Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 03. Jan. 2018 - 3 B 41/18

bei uns veröffentlicht am03.01.2018

Gründe

1

Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem Antrag als Gewerkschaft gegen die durch die Antragsgegnerin in der Allgemeinverfügung vom 4. Dezember 2017 festgesetzte Öffnung von Verkaufsstellen am Sonntag, den 7. Januar 2018 in A-Stadt, Stadtteil H., aus Anlass des durch die Beigeladene durchgeführten Aktionstages „Gesundheit“.

2

Der sinngemäße Antrag der Antragstellerin,

3

die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 2. Januar 2018 gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 4. Dezember 2017 wiederherzustellen,

4

ist zulässig und begründet.

5

Der Antrag ist zulässig; insbesondere besitzt die Antragstellerin die erforderliche Antragsbefugnis, um sich zum Schutz von Arbeitnehmern gegen festgesetzte Sonntagsöffnungen von Geschäften zu wenden (OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 25.11.2016 - 1 M 152/16 -, zit. nach juris). Nach ständiger Rechtsprechung dient die gesetzliche Ausgestaltung des Sonntagsschutzes auch dem Schutz des Interesses von Vereinigungen und Gewerkschaften am Erhalt günstiger Rahmenbedingungen für gemeinschaftliches Tun und ist in diesem Sinne drittschützend (vgl. nur BVerwG, Urt. v. 17.5.2017 - 8 CN 1/16 -, zit. nach juris).

6

Der Antrag ist auch begründet.

7

Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs i. S. d. § 80 Abs. 1 VwGO gegen einen gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärten Verwaltungsakt – hier: die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 4. Dezember 2017 – auf Antrag des Betroffenen ganz oder teilweise wiederherstellen. Bei seiner Entscheidung hat das Gericht abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der von der Antragsgegnerin ausgesprochenen Allgemeinverfügung (Festsetzung eines verkaufsoffenen Sonntags) und dem Interesse der Antragstellerin daran, vom Vollzug der Allgemeinverfügung vorläufig verschont zu bleiben. Den Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs – hier: des Widerspruchs vom 2. Januar 2018 – kommt dabei insofern Bedeutung zu, als ein überwiegendes Interesse der Antragstellerin an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in der Regel dann anzunehmen ist, wenn die im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein gebotene summarische Prüfung ergibt, dass die angegriffene Allgemeinverfügung offensichtlich rechtswidrig ist. Denn an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes kann kein öffentliches Vollzugsinteresse bestehen. Demgegenüber überwiegt das öffentliche Voll-zugsinteresse regelmäßig, wenn die Prüfung ergibt, dass der eingelegte Rechtsbehelf voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird.

8

In Anwendung dieser Grundsätze fällt die Interessenabwägung zu Lasten der Antrags-gegnerin aus. Es spricht Überwiegendes für die Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 4. Dezember 2017 zur sonntäglichen Ladenöffnung in A-Stadt-H. am 7. Januar 2018.

9

Gemäß § 3 des Gesetzes über die Ladenöffnungszeiten im Land Sachsen-Anhalt (Ladenöffnungszeitengesetz Sachsen-Anhalt - LÖffZeitG LSA) vom 22. November 2006 (GVBl. LSA S. 528), zuletzt geändert durch Artikel 5 des Gesetzes vom 20. Januar 2015 (GVBl. LSA S. 28, 31), dürfen an Werktagen Verkaufsstellen von Montag bis Freitag von 0 bis 24 Uhr und am Samstag von 0 bis 20 Uhr geöffnet sein. An Sonn- und Feiertagen dürfen Verkaufsstellen für den geschäftlichen Verkehr mit Kunden nicht geöffnet sein, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist. Nach § 7 Abs. 1 LÖffZeitG LSA kann die Gemeinde erlauben, dass Verkaufsstellen aus besonderem Anlass an höchstens vier Sonn- und Feiertagen geöffnet werden. Vorliegend liegt in dem Aktionstag „Gesundheit“ nach der allein im vorläufigen Rechtsschutz gebotenen Prüfung schon kein besonderer Anlass i. S. d. § 7 Abs. 1 LÖffZeitG LSA.

10

Bei dem Begriff des besonderen Anlasses handelt es sich um einen ausfüllungsbedürftigen unbestimmten Rechtsbegriff, der einer Konkretisierung bedarf. Das Erfordernis des besonderen Anlasses unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlich geschützten Sonntagsruhe ist nur dann erfüllt, wenn die beabsichtigte Ladenöffnung auf einem Sachgrund beruht, der gemessen an der öffentlichen Wirkung der Ladenöffnung eine Ausnahme vom Sonntagsschutz rechtfertigt (vgl. zum insoweit engeren Erfordernis des Gemeinwohls: BVerwG, Urt. v. 17.5.2017 - 8 CN 1/16 -, zit. nach juris). Dies ist nur dann gegeben, wenn die Sonntagsruhe durch den Anlass als solchen ohnehin derart aufgehoben wird, dass sich eine Ladenöffnung nur noch als Annex darstellt, nicht aber selbst maßgeblich oder in Kombination mit dem besonderen Anlass die Sonntagsruhe faktisch beseitigt. Dies ergibt sich aus Folgendem:

11

Das grundsätzliche Verbot der Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen dient dem Schutz der Arbeitnehmer sowie der Wettbewerbsneutralität und beruht auf Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV, wonach der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung geschützt sind (vgl. BVerfG, Urt. v. 9.6.2004, BVerfGE 111, 10 ff.). Das Grundrecht der freien Berufsausübung ist an diesen Tagen daher nur eingeschränkt gewährleistet, da die werktägliche Geschäftigkeit an diesen Tagen grundsätzlich zu ruhen hat (vgl. BVerfG, Urt. v. 9.6.2004 - 1 BvR 636/02 -, zit. nach juris, Rn. 174 f.; Urt. v. 1.12.2009 - 1 BvR 2857/07 -, zit. nach juris). Für die hier in Rede stehende Ladenöffnung gilt, dass sie eine für jedermann wahrnehmbare Geschäftigkeit auslöst, die typischerweise den Werktagen zugeordnet wird; wegen dieser öffentlichen Wirkung ist sie geeignet, den Charakter des Tages in besonderer Weise werktäglich zu prägen. Jede Ladenöffnung an einem Sonn- oder Feiertag bedarf daher eines dem Sonntagsschutz gerecht werdenden Sachgrundes (BVerfG, Urt. v. 1.12.2009, a.a.O.). Als ein solcher Sachgrund zählen weder das bloß wirtschaftliche Umsatzinteresse der Verkaufsstelleninhaber noch das alltägliche Erwerbsinteresse („Shopping-Interesse“) potenzieller Kunden (vgl. BVerfG, Urt. v. 1.12.2009, a.a.O.; BVerwG, Urt. v. 11.11.2015 - 8 CN 2.14 -, zit. nach juris). Vor allem ist nicht jede Ladenöffnung an einem Sonn- oder Feiertag bereits deshalb gerechtfertigt, weil für sie überhaupt ein über das bloße Umsatzinteresse der Verkaufsstelleninhaber und das Erwerbsinteresse der Kunden hinausgehendes öffentliches Interesse spricht (BVerwG, Urt. v. 17.5.2017, a.a.O.). Eine Rechtfertigung kann nur dann vorliegen, wenn nicht durch die Ladenöffnung selbst, sondern durch den besonderen Anlass bereits eine werktagstypische Geschäftigkeit in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Die Frage, ob die beabsichtigte sonntägliche Ladenöffnung durch einen hinreichend gewichtigen Sachgrund gerechtfertigt ist, unterliegt dabei der uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle (BVerwG, Urt. v. 17.5.2017, a.a.O.).

12

Hieran gemessen liegen im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts keine hinreichenden Umstände vor, die eine Ausnahme vom grundsätzlichen Schutz der Sonntagsruhe rechtfertigen. Die Antragsgegnerin begründet die streitgegenständliche Allgemeinverfügung vom 4. Dezember 2017 damit, dass der Aktionstag „Gesundheit“ bereits seit mehreren Jahren durch die Beigeladene veranstaltet werde. Basierend auf den durch die Beigeladene mitgeteilten Besucherzahlen der Vorjahre erwarte die Antragsgegnerin zwischen 1.200 und 1.400 Besucher aus dem Raum A-Stadt, dem Landkreis B., dem S., dem O. und dem J. Land. Die privatwirtschaftlich organisierte Beigeladene plant die Durchführung des Aktionstages „Gesundheit“ mit verschiedenen Aktivitäten, wie etwa der kostenlosen Beratung durch eine Diplom-Oecotrophologin und Heilpraktikerin über eine gesunde und altersgerechte Ernährung inklusive Zubereitung solcher Speisen, der Information über die Bedeutung von Bewegung und Sport durch ein Fitnessstudio, einem Gesundheitscheck durch eine Krankenkasse sowie einem Puppentheater für Kinder (Bl. 7 der Beiakte A) sowie Autogrammstunden und Diskussionsrunden mit regionalen Sportlern. Aus den Verwaltungsvorgängen geht nicht hervor, in welchem Verhältnis der räumliche Bereich der anlassgebenden Veranstaltung zu den von der Freigabe der Ladenöffnung erfassten Verkaufsstellen steht und ob auch insoweit die öffentliche Wirkung der Veranstaltung gegenüber der Ladenöffnung prägend sein würde (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.11.2015 - 8 CN 2.14 -, a.a.O.), also inwieweit es sich bei diesen geplanten Aktivitäten tatsächlich um ein eigenständiges Fest an einem eigenständigen Standort handelt oder aber ob die verschiedenen Aktionen überwiegend in den Verkaufsräumen der Beigeladenen durchgeführt werden. Für diesen Fall würde es sich nicht um eine von der Ladenöffnung losgelöste Veranstaltung handeln, sondern vielmehr der Aktionstag nur Annex zur Ladenöffnung sein. Die bisherigen Planungen lassen eher den Eindruck erwecken, dass es sich bei dem Aktionstag um eine private Veranstaltung handelt, bei der der Verkaufszweck bzw. das Anwerben von Kunden im Vordergrund steht.

