Verwaltungsgericht Köln Urteil, 10. Nov. 2015 - 7 K 4988/13
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
Tatbestand
2Die am 00.00.1961 geborene Klägerin begehrt die Anerkennung als Contergangeschädigte und die Gewährung von Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz (ContStifG).
3Einen entsprechenden Antrag stellte die Klägerin am 14.07.2009. Zur Begründung gab sie an, ihre Mutter habe im 2. Schwangerschaftsmonat eine halbe Tablette Contergan eingenommen, da sie nicht habe schlafen können und ihr übel gewesen sei.
4Als thalidomidbedingt gab die Klägerin orthopädische und innere Schäden sowie Nasen-, Augen- und Ohrenschädigungen an.
5Herr PD Dr. H. führte unter dem 05.08.2010 aus, dass bei der Klägerin mit Wahrscheinlichkeit ein Conterganschaden vorliege. Dabei ging er im Hinblick auf die orthopädischen Schäden von einem Fehlen bzw. einer Funktionslosigkeit beider Daumen, einem Langfingerschaden, einem Unterarm- und Ellenbogenschaden auf beiden Seiten, einem Schulterschaden auf beiden Seiten und einer Skoliose aus.
6Herr Prof. Dr. K. bestätigte unter dem 22.10.2010 bei der Klägerin das Vorliegen eines trockenen Auges sowie eine Kurz- und Stabsichtigkeit. Diese Augenschäden seien nicht conterganbezogen. Dem schloss sich Herr Dr. T. -I. unter dem 28.05.2011 an und empfahl darüber hinaus hinsichtlich der HNO-Schäden die Vorlage an Herrn Dr. X. , eine klarstellende Erläuterung der Herzfehlstellung sowie die Vorlage bei einer Humangenetikerin.Frau Dr. N. teilte unter dem 20.06.2011 mit, bei der Klägerin bestehe eine Herzfehlstellung (situs inversus). Diese Herzfehlstellung wurde von Herrn Dr. T. -I. am 28.07.2011 als nicht mit dem Thalidomidsyndrom assoziiert beurteilt.
7Die Gutachterin Frau Prof. Dr. L. kam in ihrer Stellungnahme vom 07.12.2011 zu dem Ergebnis, dass das Fehlbildungsmuster der Klägerin absolut nicht charakteristisch für eine Thalidomidembryopathie sei. Die Klägerin habe beidseits wenig ausgebildete Schulterkonturen. Der linke Arm sei verkürzt, an der linken Hand sei die Thenarmuskulatur vermindert, der linke Daumen sei dreigliedrig mit hypoplastischen Fingerknochen, die nach ulnar abgewinkelt seien. Das Kahnbein sei links fehlgebildet. Der linke Radius sei jedoch regelrecht ausgebildet. Der rechte Arm und die rechte Hand seien unauffällig bis auf eine reduzierte Thenarmuskulatur. Hypoplastisch ausgeprägte Schultern mit nur geringfügigen Hand-/Armfehlbildungen sowie insbesondere das Vorliegen einer Herzrhythmusstörung seien typisch für das Holt-Oram-Syndrom. Bei einer thalidomidbedingten Schädigung sei bei linksseitig hypoplastischem Daumen eine Reduktionstendenz des linken Radius zu erwarten, was nicht vorliege. Die Ohrmuschel sei unauffällig ausgebildet, so dass die mittlere bis leichte Tieftonschwerhörigkeit am ehesten im Rahmen einer genetischen Veranlagung zu sehen sei. Zudem führte Frau Prof. Dr. L. aus, sie habe am 01.12.2011 mit Herrn Dr. H. in seiner Praxis in O. die Röntgenbilder, Fotos, Arztberichte und dessen Untersuchungsbefund erörtert und ein klares Einvernehmen erzielt, dass das Symptommuster nicht einer Thalidomidembryopathie entspreche.
8Mit Bescheid vom 09.01.2012 lehnte die Beklagte den Antrag unter Hinweis auf die Ausführungen der Frau Prof. Dr. L. ab.
9Hiergegen erhob die Klägerin unter dem 12.01.2012 Widerspruch, den sie mit Schreiben vom 05.10.2012 begründete. Sie verwies auf die Beurteilung des Herrn Dr. H. sowie auf den orthopädischen Befundbericht des Herrn Prof. Dr. Q. vom 30.12.2011. Die Klägerin trug vor, eine asymmetrische Fehlbildung sei kein absolutes Ausschlusskriterium eines Conterganschadens. Durch die Klägerin wurde ein humangenetisches Gutachten des Herrn Prof. Dr. L1. vom 05.03.2012 vorgelegt, nach dem der klinische Verdacht eines Holt-Oram-Syndroms oder Okihiro-Syndroms aufgrund einer SALL4-Mutation oder eines TAR1-Syndroms nicht bestätigt werden konnte.
10Zudem reichte die Klägerin eine eidesstattliche Versicherung ihrer Mutter vom 03.07.2012 ein. Hierin versichert die Mutter, dass sie während des 2. Schwangerschaftsmonats im März/April 1961 eine Contergantablette eingenommen habe. Sie sei zu dieser Zeit als Schwesternschülerin in der Uniklinik Bonn im Nachtdienst eingesetzt gewesen und habe unter Schlafstörungen gelitten. Die Tablette habe sie aus der Klinikapotheke erhalten.
11Die Beklagte legte den Fall erneut Frau Prof. Dr. L. vor. In ihrer zweiten Stellungnahme vom 27.06.2013 führte diese unter Berücksichtigung des Befundberichtes von Herrn Prof. Dr. Q. aus, dass die Feststellungen des Herrn Dr. H. zu den Fehlbildungen der Klägerin nicht korrekt seien. Dieser sei von einem fehlenden linken Radius ausgegangen. In den Röntgenaufnahmen und nach den Feststellungen des Herrn Prof. Dr. Q. seien jedoch beide Radii unauffällig. Zudem sei lediglich der linke Daumen fehlgebildet und nicht beide Daumen, eine Funktionslosigkeit beider Daumen liege auch nicht vor. Aufgrund der falschen Feststellungen habe Herr Dr. H. das Vorliegen einer einseitigen Schädigung nicht gewürdigt. Auch die Herzfehllagerung habe keinen Eingang in dessen Überlegungen gefunden. Sie habe mit Herrn Dr. H. ein Gutachtergespräch geführt. Im Einvernehmen seien die Befunde geklärt worden.
12Weiterhin führte Frau Prof. Dr. L. aus, bei den Wirbelsäulen- und Hüftproblemen der Klägerin handele es sich nicht um Fehlbildungen, sondern um Deformationen, die sich im Laufe des Lebens ausgebildet hätten. Herr Prof. Dr. Q. habe hinsichtlich der oberen Extremitäten nur Fehlbildungen der linken Seite festgestellt, sich jedoch nicht kritisch mit dem Thema der Einseitigkeit beschäftigt.
13Die negativen genetischen Befunde zu SALL4 und TAR1 stünden im Einklang mit dem klinischen Befund, da diese nicht zur Debatte gestanden hätten. Herr Prof. Dr. L1. habe explizit ausgeführt, dass das Ergebnis die klinische Diagnose eines Holt-Oram-Syndroms nicht ausschließe.
