Verwaltungsgericht Köln Urteil, 23. Okt. 2018 - 7 K 5722/15
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt die Klägerin.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
Tatbestand
2Die Klägerin ist am 00.00.1973 in Madrid, Spanien, mit einer Fehlbildung von Händen und Unterarmen geboren. Insbesondere lagen auf beiden Körperseiten radiale Klumphände vor, die in der Kindheit (1976 und 1977) operiert wurden, um die Fehlstellung auszugleichen. Durch die Operation der linken Hand wurde der Mittelhandknochen des 3. Strahls verkürzt. Der Daumen an der linken Hand, der keine knöchernen Strukturen aufwies, wurde 1980 entfernt.
3Am 27.11.2013 beantragte die Klägerin bei der Conterganstiftung für behinderte Menschen – Beklagte – formlos ihre Anerkennung als contergangeschädigte Person. Die Klägerin wurde zwei Mal unter Fristsetzung aufgefordert, das übersandte Antragsformular der Conterganstiftung auszufüllen und mit aktuellen medizinischen Befunden einzureichen. Nachdem bis zum Ende der Frist die geforderten Unterlagen nicht bei der Beklagten eingegangen waren, wurde der Antrag durch Bescheid vom 27.03.2015 abgelehnt. In der Begründung wurde angegeben, eine inhaltliche Prüfung sei nicht möglich gewesen.
4Hiergegen legte die Klägerin am 31.03.2015 durch ihren Prozessbevollmächtigten Widerspruch ein. Gleichzeitig übersandte sie den teilweise ausgefüllten Formularantrag nebst einem ärztlichen Attest des Universitätshospitals K. E. Stiftung vom 12.11.2012 über eine Handoperation im Jahr 1974 sowie einem Untersuchungsbericht für Hörprothesen des D. B. P. + G. in Madrid vom 20.08.2014. Im Antragsformular machte sie keine Angaben zu den thalidomidbedingten Körperschäden. Im beigefügten Hintergrundbericht gab sie an, sie sei 1973 in einer privaten Klinik in Madrid geboren, die im Jahr 1986 geschlossen worden sei. Medizinische Unterlagen von ihrer Geburt seien daher nicht mehr existent. Die Mutter sei im Jahr 2012 gestorben. Beim Aufräumen im Elternhaus nach dem Tod der Mutter habe sie in einer Schublade des Schrankes im Zimmer der Eltern eine Tasche gefunden. In dieser seien eine Tablettenhülle der Marke Contergan sowie Röntgenaufnahmen von ihr im Alter von 2,5 Monaten gewesen. In der Hülle seien noch Tabletten gewesen, außer einer. Fotos einer Tablettenhülle und einer Faltschachtel des Arzneimittels „Contergan forte“ mit deutscher Beschriftung waren beigefügt.
5Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 25.09.2015 als unbegründet zurückgewiesen. Im Gutachten des orthopädischen Gutachters Dr. H. vom 18.07.2015 sei nach einer persönlichen Untersuchung der Klägerin festgestellt worden, dass die Anatomie des Körperschadens eindeutig gegen einen Conterganschaden spreche. Die vorliegende radiale Klumphand sei nicht so ausgebildet wie bei contergangeschädigten Personen.
6Hiergegen hat die Klägerin am 30.09.2015 Klage erhoben, mit der sie ihren Anspruch auf Anerkennung als Contergangeschädigte weiterverfolgt. Sie ist der Auffassung, es genüge, wenn die Fehlbildungen mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Firma Grünenthal in Verbindung gebracht werden könnten. Unter Berücksichtigung dieser Beweiserleichterung sei die Ursächlichkeit der Einnahme von Contergan durch die Mutter für die Fehlbildungen der Klägerin ausreichend dargelegt. Dies werde durch die eingereichten ärztlichen Stellungnahmen bestätigt. Im Untersuchungsbericht für Hörprothesen vom 20.08.2014 werde explizit ausgeführt, dass die Klägerin unter angeborenen Missbildungen leide, die durch ein von der Mutter eingenommenes fruchtgefährdendes Medikament verursacht worden seien. Ferner habe eine enge Freundin der Mutter eidesstattlich versichert, dass die Missbildungen an den Armen der Klägerin durch die in der Schwangerschaft eingenommenen Tabletten gegen Übelkeit und Erbrechen entstanden seien. Auch Dr. D1. L. C. , der gemeinsam mit Prof. M. die Ursache für die Fehlbildungen Anfang der 60er Jahre entdeckt habe, habe bei der Klägerin mit dem beigefügten Attest vom 20.11.2013 einen Conterganschaden diagnostiziert.
7Einer Stellungnahme aus dem Landesarchiv NRW sei zu entnehmen, dass das Arzneimittel „Contergan forte“ noch bis weit in die 70er Jahre hinein in Spanien vertrieben und an schwangere Frauen verabreicht worden sei. In der Stellungnahme vom 21.12.1961 heiße es:
8„Unter dem 05.12. schreiben Sie uns, dass Sie den spanischen Ärzten den Grund des Verkaufsstopps nicht mitteilen würden und dass Sie auch Ihre Außen-Mitarbeiter nur zum Teil und nicht vollständig informieren wollen.“
9Die Klägerin hat ergänzend Auszüge aus einem Katalog der in den Jahren 1971 und 1973 in Spanien im Handel befindlichen Arzneimittel vorgelegt (Vademecum International de Especialidades Farmaceuticas Y Biologicas). Daraus ist zu entnehmen, dass die spanische Firma N. in dieser Zeit verschiedene Arzneimittel der Fa. Grünenthal als Vertragshändlerin in den Verkehr gebracht hat, z.B. das Arzneimittel „Entero-sediv“ mit dem Wirkstoff Didrothenat zur Anwendung bei Verdauungsbeschwerden. In dieser Liste befindet sich weder das Arzneimittel „Contergan forte“ noch andere Thalidomidhaltige Arzneimittel (Beiakte 4).
10Darüber hinaus hat die Klägerin zahlreiche weitere ärztliche Befundberichte, Röntgenaufnahmen und Fotos übersandt. Danach leidet die Klägerin an den folgenden Körperschäden:
11- Blockwirbelbildung der Halswirbelsäule im Segment C3/C4
12- Stenose der äußeren Gehörgänge und minimal dysplastische Ohrmuscheln; leichte bis mittlere Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits von 30 dB, ab 4000 Hz: bis 45 dB, (HNO-Bericht der Universitätsklinik Madrid vom 16.09.2016; abweichend: Untersuchungsbericht für Hörprothesen vom 20.08.2014: Schalleitungsschwerhörigkeit von 20 – 30 dB mit einer Schallempfindungsschwerhörigkeit ab 4000 Hz: bis 35 dB)
13- Missbildungskomplex der oberen Extremitäten mit radialer Klumphand beid-
14seits:
15Links: Radiusaplasie, starke Verkürzung und Verbiegung der Ulna, Aplasie des
16Mittelhandknochens des Daumens/1. Strahls; Fehlen
17knöcherner Strukturen des Daumens (Weichteile wurden operativ ent-
18fernt), Verkürzung des Mittelhandknochens des 3. Strahls
19(durch Operation), nur 3 oder 4 Handwurzelknochen
20Rechts: schwere Radiusdysplasie (kurzer Restknochen, der mit Ulna verbun-
21den ist), starke Verkürzung und Verbiegung der Ulna, mi-
22nimale Hypoplasie des Mittelhandknochens des 1. Strahls bei radiolo- gisch normalen Daumen, nur 3 Handwurzelknochen.
23Bei einer genetischen Untersuchung durch das Institut für Medizinische Genetik und Humangenetik in Berlin vom 18.05.2016 konnte keine Mutation in den für Gliedmaßenfehlbildungen in Frage kommenden Genen (FANCA-FANCM, SALL4, TBX5, RBM8A) festgestellt werden. Im Ergebnisbericht wurde angegeben, aufgrund der Begrenzung der Methode könne eine genetische Ursache für die Fehlbildungen jedoch nicht völlig ausgeschlossen werden; die Wahrscheinlichkeit sei jedoch stark eingeschränkt. Ein Herzfehler konnte bei der Klägerin durch eine Echokardiographie ausgeschlossen werden.
