei einem Selbstmordanschlag auf den Amtssitz des somalischen Präsidenten im September 2015 gab es mindestens 12 Tote (Meldung von Focus Online vom 22.9.2015 - „Zwölf Tote nach Anschlag auf Präsidentensitz in Somalia“). Wohl Ende Oktober 2015 gab es im Südwesten des Landes zahlreiche Tote bei Kämpfen zwischen Regierungstruppen und der al-Shabaab-Miliz (Meldung vom Deutschlandfunk vom 1.11.2015 - „Viele Tote bei Kämpfen zwischen Regierungstruppen und Al-Shabaab“). Ebenfalls wohl Ende Oktober attackierten wohl Mitglieder der al-Shabaab-Miliz in Mogadischu unter Zündung von Autobomben ein Hotel, wobei nach Polizeiangaben wohl mindestens acht Menschen ums Leben kamen (Meldung von Spiegel online vom 1.11.2015 - „Angreifer zünden zwei Bomben - und stürmen Hotel“; Meldung der FAZ vom 2.11.2015 -„Terrorangriff auf Hotel in Mogadischu“). Auch aus Berichten der SZ vom 3. Juni 2016 („Immer noch stark genug“) und vom 26. Januar 2017 („Anschlag auf Hotel in Somalia“), der Neuen Zürcher Zeitung vom 28. Januar 2017 („Terroristen töten angeblich 57 kenianische Soldaten“) und der FAZ vom 20. Februar 2017 („Tote bei Anschlag in Somalia“) geht hervor, dass die al-Shabaab-Miliz ihre Anschlagserie in Somalia auch nach der Wahl des neuen Präsidenten fortsetzt.

Als weitere aktuelle schwere Anschläge im Jahr 2017 sind beispielhaft zu nennen ein Bombenanschlag vor einem Hotel am 13. März 2017, bei dem mindestens acht Menschen getötet wurden (http://de.euronews.com/2017/03/13/somalia-mindestens-acht-tote-bei-anschlag-in-mogadischu), ein Bombenanschlag am 5. April 2017 vor einem Restaurant in der Nähe des Ministeriums für Sicherheit, bei dem mindestens sieben Menschen ums Leben kamen (http://www.spiegel.de/politik/ausland/somalia-mehrere-tote-bei-anschlag-der-schabab-miliz-in-mogadischu-a-1142033.html), ein Bombenanschlag mit anschließender Geiselnahme in einer Pizzeria am 14. Juni 2017, wobei mindestens 20 Menschen getötet und weitere 35 verletzt wurden (http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-06/somalia-terror-anschlag-restaurant-shebab-miliz), ein Selbstmordattentat am 20. Juni 2017, bei dem 16 Menschen ums Leben kamen und 17 verletzt wurden (http://www.handelsblatt.com/politik/international/mogadischu-mindestens-16-tote bei-selbstmordanschlag-in-somalia/19956142.html), die Explosion einer Autobombe auf einer belebten Straße am 30. Juli 2017, bei der mindestens fünf Menschen getötet und weitere zehn verletzt wurden (http://derstandard.at/2000061996001/Fuenf-Tote-bei-Anschlag-in-Mogadischu) und zuletzt der Anschlag vom 14. Oktober 2017 mit 512 Toten und fast 300 Verletzten (Nachweis vgl. oben).

Umgekehrt finden in Süd- und Zentralsomalia weiterhin militärische Auseinandersetzungen mit der al-Shabaab statt (vgl. eine Darstellung der SchwerpunktOperationsgebiete bei BFA, Lagekarten, S. 11), die auch die Sicherheitslage in und um Mogadischu beeinflussen und insbesondere die Situation für die große Zahl an Binnenflüchtlingen weiter verschärfen. Die aktuelle Lage in Süd- und Zentralsomalia außerhalb von Mogadischu stellt sich entsprechend den Erkenntnismaterialien (vgl. neben dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes insbesondere BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation; BFA, Lagekarten; EASO, Country of Origin Information - Somalia Security Situation - vom Februar 2016 - im Folgenden: Country of Origin Information) wie folgt dar:

Die somalischen Sicherheitskräfte kämpfen mit Unterstützung der Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) gegen die radikalislamistische Miliz al-Shabaab. Die Gebiete sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der al-Shabaab oder anderer Milizen oder sind von AMISOM Offensiven betroffen. Al-Shabaab führt weiterhin Angriffe auf Stellungen der AMISOM und der somalischen Armee sowie auf zivile Ziele durch. Zivilisten kommen im Kreuzfeuer, durch Sprengsätze oder Handgranaten ums Leben oder werden verwundet. Aus verschiedenen Garnisonsstädten heraus werden Vorstöße tief ins Gebiet der al-Shabaab unternommen. Diese werden teilweise von Luftschlägen begleitet. Al-Shabaab betreibt auch asymmetrische Kriegsführung, gekennzeichnet durch Sprengstoffanschläge und komplexe Angriffe, von welchen Zivilisten überproportional betroffen sind. Daneben führt al-Shabaab auch gezielte Attentate und sog. hit-and-run-Angriffe aus.

Al-Shabaab wurde zwar aus Städten in Hiiraan, Bay, Bakool, Gedo und Lower Shabelle vertrieben. Es ist aber nicht möglich zu definieren, wie weit der Einfluss oder die Kontrolle von AMISOM und somalischer Armee von einer Stadt hinausreicht. Der Übergang zum Gebiet der al-Shabaab ist fließend und unübersichtlich. Im Umfeld (Vororte, Randbezirke) der meisten Städte unter Kontrolle von AMISOM und Regierung in Süd-/Zentralsomalia verfügt al-Shabaab über eine verdeckte Präsenz, in den meisten Städten selbst über Schläfer. Manche Städte unter Kontrolle von AMISOM und Regierung können als Inseln auf dem Gebiet der al-Shabaab umschrieben werden. Jedenfalls verfügt al-Shabaab über ausreichend Kapazitäten, um auch in Städten unter Kontrolle von AMISOM und Regierung asymmetrische Kriegsführung (hit-and-run-Angriffe, Sprengstoffanschläge, gezielte Attentate) anzuwenden. Es gibt in allen Regionen in Süd-/Zentralsomalia Gebiete, wo al-Shabaab Präsenz und Einfluss hat, und wo sie die lokale Bevölkerung zu Steuerzahlungen zwingt. Zudem hat der Vormarsch der AMISOM zu einer Überdehnung des Kontingents der AMISOM geführt. Eine Folge der Überdehnung waren die erfolgreichen Angriffe der al-Shabaab auf Stützpunkte in Leego (Region Bay) und Janaale. Als Konsequenz wurden schwach besetzte exponierte Kompaniestützpunkte geräumt (vgl. BFA, Lagekarten, S. 4, 10 und 32). Das ermöglicht der al-Shabaab, in ländlichen Bereichen wieder Kräfte zu bündeln und auch die eroberten Städte im Rahmen asymmetrischer Kriegsführung zu destabilisieren (vgl. EASO, Country of Origin Information, S. 25).

Eine verlässliche Bewertung der Gefahrendichte aufgrund einer quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos durch Gegenüberstellung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und der Akte willkürlicher Gewalt ist für Süd- und Zentralsomalia jedenfalls außerhalb von Mogadischu man gels belastbarer Zahlen nicht möglich. In vielen Regionen ist das Gewaltniveau sehr hoch (vgl. zur Provinz Hiraan BayVGH, U.v. 7.4.2016 - 20 B 14.30101 - juris Rn. 25, 26).

Die aus dem Bürgerkrieg in Süd- und Zentralsomalia resultierenden Flüchtlingsströme beschränken sich nicht auf die jeweiligen Konfliktgebiete, sondern haben seit Beginn des Bürgerkriegs auch die Clanzusammensetzung und die Sicherheitslage im Großraum Mogadischu beeinflusst und destabilisiert.

Insgesamt liegen daher auch für Mogadischu keine ausreichenden Anhaltspunkte für ein Ende des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts vor.

Das Gericht geht nach Maßgabe der Erkenntnislage, unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, U.v. 23.3.2017 - 20 B 15.30110 - juris Rn. 27 ff.), die sich aber ausschließlich auf die Gefahrenlage für Personen beschränkt, die keiner Risikogruppe angehören und ohne Vorverfolgung oder eine individuelle Bedrohung nach § 4 AsylG ausgereist sind, davon aus, dass die Sicherheitslage in Mogadischu weiterhin so volatil ist, dass für Personen mit individuellen gefahrerhöhenden Umständen eine für die Voraussetzungen von § 4 AsylG ausreichende Verdichtung der Gefahrenlage vorliegt.

Zu den gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehö rigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt (BVerwG, U.v. 17. 11. 2011 - 10 C 13/10 - juris Rn. 18).

Derartige Umstände liegen für den Kläger bezogen auf Mogadischu vor. Die individuelle Situation des Klägers stellt sich im Hinblick auf das vollständige Fehlen eines familiären oder clanbasierten Netzwerks und den Umstand, dass er nie in Somalia gelebt hat als besonders schwierig dar.

Der Kläger ist in Äthiopien geborener und aufgewachsener somalischer Staatsangehöriger mit der Volkszugehörigkeit Ogade. Er verfügt entsprechend seinen glaubhaften Angaben über keine Kontakte zu Verwandten mit festem Wohnsitz in Mogadischu oder anderswo in Somalia.

Mangels Familienangehörigen in Mogadischu bestünde für den Kläger eine beachtliche Gefahr, in einem der vielen Lager für Binnenflüchtlinge Zuflucht nehmen zu müssen.

Die individuellen Umstände in Verbindung mit der schwierigen Versorgungslage und der prekären Sicherheitslage führen nicht nur zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG aus humanitären Gründen, sondern begründen eine individuelle Verdichtung der für Zivilpersonen bestehenden Gefahrenlage im Rahmen des bestehenden bewaffneten Konflikts.

Entsprechend Zahlen der UNHCR gab es in Somalia im November 2015 schätzungsweise 1,1 Millionen Binnenflüchtlinge. Davon fanden sich ca. 369.000 in Mogadischu. Die AMISOM-Offensiven im Jahr 2015 und Dürre haben zur Vertreibung von weiteren 42.000 Personen geführt. Die Aufnahmekapazität der Zufluchtsgebiete ist begrenzt, und die Situation angesichts der mehr als einer Million Flüchtlinge sowie durch die Rückkehrer bzw. Flüchtlinge aus dem Jemen sehr angespannt. Brennpunkte sind dabei u.a. das Umland von Mogadischu mit Hunderttausenden Binnenvertriebenen (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, S. 84; EASO, Country of Origin Information, S. 26, 51).

Die Sicherheitslage in den Flüchtlingslagern in und um Mogadischu ist nicht mit der Sicherheitslage für Bewohner der Stadt zu vergleichen. Es mangelt den Binnenflüchtlingen an Schutz. Die Regierung und Regionalbehörden bieten nur unwesentlichen Schutz und Unterstützung. Dies ist vor allem auf die beschränkten Ressourcen und Kapazitäten sowie auf eine schlechte Koordination zurückzuführen. So sehen sich Binnenflüchtlinge der Diskriminierung sowie sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt. In Mogadischu sind dafür Regierungs- und alliierte Kräfte sowie Zivilisten verantwortlich. Viele der Opfer von Vergewaltigungen waren Frauen und Kinder in und um Mogadischu. Binnenflüchtlinge - und hier v.a. Frauen und Kinder -sind extrem vulnerabel. Humanitäre Hilfsorganisationen sehen sich Sicherheitsproblemen und Restriktionen ausgesetzt. Viele Binnenflüchtlinge leben in überfüllten und unsicheren Lagern und haben dort nur eingeschränkten Zugang zu Wasser, sanitären Einrichtungen und grundlegender Hygiene (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, S. 84, 85 m.w.N.). UNHCR unterstützt zwar auch weiterhin Binnenflüchtling-Rückkehrer aus Mogadischu. UNHCR und IOM unterstützen die organisierte Rückkehr von Binnenvertriebenen in Somalia, in erster Linie in den Regionen Shabelle und Bay. Bis Mitte 2013 konnten insgesamt 3.500 Familien im Rahmen des von UNHCR-Programms wieder in ihre Dörfer zurückkehren. Die Zahl von spontanen - also nicht mithilfe von UNHCR organisierten - Rückkehrern im gleichen Zeitraum wird auf 18.000 geschätzt. In Mogadischu kam es aber auch zur Vertreibung bzw. Zwangsumsiedlung von Binnenflüchtlingen (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, S. 84, 85 m.w.N.; vgl. auch Lagebericht, S. 8, 12, 16). Ent sprechend Daten der UNHCR wurden zwischen Januar und Oktober 2015 über 77.000 Binnenflüchtlinge gewaltsam von öffentlichen und privaten Grundstücken und Gebäuden in Mogadischu vertrieben. Viele von den Betroffenen sind gezwungen, in Gegenden umzusiedeln, wo Menschenrechtsverletzungen allgemein üblich, die Lebensbedingungen prekär und Versorgungseinrichtungen beschränkt oder nicht existent sind (vgl. EASO, Country of Origin Information, S. 54 m.w.N.). Ohne Unterstützernetzwerk ist es für Rückkehrer damit sehr schwierig, in Mogadischu zu überleben (EASO, a.a.O.).

Dementsprechend ist davon auszugehen, dass die vorhandenen Zahlen zu sicherheitsrelevanten Vorfällen und Todesfällen die Sicherheitslage in den Flüchtlingslagern nicht ausreichend abbilden und dort eine sehr hohe Dunkelziffer an Menschenrechtsverletzungen gegenüber Zivilisten besteht. Die Gefahrendichte dort ist nach Maßgabe einer wertenden Gesamtbetrachtung sehr hoch, Ausdruck der trotz der Vertreibung der al-Shabaab aus Mogadischu immer noch sehr volatilen bürgerkriegsbedingten Sicherheitslage und stellt insofern immer noch eine Folge des bewaffneten innerstaatlichen Konflikts dar.

Für den Kläger besteht zum gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt auch nicht die Möglichkeit internen Schutzes außerhalb von Mogadischu.

Nach § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG wird der subsidiäre Schutz einem Ausländer nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil des Herkunftslandes keine Gefahr eines ernsthaften Schadens oder Zugang zu Schutz vor einem ernsthaften Schaden nach § 3d AsylG hat (Nr. 1) und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2).

Sichere Zufluchtsgebiete sind schwierig zu bestimmen, da man je nach Ausweichgrund und persönlichen Umständen möglicherweise in einem anderen Gebiet Somalias dann von anderen Menschenrechtsverletzungen oder Verletzungen des Völkerrechts bedroht ist (Lagebericht S. 14). Das Clansystem hat weiterhin eine hohe Bedeutung. Es ist auch in den von der Regierung kontrollierten Gebieten von einer Diskriminierung im Lichte der Clanzugehörigkeit auszugehen (Lagebericht S. 8, 10 und 11). Demnach geht das Gericht auch weiterhin davon aus, dass es für den Kläger keine sicheren Zufluchtsgebiete geben dürfte.

Der Kläger hat deshalb Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1, Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

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(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

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(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt: 1. die Verhängung oder Vollstreckung der To

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(1) Der Kläger kann bis zur Rechtskraft des Urteils seine Klage zurücknehmen. Die Zurücknahme nach Stellung der Anträge in der mündlichen Verhandlung setzt die Einwilligung des Beklagten und, wenn ein Vertreter des öffentlichen Interesses an der münd

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3a Verfolgungshandlungen


(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen n

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3e Interner Schutz


(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er 1. in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und2. sicher und legal in diesen Landesteil r

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3b Verfolgungsgründe


(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen: 1. der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;2. der Begrif

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3d Akteure, die Schutz bieten können


(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden 1. vom Staat oder2. von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,sofern sie willens und in d

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Verwaltungsgericht München Urteil, 18. Apr. 2018 - M 11 K 17.32342 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).

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Tatbestand 1 Der Kläger, ein irakischer Staatsangehöriger, erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm im Irak drohender Gefahren.

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(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) Der Kläger kann bis zur Rechtskraft des Urteils seine Klage zurücknehmen. Die Zurücknahme nach Stellung der Anträge in der mündlichen Verhandlung setzt die Einwilligung des Beklagten und, wenn ein Vertreter des öffentlichen Interesses an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, auch seine Einwilligung voraus. Die Einwilligung gilt als erteilt, wenn der Klagerücknahme nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Rücknahme enthaltenden Schriftsatzes widersprochen wird; das Gericht hat auf diese Folge hinzuweisen.

(2) Die Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als zwei Monate nicht betreibt. Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und § 155 Abs. 2 ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen. Das Gericht stellt durch Beschluß fest, daß die Klage als zurückgenommen gilt.

(3) Ist die Klage zurückgenommen oder gilt sie als zurückgenommen, so stellt das Gericht das Verfahren durch Beschluß ein und spricht die sich nach diesem Gesetz ergebenden Rechtsfolgen der Zurücknahme aus. Der Beschluß ist unanfechtbar.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

Tatbestand

1

Der Kläger erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm in Afghanistan drohender Gefahren.

2

Der 1986 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er stammt aus der Provinz Helmand (Afghanistan), ist schiitischen Glaubens und gehört dem Volk der Hazara an. Im Februar 2009 reiste er nach Deutschland ein. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - lehnte seinen Asylantrag mit Bescheid vom 17. März 2010 ab. Zugleich stellte es fest, dass weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen, und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Afghanistan an.

3

Nach Rücknahme der Klage auf Asylanerkennung hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG hinsichtlich Afghanistans verpflichtet und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 27. April 2012 die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dem Kläger stehe weder unionsrechtlicher noch nationaler Abschiebungsschutz zu. Hinsichtlich eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG gebe es keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung drohe. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG sei nicht erkennbar. Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor. Da in Afghanistan kein landesweiter bewaffneter Konflikt herrsche, komme eine individuelle Bedrohung nur in Betracht, wenn sich der Konflikt auf den tatsächlichen Zielort bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat erstrecke. Dies sei die Herkunftsregion des Ausländers, in der er zuletzt gelebt habe bzw. in die er typischerweise zurückkehren könne und voraussichtlich auch werde. Der Kläger habe glaubhaft vorgetragen, dass er in seiner Heimatregion Helmand keine aufnahmebereiten Bekannten oder Verwandten und keine Existenzgrundlage mehr habe. Zudem habe er Angst vor einer dort lebenden Privatperson, außerdem befürchte er Diskriminierungen, denen seine Volksgruppe in Helmand in besonderem Maße ausgesetzt sei. Wolle bzw. werde der Kläger keinesfalls nach Helmand zurückkehren, sei auf das derzeit einzig mögliche Abschiebungsziel Kabul abzustellen. Dort herrsche kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt mehr. Die Sicherheitslage werde in Kabul, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet.

4

Dem Kläger stehe hinsichtlich Afghanistans auch nicht der hilfsweise begehrte nationale Abschiebungsschutz zur Seite. Es sei nicht ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte. Einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen der allgemein schlechten Lebensverhältnisse in Afghanistan stehe § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG entgegen. Eine extreme Gefahrenlage, bei der aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG ausnahmsweise nicht greife, liege für Kabul nicht (mehr) vor. Vielmehr sei eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul zu erkennen, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder Anbindung an lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehe. Der Senat sehe keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Im Falle des Klägers seien auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten.

5

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 60 Abs. 2, 5 sowie 7 Satz 1 und 2 AufenthG. Außerdem macht er Verfahrensfehler geltend und regt zur weiteren Klärung des Gehalts der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 und 7 Satz 2 AufenthG eine Vorlage an den EuGH an.

6

Die Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.