14Im Ergebnis liege bei der Klägerin ein gering verkürzter linker Arm ohne ipsilaterale Anomalie des Radius, ein dreigliedriger Daumen links mit fehlgebildetem Kahnknochen und eine Dextrokardie mit Herzrhythmusstörungen vor.
15Die streng einseitige Ausprägung der Fehlbildungen der oberen Extremität spreche gegen eine Thalidomidembryopathie, da durch Thalidomid bedingte Fehlbildungen fast symmetrisch ausgebildet seien. Aufgrund der Symptomkombination von Herz- und Handfehlbildungen sei das Vorliegen eines Holt-Oram-Syndroms bzw. Herz-Hand-Syndroms, welches nicht TBX5-Gen assoziiert sei, wahrscheinlich.
16Unter Hinweis auf diese Stellungnahme wies die Beklagte den Widerspruch mit Bescheid vom 08.08.2013 zurück.
17Die Klägerin hat am 14.08.2013 Klage erhoben, zu deren Begründung sie auf ihren bisherigen Vortrag Bezug nimmt und ergänzend ausführt:
18Die auffällige Asymmetrie der festgestellten Fehlbildungen reiche nicht aus, um einen Kausalzusammenhang mit der Einnahme von Thalidomid auszuschließen.
19Die Klägerin legte einen Befund der Frau Prof. Dr. X1. vom 17.06.2013 vor, nach dem die Verdachtsdiagnose Holt-Oram-Syndrom nicht durch die Array-Analyse bestätigt werden konnte.Sie bemängelt zudem die Befassung der Frau Prof. Dr. L. , Mitglied der Kommission, auch im Widerspruchsverfahren. Diese sei parteilich. In der Stellungnahme des Vorsitzenden der Medizinischen Kommission seien zudem nur die Ausführungen der Frau Prof. Dr. L. wiederholt worden ohne die Vornahme einer eigenen Wertung. Frau Prof. Dr. L. habe bezüglich des angeblich erzielten Einvernehmens mit Herrn Dr. H. die Unwahrheit geschrieben. Hierzu legte die Klägerin ein Schreiben des Herrn Dr. H. vom 13.07.2013 vor, der darin bestätigt, er sei der Meinung, es liege ein Conterganschaden vor.
20Die Klägerin beantragt,
21die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 09.03.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.05.2013 zu verpflichten, der Klägerin gemäß §§ 12, 13 ContStifG Sonderzahlungen antragsgemäß zu bewilligen.
22Die Beklagte beantragt,
23die Klage abzuweisen.
24Sie wiederholt ihre bisherigen Ausführungen und bezieht sich auf die fachärztlichen Stellungnahmen der Medizinischen Kommission.
25Die Beklagte verweist auf die Bestimmungen im ContStifG, nach denen im Widerspruchsverfahren die Überprüfung der Entscheidung durch die Stiftung selbst erfolgt und die Medizinische Kommission die Frage einer thalidomidbedingten Schädigung verbindlich beurteilt.
26Aufgrund der widersprüchlichen Ansichten von Herrn Dr. H. und Frau Prof. Dr. L. habe es eine fachärztliche Abstimmung zwischen den beiden Gutachtern gegeben mit dem Ergebnis, dass Herr Dr. H. sich der Einschätzung von Frau Prof. Dr. L. angeschlossen habe. Hierzu holte die Beklagte eine Stellungnahme von Frau Prof. Dr. L. sowie Herrn Dr. H. ein. Unter dem 23.01.2014 stellt Frau Prof. Dr. L. klar, dass sie am 01.12.2011 anhand der Röntgenaufnahmen mit Herrn Dr. H. den Befund (keine Aplasie bzw. Hypoplasie des rechten Radius, keine Radiusaplasie links, lediglich einseitige Handfehlbildung, zusätzliche Symptomatik Dextrokardie) einvernehmlich habe klären können und sie übereingekommen seien, dass kein Conterganschaden vorliege. Herr Dr. H. bekräftigt unter dem 06.06.2014 hingegen lediglich, er gehe mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem Conterganschaden aus.
27Im Hinblick auf den Dissens zwischen Frau Prof. Dr. L. und Herrn Dr. H. wurde der Fall einem weiteren Mitglied der Medizinischen Kommission, Herrn Prof. Dr. G. , vorgelegt. Unter dem 04.01.2015 kam Herr Prof. Dr. G. zu dem Ergebnis, dass der Radius bei der Klägerin an beiden Armen regelrecht ausgebildet sei und eine einseitige Handfehlbildung links mit einer Dextrokardie sowie Herzrhythmusstörungen vorliege. Zudem bestünden leicht verkürzte Mittelhandknochen der Finger 2-5 beidseits. Die klinischen und radiologischen Befunde sprächen ungleich mehr für ein Holt-Oram-Syndrom als für eine thalidomidbedingte Dysmelie.
28Die Klägerin bemängelt hinsichtlich der Person des Herrn Prof. Dr. G. , es sei aus anderen Verfahren bekannt, dass dieser dazu neige, sich Frau Prof. Dr. L. zu unterwerfen.
29Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
30Entscheidungsgründe
31Die Klage, die nach gebotener Auslegung auf die Gewährung von Leistungen gemäß §§ 12, 13 Conterganstiftungsgesetz unter Aufhebung des Bescheides vom 09.01.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.08.2013 gerichtet ist, ist zulässig.
32Hinsichtlich des in der mündlichen Verhandlung am 10.11.2015 gestellten Antrages wurden die Daten der Bescheide offensichtlich verwechselt. Gemäß § 88 VwGO ist das Gericht an das Klagebegehren, d.h. an den gegebenenfalls aus dem Gesamtvorbringen im Wege der Auslegung zu ermittelnden Klageantrag, gebunden. Maßgeblich ist dabei das erkennbare Klageziel und nicht eine irrtümlich gewählte Fassung der Anträge,
33vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage, 2015, § 88 Rn. 3.
34Bei Vertretung durch einen Rechtsanwalt kommt der Antragsformulierung zwar gesteigerte Bedeutung zu. Selbst dann darf aber die Auslegung vom Antragswortlaut abweichen.
35Den Schriftsätzen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Klageverfahren sowie dem Vorbingen in der mündlichen Verhandlung ist der eindeutige Wille der Klägerin zu entnehmen, dass sie die Gewährung von Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz begehrt und gegen die sie betreffenden Ablehnungsbescheide vorgehen möchte.
36Die Klage ist jedoch unbegründet.
37Der Bescheid der Beklagten vom 09.01.2012 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 08.08.2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Leistungen nach dem Gesetz über die Conterganstiftung für behinderte Menschen in der Fassung der Bekanntmachung vom 25.06.2009 (BGBl. I S. 1537), zuletzt geändert durch das dritte Gesetz zur Änderung des ContStifG (BGBl. I S. 1847).