24Die Körperschäden wurden durch die Sachverständigen der Medizinischen Kommission der Beklagten erneut beurteilt. Mit übereinstimmenden Gutachten von Prof. Dr. G1. vom 05.11.2016 und vom 15.07.2017, Dr. X. vom 14.06.2017, Prof. Dr. L1. vom 06.04.2017 und von Dr. T. -I. vom 12.05.2018 stellten diese fest, dass die Fehlbildungen der Klägerin nicht dem typischen Schadensbild bei einer Thalidomideinnahme in der Schwangerschaft entsprächen. Die Blockwirbelbildung in der Halswirbelsäule werde in der wissenschaftlichen Literatur unterschiedlich beurteilt und könne daher nicht als diagnosesichernd angesehen werden. Während in deutschen und englischen Publikationen Blockwirbel bei Contergangeschädigten lediglich im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule gefunden würden, beschrieben einige japanische Quellen auch ein Vorkommen in der Halswirbelsäule bei Contergangeschädigten.
25Eine beidseitige geringe Schwerhörigkeit mit leichter Ohrmuscheldysplasie und Gehörgangsstenose könne bei vielen Erkrankungen auftreten. Die Gehörknöchelchen des Mittelohrs seien normal, ebenso die Nase. Eine Lähmung des Gesichtsnervs oder Augenmotilitätsstörungen lägen nicht vor. Damit liege keine eindeutige Konstellation für einen Conterganschaden vor.
26Die radiale Klumphand spreche zwar an sich für einen Conterganschaden. Jedoch trete diese Fehlbildung nicht ausschließlich bei Thalidomidschäden auf. Sie sei als Merkmal zahlreicher genetischer Syndrome beschrieben und trete auch spontan auf. Letztlich sei die Ursache noch nicht geklärt.
27Zwei Merkmale seien indessen völlig untypisch für einen Conterganschaden, nämlich die Schädigung ulnarer Handwurzelknochen sowie die Kombination einer schweren Schädigung des Radius (Fehlen links und starke Rückbildung rechts) mit einem völlig intakten Daumen rechts. Ferner sei eine Radiusaplasie (=Fehlen des Radius) ohne Beeinträchtigung von Humerus und Schultergürtel zusammen mit einer deutlichen Asymmetrie ungewöhnlich. Dieses Schädigungsbild entspreche nicht der beobachteten teratologischen Reihe. Danach sei der Radius erst bei einem schweren Daumenschaden oder einem Fehlen des Daumens betroffen.
28Die Klägerin beantragt,
29die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2015 zu verpflichten, ihr Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz ab Antragstellung zu bewilligen.
30Die Beklagte beantragt,
31die Klage abzuweisen.
32Sie ist der Auffassung, sowohl im Untersuchungsbericht für Hörprothesen vom 20.08.2014 als auch in der eidesstattlichen Versicherung der Freundin der Mutter würden lediglich Vermutungen zur Ursache für die Körperschäden der Klägerin geäußert. Belege hierfür fehlten. Aus einer Äußerung zum Vertrieb des Medikamentes in Spanien im Jahr 1961 könnten keine Rückschlüsse auf die Verfügbarkeit des Mittels in den 70er Jahren gezogen werden. Tatsächlich sei die Zulassung für in Spanien vertriebene Medikamente der Firma N. /Grünenthal zwischen Oktober 1962 und Januar 1963 zurückgenommen worden. Dieses sei also im Zeitraum der Schwangerschaft der Mutter im Oktober/November 1972 nicht mehr in Spanien im Handel gewesen.
33Im Übrigen verweist sie auf die Gutachten der medizinischen Sachverständigen der Stiftung und hält eine Thalidomidembryopathie bei dem konkret vorliegenden Fehlbildungsmuster nicht für medizinisch plausibel.
34Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge und die von den Beteiligten im Verfahren vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.
35E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
36Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
37Der Bescheid der Beklagten vom 27.03.2015 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 25.09.2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Leistungen nach dem Gesetz über die Conterganstiftung für behinderte Menschen in der Fassung der Bekanntmachung vom 25.06.2009 (BGBl. I S. 1537), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 21. Februar 2017 (BGBl. I S. 263).
38Die Gewährung von Leistungen nach § 13 ContStifG setzt gemäß § 12 Abs. 1 ContStifG Fehlbildungen voraus, die mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Grünenthal GmbH, Aachen, durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werdenkönnen. Mit der durch den Gesetzgeber gewählten Formulierung ist der Kreis der Anspruchsberechtigten bewusst weit gefasst, um zugunsten etwaiger Betroffener dem Umstand Rechnung zu tragen, dass eine über jeden Zweifel erhabene Kausalitätsfeststellung unmöglich ist.
39Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 02.12.2011 - 16 E 723/11 -, vom 25.03.2013 - 16 E 1139/12 - und vom 14.01.2015 - 16 E 435/13 -.
40Mit dieser Beweiserleichterung ist darauf Rücksicht genommen, dass sowohl die Aufklärung der Thalidomideinnahme als solche durch die Mutter nach mehr als 50 Jahren, als auch die eindeutige Feststellung eines naturwissenschaftlichen Zusammenhangs zwischen der Einnahme und einer Fehlbildung des Embryos an Grenzen stoßen. Dies hat allerdings nicht zur Folge, dass nur theoretische Kausalzusammenhänge in dem Sinne ausreichen, dass Thalidomid als Ursache für die Fehlbildungen nicht auszuschließen ist. Hiermit ließe sich angesichts der Vielfalt anderer möglicher Ursachen der Kreis der anspruchsberechtigten Personen nicht verlässlich eingrenzen. Denn einer Thalidomidembryopathie vom Erscheinungsbild her ähnliche Fehlbildungen treten auch in der Allgemeinbevölkerung auf. Häufig lässt sich die Ursache derartiger Fehlbildungen auch gar nicht feststellen. Ein Entschädigungsanspruch soll jedoch nur dann bestehen, wenn die Einwirkung von Thalidomid während der embryonalen Entwicklung mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit für die Fehlbildungen ursächlich war. Bloße Behauptungen oder Vermutungen reichen hierfür nicht aus.
41Ort und Zeitpunkt der Geburt der Klägerin begründen erhebliche Zweifel an ihrer Behauptung, dass die Mutter während der Schwangerschaft das Medikament „Contergan forte“ der Fa. Grünenthal eingenommen hat. Die Klägerin ist am 00.00.1973 in Madrid geboren. Die für eine Thalidomideinwirkung empfindliche Phase der Frühschwangerschaft (34. bis 50. Schwangerschaftstag) lag somit im Oktober/November 1972. Zu diesem Zeitpunkt war das in Deutschland vertriebene Arzneimittel „Contergan forte“ bereits seit 10 Jahren nicht mehr im Handel. Die Rücknahme erfolgte zum 27.11.1961.
42Eine plausible Erklärung, wie dieses deutsche Medikament im Jahr 1972 nach Madrid und in die Hände der Mutter gelangt sein soll, kann die Klägerin – auch in der mündlichen Verhandlung – nicht abgeben. Die Annahme, in der privaten Geburtsklinik seien viele Ärzte aus dem europäischen Ausland tätig gewesen, vermag eine derartige Erklärung nicht zu ersetzen. Insbesondere erscheint es äußerst unwahrscheinlich, dass ein im Spanien tätiger deutscher Arzt vor dem Hintergrund des in Deutschland allgemein bekannten „Contergan-Skandals“ einer schwangeren Frau ein thalidomidhaltiges Medikament verabreicht haben könnte.
43Ebenso unwahrscheinlich ist, dass die Mutter das Medikament „Contergan forte“ im Jahr 1972 in einer spanischen Apotheke erworben hat. Dieses Arzneimittel war in Spanien nicht im Handel. Nach Auskunft des spanischen Opferverbandes B1. gab es in Spanien 7 thalidomidhaltige Arzneimittel, die von spanischen Lizenznehmern der Fa. Grünenthal unter anderen Namen in den Verkehr gebracht wurden. Die Fa. Grünenthal lieferte lediglich Schüttware nach Spanien, die in Spanien unter den Namen Imidan, Vartal, Gluto Naftil, Softenon, Noctosediv, Entero-Sediv capsules und Entero-Sediv suspensio im Handel waren,
44vgl. DLA Piper, Internationale Studie zu Leistungen und Ansprüchen thalidomidbeschädigter Menschen in 21 Ländern, Januar 2012, S. 208; Süddeutsche Zeitung vom 14.10.2013 „Verdacht auf Vertuschung“, https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/contergan-in-spanien-verdacht-auf-vertuschung, Ausdruck vom 16.10.2018.