13

Dies kann letztlich aber dahinstehen. Denn selbst wenn es sich bei dem Aktionstag „Gesundheit“ um eine eigenständige Veranstaltung handeln würde, fehlt es auch an entsprechendem Zahlenmaterial und einer Prognose der Antragsgegnerin, die schlüssig aufzeigt, dass sich im Falle einer erlaubten Sonntagsöffnung von Verkaufsstellen mit uneingeschränktem Warenangebot die Annahme rechtfertigt, diese erscheine nur als bloßer Annex zur anlassgebenden Veranstaltung und sei nur von geringer prägender Wirkung. Die von der Antragsgegnerin sich zu Eigen gemachten erwarteten Besucherzahlen der Beigeladenen i. H. v. 1.200 bis 1.400 Besuchern (Bl. 7 der Beiakte A) sind nicht aussagekräftig. Der angegebene Wert lässt weder erkennen, ob die sonntäglichen Besucher wegen der Veranstaltung oder wegen der geöffneten Verkaufsstellen kommen werden, noch ist nachvollziehbar, wie die angegebenen Zahlen zustande gekommen sind und ob sie Rückschlüsse auf das Motiv der Besucher für den Besuch an einem verkaufsoffenen Sonntag zulassen. Ob eine entsprechende Besucherbefragung stattgefunden hat, die das behauptete Ergebnis trägt, ist nicht feststellbar. Belastbare und nachvollziehbare Angaben hinsichtlich der zu erwartenden Besucherströme am 7. Januar 2018 liegen danach höchstens in Bezug auf die Ladenöffnung, nicht aber hinsichtlich des Annexcharakters einer Sonntagsladenöffnung vor. Damit fehlen die Voraussetzungen für die von der Antragsgegnerin anzustellende erforderliche Prognose, ob die werktägliche Prägung der (sonntäglichen) Ladenöffnung gegenüber dem anlassgebenden Ereignis in gebotener Weise im Hintergrund bleibt.

14

Sofern die Beigeladene ausführt, es sei nicht zu akzeptieren, dass nützliche und zur Tradition gewordene Veranstaltungen, die in ihrer Vorbereitung erheblichen Planungsaufwand und finanzielles Investment mit sich brächten, durch den Antrag der Antragstellerin verhindert würden, weist das Gericht darauf hin, dass es der Beigeladenen unbenommen bleibt, den Aktionstag „Gesundheit“ ohne Sonn- und Feiertagstagsöffnung bzw. an einem der Tage durchzuführen, an denen gemäß § 3 LÖffZeitG LSA Verkaufsstellen geöffnet sein dürfen. Ihr Einwand, dass der Aktionstag „Gesundheit“ ohne eine Sonntagsöffnung finanziell nicht realisierbar sei, führt ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Dies zeigt vielmehr gerade auf, dass der Aktionstag lediglich einen Annex zur Sonntagsöffnung darstellt. Derartiges ist nach dem Vorstehenden gerade nicht rechtlich zulässig.

15

Auf die weiteren Voraussetzungen, insbesondere zur räumlichen und zeitlichen Begrenzung der Sonntagsöffnung, kommt es nach all dem nicht mehr entscheidungserheblich an.

16

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren gemäß § 162 Abs. 3 VwGO nicht für erstattungsfähig zu erklären, da diese keinen Antrag gestellt hat und sich daher selbst nicht dem Kostenrisiko im Falle eines Unterliegens ausgesetzt hat.

17

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG. Danach geht das Gericht vom Auffangwert in Höhe von 5.000,- Euro im Hauptsacheverfahren aus und sieht nach seinem Ermessen von einer Halbierung des Werts im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach Ziff. 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 18. Juli 2013 beschlossenen Änderung wegen der weitgehenden Vorwegnahme der Hauptsache ab.


ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 03. Jan. 2018 - 3 B 41/18

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 03. Jan. 2018 - 3 B 41/18

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 03. Jan. 2018 - 3 B 41/18 zitiert 6 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 80


(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a). (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur 1. bei der

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 53 Einstweiliger Rechtsschutz und Verfahren nach § 148 Absatz 1 und 2 des Aktiengesetzes


(1) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 3 der Zivilprozessordnung: 1. über die Anordnung eines Arrests, zur Erwirkung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, wenn keine Festgebühren bestimmt sind, und auf Erlas

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 162


(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens. (2) Die Gebühren und Auslage

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 140


Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.

Die Verfassung des Deutschen Reichs - WRV | Art 139


Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 03. Jan. 2018 - 3 B 41/18 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).

Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 03. Jan. 2018 - 3 B 41/18 zitiert 2 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 17. Mai 2017 - 8 CN 1/16

bei uns veröffentlicht am 17.05.2017

Tatbestand 1 Die Antragstellerin ist eine Gewerkschaft, die Beschäftigte des Einzelhandels vertritt. Sie wendet sich gegen eine Rechtsverordnung der Antragsgegnerin über

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 25. Nov. 2016 - 1 M 152/16

bei uns veröffentlicht am 25.11.2016

Gründe 1 Die zulässige Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Halle - 4. Kammer - vom 21. November 2016, deren Prüfung gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkt ist, hat in der

Referenzen

Gründe

1

Die zulässige Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Halle - 4. Kammer - vom 21. November 2016, deren Prüfung gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkt ist, hat in der Sache keinen Erfolg. Die Einwendungen rechtfertigen die begehrte Abänderung des angefochtenen Beschlusses nicht.

2

Der Einwand der Beigeladenen, die Antragstellerin sei nicht antragsbefugt, weil es aufgrund der mit ihrem Betriebsrat geschlossenen Vereinbarung ausgeschlossen sei, dass Mitglieder der Antragstellerin an dem streitgegenständlichen verkaufsoffenen Sonntag entgegen ihrem Wunsch an der Teilnahme gemeinschaftlicher Veranstaltungen der Antragstellerin gehindert seien und Arbeitnehmer auch ihrem Interesse an gewerkschaftlicher Tätigkeit bei der Antragstellerin nachgehen könnten, weil sie an dem verkaufsoffenen Sonntag nur Mitarbeiter einsetze, die sich freiwillig hierzu bereit erklärt hätten und die namentlich dem Betriebsrat mitzuteilen seien, greift nicht durch.

3

Für die Antragsbefugnis der Antragstellerin (§ 42 Abs. 2 VwGO analog) genügt die Möglichkeit einer Rechtsverletzung, d.h., dass sich die Öffnung der Verkaufsstellen an einem Sonntag negativ auf die Grundrechtsverwirklichung der Antragstellerin auswirken kann. Betroffen ist hier die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit nach Art. 9 GG. Die nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV geschützte Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen ist auch für die Rahmenbedingungen des Wirkens von Gewerkschaften und sonstigen Vereinigungen bedeutsam. Die Sonntagsöffnung kann zur Folge haben, dass Mitglieder der Antragstellerin an diesem Tag an der Teilnahme gemeinschaftlicher Veranstaltungen der Antragstellerin gehindert sind und/oder der Bereich der Mitgliederwerbung der Antragstellerin betroffen ist (so BVerwG, Urteil vom 11. November 2015 - 8 CN 2.14 -, juris). Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 1. Dezember 2009 (- 1 BvR 2857/07, 1 BvR 2858/07 -, juris) darauf verwiesen, dass dem Sonn- und Feiertagsschutz wesentliche Bedeutung hinsichtlich der synchronen Taktung des sozialen Lebens zukommt und der zeitliche Gleichklang einer für alle Bereiche regelmäßigen Arbeitsruhe ein grundlegendes Element für die Wahrnehmung der verschiedenen Formen sozialen Lebens sei. In diesem Zusammenhang sei zudem im Auge zu behalten, dass die Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen auch für die Rahmenbedingungen des Wirkens der politischen Parteien, der Gewerkschaften und sonstiger Vereinigungen bedeutsam sei und sich weiter, freilich im Verbund mit einem gesamten "freien Wochenende", auch auf die Möglichkeiten zur Abhaltung von Versammlungen auswirke. Ihr komme mithin auch erhebliche Bedeutung für die Gestaltung der Teilhabe im Alltag einer gelebten Demokratie zu (so BVerfG, a.a.O., Rdnr. 145).