38Die Gewährung von Leistungen nach § 13 ContStifG – Kapitalentschädigung, Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe und Conterganrente – setzt gemäß § 12 Abs. 1 ContStifG Fehlbildungen voraus, die mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Grünenthal GmbH, Aachen, durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werdenkönnen. Mit der durch den Gesetzgeber gewählten Formulierung ist der Kreis der Anspruchsberechtigten bewusst weit gefasst, um zugunsten etwaiger Betroffener dem Umstand Rechnung zu tragen, dass eine über jeden Zweifel erhabene Kausalitätsfeststellung unmöglich ist.
39Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 02.12.2011 - 16 E 723/11 -, vom 25.03.2013 - 16 E 1139/12 - und vom 14.01.2015 - 16 E 435/13 -.
40Mit dieser Beweiserleichterung ist darauf Rücksicht genommen, dass sowohl die Aufklärung der Thalidomideinnahme als solche durch die Mutter nach mehr als 50 Jahren, als auch die eindeutige Feststellung eines naturwissenschaftlichen Zusammenhangs zwischen der Einnahme und einer Fehlbildung an Grenzen stoßen. Dies hat allerdings nicht zur Folge, dass nur theoretische Kausalzusammenhänge in dem Sinne ausreichen, dass Thalidomid als Ursache für die Fehlbildungen nicht auszuschließen ist. Hiermit ließe sich angesichts der Vielfalt anderer möglicher Ursachen der Kreis der anspruchsberechtigten Personen nicht verlässlich eingrenzen. Denn einer Thalido-midembryopathie vom Erscheinungsbild her ähnliche Fehlbildungen treten auch in der Allgemeinbevölkerung auf. Gerade die Einwirkung von Thalidomid während der embryonalen Entwicklung, die in einen ursächlichen Zusammenhang mit den jeweiligen Fehlbildungen gebracht werden kann, muss wahrscheinlich sein. Bloße Behauptungen oder Vermutungen reichen hierfür nicht aus.
41Die Einnahme einer Contergantablette während der Schwangerschaft wird von der Mutter der Klägerin bestätigt. Die im Laufe des Verfahrens geänderte Angabe von der Einnahme einer halben Tablette zu einer Tablette wurde zwar nicht erläutert. Durchgreifende Bedenken an der Glaubhaftigkeit bestehen aufgrund dessen jedoch nicht.
42Eine Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung des Erscheinungsbildes der geltend gemachten Fehlbildungen führt jedoch nicht zu der Annahme, dass die Fehlbildungen der Klägerin zumindest mit Wahrscheinlichkeit mit einer Conterganeinnahme der Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können.
43Vgl. zur Bedeutung des Erscheinungsbildes für die Annahme eines Kausalzusammenhangs: Begründung des Gesetzentwurfs über die Errichtung einer nationalen Stiftung „Hilfswerk für das behinderte Kind“, BT-Drs. VI/926, S. 8, ferner OVG NRW, Beschluss vom 14.01.2015 - 16 E 435/13 -.
44Hiervon hat sich die Kammer nach Auswertung sämtlicher ärztlicher Stellungnahmen, insbesondere der von der Medizinischen Kommission der Beklagten eingeholten Stellungnahmen überzeugt.
45Die Klägerin zeigt eine Handfehlbildung links mit dreigliedrigem Daumen und fehlgebildetem Kahnbein, beidseits leicht verkürzte Mittelhandknochen, eine Herzfehlstellung sowie Herzrhythmusstörungen. Radius und Ulna sind auf beiden Seiten unauffällig. Weiterhin liegen Augen- und Ohrenschädigungen sowie eine Skoliose vor.
46Die orthopädischen Fehlbildungen wurden seitens des Herrn Prof. Dr. G. nach Auswertung sämtlicher von der Klägerin vorgelegter Unterlagen sowie nach Anforderung von weiteren Röntgenaufnahmen festgestellt.
47Angesichts der Wirkweise von Thalidomid ist es nachvollziehbar, wenn Herr Prof. Dr. G. ausführt, dass das Vorliegen von verkürzten Mittelhandknochen gegen einen Conterganschaden spreche. Die durch Thalidomid bedingten Fehlbildungen folgen grundsätzlich einem bestimmten Schädigungsmuster. An den Armen beginnt die Entwicklungsstörung am Daumen. Die verkürzten Mittelhandknochen an der rechten Hand ohne Fehlbildung des Daumens sprechen daher erheblich gegen einen Conterganschaden. Auch die verkürzten Mittelhandknochen der Finger 2-5 auf der linken Seite sprechen gegen einen Conterganschaden. Bei Vorliegen eines dreigliedrigen Daumens und verkürzter Mittelhandknochen der Finger 2-5 wäre eine Reduktionstendenz des linken Radius zu erwarten, wie von Frau Prof. Dr. L. ausgeführt wird. Der linke Radius ist jedoch unauffällig.
48Die Herzfehllagerung wird zudem von Herrn Dr. T. -I. als nicht mit dem Thalidomidsyndrom assoziiert bewertet.
49Die Augenschäden der Klägerin stehen nach Einschätzung des Herrn Prof. Dr. K. und des Herrn Dr. T. -I. in keinem Zusammenhang mit einem Conterganschaden.
50Alleine der Umstand, dass bei der Klägerin eine dreigliedrige Ausbildung des Daumens, eine Skoliose sowie eine Tieftonschwerhörigkeit vorliegen, führt nicht zu einer Wahrscheinlichkeit eines Conterganschadens. Soweit diese Fehlbildungen auch bei thalidomidbedingten Schädigungen auftreten, ist zu berücksichtigen, dass keine dieser Fehlbildungen ausschließlich auf Thalidomid zurückzuführen ist. Diese Fehlbildungen können auch andere Ursachen haben,
51vgl. OVG NRW, Beschluss vom 02.12.2011 - 16 E 723/11 -.
52Frau Prof. Dr. L. und Herr Prof. Dr. G. äußern den Verdacht des Vorliegens eines Holt-Oram-Syndroms. Typisch hierfür seien abnorme Handwurzelknochen, eine Seitendifferenz zu Gunsten links, ein dreigliedriger Daumen, eine Kahnbeinfehlbildung und insbesondere Herzrhythmusstörungen. Die Vorlage der humangenetischen Beurteilung des Herrn Prof. Dr. L1. und der Frau Prof. Dr. X1. kann diese Annahme nicht entkräften. Hierzu erläutert Herr Prof. Dr. G. , dass das Holt-Oram-Syndrom eines von vier Herz-Hand-Syndromen ist und es sich bei ungefähr 25 % der Fälle um Neumutationen handele. Ein Beleg für das Holt-Oram-Syndrom könne daher nicht in allen Fällen gelingen, da es bislang nicht entdeckte ursächliche Gene gebe. Dies wird auch von Herrn Prof. Dr. L1. ausgeführt. Ob die Diagnose Holt-Oram-Syndrom tatsächlich zutrifft, bedarf keiner Entscheidung. Es genügt vielmehr, dass nach den überzeugenden Ausführungen von Herrn Prof. Dr. G. , Herrn Dr. T. -I. und Frau Prof. Dr. L. ein Conterganschaden nicht wahrscheinlich ist.