7

Der Vertreter des Bundesinteresses hat sich am Verfahren beteiligt.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet. Das Berufungsurteil verletzt hinsichtlich des vom Kläger mit seinem Hauptantrag verfolgten Begehrens auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes Bundesrecht. Das Berufungsgericht hat bei der im Rahmen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gebotenen Prüfung, ob am tatsächlichen Zielort des Klägers bei einer Rückkehr nach Afghanistan ein bewaffneter Konflikt besteht, nicht auf die Herkunftsregion des Klägers, sondern auf die Verhältnisse in Kabul als dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel abgestellt. Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil nicht selbst abschließend über die Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes entscheiden kann, ist das Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

9

1. Gegenstand des Verfahrens ist neben dem unionsrechtlichen Abschiebungsschutz weiterhin auch der vom Kläger hilfsweise begehrte nationale Abschiebungsschutz. Dem steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht die Zulassung der Revision allein mit der grundsätzlichen Bedeutung einer auf den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz zugeschnittenen Frage begründet hat. Die Urteilsformel enthält keine Beschränkung der Zulassung auf den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz. Der Umfang der Zulassung ist daher unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Rechtsmittelklarheit durch Auslegung zu ermitteln. Danach ist hier von einer uneingeschränkten Zulassung auszugehen. Die vom Kläger im Berufungsverfahren gestellten (Haupt- und Hilfs-)Anträge betreffen zwar unterschiedliche Streitgegenstände. Diese sind aber eng miteinander verflochten, insbesondere stellt sich die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage des maßgeblichen Anknüpfungsortes nicht nur beim unionsrechtlichen, sondern auch beim nationalen Abschiebungsschutz. Für eine uneingeschränkte Zulassung der Revision spricht im Übrigen auch die dem Berufungsurteil beigefügte Rechtsmittelbelehrung, die sich lediglich auf das Rechtsmittel der Revision bezieht.

10

2. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens auf Gewährung von Abschiebungsschutz ist grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 10). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte. Maßgeblich ist daher für das Revisionsverfahren das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 86). Unionsrechtlich finden sowohl die Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - Qualifikations-Richtlinie - vom 29. April 2004 (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24) Anwendung als auch die - während des Berufungsverfahrens in Kraft getretene - Neufassung durch die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 337 vom 20. Dezember 2011 S. 9). Für die in der Neufassung inhaltlich geänderten Bestimmungen wurde den Mitgliedstaaten eine Umsetzungsfrist bis zum 21. Dezember 2013 eingeräumt (Art. 39 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU) und es bleibt bis zum Ablauf dieser Frist bei der Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG (vgl. Art. 41 Abs. 2 i.V.m. Art. 40 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU). Hinsichtlich der unverändert übernommenen Bestimmungen gilt die Neufassung hingegen schon jetzt (vgl. Art. 41 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU).

11

3. Das Berufungsurteil verletzt in Bezug auf den vom Kläger primär begehrten unionsrechtlichen Abschiebungsschutz Bundesrecht. Die diesbezüglichen Vorgaben des Art. 15 der Richtlinie 2011/95/EU (früher: Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG) sind in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG - in überschießender Umsetzung - als absolute Abschiebungsverbote ausgestaltet und bilden einen eigenständigen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (Urteile vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 11 und vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 13 und 16).

12

3.1 Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG mit einer Begründung abgelehnt, die revisionsrechtlicher Prüfung nicht standhält. Nach dieser Vorschrift ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

13

Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieses - die Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU) umsetzenden - Abschiebungsverbots können auch dann erfüllt sein, wenn sich der bewaffnete Konflikt nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstreckt (Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 25). In diesem Fall ist Bezugspunkt für die Gefahrenprognose der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr. Das ist in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (Urteil vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 17 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07, Elgafaji - NVwZ 2009, 705 Rn. 40).

14

Das Berufungsgericht hat dies zutreffend zu Grunde gelegt. Es hat aber nicht geprüft, ob in der Herkunftsregion des Klägers ein bewaffneter Konflikt herrscht, sondern stattdessen auf die Verhältnisse in Kabul als dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel abgestellt, weil der Kläger keinesfalls nach Helmand zurückkehren wolle bzw. werde. Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 14. November 2012 (BVerwG 10 B 22.12 - juris Rn. 7) als geklärt gesehen hat, kommt es für die Frage, welche Region als Zielort der Rückkehr eines Ausländers anzusehen ist, aber weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Ein Abweichen von der Regel kann insbesondere nicht damit begründet werden, dass dem Ausländer in der Herkunftsregion die Gefahren drohen, vor denen ihm § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Schutz gewähren soll. Dies ergibt sich schon aus dem systematischen Zusammenhang der unionsrechtlichen Abschiebungsverbote mit den Bestimmungen über den internen Schutz (Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG; künftig: Art. 8 der Richtlinie 2011/95/EU). Kommt die Herkunftsregion als Zielort wegen der dem Ausländer dort drohenden Gefahr nicht in Betracht, kann er nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG auf eine andere Region des Landes verwiesen werden. Der Begriff des "tatsächlichen Zielortes der Rückkehr" ist daher kein rein empirischer Begriff, bei dem auf die tatsächlich wahrscheinlichste oder subjektiv gewollte Rückkehrregion abzustellen ist. Da es bei § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG um den Schutz vor den Gefahren eines - nicht notwendig landesweiten - bewaffneten Konflikts im Heimatstaat geht, kommt bei der Bestimmung des Ortes der (voraussichtlichen) tatsächlichen Rückkehr der Herkunft als Ordnungs- und Zuschreibungsmerkmal eine besondere Bedeutung zu. Ein Abweichen von der Herkunftsregion kann daher auch nicht damit begründet werden, dass der Ausländer infolge eines bewaffneten Konflikts den personalen Bezug zu seiner Herkunftsregion verloren hat, etwa weil Familienangehörige getötet worden sind oder diese Gebiete ebenfalls verlassen haben. Auch soweit die nachlassende subjektive Bindung zur Herkunftsregion durch Umstände begründet worden ist, die mittelbare Folgen des bewaffneten Konflikts sind (z.B. Beeinträchtigung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur, nachhaltige Verschlechterung der Versorgungslage), und es mangels Existenzgrundlage und Zukunftsperspektive eine nachvollziehbare Haltung ist, nicht in die Herkunftsregion zurückkehren zu wollen, behält diese für die schutzrechtliche Betrachtung grundsätzlich ihre Relevanz. Allerdings ist jedenfalls dann nicht (mehr) auf die Herkunftsregion abzustellen, wenn sich der Ausländer schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben. Durch eine solche freiwillige Ablösung verliert die Herkunftsregion ihre Bedeutung als Ordnungs- und Zurechnungsmerkmal und scheidet damit als Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose bei § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG aus.

15

Diese Ausdeutung des vom Gerichtshof der Europäischen Union - EuGH - (Urteil vom 17. Februar 2009 a.a.O. Rn. 40) verwandten Begriffs des tatsächlichen Zielorts der Rückkehr kann vorgenommen werden, ohne diesem die Rechtssache zur Vorabentscheidung vorzulegen. Der EuGH hat den Begriff in seinem Urteil vom 17. Februar 2009 zwar nicht abschließend definiert. Die hier entfaltete Auslegung trägt aber dem Zweck der Vorschriften über den internen Schutz Rechnung und folgt damit der Vorgabe des EuGH, die Auslegung nationalen Rechts so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen und auf diese Weise Art. 249 Abs. 3 EG (inzwischen: Art. 288 AEUV) nachzukommen (EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 a.a.O. Rn. 42).

16

Das Berufungsurteil verstößt nach den vorstehenden Grundsätzen gegen Bundesrecht, weil es für das Bestehen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nicht die Verhältnisse in der Herkunftsregion des Klägers in den Blick genommen, sondern auf die Lage in Kabul als dem voraussichtlichen Zielort einer Abschiebung abgestellt hat. Den Feststellungen des Berufungsgerichts ist aber nicht zu entnehmen, dass der Kläger sich vor seiner Ausreise dauerhaft in einer anderen Region als Helmand niedergelassen hat. Er ist zwar zunächst mit seiner Lebensgefährtin nach Kabul (und später in den Iran zu seiner Schwester) gegangen. Dies geschah nach seinen Angaben aber allein aus Angst vor dem Vater seiner Lebensgefährtin; zur Dauer und den näheren Umständen des Aufenthalts in Kabul enthält das Berufungsurteil keine Feststellungen. Die vom Berufungsgericht angeführten Erwägungen, warum der Kläger nicht nach Helmand zurückkehren wolle bzw. werde, lassen die Relevanz der Heimatregion für die Gefahrenprognose bei einem bewaffneten Konflikt nicht entfallen.

17

3.2 Das Berufungsurteil beruht auf diesem Fehler. Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine tatsächlichen Feststellungen zur Lage in der Provinz Helmand getroffen. Ob in dieser Region ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrscht und dem Kläger dort die in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG definierte Gefahr droht, kann daher revisionsgerichtlich weder festgestellt noch ausgeschlossen werden.

18

3.3 Die Entscheidung erweist sich hinsichtlich des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO) oder unrichtig, so dass der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden kann.

19

a) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG scheidet nicht schon deshalb aus, weil der Kläger - einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in seiner Herkunftsregion unterstellt - in Kabul internen Schutz finden könnte. Dies würde nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG voraussetzen, dass für den Kläger in Kabul nicht nur keine Gefahr besteht, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, sondern von ihm auch vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält.

20

Auch hierzu fehlen hinreichende tatrichterliche Feststellungen. Das Berufungsgericht hat in Bezug auf Kabul zwar festgestellt, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG nicht vorliegen, weil dort keine extreme Gefahrenlage herrsche und zu erwarten sei, dass Rückkehrer durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Nach Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG muss beim internen Schutz die Existenzgrundlage aber so weit gesichert sein, dass vom Ausländer vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält. Dieser Zumutbarkeitsmaßstab geht über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus; weiterhin offenbleiben kann, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen (vgl. Urteil vom 29. Mai 2008 - BVerwG 10 C 11.07 - BVerwGE 131, 186 Rn. 35).

21

b) Umgekehrt kann auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen auch nicht davon ausgegangen werden, dass das Berufungsurteil hinsichtlich des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes aus anderen Gründen unrichtig ist. Das Berufungsgericht hat vor allem im Ergebnis zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG verneint. Ein solches Abschiebungsverbot ergibt sich - entgegen der Auffassung der Revision - insbesondere nicht aus den allgemeinen humanitären Verhältnissen in Afghanistan.

22

Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Mit diesem Abschiebungsverbot wird Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU) umgesetzt. Die Europäische Kommission hat sich bei der Formulierung dieser Richtlinienbestimmung an Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685) - EMRK - orientiert und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - Bezug genommen (Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen vom 12. September 2001 KOM <2001> 510 endgültig S. 6, 30). Die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK ist bei der Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG auch über Art. 19 Abs. 2 der Grundrechte-Charta (ABl EU 2010 Nr. C 83, 389) - GR-Charta - zu berücksichtigen. Danach darf niemand in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn das ernsthafte Risiko der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht. Dies gilt nach Art. 51 Abs. 1 GR-Charta auch für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union. Nach den gemäß Art. 52 Abs. 7 GR-Charta bei ihrer Auslegung gebührend zu berücksichtigenden Erläuterungen (ABl EU 2007 Nr. C 303 S. 17 = EuGRZ 2008, 92) wird durch die Regelung in Art. 19 Abs. 2 GR-Charta die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK in Auslieferungs-, Ausweisungs- und Abschiebungsfällen übernommen (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 15 und 17).

23

Entgegen der Auffassung der Revision ist der neueren Rechtsprechung des EGMR nicht zu entnehmen, dass sich der Maßstab für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bei Abschiebungen in Staaten mit schwierigen Lebensbedingungen nach den "für alle Menschen gleich geltenden Mindeststandards einer Behandlung" bestimmt. Entsprechendes ergibt sich insbesondere nicht aus der Entscheidung des EGMR im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/06 - NVwZ 2011, 413). Bereits in seinem Beschluss vom 25. Oktober 2012 (BVerwG 10 B 16.12 - juris Rn. 8 f.) hat der Senat dargelegt, dass der EGMR davon ausgeht, dass die Staaten - unbeschadet ihrer vertraglichen Verpflichtungen einschließlich derer aus der Konvention selbst - das Recht haben, die Einreise fremder Staatsbürger in ihr Hoheitsgebiet zu regeln (EGMR, Urteile vom 28. Mai 1985 - Nr. 15/1983/71/107-109, Abdulaziz u. a./Vereinigtes Königreich - NJW 1986, 3007 Rn. 67; vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 54 und vom 28. Juni 2012 - Nr. 14499/09, A.A. u.a. - Rn. 71). Die Abschiebung durch einen Konventionsstaat kann aber dessen Verantwortlichkeit nach der Konvention begründen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. In einem solchen Fall ergibt sich aus Art. 3 EMRK die Verpflichtung, die Person nicht in dieses Land abzuschieben (stRspr, EGMR, Urteile vom 7. Juli 1989 - Nr. 1/1989/161/217, Soering/Vereinigtes Königreich - NJW 1990, 2183 Rn. 90 f. und vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi/Italien - NVwZ 2008, 1330 Rn. 125). Allerdings können Ausländer kein Recht aus der Konvention auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach dieser Rechtsprechung allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (EGMR, Urteil vom 27. Mai 2008 - Nr. 26565/05, N./Vereinigtes Königreich - NVwZ 2008, 1334 Rn. 42). So hat der EGMR ein Abschiebungsverbot aus Art. 3 EMRK zugunsten eines im fortgeschrittenen, tödlichen und unheilbaren Stadiums an Aids Erkrankten angenommen, weil die Abschiebung seinen Tod beschleunigen würde, er keine angemessene Behandlung erreichen könne und kein Beweis für irgendeine mögliche moralische oder soziale Unterstützung im Zielstaat zu erbringen sei (EGMR, Urteil vom 2. Mai 1997 - Nr. 146/1996/767/964, D./Vereinigtes Königreich - NVwZ 1998, 161 Rn. 52 f.). Zusammenfassend führt der Gerichtshof zur Herleitung eines Abschiebungsverbots aus Art. 3 EMRK aufgrund von Krankheiten aus, dass angesichts der grundlegenden Bedeutung von Art. 3 EMRK im System der Konvention zwar eine gewisse Flexibilität notwendig sei, um eine Ausweisung (expulsion) in besonderen Ausnahmefällen zu verhindern. Doch verpflichte Art. 3 EMRK die Staaten nicht, Fortschritte in der Medizin sowie Unterschiede in sozialen und wirtschaftlichen Standards durch freie und unbegrenzte Versorgung von Ausländern ohne Bleiberecht zu beseitigen (EGMR, Urteil vom 27. Mai 2008 a.a.O. Rn. 44).

24

Wie der Senat in seinem Beschluss vom 25. Oktober 2012 (a.a.O. Rn. 9) ausgeführt hat, ist diese gefestigte Rechtsprechung durch das Urteil der Großen Kammer vom 21. Januar 2011 (a.a.O.) im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland nicht grundsätzlich revidiert worden. Dieses Urteil verhält sich - entgegen der Auffassung der Revision - erkennbar nicht zu den "für alle Menschen gleich geltenden Mindeststandards einer Behandlung". Zwar hat der EGMR eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch das Königreich Belgien als abschiebenden Staat angenommen, weil der betroffene Asylantragsteller mit seiner Überstellung an Griechenland als Signaturstaat der EMRK einer Situation äußerster materieller Armut ausgeliefert worden sei, was den belgischen Behörden bewusst gewesen sei (Rn. 263 f., 366 f.). Jedoch erstreckt diese Entscheidung den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ausdrücklich nicht allgemein auf soziale Leistungsrechte; der EGMR betont vielmehr die Fortgeltung seiner insoweit sehr zurückhaltenden Rechtsprechung (Rn. 249 m.w.N.) und begründet seine Entscheidung mit dem Schutz der Menschenwürde von Personen, die - in einem ihnen völlig fremden Umfeld - vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig sind und behördlicher Gleichgültigkeit gegenüberstehen, obwohl sie sich in ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befinden (Rn. 253). Als eine hiernach in Betracht zu ziehende Personengruppe führt der EGMR die Gruppe der Asylsuchenden an, die er als besonders verletzlich und schutzbedürftig qualifiziert (Rn. 251, 259).

25

Dass damit keine generelle Erstreckung des Schutzes nach Art. 3 EMRK auf zu gewährleistende Standards im Heimatstaat des Betroffenen einhergeht, ergibt sich auch aus nachfolgenden Urteilen des EGMR (vgl. Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 9 m.w.N.). In seinem Urteil vom 28. Juni 2011 im Verfahren Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich (Nr. 8319/07 - NVwZ 2012, 681) stellt der EGMR nochmals klar, dass in Abschiebungsfällen nur zu prüfen ist, ob unter Berücksichtigung aller Umstände ernstliche Gründe für die Annahme nachgewiesen worden sind, dass der Betroffene im Fall seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr liefe, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Wenn eine solche Gefahr nachgewiesen ist, verletzt die Abschiebung des Ausländers notwendig Art. 3 EMRK, einerlei, ob sich die Gefahr aus einer allgemeinen Situation der Gewalt ergibt, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (Rn. 218). Zugleich weist der EGMR darauf hin, dass die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Bestimmungsland hingegen nicht notwendig für die Frage bedeutend und erst recht nicht dafür entscheidend sind, ob der Betroffene in diesem Gebiet wirklich der Gefahr einer Misshandlung unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Denn die Konvention zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Die grundlegende Bedeutung von Art. 3 EMRK macht nach Auffassung des EGMR aber eine gewisse Flexibilität erforderlich, um in sehr ungewöhnlichen Fällen eine Abschiebung zu verhindern. In ganz außergewöhnlichen Fällen können daher auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind (Rn. 278). Nur soweit die schlechten humanitären Bedingungen - wie in Somalia - nicht nur oder überwiegend auf Armut oder fehlende staatliche Mittel beim Umgang mit Naturereignissen zurückzuführen sind, sondern überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückgehen, hält der EGMR das im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (a.a.O.) entwickelte Kriterium für besser geeignet, nach dem die Fähigkeit des Beschwerdeführers berücksichtigt werden muss, seine elementaren Bedürfnisse zu befriedigen, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, weiter seine Verletzlichkeit für Misshandlungen und seine Aussicht auf eine Verbesserung der Lage in angemessener Zeit (Rn. 282 f.).

26

Welche Anforderungen sich aus dieser Rechtsprechung des EGMR im Einzelnen für Abschiebungen in den Herkunftsstaat bei schlechten humanitären Bedingungen ergeben, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung. Denn selbst der EGMR geht in Bezug auf Afghanistan davon aus, dass die allgemeine Lage dort nicht so ernst ist, dass eine Abschiebung ohne Weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK wäre (EGMR, Urteil vom 13. Oktober 2011 - Nr. 10611/09, Husseini/Schweden - NJOZ 2012, 952 Rn. 84). Auch auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts liegen die Voraussetzungen für eine allein auf die allgemeinen Lebensbedingungen im Herkunftsland gestützte Verletzung des Art. 3 EMRK ersichtlich nicht vor. Maßgeblich ist dabei die Perspektive des abschiebenden Staates, aus dessen Sicht zu prüfen ist, ob der Betroffene durch die Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Bei dieser Prüfung stellt der EGMR grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat ab und prüft zunächst, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (EGMR, Urteil vom 28. Juni 2011 a.a.O. Rn. 265, 301, 309). Das gilt auch bei der Beurteilung von Umständen, die nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen, dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK aber dennoch eine Abschiebung des Ausländers verbieten.

27

Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass derzeit nur eine Abschiebung nach Kabul möglich ist (UA S. 14). Zugleich hat es sich bezüglich der allgemeinen Lebensbedingungen in Kabul - im Rahmen seiner Ausführungen zu § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG - in tatsächlicher Hinsicht der Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs angeschlossen, dass zu erwarten sei, dass Rückkehrer dort durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten (UA S. 23). Die daran anschließende Bemerkung des Berufungsgerichts, aufgrund der schlechten Gesamtsituation dürfte ohne schützende Familien- und Stammesstrukturen eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten "kaum zumutbar" sein, führt nicht zu einer anderen Bewertung. Sie umfasst nicht die tatsächliche Feststellung, die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Abschiebezielstaat seien so schlecht, dass nach Art. 3 EMRK von einer Abschiebung zwingend abgesehen werden müsse. Mit dieser Formulierung bringt das Berufungsgericht lediglich seine Haltung zum Ausdruck, dass die rechtlichen "Hürden" des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme eines Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG seiner Auffassung nach zu hoch sind, und lässt in der Sache sein Bedauern erkennen, dass die oberste Landesbehörde für Afghanistan keinen generellen Abschiebestopp aus humanitären Gründen gemäß § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG angeordnet hat und das Gericht diese politische Entscheidung - unterhalb der hier nicht erreichten Grenze verfassungsrechtlich gebotenen Abschiebungsschutzes - nicht zu ersetzen vermag (Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 5).