4

Soweit der Einsatz von Arbeitnehmern der Beigeladenen auf freiwilliger Basis erfolgt, ändert dies nichts daran, dass sonntägliche Arbeit die vom Bundesverfassungsgericht angesprochene synchrone Taktung des sozialen Lebens berührt und damit die Rahmenbedingungen des Wirkens der Gewerkschaften und die Gestaltung der Teilhabe im Alltag einer gelebten Demokratie negativ beeinflusst werden können, zumal die Antragsbefugnis der Antragstellerin insoweit lediglich die "Möglichkeit" einer Rechtsverletzung voraussetzt. Schon durch das Angebot sonntäglicher Arbeitsmöglichkeiten kann die Antragstellerin in ihrem Tätigkeitsbereich betroffen sein.

5

Der Antragstellerin ist eine Antragsbefugnis oder ein Rechtsschutzinteresse auch nicht wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens abzusprechen. Der Verweis auf die sich aus § 2 Abs. 1 BetrVG ergebende vertrauensvolle Zusammenarbeit von Betriebsrat mit im Betrieb vertretenen Gewerkschaften hindert die Antragstellerin nicht, in Kenntnis der Betriebsvereinbarung um vorläufigen Rechtsschutz nachzusuchen, wie schon § 2 Abs. 3 BetrVG verdeutlicht, wonach die Aufgaben der Gewerkschaften durch dieses Gesetz nicht berührt werden. Es ist auch weder schlüssig dargelegt noch sonst ersichtlich, weshalb sich für die Antragstellerin aus der vom Betriebsrat der Beigeladenen getroffenen Vereinbarung eine wie auch immer geartete Bindung oder (Rechts-)Verbindlichkeit ergeben sollte. Das Verhalten der Antragstellerin stellt sich auch nicht als Zuwiderhandlung gegen das eigene frühere Verhalten im Sinne eines "venire contra factum proprium" dar. Eine als treuwidrig erscheinende Rechtsausübung oder ein vertrauensbegründendes Verhalten der Antragstellerin im Zusammenhang mit der getroffenen Betriebsvereinbarung ist nicht ersichtlich und wird jedenfalls nicht durch den Umstand begründet, dass der jetzige Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin an dem zum Abschluss der Betriebsvereinbarung führenden Einigungsverfahren teilgenommen hat. Seine Teilnahme erfolgte - wovon auch die Beschwerdeschrift ausgeht - jedenfalls nicht für die Antragstellerin. Soweit die Beigeladene ergänzend mit Schriftsatz vom 24. November 2016 auf das bei ihr aufgrund der geschilderten Umstände des Einigungsverfahrens entstandene Vertrauen verweist, folgt hieraus noch nicht, dass diese Vertrauensbildung auch als berechtigt anzusehen ist. Für letzteres hat der Senat keinen hinreichenden Anhalt.

6

Weiter trägt die Beschwerdeschrift vor, die Antragstellerin verschaffe insbesondere dem direkten Konkurrenten der Beigeladenen - dem Möbelhaus (...) - einen Wettbewerbsvorteil, weil sie nur gegen die zu Gunsten der Beigeladenen ergangene Allgemeinverfügung vorgehe und nicht gegen die entsprechenden Allgemeinverfügungen der Antragsgegnerin zu Gunsten der Verkaufsstellen von (N. E.) und des Möbelhauses (...), die sich in unmittelbarer räumlicher Nähe zum Unternehmen der Beigeladenen befänden. Billige man der Antragstellerin eine selektive Antragsbefugnis zu, führe dies zu einem Eingriff in den durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Beigeladenen und zu einer Verzerrung des Wettbewerbs.

7

Auch dieses Vorbringen ist nicht durchgreifend. Die Bejahung der Antragsbefugnis der Antragstellerin erlaubt lediglich eine gerichtliche Überprüfung der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung. Der Umstand, dass in räumlicher Nähe zum Vorhaben der Beigeladenen weitere Erlaubnisse zur sonntäglichen Ladenöffnung vorliegen und sich hieraus Auswirkungen für die gewerkschaftliche Betätigung der Antragstellerin ergeben können, stellt nicht die für die Antragsbefugnis erforderliche, aber auch ausreichende Möglichkeit einer Rechtsverletzung der Antragstellerin in Frage. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin mit ihrem alleinigen Vorgehen gegen die Beigeladene unlautere, insbesondere durch die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit nach Art. 9 GG nicht mehr gedeckte Motive verfolgt und die Ausübung der Antragsbefugnis sich deshalb als rechtsmissbräuchlich darstellt, werden mit dem schlichten Hinweis auf ein Untätigbleiben der Antragstellerin gegenüber mit der Beigeladenen konkurrierenden Betrieben nicht schlüssig dargelegt.

8

Weiter macht die Beschwerde geltend, das private Interesse der Antragstellerin überwiege nicht das öffentliche Interesse am Sofortvollzug, weil die Antragstellerin hinnehme, dass bedeutend mehr Arbeitnehmer aufgrund der Ladenöffnung der Verkaufsstellen im Möbelhaus (...) und im Einkaufszentrum (N. E.) betroffen seien. Ihr Verhalten sei insoweit widersprüchlich.

9

Dieser Interessenabwägung vermag der Senat nicht zu folgen. Wie sich nachfolgend ergibt, stellt die Beschwerde- und Ergänzungsschrift der Beigeladenen die erstinstanzlichen Feststellungen zur voraussichtlichen Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung nicht schlüssig in Frage. Diesem Umstand ist bei der Abwägung der betroffenen Interessen maßgebliche Bedeutung beizumessen. Soweit die Antragstellerin eine Beeinträchtigung ihrer gewerkschaftlichen Tätigkeit wegen der bestandskräftigen Erlaubnisse für die sonntägliche Ladenöffnung der Verkaufsstellen im Möbelhaus (...) und im Einkaufszentrum (N. E.) hinnehmen muss, folgt daraus nicht, dass sich deshalb noch eine weitere Schmälerung ihrer Grundrechtsverwirklichung rechtfertigt. Ein widersprüchliches Verhalten ist in der bloßen Untätigkeit der Antragstellerin, auch gegen die anderen Erlaubnisse rechtlich vorzugehen, noch nicht zu sehen.

10

Gegen die erstinstanzlich festgestellte Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin wendet die Beschwerde ein, die in den Verkaufsstellen Möbelhaus (...) und (N. E.) gestattete sonntägliche Ladenöffnungszeit sei bestandskräftig, so dass es auf deren Rechtmäßigkeit nicht ankomme. Es sei für beide Verkaufsstellen und/oder die von ihnen gebotenen Veranstaltungen "mittelalterliche Weihnacht im (N. E.)" sowie "Weihnachtsmarkt" im Möbelhaus (...) mit erheblichen Besucherzahlen zu rechnen, was aus Sicht der Beigeladenen eine separate Veranstaltung darstelle und als "besonderer Anlass" im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 LÖffZeitG LSA zu bewerten sei; hierdurch würde ein Besucherstrom ausgelöst, der die Besucher übersteige, die allein wegen der Öffnung der Verkaufsstelle der Beigeladenen kämen.

11

Dieses Vorbringen stellt indes die Feststellung des Verwaltungsgerichtes im angefochtenen Beschluss, dass die Antragsgegnerin keine schlüssige und vertretbare Prognose über die jeweiligen Besucherströme angestellt habe, nicht schlüssig in Frage. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 11. November 2015 - 8 CN 2.14 -, juris Rdnr. 36) festgestellt, dass die gemeindliche Prognose zum Besucherstrom, den der Markt selbst (bzw. vorliegend der "besondere Anlass" im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 LÖffZeitG LSA) im Gegensatz zur Besucherzahl bei alleiniger Öffnung der Verkaufsstellen auslöst, nur eingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Kontrolle unterliegt und insbesondere das Gericht keine eigene Prognose vornehmen darf. Das Beschwerdevorbringen zu den Besucherzahlen ist mithin nicht entscheidungserheblich, weil es vorliegend an einer überprüfbaren Prognose der Antragsgegnerin fehlt und das Gericht keine eigene Prognose anstellen kann. Ob andere (bestandskräftige) Erlaubnisse zur sonntäglichen Ladenöffnung von Verkaufsstellen einen "besonderen Anlass" im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 LÖffZeitG LSA zu bilden vermögen und hierunter nicht vielmehr gerade im Hinblick auf die Vorgängerregelung des § 14 Abs. 1 Satz 1 LadSchlG Veranstaltungen zu verstehen sind, die nicht in der Öffnung von Verkaufsstellen bestehen, sowie ob die Rechtmäßigkeit dieser anderen Erlaubnisse allein wegen ihrer Bestandskraft auf sich beruhen kann und damit eine Fortsetzung und Intensivierung rechtswidrigen behördlichen Handelns ermöglicht werden kann, kann wegen der fehlenden gemeindlichen Prognose über die Besucherströme auf sich beruhen und bedarf keiner weitergehenden Vertiefung. Entsprechendes gilt für den Einwand, die Beigeladene verfolge nicht lediglich ein wirtschaftliches Umsatzinteresse, sondern wolle die Konkurrenzfähigkeit zum benachbarten Möbelhaus (...) aufrechterhalten.