53Die vorliegenden sachverständigen Stellungnahmen von Frau Prof. Dr. L. , Herrn Dr. T. -I. und Herrn Prof. Dr. G. sind auch geeignet, dem Gericht die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen zu vermitteln. Sie weisen keine auch für den Nichtsachkundigen erkennbaren (groben) Mängel auf, beruhen vielmehr auf dem anerkannten Wissensstand. Sie gehen von zutreffenden tatsächlichen Verhältnissen aus, enthalten keine unlösbaren Widersprüche und geben keinen Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Sachverständigen.
54Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 06.02.2012 - 1 A 1337/10 -; BVerwG, Beschluss vom 09.08.1983 - 9 B 1024/83 -.
55Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Befund des Herrn Prof. Dr. Q. . Dieser kommt zwar zu dem Ergebnis, dass ein Verdacht eines Conterganschadens bestehe. Er würdigte jedoch nicht ausreichend die Herzfehlstellung. Die verkürzten Mittelhandknochen wurden durch ihn nicht festgestellt und daher auch nicht in seine Bewertung einbezogen.
56Auch die Einschätzung des Herrn Dr. H. führt zu keinem anderen Ergebnis. Dieser geht ganz offensichtlich von falschen Befunden aus. So schreibt Herr Dr. H. , es liege bei der Klägerin ein Fehlen bzw. eine Funktionslosigkeit beider Daumen, ein Langfingerschaden beidseits, ein Unterarm- und Ellenbogenschaden beidseits und ein Schulterschaden beidseits vor. Die Gutachter Herr Prof. Dr. Q. , Frau Prof. Dr. L. und Herr Prof. Dr. G. sind sich hingegen einig, dass bei der Klägerin nur eine Fehlbildung des linken Daumens und kein Unterarm- und Ellenbogenschaden beidseits vorliegen. Es kann daher nicht nachvollzogen werden, wie Herr Dr. H. zu seinen Befunden gekommen ist. Unter dem 06.06.2014 stützt er sich lediglich darauf, die Klägerin persönlich gesehen zu haben. Da Herr Dr. H. offensichtlich von falschen Befunden ausgegangen ist, ist dessen Einschätzung für den vorliegenden Fall nicht aussagekräftig.
57Der Dissens zwischen Frau Prof. Dr. L. und Herrn Dr. H. zu einem Einvernehmen bei einem persönlichen Besuch am 01.12.2011 lässt keine Zweifel an der Unparteilichkeit der Frau Prof. Dr. L. aufkommen. Denn Frau Prof. Dr. L. hat hierzu mehrmals ausführlich Stellung genommen. Herr Dr. H. hingegen hat weder das Treffen bestätigt, noch bestritten. Er führt lediglich - unter Wiederholung seines falschen Befundes - aus, er halte einen Conterganschaden für wahrscheinlich und es sei zu keiner Übereinstimmung mit Frau Prof. Dr. L. gekommen. Zu der Frage, ob ein Treffen stattgefunden hat und gegebenenfalls mit welchem Inhalt, nimmt er keine Stellung. Aufgrund der unterschiedlichen Feststellungen zu den Fehlbildungen wurde zudem eine weitere gutachterliche Stellungnahme des Herrn Prof. Dr. G. eingeholt. Dieser bestätigt unter eingehender Begutachtung der vorgelegten Unterlagen und Röntgenaufnahmen, dass die Befunde des Herrn Dr. H. nicht korrekt sind.
58Die von der Klägerin vorgetragene Kritik an Herrn Prof. Dr. G. , er neige dazu sich Frau Prof. Dr. L. zu unterwerfen, entbehrt jeglicher Substanz. Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an dessen Objektivität oder Unabhängigkeit aufkommen lassen, wurden nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich.
59Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
60Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Köln Urteil, 10. Nov. 2015 - 7 K 4988/13
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Urteil einreichenVerwaltungsgericht Köln Urteil, 10. Nov. 2015 - 7 K 4988/13 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).
(1) Leistungen wegen Fehlbildungen, die mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Grünenthal GmbH, Aachen, durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können, werden an die Leistungsberechtigten gewährt, die bei Inkrafttreten des Errichtungsgesetzes lebten, und nach Maßgabe des § 13 Abs. 5 Satz 2 an deren Erbinnen und Erben.
(2) Wurden Leistungen nach § 13 des Errichtungsgesetzes nicht innerhalb der dort vorgesehenen Frist geltend gemacht, können die Conterganrente und eine Kapitalentschädigung für die Zeit ab 1. Juli 2009 beantragt werden.
(1) Den in § 12 genannten leistungsberechtigten Personen stehen als Leistungen zu:
- 1.
eine einmalige Kapitalentschädigung, - 2.
eine lebenslängliche Conterganrente vorbehaltlich des Absatzes 2 Satz 3, - 3.
jährliche Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe und - 4.
eine jährliche Sonderzahlung, die erstmals für das Jahr 2009 und letztmalig für das Jahr 2022 gewährt wird.
(2) Die Höhe der in Absatz 1 genannten Leistungen richtet sich nach der Schwere des Körperschadens und der hierdurch hervorgerufenen Körperfunktionsstörungen und liegt
- 1.
bei der einmaligen Kapitalentschädigung zwischen 1 278 Euro und 12 782 Euro, - 2.
bei der monatlichen Conterganrente zwischen 662 Euro und 7 480 Euro, - 3.
bei den jährlichen Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe zwischen 876 Euro und 9 900 Euro. Zusätzlich erhält jede leistungsberechtigte Person einen jährlichen Sockelbetrag von 4 800 Euro.
(3) Auf Antrag ist die Conterganrente zu kapitalisieren, soweit der Betrag zum Erwerb oder zur wirtschaftlichen Stärkung eigenen Grundbesitzes zu eigenen Wohnzwecken verwendet wird. Die §§ 72, 73, 74 Abs. 3 Satz 1, §§ 75, 76 und 77 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 des Bundesversorgungsgesetzes finden entsprechende Anwendung. § 75 Abs. 1 Satz 2 des Bundesversorgungsgesetzes findet mit der Maßgabe Anwendung, dass die Veräußerung und Belastung des mit der Kapitalabfindung erworbenen oder wirtschaftlich gestärkten Grundstücks, Erbbaurechts, Wohnungseigentums oder Wohnungserbbaurechts innerhalb der Frist, für die die Conterganrente kapitalisiert wurde, nur mit Genehmigung der Stiftung zulässig sind. Die Kosten der Eintragung einer Verfügungsbeschränkung gemäß § 75 Abs. 1 Satz 2 bis 4 des Bundesversorgungsgesetzes in das Grundbuch trägt die leistungsberechtigte Person. Darüber hinaus ist die Conterganrente auf Antrag zu kapitalisieren, wenn dies im berechtigten wirtschaftlichen Interesse der leistungsberechtigten Person liegt. Im Übrigen kann die Conterganrente auf Antrag teilweise kapitalisiert werden, wenn dies im Interesse der leistungsberechtigten Person liegt. Die Kapitalisierung ist auf die für einen Zeitraum von höchstens zehn Jahren zustehende Conterganrente beschränkt. Der Anspruch auf Conterganrente, an deren Stelle die Kapitalabfindung tritt, erlischt für die Dauer des Zeitraumes, für den die Kapitalabfindung gewährt wird, mit Ablauf des Monats, der auf den Monat der Auszahlung der Abfindung folgt.