28

Damit liegen die tatsächlichen Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG - ungeachtet des Umstandes, dass bei § 60 Abs. 2 AufenthG und bei § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in rechtlicher Hinsicht unterschiedliche Maßstäbe gelten - ersichtlich nicht vor. Selbst bei Zugrundelegung der - vom EGMR im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland für einen gänzlich anderen Anwendungsfall entwickelten und in den Verfahren Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich auf eine ebenfalls andere Ausgangssituation im Herkunftsstaat übertragenen - abgesenkten und auf die Situation besonderer Verletzlichkeit und Schutzbedürftigkeit bezogenen Maßstäbe ergäbe sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zu den Verhältnissen in Kabul für den Kläger kein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 10).

29

Auch insoweit bedarf es keiner Vorlage an den EuGH. Die Voraussetzungen, unter denen einen abschiebenden Staat aus Art. 3 EMRK ausnahmsweise eine Verantwortung für nicht dem Abschiebezielstaat oder anderen Akteuren zuzurechnende Umstände trifft, ergeben sich aus der Rechtsprechung des EGMR und werfen im vorliegenden Verfahren keine entscheidungserheblichen unionsrechtlichen Zweifelsfragen auf. Die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK ist bei der Auslegung des Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU zu beachten. Dass die Richtlinie in Bezug auf Art. 3 EMRK bei Umständen, die weder in die Verantwortung des Abschiebezielstaats noch eines sonstigen Akteurs fallen, keinen über die Rechtsprechung des EGMR hinausgehenden Schutz gewährt, ergibt sich schon aus Art. 6 der Richtlinie 2011/95/EU (früher: Art. 6 der Richtlinie 2004/83/EG). Denn dieser Vorschrift ist zu entnehmen, dass es nach den Vorstellungen des Richtliniengebers auch beim subsidiären Schutz grundsätzlich eines Akteurs bedarf, von dem ein ernsthafter Schaden ausgehen kann.

30

4. Kann der Senat mangels hinreichender tatrichterlicher Feststellungen weder positiv noch negativ abschließend über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes entscheiden, so ist das Berufungsurteil schon aus diesem Grund aufzuheben und das Verfahren an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, ohne dass es auf die von der Revision fristgerecht erhobenen Verfahrensrügen ankommt. Zur Klarstellung weist der Senat allerdings darauf hin, dass die gerügten Verfahrensfehler nicht vorliegen. Insoweit wird Bezug genommen auf die Ausführungen in den Beschlüssen des Senats vom 25. Oktober 2012 - BVerwG 10 B 16.12 und 10 B 20.12 - zu vergleichbaren Verfahrensrügen des Prozessbevollmächtigten des Klägers. Das Berufungsgericht hat auch nicht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen, weil es den Rechtsstreit nicht dem EuGH vorgelegt hat. Ein solcher Verstoß scheidet schon deswegen aus, weil es nach Art. 267 Abs. 2 AEUV zwar zur Vorlage berechtigt, nicht aber verpflichtet ist. Unabhängig davon liegen die Voraussetzungen für eine Vorlage an den EuGH aber auch nicht vor. Die entscheidungserheblichen Fragen des Unionsrechts sind in der Rechtsprechung des EuGH geklärt bzw. unterliegen keinen Zweifeln, die eine Vorlage rechtfertigen oder gar gebieten. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen.

31

5. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

32

5.1 Das Berufungsgericht wird hinsichtlich des Begehrens auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes vor allem mit Blick auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG auf aktueller Tatsachengrundlage zu klären haben, ob in der Herkunftsregion des Klägers ein bewaffneter Konflikt herrscht und ihm dort die Gefahren drohen, vor denen § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Schutz gewährt. Ist dies der Fall, hat es weiter zu prüfen, ob der Kläger nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG auf die Möglichkeit internen Schutzes in einem anderen Landesteil - insbesondere Kabul - verwiesen werden kann.

33

5.2 Kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes hat, wird es auf aktueller Erkenntnislage auch erneut über den Hilfsantrag des Klägers auf Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 und 3 AufenthG zu entscheiden haben.

34

a) Dabei kann dahinstehen, wie die Aussage des Berufungsgerichts bei § 60 Abs. 5 AufenthG zu verstehen ist, dass bezüglich Art. 3 EMRK die weitergehende und unionsrechtlich aufgeladene Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG "vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen" sei. Sollte das Berufungsgericht damit zum Ausdruck bringen wollen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK durch § 60 Abs. 2 AufenthG verdrängt wird, wäre dies allerdings nicht mit Bundesrecht zu vereinbaren.

35

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 4 AuslG (Urteil vom 11. November 1997 - BVerwG 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen ("zielstaatsbezogene" Abschiebungshindernisse).

36

Der Verweis auf Abschiebungsverbote, die sich aus der Anwendung der EMRK ergeben, umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Bei § 60 Abs. 5 AufenthG sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Soweit § 60 Abs. 5 AufenthG die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland wiederholt, bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung zu berücksichtigen (Art. 3 EMRK), ist der sachliche Regelungsbereich zwar weitgehend identisch mit dem unionsrechtlichen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG und geht über diesen, soweit Art. 3 EMRK in Rede steht, jedenfalls nicht hinaus. Denn § 60 Abs. 2 AufenthG knüpft - wie dargelegt - an Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EG an, der seinerseits die Verantwortung des Abschiebestaats nach Art. 3 EMRK übernimmt. Auch wenn bei Anträgen auf internationalen Schutz der unionsrechtliche Abschiebungsschutz - und damit auch das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG - vor dem nationalen Abschiebungsschutz zu prüfen ist, folgt hieraus in Bezug auf eine Verletzung des Art. 3 EMRK keine (verdrängende) Spezialität des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG, die eine Prüfung des § 60 Abs. 5 AufenthG bereits dem Grunde nach ausschließt. Die Gewährleistung nach nationalem Recht tritt vielmehr selbstständig neben die aus Unionsrecht. Eine tatbestandsausschließende Spezialität des § 60 Abs. 2 AufenthG wäre mit dem hohen Rang, den die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechtsgüter haben, unvereinbar. Damit ist hinsichtlich des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in jedem Fall materiell zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 3 EMRK erfüllt sind. In Fällen, in denen - wie hier - gleichzeitig über die Gewährung unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet allerdings bei Verneinung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind.

37

b) Schließlich soll nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat auch dann abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, grundsätzlich nur nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (Sperrwirkung).

38

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen kann, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (stRspr, vgl. Urteil vom 8. September 2012 - BVerwG 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319 - Rn. 22 f. m.w.N.). Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und - wie bei § 60 Abs. 2 und 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK - zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen.

39

Das Berufungsgericht hat in Anwendung dieser Maßstäbe ein Abschiebungsverbot verneint, weil in tatsächlicher Hinsicht zu erwarten sei, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Dabei hat es weder die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit, dass es infolge der problematischen Versorgungslage, die neben der Versorgung mit Lebensmitteln auch die medizinische Versorgung und die Versorgung mit Wohnraum umfasst, zur Beeinträchtigung fundamentaler Schutzgüter kommen werde, überspannt noch hat es seine tatrichterliche Überzeugung auf einer zu schmalen Tatsachenbasis gebildet. Soweit die Revision geltend macht, das Berufungsgericht habe im Rahmen der Beurteilung einer extremen Gefahrenlage die medizinische Versorgungslage nicht hinreichend berücksichtigt, verkennt sie, dass diese nur bei akut behandlungsbedürftigen Vorerkrankungen oder in Fällen von Bedeutung ist, in denen aufgrund der allgemeinen Lebensverhältnisse mit einer entsprechend hohen Wahrscheinlichkeit eine lebensbedrohliche Erkrankung zu erwarten ist, für die dann faktisch kein Zugang zu medizinischer (Grund-)Versorgung besteht (s.a. Beschluss vom 25. Oktober 2012 - BVerwG 10 B 20.12 - Rn. 14).

40

Soweit das Berufungsgericht im Übrigen der Auffassung ist, das Bundesverwaltungsgericht stelle an das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung überzogene rechtliche Anforderungen, geben die Ausführungen dem Senat keine Veranlassung zu einer Änderung seiner Rechtsprechung. Das Berufungsgericht begründet seine Kritik damit, dass die Zumutbarkeit einer Rückkehr unter humanitären Gesichtspunkten, die es aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen selbst für gesunde alleinstehende Männer "kaum" für gegeben hält, nach der Rechtsprechung "kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG" sei. Mit diesen Erwägungen stellt es dem aus dem Verfassungsrecht abgeleiteten Rechtsbegriff der Zumutbarkeit eine eigene - mit außerrechtlichen Erwägungen begründete und enger gefasste - Zumutbarkeit gegenüber und vermischt damit die Grenze zwischen einer dem Betroffenen rechtlich (noch) zumutbaren und einer nicht (mehr) zumutbaren Rückkehr. Dabei vernachlässigt es zudem, dass es bei der verfassungskonformen Auslegung nicht um die Bestimmung eines aus Sicht des jeweiligen Gerichts "sinnvollen" und/oder "menschenrechtsfreundlichen" Abschiebungsschutzregimes geht, sondern um die Festlegung der Voraussetzungen, unter denen im gewaltenteilenden Rechtsstaat die Rechtsprechung befugt ist, über eine verfassungskonforme Auslegung ausnahmsweise die Entscheidung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, allgemeine Gefahren nur im Rahmen einer Anordnung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen, unbeachtet zu lassen. Hierbei macht es in der Sache einen erheblichen Unterschied, ob ein Mensch ohne jeden Ausweg in eine Situation gebracht wird, in der er so gut wie keine Überlebensmöglichkeit hat, oder ob er bei allen - auch existenzbedrohenden - Schwierigkeiten nicht chancenlos ist, sondern die Möglichkeit hat, Einfluss auf sein Schicksal zu nehmen.

41

Die weiteren Zweifel des Berufungsgerichts, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden könne, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen, betreffen nicht den materiell-rechtlichen Maßstab für die Beurteilung einer extremen Gefahrenlage selbst. Die damit ausgedrückte Kritik an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. Urteil vom 29. Juni 2010 - BVerwG 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226 Rn. 22) vernachlässigt, dass diese Auseinandersetzung nicht als Selbstzweck gefordert wird. Sie zielt auf eine Verbesserung der Entscheidungsqualität durch Verbreiterung der erkennbar in die tatrichterliche Bewertung eingestellten Tatsachen- und Argumentationsbasis. Dies gilt namentlich in Fällen, in denen es - wie hier - im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG um eine "Korrektur" des demokratisch legitimierten Gesetzgebers geht, für die im Rahmen der Tatsachen- und Lagebeurteilung eine umfassende Gesamtwürdigung der voraussichtlichen Lebensbedingungen im Abschiebezielstaat und der damit verbundenen Gefahren erforderlich ist.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein irakischer Staatsangehöriger, erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm im Irak drohender Gefahren.

2

Der 1976 in Mosul geborene Kläger ist kurdischer Volkszugehöriger sunnitischen Glaubens. Zur Begründung des im Juli 2001 beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -) gestellten Asylantrags gab er an, dass er in Mosul ein Lebensmittelgeschäft betrieben habe. Eine von einem Kunden in seinem Laden abgestellte Tasche, die Flugblätter von Schiiten enthalten habe, sei von einem Unbekannten inspiziert worden. Sein Vater habe ihm daraufhin zur Flucht geraten und sei seinetwegen später verhaftet worden. Er befürchte, wegen des Vorfalls getötet oder lebenslang inhaftiert zu werden. Mit Bescheid vom 14. September 2001 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers ab, stellte jedoch fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (inzwischen § 60 Abs. 1 AufenthG) hinsichtlich des Irak vorliegen. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger aufgrund der illegalen Ausreise und der Asylantragstellung verfolgt werde.

3

Wegen der veränderten politischen Verhältnisse im Irak widerrief das Bundesamt am 16. März 2006 die Flüchtlingsanerkennung und stellte zugleich fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen.

4

Die hiergegen erhobene Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 1. Februar 2007 im Wesentlichen ausgeführt, der Widerruf sei rechtmäßig, weil der Kläger im Irak nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein keine Verfolgung mehr zu befürchten habe. Er könne auch keine Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bzw. subsidiären Schutz gemäß Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG beanspruchen. Im Irak liege kein landesweiter innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vor. Zudem habe der Kläger die Möglichkeit, in Teilen des Irak internen Schutz zu finden. Im Übrigen stehe die Erlasslage des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, die bei allgemeinen Gefahren vergleichbaren Abschiebungsschutz biete, der Gewährung richtliniengemäßen subsidiären Schutzes entgegen.

5

Während des Revisionsverfahrens hat der Kläger seine Revision hinsichtlich des Widerrufs der Flüchtlingsanerkennung zurückgenommen. Der erkennende Senat hat mit Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 44.07 - das Revisionsverfahren insoweit eingestellt. Im Übrigen hat er, soweit die Verpflichtung zur Feststellung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes aus § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG und hilfsweise nationalen Abschiebungsschutzes aus § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG begehrt wird, das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Zur Begründung hat er darauf abgestellt, dass § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG keinen landesweiten bewaffneten Konflikt voraussetze. Die zusätzliche Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger könne innerhalb des Irak internen Schutz finden, beruhe auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage. Schließlich verletze der Verweis auf die Aussetzung von Abschiebungen durch ministerielle Erlasse revisibles Recht. Denn § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG sei richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die Sperrwirkung nicht greife, wenn die Voraussetzungen des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG erfüllt seien.

6

Während des neuen Berufungsverfahrens hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass der Kläger im Besitz einer Niederlassungserlaubnis sei. Damit sei sein Aufenthalt gesichert und es komme auf subsidiären Schutz nicht mehr an.

7

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 21. Januar 2010 zurückgewiesen, soweit sie sich auf das noch anhängige Begehren zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bezieht. Die Berufung sei zulässig, denn für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis, obwohl der Kläger mittlerweile im Besitz einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG sei. Die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach Art. 18 der Richtlinie 2004/83/EG könne dem Kläger eine zusätzliche Rechtsposition vermitteln. Die Berufung sei aber unbegründet. Mit Blick auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG führt das Berufungsgericht aus, es könne dahinstehen, ob die im Irak seit 2003 andauernden und durch staatliche Sicherheitskräfte bekämpften terroristischen Handlungen nach Intensität und Größenordnung als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zu qualifizieren seien. Jedenfalls sei der Kläger keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt. An seinem Herkunftsort in Mosul bestehe keine so hohe Gefahrendichte, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt sei. Dies ergebe sich aus der Zahl der Anschläge und der Anzahl der Opfer im Verhältnis zur Einwohnerzahl. Die Wahrscheinlichkeit, durch einen Terroranschlag in der Provinz Ninive verletzt oder getötet zu werden, habe 2009 ca. 0,12 % oder ca. 1:800 pro Jahr betragen. Für eine Verschärfung der Sicherheitslage gebe es keine Anhaltspunkte. Gefahrerhöhende individuelle Umstände seien bei dem Kläger nicht ersichtlich. Die Voraussetzungen des hilfsweise begehrten nationalen Abschiebungsschutzes (§ 60 Abs. 7 Satz 1 und § 60 Abs. 5 AufenthG) lägen ebenfalls nicht vor.

8

Mit seiner vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision wendet sich der Kläger allein gegen die Ablehnung der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Er rügt, der Verwaltungsgerichtshof habe bei der Ermittlung der Gefahrendichte auf die im Rahmen der Gruppenverfolgung entwickelten Kriterien der Verfolgungsdichte abgestellt, ohne zwischen den Schutzsystemen zu differenzieren und die Besonderheiten des subsidiären Schutzes zu berücksichtigen. Auch seien die in das Verfahren eingeführten Quellen zur Häufigkeit von Anschlägen im Irak und zur Zahl der Toten und Verletzten nicht interpretiert und bewertet worden.

9

Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Klägers, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat die begehrte Verpflichtung zur Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes ohne Verstoß gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) abgelehnt.

11

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch das Verpflichtungsbegehren auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes. Die darüber hinausgehende Beschränkung des Revisionsantrags auf das Vorliegen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG erweist sich als unwirksam. Denn der geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 S. 12; ber. ABl EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (Urteile vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11 und vom 8. September 2011 - BVerwG 10 C 14.10 - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen - Rn. 16). Eine Revision kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 13).

12

Für diesen Verpflichtungsantrag ist, obwohl der Kläger mittlerweile eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG besitzt, entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten das Rechtsschutzinteresse nicht entfallen. Dieses Interesse fehlt nur, wenn die Klage für den Kläger offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann (Urteil vom 29. April 2004 - BVerwG 3 C 25.03 - BVerwGE 121, 1 <3>). Der Beklagten ist einzuräumen, dass sich nach nationalem Aufenthaltsrecht die Rechtsstellung eines Ausländers in der Situation des Klägers, der im Besitz einer Niederlassungserlaubnis gemäß § 26 Abs. 4 AufenthG ist, durch die Zuerkennung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes derzeit nicht verbessern kann. Diese Betrachtung greift aber zu kurz. Denn aus dem Umsetzungsdefizit des deutschen Gesetzgebers, der - entgegen den unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2004/83/EG im 5. Erwägungsgrund, in Art. 2 Buchst. f und in Art. 18 - den Status des subsidiär Schutzberechtigten im nationalen Recht nicht explizit ausgeformt hat, darf für den Kläger kein Nachteil entstehen (vgl. auch Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 13). Er hat daher ein legitimes Interesse, dass trotz seiner gesicherten aufenthaltsrechtlichen Stellung mit Blick auf diesen Schutzstatus und die damit einhergehenden Vergünstigungen über das Bestehen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots entschieden wird.

13

Die zulässige Klage ist aber unbegründet. Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen, nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und das Revisionsgericht daher bindenden tatsächlichen Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) greift keines der auf Unionsrecht beruhenden Abschiebungsverbote (§ 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG).

14

1. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Senats trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG und ist in diesem Sinne auszulegen (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 17 und Rn. 36).

15

Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob die im Irak seit 2003 andauernden und durch staatliche Sicherheitskräfte bekämpften terroristischen Handlungen nach Intensität und Größenordnung als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt anzusprechen sind, weil der Kläger auch bei Annahme eines derartigen Konflikts keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wären. Das hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.

16

a) Für seine Prognose, ob der Kläger bei Rückkehr in den Irak einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt ist, hat der Verwaltungsgerichtshof zu Recht auf die tatsächlichen Verhältnisse in seiner Herkunftsregion Mosul abgestellt. Dort hat der Kläger zuletzt gelebt, so dass die Annahme gerechtfertigt ist, dass er dorthin zurückkehren wird (Urteil vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 17).

17

b) Das Berufungsgericht hat des Weiteren zutreffend geprüft, ob von dem - zugunsten des Klägers unterstellten - bewaffneten Konflikt in der Region von Mosul für eine Vielzahl von Zivilpersonen eine allgemeine Gefahr ausgeht, die sich in der Person des Klägers so verdichtet, dass sie für diesen eine erhebliche individuelle Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG darstellt. Denn auch eine von einem bewaffneten Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr kann sich individuell verdichten und damit die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG und des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG erfüllen (Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 34).

18

Eine derartige Individualisierung kann sich bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben. Dazu gehören in erster Linie persönliche Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Möglich sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht bereits die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt (Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 4.09 - BVerwGE 136, 360 Rn. 33). Gefahrerhöhende individuelle Umstände hat das Berufungsgericht bei dem Kläger nicht festgestellt (UA S. 12); dem ist der Kläger mit der Revision auch nicht entgegengetreten.