45Zwar wird berichtet, dass das spanische Gesundheitsamt die Genehmigungen für die meisten Thalidomidprodukte zwischen Oktober 1962 und Januar 1963 annulierte, dass die Medikamente aber wegen einer fehlenden Informationskampagne der Informationskampagne der spanischen Behörden und einer zurückhaltenden Mitteilungspraxis des deutschen Herstellers noch viele Jahre weiter im Umlauf waren. Im Landesarchiv Düsseldorf aufgefundene Korrespondenz zwischen der Fa. Grünenthal und den spanischen Lizenzfirmen deutet darauf hin, dass Grünenthal die Gründe für den Verkaufsstopp in Deutschland im Dezember 1961 nicht offenbart hat. Dies hat aber letztlich für das Verfahren der Klägerin keine Bedeutung. Die Klägerin hat nämlich nicht vorgetragen, dass ihre Mutter ein spanisches Medikament mit dem Wirkstoff Thalidomid erhalten oder erworben und eingenommen hat.
46Vielmehr behauptet sie, die Mutter habe das deutsche Arzneimittel „Contergan forte“ in der Schwangerschaft verwendet. Dieses habe sie nach dem Tod der Mutter in deren Nachttisch, zusammen mit Röntgenaufnahmen von ihr im Alter von 2,5 Monaten, gefunden. Diese Behauptung erscheint jedoch der Kammer unglaubhaft, weil nicht ersichtlich ist, wie dieses Medikament im Jahr 1972 in den Besitz der Mutter gelangt sein soll.
47Die weiteren von der Klägerin vorgelegten Beweismittel sind ebenfalls nicht überzeugend. Das eingereichte Foto, das lediglich eine Schachtel und ein Tablettenröhrchen des Medikaments zeigt, weist keine Bezüge zum privaten Bereich der Klägerin auf. Es kann daher keinen Beweis dafür erbringen, dass sich diese Gegenstände im Zimmer der Mutter befunden haben. Auch die unverlangte Auskunft des in der mündlichen Verhandlung als Übersetzer anwesenden Bekannten der Klägerin, er habe die Schachtel in der Wohnung der Klägerin gesehen, kann nur als Gefälligkeitszeugnis betrachtet werden. Weder hat die Klägerin die Tabletten noch die angeblich gleichzeitig aufgefunden Röntgenaufnahmen der fehlgebildeten Arme aus dem Alter von 2,5 Monaten vorgelegt. Ihr Argument, sie habe diese Bilder als Erinnerung behalten wollen und habe sie nicht digitalisieren können, vermag nicht zu überzeugen. Denn sie hätte auch von diesen Bildern Fotokopien einreichen können. Röntgenaufnahmen der Arme im Alter von 9 Monaten wurden im Verlauf des Klageverfahrens mit Schriftsatz vom 13.01.2017 in Form einer Fotokopie vorgelegt (Beiakte 7, Dokument 3). Warum dies bei älteren Röntgenbildern nicht möglich gewesen sein soll, erschließt sich nicht.
48Der Bericht der Klägerin über das Auffinden der Tabletten nach dem Tod der Mutter erscheint der Kammer daher als konstruiert. Er wird auch durch die vorgelegte notarielle Erklärung einer Freundin der Mutter vom 26.11.2015 nicht gestützt. Diese behauptet, die Mutter der Klägerin habe ihr mitgeteilt, dass die Missbildungen an den Armen der kleinen Tochter von in der Schwangerschaft eingenommenen Tabletten gegen Übelkeit und Erbrechen entstanden seien. Diese Erklärung ist schon in sich widersprüchlich. Die Mitteilung über den Grund der Fehlbildungen soll schon im Kleinkindalter der Klägerin, also Mitte der 70er Jahre gemacht worden sein, die enge Freundschaft zwischen den beiden Frauen soll aber erst ab 1988 bestanden haben. Eine Weitergabe einer derart intimen Information noch vor dem Beginn der Freundschaft erscheint aber nicht wahrscheinlich. Darüber hinaus ist die Erklärung auch vor dem Hintergrund der spanischen Verhältnisse nicht schlüssig. Es ist nicht nachvollziehbar, dass die spanische Öffentlichkeit nicht über die schädlichen Wirkungen von Contergan informiert war, die frühen Arztberichte über die Behandlung der Klägerin keinen derartigen Verdacht äußern, die Mutter der Klägerin aber die Ursache für die Körperschäden der Tochter kannte. Dagegen spricht auch, dass sich der noch lebende Vater der Klägerin zu der Einnahme der Tabletten durch die Mutter nicht geäußert hat, obwohl es sich bei ihm vermutlich um den einzigen noch verfügbaren Zeitzeugen handeln dürfte.
49Auch eine Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung des Erscheinungsbildes der geltend gemachten Fehlbildungen führt nicht zu der Annahme, dass die Fehlbildungen der Klägerin zumindest mit Wahrscheinlichkeit mit einer Conterganeinnahme der Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können.
50Vgl. zur Bedeutung des Erscheinungsbildes für die Annahme eines Kausalzusammenhangs: Begründung des Gesetzentwurfs über die Errichtung einer nationalen Stiftung „Hilfswerk für das behinderte Kind“, BT-Drs. VI/926, S. 8, ferner OVG NRW, Beschluss vom 14.01.2015 – 16 E 435/13 – .
51Hiervon hat sich die Kammer nach Auswertung sämtlicher ärztlicher Stellungnahmen, insbesondere der von der Medizinischen Kommission der Beklagten eingeholten Stellungnahmen von Herrn Prof. Dr. G1. , Frau Dr. X. , Frau Prof. Dr. L1. und Herrn Dr. T. -I. überzeugt. Sämtliche Sachverständige der Medizinischen Kommission, die auf dem Gebiet der Einschätzung von conterganbedingten Körperschäden eine hohe Expertise und jahrelange Erfahrung besitzen, haben ein contergantypisches Schadensbild einstimmig verneint. Die Kammer folgt dieser Einschätzung, da sie dem gesammelten Erfahrungswissen aus der Zeit unmittelbar nach dem gehäuften Auftreten der fehlgebildeten und nachweislich thalidomidgeschädigten Neugeborenen entspricht, das auf der Grundlage von zahlreichen Fallberichten gewonnen wurde und in der medizinischen Literatur wissenschaftlich dokumentiert ist.
52Danach ist das typische Schädigungsbild von zweiseitigen Fehlbildungen der oberen Extremitäten geprägt, die radial und longitudinal verlaufen und einer bestimmten Reihenfolge und Richtung folgen (teratologische Reihe). Hierbei ist zunächst der Daumen von der Fehlbildung betroffen. Mit Zunahme der Schädigung folgt eine Schädigung des Radius, sodann des Humerus, schließlich der Ulna und zuletzt der ulnaren Finger der Hand, bevor der Arm vollständig fehlt. Es handelt sich also um eine radial geprägte Reduktionstendenz der Knochen der Extremität, die sich zuerst verschmächtigen, bei längerer Einwirkung in der Länge zurückbilden und schließlich ganz fehlen. Hierbei folgt die Reduktion der Knochen der Längsachse der Extremität, also longitudinal,
53vgl. H.-G. Willert, Das Fehlbildungsmuster der Thalidomid-bedingten Dysmelie, in: Die Contergankatastrophe – eine Bilanz nach 40 Jahren; Deutsches und Orthopädisches Geschichts- und Forschungsmuseum, Jahrbuch Band 6 (2005), S. 75, 77 f; RW Smithells, CGH Newman, Recognition of thalidomide defects, in: J Med Genet 1992, 715, 718 f.
54Bei der Klägerin liegt zwar auf den ersten Blick ein vorwiegend radialer longitudinaler Schaden an den Händen und Unterarmen vor. Jedoch ist die typische teratologische Reihenfolge der Schädigungen auf der rechten Seite nicht eingehalten. Dort hat die Klägerin nur ein kleines Knochenfragment vom Radius, also eine fast vollständige Radiusaplasie, während der Daumen und der Mittelhandknochen des 1. Strahls fast normal ausgeprägt sind. Bei einer derart schweren Schädigung des Radius müsste aber der Daumen ebenfalls stark fehlgebildet sein oder fehlen. Denn die Schäden beginnen am Daumen und setzen sich weiter in die proximale Richtung am Unterarm fort. Die Kombination eines fast normalen Daumens mit einem stark zurückgebildeten Radius schließt eine Thalidomidschädigung aus.