(4) Die Zahlungen der Conterganrente beginnen frühestens mit dem Antragsmonat. Wird der Antrag innerhalb von drei Monaten nach dem Inkrafttreten des Errichtungsgesetzes gestellt, so wird die Conterganrente vom Zeitpunkt des Inkrafttretens an gewährt. Die jährlichen Sonderzahlungen beginnen nach Maßgabe des Absatzes 1 Satz 1 mit dem Jahr, in dem der Antrag auf Conterganrente gestellt worden ist. Für die Auszahlung der Mittel für die jährlichen Sonderzahlungen nach Absatz 1 Satz 3 werden Anträge auf Leistungen nach diesem Gesetz oder Anträge auf Erhöhung der Leistungen nach diesem Gesetz berücksichtigt, die bis einschließlich 31. Dezember 2021 gestellt worden sind. Die Zahlung der jährlichen Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 beginnt ab dem 1. Januar 2017.
(5) Die Ansprüche auf die in Absatz 1 genannten Leistungen können nicht übertragen, verpfändet oder gepfändet werden. Vererblich sind lediglich Ansprüche auf Kapitalentschädigung, auf Conterganrente und auf die jährliche Sonderzahlung, die im Zeitpunkt des Todes der leistungsberechtigten Person bereits fällig geworden sind, und zwar nur dann, wenn die Person von ihrem Ehegatten, ihrer Lebenspartnerin oder ihrem Lebenspartner, ihren Kindern oder ihren Eltern beerbt wird.
(6) Das Nähere regeln die Satzung und die Richtlinien. Die Satzung trifft insbesondere Bestimmungen über die Voraussetzungen und den Umfang der Kapitalisierung der Conterganrente nach Absatz 3 Satz 5 und 6 sowie über die Art der Berechnung des Kapitalbetrages. In den Richtlinien ist insbesondere zu regeln, nach welchen Maßstäben auf der Grundlage der zur Verfügung stehenden Mittel Leistungen nach diesem Abschnitt zu bemessen sind und wie das Verfahren zur Gewährung von Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe auszugestalten ist; diese Richtlinien erlässt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
(7) An Erhöhungen der Conterganrente nehmen auch leistungsberechtigte Personen teil, deren Conterganrente nach Absatz 3 kapitalisiert worden ist.
(8) Für die Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen gelten die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes entsprechend. § 118 Abs. 3 und 4 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ist entsprechend anwendbar.
Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Den in § 12 genannten leistungsberechtigten Personen stehen als Leistungen zu:
- 1.
eine einmalige Kapitalentschädigung, - 2.
eine lebenslängliche Conterganrente vorbehaltlich des Absatzes 2 Satz 3, - 3.
jährliche Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe und - 4.
eine jährliche Sonderzahlung, die erstmals für das Jahr 2009 und letztmalig für das Jahr 2022 gewährt wird.
(2) Die Höhe der in Absatz 1 genannten Leistungen richtet sich nach der Schwere des Körperschadens und der hierdurch hervorgerufenen Körperfunktionsstörungen und liegt
- 1.
bei der einmaligen Kapitalentschädigung zwischen 1 278 Euro und 12 782 Euro, - 2.
bei der monatlichen Conterganrente zwischen 662 Euro und 7 480 Euro, - 3.
bei den jährlichen Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe zwischen 876 Euro und 9 900 Euro. Zusätzlich erhält jede leistungsberechtigte Person einen jährlichen Sockelbetrag von 4 800 Euro.
(3) Auf Antrag ist die Conterganrente zu kapitalisieren, soweit der Betrag zum Erwerb oder zur wirtschaftlichen Stärkung eigenen Grundbesitzes zu eigenen Wohnzwecken verwendet wird. Die §§ 72, 73, 74 Abs. 3 Satz 1, §§ 75, 76 und 77 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 des Bundesversorgungsgesetzes finden entsprechende Anwendung. § 75 Abs. 1 Satz 2 des Bundesversorgungsgesetzes findet mit der Maßgabe Anwendung, dass die Veräußerung und Belastung des mit der Kapitalabfindung erworbenen oder wirtschaftlich gestärkten Grundstücks, Erbbaurechts, Wohnungseigentums oder Wohnungserbbaurechts innerhalb der Frist, für die die Conterganrente kapitalisiert wurde, nur mit Genehmigung der Stiftung zulässig sind. Die Kosten der Eintragung einer Verfügungsbeschränkung gemäß § 75 Abs. 1 Satz 2 bis 4 des Bundesversorgungsgesetzes in das Grundbuch trägt die leistungsberechtigte Person. Darüber hinaus ist die Conterganrente auf Antrag zu kapitalisieren, wenn dies im berechtigten wirtschaftlichen Interesse der leistungsberechtigten Person liegt. Im Übrigen kann die Conterganrente auf Antrag teilweise kapitalisiert werden, wenn dies im Interesse der leistungsberechtigten Person liegt. Die Kapitalisierung ist auf die für einen Zeitraum von höchstens zehn Jahren zustehende Conterganrente beschränkt. Der Anspruch auf Conterganrente, an deren Stelle die Kapitalabfindung tritt, erlischt für die Dauer des Zeitraumes, für den die Kapitalabfindung gewährt wird, mit Ablauf des Monats, der auf den Monat der Auszahlung der Abfindung folgt.
(4) Die Zahlungen der Conterganrente beginnen frühestens mit dem Antragsmonat. Wird der Antrag innerhalb von drei Monaten nach dem Inkrafttreten des Errichtungsgesetzes gestellt, so wird die Conterganrente vom Zeitpunkt des Inkrafttretens an gewährt. Die jährlichen Sonderzahlungen beginnen nach Maßgabe des Absatzes 1 Satz 1 mit dem Jahr, in dem der Antrag auf Conterganrente gestellt worden ist. Für die Auszahlung der Mittel für die jährlichen Sonderzahlungen nach Absatz 1 Satz 3 werden Anträge auf Leistungen nach diesem Gesetz oder Anträge auf Erhöhung der Leistungen nach diesem Gesetz berücksichtigt, die bis einschließlich 31. Dezember 2021 gestellt worden sind. Die Zahlung der jährlichen Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 beginnt ab dem 1. Januar 2017.
(5) Die Ansprüche auf die in Absatz 1 genannten Leistungen können nicht übertragen, verpfändet oder gepfändet werden. Vererblich sind lediglich Ansprüche auf Kapitalentschädigung, auf Conterganrente und auf die jährliche Sonderzahlung, die im Zeitpunkt des Todes der leistungsberechtigten Person bereits fällig geworden sind, und zwar nur dann, wenn die Person von ihrem Ehegatten, ihrer Lebenspartnerin oder ihrem Lebenspartner, ihren Kindern oder ihren Eltern beerbt wird.
(6) Das Nähere regeln die Satzung und die Richtlinien. Die Satzung trifft insbesondere Bestimmungen über die Voraussetzungen und den Umfang der Kapitalisierung der Conterganrente nach Absatz 3 Satz 5 und 6 sowie über die Art der Berechnung des Kapitalbetrages. In den Richtlinien ist insbesondere zu regeln, nach welchen Maßstäben auf der Grundlage der zur Verfügung stehenden Mittel Leistungen nach diesem Abschnitt zu bemessen sind und wie das Verfahren zur Gewährung von Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe auszugestalten ist; diese Richtlinien erlässt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
(7) An Erhöhungen der Conterganrente nehmen auch leistungsberechtigte Personen teil, deren Conterganrente nach Absatz 3 kapitalisiert worden ist.