19

Eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann aber auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (Urteil vom 14. Juli 2009 a.a.O. Rn. 15 mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07, Elgafaji - Slg. 2009, I-921 = NVwZ 2009, 705). Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 33).

20

In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Das ergibt sich aus dem Tatbestandsmerkmal "... tatsächlich Gefahr liefe ..." in Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG. Der darin enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab ("real risk"; vgl. nur EGMR (GK), Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi/Italien - NVwZ 2008, 1330 ); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 22 zu § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2004/83/EG).

21

Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Beweiserleichterung in Gestalt einer widerleglichen tatsächlichen Vermutung setzt aber auch im Rahmen des subsidiären Schutzes voraus, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem vor der Ausreise erlittenen oder damals unmittelbar drohenden Schaden (Vorschädigung) und dem befürchteten künftigen Schaden besteht. Denn die der Vorschrift zugrunde liegende Wiederholungsvermutung beruht wesentlich auf der Vorstellung, dass eine Verfolgungs- oder Schadenswiederholung - bei gleichbleibender Ausgangssituation - aus tatsächlichen Gründen naheliegt (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 31).

22

Eine für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr ausreichende Gefahrendichte hat das Berufungsgericht für den Bereich der Stadt Mosul verneint. Es hat - in Anlehnung an die Vorgehensweise zur Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts (vgl. dazu Urteil vom 18. Juli 2006 - BVerwG 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243 Rn. 20 ff.) - aufgrund aktueller Quellen die Gesamtzahl der in der Provinz Ninive und deren Hauptstadt Mosul lebenden Zivilpersonen annäherungsweise ermittelt und dazu die Häufigkeit von Akten willkürlicher Gewalt sowie der Zahl der dabei Verletzten und Getöteten in Beziehung gesetzt. Dabei hat es festgestellt, dass das Risiko, in der Provinz Ninive verletzt oder getötet zu werden, für das gesamte Jahr 2009 ungefähr 1:800 betrug. Einen Trend zur Verschlechterung der Sicherheitslage vermochte es nicht festzustellen (UA S. 12). Seine auf der Grundlage dieser Feststellungen gezogene Schlussfolgerung, dass der Kläger bei seiner Rückkehr in sein Herkunftsland keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt ist, ist revisionsgerichtlich im Ergebnis nicht zu beanstanden.

23

Zwar bedarf es - wie die Revision im Ansatz zu Recht rügt - neben dieser quantitativen Ermittlung auch einer wertenden Gesamtbetrachtung des statistischen Materials mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 33). Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Der Mangel in der Vorgehensweise des Berufungsgerichts bleibt aber im vorliegenden Fall ohne Folgen. Denn die Höhe des vom Berufungsgericht festgestellten Risikos eines dem Kläger drohenden Schadens ist so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass sich der Mangel im Ergebnis nicht auszuwirken vermag.

24

Auch der Umstand, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht auf die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG eingegangen ist, verhilft der Revision nicht zum Erfolg, denn das Vorfluchtschicksal des Klägers gab dazu keinen Anlass. Dieses lässt keine Beeinträchtigung erkennen, die auch unter dem Blickwinkel des Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG die Qualität einer Vorschädigung erreichen könnte. Zudem bestünde kein sachlicher Zusammenhang mit den nunmehr im Irak drohenden Gefahren.

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2. Das Berufungsgericht hat auch die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2 und 3 AufenthG in den Blick genommen, sie aber nicht als durchgreifend angesehen. Dagegen bestehen aus revisionsgerichtlicher Sicht keine Bedenken.

Tenor

I.

Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass der Kläger subsidiär Schutzberechtigter im Sinne von § 4 AsylG ist. Die Abschiebungsandrohung in Nummer 3 des Bescheides vom 18. Oktober 2010 wird aufgehoben.

II.

Die Berufung wird insoweit zurückgewiesen.

III.

Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen die Beteiligten jeweils zur Hälfte. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

IV.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Jeder Beteiligte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der jeweils andere Beteiligte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

V.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt nach rechtskräftiger Einstellung seines Asylverfahrens gemäß §§ 32, 33 Abs. 1 AsylVfG (a. F.) die Zuerkennung von unionsrechtlichem subsidiärem Schutz nach § 4 AsylG, hilfsweise die Feststellung von nationalem Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG (n. F.).

Der Kläger stellte Ende Mai 2010 einen Asylantrag und gab in der Niederschrift dazu am 25. Juni 2010 an, er sei somalischer Staatsangehöriger, am 31. Dezember 1991 in Buulobarde geboren und am 24. Mai 2010 nach Deutschland eingereist. Nachdem in zwei Terminen die dem Kläger zur Identitätsfeststellung abgenommenen Fingerabdrücke wegen Beschädigung der Fingerkuppen nicht verwertbar waren, stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 18. Oktober 2010 fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt und stellte das Asylverfahren ein (Ziff. 1). Weiter wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (a. F.) nicht vorliegen (Ziff. 2). Schließlich wurde der Kläger unter Androhung der Abschiebung in „den Herkunftsstaat“ aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen (Ziff. 3). Das Bundesamt stützte den Bescheid im Wesentlichen darauf, dass der Kläger der Betreibensaufforderung nicht nachgekommen sei. Er habe weder verwertbare Fingerabdrücke abgegeben noch die angeforderten schriftlichen Angaben zu seinem Reiseweg und zu etwaigen früheren Asylverfahren gemacht. Die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (a. F.) scheitere bereits daran, dass für den Kläger kein Herkunftsland habe festgestellt werden können.

Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 29. Oktober 2010 ließ der Kläger zum Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg Klage erheben (Az. RO 7 K 10.30455) und beantragen, den Bescheid der Beklagten vom 18. Oktober 2010 aufzuheben, hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass beim Kläger Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 Aufenthaltsgesetz hinsichtlich Somalia vorliegen.

Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten gegenüber dem Bundesamt vom 29. Oktober 2010 machte der Kläger Angaben zu seinem Reiseweg nach Deutschland. Einer erneuten Aufforderung zur erkennungsdienstlichen Behandlung im November 2011 kam er nicht nach.

Das Verwaltungsgericht Regensburg hat mit Urteil vom 13. Dezember 2011 den Bescheid des Bundesamts aufgehoben. Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung der Beklagten.

Der Beklagtenvertreter erklärte in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren (20 B 12.30349) am 14. Januar 2013, er hebe Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids auf, weil er sich nicht in der Lage sehe, eine positive Feststellung zu treffen, dass Abschiebungsverbote, wohin auch immer, bestünden.

Der erkennende Senat hat mit Urteil vom 17. Januar 2013 das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg hinsichtlich Ziffer 1 des Bescheids vom 18. Oktober 2010 dahingehend abgeändert, dass die Klage hiergegen abgewiesen wurde. Denn nach Auffassung des Senats lagen die Voraussetzungen des §§ 32, 33 Abs. 1 AsylVfG a. F. vor. Insoweit ist das Urteil des Senats rechtskräftig geworden. Daneben hat der Senat die Beklagte entsprechend dem Hilfsantrag des Klägers verpflichtet, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG (a. F.) hinsichtlich Somalia festzustellen und die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheids vom 18. Oktober 2010 aufgehoben.

Das Bundesverwaltungsgericht hat nach Zulassung der Revision mit Urteil vom 13. Februar 2014 (Az. 10 C 6.13) das Urteil des Senats vom 17. Januar 2013 aufgehoben, soweit es die Beklagte zu einer Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG (a. F.) verpflichtete und die Abschiebungsandrohung teilweise aufhob, und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Der Senat hat aufgrund mündlicher Verhandlung vom 9. Oktober 2014 mit Beschluss vom 13. Oktober 2014 den Beteiligten aufgegeben, zur Bestimmung des Herkunftsstaates und der Herkunftsregion des Klägers eine Sprachanalyse durchzuführen. In dem auf der Grundlage einer Sprachanalyse erstellten, vom 24. Juni 2015 datierenden Gutachten zur Sprachanalyse kommt der Gutachter des Bundesamtes zu dem Ergebnis, dass der Kläger mit Sicherheit aus Südsomalia stammt. Dies ergebe sich aus der guten Kenntnis lokaler Gegebenheiten und dem von ihm verwendeten Dialekt.

In der weiteren mündlichen Verhandlung am 7. April 2016 wurde der Kläger persönlich zu seinen Lebensumständen in Somalia, seinen Fluchtgründen und seinen Familienverhältnissen angehört. Ein Vertreter der Beklagten ist zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen.

Die Beklagte beantragt:

Die Klage wird unter entsprechender Aufhebung des Urteils des VG Regensburg vom 13. Dezember 2011 (RO 7 K 10.30455) abgewiesen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die beigezogenen Behörden- und Gerichtsakten und die Niederschriften über die mündlichen Verhandlungen vom 14. Januar 2013, vom 9. Oktober 2014 und vom 7. April 2016 Bezug genommen.

Gründe

Nachdem das Urteil des Senats vom 17. Januar 2013, soweit es die Anfechtungsklage gegen die Ziffer 1 des Bescheids vom 18. Oktober 2010, mit dem die Einstellung des Asylverfahrens nach §§ 32, 33 Abs. 1 AsylVfG verfügt wurde, abgewiesen hat, rechtskräftig geworden ist, ist streitgegenständlich allein die Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der subsidiären Schutzberechtigung nach § 4 AsylG, hilfsweise von nationalen Abschiebungsverboten (vgl. die vom Klägerbevollmächtigen in der mündlichen Verhandlung vom 7. April 2016 gewählte Wiedergabe des Klageantrags).

Die Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Feststellung, dass er subsidiär Schutzberechtigter nach § 4 AsylG ist. Die dem entgegenstehende Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheids vom 18. Oktober 2010 ist rechtswidrig und daher aufzuheben.

Der Kläger hat einen Anspruch auf die Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigter. Die Voraussetzungen des § 4 AsylG liegen vor. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Nach Satz 2 gilt als ernsthafter Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) sowie eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).

Der Senat ist aufgrund der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 7. April 2016 und des durchgeführten Sprachgutachtens überzeugt, dass der Kläger aus Buulobarde im gleichnamigen Distrikt der Provinz Hiiraan in Somalia stammt.

Nach den in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen stellt sich die allgemeine Situation in Somalia aktuell im Wesentlichen wie folgt dar: Somalia ist spätestens seit Beginn des Bürgerkriegs 1991 ohne flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die Autorität der Zentralregierung wird vom nach Unabhängigkeit strebenden „Somali-land“ im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen Al-Shabaab-Miliz in Frage gestellt. Das Land zerfällt faktisch in drei Teile, nämlich das südliche und mittlere Somalia, die Unabhängigkeit beanspruchende „Republik Somaliland“ im Nordwesten und die autonome Region Puntland im Nordosten. In Puntland gibt es eine vergleichsweise stabile Regierung; die Region ist von gewaltsamen Auseinandersetzungen deutlich weniger betroffen als Süd-/Zentral-somalia. In „Somaliland“ wurde im somaliaweiten Vergleich das bislang größte Maß an Sicherheit, Stabilität und Entwicklung erreicht. In Süd- und Zentralsomalia kämpfen die somalischen Sicherheitskräfte mit Unterstützung der Militärmission der Afrikanischen Union AMISOM gegen die Al-Shabaab-Miliz. Die Gebiete sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der Al-Shabaab-Miliz oder anderer Milizen. Die meisten größeren Städte sind schon längere Zeit in der Hand der Regierung, in den ländlichen Gebieten herrscht oft noch die Al-Shabaab. In den „befreiten“ Gebieten finden keine direkten kämpferischen Auseinandersetzungen mehr statt. Die Al-Shabaab verübt jedoch immer wieder Sprengstoffattentate auf bestimmte Objekte und Personen, bei denen auch Unbeteiligte verletzt oder getötet werden (siehe Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 1. Dezember 2015 - Stand: November 2015, S. 4 f.; Österreichisches Bundesasylamt, Analyse der Staatendokumentation - Somalia - Sicherheitslage, 25. Juli 2013, S. 29; siehe auch EGMR, Urteil vom 5. September 2013 - Nr. 886/11, [K.A.B. ./. Schweden] -, Rn. 87 ff.; BayVGH, U. v. 17.3.2016 - 20 B 13.30233 - juris; Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, U. v. 16.12.2015 - 10 A 10689/15 - juris = Asylmagazin 2016, 29).

In der Heimatregion des Klägers, dem Distrikt Buulobarde in der Provinz Hiiraan, herrscht im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG. Dieser Begriff ist nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 30. Januar 2014 (C-285/12 - NVwZ 2014, 573) zu der dem § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG zugrunde liegenden Bestimmung des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EG Nr. L 304, S. 19) dahingehend auszulegen, dass ein solcher Konflikt vorliegt, wenn die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen (EuGH, U. v. 30.1.2014, a. a. O., Leitsatz 1 und Rn. 28). Dafür, dass ein derartiger Konflikt angenommen werden kann, kommt es weder auf einen bestimmten Organisationsgrad der beteiligten bewaffneten Streitkräfte noch auf eine bestimmte Dauer des Konflikts an. Insbesondere ist für die Annahme eines bewaffneten innerstaatlichen Konflikts auch keine besondere Intensität des Konflikts notwendig (EuGH, U. v. 30.1.2014, a. a. O. Rn. 32 und 34), da die Intensität nur bei der Frage zu berücksichtigen ist, ob der Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass er auch zu einer Gefährdung im Sinne des Art. 15 der Richtlinie führt. Durch diese Rechtsprechung ist die des Bundesverwaltungsgerichts zu dieser Frage (vgl. BVerwG, Urteile v. 27.4.2010 - 10 C 4.09 - juris, Rn. 22 f. und vom 24.6.2008 - 10 C 43.07 -, juris, Rn. 22 ff.) überholt.

Nach diesen Maßstäben liegt jedenfalls in der Heimatregion des Klägers insbesondere im Gebiet seiner Heimatstadt Buulobarde ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vor. Nach dem EASO-Bericht zur Sicherheitslage in Somalia vom Februar 2016 (EASO Country of Origin Information Report, Somalia Security Situation, February 2016, S. 58 f.) sind Konfliktparteien in der Heimatregion des Klägers neben der islamisch-fundamentalistischen Al-Shabaab-Miliz, der Somalischen Armee (SNAF) und der Unterstützungsmission der Afrikanischen Union (AMISOM) auch die Äthiopischen Streitkräfte und die ASWJ, eine auf der Seite der Somalischen Regierung stehende Miliz. Daneben bestehen Konflikte zwischen verschiedenen Clans der Region. Während die Al-Shabaab weiterhin den größten Teil der Provinz Hiiraan kontrolliert (Stand September 2015), wurde sie in den Jahren 2014 und 2015 von der somalischen Armee und der AMISOM aus den größeren Städten der Provinz vertrieben, aus Buulobarde konkret im März 2014. Dennoch ist die Al-Shabaab weiterhin in der Lage, in Städten, aus denen sie vertrieben wurde, Angriffe durchzuführen. Sie verlegte sich dementsprechend auf kurze, blitzartige Angriffe („hit-and-run attacks) und gezielte Ermordungen in diesen Städten. Convoys der AMISOM werden von der Al-Shabaab aufgelauert. Daneben führte die Al-Shabaab 2015 auch eine Blockade von Buulobarde durch (EASO Somalia Security Situation a. a. O. S. 59; vgl. auch Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Somalia, Lagekarten zur Sicherheitslage, Wien 12.10.2015, S. 9/10). Dementsprechend zählte das Österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im ersten Halbjahr 2015 9 bewaffnete Zusammenstöße im Bezirk, im zweiten Halbjahr 2014 gar 24 (Lagekarten zur Sicherheitslage S. 13). Damit liegt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt jedenfalls vor.

Der Kläger ist aufgrund der beschriebenen Konfliktlage als Zivilperson einer ernsthaften, individuellen Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt. Für die Annahme einer ernsthaften individuellen Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG genügt es nicht, dass der innerstaatliche bewaffnete Konflikt zu permanenten Gefährdungen der Bevölkerung führt (BVerwG, U. v. 13.2.2014 - 10 C 6.13 -, juris, Rn. 24). Die von einem bewaffneten Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr kann sich jedoch individuell verdichten. Eine ernsthafte individuelle Bedrohung für Leib oder Leben kann in erster Linie auf gefahrerhöhenden persönlichen Umständen beruhen. Dies sind solche Umstände, die den Ausländer von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen als andere. Möglich sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der Ausländer als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt (BVerwG, Urteile v. 27.4.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 33, und v. 17.11.2010 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18). Im Ausnahmefall kann eine ernsthafte individuelle Bedrohung von Leib oder Leben aber auch durch eine allgemeine Gefahr hervorgerufen sein, die sich in besonderer Weise zugespitzt hat. Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes „allgemein“ ausgesetzt ist, stellen normalerweise zwar keine individuelle Bedrohung dar. Eine Ausnahme davon gilt aber bei besonderer Verdichtung der Gefahr, die unabhängig von individuellen gefahrerhöhenden Umständen zu deren Individualisierung führt. Davon ist auszugehen, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, Urteile v. 17.2.2009 - C-465/07 [Elgafaji] - juris, Rn. 35 und 39, und vom 30.1.2014 - C-285/12 [Diakite] - juris, Rn. 30; BVerwG, Urteile v. 27.4.2010 - 10 C 4.09 - juris, Rn. 32 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris, Rn. 19).

Unabhängig davon, ob die individuelle Bedrohungssituation auf persönliche Umstände oder ausnahmsweise auf die allgemeine Lage im Herkunftsland zurückgeht, sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt in dem jeweiligen Gebiet zu treffen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. In beiden Konstellationen ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, notwendig (BVerwG, U. v. 27.4.2010 - 10 C 4.09 - juris, Rn. 33). Es bedarf zudem einer wertenden Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung unter Berücksichtigung der medizinischen Versorgungslage (BVerwG, Urteile v. 27.4.2010 - 10 C 4.09 - juris, Rn. 33, und v. 13.2.2014 - 10 C 6.13 - juris, Rn. 24). Das Bundesverwaltungsgericht sieht ein Risiko von 1:800, in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden, als so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt an, dass auch eine wertende Gesamtbetrachtung am Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nichts zu ändern vermag (vgl. BVerwG, U. v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris, Rn. 22 f., U. v. 17.11.2011 - 10 C 11/10 - juris, Rn. 20 f. [Risiko von 1:1000]).

Für die Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr abzustellen. Für die Frage, welche Region als Zielort seiner Rückkehr anzusehen ist, kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Zielort der Abschiebung ist in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, U. v. 14.7.2009 - 10 C 9.08 - juris, Rn. 17 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 17.2.2009 - C-465/07 [Elgafaji]; zum Ganzen Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, U. v. 16.12.2015 - 10 A 10689/15 - juris = Asylmagazin 2016, 29). Dies ist im vorliegenden Fall die Stadt Buulobarde in der Provinz Hiiraan, da der Kläger nach seinen glaubwürdigen Angaben in der mündlichen Verhandlung am 7. April 2016 von dort stammt und auch seine Familie noch dort lebt. Anhaltspunkte dafür, dass er sich an einem anderen Ort in Somalia niederlassen würde, sind nicht vorhanden.