12

Die Ausführungen der Antragsgegnerin vom 24. November 2016 geben zu einer anderen rechtlichen Bewertung keinen Anlass.

13

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, Abs. 3 VwGO. Im Hinblick auf ihre Kostenpflicht trägt die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

14

Die Entscheidung über die Festsetzung der Höhe des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 40, 47, 52 Abs. 2 GKG und folgt der erstinstanzlichen Wertfestsetzung.

15

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


Tatbestand

1

Die Antragstellerin ist eine Gewerkschaft, die Beschäftigte des Einzelhandels vertritt. Sie wendet sich gegen eine Rechtsverordnung der Antragsgegnerin über die Freigabe des verkaufsoffenen Sonntags am 29. Dezember 2013.

2

Im Juni 2013 beantragten mehrere Einzelhändler der W. Innenstadt für den 29. Dezember 2013 die Freigabe eines verkaufsoffenen Sonntags, der unter dem Motto "Jahresausklang" stehen sollte. Nach Anhörung der Kirchen, der Antragstellerin sowie weiterer betroffener Institutionen lehnte die Antragsgegnerin den Antrag im September 2013 zunächst ab. Im Oktober 2013 sprach der Stadtrat der Antragsgegnerin die Empfehlung aus, "versuchsweise" einen verkaufsoffenen Sonntag durchzuführen. Daraufhin erließ die Antragsgegnerin am 30. Oktober 2013 die verfahrensgegenständliche Rechtsverordnung. Diese setzte die stadtweite Öffnung der Verkaufsstellen in der kreisfreien Stadt W. am Sonntag, den 29. Dezember 2013, für die Zeit von 13:00 Uhr bis 18:00 Uhr fest. Sie wurde im Amtsblatt der Antragsgegnerin vom 15. November 2013 veröffentlicht. Ebenfalls am 15. November 2013 beantragte der Geschäftsführer des Stadtmarketingvereins ... e.V. die straßenverkehrsrechtliche Erlaubnis zur Durchführung eines Silvestermarkts in der W. Innenstadt für die Zeit vom 27. bis 29. Dezember 2013, die mit Bescheid vom 19. Dezember 2013 erteilt wurde. Am 29. Dezember 2013 fand die Sonntagsöffnung statt.

3

Den im Februar 2014 eingereichten Normenkontrollantrag der Antragstellerin mit dem Antrag festzustellen, dass die Rechtsverordnung vom 30. Oktober 2013 rechtswidrig war, hat das Oberverwaltungsgericht abgelehnt. Die Verordnung sei rechtmäßig. Sie stehe mit § 10 Ladenöffnungsgesetz Rheinland-Pfalz (LadöffnG) im Einklang. Diese Ermächtigungsgrundlage sei ihrerseits verfassungsgemäß. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin gestatte § 10 LadöffnG bei verfassungskonformer Auslegung bis zu vier verkaufsoffene Sonntage im Kalenderjahr nicht voraussetzungslos und ohne das Vorliegen von Sachgründen. Art. 57 Abs. 1 Satz 3 der Verfassung von Rheinland-Pfalz (LV) sehe die Möglichkeit vor, Ausnahmen von den grundsätzlich arbeitsfreien Sonn- und Feiertagen zuzulassen, wenn es das Gemeinwohl erfordere. Das Gemeinwohlerfordernis gelte bei Anwendung des § 10 LadöffnG unmittelbar. Nach § 10 Satz 4, § 4 Satz 3 LadöffnG seien die zuständigen Gewerkschaften, Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände, kirchliche Stellen, die jeweilige Industrie- und Handelskammer und Handwerkskammer sowie die betroffenen Ortsgemeinden anzuhören. Diese prozeduralen Erfordernisse gewährleisteten, dass gerade diejenigen Einrichtungen, welche die Sonntagsruhe als unverzichtbaren Bestandteil ihres religiösen oder gesellschaftlichen Selbstverständnisses erachteten, ihre Position rechtzeitig und nachhaltig in den Abwägungsprozess zur Bestimmung des im konkreten Einzelfall zu ermittelnden Gemeinwohls einfließen lassen könnten. Damit werde die mit dem Schutz der Sonntagsruhe verbundene verfassungsrechtliche Gewährleistung hinreichend gesichert. Daraus folge zugleich, dass die Vorschrift weder dem Bestimmtheitsgrundsatz noch dem Wesentlichkeitsprinzip zuwiderlaufe. Vor diesem Hintergrund sei auch die angegriffene Verordnung nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin habe vor Erlass der Verordnung alle zu beteiligenden Stellen eingebunden. Dass die Bedeutung der in die Abwägung eingestellten Belange von der Antragsgegnerin verkannt worden sei, lasse sich nicht feststellen.

4

Mit der Revision macht die Antragstellerin geltend, § 10 Satz 1 LadöffnG sei verfassungswidrig. Die Vorschrift verstoße gegen den Bestimmtheitsgrundsatz, weil sie die Zulassung der Sonntagsöffnung nicht vom Vorliegen eines besonderen Sachgrundes abhängig mache. Selbst wenn man mit dem Oberverwaltungsgericht davon ausginge, dass die Vorschrift bei verfassungskonformer Auslegung verfassungsgemäß sei, entspreche die angegriffene Rechtsverordnung nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Danach dürfe der Kernbereich der Sonntagsruhe durch Ausnahmen nicht gefährdet werden. Sonntage müssten deshalb als "Nicht-Werktage" geprägt bleiben. Es habe vorliegend schon kein hinreichender Anlass für eine Ladenöffnung am Sonntag bestanden. Sie habe allein dem wirtschaftlichen Interesse der Händler und dem alltäglichen Einkaufsinteresse der Kunden gedient. Diese Interessen könnten nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine sonntägliche Ladenöffnung nicht begründen.

5

Die Antragstellerin beantragt,

das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. Mai 2014 zu ändern und festzustellen, dass die Rechtsverordnung der Antragsgegnerin vom 30. Oktober 2013 über die Freigabe des verkaufsoffenen Sonntags am 29. Dezember 2013 für die kreisfreie Stadt W. unwirksam war.

6

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

7

Sie verteidigt das angegriffene Urteil. Am 29. Dezember 2013 habe an den zentralen Plätzen der Stadt ein Silvestermarkt stattgefunden, der Anlass für den verkaufsoffenen Sonntag gewesen sei. Die sonntägliche Ladenöffnung gebe einen wichtigen Impuls für den Einzelhandel der Stadt. Sie stärke den Standort W. gegenüber den benachbarten Oberzentren M. und L., was letztlich auch der Sicherung von Arbeitsplätzen diene.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision hat Erfolg. Das angefochtene Urteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) und stellt sich auch nicht gemäß § 144 Abs. 4 VwGO aus anderen Gründen als richtig dar. Die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, die nach § 10 LadöffnG festgesetzte Freigabe der Ladenöffnung am Sonntag beruhe schon deshalb auf einem verfassungsrechtlich hinreichenden Sachgrund, weil der Verordnungsgeber alle für und gegen die sonntägliche Ladenöffnung sprechenden Belange berücksichtigt und im Rahmen einer Gesamtabwägung vertretbar gewichtet habe, verstößt gegen den bundesverfassungsrechtlich gebotenen Sonntagsschutz des Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV. Das Revisionsgericht kann in der Sache selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO), weil der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist.

9

1. Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht den Normenkontrollantrag für zulässig gehalten.

10

a) Die Antragsgegnerin ist antragsbefugt. Sie kann geltend machen, durch die zur Prüfung gestellte Verordnung in ihren Rechten verletzt zu sein (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Wie der Senat bereits entschieden hat, dient die gesetzliche Ausgestaltung des Sonntagsschutzes auch dem Schutz des Interesses von Vereinigungen und Gewerkschaften am Erhalt günstiger Rahmenbedingungen für gemeinschaftliches Tun und ist in diesem Sinne drittschützend (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 2015 - 8 CN 2.14 - BVerwGE 153, 183 Rn. 15). § 10 LadöffnG konkretisiert den objektivrechtlichen Schutzauftrag, der sich für den Gesetzgeber aus der Sonn- und Feiertagsgarantie der Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV ergibt. Er ist auf die Stärkung derjenigen Grundrechte angelegt, die in besonderem Maße auf Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung angewiesen sind. Dazu zählen auch die Vereinigungs- und die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 GG (vgl. BVerfG, Urteil vom 1. Dezember 2009 - 1 BvR 2857, 2858/07 - BVerfGE 125, 39 <84>; BVerwG, Urteile vom 11. November 2015 - 8 CN 2.14 - BVerwGE 153, 183 Rn. 16 und vom 26. November 2014 - 6 CN 1.13 - BVerwGE 150, 327 Rn. 15 f.).