(8) Für die Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen gelten die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes entsprechend. § 118 Abs. 3 und 4 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ist entsprechend anwendbar.
(1) Leistungen wegen Fehlbildungen, die mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Grünenthal GmbH, Aachen, durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können, werden an die Leistungsberechtigten gewährt, die bei Inkrafttreten des Errichtungsgesetzes lebten, und nach Maßgabe des § 13 Abs. 5 Satz 2 an deren Erbinnen und Erben.
(2) Wurden Leistungen nach § 13 des Errichtungsgesetzes nicht innerhalb der dort vorgesehenen Frist geltend gemacht, können die Conterganrente und eine Kapitalentschädigung für die Zeit ab 1. Juli 2009 beantragt werden.
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 25. März 2013 geändert. Dem Kläger wird für das erstinstanzliche Klageverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Q. U. aus X. beigeordnet.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
1
Gründe
2Die Beschwerde des Klägers ist begründet. Der Kläger, der nach den von ihm dargelegten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, kann für die Durchführung des erstinstanzlichen Klageverfahrens die Bewilligung von Prozesskostenhilfe einschließlich der Beiordnung eines Rechtsanwalts beanspruchen (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1, Satz 1, den §§ 115 und 117, § 119 Abs. 1 und § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO). Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg böte. Denn es kommt nach summarischer Prüfung in Betracht, dass seine Klage mit dem Antrag,
3die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 27. Februar 2012 und des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2012 zu verpflichten, ihn, den Kläger, als Contergangeschädigten anzuerkennen,
4entgegen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts doch Aussicht auf Erfolg hat.
5Das Begehren des Klägers dürfte nicht an Ausschlussfristen für die Geltendmachung des Anerkennungsbegehrens scheitern. Die vormalige Bestimmung des § 13 des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung "Hilfswerk für behinderte Kinder" vom 17. Dezember 1971 (BGBl. I S. 2018; im folgenden: Errichtungsgesetz) in der zuletzt geltenden Fassung ist für das Begehren des Klägers nicht mehr maßgeblich. Nach dieser Bestimmung konnten Leistungen wegen Fehlbildungen, die mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Firma D. H. GmbH in T. durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können, (nur) gewährt werden, wenn die Leistungen bis zum 31. Dezember 1983 bei der Stiftung geltend gemacht worden sind, was in Bezug auf den Kläger offensichtlich nicht der Fall gewesen ist. Demgegenüber sieht § 12 Abs. 2 des Conterganstiftungsgesetzes (ContStifG) in der nunmehr geltenden Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des ContStifG vom 25. Juni 2009 vor, dass die Conterganrente und eine Kapitalentschädigung für die Zeit ab 1. Juli 2009 beantragt werden können, wenn Leistungen nach § 13 des Errichtungsgesetzes nicht innerhalb der dort vorgesehenen Frist geltend gemacht wurden. Das trifft, wie schon erwähnt, auf den Kläger zu, dessen Eltern zwar frühzeitig Ansprüche wegen einer möglichen Conterganschädigung erhoben haben, aber nicht (mehr) tätig geworden sind, nachdem die o. g. Stiftung gegründet worden ist. Diesen Fall regelt § 12 Abs. 2 ContStifG. Das Normverständnis des Verwaltungsgerichts, wonach § 12 Abs. 2 ContStifG nur dann die Möglichkeit der Leistungsbeantragung mit Wirkung für die Zeit ab dem 1. Juli 2009 ermöglicht, wenn Leistungen nach § 13 des Errichtungsgesetzes nicht innerhalb der dort vorgesehenen Frist geltend gemachtwerden konnten, findet im Wortlaut dieser Bestimmung keinen Niederschlag und ergibt sich auch nicht bei der zusätzlichen Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien zum Zweiten Gesetz zur Änderung des ContStifG. Soweit es etwa im Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vom 24. März 2009 (BT‑Drucks. 16/12413) heißt, die "bisher von der Ausschlussfrist betroffenen" contergangeschädigten Menschen sollten die Möglichkeit erhalten, künftig Leistungen geltend zu machen, zwingt das nicht zu der vom Verwaltungsgericht für zutreffend gehaltenen Wertung, nur solche Personen seien von der Ausschlussfrist betroffen, die bisher keinen Antrag stellen konnten. Vielmehr sind alle diejenigen von der bisherigen Ausschlussfrist betroffen, die einen Leistungsantrag ‑ warum auch immer ‑ nicht gestellt haben. Abgesehen davon gab es auch im Fall des Klägers Gründe für die Nichtantragstellung vor dem Stichtag des 31. Dezember 1983, die zwar nicht zwingend eine rechtzeitige Antragstellung ausgeschlossen haben, dies aber doch als nachvollziehbar erscheinen lassen. Dazu gehört insbesondere, dass den Eltern des Klägers schon im zeitlichen Vorfeld der Schaffung der Stiftung "Hilfswerk für behinderte Kinder" bedeutet worden war, eine Anerkennung der Behinderungen des Klägers als Conterganschädigung komme aus medizinischen Gründen nicht in Betracht, sie also, möglicherweise sachlich zu Unrecht, mit der Aussichtslosigkeit einer Antragstellung bei der Stiftung konfrontiert worden sind und deshalb resigniert haben.
6Dem Anerkennungsbegehren des Klägers steht auch nicht entgegen, dass er bzw. sein Vater im Jahr 1989 die Wiederaufnahme eines vor Jahren abgelehnten Anerkennungsverfahrens beantragt hat und die Stiftung seinerzeit ‑ durch erneute Befragung des schon zuvor in Erscheinung getretenen Gutachters Prof. Dr. Dr. X1. M. ‑ aus Sachgründen mit Bescheiden vom 20. August 1990 sowie vom 7. Mai 1992 bzw. mit Widerspruchsbescheid vom 25. November 1992 die Anerkennung des Klägers abgelehnt hat. Denn in dem sich anschließenden (zivil‑)gerichtlichen Verfahren ist die sachliche Frage, worauf die multiplen Körperschäden des Klägers zurückzuführen sind, nicht abschließend gewürdigt worden. Vielmehr beruhen die Urteile des Landgerichts Bonn vom 13. Juli 1993 sowie des OLG Köln vom 25. Oktober 1994 auf der Einschätzung, dass der als "unstreitig erstmalige" bezeichnete Leistungsantrag "des Jahres 1990" mit Blick auf die Ausschlussfrist des § 13 des Errichtungsgesetzes und auf die Unmöglichkeit einer Wiedereinsetzung in die versäumte Ausschlussfrist keiner sachlichen Entscheidung zugänglich gewesen sei. Damit fehlt es an einer abschließenden ‑ die gerichtliche Überprüfung umfassenden ‑ sachlichen Würdigung der bis damals vorliegenden medizinischen Befunde, und dies im Ergebnis mit der Begründung, dass die Ausschlussfrist des § 13 des Errichtungsgesetzes diese Überprüfung ausschließe. Das ist gerade der Sachverhalt, der nunmehr durch § 12 Abs. 2 ContStifG in dem Sinne geregelt wird, dass für die Zukunft unabhängig von der Versäumung einer Antragstellung vor dem 1. Januar 1984 Ansprüche auf Hilfen für Contergangeschädigte geprüft und gegebenenfalls zuerkannt werden.
7Schließlich ist auch die Frage der sachlichen Berechtigung des Anerkennungsbegehrens des Klägers als Contergangeschädigter nicht mit einer Eindeutigkeit zu verneinen, die schon eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe ausschließt. Sowohl in § 2 ContStifG (Stiftungszweck) als auch in § 12 Abs. 1 ContStifG (Leistungsberechtigte Personen) ist der Kreis der anspruchsberechtigten Personen weit gefasst (behinderte Menschen, deren Fehlbildungen mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der H. GmbH, B. , durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können), um zugunsten etwaiger Betroffener der Unmöglichkeit einer über jeden Zweifel erhabenen Kausalitätsfeststellung Rechnung zu tragen.
8Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 2. Dezember 2011 ‑ 16 E 723/11 ‑, juris, Rn. 2, und vom 25. März 2013 ‑ 16 E 1139/12 ‑, juris, Rn. 2.
9Eine Conterganeinnahme durch die Mutter des Klägers während der Schwangerschaft hat nach ihren glaubhaften, auch eidesstattlich versicherten Einlassungen stattgefunden. So hat bereits kurz nach der Geburt des Klägers am 18. April 1962, nämlich am 28. April 1962, ein namentlich nicht bekannter Arzt des Krankenhauses, in dem die Geburt stattgefunden hatte, dem Hausarzt der Familie des Klägers mitgeteilt, wie die Geburt vonstattengegangen ist und welche Missbildungen beim Kläger vorliegen. Er hat insoweit ausgeführt: "Interessanterweise hat Pat. in den ersten Schwangerschaftsmonaten Contergan forte eingenommen; ein ursächlicher Faktor, der ja heute viel diskutiert wird." Da erst im November 1961 erstmals in der Presse über den Conterganverdacht berichtet worden war und nachfolgend die strafrechtlichen Ermittlungen aufgenommen wurden,
10vgl. im Einzelnen Kirk, Der Contergan‑Fall: eine unvermeidbare Arzneimittelkatastrophe? Zur Geschichte des Arzneistoffs Thalidomid (1999), S. 85 ff.,
11handelte es sich seinerzeit noch um eine neue und ungesicherte Verdachtslage. Daher liegt es fern, dass die frühzeitige und offensichtlich spontane Angabe der Mutter des Klägers über den Tablettenkonsum im Sinne einer Förderung oder Sicherung etwaiger Regressansprüche zielgerichtet gewesen sein könnte. Aus dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. M. an das Treuhändergremium vom 23. September 1971 geht überdies hervor, dass auf der Grundlage der ‑ nach seiner Einschätzung allerdings unbelegten ‑ Angaben der Mutter des Klägers die Einnahme von Contergan bei normaler Dauer der Schwangerschaft zum Teil in die "sensible Phase" gefallen sei.
12Nach den Gutachten, die seit 1967 über die mögliche Ursache der Missbildungen beim Kläger erstellt worden sind, kann mit hinlänglicher Sicherheit nur ausgeschlossen werden, dass die Veränderungen an den Gliedmaßen des Klägers, insbesondere des linken Unterschenkels, mit der Einnahme von Thalidomid in Verbindung gebracht werden können. Dagegen spricht vor allem das Vorhandensein von Abschnürungsfurchen, die für amniotische (von sich ablösenden Bändern der Fruchtblase, die sich um den Fötus legen können, herrührende) Schädigungen, nicht aber für thalidomidbedingte Missbildungen charakteristisch sind. Allerdings gehört zu den Missbildungen des Klägers auch eine doppelseitige Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte (sog. Wolfsrachen), die zumindest vereinzelt auch im Zusammenhang mit der Einnahme von Thalidomid während der Schwangerschaft der Mutter festgestellt worden ist; das folgt etwa aus dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. M. vom 4. Dezember 1967, wobei dieser aber zugleich betont, das könne "keinesfalls als typisch angesehen werden". Soweit Prof. Dr. Dr. M. , der gemeinhin als der "Entdecker" des Zusammenhangs zwischen den um das Jahr 1960 gehäuft aufgetretenen spezifischen Missbildungsfällen und der Einnahme von Thalidomid durch die Mütter der geschädigten Kinder während der Schwangerschaft gilt und wesentlichen Anteil an der wissenschaftlichen Erforschung der Contergan‑Problematik hatte, in dem genannten Gutachten darauf hinweist, dass Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalten häufig zusammen mit den übrigen ‑ nicht thalidomidbedingten ‑ Schädigungen, wie sie beim Kläger vorliegen, auftreten und sich daher "für die Gesamtheit der [beim Kläger festgestellten] Mißbildungen … eindeutig feststellen [lasse], daß sie in keiner Weise typisch für Mißbildungen nach Thalidomideinnahme sind", liegt dem offenkundig eine monokausale Betrachtung zugrunde, die sich an typischen Erscheinungsformen multipler Missbildungen orientiert, aber nicht erkennbar der Frage nachgeht, ob sich im Einzelfall ausnahmsweise mehrere ursächliche Faktoren ‑ amniogene und thalidomid-bedingte Schädigungen ‑ nebeneinander ausgewirkt haben könnten bzw. was dagegen sprechen könnte, dass es sich beim Kläger ausnahmsweise so verhalten hat. In seiner weiteren Stellungnahme vom 28. Mai 1990 verweist Prof. Dr. Dr. M. auf seine früheren Gutachten und benennt Literaturstellen, die sich mit amniogenen Fehlbildungen vor allem der Lippen und des Gaumens befassen; auf seine vormalige Einschätzung, dass Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalten auch als Thalidomid-Schädigungsfolge aufgetreten seien, geht der Gutachter indessen ebenso wenig ein wie auf die Möglichkeit einer "doppelten Kausalkette".
13Das Gutachten von Prof. Dr. X2. , Direktor des Instituts für Humangenetik der Universität C. , vom 20. April 1971 beschreibt die einzelnen Fehlbildungen beim Kläger, wobei er auch noch die Möglichkeit eines linksseitigen Enophthalmus (Einsinken des Augapfels in die Augenhöhle) erwähnt, und kommt abschließend zu der Einschätzung, dass es eine derartige Fehlbildungskombination im Rahmen einer Thalidomid-Embryopathie nicht gebe. Er erörtert demgegenüber nicht die Frage, ob die Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte ‑ gegebenenfalls auch der Enophthalmus ‑ isoliert betrachtet auf Thalidomid zurückzuführen sein könnte und nimmt folglich auch die Möglichkeit einer Doppelkausalität nicht in den Blick.