Eine genaue Bewertung der Gefahrendichte aufgrund einer quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos durch Gegenüberstellung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und der Akte willkürlicher Gewalt, erscheint jedoch kaum verlässlich möglich. Die Zahl der Zivilpersonen, die Opfer willkürlicher Gewalt geworden sind, kann kaum annäherungsweise verlässlich geschätzt werden, weil belastbare Zahlen nicht vorhanden sind. So stellt auch das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in seinen Lagekarten zur Sicherheitslage in Somalia (Stand 12.10.2015, S. 7), bei denen es sich soweit ersichtlich um die detaillierteste und systematischste Aufarbeitung der bekannten sicherheitsrelevanten Vorfälle in Somalia bezogen auf die einzelnen Provinzen und Bezirke handelt, eingangs fest, dass die veröffentlichten Karten und Diagramme keine vollständige und exakte Lage bzw. der Ereignisse bieten könnten. Dies sei im somalischen Kontext aus verständlichen Gründen eine nicht erreichbare Qualität. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass eine Anzahl der verzeichneten Vorfälle keine Opfer nach sich gezogen hätten bzw. andere Vorfälle eine Vielzahl an Opfern hervorgerufen hätten. Eine Berücksichtigung der Opferzahlen sei daher nicht vollzogen worden. In ähnlicher Weise verweist der EASO-Bericht zur Sicherheitslage vom Februar 2016 darauf hin, dass sowohl der UNHCR als auch eine humanitäre internationale NGO im Mai 2015 darauf hingewiesen hätten, dass es einen Mangel an Berichten, insbesondere aus den Gebieten unter Kontrolle der Al-Shabaab, gebe. Daher seien die Informationen aus diesen Gebieten bis zu einem gewissen Grade ungewiss. Auch soweit einzelne Berichte über Vorfälle vorliegen, wird dort meist lediglich über die Getöteten, aber nicht über die Verletzten berichtet (vgl. OVG RhPf, U. v. 16.12.2015 - 10 A 10689/15, Asylmagazin 2016, 29). Daher muss bei Betrachtung der Auskunftslage angesichts des nach sämtlichen Auskünften sehr hohen Gewaltniveaus von einer erheblichen Dunkelziffer an Verletzten und Getöteten ausgegangen werden. Die vorhandenen Zahlen zu Toten und Verletzten können keineswegs so verstanden werden, dass sie ein vollständiges Bild der Gefahrenlage für Leben und Unversehrtheit von Zivilpersonen in der jeweiligen Region Somalias abgeben.

Nach dem EASO Somalia Security Situation Report (Februar 2016; S. 59) beträgt die Bevölkerung der Provinz Hiiraan nach einer Schätzung der UN und lokaler Behörden ca. 520.685 Einwohner. Im Bezirk Buulobarde hat sich die Sicherheitslage im Zeitraum 07/2014 bis 06/2015 im Vergleich zum Zeitraum 2011-2014 grundsätzlich verschlechtert. Im zweiten Halbjahr 2014 verzeichnete der Bezirk 24 bewaffnete Zusammenstöße, im ersten Halbjahr 2015 immerhin noch 9 (Bundesasylamt Österreich, Somalia Lagekarten zur Sicherheitslage vom 12.10.2015, S. 14-17). Dabei ist jedoch nicht bekannt, wie viele Tote und Verletzte es dabei gab und wie viele Angehörige der Zivilbevölkerung betroffen waren. Ebenso wenig kann eine Berücksichtigung der genauen Opferzahlen wegen der Quellenlage vollzogen werden (Bundesasylamt a. a. O. S. 7). Auch die EASO konstatiert, dass die meiste Gewalt im Jahre 2014 in Buulobarde und den umliegenden Dörfern vorkam, nennt jedoch ebenfalls keine genauen Opferzahlen. Gleiches gilt für die Opfer und Begleitumstände der bereits erwähnten Blockade der Stadt Buulobarde durch die Al-Shabaab. Deren humanitäre Auswirkungen wurden lt. dem EASO Bericht zur Sicherheitssituation zwar durch humanitäre Hilfslieferungen gemildert, die Blockade dauert aber offensichtlich weiter an (EASO Somalia Security Situation a. a. O. S. 61, FN 515-517). Daneben berichtete die UN Monitoring Group on Somalia im Oktober 2015, dass infolge des intensivierten Kampfes gegen Al-Shabaab die Verletzungshandlungen gegenüber Zivilisten anstiegen, als beide Seiten Waffen und Taktiken verwendeten, die in großen zivilen und militärischen Opfern resultierten (EASO Somalia Security Situation a. a. O. S. 25). ACCORD (Austrian Centre for Country of Origin an Asylan Research and Documentation) stellt für die Provinz Hiiraan im Jahr 175 Vorfälle mit 493 Toten fest, u. a. in Buulobarde. Auf die Provinz entfallen damit mehr als 10% der für ganz Somalia gemeldeten 4096 Todesfälle (ACCORD, Somalia Jahr 2015: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location and Event Data Projekt (ACCED), 4. Februar 2016). Darin wird jedoch wiederum darauf hingewiesen, dass es insbesondere bei den Opferzahlen „zur Untererfassung“ kommen kann. Insgesamt lässt sich daher nach der Auskunftslage eine Relation für die Gefährdung des Lebens oder der Unversehrtheit von Zivilpersonen nicht zuverlässig bilden. Nach wertender Betrachtung der Auskunftslage ist sie jedoch als hoch anzusetzen.

Gefahrerhöhende persönliche Umstände, die den Kläger wegen persönlicher Merkmale einem besonderen Sicherheitsrisiko aussetzen könnten, ergeben sich zwar nicht bereits aus seiner Situation als Rückkehrer nach einem Auslandsaufenthalt. Die Al-Shabaab sieht Rückkehrer aus westlichen Ländern möglicherweise als Spione der Regierungstruppen an (European Asylum Support Office, EASO Country of Origin Information report - South and Central Somalia - Country Overview, August 2014, S. 106); da sie aber in den unter der Kontrolle der Regierung stehenden Gebieten nicht mehr frei agieren kann und angesichts der Zahl von rückkehrenden Personen - v.a. auch Binnenvertriebene (vgl. European Asylum Support Office, EASO Country of Origin Information Report - South and Central Somalia - Country Overview, August 2014, S. 117; Österreichisches Bundesasylamt, Analyse der Staatendokumentation - Somalia - Sicherheitslage, 25. Juli 2013, S. 19) - ergibt sich daraus nicht für jeden Rückkehrer ohne weiteres eine ernsthafte Bedrohung.

Allerdings bestehen in der Person des Klägers zusätzliche gefahrerhöhende Umstände aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einem Minderheiten-Clan, konkret dem Clan der Tumal, und aufgrund seines glaubwürdigen Vortrags zu den Gründen seiner Ausreise aus Somalia. Der Kläger gab seine Clanzugehörigkeit in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof mit „Gaboye“ an. Demgegenüber wurde in der vor der mündlichen Verhandlung durchgeführten Sprachanalyse der Clan als „Tumal“ bezeichnet. Bei beiden Begriffen handelt es sich jedoch lediglich um unterschiedliche Bezeichnungen für den gleichen somalischen Minderheiten-Clan, für den die handwerkliche Tätigkeit als Schmied oder Metallverarbeiter charakteristisch ist (im Einzelnen vgl. Österreichischer Integrationsfonds (ÖIF) Länderinfo, Die Parias Somalias: Ständische Berufskasten als Basis sozialer Diskriminierung, 2010, S. 23 f.; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration, Minderheiten in Somalia, Juli 2010, S. 19). Die Angehörigen dieses Clans sind traditionell in metallverarbeitenden Berufen tätig. Aus der Sicht der somalischen Mehrheiten-Clans handelt es sich dabei um „unedle“ bzw. „unreine“ Berufe, weshalb die Angehörigen der sogenannten Mehrheiten-Clans auf die Tumal herabschauen. In der heutigen Zeit sind sie nicht lediglich, wie der Stammesname Tumal aussagt, als Schmiede tätig, sondern fertigen alle möglichen Gegenstände aus Metall, so z. B. werden auch Schweißarbeiten erbracht oder Arbeiten als Mechaniker ausgeführt. Die Tumal beschränken sich jedoch nicht auf diese Tätigkeiten, sondern werden auch in anderen Berufsfeldern, etwa in der Lederverarbeitung oder als Händler tätig (ÖIF Länderinfo, S. 23). Dies deckt sich mit den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu seinem Clan und seiner Familie. Dass der Kläger selbst und sein Vater nicht als Schmied bzw. in einem metallverarbeitenden Beruf tätig waren, ist insoweit unschädlich. Beim Kläger ergibt sich dies bereits daraus, dass er schon im jugendlichen Alter sein Heimatland verließ und daher schon keine Zeit gehabt hatte, ein derartiges Handwerk zu erlernen. Dass sein Vater nicht in einem metallverarbeitenden Beruf, sondern als Landwirt auf den Grundstücken seines Bruders tätig war, ist ebenfalls nach der Auskunftslage plausibel. Denn die Berufskasten wie die Tumal haben in der Zeit seit der Unabhängigkeit Somalias bis zum Sturz Siad Barres davon profitiert, dass das Clansystem in dieser Zeit gegenüber dem somalischen Nationalismus in den Hintergrund getreten ist und auch Angehörige von Minderheiten-Clans gesellschaftlich und wirtschaftlich aufsteigen konnten. Es ist daher durchaus plausibel, dass dies dem Onkel des Klägers gelang mit der Folge, dass er Grundbesitz erwerben konnte. Dieser Grundbesitz musste nun selbstverständlich bewirtschaftet werden, was der Vater des Klägers übernahm (zum Hintergrund vgl. ÖIF, S. 39). Diese abweichende Tätigkeit ändert aber nichts an der Zugehörigkeit des Klägers und seines Vaters zu dem Minderheiten-Clan der Tumal.

Die Minderheiten-Clans werden von den somalischen Mehrheiten-Clans grundsätzlich nicht als gleichwertig angesehen. So dulden die „noblen“ somalischen Mehrheiten-Clans keine Heiratsverbindungen mit Angehörigen der Minderheiten-Clans. Dadurch sind die Minderheiten-Clans sozial isoliert. In der nach dem Sturz Siad Barres eingetretenen Bürgerkriegssituation machte sich dies dahingehend bemerkbar, dass sie weitgehend schutzlos waren, da die bürgerkriegsführenden Parteien sich im Wesentlichen durch eine Zugehörigkeit zu einem Mehrheiten-Clan definierten. Dementsprechend waren und sind die Minderheiten-Clans militärisch schwach. Ihre Verletzlichkeit wird noch dadurch gesteigert, dass sie regelmäßig politisch neutral sind, was dazu führt, dass sie grundsätzlich allen Seiten verdächtig sind. Bei Inbesitznahme einer Region durch einen neuen Warlord wurden sie im Bürgerkrieg häufig beschuldigt, den bisherigen Machthaber zu unterstützen, egal ob dies der Fall war oder nicht (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Minderheiten in Somalia, S. 2). Aufgrund ihrer Stellung im von Clanstrukturen geprägten Gesellschaftssystem Somalias sind die Angehörigen der Minderheiten-Clans daher im gestiegenen Maße gefährdet, zwischen die Fronten der bewaffneten Auseinandersetzungen zu geraten. Betrachtet man die Situation des Klägers bei einer möglichen Rückkehr in seine Heimatstadt, so ist insoweit zu bemerken, dass diese nach der Vertreibung der Al-Shabaab-Milizen zwar von Truppen der somalischen Armee und der AMISOM kontrolliert wird, dominant in der Stadt ist jedoch der Mehrheiten-Clan der Hawadle, wie der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof angab. Gegenüber dieser dominanten Clangruppierung ist der Kläger als Angehöriger eines Minderheiten-Clans von vornherein in einer unterlegenen Situation. Er ist daher im gesteigerten Maße in Gefahr, zwischen die Fronten von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Mehrheiten-Clans und deren Milizen zu geraten, die nach der Auskunftslage auch in der Heimatregion des Klägers trotz der Präsenz von Regierungstruppen stattfinden (EASO, Somalia Security Situation, S. 60).

Hinzu kommt noch als weiteres gefahrerhöhendes Moment, dass der Kläger bereits früher in den Fokus der Al-Shabaab geraten ist. Er hat glaubwürdig angegeben, dass der Grund für seine Ausreise aus Somalia darin gelegen habe, dass er zusammen mit seinem Bruder in Buulobarde eine Art Kino betrieben habe, konkret sei es ein Fernseher mit Satellitenempfänger gewesen. Dies sei der Al-Shabaab ein Dorn im Auge gewesen, weshalb diese ihnen das Betreiben des Kinos verboten hätten. Sein Bruder habe sich geweigert und sei daraufhin von der Al-Shabaab mitgenommen und getötet worden. Seine Mutter habe ihn daher weggeschickt. Die Glaubwürdigkeit dieses Vortrags ergibt sich einerseits daraus, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung ruhig und widerspruchslos den Sachverhalt vorgetragen hat. Auch auf Nachfragen zu eher nebensächlichen Aspekten, wie z. B. der Frage, wie er sich auf dem Lastwagen, mit dem er von seinem Onkel aus der Stadt geschmuggelt wurde, versteckt habe, konnte der Kläger sofort und ohne Zögern eine schlüssige Antwort geben. Der gesamte Sachvortrag des Klägers war daher in sich konsistent und erweckte den Eindruck, dass er über einen selbst erlebten Sachverhalt berichtete. Schließlich ist der Sachverhalt auch vor dem Hintergrund der Ideologie der islamisch-fundamentalistischen Al-Shabaab plausibel. Denn das Betrachten von Fernsehsendungen, unter anderem auch aus dem westlichen Ausland, ist nach deren Ideologie unerwünscht und verdammungswürdig. So konstatiert auch der EASO Bericht zur Sicherheitssituation vom Februar 2016, dass in den Gebieten unter der Kontrolle von Al-Shabaab ein Verbot von Musik, Film, Sport etc. gilt, das bei Verstößen mit empfindlichen Strafen einschließlich Amputation und Enthauptung geahndet wird (a. a. O. S. 19). Dass ein junger Mann, der sich weigert, auf Aufforderung der Al-Shabaab derartige Sendungen nicht weiter der Bevölkerung seines Viertels zugänglich zu machen, in den Augen der Al-Shabaab ein mit dem Tode zu bestrafendes Verbrechen begangen hat, leuchtet ein. Andererseits leuchtet es aber auch ein, dass der Kläger und sein Bruder, da es sich dabei um ihre einzige Einnahmequelle handelte, nicht bereit waren, diese Tätigkeit aufzugeben. Insgesamt bestehen daher keine Zweifel am Vortrag des Klägers. Aufgrund dieses Sachverhalts wäre der Kläger auch bei einer Rückkehr in seine Heimatstadt wieder oder erneut im Fokus der Al-Shabaab. Nachdem nach der Auskunftslage davon auszugehen ist, dass die Al-Shabaab zwar aus Buulobarde vertrieben ist, sie jedoch weiterhin in der Lage ist, auch in der Stadt Angriffe auf einzelne Ziele zu verüben und dies auch tut, besteht die erhebliche Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger einer Gefährdung für Leib und Leben aufgrund der Kampfhandlungen im Rahmen des genannten innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zwischen der Al-Shabaab, Clan-Milizen der herrschenden Clans und der auf der Seite der somalischen Regierung kämpfenden Truppen geraten würde.

Die Berufung der Beklagten war daher zurückzuweisen.

Über die Kosten des Verfahrens war insgesamt erneut zu entscheiden, da das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 13. Februar 2014 auch die in Ziffer 3 des Urteils des Senats vom 17. Januar 2013 getroffene Kostenentscheidung aufgehoben hat. Soweit die Klage hinsichtlich der in Ziffer 1 des Bescheides vom 18. Oktober 2010 verfügten Einstellung des Asylverfahrens abgewiesen wurde, trägt der Kläger als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens. Soweit der Klage hinsichtlich des subsidiären Schutzstatus stattgegeben wurde unter Aufhebung von Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides, ist die Beklagte der unterlegene Teil im Sinne des § 154 Abs. 1 VwGO mit der Folge, dass das nach § 155 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens hälftig zu teilen waren. Der Senat geht dabei von einer Gleichwertigkeit der Streitgegenstandsteile aus.

Die Revision wird nicht zugelassen, da die in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe nicht vorliegen.

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 15. September 2014 wird geändert. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung gegen die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Verpflichtung, dem Kläger subsidiären Schutz zuzuerkennen.

Der Kläger, nach eigenen Angaben ein am 5. Oktober 1994 in Mogadischu geborener somalischer Staatsangehöriger, reiste am 12. August 2012 in das Bundesgebiet ein und stellte hier am 12. September 2012 einen Asylantrag.

In der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 22. Mai 2013 gab der Kläger im Wesentlichen an, er gehöre dem Clan Abgal, Sub-Clan Wacaysleh an. Seine Religion sei der Islam. Seine letzte Anschrift im Herkunftsland sei Mogadischu gewesen, Stadtteil M* … Straße J* … Dort habe er bis zu seiner Ausreise gelebt. In Mogadischu lebten noch seine Mutter und seine Großmutter mütterlicherseits. Er habe keine Geschwister, sein Vater sei im Jahr 2010 verstorben. Er habe in Somalia 8 Jahre lang die Schule besucht und danach an einem Stand auf dem Markt Fleisch verkauft. Er habe keinen Wehrdienst geleistet.

Am 1. November 2011 habe er Mogadischu verlassen und sei 6 Tage lang mit verschiedenen PKWs nach Addis Abeba (Äthiopien) gefahren. Dort habe er sich 9 Monate lang aufgehalten. Während dieser Zeit habe er seine nach religiösem Ritus getraute Ehefrau kennengelernt. Da er nach der Heirat nach Deutschland weitergereist sei, sei seine Frau zu ihrer Schwester nach Nairobi in Kenia gegangen, nach dem Tod der Schwester jedoch in ihre Heimatstadt G* … zurückgekehrt. Dort sei am 18. Mai 2013 auch der gemeinsame Sohn geboren worden, der bei der Ehefrau des Klägers lebe. Von Addis Abeba sei der Kläger direkt nach Frankfurt am Main geflogen. Ein somalischer Mann habe ihn als sein Kind ausgegeben und mitgenommen. Vom Flughafen aus sei er mit dem Zug nach München gefahren. Die Ausreise habe er mit 10 Millionen somalischer Schillinge bezahlt, die als Erlös aus dem Verkauf eines geerbten Grundstücks stammten.

Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Kläger an, sein Vater sei von einer Al-Shabaab-Miliz umgebracht worden, weil er sich geweigert habe, für sie zu kämpfen. Der Kläger habe dann den Job des Vaters auf dem Markt übernommen. Zu dieser Zeit hätten die Al-Shabaab-Milizen versucht, eine Menge junger Leute zu rekrutieren. Sie seien deshalb auch auf den Kläger zugekommen und hätten ihn gefragt, ob er mit ihnen kämpfen wolle. Weil er sich geweigert habe, seien sie wiederholt gekommen, hätten ihn beschimpft und bedroht. Seine Mutter habe ihm geraten, auf keinen Fall mitzugehen. Letztendlich hätten sie ihn dann mitgenommen und eingesperrt. Nach 3 Tagen habe ihm ein Junge mitgeteilt, dass er zum Tode verurteilt worden sei. Während der Gefangenschaft sei er geschlagen, beschimpft und schikaniert worden. In der Nacht, nachdem er von dem Todesurteil erfahren habe, habe sich eine Möglichkeit geboten, zu fliehen. Er sei über eine Mauer gesprungen. Ein Junge aus seiner Nachbarschaft, der für die Al-Shabaab gearbeitet habe, habe ihm dabei geholfen. Der Junge habe ihn aus dem Zimmer geholt, so als ob er ihn zur Toilette bringen würde. Dann sei er über diese Mauer geflohen. Es habe zwar noch weitere Bewachung in dem Lager gegeben, die Wachleute seien aber in Schichten eingeteilt gewesen und zum Zeitpunkt seiner Flucht habe dieser Junge Schicht gehabt. Das Lager habe sich in einem Stadtteil von Mogadischu, Deyniile, befunden. Auf die Frage, welche Gründe es gebe, jetzt nicht nach Mogadischu zurückzukehren, gab der Kläger an, dass die Al-Shabaab nach wie vor noch Leute umbringe. Wie die Situation in G* … sei, wo seine Frau und sein Sohn lebten, wisse er nicht. Er sei selbst nie dort gewesen. Seine Frau habe er in Äthiopien kennengelernt.