11

Die Antragstellerin ist durch die Verordnung auch in ihrem Tätigkeitsbereich betroffen, obgleich sie nicht unmittelbar Adressatin der darin festgesetzten sonntäglichen Ladenöffnung ist. Hierfür genügt, dass sich die Ladenöffnung an einem Sonntag negativ auf die Grundrechtsverwirklichung einer Gewerkschaft, die im Dienstleistungsbereich tätige Arbeitnehmer vertritt, auswirken kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 2015 - 8 CN 2.14 - BVerwGE 153, 183 Rn. 17). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

12

Die Interessen der Antragstellerin werden auch mehr als nur geringfügig beeinträchtigt. Dabei ist auf die Gesamtbelastung abzustellen, die sich für die landesweite Betätigung der Antragstellerin durch den Erlass einzelner gemeindlicher Verordnungen auf der Grundlage des § 10 LadöffnG ergeben kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 2015 - 8 CN 2.14 - BVerwGE 153, 183 Rn. 18). Nach dieser Vorschrift können die rheinland-pfälzischen Gemeinden bestimmen, dass Verkaufsstellen an höchstens vier Sonntagen pro Gemeinde in einem Kalenderjahr geöffnet sein dürfen. Über das ganze Jahr gesehen kann damit ein "Flickenteppich" sonntäglicher Ladenöffnungen entstehen, der die Organisation gemeinschaftlicher gewerkschaftlicher Tätigkeiten spürbar erschweren kann.

13

b) Der Antragstellerin steht ein Rechtsschutzinteresse zur Seite. Die verfahrensgegenständliche Rechtsverordnung hat sich zwar mit Ablauf des 29. Dezember 2013 erledigt, weil sie nach diesem Tag keine Rechtswirkung mehr entfaltet. Gleichwohl besteht trotz Erledigung der zur Prüfung gestellten Norm unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr ein schutzwürdiges Interesse an einer Sachentscheidung (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 2015 - 8 CN 2.14 - BVerwGE 153, 183 Rn. 19). Der Erlass vergleichbarer Verordnungen durch die Antragsgegnerin in absehbarer Zeit erscheint hinreichend wahrscheinlich.

14

2. Unzutreffend ist jedoch die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, die durch die angegriffene Rechtsverordnung festgesetzte sonntägliche Ladenöffnung am 29. Dezember 2013 sei rechtmäßig gewesen. Das angefochtene Urteil beruht auf einer fehlerhaften verfassungskonformen Auslegung des § 10 LadöffnG. Das Oberverwaltungsgericht ist zwar im Einklang mit Bundesrecht davon ausgegangen, dass jede Ladenöffnung an einem Sonntag für sich genommen durch einen Sachgrund gerechtfertigt sein muss. Entgegen seiner Auffassung sind die bundesverfassungsrechtlichen Anforderungen des Sonntagsschutzes jedoch nicht schon erfüllt, wenn der Verordnungsgeber alle für und gegen die sonntägliche Ladenöffnung sprechenden Belange berücksichtigt und im Rahmen einer Gesamtabwägung vertretbar gewichtet hat. Das verstößt gegen den nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV gebotenen Sonntagsschutz. Im Einzelnen:

15

a) Das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die landesverfassungsrechtliche Bestimmung des Art. 57 Abs. 1 Satz 3 LV, die eine Ausnahme vom arbeitsfreien Sonntag nur zulässt, wenn es das Gemeinwohl erfordert, den Verordnungsgeber bei der Anwendung des § 10 LadöffnG unmittelbar bindet. Es hat diese Vorschrift dahin ausgelegt, dass der Verordnungsgeber eine Ladenöffnung am Sonntag daher nur festsetzen darf, wenn das Gemeinwohl dies erfordert. Die Ermittlung des Gemeinwohls erfolgt nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts auf der Grundlage einer Abwägung aller für und gegen die sonntägliche Ladenöffnung sprechenden Belange, die im Rahmen der nach § 10 Satz 3 i.V.m. § 4 Satz 3 LadöffnG gesetzlich vorgeschriebenen Anhörung von den beteiligten Stellen geltend gemacht werden. Dabei darf der Verordnungsgeber die Bedeutung der in die Abwägung eingebrachten Belange zwar nicht verkennen. Hat er diese Voraussetzungen jedoch beachtet, unterliegt er bei der Entscheidung über die Freigabe der Sonntagsöffnung keinen weiteren rechtlichen Beschränkungen.

16

b) Diese Auslegung des § 10 LadöffnG steht mit dem verfassungsrechtlich gebotenen Sonntagsschutz nicht im Einklang. Der in Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV enthaltene Schutzauftrag an den Gesetzgeber gewährleistet ein Mindestniveau des Sonn- und Feiertagsschutzes. Er statuiert für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen ein Regel-Ausnahme-Verhältnis; die typische "werktägliche Geschäftigkeit" hat an Sonn- und Feiertagen zu ruhen (vgl. BVerfG, Urteile vom 9. Juni 2004 - 1 BvR 636/02 - BVerfGE 111, 10 <51, 53> und vom 1. Dezember 2009 - 1 BvR 2857, 2858/07 - BVerfGE 125, 39 <85>; BVerwG, Urteil vom 11. November 2015 - 8 CN 2.14 - BVerwGE 153, 183 Rn. 22). Das gesetzliche Schutzkonzept für die Gewährleistung der Sonn- und Feiertagsruhe muss diese Tage erkennbar als solche der Arbeitsruhe zur Regel erheben. Für die hier in Rede stehende Ladenöffnung gilt, dass sie eine für jedermann wahrnehmbare Geschäftigkeit auslöst, die typischerweise den Werktagen zugeordnet wird; wegen dieser öffentlichen Wirkung ist sie geeignet, den Charakter des Tages in besonderer Weise werktäglich zu prägen. Jede Ladenöffnung an einem Sonn- oder Feiertag bedarf eines dem Sonntagsschutz gerecht werdenden Sachgrundes (BVerfG, Urteil vom 1. Dezember 2009 - 1 BvR 2857, 2858/07 - BVerfGE 125, 39 <87>). Das gilt unabhängig davon, ob die gesetzlichen Möglichkeiten hierzu ausgeschöpft wurden. Als ein solcher Sachgrund zählen weder das bloß wirtschaftliche Umsatzinteresse der Verkaufsstelleninhaber noch das alltägliche Erwerbsinteresse ("Shopping-Interesse") potenzieller Kunden (vgl. BVerfG, Urteil vom 1. Dezember 2009 - 1 BvR 2857, 2858/07 - BVerfGE 125, 39 <87 f., 90 f.>; BVerwG, Urteil vom 11. November 2015 - 8 CN 2.14 - BVerwGE 153, 183 Rn. 22). Auch ist nicht jede Ladenöffnung an einem Sonn- oder Feiertag bereits deshalb gerechtfertigt, weil für sie überhaupt ein über das bloße Umsatzinteresse der Verkaufsstelleninhaber und das Erwerbsinteresse der Kunden hinausgehendes öffentliches Interesse spricht. Vielmehr sind die konkrete Ladenöffnung und der konkrete Sachgrund in ein Verhältnis zu setzen (a.A. wohl VGH Mannheim, Beschluss vom 13. März 2017 - 6 S 309/17 - juris Rn. 11). Je weitreichender die Freigabe der Verkaufsstellenöffnung in räumlicher und zeitlicher Hinsicht sowie in Bezug auf die einbezogenen Handelssparten und Warengruppen ist, umso höher muss angesichts der stärkeren werktäglichen Prägung des Tages das Gewicht der für die Ladenöffnung angeführten Sachgründe sein (vgl. BVerfG, Urteil vom 1. Dezember 2009 - 1 BvR 2857, 2858/07 - BVerfGE 125, 39 <88, 99 f.>).

17

c) Nach diesem Maßstab ist entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts die Festsetzung einer sonntäglichen Ladenöffnung nicht schon deshalb verfassungsrechtlich gerechtfertigt, weil der Verordnungsgeber alle für und gegen eine Ladenöffnung sprechenden Belange bei seiner Entscheidung berücksichtigt und diese im Rahmen einer Gesamtabwägung vertretbar gewichtet hat. Der Verordnungsgeber hat vielmehr zu prüfen, ob ein dem Schutzauftrag des Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV genügender Sachgrund für die beabsichtigte sonntägliche Ladenöffnung besteht. Dabei kommt ihm - abgesehen von Prognosen künftiger Ereignisse (vgl. etwa zur Besucherzahl BVerwG, Urteil vom 11. November 2015 - 8 CN 2.14 -BVerwGE 153, 183 Rn. 36 f.) - weder bei der Gewichtung des Sachgrundes und der Prägung der Ladenöffnung noch bei der Abwägung zwischen Sachgrund und dem durch die Ladenöffnung betroffenen Schutzgut des Sonn- und Feiertagsschutzes ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Spielraum zu. Die Frage, ob die beabsichtigte sonntägliche Ladenöffnung durch einen hinreichend gewichtigen Sachgrund gerechtfertigt ist, unterliegt vielmehr grundsätzlich der uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle.

18

3. Die landesrechtliche Vorschrift des § 10 LadöffnG ist einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich, die im Einklang mit Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV steht. Es ist zwar grundsätzlich dem Oberverwaltungsgericht vorbehalten, den Inhalt des Landesrechts verbindlich festzustellen. Allerdings ist das Revisionsgericht an eine unter Verletzung von Bundesverfassungsrecht gewonnene Auslegung von Landesrecht durch das Oberverwaltungsgericht nicht gebunden. In einem solchen Fall kann das Revisionsgericht das Landesrecht selbst auslegen (vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 1986 - 7 C 79.85 - BVerwGE 75, 67 <69 f.>, vom 18. Dezember 1987 - 4 C 9.86 - BVerwGE 78, 347 <351> und vom 13. Mai 2009 - 9 C 7.08 - Buchholz 401.61 Zweitwohnungssteuer Nr. 28 Rn. 23). So liegt es hier.