55Die bei der Klägerin geltend gemachten weiteren Körperschäden, nämlich die Blockwirbel der Halswirbelsäule sowie die Veränderungen im Bereich von Gehörgang und Ohrmuschel finden sich zwar auch bei contergangeschädigten Personen. Sie sind aber nicht so ausgeprägt oder typisch, dass sie allein die Annahme eines Thalidomidschadens rechtfertigen.
56Es kann nicht festgestellt werden, dass es sich bei der Blockwirbelbildung im Bereich der Halswirbelsäule der Klägerin um einen durch Thalidomid bedingten Geburtsschaden handelt. Die Beurteilung dieses Schadens ist in der wissenschaftlichen Literatur nicht eindeutig geklärt, wie Prof. Dr. G1. in seinem Gutachten vom 15.07.2017 nachvollziehbar ausführt. Während in der deutsch- und englischsprachigen Literatur nur Blockwirbelbildungen in Brust- und Lendenwirbelsäule bei contergangeschädigten Personen beschrieben wurden, gibt es zwei Publikationen aus dem japanischen Raum, in denen auch von Blockwirbeln der Halswirbelsäule die Rede ist. Dieser Widerspruch konnte trotz einer sorgfältigen Recherche durch Prof. Dr. G1. nicht weiter aufgeklärt werden. Die vorhandenen Publikationen sind nicht hinreichend aussagekräftig. Teilweise liegen sie nur in japanischer Sprache mit englischem Abstract (Zusammenfassung) vor, teilweise werden die Befunde nicht näher beschrieben. Beide Publikationen basieren auf Untersuchungen mit contergangeschädigten Patienten im Alter von 50 Jahren. Die festgestellten Blockwirbel der Halswirbelsäule könnten daher auch ein Folgeschaden sein, der sich aufgrund der Fehlbildung und Überlastung von geschädigten Armen entwickelt hat. Diese Vermutung wird auch in einer der beiden Publikationen ausgesprochen.
57Auch bei der Klägerin ist nicht klar, seit wann dieser Körperschaden vorliegt. Die eingereichte Diagnose stammt vom 09.02.2017. Ärztliche Befunde oder Röntgenbilder aus der Kindheit wurden nicht übersandt. Es besteht deswegen auch bei der Klägerin die Möglichkeit, dass es sich um einen Folgeschaden aufgrund der stark fehlgebildeten Unterarme handelt. Damit ist nicht hinreichend wahrscheinlich, dass die Schäden an der Halswirbelsäule der Klägerin unmittelbar durch die Einnahme von Thalidomid in der Schwangerschaft ausgelöst wurden. Sie können daher einen Conterganschaden bei der Klägerin nicht begründen.
58Auch die festgestellten Körperschäden im Bereich der Ohren genügen nicht, um die Diagnose einer Thalidomidschädigung zu rechtfertigen. Zwar können auch bei contergangeschädigten Personen missgebildete Ohrmuscheln und Gehörgänge auftreten. Die bei der Klägerin vorhandenen Schädigungen sind jedoch geringfügig. Die Ohrmuscheln sind etwas in ihrer Form verändert und verkleinert, wie die vorgelegten Fotos zeigen. Eine entstellende Missbildung der Ohrmuschel, wie sich in Ziff. 4.4 der Medizinischen Punktetabelle beschrieben ist, liegt nicht vor. Außerdem besteht eine Verengung des Gehörgangs, der relativ vertikal (regelrecht) verläuft und ein Trommelfell von normalem Aussehen erkennen lässt. Typische Fehlbildungen in Mittel- und Innenohr fehlen ebenso wie weitere Schädigungen im Gesichtsbereich. Prof. Dr. X. hat die Fehlbildungen im Gutachten vom 14.06.2017 daher nicht als conterganbedingt eingeordnet, weil diese auch bei zahlreichen anderen congenitalen Schäden in Erscheinung treten.
59Die Kammer folgt dieser Einschätzung. Fehlbildungen im Ohrbereich sind bei contergangeschädigten Personen häufig mit einer seit Kindheit bestehenden Schwerhörigkeit verknüpft und mit weiteren Schädigungen im Gesichtsbereich kombiniert, z.B. mit einer Augenmuskel- oder Hirnnervenlähmung, die jedoch bei der Klägerin nicht vorliegen. Die vorgelegten Untersuchungsberichte zur Schwerhörigkeit bei der Klägerin vom 20.08.2014 und vom 16.09.2016 sind hinsichtlich der Diagnose (Schallleitungsschwerhörigkeit oder Schallempfindungsschwerhörigkeit) nicht einheitlich und zeigen eine Zunahme des Hörverlustes. Auch hier liegen keine Untersuchungen aus der Kindheit der Klägerin vor, sodass die Ursache der Schwerhörigkeit nicht erkennbar wird. Die Zunahme deutet eher auf eine altersbedingte Entwicklung hin.
60Da die orthopädischen Schäden nicht dem typischen Schädigungsbild entsprechen, kann bei einer Gesamtschau auch die schwach ausgeprägte Fehlbildung der Ohren die Annahme einer Thalidomidschädigung nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit begründen.
61Der Umstand, dass bei der Klägerin bisher keine pathologische Genveränderung festgestellt werden konnte, vermag die Schlussfolgerung auf einen Conterganschaden allein nicht zu begründen. Wie Prof. Dr. G1. nachvollziehbar ausführt, gibt es auch außerhalb von genetischen Syndromen geburtsbedingte Fehlbildungen, die spontan, also ohne erkennbare Ursache auftreten. Darüber hinaus kann auch bei der Klägerin ein genetisches Syndrom vorliegen, das sich mit der angewandten Methode nicht detektieren lässt. Im Hinblick auf die erheblichen Zweifel an dem Vortrag zur Arzneimitteleinnahme durch die Mutter und die festgestellten Abweichungen von dem typischen Schädigungsbild konnte die Kammer nicht die erforderliche Überzeugung gewinnen, dass eine Verbindung zwischen den Fehlbildungen der Klägerin und der Einnahme von Contergan hergestellt werden kann.
62Ein derartiger Zusammenhang wird auch nicht durch die von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen von Herrn Dr. L. -C. vom 20.11.2013 sowie von den spanischen Ärzten in den Untersuchungsberichten über den Hörschaden vom 20.08.2014 und vom 16.09.2016 begründet. In allen Attesten fehlt es an einer eingehenden Begründung für die Annahme eines Thalidomidschadens, die sich mit der Geschichte zur Einnahme des Medikaments und zum typischen Schädigungsbild in der erforderlichen Weise auseinandersetzt. Die Diagnose in den audiologischen Untersuchungsberichten beruht ersichtlich allein auf den anamnestischen Angaben der Klägerin.
63Die Klage war daher abzuweisen. Die Klägerin hat nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten zu tragen, da sie im Rechtsstreit unterlegen ist. Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der außergerichtlichen Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
64Rechtsmittelbelehrung
65Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
66ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
67die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
68die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
69das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
70ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
71Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
72Statt in Schriftform kann die Einlegung des Antrags auf Zulassung der Berufung auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
73Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
74Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
75Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
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Urteil einreichenVerwaltungsgericht Köln Urteil, 23. Okt. 2018 - 7 K 5722/15 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Den in § 12 genannten leistungsberechtigten Personen stehen als Leistungen zu:
- 1.
eine einmalige Kapitalentschädigung, - 2.
eine lebenslängliche Conterganrente vorbehaltlich des Absatzes 2 Satz 3, - 3.
jährliche Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe und - 4.
eine jährliche Sonderzahlung, die erstmals für das Jahr 2009 und letztmalig für das Jahr 2022 gewährt wird.
(2) Die Höhe der in Absatz 1 genannten Leistungen richtet sich nach der Schwere des Körperschadens und der hierdurch hervorgerufenen Körperfunktionsstörungen und liegt
- 1.
bei der einmaligen Kapitalentschädigung zwischen 1 278 Euro und 12 782 Euro, - 2.
bei der monatlichen Conterganrente zwischen 662 Euro und 7 480 Euro, - 3.
bei den jährlichen Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe zwischen 876 Euro und 9 900 Euro. Zusätzlich erhält jede leistungsberechtigte Person einen jährlichen Sockelbetrag von 4 800 Euro.
(3) Auf Antrag ist die Conterganrente zu kapitalisieren, soweit der Betrag zum Erwerb oder zur wirtschaftlichen Stärkung eigenen Grundbesitzes zu eigenen Wohnzwecken verwendet wird. Die §§ 72, 73, 74 Abs. 3 Satz 1, §§ 75, 76 und 77 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 des Bundesversorgungsgesetzes finden entsprechende Anwendung. § 75 Abs. 1 Satz 2 des Bundesversorgungsgesetzes findet mit der Maßgabe Anwendung, dass die Veräußerung und Belastung des mit der Kapitalabfindung erworbenen oder wirtschaftlich gestärkten Grundstücks, Erbbaurechts, Wohnungseigentums oder Wohnungserbbaurechts innerhalb der Frist, für die die Conterganrente kapitalisiert wurde, nur mit Genehmigung der Stiftung zulässig sind. Die Kosten der Eintragung einer Verfügungsbeschränkung gemäß § 75 Abs. 1 Satz 2 bis 4 des Bundesversorgungsgesetzes in das Grundbuch trägt die leistungsberechtigte Person. Darüber hinaus ist die Conterganrente auf Antrag zu kapitalisieren, wenn dies im berechtigten wirtschaftlichen Interesse der leistungsberechtigten Person liegt. Im Übrigen kann die Conterganrente auf Antrag teilweise kapitalisiert werden, wenn dies im Interesse der leistungsberechtigten Person liegt. Die Kapitalisierung ist auf die für einen Zeitraum von höchstens zehn Jahren zustehende Conterganrente beschränkt. Der Anspruch auf Conterganrente, an deren Stelle die Kapitalabfindung tritt, erlischt für die Dauer des Zeitraumes, für den die Kapitalabfindung gewährt wird, mit Ablauf des Monats, der auf den Monat der Auszahlung der Abfindung folgt.
(4) Die Zahlungen der Conterganrente beginnen frühestens mit dem Antragsmonat. Wird der Antrag innerhalb von drei Monaten nach dem Inkrafttreten des Errichtungsgesetzes gestellt, so wird die Conterganrente vom Zeitpunkt des Inkrafttretens an gewährt. Die jährlichen Sonderzahlungen beginnen nach Maßgabe des Absatzes 1 Satz 1 mit dem Jahr, in dem der Antrag auf Conterganrente gestellt worden ist. Für die Auszahlung der Mittel für die jährlichen Sonderzahlungen nach Absatz 1 Satz 3 werden Anträge auf Leistungen nach diesem Gesetz oder Anträge auf Erhöhung der Leistungen nach diesem Gesetz berücksichtigt, die bis einschließlich 31. Dezember 2021 gestellt worden sind. Die Zahlung der jährlichen Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 beginnt ab dem 1. Januar 2017.
(5) Die Ansprüche auf die in Absatz 1 genannten Leistungen können nicht übertragen, verpfändet oder gepfändet werden. Vererblich sind lediglich Ansprüche auf Kapitalentschädigung, auf Conterganrente und auf die jährliche Sonderzahlung, die im Zeitpunkt des Todes der leistungsberechtigten Person bereits fällig geworden sind, und zwar nur dann, wenn die Person von ihrem Ehegatten, ihrer Lebenspartnerin oder ihrem Lebenspartner, ihren Kindern oder ihren Eltern beerbt wird.
(6) Das Nähere regeln die Satzung und die Richtlinien. Die Satzung trifft insbesondere Bestimmungen über die Voraussetzungen und den Umfang der Kapitalisierung der Conterganrente nach Absatz 3 Satz 5 und 6 sowie über die Art der Berechnung des Kapitalbetrages. In den Richtlinien ist insbesondere zu regeln, nach welchen Maßstäben auf der Grundlage der zur Verfügung stehenden Mittel Leistungen nach diesem Abschnitt zu bemessen sind und wie das Verfahren zur Gewährung von Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe auszugestalten ist; diese Richtlinien erlässt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
(7) An Erhöhungen der Conterganrente nehmen auch leistungsberechtigte Personen teil, deren Conterganrente nach Absatz 3 kapitalisiert worden ist.
(8) Für die Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen gelten die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes entsprechend. § 118 Abs. 3 und 4 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ist entsprechend anwendbar.
(1) Leistungen wegen Fehlbildungen, die mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Grünenthal GmbH, Aachen, durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können, werden an die Leistungsberechtigten gewährt, die bei Inkrafttreten des Errichtungsgesetzes lebten, und nach Maßgabe des § 13 Abs. 5 Satz 2 an deren Erbinnen und Erben.
(2) Wurden Leistungen nach § 13 des Errichtungsgesetzes nicht innerhalb der dort vorgesehenen Frist geltend gemacht, können die Conterganrente und eine Kapitalentschädigung für die Zeit ab 1. Juli 2009 beantragt werden.
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 25. März 2013 geändert. Dem Kläger wird für das erstinstanzliche Klageverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Q. U. aus X. beigeordnet.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
1
Gründe
2Die Beschwerde des Klägers ist begründet. Der Kläger, der nach den von ihm dargelegten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, kann für die Durchführung des erstinstanzlichen Klageverfahrens die Bewilligung von Prozesskostenhilfe einschließlich der Beiordnung eines Rechtsanwalts beanspruchen (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1, Satz 1, den §§ 115 und 117, § 119 Abs. 1 und § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO). Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg böte. Denn es kommt nach summarischer Prüfung in Betracht, dass seine Klage mit dem Antrag,
3die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 27. Februar 2012 und des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2012 zu verpflichten, ihn, den Kläger, als Contergangeschädigten anzuerkennen,
4entgegen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts doch Aussicht auf Erfolg hat.
5Das Begehren des Klägers dürfte nicht an Ausschlussfristen für die Geltendmachung des Anerkennungsbegehrens scheitern. Die vormalige Bestimmung des § 13 des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung "Hilfswerk für behinderte Kinder" vom 17. Dezember 1971 (BGBl. I S. 2018; im folgenden: Errichtungsgesetz) in der zuletzt geltenden Fassung ist für das Begehren des Klägers nicht mehr maßgeblich. Nach dieser Bestimmung konnten Leistungen wegen Fehlbildungen, die mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Firma D. H. GmbH in T. durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können, (nur) gewährt werden, wenn die Leistungen bis zum 31. Dezember 1983 bei der Stiftung geltend gemacht worden sind, was in Bezug auf den Kläger offensichtlich nicht der Fall gewesen ist. Demgegenüber sieht § 12 Abs. 2 des Conterganstiftungsgesetzes (ContStifG) in der nunmehr geltenden Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des ContStifG vom 25. Juni 2009 vor, dass die Conterganrente und eine Kapitalentschädigung für die Zeit ab 1. Juli 2009 beantragt werden können, wenn Leistungen nach § 13 des Errichtungsgesetzes nicht innerhalb der dort vorgesehenen Frist geltend gemacht wurden. Das trifft, wie schon erwähnt, auf den Kläger zu, dessen Eltern zwar frühzeitig Ansprüche wegen einer möglichen Conterganschädigung erhoben haben, aber nicht (mehr) tätig geworden sind, nachdem die o. g. Stiftung gegründet worden ist. Diesen Fall regelt § 12 Abs. 2 ContStifG. Das Normverständnis des Verwaltungsgerichts, wonach § 12 Abs. 2 ContStifG nur dann die Möglichkeit der Leistungsbeantragung mit Wirkung für die Zeit ab dem 1. Juli 2009 ermöglicht, wenn Leistungen nach § 13 des Errichtungsgesetzes nicht innerhalb der dort vorgesehenen Frist geltend gemachtwerden konnten, findet im Wortlaut dieser Bestimmung keinen Niederschlag und ergibt sich auch nicht bei der zusätzlichen Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien zum Zweiten Gesetz zur Änderung des ContStifG. Soweit es etwa im Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vom 24. März 2009 (BT‑Drucks. 16/12413) heißt, die "bisher von der Ausschlussfrist betroffenen" contergangeschädigten Menschen sollten die Möglichkeit erhalten, künftig Leistungen geltend zu machen, zwingt das nicht zu der vom Verwaltungsgericht für zutreffend gehaltenen Wertung, nur solche Personen seien von der Ausschlussfrist betroffen, die bisher keinen Antrag stellen konnten. Vielmehr sind alle diejenigen von der bisherigen Ausschlussfrist betroffen, die einen Leistungsantrag ‑ warum auch immer ‑ nicht gestellt haben. Abgesehen davon gab es auch im Fall des Klägers Gründe für die Nichtantragstellung vor dem Stichtag des 31. Dezember 1983, die zwar nicht zwingend eine rechtzeitige Antragstellung ausgeschlossen haben, dies aber doch als nachvollziehbar erscheinen lassen. Dazu gehört insbesondere, dass den Eltern des Klägers schon im zeitlichen Vorfeld der Schaffung der Stiftung "Hilfswerk für behinderte Kinder" bedeutet worden war, eine Anerkennung der Behinderungen des Klägers als Conterganschädigung komme aus medizinischen Gründen nicht in Betracht, sie also, möglicherweise sachlich zu Unrecht, mit der Aussichtslosigkeit einer Antragstellung bei der Stiftung konfrontiert worden sind und deshalb resigniert haben.
6Dem Anerkennungsbegehren des Klägers steht auch nicht entgegen, dass er bzw. sein Vater im Jahr 1989 die Wiederaufnahme eines vor Jahren abgelehnten Anerkennungsverfahrens beantragt hat und die Stiftung seinerzeit ‑ durch erneute Befragung des schon zuvor in Erscheinung getretenen Gutachters Prof. Dr. Dr. X1. M. ‑ aus Sachgründen mit Bescheiden vom 20. August 1990 sowie vom 7. Mai 1992 bzw. mit Widerspruchsbescheid vom 25. November 1992 die Anerkennung des Klägers abgelehnt hat. Denn in dem sich anschließenden (zivil‑)gerichtlichen Verfahren ist die sachliche Frage, worauf die multiplen Körperschäden des Klägers zurückzuführen sind, nicht abschließend gewürdigt worden. Vielmehr beruhen die Urteile des Landgerichts Bonn vom 13. Juli 1993 sowie des OLG Köln vom 25. Oktober 1994 auf der Einschätzung, dass der als "unstreitig erstmalige" bezeichnete Leistungsantrag "des Jahres 1990" mit Blick auf die Ausschlussfrist des § 13 des Errichtungsgesetzes und auf die Unmöglichkeit einer Wiedereinsetzung in die versäumte Ausschlussfrist keiner sachlichen Entscheidung zugänglich gewesen sei. Damit fehlt es an einer abschließenden ‑ die gerichtliche Überprüfung umfassenden ‑ sachlichen Würdigung der bis damals vorliegenden medizinischen Befunde, und dies im Ergebnis mit der Begründung, dass die Ausschlussfrist des § 13 des Errichtungsgesetzes diese Überprüfung ausschließe. Das ist gerade der Sachverhalt, der nunmehr durch § 12 Abs. 2 ContStifG in dem Sinne geregelt wird, dass für die Zukunft unabhängig von der Versäumung einer Antragstellung vor dem 1. Januar 1984 Ansprüche auf Hilfen für Contergangeschädigte geprüft und gegebenenfalls zuerkannt werden.
7Schließlich ist auch die Frage der sachlichen Berechtigung des Anerkennungsbegehrens des Klägers als Contergangeschädigter nicht mit einer Eindeutigkeit zu verneinen, die schon eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe ausschließt. Sowohl in § 2 ContStifG (Stiftungszweck) als auch in § 12 Abs. 1 ContStifG (Leistungsberechtigte Personen) ist der Kreis der anspruchsberechtigten Personen weit gefasst (behinderte Menschen, deren Fehlbildungen mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der H. GmbH, B. , durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können), um zugunsten etwaiger Betroffener der Unmöglichkeit einer über jeden Zweifel erhabenen Kausalitätsfeststellung Rechnung zu tragen.
8Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 2. Dezember 2011 ‑ 16 E 723/11 ‑, juris, Rn. 2, und vom 25. März 2013 ‑ 16 E 1139/12 ‑, juris, Rn. 2.
9Eine Conterganeinnahme durch die Mutter des Klägers während der Schwangerschaft hat nach ihren glaubhaften, auch eidesstattlich versicherten Einlassungen stattgefunden. So hat bereits kurz nach der Geburt des Klägers am 18. April 1962, nämlich am 28. April 1962, ein namentlich nicht bekannter Arzt des Krankenhauses, in dem die Geburt stattgefunden hatte, dem Hausarzt der Familie des Klägers mitgeteilt, wie die Geburt vonstattengegangen ist und welche Missbildungen beim Kläger vorliegen. Er hat insoweit ausgeführt: "Interessanterweise hat Pat. in den ersten Schwangerschaftsmonaten Contergan forte eingenommen; ein ursächlicher Faktor, der ja heute viel diskutiert wird." Da erst im November 1961 erstmals in der Presse über den Conterganverdacht berichtet worden war und nachfolgend die strafrechtlichen Ermittlungen aufgenommen wurden,
10vgl. im Einzelnen Kirk, Der Contergan‑Fall: eine unvermeidbare Arzneimittelkatastrophe? Zur Geschichte des Arzneistoffs Thalidomid (1999), S. 85 ff.,
11handelte es sich seinerzeit noch um eine neue und ungesicherte Verdachtslage. Daher liegt es fern, dass die frühzeitige und offensichtlich spontane Angabe der Mutter des Klägers über den Tablettenkonsum im Sinne einer Förderung oder Sicherung etwaiger Regressansprüche zielgerichtet gewesen sein könnte. Aus dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. M. an das Treuhändergremium vom 23. September 1971 geht überdies hervor, dass auf der Grundlage der ‑ nach seiner Einschätzung allerdings unbelegten ‑ Angaben der Mutter des Klägers die Einnahme von Contergan bei normaler Dauer der Schwangerschaft zum Teil in die "sensible Phase" gefallen sei.
12Nach den Gutachten, die seit 1967 über die mögliche Ursache der Missbildungen beim Kläger erstellt worden sind, kann mit hinlänglicher Sicherheit nur ausgeschlossen werden, dass die Veränderungen an den Gliedmaßen des Klägers, insbesondere des linken Unterschenkels, mit der Einnahme von Thalidomid in Verbindung gebracht werden können. Dagegen spricht vor allem das Vorhandensein von Abschnürungsfurchen, die für amniotische (von sich ablösenden Bändern der Fruchtblase, die sich um den Fötus legen können, herrührende) Schädigungen, nicht aber für thalidomidbedingte Missbildungen charakteristisch sind. Allerdings gehört zu den Missbildungen des Klägers auch eine doppelseitige Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte (sog. Wolfsrachen), die zumindest vereinzelt auch im Zusammenhang mit der Einnahme von Thalidomid während der Schwangerschaft der Mutter festgestellt worden ist; das folgt etwa aus dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. M. vom 4. Dezember 1967, wobei dieser aber zugleich betont, das könne "keinesfalls als typisch angesehen werden". Soweit Prof. Dr. Dr. M. , der gemeinhin als der "Entdecker" des Zusammenhangs zwischen den um das Jahr 1960 gehäuft aufgetretenen spezifischen Missbildungsfällen und der Einnahme von Thalidomid durch die Mütter der geschädigten Kinder während der Schwangerschaft gilt und wesentlichen Anteil an der wissenschaftlichen Erforschung der Contergan‑Problematik hatte, in dem genannten Gutachten darauf hinweist, dass Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalten häufig zusammen mit den übrigen ‑ nicht thalidomidbedingten ‑ Schädigungen, wie sie beim Kläger vorliegen, auftreten und sich daher "für die Gesamtheit der [beim Kläger festgestellten] Mißbildungen … eindeutig feststellen [lasse], daß sie in keiner Weise typisch für Mißbildungen nach Thalidomideinnahme sind", liegt dem offenkundig eine monokausale Betrachtung zugrunde, die sich an typischen Erscheinungsformen multipler Missbildungen orientiert, aber nicht erkennbar der Frage nachgeht, ob sich im Einzelfall ausnahmsweise mehrere ursächliche Faktoren ‑ amniogene und thalidomid-bedingte Schädigungen ‑ nebeneinander ausgewirkt haben könnten bzw. was dagegen sprechen könnte, dass es sich beim Kläger ausnahmsweise so verhalten hat. In seiner weiteren Stellungnahme vom 28. Mai 1990 verweist Prof. Dr. Dr. M. auf seine früheren Gutachten und benennt Literaturstellen, die sich mit amniogenen Fehlbildungen vor allem der Lippen und des Gaumens befassen; auf seine vormalige Einschätzung, dass Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalten auch als Thalidomid-Schädigungsfolge aufgetreten seien, geht der Gutachter indessen ebenso wenig ein wie auf die Möglichkeit einer "doppelten Kausalkette".
13Das Gutachten von Prof. Dr. X2. , Direktor des Instituts für Humangenetik der Universität C. , vom 20. April 1971 beschreibt die einzelnen Fehlbildungen beim Kläger, wobei er auch noch die Möglichkeit eines linksseitigen Enophthalmus (Einsinken des Augapfels in die Augenhöhle) erwähnt, und kommt abschließend zu der Einschätzung, dass es eine derartige Fehlbildungskombination im Rahmen einer Thalidomid-Embryopathie nicht gebe. Er erörtert demgegenüber nicht die Frage, ob die Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte ‑ gegebenenfalls auch der Enophthalmus ‑ isoliert betrachtet auf Thalidomid zurückzuführen sein könnte und nimmt folglich auch die Möglichkeit einer Doppelkausalität nicht in den Blick.
14Auch das im laufenden Anerkennungsverfahren erstattete Gutachten von Frau Prof. Dr. L. , Universität N. , vom 1. August 2012 kommt zu dem Ergebnis, dass an der schon in der Vergangenheit gestellten Diagnose einer ‑ von ihr so bezeichneten ‑ "Amnionbänder Sequenz" auch aus heutiger Sicht nicht zu zweifeln sei. Die amniotischen Abschnürungen (Schnürfurchen) an den Fingern, Unterschenkeln und Füßen seien auf vorliegenden Fotos gut zu erkennen; auch die Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte gehöre zu diesem Fehlbildungskomplex. In der humangenetischen Literatur seien unzählige Patienten dokumentiert, die dem Phänotyp des Klägers ähnelten. Hingegen handele es sich nicht um ein teratogenes (u.a. durch Chemikalien hervorgerufene Einwirkungen auf den Embryo) Krankheitsbild, schon gar nicht um einen thalidomidbedingten Fehlbildungskomplex. Im Zusammenhang mit Thalidomidschädigungen seien die beim Kläger vorzufindenden Hand‑ und Fußfehlbildungen mit Syndaktylien (Verwachsungen bzw. Nichttrennung von Finger‑ oder Zehengliedern) und Schnürfurchen nie aufgetreten. Vielmehr seien für eine Conterganschädigung je nach dem Zeitpunkt der Einnahme spezifische und relativ symmetrisch angelegte Missbildungen an Händen, Füßen und Unterschenkeln charakteristisch, wie sie beim Kläger gerade nicht vorlägen. Aus diesen gutachterlichen Äußerungen geht mithin hervor, dass ‑ wie schon oben festgehalten ‑ die Schädigungen an den äußeren Extremitäten des Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mit der Conterganeinnahme durch seine Mutter während der Schwangerschaft zusammenhängen. Indessen beschränken sich die Angaben der Gutachterin zu der seit der Geburt des Klägers vorliegenden Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte darauf, dass auch diese zu dem Fehlbildungskomplex "Amnionbänder Sequenz" gehöre. Eine klare Abgrenzung zu einer möglichen teratogenen Schädigung wird ‑ anders als in Bezug auf die Missbildungen an den Gliedmaßen ‑ mit Blick auf die Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte hingegen nicht gezogen. Nach Auffassung des Senats bleibt damit im Anschluss an die Auffassung von Prof. Dr. Dr. M. , dass eine Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte ‑ wenngleich wohl eher selten ‑ auch in Conterganfällen angetroffen worden sei, die Frage einer "doppelten Kausalität" offen. Allein der von Frau Prof. Dr. L. erneut hervorgehobene Umstand, dass Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalten häufig ‑ und ohne Anhaltspunkte für teratogene Ursachen ‑ im Zusammenhang mit amniogenen Schädigungsbildern auftrete, widerlegt nicht die aufgrund der sicheren Conterganeinnahme durch die Mutter des Klägers mehr als nur rein theoretische Möglichkeit, dass im Fall des Klägers eine Kombination aus einer teratogenen und einer amniogenen Schädigung gegeben ist. Eine solche Möglichkeit könnte nur dann ausgeschlossen werden, wenn entweder auch in Hinblick auf die Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte des Klägers Spezifika vorlägen, die eindeutig auf eine amniotische Verursachung hinweisen, oder aber wenn verdeutlicht worden wäre, dass im Zusammenhang mit der Einnahme von Thalidomid nie ausschließlich eine Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte festgestellt worden wäre. Daran fehlt es aber auch mit Blick auf das Gutachten von Frau Prof. Dr. L. nach wie vor.
15Die Stellungnahme von Privatdozent Dr. H1. aus O. ‑ Facharzt für Orthopädie/Unfallchirurgie/Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sportmedizin/Kinder-orthopädie ‑ vom 29. Dezember 2011 verhält sich ausschließlich zu den Missbildungen des Klägers an den Händen bzw. am linken Bein und kommt wie die vorherigen Gutachter und nachfolgend Frau Prof. Dr. L. zu der Einschätzung, dass diese Befunde nicht typisch für einen Conterganschaden seien und daher insgesamt der Antrag des Klägers abzulehnen sei. Eine spezielle Auseinandersetzung mit der Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte des Klägers bzw. mit den insoweit in Frage kommenden Ursachen findet sich in dieser Stellungnahme nicht. Frau Dr. X3. aus L1. kommt schließlich in ihrer Stellungnahme vom 29. Juli 2010 ‑ wie schon Prof. Dr. Dr. M. ‑ zu der Einschätzung, dass die beim Kläger bestehende beiderseitige Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte (jedenfalls für sich betrachtet) mit einem Conterganschaden vereinbar sei und mit 25 Punkten veranschlagt werden sollte.
16Abschließend weist der Senat noch darauf hin, dass die diversen Diagnosen von den Kläger behandelnden Ärzten, die fast durchweg (insgesamt) von einer thalidomidbe-dingten Schädigung des Klägers berichten, neben den oben wiedergegebenen Fachgutachten nicht ins Gewicht fallen. Es spricht weit Überwiegendes dafür, dass diese Mediziner keine genaue und abschließende Beurteilung der Schädigungsursache abgeben wollten und mussten und sich daher auf die anamnestischen Angaben des Klägers bzw. auf einen "ersten Eindruck" verlassen haben. Erwähnenswert erscheint dem Senat in diesem Zusammenhang aber die Diagnose von Dr. M1. und Dr. X4. von der Westfälischen Wilhelms‑Universität N1. ‑ Klinik und Poliklinik für Technische Orthopädie und Rehabilitation ‑ im Arztbrief vom 19. März 1990, in dem neben der Angabe "Angeborene Fehlbildung an den Extremitäten durch Amnionabschnürungen" weiter von "Verdacht auf Thalidomidschaden" und (beziehungslos dahinterstehend) "Lippen‑, Kiefer‑, Gaumenspalte" die Rede ist. Nachfolgend wird ausgeführt, neben den Fehlbildungen an den äußeren Extremitäten, die klinisch eher einer Amnion-Abschnürung entsprächen, seien in der Folge auch Fehlbildungen am Schädel wie eine Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte, eine Fehlstellung der Zähne, eine einseitige Schwerhörigkeit sowie eine Zwerchfellhernie aufgefallen; alle diese Schäden sprächen "eher wieder für einen Conterganschaden". Damit schließen diese Mediziner die Möglichkeit von Schädigungen unterschiedlicher Genese offensichtlich nicht aus. In eine ähnliche Richtung könnte auch die ärztliche Bescheinigung des Prof. Dr. S. , Städtische Krankenanstalten C1. ‑ Chirurgische Abteilung der Kinderklinik ‑, vom 13. Februar 1965 weisen, in der die Diagnose einer doppelseitigen Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte (und auch die bis in die Stirn hinein klaffende Sagittalnaht) den "multiplen Amnionabschnürungen" zur Seite gestellt ‑ und gerade nicht in das Bild einer insgesamt amniogenen Schädigung einbezogen ‑ werden; entsprechend verhält es sich auch in der Stellungnahme der Stationsärztin Dr. G. , Städtische Krankenanstalten C1. , vom 3. Oktober 1962 ("Es handelte sich um eine doppelseitige Lippen‑Kiefer‑Gaumenspalte; gleichzeitig bestehen multiple Amnionabschnürungen").