Mit Bescheid vom 25. September 2013 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter (Ziff. 1. des Bescheides) sowie auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziff. 2.) ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 3.) und forderte den Kläger unter Fristsetzung zur Ausreise auf; für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Somalia bzw. in einen anderen zur Aufnahme bereiten oder verpflichteten Staat angedroht (Ziff. 4.). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe eine asyl- bzw. flüchtlingsschutzrechtlich relevante Betroffenheit nicht glaubhaft machen können. Sein diesbezügliches Vorbringen sei ungereimt bzw. nicht nachvollziehbar. Auch ergäben sich selbst bei einer Wahrunterstellung des Vorbringens zur angeblichen Zwangsrekrutierung keine relevanten Umstände, die die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtfertigten. Die Zwangsrekrutierungen erfolgten wahllos und ungeachtet der Identität des Einzelnen. Eine drohende Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe habe der Kläger nicht glaubhaft gemacht. Angesichts der im Gebiet der Hauptstadt Mogadischu herrschenden Situation drohten ihm bei Rückkehr keine erheblichen individuellen Gefahren. Die bewaffneten Auseinandersetzungen erreichten nicht mehr allgemein für alle Personen in der Region ein derartiges Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit, dass Angehörige der Zivilbevölkerung in Folge der Gefahrverdichtung einer erheblichen individuellen und willkürlichen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt seien. Den Angaben des Klägers sei auch nicht zu entnehmen, dass für ihn aus individuellen Umständen eine Gefahrenlage bestehe, weil er aufgrund seiner persönlichen Situation spezifisch betroffen sei. Ein individuelles Verfolgungsschicksal habe er nicht glaubhaft machen können. Auch andere Umstände, nach denen sich für ihn die Gefahr verdichten könnte, seien nicht ersichtlich. Für das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. 7 Satz 1 AufenthG fehle es sowohl an einem glaubhaften Vortrag des Klägers als auch an anderweitigen Erkenntnissen.

Gegen diesen ihm am 10. Oktober 2013 zugestellten Bescheid (Bl. 88 der Bundesamtsakte) ließ der Kläger am 22. Oktober 2013 beim Verwaltungsgericht Regensburg Klage erheben.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gab der Kläger im Wesentlichen an, die Al-Shabaab habe gewollt, dass sein Vater mit ihnen zusammenarbeite, dieser habe sich jedoch geweigert. Eines Abends während des Abendessens seien sie gekommen und hätten seinen Vater erschossen. Der Kläger sei damals noch zur Schule gegangen. Wegen des Todes seines Vaters habe er sich dann aber Arbeit suchen müssen. Es sei dann ein Mann von Al-Shabaab gekommen und habe ihn aufgefordert, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Er habe ihn dann in ein Gefangenenlager der Al-Shabaab mitgenommen. Dort sei er 3 Tage lang festgehalten worden. Er sei dort gemeinsam mit vielen anderen Männern gewesen. Eines Abends habe ein Mann aus der Nachbarschaft Wache gehabt. Er habe den Kläger gerufen und ihm mitgeteilt, dass er zum Tod verurteilt worden sei. Der Mann habe ihm auch gesagt, dass er ihm helfen werde. Eines Nachts sei der Mann zu ihm gekommen und habe ihn aufgefordert, mit ihm zur Toilette zu gehen. An einer Stelle sei die Mauer niedrig gewesen und der Mann habe den Kläger aufgefordert, darüber zu springen. Er sei dann zurück zu seiner Mutter gegangen, die ihm geraten habe, sich zu verstecken. In dem Gefängnis seien sie immer in einem Raum eingesperrt gewesen. Selbst bei den Toilettengängen seien sie bewacht worden. An dem Abend seiner Flucht habe der Mann aus der Nachbarschaft zwar nicht alleine Dienst gehabt, die anderen Wachen hätten jedoch geschlafen.

Den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter nahm der Kläger in der mündlichen Verhandlung zurück.

Mit Urteil vom 15. September 2014 hob das Verwaltungsgericht Regensburg den Bescheid der Beklagten vom 25. September 2013 in Ziff. 3. und 4. auf und verpflichtete die Beklagte, dem Kläger subsidiären Schutz zu gewähren. Im Übrigen wies es die Klage ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, es bestehe kein Anspruch des Klägers auf Anerkennung als Flüchtling, weil die geschilderte Vorverfolgung nicht glaubhaft sei. Der Kläger habe jedoch Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 4 AsylVfG. In Süd- und Zentralsomalia herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, aufgrund dessen ihm eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit in Folge willkürlicher Gewalt drohe. Zu berücksichtigen sei dabei die sog. Beweiserleichterung, weil es keinerlei Anhaltspunkte gebe, dass der Kläger nicht wie angegeben aus Süd- oder Zentralsomalia komme und seine Heimat aus anderen Gründen als wegen der instabilen Verhältnisse verlassen habe. Entsprechend der Auskunftslage habe es spätestens seit etwa dem Jahr 2007 der Praxis der Beklagten entsprochen, zumindest Abschiebungsschutz wegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts oder drohender Menschenrechtsverletzungen zu gewähren. Eine quantitative Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos sei nicht möglich. Bestätigt worden sei diese Entscheidungspraxis durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 28. Juni 2011 (Az. 8319/07, Sufi und Elmi). Eine maßgebliche Änderung der Situation in Süd- und Zentralsomalia liege nicht vor. Es gebe keine belastbaren Zahlen, in welchem Umfang andere Aktivitäten der Al-Shabaab bzw. anderer regierungsfeindlicher Gruppierungen sowie willkürliche Akte der auf der Seite der Regierung stehenden Einheiten weiterhin Todes- und Verletzungsopfer in der Zivilbevölkerung forderten. Zwar habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einer Entscheidung vom 5. September 2013 (Az. 886/11) entschieden, dass nicht mehr angenommen werden könne, es bestehe für Jedermann in Mogadischu das ernsthafte Risiko einer Verletzung des Art. 3 EMRK. Schon in einer abweichenden Meinung (dissenting opinion) hierzu sei jedoch ausgeführt worden, dass der Gerichtshof seine eigenen Vorgaben in der Entscheidung vom 28. Juni 2011 nicht ausreichend berücksichtigt habe. Insbesondere beruhe die Einschätzung des Rückgangs ziviler Opfer nicht auf belastbaren Zahlen. Es sei die Zahl der Rückkehrer vor dem Hintergrund der weiterhin extrem hohen Zahl der Vertriebenen überbewertet und die fehlende gesicherte Lebensgrundlage missachtet worden sowie die Unberechenbarkeit der Situation nach 20 Jahren Bürgerkrieg nicht hinreichend berücksichtigt worden. Die angenommene positive Entwicklung habe sich weder bestätigt noch fortgesetzt. Eine quantitative Ermittlung des bestehenden Verletzungsrisikos sei auch nicht annäherungsweise möglich. Fest stehe, dass Al-Shabaab in einigen Landesteilen weiterhin die Macht habe und in Mogadischu noch präsent sei. Keine sicheren Rückschlüsse ließen die vorliegenden Erkenntnisquellen darauf zu, in welchem Umfang es auch in den „befreiten“ Städten noch zu den von der Mehrheit der männlichen Asylbewerber geschilderten Zwangsrekrutierungen komme. Zusätzlich zu dieser generellen Einschätzung könne sich der Kläger auf gefahrerhöhende persönliche Umstände berufen. Als Rückkehrer nach jahrelanger Abwesenheit sei er auf den Schutz eines Clans besonders angewiesen. Er gehöre zwar nicht zu einer Minderheit, es sei aber fraglich, ob es ihm überhaupt gelingen werde, wieder seine Stammfamilie und über diese die Verbindung zu seinem Clan zu finden. Dazu bestehe das Risiko, dass er schon deshalb als Feind der Al Shabaab und anderer militanter muslimischer Gruppen angesehen werde, weil er sich während der Auseinandersetzungen durch die Ausreise einer Parteinahme entzogen habe und nach der offiziellen Machtübernahme durch die Regierung zurückkomme.

Nach Zulassung der Berufung mit Beschluss des Senats vom 11. Mai 2015 (Az. 20 ZB 14.30469) beantragte die Beklagte unter dem 8. Juni 2015,

unter Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung die Klage abzuweisen, soweit ihr stattgegeben wurde.

Zur Begründung wurde zunächst auf den Zulassungsantrag Bezug genommen und ergänzend ausgeführt, tragfähige Gründe für die Zuerkennung des unionsrechtlichen subsidiären Schutzstatus seien weiterhin nicht feststellbar. Auch zeige sich weiterhin nichts Durchgreifendes für einen Anspruch auf das nationale ausländerrechtliche Abschiebungsverbot. Es fehle an einer tragfähigen Grundlage für einen Anspruch auf den unionsrechtlichen subsidiären Schutzstatus nach den Anspruchsgrundlagen des § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG. Zwar werde die Sicherheits- und Versorgungslage nach wie vor als fragil beschrieben. Unabhängig davon, ob und in welchen Teilen des Landes gegenwärtig von einem bewaffneten Konflikt auszugehen wäre, erreiche dessen Intensität jedenfalls nicht den erforderlichen besonders hohen Grad, um eine konkrete individuelle Bedrohung jeder Zivilperson bereits infolge des Aufenthalts in Somalia bejahen zu können. Auch für die Zeit der vom Kläger genannten Ausreise aus Somalia beschrieben die Quellen ein insoweit durchaus vergleichbares Bild. Individuelle besondere gefahrerhöhende Umstände seien nicht erkennbar. Insbesondere ließen sich die vom Verwaltungsgericht herangezogenen Erwägungen hierzu nicht als ausreichende Aspekte werten. Denn soweit es die Situation als Rückkehrer und daran vermeintlich anknüpfende Verdächtigungen betreffe, erhöhe dies nicht das Risiko willkürlicher Betroffenheit, sondern könne allein Einfluss auf das Risiko einer gezielten Rechtsgutsverletzung haben. Eine gerichtlich für erforderlich erachtete besondere Angewiesenheit auf den Schutz durch einen Clan möge sich auf die Chancen bei der Wiedereingliederung in die Lebenswirklichkeit Somalias bzw. auf den Grad der zu überwindenden Schwierigkeiten auswirken, um sich das nötige Auskommen zu erwirtschaften. Inwiefern aber Schutz vor willkürlicher Gewalteinwirkung vermittelt werden sollte, bleibe nicht naheliegend. Belastbare Anhaltspunkte für besondere in der Person des Klägers erfüllte Umstände, die ein nationales Abschiebungsverbot begründen sollten, zeigten sich ebenfalls nicht. Soweit es andererseits die Folgen der allgemeinen Verhältnisse anbelange, handele es sich um Gefährdungslagen, die zugleich der dortigen Bevölkerung bzw. einer Bevölkerungsgruppe allgemein drohten. Sie könnten daher nur im Fall einer Schutzlücke die Überwindung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG rechtfertigen. Auch für eine alsbald nach der Rückkehr drohende Extremgefahr ließen sich aber bislang keine ausreichenden Anhaltspunkte feststellen.

Der Kläger beantragte,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung wurde auf den bisherigen Vortrag verwiesen und ergänzend ausgeführt, in Somalia herrsche ein Bürgerkrieg, der insbesondere in den Grenzregionen und den Einflusssphären der um die Macht kämpfenden Milizen sowie durch marodierende bewaffnete kriminelle Banden zu permanenten Gefährdungen der dort ansässigen Zivilbevölkerung führe. Diese sei schweren Menschenrechtsverletzungen sowohl durch Kampfhandlungen der streitenden Milizen als auch durch die „Justiz“ der jeweils obsiegenden Partei ausgesetzt. Inländische Fluchtalternativen seien nicht ersichtlich. In Anbetracht der Intensität des bewaffneten Konfliktes bestehe eine konkrete individuelle Bedrohung jeder Zivilperson bereits aufgrund ihres dortigen Aufenthaltes.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der vorgelegten Behördenakten verwiesen, wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung auf die Niederschrift vom 23. März 2017.

Gründe

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist nach der unanfechtbar gewordenen Ablehnung der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung nur noch die Frage, ob dem Kläger der subsidiäre Schutzstatus nach § 4 AsylG, hilfsweise ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zusteht.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.

Dem Kläger steht weder auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus noch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes hinsichtlich Somalias ein Rechtsanspruch zu. Auch die Abschiebungsandrohung ist deshalb nicht zu beanstanden. Der Bescheid der Beklagten vom 25. September 2013 ist daher, soweit er Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO). Aus diesen Gründen war das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und die Klage abzuweisen.

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus, weil die Voraussetzungen des § 4 AsylG nicht vorliegen. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG gelten als ernsthafter Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) sowie eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).

a) Nach den in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen stellt sich die allgemeine Situation in Somalia aktuell im Wesentlichen wie folgt dar: Somalia ist spätestens seit Beginn des Bürgerkriegs 1991 ohne flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die Autorität der Zentralregierung wird vom nach Unabhängigkeit strebenden „Somaliland“ im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen Al-Shabaab-Miliz in Frage gestellt. Das Land zerfällt faktisch in drei Teile, nämlich das südliche und mittlere Somalia, die Unabhängigkeit beanspruchende „Republik Somaliland“ im Nordwesten und die autonome Region Puntland im Nordosten. In Puntland gibt es eine vergleichsweise stabile Regierung; die Region ist von gewaltsamen Auseinandersetzungen deutlich weniger betroffen als Süd-/Zentralsomalia. In „Somaliland“ wurde im somaliaweiten Vergleich das bislang größte Maß an Sicherheit, Stabilität und Entwicklung erreicht. In Süd- bzw. Zentralsomalia mit der Hauptstadt Mogadischu kämpfen die somalischen Sicherheitskräfte mit Unterstützung der Militärmission der Afrikanischen Union AMISOM gegen die Al-Shabaab-Miliz. Die Gebiete befinden sich teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der Al-Shabaab-Miliz oder anderer Milizen. Die meisten größeren Städte sind schon seit längerer Zeit in der Hand der Regierung, in den ländlichen Gebieten herrscht oft noch die Al-Shabaab. In den „befreiten“ Gebieten finden keine direkten kämpferischen Auseinandersetzungen mehr statt. Die Al-Shabaab verübt jedoch immer wieder Sprengstoffattentate auf bestimmte Objekte und Personen, bei denen auch Unbeteiligte verletzt oder getötet werden (siehe Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 1. Januar 2017 - Stand: November 2016, S. 4 f.; Österreichisches Bundesasylamt, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia - vom 25. April 2016, S. 13 ff. und Analyse der Staatendokumentation - Somalia - Sicherheitslage, 12. Oktober 2015, S. 32; siehe auch EGMR, U.v. 10.9.2015 - Nr. 4601/14 [R.H./Schweden] - NVwZ 2016, 1785; U.v. 5.9.2013 - Nr. 886/11, [K.A.B. ./. Schweden] - Rn. 87 ff.; BayVGH, U.v. 17.3.2016 - 20 B 13.30233 - juris und U.v. 17.3.2016 - 20 B 13.30233 - juris; OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 16.12.2015 - 10 A 10689/15 - juris = Asylmagazin 2016, 29).

b) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes auf der Grundlage des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG, weil er eine individuelle Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch die Al-Shabaab nicht glaubhaft gemacht hat. Auch in der informatorischen Anhörung des Klägers durch den Senat in der mündlichen Verhandlung sind die vorhandenen Zweifel an der Glaubwürdigkeit des vorgetragenen Geschehens nicht entkräftet worden. Der Kläger hat seinen diesbezüglichen Vortrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sowohl im Vergleich zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht als auch im Vergleich zur Anhörung beim Bundesamt erheblich gesteigert und bestehende Widersprüche nicht aufgelöst. So hat der Kläger erstmals gegenüber dem Senat einen Freund erwähnt, der mit ihm zusammen in dem Gefangenenlager der Al-Shabaab interniert gewesen sei. Auch hat er vorher nicht berichtet, dass dort auch Frauen eingesperrt worden seien. Zudem erscheint der vorgetragene Geschehensablauf nicht glaubhaft. Denn es ist nicht plausibel, dass der Kläger von Al-Shabaab zunächst gefangen genommen und zum Tode verurteilt worden, dann aber mit der Hilfe eines Bewachers geflohen sein soll. Gerade wenn ein solches Gefangenenlager unzureichend gegen Fluchtversuche gesichert worden wäre, wie der Kläger vorgetragen hat, erscheint es umso weniger nachvollziehbar, dass ein zum Tode verurteilter Gefangener nicht strenger bewacht worden sein soll. Diese Unschlüssigkeit hat der Kläger trotz gezielter Nachfrage nicht erklären können. Noch stärker spricht aber gegen die Glaubwürdigkeit des Klägers, dass er trotz Nachfrage keinen plausiblen Grund dafür genannt hat, dass der Bewacher nach seinem Vortrag ein hohes persönliches Risiko der Bestrafung hätte eingehen sollen, um dem Kläger die Flucht zu ermöglichen. Alleine der Umstand, dass dieser Bewacher ein ehemaliger Nachbar gewesen sein soll, vermag dies nicht überzeugend zu erklären. Anstatt hierfür eine plausible Erklärung zu liefern, hat der Kläger seinen Vortrag weiter gesteigert, indem er erstmals vor dem Senat behauptet hat, dieser Bewacher sei ein Anführer gewesen. Selbst dieser Umstand könnte aber nicht plausibilisieren, dass ein Anführer einen zum Tode verurteilten Gefangenen hätte laufen lassen.

c) Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Es ist bereits fraglich, ob in der für die Beurteilung maßgeblichen Herkunftsregion des Klägers, der Hauptstadt Mogadischu, noch ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrscht. Vom Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist auszugehen, wenn die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grades an Gewalt ist (EuGH, U.v. 30.1.2014 - C-285/12 [Diakité] - NVwZ 2014, 573 = juris, Leitsatz 1 und Rn. 28; BayVGH, U.v. 7.4.2016 - 20 B 14.30101 - juris Rn. 20). Mogadischu gehört zu den von der Herrschaft der Al-Shabaab befreiten Gebieten, die zwar vielleicht noch nicht „befriedet“ sind, jedoch definitiv nicht mehr im Kriegszustand stehen (Österreichisches Bundesasylamt, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia - vom 25. April 2016, S. 22; OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 16.12.2015 - 10 A 10689/15 - juris Rn. 35). Es erscheint unwahrscheinlich, dass Al-Shabaab die Kontrolle über Mogadischu wiedergewinnen könnte (Österreichisches Bundesasylamt a.a.O.). Dieser Einschätzung steht nicht entgegen, dass in Mogadischu - wie in anderen „befreiten“ Gebieten - die Al-Shabaab nach wie vor Attentate auf bestimmte Objekte und Personen verübt, bei denen auch Unbeteiligte verletzt oder gar getötet werden, und auch direkte Kampfhandlungen stattfinden (vgl. Österreichisches Bundesasylamt, Analyse der Staatendokumentation - Somalia, Lagekarten zur Sicherheitslage v. 12.10.2015, S. 22 ff.; dies., Länderinformationsblatt v. 25.4.2016, S. 22). Die Al-Shaban vollzieht dort nunmehr eine asymmetrische Kriegsführung, die insbesondere gezielte Attentate, den Einsatz von unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen und überfallartige Angriffe (sog. „hit and run“) umfasst (vgl. OVG Rheinland-Pfalz a.a.O., m.w.N.; Österr. Bundesasylamt, Länderinformationsblatt v. 25.4.2016, S. 22; dies., Lagekarten zur Sicherheitslage v. 12.10.2015, S. 22 ff.). Der erreichte Zustand wird daher in nahezu allen Berichten als fragil oder unbeständig beschrieben (vgl. z.B. Auswärtiges Amt, Lagebericht Somalia, Stand Oktober 2015, S. 4; Österreichisches Bundesasylamt, Länderinformationsblatt v. 25.4.2016, S. 17; EASO [European Asylum Support Office], Country of Origin Information Report, Somalia - Security Situation, Februar 2016, S. 51 ff.). Hierauf kommt es jedoch nicht entscheidend an. Denn jedenfalls ist der Kläger aufgrund der beschriebenen Konfliktlage als Zivilperson keiner ernsthaften, individuellen Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt.