19

§ 10 LadöffnG ist - insoweit in Übereinstimmung mit dem Oberverwaltungsgericht - dahin auszulegen, dass eine Ladenöffnung am Sonntag nur im Interesse des Gemeinwohls zulässig ist. Bei dem Begriff des Gemeinwohls handelt es sich um einen ausfüllungsbedürftigen unbestimmten Rechtsbegriff, der im Lichte des verfassungsrechtlich gebotenen Sonntagsschutzes der Konkretisierung bedarf. Das Gemeinwohlerfordernis ist bei verfassungskonformer Auslegung nur dann erfüllt, wenn die beabsichtigte Ladenöffnung auf einem Sachgrund beruht, der gemessen an der öffentlichen Wirkung der Ladenöffnung eine Ausnahme vom Sonntagsschutz rechtfertigt.

20

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin verstößt § 10 LadöffnG in dieser Auslegung auch nicht gegen den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz. Aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt zwar, dass auch landesrechtliche Ermächtigungen zum Erlass untergesetzlicher Normen hinreichend bestimmt sein müssen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. Dezember 1992 - 1 BvR 74/90, 1 BvR 21 BvR 259/90 - NVwZ 1993, 1079 = juris Rn. 25 m.w.N.). Das ist hier jedoch der Fall. Der Begriff des Gemeinwohlerfordernisses lässt sich anhand des in der Rechtsprechung entwickelten Maßstabes für die Beurteilung der Frage, ob eine konkrete Ladenöffnung am Sonntag durch einen Sachgrund gerechtfertigt ist, ausfüllen.

21

4. Das angefochtene Urteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Bei Zugrundelegung des § 10 LadöffnG in der aufgezeigten Auslegung kann der Senat nicht feststellen, dass der Verordnungsgeber die angegriffene Rechtsverordnung zur Freigabe des verkaufsoffenen Sonntags im Zeitpunkt ihres Erlasses am 30. Oktober 2013 auf einen hinreichend gewichtigen Sachgrund gestützt hätte. Der Verordnungsgeber hat darauf verzichtet, die Rechtsverordnung zu begründen. Das Oberverwaltungsgericht hat hierzu keine Feststellungen getroffen. Soweit sich die Antragsgegnerin erstmals im Gerichtsverfahren auf die Durchführung eines Silvestermarkts am 29. Dezember 2013 berufen hat, kommt dieser als hinreichender Sachgrund für die Ladenöffnung an dem in Rede stehenden Sonntag nicht in Betracht. Diese Veranstaltung wurde in ihrer konkret geplanten Ausgestaltung erst am 15. November 2013 und damit rund zwei Wochen nach Erlass der Rechtsverordnung beantragt. Die nach der Rechtsprechung des Senats bei Erlass der Rechtsverordnung durch den Verordnungsgeber notwendig vorzunehmende Prognose der durch den Markt sowie die Öffnung der Verkaufsstellen ausgelösten Besucherströme (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 2015 - 8 CN 2.14 - BVerwGE 153, 183 Rn. 36) ist bei einem solchen Zeitablauf ausgeschlossen. Ebenso wenig kommt die von der Antragsgegnerin weiterhin angeführte Steigerung der Einzelhandelsattraktivität der Stadt W. - auch im Wettbewerb mit den benachbarten Oberzentren M. und L. - als verfassungsrechtlich hinreichender Sachgrund für die Sonntagsöffnung in Betracht. Sie verkörpert letztlich nichts anderes als das Umsatzinteresse der Verkaufsstelleninhaber, das aus den oben dargelegten Gründen eine Sonntagsöffnung nicht rechtfertigen kann.

22

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

Tatbestand

1

Die Antragstellerin ist eine Gewerkschaft, die Beschäftigte des Einzelhandels vertritt. Sie wendet sich gegen eine Rechtsverordnung der Antragsgegnerin über die Freigabe des verkaufsoffenen Sonntags am 29. Dezember 2013.

2

Im Juni 2013 beantragten mehrere Einzelhändler der W. Innenstadt für den 29. Dezember 2013 die Freigabe eines verkaufsoffenen Sonntags, der unter dem Motto "Jahresausklang" stehen sollte. Nach Anhörung der Kirchen, der Antragstellerin sowie weiterer betroffener Institutionen lehnte die Antragsgegnerin den Antrag im September 2013 zunächst ab. Im Oktober 2013 sprach der Stadtrat der Antragsgegnerin die Empfehlung aus, "versuchsweise" einen verkaufsoffenen Sonntag durchzuführen. Daraufhin erließ die Antragsgegnerin am 30. Oktober 2013 die verfahrensgegenständliche Rechtsverordnung. Diese setzte die stadtweite Öffnung der Verkaufsstellen in der kreisfreien Stadt W. am Sonntag, den 29. Dezember 2013, für die Zeit von 13:00 Uhr bis 18:00 Uhr fest. Sie wurde im Amtsblatt der Antragsgegnerin vom 15. November 2013 veröffentlicht. Ebenfalls am 15. November 2013 beantragte der Geschäftsführer des Stadtmarketingvereins ... e.V. die straßenverkehrsrechtliche Erlaubnis zur Durchführung eines Silvestermarkts in der W. Innenstadt für die Zeit vom 27. bis 29. Dezember 2013, die mit Bescheid vom 19. Dezember 2013 erteilt wurde. Am 29. Dezember 2013 fand die Sonntagsöffnung statt.

3

Den im Februar 2014 eingereichten Normenkontrollantrag der Antragstellerin mit dem Antrag festzustellen, dass die Rechtsverordnung vom 30. Oktober 2013 rechtswidrig war, hat das Oberverwaltungsgericht abgelehnt. Die Verordnung sei rechtmäßig. Sie stehe mit § 10 Ladenöffnungsgesetz Rheinland-Pfalz (LadöffnG) im Einklang. Diese Ermächtigungsgrundlage sei ihrerseits verfassungsgemäß. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin gestatte § 10 LadöffnG bei verfassungskonformer Auslegung bis zu vier verkaufsoffene Sonntage im Kalenderjahr nicht voraussetzungslos und ohne das Vorliegen von Sachgründen. Art. 57 Abs. 1 Satz 3 der Verfassung von Rheinland-Pfalz (LV) sehe die Möglichkeit vor, Ausnahmen von den grundsätzlich arbeitsfreien Sonn- und Feiertagen zuzulassen, wenn es das Gemeinwohl erfordere. Das Gemeinwohlerfordernis gelte bei Anwendung des § 10 LadöffnG unmittelbar. Nach § 10 Satz 4, § 4 Satz 3 LadöffnG seien die zuständigen Gewerkschaften, Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände, kirchliche Stellen, die jeweilige Industrie- und Handelskammer und Handwerkskammer sowie die betroffenen Ortsgemeinden anzuhören. Diese prozeduralen Erfordernisse gewährleisteten, dass gerade diejenigen Einrichtungen, welche die Sonntagsruhe als unverzichtbaren Bestandteil ihres religiösen oder gesellschaftlichen Selbstverständnisses erachteten, ihre Position rechtzeitig und nachhaltig in den Abwägungsprozess zur Bestimmung des im konkreten Einzelfall zu ermittelnden Gemeinwohls einfließen lassen könnten. Damit werde die mit dem Schutz der Sonntagsruhe verbundene verfassungsrechtliche Gewährleistung hinreichend gesichert. Daraus folge zugleich, dass die Vorschrift weder dem Bestimmtheitsgrundsatz noch dem Wesentlichkeitsprinzip zuwiderlaufe. Vor diesem Hintergrund sei auch die angegriffene Verordnung nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin habe vor Erlass der Verordnung alle zu beteiligenden Stellen eingebunden. Dass die Bedeutung der in die Abwägung eingestellten Belange von der Antragsgegnerin verkannt worden sei, lasse sich nicht feststellen.

4

Mit der Revision macht die Antragstellerin geltend, § 10 Satz 1 LadöffnG sei verfassungswidrig. Die Vorschrift verstoße gegen den Bestimmtheitsgrundsatz, weil sie die Zulassung der Sonntagsöffnung nicht vom Vorliegen eines besonderen Sachgrundes abhängig mache. Selbst wenn man mit dem Oberverwaltungsgericht davon ausginge, dass die Vorschrift bei verfassungskonformer Auslegung verfassungsgemäß sei, entspreche die angegriffene Rechtsverordnung nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Danach dürfe der Kernbereich der Sonntagsruhe durch Ausnahmen nicht gefährdet werden. Sonntage müssten deshalb als "Nicht-Werktage" geprägt bleiben. Es habe vorliegend schon kein hinreichender Anlass für eine Ladenöffnung am Sonntag bestanden. Sie habe allein dem wirtschaftlichen Interesse der Händler und dem alltäglichen Einkaufsinteresse der Kunden gedient. Diese Interessen könnten nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine sonntägliche Ladenöffnung nicht begründen.