14Auch das im laufenden Anerkennungsverfahren erstattete Gutachten von Frau Prof. Dr. L. , Universität N. , vom 1. August 2012 kommt zu dem Ergebnis, dass an der schon in der Vergangenheit gestellten Diagnose einer ‑ von ihr so bezeichneten ‑ "Amnionbänder Sequenz" auch aus heutiger Sicht nicht zu zweifeln sei. Die amniotischen Abschnürungen (Schnürfurchen) an den Fingern, Unterschenkeln und Füßen seien auf vorliegenden Fotos gut zu erkennen; auch die Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte gehöre zu diesem Fehlbildungskomplex. In der humangenetischen Literatur seien unzählige Patienten dokumentiert, die dem Phänotyp des Klägers ähnelten. Hingegen handele es sich nicht um ein teratogenes (u.a. durch Chemikalien hervorgerufene Einwirkungen auf den Embryo) Krankheitsbild, schon gar nicht um einen thalidomidbedingten Fehlbildungskomplex. Im Zusammenhang mit Thalidomidschädigungen seien die beim Kläger vorzufindenden Hand‑ und Fußfehlbildungen mit Syndaktylien (Verwachsungen bzw. Nichttrennung von Finger‑ oder Zehengliedern) und Schnürfurchen nie aufgetreten. Vielmehr seien für eine Conterganschädigung je nach dem Zeitpunkt der Einnahme spezifische und relativ symmetrisch angelegte Missbildungen an Händen, Füßen und Unterschenkeln charakteristisch, wie sie beim Kläger gerade nicht vorlägen. Aus diesen gutachterlichen Äußerungen geht mithin hervor, dass ‑ wie schon oben festgehalten ‑ die Schädigungen an den äußeren Extremitäten des Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mit der Conterganeinnahme durch seine Mutter während der Schwangerschaft zusammenhängen. Indessen beschränken sich die Angaben der Gutachterin zu der seit der Geburt des Klägers vorliegenden Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte darauf, dass auch diese zu dem Fehlbildungskomplex "Amnionbänder Sequenz" gehöre. Eine klare Abgrenzung zu einer möglichen teratogenen Schädigung wird ‑ anders als in Bezug auf die Missbildungen an den Gliedmaßen ‑ mit Blick auf die Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte hingegen nicht gezogen. Nach Auffassung des Senats bleibt damit im Anschluss an die Auffassung von Prof. Dr. Dr. M. , dass eine Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte ‑ wenngleich wohl eher selten ‑ auch in Conterganfällen angetroffen worden sei, die Frage einer "doppelten Kausalität" offen. Allein der von Frau Prof. Dr. L. erneut hervorgehobene Umstand, dass Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalten häufig ‑ und ohne Anhaltspunkte für teratogene Ursachen ‑ im Zusammenhang mit amniogenen Schädigungsbildern auftrete, widerlegt nicht die aufgrund der sicheren Conterganeinnahme durch die Mutter des Klägers mehr als nur rein theoretische Möglichkeit, dass im Fall des Klägers eine Kombination aus einer teratogenen und einer amniogenen Schädigung gegeben ist. Eine solche Möglichkeit könnte nur dann ausgeschlossen werden, wenn entweder auch in Hinblick auf die Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte des Klägers Spezifika vorlägen, die eindeutig auf eine amniotische Verursachung hinweisen, oder aber wenn verdeutlicht worden wäre, dass im Zusammenhang mit der Einnahme von Thalidomid nie ausschließlich eine Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte festgestellt worden wäre. Daran fehlt es aber auch mit Blick auf das Gutachten von Frau Prof. Dr. L. nach wie vor.
15Die Stellungnahme von Privatdozent Dr. H1. aus O. ‑ Facharzt für Orthopädie/Unfallchirurgie/Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sportmedizin/Kinder-orthopädie ‑ vom 29. Dezember 2011 verhält sich ausschließlich zu den Missbildungen des Klägers an den Händen bzw. am linken Bein und kommt wie die vorherigen Gutachter und nachfolgend Frau Prof. Dr. L. zu der Einschätzung, dass diese Befunde nicht typisch für einen Conterganschaden seien und daher insgesamt der Antrag des Klägers abzulehnen sei. Eine spezielle Auseinandersetzung mit der Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte des Klägers bzw. mit den insoweit in Frage kommenden Ursachen findet sich in dieser Stellungnahme nicht. Frau Dr. X3. aus L1. kommt schließlich in ihrer Stellungnahme vom 29. Juli 2010 ‑ wie schon Prof. Dr. Dr. M. ‑ zu der Einschätzung, dass die beim Kläger bestehende beiderseitige Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte (jedenfalls für sich betrachtet) mit einem Conterganschaden vereinbar sei und mit 25 Punkten veranschlagt werden sollte.
16Abschließend weist der Senat noch darauf hin, dass die diversen Diagnosen von den Kläger behandelnden Ärzten, die fast durchweg (insgesamt) von einer thalidomidbe-dingten Schädigung des Klägers berichten, neben den oben wiedergegebenen Fachgutachten nicht ins Gewicht fallen. Es spricht weit Überwiegendes dafür, dass diese Mediziner keine genaue und abschließende Beurteilung der Schädigungsursache abgeben wollten und mussten und sich daher auf die anamnestischen Angaben des Klägers bzw. auf einen "ersten Eindruck" verlassen haben. Erwähnenswert erscheint dem Senat in diesem Zusammenhang aber die Diagnose von Dr. M1. und Dr. X4. von der Westfälischen Wilhelms‑Universität N1. ‑ Klinik und Poliklinik für Technische Orthopädie und Rehabilitation ‑ im Arztbrief vom 19. März 1990, in dem neben der Angabe "Angeborene Fehlbildung an den Extremitäten durch Amnionabschnürungen" weiter von "Verdacht auf Thalidomidschaden" und (beziehungslos dahinterstehend) "Lippen‑, Kiefer‑, Gaumenspalte" die Rede ist. Nachfolgend wird ausgeführt, neben den Fehlbildungen an den äußeren Extremitäten, die klinisch eher einer Amnion-Abschnürung entsprächen, seien in der Folge auch Fehlbildungen am Schädel wie eine Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte, eine Fehlstellung der Zähne, eine einseitige Schwerhörigkeit sowie eine Zwerchfellhernie aufgefallen; alle diese Schäden sprächen "eher wieder für einen Conterganschaden". Damit schließen diese Mediziner die Möglichkeit von Schädigungen unterschiedlicher Genese offensichtlich nicht aus. In eine ähnliche Richtung könnte auch die ärztliche Bescheinigung des Prof. Dr. S. , Städtische Krankenanstalten C1. ‑ Chirurgische Abteilung der Kinderklinik ‑, vom 13. Februar 1965 weisen, in der die Diagnose einer doppelseitigen Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte (und auch die bis in die Stirn hinein klaffende Sagittalnaht) den "multiplen Amnionabschnürungen" zur Seite gestellt ‑ und gerade nicht in das Bild einer insgesamt amniogenen Schädigung einbezogen ‑ werden; entsprechend verhält es sich auch in der Stellungnahme der Stationsärztin Dr. G. , Städtische Krankenanstalten C1. , vom 3. Oktober 1962 ("Es handelte sich um eine doppelseitige Lippen‑Kiefer‑Gaumenspalte; gleichzeitig bestehen multiple Amnionabschnürungen").
17Die Kostenentscheidung folgt aus § 188 Satz 2 VwGO sowie aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.
18Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.