Für die Annahme einer ernsthaften individuellen Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG genügt es nicht, dass der innerstaatliche bewaffnete Konflikt zu permanenten Gefährdungen der Bevölkerung führt (BVerwG, U.v. 13.2.2014 - 10 C 6.13 - juris Rn. 24). Die von einem bewaffneten Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr kann sich jedoch individuell verdichten. Eine ernsthafte individuelle Bedrohung für Leib oder Leben kann in erster Linie auf gefahrerhöhenden persönlichen Umständen beruhen. Dies sind solche Umstände, die den Ausländer von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen als andere. Möglich sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der Ausländer als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt (BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 33; U.v. 17.11.2010 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18). Im Ausnahmefall kann eine ernsthafte individuelle Bedrohung von Leib oder Leben aber auch durch eine allgemeine Gefahr hervorgerufen sein, die sich in besonderer Weise zugespitzt hat. Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes „allgemein“ ausgesetzt ist, stellen normalerweise zwar keine individuelle Bedrohung dar. Eine Ausnahme davon gilt aber bei besonderer Verdichtung der Gefahr, die unabhängig von individuellen gefahrerhöhenden Umständen zu deren Individualisierung führt. Davon ist auszugehen, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, U.v. 17.2.2009 - C-465/07 [Elgafaji] - juris Rn. 35, 39; U.v. 30.1.2014 - C-285/12 [Diakité] - juris Rn. 30; BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32; U.v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 19).

Unabhängig davon, ob die individuelle Bedrohungssituation auf persönliche Umstände oder ausnahmsweise auf die allgemeine Lage im Herkunftsland zurückgeht, sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt in dem jeweiligen Gebiet zu treffen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. In beiden Konstellationen ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die dort von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen verübt werden, notwendig (BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 33). Es bedarf zudem einer wertenden Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung unter Berücksichtigung der medizinischen Versorgungslage (BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 33; U.v. 13.2.2014 - 10 C 6.13 - juris Rn. 24). Das Bundesverwaltungsgericht sieht ein Risiko von 1:800, in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden, als so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt an, dass auch eine wertende Gesamtbetrachtung am Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nichts zu ändern vermag (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 22 f.; U.v. 17.11.2011 - 10 C 11/10 - juris Rn. 20 f. [Risiko von 1:1000]).

Für die Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr abzustellen. Für die Frage, welche Region als Zielort seiner Rückkehr anzusehen ist, kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Zielort der Abschiebung ist in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, U.v. 14.7.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17 unter Hinweis auf EuGH, U.v. 17.2.2009 - C-465/07 [Elgafaji]; zum Ganzen OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 16.12.2015 - 10 A 10689/15 - juris = Asylmagazin 2016, 29). Im Falle des Klägers ist daher auf Mogadischu als Herkunftsregion abzustellen.

d) Gemessen an den vorgenannten Kriterien fehlt es jedoch an einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Klägers bei einer Rückkehr nach Mogadischu.

Gefahrerhöhende persönliche Umstände, die ihn wegen persönlicher Merkmale einem besonderen Sicherheitsrisiko aussetzen könnten, sind nicht ersichtlich und wurden vom Kläger auch nicht vorgetragen. Der Kläger gehört keiner Risikogruppe an. Gefahrerhöhende Umstände ergeben sich auch nicht bereits aus seiner Situation als Rückkehrer nach einem Auslandsaufenthalt. Zwar sieht die Al-Shabaab Rückkehrer aus westlichen Ländern möglicherweise als Spione der Regierungstruppen an (EASO Country of Origin Information Report - South and Central Somalia - Country Overview, August 2014, S. 106); da sie aber in den unter der Kontrolle der Regierung stehenden Gebieten nicht mehr frei agieren kann und angesichts der Zahl von rückkehrenden Personen - v.a. auch Binnenvertriebenen (vgl. EASO Country of Origin Information Report - South and Central Somalia - Country Overview, August 2014, S. 117; Österreichisches Bundesasylamt, Analyse der Staatendokumentation - Somalia - Sicherheitslage, 12.10.2015, S. 23) - ergibt sich daraus nicht für jeden Rückkehrer ohne weiteres eine ernsthafte Bedrohung. Im Übrigen ist der Rückzug der formalen Präsenz der Al-Shabaab aus Mogadischu nach den vorliegenden Erkenntnismitteln dauerhaft. Es gibt in der Stadt daher kein Risiko mehr, von Al-Shabaab zwangsrekrutiert zu werden (Österreichisches Bundesasylamt, Länderinformationsblatt v. 25.4.2016, S. 22; EGMR, U.v. 10.9.2015 - Nr. 4601/14 [R.H./Schweden] - NVwZ 2016, 1785). Zwar hat der Kläger vorgetragen, sich vor seiner Ausreise in der Gefangenschaft der Al-Shabaab befunden und sich dieser durch Flucht entzogen zu haben, weshalb er der Al-Shabaab bereits einmal besonders aufgefallen sei (vgl. hierzu BayVGH, U.v. 7.4.2016 - 20 B 14.30101 - juris Rn. 30; OVG Rheinland-Pfalz U.v. 16.12.2015 - 10 A 10689/15 - juris = Asylmagazin 2016, 29). Dieses Vorbringen des Klägers ist jedoch nicht glaubhaft, wie bereits ausgeführt wurde (siehe oben zu b)). Zudem gehört der Kläger nicht einem Minderheiten-, sondern einem Mehrheitsclan, den Hawiye-Abgal, an (vgl. ACCORD, Clans in Somalia, Bericht zum Vortrag von Dr. Joakim Gundel v. 15.5.2009, S. 12, 14; EASO Länderüberblick Südu. Zentralsomalia, August 2014, S. 15, 21, 45 ff.). Auch unter diesem Aspekt kann also kein gefahrerhöhender persönlicher Umstand in der Person des Klägers angenommen werden.

e) Auch die allgemeine Lage ist nicht so gefährlich, dass sie sich unabhängig von persönlichen Merkmalen gegenüber jeder Zivilperson individualisiert. Die erforderliche Gefahrendichte ist in Mogadischu nicht gegeben. Eine genaue Bewertung der Gefahrendichte aufgrund einer quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos durch Gegenüberstellung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und der Akte willkürlicher Gewalt, erscheint jedoch kaum verlässlich möglich. Die Zahl der Zivilpersonen, die Opfer willkürlicher Gewalt geworden sind, kann kaum annäherungsweise verlässlich geschätzt werden, weil belastbare Zahlen nicht vorhanden sind. Dies betrifft etwa die Frage, ob in den insoweit verfügbaren Aufstellungen die Zählung der „Zivilpersonen“ auch solche Opfer umfasst, die den besonderen Risikogruppen (Politiker, Regierungsmitarbeiter etc.) angehören. Ebenso wird in den Berichten über Vorfälle meist lediglich über die Zahl der Getöteten, nicht aber auch über die der Verletzten berichtet (OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 16.12.2015 - 10 A 10689/15 - juris = Asylmagazin 2016, 29).

Die Gesamtbevölkerung von Mogadischu wird auf vermutlich über einer Million Einwohner einschließlich einer großen Anzahl Binnenvertriebener geschätzt (EASO Länderüberblick Südu. Zentralsomalia, August 2014, S. 16). Setzt man zu dieser Einwohnerzahl die sich aus der Aufstellung von ACCORD (Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED, 4.2.2016) ergebende Zahl der im Jahr 2015 in der gesamten Region Banaadir verzeichneten 370 Vorfälle mit 411 Toten - jedoch bezogen auf alle Konfliktvorfälle, d.h. nicht nur Gewaltvorfälle gegen Zivilpersonen - würde sich unter Zugrundelegung dieser Zahlenwerte ein Tötungsrisiko von etwa 1:2433 (0,0411%) ergeben, wobei eine Berechnung des Verletzungsrisikos mangels einer entsprechenden verfügbaren Auflistung nicht möglich erscheint. Die Aufstellung für das erste Quartal des Jahres 2016 (ACLED, 3.5.2016) mit 66 Vorfällen in der Region Banaadir und 80 Toten zeigt im Vergleich zu den beiden vorhergehenden Quartalen des Jahres 2015 (3/2015 und 4/2015) mit 82 Vorfällen und 79 Toten (4/2015, ACLED 4.2.2016) bzw. 80 Vorfälle und 75 Toten (3/2015, ACLED 4.2.2016) eine leicht rückläufige Tendenz bei der Zahl der Vorfälle bei gleich bleibender bzw. leicht gesteigerter Zahl der Todesopfer, welches ein Indiz für die in anderen Erkenntnismitteln festgestellte Änderung der Strategie der Al-Shabaab darstellt (siehe dazu unten), aber nicht zur Feststellung einer Verdichtung der allgemein bestehenden Gefahrenlage zu einer individuellen Gefahr für jede dort lebende Einzelperson führt.

Auch ungeachtet einer quantitativen Bewertung ergibt sich unter Zugrundelegung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen (v.a. Österreichisches Bundesasylamt, Länderinformationsblatt v. 25.4.2016, S. 22 ff. m.w.N.; EASO Security Situation Report, Februar 2016, S. 50 ff.) in Mogadischu keine solche Gefahrendichte, dass jedermann alleine aufgrund seiner Anwesenheit dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden. In den Berichten ist regelmäßig von „Verbesserungen“ die Rede, auch wenn dies angesichts der früheren extremen Situation nicht damit gleichgesetzt werden kann, dass keine wesentliche Gefahr für die Zivilbevölkerung mehr gegeben wäre. Mogadischu bleibt weiterhin unter der Kontrolle von Regierung und AMISOM. Der Rückzug der formalen Präsenz der Al-Shabaab ist dauerhaft. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Al-Shabaab wieder die Kontrolle über die Stadt erlangt. Es gibt in der Stadt daher kein Risiko mehr, von Al-Shabaab zwangsrekrutiert zu werden (Österreichisches Bundesasylamt, Länderinformationsblatt v. 25.4.2016, S. 22; EGMR, U.v. 10.9.2015 - Nr. 4601/14 [R.H./Schweden] - NVwZ 2016, 1785). Es gibt in Mogadischu keine Clanmilizen und keine Clangewalt, auch wenn einzelne Clans angeblich noch in der Lage sein sollen, Angriffe führen zu können. Die Stadt ist somit generell sicher, auch wenn sie von Al-Shabaab bedroht wird. Die größte Gefahr geht heute von terroristischen Aktivitäten der Al-Shabaab aus. Die Hauptziele dafür sind die Regierung und die internationale Gemeinde. Die Stadtbewohner sind normalerweise nur dann von Anschlägen betroffen, wenn sie sich „zur falschen Zeit am falschen Ort“ befinden. Jeder Einwohner kann sein persönliches Risiko weiter minimieren, indem er Gebiete oder Einrichtungen meidet, die klar als Ziel der Al-Shabaab erkennbar sind, wie vor allem Hotels, Restaurants, Regierungseinrichtungen und -konvois, Stellungen und Stützpunkte von Regierungskräften und AMISOM. Die Halbjahre 2/2014 und 1/2015 lassen bei sicherheitsrelevanten Zwischenfällen einen Abwärtstrend erkennen, wenngleich noch wöchentlich Angriffe stattfinden. Der Artillerie- und Mörserbeschuss ist drastisch zurückgegangen. In den ersten drei Quartalen 2015 kam es zu vier Feuergefechten auf die Bezirke Wardhiigleey, Xamar Weyne, Hodan, Dayniile und das Küstengebiet von W* …M* … dem Heimatbezirk des Klägers. Insgesamt scheint es für Al-Shabaab einerseits sehr schwierig geworden zu sein, Artillerie entsprechend einzusetzen. Andererseits scheint die Strategie von Al-Shabaab derzeit auch das Geringhalten von Kollateralschäden zu beinhalten. Handgranatenanschläge sind fast gänzlich aus der Strategie der Al-Shabaab ausgeschieden. Im Zeitraum Q1/2013 - Q1/2014 betrug die durchschnittliche Anzahl an Handgranatenanschlägen pro Quartal noch 86; in den Quartalen 2/2014 - 3/2015 ist diese Zahl auf unter 15 eingebrochen. Auch die Zahlen an gezielten Attentaten und Sprengstoffanschlägen sind - vor allem im Jahr 2015 - rückläufig. Im Zeitraum Q1/2013 - Q4/2014 betrug die durchschnittliche Anzahl an gezielten Attentaten 52; an Sprengstoffanschlägen 27. Vergleichsweise fallen die Zahlen in den ersten drei Quartalen 2015 geringer aus (46 und 19). Insgesamt sind die Zahlen terroristischer Aktivitäten seit einer Spitze im Q3/2013 nachhaltig eingebrochen und liegen im Jahr 2015 bei nur noch einem Drittel der Zahl. Hingegen scheint die Strategie der Al-Shabaab zunehmend bewaffnete Zusammenstöße als bevorzugtes Mittel zu umfassen. Betrug die Zahl der Scharmützel in den Quartalen des Jahres 2013 noch durchschnittlich 22, so stieg die Zahl im Jahr 2014 auf 36, im Jahr 2015 sogar weiter auf 44. Bei der Zusammenfassung terroristischer Aktivitäten (Artillerie- und Mörserbeschuss; gezielte Attentate; Sprengstoff- und Handgranatenanschläge) im ersten Halbjahr 2015 zeigt sich, dass mehrere Bezirke massiv betroffen sind. Dies gilt u.a. auch für den Heimatbezirk des Klägers, W* …M* … (vgl. Österreichisches Bundesasylamt a.a.O.). Mithin sind in Mogadischu die Zahlen an terroristischen Aktivitäten und auch die Gesamtzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen innerhalb der vergangenen vier Quartale zurückgegangen. Gleichzeitig bleibt aber die Zahl bewaffneter Auseinandersetzungen mit Al-Shabaab konstant hoch. Während terroristische Aktivitäten relativ flächendeckend über das Stadtgebiet verstreut vorkommen, konzentrieren sich bewaffnete Zusammenstöße in einer kleinen, übersichtlichen Anzahl an Bezirken. Insgesamt wird jedenfalls deutlich, dass Al-Shabaab in der Lage ist, fast im gesamten Stadtgebiet von Mogadischu terroristische Taten zu begehen. Die Zahl der Angriffe ging insgesamt zurück und diese richten sich vor allem gegen Repräsentanten der somalischen Regierung und ihre Unterstützer. Es ist zu erkennen, dass Al-Shabaab nach wie vor in der Lage ist, über die Peripherie in Randbezirke von Mogadischu einzudringen. Insgesamt ist jedenfalls feststellbar, dass Al-Shabaab in den von AMISOM/SNA kontrollierten Teilen der somalischen Hauptstadt mangels permanent anwesender, sichtbarer Kampfeinheiten nur geringer Einfluss zugesprochen werden kann, wenngleich die Anwesenheit verdeckter Elemente und die Durchführung terroristischer Aktivitäten das Leben der Bewohner beeinflussen (vgl. auch die Karte im Lagebericht des Österr. Bundesasylamtes a.a.O., S. 24). Bei wertender Betrachtung ergibt sich somit, dass die Gefahr für jede Einzelperson, in Mogadischu bei einem Anschlag oder Angriff getötet oder verletzt zu werden, in einigen Stadtteilen höher, in anderen niedriger liegt. Anschläge und bewaffnete Auseinandersetzungen haben in bestimmten Bezirken ihren Schwerpunkt. Gleichzeitig sind die Angriffe zielgerichtet auf bestimmte Personen und Objekte bezogen, weshalb unbeteiligte Zivilpersonen eher zufällig und auch von den Akteuren eher ungewollt Opfer werden. Dieses Risiko kann jedoch verringert werden, indem gefährdete Orte und Objekte gemieden werden. Dem höheren Anschlagsrisiko in einzelnen Stadtteilen können Betroffene durch Ausweichen in sicherere Stadtteile entkommen. Die Situation in Mogadischu ist somit nicht derart unsicher, dass jede dort anwesende Person einer erheblichen und individuellen Gefährdung an Leib oder Leben ausgesetzt wäre (im Ergebnis ebenso EGMR, U.v. 10.9.2015 - Nr. 4601/14 [R.H./Schweden] - NVwZ 2016, 1785; OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 16.12.2015 - 10 A 10689/15 - juris Rn. 45).

f) Der Kläger kann sich hier nicht auf einen vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden ernsthaften Schaden berufen, da sein diesbezüglicher Vortrag, wie bereits ausgeführt, nicht glaubwürdig ist. Ein ernsthafter Schaden könnte ihm bei seiner Ausreise aus Somalia im November 2011 aufgrund der damaligen bewaffneten Auseinandersetzungen zwar unmittelbar gedroht haben, wofür insbesondere die Einschätzung der Lage in Mogadischu im Jahr 2011 durch den EGMR (U.v. 28.6.2011 - Nr. 8319/07 [Sufi u. Elmi/Vereinigtes Königreich] - NVwZ 2012, 681) spricht. Ob die Gefährdung der Zivilbevölkerung durch diese Auseinandersetzungen das für die Annahme der Gefahr eines ernsthaften Schadens i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG erforderliche Ausmaß erreicht hat, kann aber letztendlich dahingestellt bleiben. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bezieht sich die Schadensvermutung des Art. 4 Abs. 4 der sog. Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 - Qualifikationsrichtlinie, QRL - ABl. Nr. L 337 S. 9) zum einen nicht auf das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes oder auf ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung. Zum anderen setzt sie einen inneren Zusammenhang zwischen dem früher unmittelbar drohenden Schaden und dem befürchteten künftigen Schaden voraus (BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 31). Letzterer fehlt hier jedenfalls aufgrund der seit 2011 in Mogadischu, wie bereits ausgeführt, erheblich verbesserten Sicherheitslage.

2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG, weil es auch dafür an den Voraussetzungen fehlt. Individuelle Abschiebungshindernisse wurden vom Kläger nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich. Relevant sind daher vorliegend nur solche Abschiebungsverbote, die sich für den Kläger aus einer Verdichtung der aus der ungünstigen Versorgungslage resultierenden allgemeinen Gefahrenlage zu einer extremen Gefahrensituation in seiner Person ergeben könnten.

a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unzulässig ist. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hat der Kläger jedoch nicht geltend gemacht, noch ist ein solches ersichtlich. Dies ergibt sich insbesondere nicht aus der nach den eingeführten Erkenntnismitteln unzureichenden Versorgungslage in Somalia. Einschlägig ist hier das Verbot der Folter und der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung des Art. 3 EMRK. Denn die Abschiebung durch einen Konventionsstaat kann dessen Verantwortlichkeit auch dann begründen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene dadurch tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden (EGMR, U.v. 12.1.2016 - Nr. 13442/08 [A.G.R./Niederlande] - NVwZ 2017, 293; U.v. 5.9.2013 - Nr. 886/11 [K.A.B./Schweden] - Rn. 68; U.v. 28.2.2008 - Nr. 37201/06 [Saadi/Italien] - NVwZ 2008, 1330 Rn. 125; ebenso BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris Rn. 23 m.w.N.). Allerdings folgt aus der EMRK kein Recht auf Verbleib in einem Konventionsstaat, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Falle einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe der Aufenthaltsbeendigung zwingend entgegenstehen, wobei solche humanitären Gründe auch in einer völlig unzureichenden Versorgungslage begründet sein können (BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris Rn. 23 ff. unter Verweis auf EGMR, U.v. 28.5.2008 - Nr. 26565/05 [N./Vereinigtes Königreich] - NVwZ 2008, 1334 Rn. 42; U.v. 28.6.2011 - Nr. 8319/07 [Sufi u. Elmi/Vereinigtes Königreich] - NVwZ 2012, 681; ebenso BayVGH, U.v. 21.11.2014 - 13a B 14.30284 - juris Rn. 17 f.). In Bezug auf Somalia, insbesondere Mogadischu geht der EGMR jedoch nunmehr in gefestigter Rechtsprechung - und in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung (EGMR, U.v. 28.6.2011 - Nr. 8319/07 [Sufi u. Elmi/Vereinigtes Königreich] a.a.O.) - davon aus, dass die allgemeine Lage dort nicht so ernst ist, dass eine Abschiebung ohne Weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK wäre (EGMR, U.v. 10.9.2015 - Nr. 4601/14 [R.H./Schweden] - NVwZ 2016, 1785; U.v. 5.9.2013 - Nr. 886/11 [K.A.B./Schweden] - Rn. 85 ff.). Auf Mogadischu ist hier abzustellen, weil dort die Abschiebung endet (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris Rn. 26), denn die Hauptstadt kann mit Linienflügen direkt angeflogen werden, ohne dass die Gefahr bestünde, dass der Kläger in einem anderen, weniger sicheren Landesteil Somalias landen würde oder diesen durchreisen müsste (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 1. Januar 2017 - Stand: November 2016 - S. 16; EGMR, U.v. 10.9.2015 a.a.O.). Der Senat schließt sich in Anbetracht der im Folgenden (siehe b)) noch näher darzulegenden Erkenntnisse über die Versorgungslage in Mogadischu der Einschätzung des EGMR an.

b) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist ebenfalls nicht ersichtlich. Ein solches Abschiebungsverbot ergibt sich für den Kläger nicht angesichts der allgemeinen schlechten Versorgungslage in Somalia. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Mangels einer derartigen Abschiebestopp-Anordnung ist die nach den eingeführten Erkenntnisquellen bestehende unzureichende Versorgungslage in Somalia eine allgemeine Gefahr, die aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht rechtfertigen kann. Diese Sperrwirkung kann nur dann im Wege einer verfassungskonformen Auslegung eingeschränkt werden, wenn für den Schutzsuchenden ansonsten eine verfassungswidrige Schutzlücke besteht (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 32 m.w.N.). Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die den Kläger in Somalia erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann er Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab. Die drohenden Gefahren müssen nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Die Gefahren müssen dem Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Nach diesem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad muss eine Abschiebung dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1 m.w.N. = juris). Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. zu alldem BVerwG, U.v. 29.9.2011 - 10 C 24.10 - BVerwGE 137, 226 = juris).

Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes ist in Süd- und Zentralsomalia die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln nach wie vor nicht gewährleistet; es gibt keinen sozialen Wohnraum oder Sozialhilfe und keine Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer (Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand: November 2016 - S. 16). Wenngleich die somalische Wirtschaft ständig wächst und eine Anzahl von somalischen Flüchtlingen bereit ist, freiwillig zurückzukehren bzw. viele schon zurückgekehrt sind (vgl. Österreichisches Bundesasylamt, Länderinformationsblatt Somalia v. 25.4.2016, S. 82 ff. m.w.N.; EASO Informationsbericht - Süd- und Zentralsomalia, Länderüberblick, August 2014, S. 36 ff.), ist doch in allen Städten Süd- und Zentralsomalias für den Großteil der Bevölkerung der Zugang zur sozialen Grundversorgung beschränkt. Clan und Familie, einbezogen die weitere Familie, sind nach wie vor die wichtigsten Faktoren bezüglich der Akzeptanz, der Sicherheit und dem Zugang zu Grundbedürfnissen wie Wohnung und Essen (Auswärtiges Amt, Lagebericht a.a.O.). Überdies sind einige Regionen Somalias derzeit von einer Dürrekatastrophe betroffen (vgl. Österreichisches Bundesasylamt, Kurzinformation der Staatendokumentation, Somalia - Dürre hält weiterhin an, 19.1.2017; UN Security Council, Report of the Secretary-General on Somalia, 9.1.2017, S. 12).

In Mogadischu stellt sich jedoch im Vergleich zu anderen Regionen Somalias die wirtschaftliche Situation günstiger dar, wenngleich zuverlässige Daten zur Wirtschaft unmöglich zu erhalten bzw. zu verifizieren sind (vgl. hierzu und zum Folgenden Österreichisches Bundesasylamt, Länderinformationsblatt Somalia, 25.4.2016, S. 82 ff.; EASO Informationsbericht - Süd- und Zentralsomalia, Länderüberblick, August 2014, S. 15 ff.). Etwa 20% der Bevölkerung von Mogadischu erhalten humanitäre Unterstützung in Form von Nahrungsmittelhilfe und anderen Leistungen von humanitären Organisationen. Die Männer dieser Bevölkerungsgruppen arbeiten oft im Transportwesen, am Hafen und als Bauarbeiter; Frauen arbeiten als Hausangestellte. Eine weitere Einkommensquelle ist der Kleinhandel, vor allem mit landwirtschaftlichen Produkten. Für Arbeitslose gibt es seitens der Regierung keinerlei Unterstützung. Arbeitslose Jugendliche werden in erster Linie von der Familie in Somalia und von Verwandten im Ausland versorgt. Dabei kann angenommen werden, dass es in Mogadischu viel mehr Arbeitsmöglichkeiten gibt, als an anderen Orten Somalias. Der ökonomische Wiederaufbau verlangt sowohl nach erfahrenen, ausgebildeten Arbeitskräften, als auch nach jungen Menschen ohne Bildung und Arbeitserfahrung, insbesondere im Baugewerbe, aber auch in zahlreichen anderen Wirtschaftszweigen. Mit der steigenden Kaufkraft der Bevölkerung steigt auch die Nachfrage nach Dienstleistungen, z.B. nach Reinigungskräften oder anderer Hausarbeit. Mit der zunehmenden Sicherheit in Mogadischu sind auch aus anderen Teilen des Landes unausgebildete Arbeitskräfte auf der Suche nach Arbeit in die Hauptstadt gekommen. Dementsprechend sind unqualifizierte Arbeitskräfte, deren physische Kraft benötigt wird, vor allem in der kontinuierlich wachsenden Bauwirtschaft und als Hafenarbeiter, in Mogadischu zahlreich verfügbar. Dabei werden jedoch junge Bewerber bevorzugt. Der Mangel an Fachkräften ist so groß, dass in manchen Bereichen auf Gastarbeiter zurückgegriffen wird. Weil freie Stellen oft nicht breit beworben werden und die Arbeitgeber den Clan und die Verwandtschaft eher berücksichtigen als erworbene Fähigkeiten, haben Bewerber ohne gute Verbindungen oder aus Minderheiten sowie Frauen, Witwen und Migranten ohne Familien schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Arbeitssuchende greifen deshalb auf ihre privaten Netzwerke zurück. Vor allem junge, nicht ausgebildete Männer sind auf die Arbeit als Tagelöhner angewiesen. Der militärische Erfolg gegen Al-Shabaab in Mogadischu hat dazu geführt, dass viele Somali aus der Diaspora zurückgekehrt sind. Die Rückkehrer haben investiert und gleichzeitig eine wachsende Nachfrage geschaffen. Außerdem traten neue Investoren aus dem Ausland in den Vordergrund. Heute ist Mogadischu vom Wiederaufbau, ökonomischer Wiedererholung und Optimismus gekennzeichnet.

Unter Zugrundelegung dieser Umstände ist für den Kläger nicht ersichtlich, dass er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage bzw. unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre. Der Kläger ist ein junger Mann, der einem Mehrheitsclan angehört (Hawiye-Abgal). Seine Mutter lebt noch in Mogadischu. Auch ist nicht ersichtlich, dass die (Groß-)Familie und der Clan des Klägers diesem im Falle seiner Rückkehr keine Unterstützung gewähren können und wollen. Der Kläger hat zwar in der mündlichen Verhandlung auf die Frage nach Unterstützung durch seinen Clan angegeben, man helfe sich in Somalia nicht gegenseitig. Dies erscheint aber vor dem Hintergrund der zitierten Erkenntnisquellen, welche den Clan und die Familie als die zentralen Bezugspunkt der somalischen Gesellschaft nennen, nicht glaubhaft. Von der derzeitigen Dürrekatastrophe in ländlichen Gebieten Somalias ist der Kläger in Mogadischu nicht betroffen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.

Die Revision wird nicht zugelassen, da die in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe nicht vorliegen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein irakischer Staatsangehöriger, erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm im Irak drohender Gefahren.

2

Der 1976 in Mosul geborene Kläger ist kurdischer Volkszugehöriger sunnitischen Glaubens. Zur Begründung des im Juli 2001 beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -) gestellten Asylantrags gab er an, dass er in Mosul ein Lebensmittelgeschäft betrieben habe. Eine von einem Kunden in seinem Laden abgestellte Tasche, die Flugblätter von Schiiten enthalten habe, sei von einem Unbekannten inspiziert worden. Sein Vater habe ihm daraufhin zur Flucht geraten und sei seinetwegen später verhaftet worden. Er befürchte, wegen des Vorfalls getötet oder lebenslang inhaftiert zu werden. Mit Bescheid vom 14. September 2001 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers ab, stellte jedoch fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (inzwischen § 60 Abs. 1 AufenthG) hinsichtlich des Irak vorliegen. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger aufgrund der illegalen Ausreise und der Asylantragstellung verfolgt werde.

3

Wegen der veränderten politischen Verhältnisse im Irak widerrief das Bundesamt am 16. März 2006 die Flüchtlingsanerkennung und stellte zugleich fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen.

4

Die hiergegen erhobene Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 1. Februar 2007 im Wesentlichen ausgeführt, der Widerruf sei rechtmäßig, weil der Kläger im Irak nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein keine Verfolgung mehr zu befürchten habe. Er könne auch keine Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bzw. subsidiären Schutz gemäß Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG beanspruchen. Im Irak liege kein landesweiter innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vor. Zudem habe der Kläger die Möglichkeit, in Teilen des Irak internen Schutz zu finden. Im Übrigen stehe die Erlasslage des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, die bei allgemeinen Gefahren vergleichbaren Abschiebungsschutz biete, der Gewährung richtliniengemäßen subsidiären Schutzes entgegen.

5

Während des Revisionsverfahrens hat der Kläger seine Revision hinsichtlich des Widerrufs der Flüchtlingsanerkennung zurückgenommen. Der erkennende Senat hat mit Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 44.07 - das Revisionsverfahren insoweit eingestellt. Im Übrigen hat er, soweit die Verpflichtung zur Feststellung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes aus § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG und hilfsweise nationalen Abschiebungsschutzes aus § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG begehrt wird, das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Zur Begründung hat er darauf abgestellt, dass § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG keinen landesweiten bewaffneten Konflikt voraussetze. Die zusätzliche Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger könne innerhalb des Irak internen Schutz finden, beruhe auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage. Schließlich verletze der Verweis auf die Aussetzung von Abschiebungen durch ministerielle Erlasse revisibles Recht. Denn § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG sei richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die Sperrwirkung nicht greife, wenn die Voraussetzungen des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG erfüllt seien.

6

Während des neuen Berufungsverfahrens hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass der Kläger im Besitz einer Niederlassungserlaubnis sei. Damit sei sein Aufenthalt gesichert und es komme auf subsidiären Schutz nicht mehr an.

7

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 21. Januar 2010 zurückgewiesen, soweit sie sich auf das noch anhängige Begehren zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bezieht. Die Berufung sei zulässig, denn für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis, obwohl der Kläger mittlerweile im Besitz einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG sei. Die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach Art. 18 der Richtlinie 2004/83/EG könne dem Kläger eine zusätzliche Rechtsposition vermitteln. Die Berufung sei aber unbegründet. Mit Blick auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG führt das Berufungsgericht aus, es könne dahinstehen, ob die im Irak seit 2003 andauernden und durch staatliche Sicherheitskräfte bekämpften terroristischen Handlungen nach Intensität und Größenordnung als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zu qualifizieren seien. Jedenfalls sei der Kläger keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt. An seinem Herkunftsort in Mosul bestehe keine so hohe Gefahrendichte, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt sei. Dies ergebe sich aus der Zahl der Anschläge und der Anzahl der Opfer im Verhältnis zur Einwohnerzahl. Die Wahrscheinlichkeit, durch einen Terroranschlag in der Provinz Ninive verletzt oder getötet zu werden, habe 2009 ca. 0,12 % oder ca. 1:800 pro Jahr betragen. Für eine Verschärfung der Sicherheitslage gebe es keine Anhaltspunkte. Gefahrerhöhende individuelle Umstände seien bei dem Kläger nicht ersichtlich. Die Voraussetzungen des hilfsweise begehrten nationalen Abschiebungsschutzes (§ 60 Abs. 7 Satz 1 und § 60 Abs. 5 AufenthG) lägen ebenfalls nicht vor.

8

Mit seiner vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision wendet sich der Kläger allein gegen die Ablehnung der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Er rügt, der Verwaltungsgerichtshof habe bei der Ermittlung der Gefahrendichte auf die im Rahmen der Gruppenverfolgung entwickelten Kriterien der Verfolgungsdichte abgestellt, ohne zwischen den Schutzsystemen zu differenzieren und die Besonderheiten des subsidiären Schutzes zu berücksichtigen. Auch seien die in das Verfahren eingeführten Quellen zur Häufigkeit von Anschlägen im Irak und zur Zahl der Toten und Verletzten nicht interpretiert und bewertet worden.

9

Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Klägers, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat die begehrte Verpflichtung zur Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes ohne Verstoß gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) abgelehnt.

11

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch das Verpflichtungsbegehren auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes. Die darüber hinausgehende Beschränkung des Revisionsantrags auf das Vorliegen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG erweist sich als unwirksam. Denn der geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 S. 12; ber. ABl EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (Urteile vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11 und vom 8. September 2011 - BVerwG 10 C 14.10 - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen - Rn. 16). Eine Revision kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 13).

12

Für diesen Verpflichtungsantrag ist, obwohl der Kläger mittlerweile eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG besitzt, entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten das Rechtsschutzinteresse nicht entfallen. Dieses Interesse fehlt nur, wenn die Klage für den Kläger offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann (Urteil vom 29. April 2004 - BVerwG 3 C 25.03 - BVerwGE 121, 1 <3>). Der Beklagten ist einzuräumen, dass sich nach nationalem Aufenthaltsrecht die Rechtsstellung eines Ausländers in der Situation des Klägers, der im Besitz einer Niederlassungserlaubnis gemäß § 26 Abs. 4 AufenthG ist, durch die Zuerkennung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes derzeit nicht verbessern kann. Diese Betrachtung greift aber zu kurz. Denn aus dem Umsetzungsdefizit des deutschen Gesetzgebers, der - entgegen den unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2004/83/EG im 5. Erwägungsgrund, in Art. 2 Buchst. f und in Art. 18 - den Status des subsidiär Schutzberechtigten im nationalen Recht nicht explizit ausgeformt hat, darf für den Kläger kein Nachteil entstehen (vgl. auch Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 13). Er hat daher ein legitimes Interesse, dass trotz seiner gesicherten aufenthaltsrechtlichen Stellung mit Blick auf diesen Schutzstatus und die damit einhergehenden Vergünstigungen über das Bestehen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots entschieden wird.

13

Die zulässige Klage ist aber unbegründet. Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen, nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und das Revisionsgericht daher bindenden tatsächlichen Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) greift keines der auf Unionsrecht beruhenden Abschiebungsverbote (§ 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG).

14

1. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Senats trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG und ist in diesem Sinne auszulegen (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 17 und Rn. 36).

15

Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob die im Irak seit 2003 andauernden und durch staatliche Sicherheitskräfte bekämpften terroristischen Handlungen nach Intensität und Größenordnung als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt anzusprechen sind, weil der Kläger auch bei Annahme eines derartigen Konflikts keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wären. Das hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.

16

a) Für seine Prognose, ob der Kläger bei Rückkehr in den Irak einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt ist, hat der Verwaltungsgerichtshof zu Recht auf die tatsächlichen Verhältnisse in seiner Herkunftsregion Mosul abgestellt. Dort hat der Kläger zuletzt gelebt, so dass die Annahme gerechtfertigt ist, dass er dorthin zurückkehren wird (Urteil vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 17).

17

b) Das Berufungsgericht hat des Weiteren zutreffend geprüft, ob von dem - zugunsten des Klägers unterstellten - bewaffneten Konflikt in der Region von Mosul für eine Vielzahl von Zivilpersonen eine allgemeine Gefahr ausgeht, die sich in der Person des Klägers so verdichtet, dass sie für diesen eine erhebliche individuelle Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG darstellt. Denn auch eine von einem bewaffneten Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr kann sich individuell verdichten und damit die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG und des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG erfüllen (Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 34).

18

Eine derartige Individualisierung kann sich bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben. Dazu gehören in erster Linie persönliche Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Möglich sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht bereits die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt (Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 4.09 - BVerwGE 136, 360 Rn. 33). Gefahrerhöhende individuelle Umstände hat das Berufungsgericht bei dem Kläger nicht festgestellt (UA S. 12); dem ist der Kläger mit der Revision auch nicht entgegengetreten.

19

Eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann aber auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (Urteil vom 14. Juli 2009 a.a.O. Rn. 15 mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07, Elgafaji - Slg. 2009, I-921 = NVwZ 2009, 705). Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 33).

20

In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Das ergibt sich aus dem Tatbestandsmerkmal "... tatsächlich Gefahr liefe ..." in Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG. Der darin enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab ("real risk"; vgl. nur EGMR (GK), Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi/Italien - NVwZ 2008, 1330 ); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 22 zu § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2004/83/EG).

21

Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Beweiserleichterung in Gestalt einer widerleglichen tatsächlichen Vermutung setzt aber auch im Rahmen des subsidiären Schutzes voraus, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem vor der Ausreise erlittenen oder damals unmittelbar drohenden Schaden (Vorschädigung) und dem befürchteten künftigen Schaden besteht. Denn die der Vorschrift zugrunde liegende Wiederholungsvermutung beruht wesentlich auf der Vorstellung, dass eine Verfolgungs- oder Schadenswiederholung - bei gleichbleibender Ausgangssituation - aus tatsächlichen Gründen naheliegt (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 31).

22

Eine für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr ausreichende Gefahrendichte hat das Berufungsgericht für den Bereich der Stadt Mosul verneint. Es hat - in Anlehnung an die Vorgehensweise zur Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts (vgl. dazu Urteil vom 18. Juli 2006 - BVerwG 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243 Rn. 20 ff.) - aufgrund aktueller Quellen die Gesamtzahl der in der Provinz Ninive und deren Hauptstadt Mosul lebenden Zivilpersonen annäherungsweise ermittelt und dazu die Häufigkeit von Akten willkürlicher Gewalt sowie der Zahl der dabei Verletzten und Getöteten in Beziehung gesetzt. Dabei hat es festgestellt, dass das Risiko, in der Provinz Ninive verletzt oder getötet zu werden, für das gesamte Jahr 2009 ungefähr 1:800 betrug. Einen Trend zur Verschlechterung der Sicherheitslage vermochte es nicht festzustellen (UA S. 12). Seine auf der Grundlage dieser Feststellungen gezogene Schlussfolgerung, dass der Kläger bei seiner Rückkehr in sein Herkunftsland keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt ist, ist revisionsgerichtlich im Ergebnis nicht zu beanstanden.

23

Zwar bedarf es - wie die Revision im Ansatz zu Recht rügt - neben dieser quantitativen Ermittlung auch einer wertenden Gesamtbetrachtung des statistischen Materials mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 33). Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Der Mangel in der Vorgehensweise des Berufungsgerichts bleibt aber im vorliegenden Fall ohne Folgen. Denn die Höhe des vom Berufungsgericht festgestellten Risikos eines dem Kläger drohenden Schadens ist so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass sich der Mangel im Ergebnis nicht auszuwirken vermag.

24

Auch der Umstand, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht auf die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG eingegangen ist, verhilft der Revision nicht zum Erfolg, denn das Vorfluchtschicksal des Klägers gab dazu keinen Anlass. Dieses lässt keine Beeinträchtigung erkennen, die auch unter dem Blickwinkel des Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG die Qualität einer Vorschädigung erreichen könnte. Zudem bestünde kein sachlicher Zusammenhang mit den nunmehr im Irak drohenden Gefahren.

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2. Das Berufungsgericht hat auch die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2 und 3 AufenthG in den Blick genommen, sie aber nicht als durchgreifend angesehen. Dagegen bestehen aus revisionsgerichtlicher Sicht keine Bedenken.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.

(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden

1.
vom Staat oder
2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten.

(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.

(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.

(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.

(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.