5

Die Antragstellerin beantragt,

das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. Mai 2014 zu ändern und festzustellen, dass die Rechtsverordnung der Antragsgegnerin vom 30. Oktober 2013 über die Freigabe des verkaufsoffenen Sonntags am 29. Dezember 2013 für die kreisfreie Stadt W. unwirksam war.

6

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

7

Sie verteidigt das angegriffene Urteil. Am 29. Dezember 2013 habe an den zentralen Plätzen der Stadt ein Silvestermarkt stattgefunden, der Anlass für den verkaufsoffenen Sonntag gewesen sei. Die sonntägliche Ladenöffnung gebe einen wichtigen Impuls für den Einzelhandel der Stadt. Sie stärke den Standort W. gegenüber den benachbarten Oberzentren M. und L., was letztlich auch der Sicherung von Arbeitsplätzen diene.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision hat Erfolg. Das angefochtene Urteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) und stellt sich auch nicht gemäß § 144 Abs. 4 VwGO aus anderen Gründen als richtig dar. Die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, die nach § 10 LadöffnG festgesetzte Freigabe der Ladenöffnung am Sonntag beruhe schon deshalb auf einem verfassungsrechtlich hinreichenden Sachgrund, weil der Verordnungsgeber alle für und gegen die sonntägliche Ladenöffnung sprechenden Belange berücksichtigt und im Rahmen einer Gesamtabwägung vertretbar gewichtet habe, verstößt gegen den bundesverfassungsrechtlich gebotenen Sonntagsschutz des Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV. Das Revisionsgericht kann in der Sache selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO), weil der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist.

9

1. Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht den Normenkontrollantrag für zulässig gehalten.

10

a) Die Antragsgegnerin ist antragsbefugt. Sie kann geltend machen, durch die zur Prüfung gestellte Verordnung in ihren Rechten verletzt zu sein (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Wie der Senat bereits entschieden hat, dient die gesetzliche Ausgestaltung des Sonntagsschutzes auch dem Schutz des Interesses von Vereinigungen und Gewerkschaften am Erhalt günstiger Rahmenbedingungen für gemeinschaftliches Tun und ist in diesem Sinne drittschützend (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 2015 - 8 CN 2.14 - BVerwGE 153, 183 Rn. 15). § 10 LadöffnG konkretisiert den objektivrechtlichen Schutzauftrag, der sich für den Gesetzgeber aus der Sonn- und Feiertagsgarantie der Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV ergibt. Er ist auf die Stärkung derjenigen Grundrechte angelegt, die in besonderem Maße auf Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung angewiesen sind. Dazu zählen auch die Vereinigungs- und die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 GG (vgl. BVerfG, Urteil vom 1. Dezember 2009 - 1 BvR 2857, 2858/07 - BVerfGE 125, 39 <84>; BVerwG, Urteile vom 11. November 2015 - 8 CN 2.14 - BVerwGE 153, 183 Rn. 16 und vom 26. November 2014 - 6 CN 1.13 - BVerwGE 150, 327 Rn. 15 f.).

11

Die Antragstellerin ist durch die Verordnung auch in ihrem Tätigkeitsbereich betroffen, obgleich sie nicht unmittelbar Adressatin der darin festgesetzten sonntäglichen Ladenöffnung ist. Hierfür genügt, dass sich die Ladenöffnung an einem Sonntag negativ auf die Grundrechtsverwirklichung einer Gewerkschaft, die im Dienstleistungsbereich tätige Arbeitnehmer vertritt, auswirken kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 2015 - 8 CN 2.14 - BVerwGE 153, 183 Rn. 17). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

12

Die Interessen der Antragstellerin werden auch mehr als nur geringfügig beeinträchtigt. Dabei ist auf die Gesamtbelastung abzustellen, die sich für die landesweite Betätigung der Antragstellerin durch den Erlass einzelner gemeindlicher Verordnungen auf der Grundlage des § 10 LadöffnG ergeben kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 2015 - 8 CN 2.14 - BVerwGE 153, 183 Rn. 18). Nach dieser Vorschrift können die rheinland-pfälzischen Gemeinden bestimmen, dass Verkaufsstellen an höchstens vier Sonntagen pro Gemeinde in einem Kalenderjahr geöffnet sein dürfen. Über das ganze Jahr gesehen kann damit ein "Flickenteppich" sonntäglicher Ladenöffnungen entstehen, der die Organisation gemeinschaftlicher gewerkschaftlicher Tätigkeiten spürbar erschweren kann.

13

b) Der Antragstellerin steht ein Rechtsschutzinteresse zur Seite. Die verfahrensgegenständliche Rechtsverordnung hat sich zwar mit Ablauf des 29. Dezember 2013 erledigt, weil sie nach diesem Tag keine Rechtswirkung mehr entfaltet. Gleichwohl besteht trotz Erledigung der zur Prüfung gestellten Norm unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr ein schutzwürdiges Interesse an einer Sachentscheidung (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 2015 - 8 CN 2.14 - BVerwGE 153, 183 Rn. 19). Der Erlass vergleichbarer Verordnungen durch die Antragsgegnerin in absehbarer Zeit erscheint hinreichend wahrscheinlich.

14

2. Unzutreffend ist jedoch die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, die durch die angegriffene Rechtsverordnung festgesetzte sonntägliche Ladenöffnung am 29. Dezember 2013 sei rechtmäßig gewesen. Das angefochtene Urteil beruht auf einer fehlerhaften verfassungskonformen Auslegung des § 10 LadöffnG. Das Oberverwaltungsgericht ist zwar im Einklang mit Bundesrecht davon ausgegangen, dass jede Ladenöffnung an einem Sonntag für sich genommen durch einen Sachgrund gerechtfertigt sein muss. Entgegen seiner Auffassung sind die bundesverfassungsrechtlichen Anforderungen des Sonntagsschutzes jedoch nicht schon erfüllt, wenn der Verordnungsgeber alle für und gegen die sonntägliche Ladenöffnung sprechenden Belange berücksichtigt und im Rahmen einer Gesamtabwägung vertretbar gewichtet hat. Das verstößt gegen den nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV gebotenen Sonntagsschutz. Im Einzelnen:

15

a) Das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die landesverfassungsrechtliche Bestimmung des Art. 57 Abs. 1 Satz 3 LV, die eine Ausnahme vom arbeitsfreien Sonntag nur zulässt, wenn es das Gemeinwohl erfordert, den Verordnungsgeber bei der Anwendung des § 10 LadöffnG unmittelbar bindet. Es hat diese Vorschrift dahin ausgelegt, dass der Verordnungsgeber eine Ladenöffnung am Sonntag daher nur festsetzen darf, wenn das Gemeinwohl dies erfordert. Die Ermittlung des Gemeinwohls erfolgt nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts auf der Grundlage einer Abwägung aller für und gegen die sonntägliche Ladenöffnung sprechenden Belange, die im Rahmen der nach § 10 Satz 3 i.V.m. § 4 Satz 3 LadöffnG gesetzlich vorgeschriebenen Anhörung von den beteiligten Stellen geltend gemacht werden. Dabei darf der Verordnungsgeber die Bedeutung der in die Abwägung eingebrachten Belange zwar nicht verkennen. Hat er diese Voraussetzungen jedoch beachtet, unterliegt er bei der Entscheidung über die Freigabe der Sonntagsöffnung keinen weiteren rechtlichen Beschränkungen.

16

b) Diese Auslegung des § 10 LadöffnG steht mit dem verfassungsrechtlich gebotenen Sonntagsschutz nicht im Einklang. Der in Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV enthaltene Schutzauftrag an den Gesetzgeber gewährleistet ein Mindestniveau des Sonn- und Feiertagsschutzes. Er statuiert für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen ein Regel-Ausnahme-Verhältnis; die typische "werktägliche Geschäftigkeit" hat an Sonn- und Feiertagen zu ruhen (vgl. BVerfG, Urteile vom 9. Juni 2004 - 1 BvR 636/02 - BVerfGE 111, 10 <51, 53> und vom 1. Dezember 2009 - 1 BvR 2857, 2858/07 - BVerfGE 125, 39 <85>; BVerwG, Urteil vom 11. November 2015 - 8 CN 2.14 - BVerwGE 153, 183 Rn. 22). Das gesetzliche Schutzkonzept für die Gewährleistung der Sonn- und Feiertagsruhe muss diese Tage erkennbar als solche der Arbeitsruhe zur Regel erheben. Für die hier in Rede stehende Ladenöffnung gilt, dass sie eine für jedermann wahrnehmbare Geschäftigkeit auslöst, die typischerweise den Werktagen zugeordnet wird; wegen dieser öffentlichen Wirkung ist sie geeignet, den Charakter des Tages in besonderer Weise werktäglich zu prägen. Jede Ladenöffnung an einem Sonn- oder Feiertag bedarf eines dem Sonntagsschutz gerecht werdenden Sachgrundes (BVerfG, Urteil vom 1. Dezember 2009 - 1 BvR 2857, 2858/07 - BVerfGE 125, 39 <87>). Das gilt unabhängig davon, ob die gesetzlichen Möglichkeiten hierzu ausgeschöpft wurden. Als ein solcher Sachgrund zählen weder das bloß wirtschaftliche Umsatzinteresse der Verkaufsstelleninhaber noch das alltägliche Erwerbsinteresse ("Shopping-Interesse") potenzieller Kunden (vgl. BVerfG, Urteil vom 1. Dezember 2009 - 1 BvR 2857, 2858/07 - BVerfGE 125, 39 <87 f., 90 f.>; BVerwG, Urteil vom 11. November 2015 - 8 CN 2.14 - BVerwGE 153, 183 Rn. 22). Auch ist nicht jede Ladenöffnung an einem Sonn- oder Feiertag bereits deshalb gerechtfertigt, weil für sie überhaupt ein über das bloße Umsatzinteresse der Verkaufsstelleninhaber und das Erwerbsinteresse der Kunden hinausgehendes öffentliches Interesse spricht. Vielmehr sind die konkrete Ladenöffnung und der konkrete Sachgrund in ein Verhältnis zu setzen (a.A. wohl VGH Mannheim, Beschluss vom 13. März 2017 - 6 S 309/17 - juris Rn. 11). Je weitreichender die Freigabe der Verkaufsstellenöffnung in räumlicher und zeitlicher Hinsicht sowie in Bezug auf die einbezogenen Handelssparten und Warengruppen ist, umso höher muss angesichts der stärkeren werktäglichen Prägung des Tages das Gewicht der für die Ladenöffnung angeführten Sachgründe sein (vgl. BVerfG, Urteil vom 1. Dezember 2009 - 1 BvR 2857, 2858/07 - BVerfGE 125, 39 <88, 99 f.>).