17Die Kostenentscheidung folgt aus § 188 Satz 2 VwGO sowie aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.
18Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
Die Sachgebiete in Angelegenheiten der Fürsorge mit Ausnahme der Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes, der Jugendhilfe, der Kriegsopferfürsorge, der Schwerbehindertenfürsorge sowie der Ausbildungsförderung sollen in einer Kammer oder in einem Senat zusammengefaßt werden. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in den Verfahren dieser Art nicht erhoben; dies gilt nicht für Erstattungsstreitigkeiten zwischen Sozialleistungsträgern.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.
(1) Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen, schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen der Beteiligten sowie schriftlich einzureichende Auskünfte, Aussagen, Gutachten, Übersetzungen und Erklärungen Dritter können nach Maßgabe der Absätze 2 bis 6 als elektronische Dokumente bei Gericht eingereicht werden.
(2) Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein. Die Bundesregierung bestimmt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates technische Rahmenbedingungen für die Übermittlung und die Eignung zur Bearbeitung durch das Gericht.
(3) Das elektronische Dokument muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Satz 1 gilt nicht für Anlagen, die vorbereitenden Schriftsätzen beigefügt sind.
(4) Sichere Übermittlungswege sind
- 1.
der Postfach- und Versanddienst eines De-Mail-Kontos, wenn der Absender bei Versand der Nachricht sicher im Sinne des § 4 Absatz 1 Satz 2 des De-Mail-Gesetzes angemeldet ist und er sich die sichere Anmeldung gemäß § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes bestätigen lässt, - 2.
der Übermittlungsweg zwischen den besonderen elektronischen Anwaltspostfächern nach den §§ 31a und 31b der Bundesrechtsanwaltsordnung oder einem entsprechenden, auf gesetzlicher Grundlage errichteten elektronischen Postfach und der elektronischen Poststelle des Gerichts, - 3.
der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten Postfach einer Behörde oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts und der elektronischen Poststelle des Gerichts, - 4.
der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten elektronischen Postfach einer natürlichen oder juristischen Person oder einer sonstigen Vereinigung und der elektronischen Poststelle des Gerichts, - 5.
der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens genutzten Postfach- und Versanddienst eines Nutzerkontos im Sinne des § 2 Absatz 5 des Onlinezugangsgesetzes und der elektronischen Poststelle des Gerichts, - 6.
sonstige bundeseinheitliche Übermittlungswege, die durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates festgelegt werden, bei denen die Authentizität und Integrität der Daten sowie die Barrierefreiheit gewährleistet sind.
(5) Ein elektronisches Dokument ist eingegangen, sobald es auf der für den Empfang bestimmten Einrichtung des Gerichts gespeichert ist. Dem Absender ist eine automatisierte Bestätigung über den Zeitpunkt des Eingangs zu erteilen. Die Vorschriften dieses Gesetzes über die Beifügung von Abschriften für die übrigen Beteiligten finden keine Anwendung.
(6) Ist ein elektronisches Dokument für das Gericht zur Bearbeitung nicht geeignet, ist dies dem Absender unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs unverzüglich mitzuteilen. Das Dokument gilt als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt.
(7) Soweit eine handschriftliche Unterzeichnung durch den Richter oder den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorgeschrieben ist, genügt dieser Form die Aufzeichnung als elektronisches Dokument, wenn die verantwortenden Personen am Ende des Dokuments ihren Namen hinzufügen und das Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen. Der in Satz 1 genannten Form genügt auch ein elektronisches Dokument, in welches das handschriftlich unterzeichnete Schriftstück gemäß § 55b Absatz 6 Satz 4 übertragen worden ist.
(1) Die Beteiligten können vor dem Verwaltungsgericht den Rechtsstreit selbst führen.
(2) Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Darüber hinaus sind als Bevollmächtigte vor dem Verwaltungsgericht vertretungsbefugt nur
- 1.
Beschäftigte des Beteiligten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes); Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen, - 2.
volljährige Familienangehörige (§ 15 der Abgabenordnung, § 11 des Lebenspartnerschaftsgesetzes), Personen mit Befähigung zum Richteramt und Streitgenossen, wenn die Vertretung nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit steht, - 3.
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Personen und Vereinigungen im Sinne der §§ 3a und 3c des Steuerberatungsgesetzes im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 3a des Steuerberatungsgesetzes, zu beschränkter geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen nach den §§ 3d und 3e des Steuerberatungsgesetzes berechtigte Personen im Rahmen dieser Befugnisse sowie Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch Personen im Sinne des § 3 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes handeln, in Abgabenangelegenheiten, - 3a.
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Personen und Vereinigungen im Sinne der §§ 3a und 3c des Steuerberatungsgesetzes im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 3a des Steuerberatungsgesetzes, zu beschränkter geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen nach den §§ 3d und 3e des Steuerberatungsgesetzes berechtigte Personen im Rahmen dieser Befugnisse sowie Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch Personen im Sinne des § 3 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes handeln, in Angelegenheiten finanzieller Hilfeleistungen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie, wenn und soweit diese Hilfsprogramme eine Einbeziehung der Genannten als prüfende Dritte vorsehen, - 4.
berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder, - 5.
Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder, - 6.
Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder in Angelegenheiten der Kriegsopferfürsorge und des Schwerbehindertenrechts sowie der damit im Zusammenhang stehenden Angelegenheiten, - 7.
juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in den Nummern 5 und 6 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
(3) Das Gericht weist Bevollmächtigte, die nicht nach Maßgabe des Absatzes 2 vertretungsbefugt sind, durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten und Zustellungen oder Mitteilungen an diesen Bevollmächtigten sind bis zu seiner Zurückweisung wirksam. Das Gericht kann den in Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 bezeichneten Bevollmächtigten durch unanfechtbaren Beschluss die weitere Vertretung untersagen, wenn sie nicht in der Lage sind, das Sach- und Streitverhältnis sachgerecht darzustellen.
(4) Vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht oder einem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind nur die in Absatz 2 Satz 1 bezeichneten Personen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Vor dem Bundesverwaltungsgericht sind auch die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 5 bezeichneten Organisationen einschließlich der von ihnen gebildeten juristischen Personen gemäß Absatz 2 Satz 2 Nr. 7 als Bevollmächtigte zugelassen, jedoch nur in Angelegenheiten, die Rechtsverhältnisse im Sinne des § 52 Nr. 4 betreffen, in Personalvertretungsangelegenheiten und in Angelegenheiten, die in einem Zusammenhang mit einem gegenwärtigen oder früheren Arbeitsverhältnis von Arbeitnehmern im Sinne des § 5 des Arbeitsgerichtsgesetzes stehen, einschließlich Prüfungsangelegenheiten. Die in Satz 5 genannten Bevollmächtigten müssen durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln. Vor dem Oberverwaltungsgericht sind auch die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 bezeichneten Personen und Organisationen als Bevollmächtigte zugelassen. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe der Sätze 3, 5 und 7 zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten.
(5) Richter dürfen nicht als Bevollmächtigte vor dem Gericht auftreten, dem sie angehören. Ehrenamtliche Richter dürfen, außer in den Fällen des Absatzes 2 Satz 2 Nr. 1, nicht vor einem Spruchkörper auftreten, dem sie angehören. Absatz 3 Satz 1 und 2 gilt entsprechend.
(6) Die Vollmacht ist schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Sie kann nachgereicht werden; hierfür kann das Gericht eine Frist bestimmen. Der Mangel der Vollmacht kann in jeder Lage des Verfahrens geltend gemacht werden. Das Gericht hat den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, sind die Zustellungen oder Mitteilungen des Gerichts an ihn zu richten.
(7) In der Verhandlung können die Beteiligten mit Beiständen erscheinen. Beistand kann sein, wer in Verfahren, in denen die Beteiligten den Rechtsstreit selbst führen können, als Bevollmächtigter zur Vertretung in der Verhandlung befugt ist. Das Gericht kann andere Personen als Beistand zulassen, wenn dies sachdienlich ist und hierfür nach den Umständen des Einzelfalls ein Bedürfnis besteht. Absatz 3 Satz 1 und 3 und Absatz 5 gelten entsprechend. Das von dem Beistand Vorgetragene gilt als von dem Beteiligten vorgebracht, soweit es nicht von diesem sofort widerrufen oder berichtigt wird.