17

c) Nach diesem Maßstab ist entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts die Festsetzung einer sonntäglichen Ladenöffnung nicht schon deshalb verfassungsrechtlich gerechtfertigt, weil der Verordnungsgeber alle für und gegen eine Ladenöffnung sprechenden Belange bei seiner Entscheidung berücksichtigt und diese im Rahmen einer Gesamtabwägung vertretbar gewichtet hat. Der Verordnungsgeber hat vielmehr zu prüfen, ob ein dem Schutzauftrag des Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV genügender Sachgrund für die beabsichtigte sonntägliche Ladenöffnung besteht. Dabei kommt ihm - abgesehen von Prognosen künftiger Ereignisse (vgl. etwa zur Besucherzahl BVerwG, Urteil vom 11. November 2015 - 8 CN 2.14 -BVerwGE 153, 183 Rn. 36 f.) - weder bei der Gewichtung des Sachgrundes und der Prägung der Ladenöffnung noch bei der Abwägung zwischen Sachgrund und dem durch die Ladenöffnung betroffenen Schutzgut des Sonn- und Feiertagsschutzes ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Spielraum zu. Die Frage, ob die beabsichtigte sonntägliche Ladenöffnung durch einen hinreichend gewichtigen Sachgrund gerechtfertigt ist, unterliegt vielmehr grundsätzlich der uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle.

18

3. Die landesrechtliche Vorschrift des § 10 LadöffnG ist einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich, die im Einklang mit Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV steht. Es ist zwar grundsätzlich dem Oberverwaltungsgericht vorbehalten, den Inhalt des Landesrechts verbindlich festzustellen. Allerdings ist das Revisionsgericht an eine unter Verletzung von Bundesverfassungsrecht gewonnene Auslegung von Landesrecht durch das Oberverwaltungsgericht nicht gebunden. In einem solchen Fall kann das Revisionsgericht das Landesrecht selbst auslegen (vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 1986 - 7 C 79.85 - BVerwGE 75, 67 <69 f.>, vom 18. Dezember 1987 - 4 C 9.86 - BVerwGE 78, 347 <351> und vom 13. Mai 2009 - 9 C 7.08 - Buchholz 401.61 Zweitwohnungssteuer Nr. 28 Rn. 23). So liegt es hier.

19

§ 10 LadöffnG ist - insoweit in Übereinstimmung mit dem Oberverwaltungsgericht - dahin auszulegen, dass eine Ladenöffnung am Sonntag nur im Interesse des Gemeinwohls zulässig ist. Bei dem Begriff des Gemeinwohls handelt es sich um einen ausfüllungsbedürftigen unbestimmten Rechtsbegriff, der im Lichte des verfassungsrechtlich gebotenen Sonntagsschutzes der Konkretisierung bedarf. Das Gemeinwohlerfordernis ist bei verfassungskonformer Auslegung nur dann erfüllt, wenn die beabsichtigte Ladenöffnung auf einem Sachgrund beruht, der gemessen an der öffentlichen Wirkung der Ladenöffnung eine Ausnahme vom Sonntagsschutz rechtfertigt.

20

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin verstößt § 10 LadöffnG in dieser Auslegung auch nicht gegen den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz. Aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt zwar, dass auch landesrechtliche Ermächtigungen zum Erlass untergesetzlicher Normen hinreichend bestimmt sein müssen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. Dezember 1992 - 1 BvR 74/90, 1 BvR 21 BvR 259/90 - NVwZ 1993, 1079 = juris Rn. 25 m.w.N.). Das ist hier jedoch der Fall. Der Begriff des Gemeinwohlerfordernisses lässt sich anhand des in der Rechtsprechung entwickelten Maßstabes für die Beurteilung der Frage, ob eine konkrete Ladenöffnung am Sonntag durch einen Sachgrund gerechtfertigt ist, ausfüllen.

21

4. Das angefochtene Urteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Bei Zugrundelegung des § 10 LadöffnG in der aufgezeigten Auslegung kann der Senat nicht feststellen, dass der Verordnungsgeber die angegriffene Rechtsverordnung zur Freigabe des verkaufsoffenen Sonntags im Zeitpunkt ihres Erlasses am 30. Oktober 2013 auf einen hinreichend gewichtigen Sachgrund gestützt hätte. Der Verordnungsgeber hat darauf verzichtet, die Rechtsverordnung zu begründen. Das Oberverwaltungsgericht hat hierzu keine Feststellungen getroffen. Soweit sich die Antragsgegnerin erstmals im Gerichtsverfahren auf die Durchführung eines Silvestermarkts am 29. Dezember 2013 berufen hat, kommt dieser als hinreichender Sachgrund für die Ladenöffnung an dem in Rede stehenden Sonntag nicht in Betracht. Diese Veranstaltung wurde in ihrer konkret geplanten Ausgestaltung erst am 15. November 2013 und damit rund zwei Wochen nach Erlass der Rechtsverordnung beantragt. Die nach der Rechtsprechung des Senats bei Erlass der Rechtsverordnung durch den Verordnungsgeber notwendig vorzunehmende Prognose der durch den Markt sowie die Öffnung der Verkaufsstellen ausgelösten Besucherströme (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 2015 - 8 CN 2.14 - BVerwGE 153, 183 Rn. 36) ist bei einem solchen Zeitablauf ausgeschlossen. Ebenso wenig kommt die von der Antragsgegnerin weiterhin angeführte Steigerung der Einzelhandelsattraktivität der Stadt W. - auch im Wettbewerb mit den benachbarten Oberzentren M. und L. - als verfassungsrechtlich hinreichender Sachgrund für die Sonntagsöffnung in Betracht. Sie verkörpert letztlich nichts anderes als das Umsatzinteresse der Verkaufsstelleninhaber, das aus den oben dargelegten Gründen eine Sonntagsöffnung nicht rechtfertigen kann.

22

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.

Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.

(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.

(1) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 3 der Zivilprozessordnung:

1.
über die Anordnung eines Arrests, zur Erwirkung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, wenn keine Festgebühren bestimmt sind, und auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie im Verfahren über die Aufhebung, den Widerruf oder die Abänderung der genannten Entscheidungen,
2.
über den Antrag auf Zulassung der Vollziehung einer vorläufigen oder sichernden Maßnahme des Schiedsgerichts,
3.
auf Aufhebung oder Abänderung einer Entscheidung auf Zulassung der Vollziehung (§ 1041 der Zivilprozessordnung),
4.
nach § 47 Absatz 5 des Energiewirtschaftsgesetzes über gerügte Rechtsverletzungen, der Wert beträgt höchstens 100 000 Euro, und
5.
nach § 148 Absatz 1 und 2 des Aktiengesetzes; er darf jedoch ein Zehntel des Grundkapitals oder Stammkapitals des übertragenden oder formwechselnden Rechtsträgers oder, falls der übertragende oder formwechselnde Rechtsträger ein Grundkapital oder Stammkapital nicht hat, ein Zehntel des Vermögens dieses Rechtsträgers, höchstens jedoch 500 000 Euro, nur insoweit übersteigen, als die Bedeutung der Sache für die Parteien höher zu bewerten ist.

(2) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 52 Absatz 1 und 2:

1.
über einen Antrag auf Erlass, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung oder § 114 der Finanzgerichtsordnung,
2.
nach § 47 Absatz 6, § 80 Absatz 5 bis 8, § 80a Absatz 3 oder § 80b Absatz 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung,
3.
nach § 69 Absatz 3, 5 der Finanzgerichtsordnung,
4.
nach § 86b des Sozialgerichtsgesetzes und
5.
nach § 50 Absatz 3 bis 5 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes.