Verwaltungsgericht Köln Urteil, 01. Feb. 2016 - 7 K 4869/14
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
Tatbestand
2Der am 00.00.0000 geborene Kläger begehrt die Anerkennung als Contergangeschädigter und die Gewährung von Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz (ContStifG).
3Der Kläger beantragte unter dem 18.05.2013 die Gewährung von Leistungen nach dem ContStifG. Zur Begründung führte er an, seine Mutter habe ihm berichtet, sie habe während der Schwangerschaft von ihren damaligen Hausarzt Tabletten zum Einschlafen erhalten. Nach seinen Recherchen im englischsprachigen Raum habe er festgestellt, dass bereits Anfang der 50er Jahre Conterganmittel kostenlos an Hausärzte verteilt worden seien. Als thalidomidbedingte Schädigungen gab der Kläger eine Missbildung der rechten Hand aufgrund fehlender Finger und Daumen, das Fehlen von Unterschenkel und Fuß links, eine linksseitige Hüftgelenkdysplasie, ein dysplastischer Oberschenkel links, HWS- und LWS-Syndrome und permanente Nacken- und Schulterschmerzen an. Zudem leide er an Tinnitus, Migräneattacken, starkem Strabismus und einem Kiefer- und Zähneschiefstand. Mit Bescheid vom 03.12.2013 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da das Medikament zu dem Zeitpunkt der Geburt des Klägers noch nicht auf dem deutschen Markt erhältlich gewesen sei. Die Patentanmeldung sei erst im Jahr 1954 erfolgt. Proben des Medikamentes seien zuvor nicht erhältlich gewesen.
4Hiergegen erhob der Kläger unter dem 11.12.2013 Widerspruch und trug vor, der Entwickler der Firma Grünenthal, Herr N. , habe schon in den 40er Jahren Versuche zu Thalidomid an KZ-Häftlingen durchgeführt. Hierzu legte er einen Artikel der Neuen Rheinischen Zeitung und einen Artikel von Spiegel Online jeweils vom 09.12.2013 vor. Im englischsprachigen Raum des Internets seien Hinweise zu finden, dass Anfang der 50er Jahre Thalidomidtabletten in weißen Schachteln ohne Eindruck wie Bonbons in Arztpraxen an Schwangere verteilt worden seien. Zudem verwies er auf einen Bericht des Gesundheitsausschusses des österreichischen Parlamentes vom 18.04.2012, nach dem es ab 1954 erste Geburten von mutmaßlich thalidomidgeschädigten Kindern in Chile, Österreich und den USA gegeben haben soll. Unter dem 01.05.2014 kam der im Widerspruchsverfahren beauftragte Herr E. . H. zu dem Ergebnis, dass die Anatomie der Hand des Klägers gegen einen Conterganschaden spreche. Mit Bescheid vom 05.08.2014 wies die Beklagte den Widerspruch unter Hinweis auf ihre Ausführungen vom 03.12.2013 sowie die Feststellung des Herrn E. . H. zurück.
5Der Kläger hat am 03.09.2014 Klage erhoben und nimmt auf seine bisherigen Ausführungen Bezug. Ergänzend trägt er vor:
6Seine Mutter habe berichtet, sie habe während der Schwangerschaft durch ihren damaligen Hausarzt Tabletten unbekannten Ursprungs in einer neutralen Verpackung und mit damals unbekannten Inhalt verabreicht bekommen. Die Tabletten seien zum Durchschlafen und zur Beruhigung gedacht gewesen. Dieser Sachverhalt könne auch durch seine Geschwister als Zeugen bestätigt werden. Es sei davon auszugehen, dass das Medikament vor der Markteinführung und der Patentanmeldung in Deutschland zur Verabreichung gekommen sei.
7Zudem kritisiert der Kläger, dass die Stellungnahme des Herrn E. . H. keine Angaben zu der durchgeführten Anamnese, den Diagnosen und dem Krankheitsverlauf enthalte.
8Der Kläger beantragt,
9den Bescheid der Beklagten vom 03.12.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.08.2014 aufzuheben und dem Kläger antragsgemäß Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz zu gewähren.
10Die Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Sie bezieht sich auf die Monographie von E. . C. L. aus dem Jahr 1999. Dieser sei zu entnehmen, dass der Apotheker X. . L1. und der Pharmakologe I. . L2. erstmals im Jahr 1954 in der Forschungsabteilung der Firma Grünenthal Thalidomid synthetisierten. Die Substanz K 17, das spätere Thalidomid, sei im Jahr 1954 beim Deutschen Patentamt angemeldet worden. Erst 1955 sei die Substanz an der Medizinischen Klinik in Köln einer Prüfung unterzogen worden, allerdings nicht an Schwangeren. Ab November 1956 habe die Chemie Grünenthal das thalidomidhaltige Präparat Grippex zur Behandlung von Infektionen der Atemwege im Raum Hamburg in den Handel gebracht. Die Erstzulassung des thalidomidhaltigen Präparates in der Bundesrepublik Deutschland sei am 01.10.1957 erfolgt. Erst ab diesem Zeitpunkt sei das Medikament rezeptfrei zu erwerben gewesen.
13Die Beklagte beauftragte zudem Frau Q. . E. . L3. mit einer erneuten Begutachtung der Fehlbildungen des Klägers. Diese kam unter dem 02.01.2015 zu dem Ergebnis, dass die Ausprägung der Fehlbildungen des Klägers an der rechten Hand sowie der fehlende Fuß und Unterschenkel links nicht dem Schädigungsmuster von Thalidomid entsprechen würden. Auch die einseitige Betroffenheit der oberen und unteren Extremitäten spreche gegen eine Thalidomidembryopathie. Die Augen- und Kieferschäden seien zudem nicht beweisend für eine Thalidomidschädigung. Strabismus sowie Kiefer- und/oder Zahnschiefstand seien häufig zu beobachtende Befunde in der Allgemeinbevölkerung. Im Übrigen seien bei Contergan keine Schiefstände der Zähne zu erwarten, sondern eine starke Kieferfehlbildung im Sinne einer Reduktionstendenz.
14Im Hinblick auf die Begutachtung durch Frau Q. . E. . L3. trägt der Kläger vor, einseitige Fehlbildungen seien kein Anhaltspunkt gegen eine Thalidomidschädigung. Aus einem Artikel von wikipedia ergebe sich, dass die Fehlbildungen lediglich „meist beidseitig“ seien. Auch aus der medizinischen Punktetabelle folge die Möglichkeit einer einseitigen Schädigung. Ein Femur-Fibula-Ulna-Syndrom sei bei ihm nicht wahrscheinlich. Denn er habe weitere, nicht bei diesem Syndrom vorkommende Schädigungen an der Hüfte, den Augen und den Zähnen. Da Frau Q. . E. . L3. regelmäßig für die Beklagte als Gutachterin tätig sei, solle ein unabhängiges Sachverständigengutachten eingeholt werden.
15In der mündlichen Verhandlung übergab die Prozessbevollmächtigte des Klägers weitere Zeitungsartikel zu der Vermutung, der Wirkstoff Thalidomid sei bereits vor 1954 entdeckt und getestet worden.
16Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
17Entscheidungsgründe
18Die zulässige Klage ist unbegründet.
19Der Bescheid der Beklagten vom 03.12.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.08.2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Leistungen nach dem Gesetz über die Conterganstiftung für behinderte Menschen in der Fassung der Bekanntmachung vom 25.06.2009 (BGBl. I S. 1537), zuletzt geändert durch das dritte Gesetz zur Änderung des ContStifG (BGBl. I S. 1847).
20Die Gewährung von Leistungen nach § 13 ContStifG – Kapitalentschädigung, Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe und Conterganrente – setzt gemäß § 12 Abs. 1 ContStifG Fehlbildungen voraus, die mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Grünenthal GmbH, Aachen, durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werdenkönnen. Mit der durch den Gesetzgeber gewählten Formulierung ist der Kreis der Anspruchsberechtigten bewusst weit gefasst, um zugunsten etwaiger Betroffener dem Umstand Rechnung zu tragen, dass eine über jeden Zweifel erhabene Kausalitätsfeststellung unmöglich ist.
21Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 02.12.2011 - 16 E 723/11 -, vom 25.03.2013 - 16 E 1139/12 - und vom 14.01.2015 - 16 E 435/13 -.
22Mit dieser Beweiserleichterung ist darauf Rücksicht genommen, dass sowohl die Aufklärung der Thalidomideinnahme als solche durch die Mutter nach mehr als 50 Jahren, als auch die eindeutige Feststellung eines naturwissenschaftlichen Zusammenhangs zwischen der Einnahme und einer Fehlbildung an Grenzen stoßen. Dies hat allerdings nicht zur Folge, dass nur theoretische Kausalzusammenhänge in dem Sinne ausreichen, dass Thalidomid als Ursache für die Fehlbildungen nicht auszuschließen ist. Hiermit ließe sich angesichts der Vielfalt anderer möglicher Ursachen der Kreis der anspruchsberechtigten Personen nicht verlässlich eingrenzen. Denn einer Thalido-midembryopathie vom Erscheinungsbild her ähnliche Fehlbildungen treten auch in der Allgemeinbevölkerung auf. Gerade die Einwirkung von Thalidomid während der embryonalen Entwicklung, die in einen ursächlichen Zusammenhang mit den jeweiligen Fehlbildungen gebracht werden kann, muss wahrscheinlich sein. Bloße Behauptungen oder Vermutungen reichen hierfür nicht aus.
23Es ist nicht wahrscheinlich, dass die Mutter des Klägers während der Schwangerschaft Thalidomid der Firma Grünenthal zu sich genommen hat. Nach dem Vortrag des Klägers habe seine Mutter zwar ein unbekanntes Medikament während der Schwangerschaft eingenommen. Nach den vorliegenden Erkenntnissen ist jedoch nicht ersichtlich, dass thalidomidhaltige Medikamente der Firma Grünenthal in einer an Menschen verabreichen Darreichungsform bereits in der Zeit existierten als die Mutter des Klägers mit ihm schwanger war. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat mit Beschluss vom 2. Dezember 2012 - 16 E 723/11 - in einem ähnlichen Fall Folgendes ausgeführt:
24"Jedenfalls kann aufgrund der zeitlichen Abfolge ausgeschlossen werden, dass die Mutter des im Juli 1955 geborenen Klägers während der ersten drei Schwangerschaftsmonate, also etwa zwischen Oktober 1954 und Januar 1955, ein von der Fa. I. . GmbH vertriebenes thalidomidhaltiges Präparat eingenommen hat. Denn nach der unwidersprochen gebliebenen Darstellung der Beklagten, die sich mit zahlreichen Veröffentlichungen deckt, ist zu dieser Zeit noch kein Medikament mit diesem Wirkstoff auf dem Markt gewesen. Der Wirkstoff Thalidomid ist im Jahr 1954 entwickelt worden, 1955 in die Erprobungsphase und am 1. Oktober 1957 in Deutschland vor allem als Schlaf- und Beruhigungsmittel Contergan in den Handel gelangt.
25Vgl. etwa Roth, in: Chemie unserer Zeit, 2005, 212 bis 217 (= www.k-faktor.com/contergan/files/ unendliche_geschichte.pdf), sowie www.gruenenthal- opfer.de/Vorgeschichte; Widukind Lenz, The History of Thalidomide, www.thalidomide.ca.
26Die dargestellte zeitliche Abfolge steht auch im Fall des Klägers einer Thalidomideinnahme als Ursache für die Fehlbildungen bei dem Kläger entgegen, zumal die Einnahme eines thalidomidhaltigen Medikaments hier noch früher – im Sommer 1953 – stattgefunden haben müsste. Die Richtigkeit dieser Einschätzung wird bestätigt durch die in der obigen Entscheidung nicht berücksichtigte Dissertation von Frau E. . C. L. ,
27Der Contergan-Fall: eine unvermeidbare Arzneimittelkatastrophe? Zur Geschichte des Arzneistoffs Thalidomid, Stuttgart 1999,
28in der die Pharmazeutin Quellen zugrundegelegt hat, die zuvor noch nicht zugänglich waren. Sie sichtete nach Ablauf der 30-jährigen Sperrfrist die Akten des Contergan-Prozesses. Hierzu gehörten auch beschlagnahmte Firmenakten des Unternehmens Grünenthal. Außerdem forschte sie im Archiv des Bundesministeriums für Gesundheit und führte ein Interview mit dem 1995 verstorbenen Mediziner X1. M. , der als erster die Schädigungen von Neugeborenen auf Contergan zurückführte.
29Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25.03.2013 - 16 E 1139/12 -.
30Nach dieser Veröffentlichung erfolgte die erstmalige Synthese von Thalidomid im März 1954. Die zunächst als K 17 bezeichnete Substanz wurde im April 1954 beim Deutschen Patentamt angemeldet. Die Substanz K 17 wurde in Tierversuchen pharmakologisch untersucht und zu Beginn des Jahres 1955 an die Universitätsklinik Köln sowie 1956 an eine Frauenklinik zur klinischen Erprobung (nicht bei Schwangeren) abgegeben. Die pharmakologischen und toxikologischen Ergebnisse der Studien stellten die Pharmakologen der Firma Grünenthal im Dezember 1955 bei einem Symposium vor. Publikationen zu diesen Studien und der klinischen Erprobung erschienen 1956. Das thalidomidhaltige Mittel „Grippex“ kam im November 1956, die Präparate „Contergan“ und „Contergan forte“ kamen am 1. Oktober 1957 in Deutschland in den Handel.
31Aber auch wenn eine erstmalige Entwicklung von Thalidomid durch Chemiker der Firma Grünenthal schon 1953 nicht auszuschließen sein sollte, fehlt es an jedem Hinweis darauf, dass schon kurz nach der Entwicklung einnahmefertige Präparate mit Thalidomid den internen Bereich der Firma Grünenthal verlassen haben könnten.
32Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25.03.2013 - 16 E 1139/12 -, betreffend einen 1954 in Österreich geborenen Antragsteller.
33Allerdings konnten bereits vor der Markteinführung Schädigungen durch thalidomidhaltige Präparate beobachtet werden. So erwähnt Frau E. . L. in ihrer Arbeit die Geburt des ersten thalidomidgeschädigten Kindes in der Bundesrepublik Deutschland im Dezember 1956. Der Vater, ein Angestellter des Herstellerwerkes Grünenthal, habe Muster des neuen Präparates Contergan erhalten und seiner schwangeren Frau gegeben.
34Vgl. E. . C. L. , Der Contergan-Fall: eine unvermeidbare Arzneimittelkatastrophe? Zur Geschichte des Arzneistoffs Thalidomid, S. 45.
35Jedoch liegt im Falle des Klägers der Zeitraum der erforderlichen Einnahme von thalidomidhaltigen Präparaten nicht lediglich kurz vor deren Markteinführung, sondern schon vor der Patentanmeldung des Stoffes Thalidomid im April 1954 und der klinischen Erprobung im Jahr 1955. Tatsächliche Anhaltspunkte, die die Annahme des Klägers stützen könnten, der Stoff habe bereits im Sommer 1953 in einer für Menschen bestimmten Darreichungsform als einnahmefertiges Präparat vorgelegen und dieses habe den internen Bereich der Firma Grünenthal verlassen und im Medikamentenbestand eines Hausarztes zur Abgabe an eine Patientin zur Verfügung stehen können, sind nicht erkennbar. Die diesbezüglichen Überlegungen des Klägers erschöpfen sich in bloßen Spekulationen. In dem vorgelegten Bericht des Gesundheitsausschusses des österreichischen Parlamentes vom 18.04.2012 wird lediglich von mutmaßlich thalidomidgeschädigten Kindern in Chile, Österreich und den USA ab 1954 ausgegangen. Dem ist zu entnehmen, dass hierzu keine gesicherten Erkenntnisse vorlagen.
36Die Mutmaßung des Klägers, thalidomidhaltige Arzneimittel seien bereits während des Zweiten Weltkrieges entwickelt worden, führt zu keinem anderen Ergebnis. Derartige Vermutungen sind verschiedentlich vor dem Hintergrund geäußert worden, dass die Firma Grünenthal Presseberichten zufolge in der Nachkriegszeit ehemalige NS-Chemiker und -Mediziner eingestellt haben soll, die an Menschenversuchen in KZ beteiligt gewesen sein sollen und andererseits keinen Anlass sieht, ihr Firmenarchiv zu öffnen. Greifbare Tatsachen, die für die Richtigkeit dieser Vermutungen sprechen, sind nicht erkennbar. Dies ergibt sich auch aus dem vorgelegten Artikel des Spiegels Nr. 8/2009 vom 16.02.2009.
37Unabhängig davon wäre eine solche Entwicklung nicht der 1946 gegründeten Firma Grünenthal zuzurechnen; die Annahme einer erstmaligen Synthese von Thalidomid oder vergleichbarer Substanzen außerhalb der Firma Grünenthal würde vielmehr die Möglichkeit eröffnen, Schädigungen mit einem anderen Verursacher als der Firma Grünenthal in Verbindung zu bringen, so dass der Anwendungsbereich des ContStiftG nicht betroffen wäre.
38Vgl. dazu auch OVG NRW, Beschluss vom 25.03.2013 - 16 E 1139/12 -.
39Es ist auch zu berücksichtigen, dass Missbildungen sowohl spontan ohne erkennbare Ursachen auftreten, genetisch bedingt oder durch verschiedenste Umwelteinflusse ausgelöst sein können, wobei möglicherweise sogar der geringere Teil derartiger Fälle auf exogene Ursachen zurückzuführen ist,
40vgl. Pschryrembel. Medizinisches Wörterbuch, 260. Auflage, Stichwort „Fehlbildung, kongenitale“ (S. 557).
41Einer weiteren Aufklärung durch Beiziehung der Akte zu der Patentanmeldung des Wirkstoffes Thalidomid durch die Firma Grünenthal bedurfte es nicht. Denn für die Patentanmeldung waren keine vorherigen Tests an Menschen erforderlich. Das Patent schützt die Erfindung (die Synthese der chemischen Verbindung) vor unbefugter Nutzung durch Dritte. Es trifft aber keine Aussage über Qualität, Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Verkehrsfähigkeit eines mit dem Wirkstoff hergestellten Medikaments. Dementsprechend bedurfte es für die Patentanmeldung keiner vorherigen pharmakologischen und klinischen Studien.
42Vgl. VG Köln, Urteil vom 17.06.2014 - 7 K 6344/12 -.
43Es wurden auch keine Tatsachen vorgetragen, die für die Durchführung von Studien mit bereits in Tablettenform vorhandenem Contergan an Menschen durch die Firma Grünenthal im Jahr 1953 sprechen. Insbesondere sind die durch die Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung vorgelegten diversen Zeitungsartikel hierzu nicht geeignet. Die Artikel beziehen sich größtenteils auf die Vermutung, dass Thalidomid bereits vor 1954 entwickelt und getestet wurde. Es handelt sich hierbei jedoch lediglich um Vermutungen, denen keine hinreichenden Beweise zugrunde liegen. Soweit der Artikel der MailOnline vom 29.01.2016 die Behauptung des Herrn E. . N1. K. , Sprecher des Thalidomid Trusts, des britischen Verbandes der Contergan-Opfer, wiedergibt, aus der Patentanmeldung des Wirkstoffes Thalidomid der Firma Grünenthal ergebe sich, dass der Wirkstoff bereits vor der Patentanmeldung an Menschen getestet wurde, ist nicht nachvollziehbar auf welche Tatsachen sich diese Behauptung stützt. Dem vorgelegten Bericht der WAZ vom 12.03.2012 ist zudem zu entnehmen, dass Herr E. . K. davon ausgehe, dass Thalidomid in den frühen 40er Jahren bei Rhone Poulec entwickelt worden sei. Dies sei der französische Zweig von IG Farben, einem Chemiekonzern, der auch das Konzentrationslager Auschwitz III betrieben haben soll. Eine Entwicklung des Wirkstoffes durch diese Firma wäre jedoch nicht der Firma Grünenthal zuzurechnen.
44Nach alledem kommt es nach Überzeugung des Gerichts nicht ernsthaft in Betracht, dass die Mutter des Klägers im Sommer 1953 ein thalidomidhaltiges Medikament der Firma Grünenthal eingenommen haben kann. Fehlt es damit an einer Verbindung zwischen den Fehlbildungen bei dem Kläger und der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Grünenthal GmbH, Aachen, durch die Mutter des Klägers während der Schwangerschaft, da der hierfür notwendige Termin der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate zeitlich vor deren Erhältlichkeit lag, scheidet ein Anspruch des Klägers auf Leistungen nach dem ContStiftG aus.
45Trotz dieser Umstände hat die Beklagte auch die Fehlbildungen des Klägers begutachten lassen. Eine Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung des Erscheinungsbildes der geltend gemachten Fehlbildungen führt ebenfalls nicht zu der Annahme, dass die Fehlbildungen des Klägers zumindest mit Wahrscheinlichkeit mit einer Conterganeinnahme der Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können.
46Vgl. zur Bedeutung des Erscheinungsbildes für die Annahme eines Kausalzusammenhangs: Begründung des Gesetzentwurfs über die Errichtung einer nationalen Stiftung „Hilfswerk für das behinderte Kind“, BT-Drs. VI/926, S. 8, ferner OVG NRW, Beschluss vom 14.01.2015 - 16 E 435/13 -.
47Hiervon hat sich das Gericht nach Auswertung sämtlicher ärztlicher Stellungnahmen, insbesondere der von der Medizinischen Kommission der Beklagten eingeholten Stellungnahme der Frau Q. . E. . L3. überzeugt.
48Angesichts der Wirkweise von Thalidomid ist es nachvollziehbar, wenn Frau Q. . E. . L3. ausführt, dass die Ausprägung der Fehlbildung an der rechten Hand des Klägers gegen einen Conterganschaden spreche. Die durch Thalidomid bedingten Fehlbildungen folgen grundsätzlich einem bestimmten Schädigungsmuster. An den Armen beginnt die Entwicklungsstörung am Daumen. Im Anschluss folgen Fehlbildungen des Radius, der Oberarme, der Ulna sowie zuletzt der zentralen und ulnaren Langfinger. Bei dem Kläger ist jedoch die gesamte rechte Hand einschließlich der ulnaren Finger betroffen, während Radius und Ulna regelrecht ausgebildet sind. Dies entspricht nicht dem Schädigungsmuster von Contergan. Auch die Ausführungen der Frau Q. . E. . L3. zu der Fehlbildung der linken unteren Extremität sind nachvollziehbar. Bei Conterganschädigungen an der unteren Extremität sind die Füße grundsätzlich in ihren Grundstrukturen erhalten und weisen häufig mehrere Großzehen auf. Demgegenüber weist der Kläger einen fehlenden Fuß auf, so dass diese Fehlbildung ebenfalls nicht dem Schädigungsmuster von Contergan entspricht.
49Die einseitige Betroffenheit der oberen und unteren Extremität spricht ebenfalls gegen eine Thalidomidembryopathie. Wie Frau Q. . E. . L3. ausführt, ist bei teratogenen Schädigungen eine Fehlbildung nur der rechten Hand und des linken Beines äußert ungewöhnlich. Denn das Teratogen erreicht den Embryo über den konstanten Blutstrom der Mutter zur Plazenta. Daher ist zu erwarten, dass Extremitätenfehlbildungen nach teratogener Exposition beidseitig ausgeprägt sind. Asymmetrien können jedoch im Rahmen der Embryoentwicklung erklärbar sein, so dass die Fehlbildungen an beiden Körperseiten nicht identisch sein müssen. Nach dem aktuellen Wissensstand spricht jedoch eine einseitige Betroffenheit der oberen und/oder unteren Extremitäten gegen eine Thalidomidembryopathie.
50Vgl. hierzu auch Smithells/Newman, Recognition of thalidomid defects, 1992, 29, 716 ff., wonach die Wahrscheinlichkeit einer genetischen und stofflichen (wie Thalidomid) Ursache mit der Zunahme der Unterschiede zwischen den Seiten abnimmt.
51Der Umstand, dass in der Medizinischen Punktetabelle zwischen einseitigen und zweiseitigen Schädigungen differenziert wird, beruht auf der Tatsache, dass beidseitige Schädigungen nicht absolut symmetrisch sein müssen. Eine Extremität auf der einen Körperseite kann durchaus mehr betroffen sein als die andere Körperseite.
52Alleine der Umstand, dass bei dem Kläger weitere Fehlbildungen vorliegen, führt nicht zu einer Wahrscheinlichkeit eines Conterganschadens. Soweit diese Fehlbildungen auch bei thalidomidbedingten Schädigungen auftreten, ist zu berücksichtigen, dass keine dieser Fehlbildungen ausschließlich auf Thalidomid zurückzuführen ist. Die von Thalidomiod hervorgerufenen angeborenen Fehlbildungen können für sich genommen auch andere Ursachen haben.
53Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 02.12.2011 - 16 E 723/11 -.
54In dieser Weise äußert sich Frau Q. . E. . L3. , die ausführt, die Fehlbildungen des Klägers seien ähnlich einem Fermur-Fibula-Ulna-Komplex. Ob diese Diagnose zutrifft, bedarf keiner Entscheidung. Es genügt vielmehr, dass nach der überzeugenden Ausführung der Frau Q. . E. . L3. ein Conterganschaden nicht wahrscheinlich ist.
55Die vorliegende sachverständige Stellungnahme der Frau Q. . E. . L3. ist auch geeignet, dem Gericht die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen zu vermitteln. Sie weist keine auch für den Nichtsachkundigen erkennbaren (groben) Mängel auf, beruht vielmehr auf dem anerkannten Wissensstand. Sie geht von zutreffenden tatsächlichen Verhältnissen aus, enthält keine unlösbaren Widersprüche und gibt keinen Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Sachverständigen.
56Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 06.02.2012 - 1 A 1337/10 -; BVerwG, Beschluss vom 09.08.1983 - 9 B 1024/83 -.
57Bei der vorliegenden Sachlage besteht kein Anlass zu einer weiteren Aufklärung durch die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens. Insbesondere ist Frau Q. . E. . L3. unstreitig von einer korrekten Fehlbildungssymptomatik ausgegangen und hat ihre Einschätzung anhand von Literaturangaben nachvollziehbar begründet. Konkrete Tatsachen, die Zweifel an der Objektivität oder Unabhängigkeit der Frau Q. . E. . L3. aufkommen lassen, wurden zudem nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich. Insbesondere führt der bloße Umstand, dass die Gutachterin häufig für die Beklagte Fehlbildungen begutachtet, nicht zu der Annahme, sie stelle Gutachten im Sinne der Beklagten aus.
58Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Köln Urteil, 01. Feb. 2016 - 7 K 4869/14
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Urteil einreichenVerwaltungsgericht Köln Urteil, 01. Feb. 2016 - 7 K 4869/14 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Den in § 12 genannten leistungsberechtigten Personen stehen als Leistungen zu:
- 1.
eine einmalige Kapitalentschädigung, - 2.
eine lebenslängliche Conterganrente vorbehaltlich des Absatzes 2 Satz 3, - 3.
jährliche Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe und - 4.
eine jährliche Sonderzahlung, die erstmals für das Jahr 2009 und letztmalig für das Jahr 2022 gewährt wird.
(2) Die Höhe der in Absatz 1 genannten Leistungen richtet sich nach der Schwere des Körperschadens und der hierdurch hervorgerufenen Körperfunktionsstörungen und liegt
- 1.
bei der einmaligen Kapitalentschädigung zwischen 1 278 Euro und 12 782 Euro, - 2.
bei der monatlichen Conterganrente zwischen 662 Euro und 7 480 Euro, - 3.
bei den jährlichen Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe zwischen 876 Euro und 9 900 Euro. Zusätzlich erhält jede leistungsberechtigte Person einen jährlichen Sockelbetrag von 4 800 Euro.
(3) Auf Antrag ist die Conterganrente zu kapitalisieren, soweit der Betrag zum Erwerb oder zur wirtschaftlichen Stärkung eigenen Grundbesitzes zu eigenen Wohnzwecken verwendet wird. Die §§ 72, 73, 74 Abs. 3 Satz 1, §§ 75, 76 und 77 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 des Bundesversorgungsgesetzes finden entsprechende Anwendung. § 75 Abs. 1 Satz 2 des Bundesversorgungsgesetzes findet mit der Maßgabe Anwendung, dass die Veräußerung und Belastung des mit der Kapitalabfindung erworbenen oder wirtschaftlich gestärkten Grundstücks, Erbbaurechts, Wohnungseigentums oder Wohnungserbbaurechts innerhalb der Frist, für die die Conterganrente kapitalisiert wurde, nur mit Genehmigung der Stiftung zulässig sind. Die Kosten der Eintragung einer Verfügungsbeschränkung gemäß § 75 Abs. 1 Satz 2 bis 4 des Bundesversorgungsgesetzes in das Grundbuch trägt die leistungsberechtigte Person. Darüber hinaus ist die Conterganrente auf Antrag zu kapitalisieren, wenn dies im berechtigten wirtschaftlichen Interesse der leistungsberechtigten Person liegt. Im Übrigen kann die Conterganrente auf Antrag teilweise kapitalisiert werden, wenn dies im Interesse der leistungsberechtigten Person liegt. Die Kapitalisierung ist auf die für einen Zeitraum von höchstens zehn Jahren zustehende Conterganrente beschränkt. Der Anspruch auf Conterganrente, an deren Stelle die Kapitalabfindung tritt, erlischt für die Dauer des Zeitraumes, für den die Kapitalabfindung gewährt wird, mit Ablauf des Monats, der auf den Monat der Auszahlung der Abfindung folgt.
(4) Die Zahlungen der Conterganrente beginnen frühestens mit dem Antragsmonat. Wird der Antrag innerhalb von drei Monaten nach dem Inkrafttreten des Errichtungsgesetzes gestellt, so wird die Conterganrente vom Zeitpunkt des Inkrafttretens an gewährt. Die jährlichen Sonderzahlungen beginnen nach Maßgabe des Absatzes 1 Satz 1 mit dem Jahr, in dem der Antrag auf Conterganrente gestellt worden ist. Für die Auszahlung der Mittel für die jährlichen Sonderzahlungen nach Absatz 1 Satz 3 werden Anträge auf Leistungen nach diesem Gesetz oder Anträge auf Erhöhung der Leistungen nach diesem Gesetz berücksichtigt, die bis einschließlich 31. Dezember 2021 gestellt worden sind. Die Zahlung der jährlichen Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 beginnt ab dem 1. Januar 2017.
(5) Die Ansprüche auf die in Absatz 1 genannten Leistungen können nicht übertragen, verpfändet oder gepfändet werden. Vererblich sind lediglich Ansprüche auf Kapitalentschädigung, auf Conterganrente und auf die jährliche Sonderzahlung, die im Zeitpunkt des Todes der leistungsberechtigten Person bereits fällig geworden sind, und zwar nur dann, wenn die Person von ihrem Ehegatten, ihrer Lebenspartnerin oder ihrem Lebenspartner, ihren Kindern oder ihren Eltern beerbt wird.
(6) Das Nähere regeln die Satzung und die Richtlinien. Die Satzung trifft insbesondere Bestimmungen über die Voraussetzungen und den Umfang der Kapitalisierung der Conterganrente nach Absatz 3 Satz 5 und 6 sowie über die Art der Berechnung des Kapitalbetrages. In den Richtlinien ist insbesondere zu regeln, nach welchen Maßstäben auf der Grundlage der zur Verfügung stehenden Mittel Leistungen nach diesem Abschnitt zu bemessen sind und wie das Verfahren zur Gewährung von Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe auszugestalten ist; diese Richtlinien erlässt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
(7) An Erhöhungen der Conterganrente nehmen auch leistungsberechtigte Personen teil, deren Conterganrente nach Absatz 3 kapitalisiert worden ist.
(8) Für die Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen gelten die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes entsprechend. § 118 Abs. 3 und 4 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ist entsprechend anwendbar.
(1) Leistungen wegen Fehlbildungen, die mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Grünenthal GmbH, Aachen, durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können, werden an die Leistungsberechtigten gewährt, die bei Inkrafttreten des Errichtungsgesetzes lebten, und nach Maßgabe des § 13 Abs. 5 Satz 2 an deren Erbinnen und Erben.
(2) Wurden Leistungen nach § 13 des Errichtungsgesetzes nicht innerhalb der dort vorgesehenen Frist geltend gemacht, können die Conterganrente und eine Kapitalentschädigung für die Zeit ab 1. Juli 2009 beantragt werden.
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 25. März 2013 geändert. Dem Kläger wird für das erstinstanzliche Klageverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Q. U. aus X. beigeordnet.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
1
Gründe
2Die Beschwerde des Klägers ist begründet. Der Kläger, der nach den von ihm dargelegten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, kann für die Durchführung des erstinstanzlichen Klageverfahrens die Bewilligung von Prozesskostenhilfe einschließlich der Beiordnung eines Rechtsanwalts beanspruchen (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1, Satz 1, den §§ 115 und 117, § 119 Abs. 1 und § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO). Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg böte. Denn es kommt nach summarischer Prüfung in Betracht, dass seine Klage mit dem Antrag,
3die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 27. Februar 2012 und des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2012 zu verpflichten, ihn, den Kläger, als Contergangeschädigten anzuerkennen,
4entgegen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts doch Aussicht auf Erfolg hat.
5Das Begehren des Klägers dürfte nicht an Ausschlussfristen für die Geltendmachung des Anerkennungsbegehrens scheitern. Die vormalige Bestimmung des § 13 des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung "Hilfswerk für behinderte Kinder" vom 17. Dezember 1971 (BGBl. I S. 2018; im folgenden: Errichtungsgesetz) in der zuletzt geltenden Fassung ist für das Begehren des Klägers nicht mehr maßgeblich. Nach dieser Bestimmung konnten Leistungen wegen Fehlbildungen, die mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Firma D. H. GmbH in T. durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können, (nur) gewährt werden, wenn die Leistungen bis zum 31. Dezember 1983 bei der Stiftung geltend gemacht worden sind, was in Bezug auf den Kläger offensichtlich nicht der Fall gewesen ist. Demgegenüber sieht § 12 Abs. 2 des Conterganstiftungsgesetzes (ContStifG) in der nunmehr geltenden Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des ContStifG vom 25. Juni 2009 vor, dass die Conterganrente und eine Kapitalentschädigung für die Zeit ab 1. Juli 2009 beantragt werden können, wenn Leistungen nach § 13 des Errichtungsgesetzes nicht innerhalb der dort vorgesehenen Frist geltend gemacht wurden. Das trifft, wie schon erwähnt, auf den Kläger zu, dessen Eltern zwar frühzeitig Ansprüche wegen einer möglichen Conterganschädigung erhoben haben, aber nicht (mehr) tätig geworden sind, nachdem die o. g. Stiftung gegründet worden ist. Diesen Fall regelt § 12 Abs. 2 ContStifG. Das Normverständnis des Verwaltungsgerichts, wonach § 12 Abs. 2 ContStifG nur dann die Möglichkeit der Leistungsbeantragung mit Wirkung für die Zeit ab dem 1. Juli 2009 ermöglicht, wenn Leistungen nach § 13 des Errichtungsgesetzes nicht innerhalb der dort vorgesehenen Frist geltend gemachtwerden konnten, findet im Wortlaut dieser Bestimmung keinen Niederschlag und ergibt sich auch nicht bei der zusätzlichen Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien zum Zweiten Gesetz zur Änderung des ContStifG. Soweit es etwa im Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vom 24. März 2009 (BT‑Drucks. 16/12413) heißt, die "bisher von der Ausschlussfrist betroffenen" contergangeschädigten Menschen sollten die Möglichkeit erhalten, künftig Leistungen geltend zu machen, zwingt das nicht zu der vom Verwaltungsgericht für zutreffend gehaltenen Wertung, nur solche Personen seien von der Ausschlussfrist betroffen, die bisher keinen Antrag stellen konnten. Vielmehr sind alle diejenigen von der bisherigen Ausschlussfrist betroffen, die einen Leistungsantrag ‑ warum auch immer ‑ nicht gestellt haben. Abgesehen davon gab es auch im Fall des Klägers Gründe für die Nichtantragstellung vor dem Stichtag des 31. Dezember 1983, die zwar nicht zwingend eine rechtzeitige Antragstellung ausgeschlossen haben, dies aber doch als nachvollziehbar erscheinen lassen. Dazu gehört insbesondere, dass den Eltern des Klägers schon im zeitlichen Vorfeld der Schaffung der Stiftung "Hilfswerk für behinderte Kinder" bedeutet worden war, eine Anerkennung der Behinderungen des Klägers als Conterganschädigung komme aus medizinischen Gründen nicht in Betracht, sie also, möglicherweise sachlich zu Unrecht, mit der Aussichtslosigkeit einer Antragstellung bei der Stiftung konfrontiert worden sind und deshalb resigniert haben.
6Dem Anerkennungsbegehren des Klägers steht auch nicht entgegen, dass er bzw. sein Vater im Jahr 1989 die Wiederaufnahme eines vor Jahren abgelehnten Anerkennungsverfahrens beantragt hat und die Stiftung seinerzeit ‑ durch erneute Befragung des schon zuvor in Erscheinung getretenen Gutachters Prof. Dr. Dr. X1. M. ‑ aus Sachgründen mit Bescheiden vom 20. August 1990 sowie vom 7. Mai 1992 bzw. mit Widerspruchsbescheid vom 25. November 1992 die Anerkennung des Klägers abgelehnt hat. Denn in dem sich anschließenden (zivil‑)gerichtlichen Verfahren ist die sachliche Frage, worauf die multiplen Körperschäden des Klägers zurückzuführen sind, nicht abschließend gewürdigt worden. Vielmehr beruhen die Urteile des Landgerichts Bonn vom 13. Juli 1993 sowie des OLG Köln vom 25. Oktober 1994 auf der Einschätzung, dass der als "unstreitig erstmalige" bezeichnete Leistungsantrag "des Jahres 1990" mit Blick auf die Ausschlussfrist des § 13 des Errichtungsgesetzes und auf die Unmöglichkeit einer Wiedereinsetzung in die versäumte Ausschlussfrist keiner sachlichen Entscheidung zugänglich gewesen sei. Damit fehlt es an einer abschließenden ‑ die gerichtliche Überprüfung umfassenden ‑ sachlichen Würdigung der bis damals vorliegenden medizinischen Befunde, und dies im Ergebnis mit der Begründung, dass die Ausschlussfrist des § 13 des Errichtungsgesetzes diese Überprüfung ausschließe. Das ist gerade der Sachverhalt, der nunmehr durch § 12 Abs. 2 ContStifG in dem Sinne geregelt wird, dass für die Zukunft unabhängig von der Versäumung einer Antragstellung vor dem 1. Januar 1984 Ansprüche auf Hilfen für Contergangeschädigte geprüft und gegebenenfalls zuerkannt werden.
7Schließlich ist auch die Frage der sachlichen Berechtigung des Anerkennungsbegehrens des Klägers als Contergangeschädigter nicht mit einer Eindeutigkeit zu verneinen, die schon eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe ausschließt. Sowohl in § 2 ContStifG (Stiftungszweck) als auch in § 12 Abs. 1 ContStifG (Leistungsberechtigte Personen) ist der Kreis der anspruchsberechtigten Personen weit gefasst (behinderte Menschen, deren Fehlbildungen mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der H. GmbH, B. , durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können), um zugunsten etwaiger Betroffener der Unmöglichkeit einer über jeden Zweifel erhabenen Kausalitätsfeststellung Rechnung zu tragen.
8Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 2. Dezember 2011 ‑ 16 E 723/11 ‑, juris, Rn. 2, und vom 25. März 2013 ‑ 16 E 1139/12 ‑, juris, Rn. 2.
9Eine Conterganeinnahme durch die Mutter des Klägers während der Schwangerschaft hat nach ihren glaubhaften, auch eidesstattlich versicherten Einlassungen stattgefunden. So hat bereits kurz nach der Geburt des Klägers am 18. April 1962, nämlich am 28. April 1962, ein namentlich nicht bekannter Arzt des Krankenhauses, in dem die Geburt stattgefunden hatte, dem Hausarzt der Familie des Klägers mitgeteilt, wie die Geburt vonstattengegangen ist und welche Missbildungen beim Kläger vorliegen. Er hat insoweit ausgeführt: "Interessanterweise hat Pat. in den ersten Schwangerschaftsmonaten Contergan forte eingenommen; ein ursächlicher Faktor, der ja heute viel diskutiert wird." Da erst im November 1961 erstmals in der Presse über den Conterganverdacht berichtet worden war und nachfolgend die strafrechtlichen Ermittlungen aufgenommen wurden,
10vgl. im Einzelnen Kirk, Der Contergan‑Fall: eine unvermeidbare Arzneimittelkatastrophe? Zur Geschichte des Arzneistoffs Thalidomid (1999), S. 85 ff.,
11handelte es sich seinerzeit noch um eine neue und ungesicherte Verdachtslage. Daher liegt es fern, dass die frühzeitige und offensichtlich spontane Angabe der Mutter des Klägers über den Tablettenkonsum im Sinne einer Förderung oder Sicherung etwaiger Regressansprüche zielgerichtet gewesen sein könnte. Aus dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. M. an das Treuhändergremium vom 23. September 1971 geht überdies hervor, dass auf der Grundlage der ‑ nach seiner Einschätzung allerdings unbelegten ‑ Angaben der Mutter des Klägers die Einnahme von Contergan bei normaler Dauer der Schwangerschaft zum Teil in die "sensible Phase" gefallen sei.
12Nach den Gutachten, die seit 1967 über die mögliche Ursache der Missbildungen beim Kläger erstellt worden sind, kann mit hinlänglicher Sicherheit nur ausgeschlossen werden, dass die Veränderungen an den Gliedmaßen des Klägers, insbesondere des linken Unterschenkels, mit der Einnahme von Thalidomid in Verbindung gebracht werden können. Dagegen spricht vor allem das Vorhandensein von Abschnürungsfurchen, die für amniotische (von sich ablösenden Bändern der Fruchtblase, die sich um den Fötus legen können, herrührende) Schädigungen, nicht aber für thalidomidbedingte Missbildungen charakteristisch sind. Allerdings gehört zu den Missbildungen des Klägers auch eine doppelseitige Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte (sog. Wolfsrachen), die zumindest vereinzelt auch im Zusammenhang mit der Einnahme von Thalidomid während der Schwangerschaft der Mutter festgestellt worden ist; das folgt etwa aus dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. M. vom 4. Dezember 1967, wobei dieser aber zugleich betont, das könne "keinesfalls als typisch angesehen werden". Soweit Prof. Dr. Dr. M. , der gemeinhin als der "Entdecker" des Zusammenhangs zwischen den um das Jahr 1960 gehäuft aufgetretenen spezifischen Missbildungsfällen und der Einnahme von Thalidomid durch die Mütter der geschädigten Kinder während der Schwangerschaft gilt und wesentlichen Anteil an der wissenschaftlichen Erforschung der Contergan‑Problematik hatte, in dem genannten Gutachten darauf hinweist, dass Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalten häufig zusammen mit den übrigen ‑ nicht thalidomidbedingten ‑ Schädigungen, wie sie beim Kläger vorliegen, auftreten und sich daher "für die Gesamtheit der [beim Kläger festgestellten] Mißbildungen … eindeutig feststellen [lasse], daß sie in keiner Weise typisch für Mißbildungen nach Thalidomideinnahme sind", liegt dem offenkundig eine monokausale Betrachtung zugrunde, die sich an typischen Erscheinungsformen multipler Missbildungen orientiert, aber nicht erkennbar der Frage nachgeht, ob sich im Einzelfall ausnahmsweise mehrere ursächliche Faktoren ‑ amniogene und thalidomid-bedingte Schädigungen ‑ nebeneinander ausgewirkt haben könnten bzw. was dagegen sprechen könnte, dass es sich beim Kläger ausnahmsweise so verhalten hat. In seiner weiteren Stellungnahme vom 28. Mai 1990 verweist Prof. Dr. Dr. M. auf seine früheren Gutachten und benennt Literaturstellen, die sich mit amniogenen Fehlbildungen vor allem der Lippen und des Gaumens befassen; auf seine vormalige Einschätzung, dass Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalten auch als Thalidomid-Schädigungsfolge aufgetreten seien, geht der Gutachter indessen ebenso wenig ein wie auf die Möglichkeit einer "doppelten Kausalkette".
13Das Gutachten von Prof. Dr. X2. , Direktor des Instituts für Humangenetik der Universität C. , vom 20. April 1971 beschreibt die einzelnen Fehlbildungen beim Kläger, wobei er auch noch die Möglichkeit eines linksseitigen Enophthalmus (Einsinken des Augapfels in die Augenhöhle) erwähnt, und kommt abschließend zu der Einschätzung, dass es eine derartige Fehlbildungskombination im Rahmen einer Thalidomid-Embryopathie nicht gebe. Er erörtert demgegenüber nicht die Frage, ob die Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte ‑ gegebenenfalls auch der Enophthalmus ‑ isoliert betrachtet auf Thalidomid zurückzuführen sein könnte und nimmt folglich auch die Möglichkeit einer Doppelkausalität nicht in den Blick.
14Auch das im laufenden Anerkennungsverfahren erstattete Gutachten von Frau Prof. Dr. L. , Universität N. , vom 1. August 2012 kommt zu dem Ergebnis, dass an der schon in der Vergangenheit gestellten Diagnose einer ‑ von ihr so bezeichneten ‑ "Amnionbänder Sequenz" auch aus heutiger Sicht nicht zu zweifeln sei. Die amniotischen Abschnürungen (Schnürfurchen) an den Fingern, Unterschenkeln und Füßen seien auf vorliegenden Fotos gut zu erkennen; auch die Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte gehöre zu diesem Fehlbildungskomplex. In der humangenetischen Literatur seien unzählige Patienten dokumentiert, die dem Phänotyp des Klägers ähnelten. Hingegen handele es sich nicht um ein teratogenes (u.a. durch Chemikalien hervorgerufene Einwirkungen auf den Embryo) Krankheitsbild, schon gar nicht um einen thalidomidbedingten Fehlbildungskomplex. Im Zusammenhang mit Thalidomidschädigungen seien die beim Kläger vorzufindenden Hand‑ und Fußfehlbildungen mit Syndaktylien (Verwachsungen bzw. Nichttrennung von Finger‑ oder Zehengliedern) und Schnürfurchen nie aufgetreten. Vielmehr seien für eine Conterganschädigung je nach dem Zeitpunkt der Einnahme spezifische und relativ symmetrisch angelegte Missbildungen an Händen, Füßen und Unterschenkeln charakteristisch, wie sie beim Kläger gerade nicht vorlägen. Aus diesen gutachterlichen Äußerungen geht mithin hervor, dass ‑ wie schon oben festgehalten ‑ die Schädigungen an den äußeren Extremitäten des Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mit der Conterganeinnahme durch seine Mutter während der Schwangerschaft zusammenhängen. Indessen beschränken sich die Angaben der Gutachterin zu der seit der Geburt des Klägers vorliegenden Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte darauf, dass auch diese zu dem Fehlbildungskomplex "Amnionbänder Sequenz" gehöre. Eine klare Abgrenzung zu einer möglichen teratogenen Schädigung wird ‑ anders als in Bezug auf die Missbildungen an den Gliedmaßen ‑ mit Blick auf die Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte hingegen nicht gezogen. Nach Auffassung des Senats bleibt damit im Anschluss an die Auffassung von Prof. Dr. Dr. M. , dass eine Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte ‑ wenngleich wohl eher selten ‑ auch in Conterganfällen angetroffen worden sei, die Frage einer "doppelten Kausalität" offen. Allein der von Frau Prof. Dr. L. erneut hervorgehobene Umstand, dass Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalten häufig ‑ und ohne Anhaltspunkte für teratogene Ursachen ‑ im Zusammenhang mit amniogenen Schädigungsbildern auftrete, widerlegt nicht die aufgrund der sicheren Conterganeinnahme durch die Mutter des Klägers mehr als nur rein theoretische Möglichkeit, dass im Fall des Klägers eine Kombination aus einer teratogenen und einer amniogenen Schädigung gegeben ist. Eine solche Möglichkeit könnte nur dann ausgeschlossen werden, wenn entweder auch in Hinblick auf die Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte des Klägers Spezifika vorlägen, die eindeutig auf eine amniotische Verursachung hinweisen, oder aber wenn verdeutlicht worden wäre, dass im Zusammenhang mit der Einnahme von Thalidomid nie ausschließlich eine Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte festgestellt worden wäre. Daran fehlt es aber auch mit Blick auf das Gutachten von Frau Prof. Dr. L. nach wie vor.
15Die Stellungnahme von Privatdozent Dr. H1. aus O. ‑ Facharzt für Orthopädie/Unfallchirurgie/Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sportmedizin/Kinder-orthopädie ‑ vom 29. Dezember 2011 verhält sich ausschließlich zu den Missbildungen des Klägers an den Händen bzw. am linken Bein und kommt wie die vorherigen Gutachter und nachfolgend Frau Prof. Dr. L. zu der Einschätzung, dass diese Befunde nicht typisch für einen Conterganschaden seien und daher insgesamt der Antrag des Klägers abzulehnen sei. Eine spezielle Auseinandersetzung mit der Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte des Klägers bzw. mit den insoweit in Frage kommenden Ursachen findet sich in dieser Stellungnahme nicht. Frau Dr. X3. aus L1. kommt schließlich in ihrer Stellungnahme vom 29. Juli 2010 ‑ wie schon Prof. Dr. Dr. M. ‑ zu der Einschätzung, dass die beim Kläger bestehende beiderseitige Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte (jedenfalls für sich betrachtet) mit einem Conterganschaden vereinbar sei und mit 25 Punkten veranschlagt werden sollte.
16Abschließend weist der Senat noch darauf hin, dass die diversen Diagnosen von den Kläger behandelnden Ärzten, die fast durchweg (insgesamt) von einer thalidomidbe-dingten Schädigung des Klägers berichten, neben den oben wiedergegebenen Fachgutachten nicht ins Gewicht fallen. Es spricht weit Überwiegendes dafür, dass diese Mediziner keine genaue und abschließende Beurteilung der Schädigungsursache abgeben wollten und mussten und sich daher auf die anamnestischen Angaben des Klägers bzw. auf einen "ersten Eindruck" verlassen haben. Erwähnenswert erscheint dem Senat in diesem Zusammenhang aber die Diagnose von Dr. M1. und Dr. X4. von der Westfälischen Wilhelms‑Universität N1. ‑ Klinik und Poliklinik für Technische Orthopädie und Rehabilitation ‑ im Arztbrief vom 19. März 1990, in dem neben der Angabe "Angeborene Fehlbildung an den Extremitäten durch Amnionabschnürungen" weiter von "Verdacht auf Thalidomidschaden" und (beziehungslos dahinterstehend) "Lippen‑, Kiefer‑, Gaumenspalte" die Rede ist. Nachfolgend wird ausgeführt, neben den Fehlbildungen an den äußeren Extremitäten, die klinisch eher einer Amnion-Abschnürung entsprächen, seien in der Folge auch Fehlbildungen am Schädel wie eine Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte, eine Fehlstellung der Zähne, eine einseitige Schwerhörigkeit sowie eine Zwerchfellhernie aufgefallen; alle diese Schäden sprächen "eher wieder für einen Conterganschaden". Damit schließen diese Mediziner die Möglichkeit von Schädigungen unterschiedlicher Genese offensichtlich nicht aus. In eine ähnliche Richtung könnte auch die ärztliche Bescheinigung des Prof. Dr. S. , Städtische Krankenanstalten C1. ‑ Chirurgische Abteilung der Kinderklinik ‑, vom 13. Februar 1965 weisen, in der die Diagnose einer doppelseitigen Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte (und auch die bis in die Stirn hinein klaffende Sagittalnaht) den "multiplen Amnionabschnürungen" zur Seite gestellt ‑ und gerade nicht in das Bild einer insgesamt amniogenen Schädigung einbezogen ‑ werden; entsprechend verhält es sich auch in der Stellungnahme der Stationsärztin Dr. G. , Städtische Krankenanstalten C1. , vom 3. Oktober 1962 ("Es handelte sich um eine doppelseitige Lippen‑Kiefer‑Gaumenspalte; gleichzeitig bestehen multiple Amnionabschnürungen").
17Die Kostenentscheidung folgt aus § 188 Satz 2 VwGO sowie aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.
18Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand
2Der am 00.00.1955 in Österreich geborene Kläger begehrt Leistungen nach dem Gesetz über die Conterganstiftung für behinderte Menschen (Conterganstiftungsgesetz – ContStifG). Die Klage seiner im November 1953 geborenen Schwester D. , die thalidomidbedingte Schäden an ihren oberen Extremitäten gegenüber der Beklagten geltend gemacht hat, ist vom Verwaltungsgericht Köln mit Urteil vom 29.04.2014 (7 K 6279/12) abgewiesen worden.
3Im Februar 2011 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Bewilligung und Zahlung einer einmaligen Kapitalentschädigung und einer lebenslangen monatlichen Conterganrente. Er erklärte, von Geburt an seien seine Arme beide stark verkürzt und vermindert ausgeprägt. Die Speiche fehle jeweils. Die Elle sei verstümmelt. Beide Handgelenke und alle Finger seien verkürzt und verkrüppelt. Der Hausarzt seiner Mutter habe ihr während der Schwangerschaft ein Medikament mit dem Wirkstoff Thalidomid verschrieben. Weder seine Vorfahren noch seine weiteren fünf Geschwister (die im Jahr 1952 geborene Schwester und die vier nach ihm geborenen Geschwister) wiesen Behinderungen auf.
4Den Antrag leitete die Beklagte zur Bearbeitung an ihre Medizinische Kommission weiter. Der mit der Begutachtung beauftragte Dr. H. , Facharzt für physikalische und rehabilitative Medizin, Orthopädie, Unfallchirurgie, Sportmedizin und Kinderorthopädie, vertrat im November 2011 den Standpunkt, dass der Antrag des Klägers abzulehnen sei. Der Kläger, den er persönlich untersucht habe, leide wahrscheinlich unter einem TAR-Syndrom. Ein Conterganschaden liege eindeutig nicht vor. Der Kläger habe über eine Thrombocytopenie nach der Geburt berichtet. Auch die Röntgenbilder (Ellenbogengelenk, Y-Form des distalen UA) seien nicht typisch für einen Conterganschaden.
5Mit Bescheid vom 06.06.2012 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Zur Begründung stützte sie sich im Wesentlichen die Ausführungen von Dr. H. . Die Erkenntnisse des Gutachters würden bestätigt durch das Geburtsdatum des Klägers. Thalidomidhaltige Präparate der Firma Grünenthal seien erst ab Oktober 1957 im Handel gewesen.
6Mit seinem dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, mit Thalidomid seien bereits während des Zweiten Weltkriegs Experimente durchgeführt worden. Das Patent von 1954 setze voraus, dass Thalidomid zuvor zumindest inoffiziell an Menschen getestet worden sei. Der Arzt, der ihn zwischen 1958 und 1979 mehr als zwanzig Mal operiert habe, habe seine Schädigungen als eindeutige und typische Conterganschäden verifiziert. Bei der ärztlichen Untersuchung durch Dr. H. , der sich seiner Sache nicht hundertprozentig sicher gewesen sei, habe dieser mitgeteilt, dass aufgrund der zahlreichen Operationen an seinen Händen eine weitere fachärztliche Untersuchung und ein humangenetisches Gutachten notwendig erscheine. Diese Untersuchung sei aus unerklärlichen Gründen nicht erfolgt. Die vorliegenden Röntgenbilder neueren Datums könnten aufgrund der Vielzahl an Operationen die Schädigungen, die bei seiner Geburt vorgelegen hätten, nicht abbilden. Ein TAR-Syndrom sei bei zwei unmittelbar hintereinander geborenen Geschwistern ausgeschlossen. Während der nachfolgenden Schwangerschaften habe seine Mutter keine thalidomidhaltigen Präparate genommen.
7Nach erneuter Einschaltung ihrer Medizinischen Kommission wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 02.10.2012 – dem Kläger am 10.10.2012 zugestellt – zurück. Zur Begründung nahm sie Bezug auf die Gründe des Ausgangsbescheides und führte ergänzend aus, dass die Einholung eines humangenetischen Gutachtens nicht erforderlich gewesen sei. Angesichts des Geburtsdatums des Klägers sei eine Schädigung durch ein Präparat der Firma Grünenthal nicht denkbar. Hierzu habe sich die Gutachterin Prof. Dr. L. bereits in einem anderen Antragsverfahren geäußert. Danach sei ausweislich von Archivforschungen von Frau Dr. Kirk, die als wissenschaftlich anerkannte Quelle zur Contergangeschichte gelte, die Synthese von Thalidomid in den Laboren der Firma Grünenthal nicht vor dem Jahr 1954 erfolgt. Thalidomid habe 1954 weder in Deutschland noch in Österreich in einer Darreichungsform vorgelegen, die eine Abgabe dieses Wirkstoffs an die Bevölkerung ermöglicht hätte. Für Thalidomid, das nach Angaben der Firma Grünenthal erstmals im März 1954 synthetisiert und im Mai 1954 zum Patent angemeldet worden sei, habe der Vertrieb in Deutschland am 01.10.1957 begonnen. In Österreich habe eine Registrierungspflicht für Medikamente bestanden. Die ersten thalidomidhaltigen Präparate der Firma Grünenthal seien am 12.11.1958 in Österreich registriert worden. Erst danach seien conterganhaltige Medikamente der Firma Grünenthal in Österreich vertrieben worden.
8Der Kläger hat am 05.11.2012 Klage erhoben. Zur Begründung vertieft er seine Ausführungen aus dem Verwaltungsverfahren und trägt ergänzend vor, Dr. H. habe wegen der zahlreichen Operationen nicht auf seinen Zustand bei seiner Begutachtung abstellen dürfen. Auch habe er nicht die von der Beklagten zu treffende Entscheidung vorwegnehmen dürfen. Zu Unrecht gingen die Beklagte und Dr. H. davon aus, dass das ContStiftG an eine Einnahme thalidomidhaltiger Präparate nur dann Leistungen knüpfe, wenn sie nach der Patentanmeldung erfolgt sei. Sein Prozessbevollmächtigter habe Frau Dr. Kirk im Oktober 2012 telefonisch kontaktiert. Sie habe ihm bestätigt, dass thalidomidhaltige Medikamente der Firma Grünenthal bereits Anfang der 50er Jahre (also vor 1952) illegal an Bedienstete der Firma Grünenthal und an andere Personen verabreicht worden sei. Der damalige medizinische Direktor der Firma Grünenthal, Dr. Mückter, habe während des Zweiten Weltkrieges aus Forschungszwecken zur Entwicklung eines Impfstoffes illegale Versuche an zwangsrekrutierten Polen und KZ-Insassen durchgeführt. In seinem Labor hätten Mitarbeiter den Wirkstoff Thalidomid zufällig entdeckt. Es sei unglaubhaft, dass ein Arzneimittel ausgehend von der Forschung über die Entwicklung, Laborversuche und deren Auswertung innerhalb eines Monats erfolgreich zum Patent angemeldet werden könne. Der seinerzeitige Hausarzt der Mutter des Klägers habe ihr das thalidomidhaltige Präparat verordnet und aus seinem Medikamentenbestand ausgereicht. Dieser Arzt habe der nationalsozialistischen Partei nahegestanden und mit der Firma Grünenthal Geschäftsverbindungen und Kontakte gepflegt. Daher sei er inoffiziell an die thalidomidhaltigen Präparate gelangt. Eine Frau H1. N. könne bezeugen, dass ihre Mutter auf Anraten der Mutter des Klägers das ärztlich verordnete thalidomidhaltige Medikament der Firma Grünenthal im 6 bis 7 Monat vor der Geburt der Frau N. habe vernichten lassen. Der Kläger hat eine Email eines Herrn S. vorgelegt und erklärt, dieser sei Humangenetiker an der Universitätsklinik Salzburg. In der Email wird dem Kläger mitgeteilt, seine Röntgenbefunde wiesen neben den für das TAR-Syndrom beschriebenen Fehlbildungen an den Unterarmknochen einige andere Auffälligkeiten auf, die aber nicht spezifisch für das TAR-Syndrom seien.
9Der Kläger beantragt,
10die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 06.06.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.10.2012 zu verpflichten, ihm Leistungen nach dem ContStiftG zu gewähren.
11Die Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin im Wesentlichen mit dem Hinweis entgegen, dass Thalidomid in der Frühphase der Schwangerschaft der Mutter des Klägers im Frühjahr 1954 in den Laboren der Firma Grünenthal gerade eben synthetisiert worden sei und Prüfmuster, geschweige denn Verkaufspackungen zu dieser Zeit noch nicht erhältlich gewesen seien. Im Übrigen verweist sie auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.
14Auf Anfrage des Gerichts in dem Verfahren 7 K 6279/12 hat Frau Dr. Kirk zum Zeitpunkt der Verfügbarkeit thalidomidhaltiger Präparate in Deutschland und Österreich mit Schreiben vom 23.02.2014 Stellung genommen. Sie hat erklärt, sie gehe davon aus, dass thalidomidhaltige Präparate nicht vor der Patentierung abgegeben worden seien. Falls sie in dem Telefonat mit dem Prozessbevollmächtigten des Klägers den Begriff „Anfang der 50iger Jahre“ verwendet haben sollte, könne sich dies nicht auf 1950 bis 1953 sondern frühestens auf 1954, dem Jahr der Herstellung von Thalidomid, beziehen. Sie glaube eher, dass sie dem Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht deutlich genug in seiner Wortwahl widersprochen habe. Es tue ihr leid, dass dieser anscheinend falsche Schlüsse aus dem Telefonat gezogen habe. Nach ihrer Kenntnis sei Thalidomid vor der Markteinführung 1957 im Rahmen der klinischen Erprobung an Patienten gegeben worden. Soweit sie wisse, sei das erste thalidomidgeschädigte Kind im Dezember 1956 geboren worden.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der von der Beklagten vorgelegten Vorgänge Bezug genommen.
16Entscheidungsgründe
17Das Gericht konnte entscheiden, obwohl für den ordnungsgemäß geladenen Kläger niemand zur mündlichen Verhandlung erschienen ist, § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -.
18Die zulässige Klage ist nicht begründet.
19Die Beklagte hat den Antrag des Klägers auf Gewährung von Leistungen nach dem ContStiftG zu Recht abgelehnt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erhalt von Leistungen nach dem ContStiftG, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Er gehört nicht zu den leistungsberechtigten Personen nach § 12 Abs. 1 ContStifG.
20Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 ContStifG setzt die Erbringung der begehrten Leistungen in Form von Conterganrente und Kapitalentschädigung, § 13 ContStifG, voraus, dass Fehlbildungen des jeweiligen Antragstellers vorliegen, die mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Grünenthal GmbH, Aachen, durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können. Der Kreis der Anspruchsberechtigten ist weit gefasst, um zugunsten etwaiger Betroffener der Unmöglichkeit einer über jeden Zweifel erhabenen Kausalitätsfeststellung Rechnung zu tragen.
21Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 02.12.2011 - 16 E 723/11 -, juris.
22Gleichwohl fehlt es im Falle des Klägers an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass die bei ihm aufgetretenen Fehlbildungen mit einer Einnahme thalidomidhaltiger Arzneien durch seine Mutter in Verbindung gebracht werden können.
23Nach den vorliegenden Erkenntnissen ist schon nicht ersichtlich, dass thalidomidhaltige Medikamente der Firma Grünenthal in einer an Menschen verabreichbaren Darreichungsform bereits in der Zeit existierten, als sich die Schwangerschaft der Mutter mit dem Kläger in der teratogenen Phase des 34. bis 50. Schwangerschaftstages befand.
24Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat mit Beschluss vom 2. Dezember 2012 - 16 E 723/11 -, juris, in einem vergleichbaren Fall – einen im Juli 1955 in Polen geboren polnischen Staatsangehörigen mit angeborenen Fehlbildungen an Armen und Beinen betreffend – Folgendes ausgeführt:
25"Jedenfalls kann aufgrund der zeitlichen Abfolge ausgeschlossen werden, dass die Mutter des im Juli 1955 geborenen Klägers während der ersten drei Schwangerschaftsmonate, also etwa zwischen Oktober 1954 und Januar 1955, ein von der Fa. H. GmbH vertriebenes thalidomidhaltiges Präparat eingenommen hat. Denn nach der unwidersprochen gebliebenen Darstellung der Beklagten, die sich mit zahlreichen Veröffentlichungen deckt, ist zu dieser Zeit noch kein Medikament mit diesem Wirkstoff auf dem Markt gewesen. Der Wirkstoff Thalidomid ist im Jahr 1954 entwickelt worden, 1955 in die Erprobungsphase und am 1. Oktober 1957 in Deutschland vor allem als Schlaf- und Beruhigungsmittel Contergan in den Handel gelangt.
26Vgl. etwa Roth, in: Chemie unserer Zeit, 2005, 212 bis 217 (= www.k-faktor.com/contergan/files/ unendliche_geschichte.pdf), sowie www.gruenenthal- opfer.de/Vorgeschichte; Widukind Lenz, The History of Thalidomide, www.thalidomide.ca.
27Daneben enthielten auch andere zu jener Zeit in den Handel gelangte Medikamente wie etwa das Grippemittel Grippex den Wirkstoff Thalidomid. Thalidomidhaltige Arzneimittel wurden, überwiegend aufgrund vergebener Lizenzen, auch im Ausland vertrieben; allerdings wird in einer kanadischen Fachveröffentlichung, die sich auflistend mit der weltweiten Verbreitung solcher Medikamente befasst, ein Vertrieb auch in Polen nicht erwähnt und allgemein die Verfügbarkeit derartiger Mittel im Ausland für die Zeit vor dem 1. Oktober 1957 ausgeschlossen.
28Vgl. Warren, The Many Faces of Thalidomide (from 1957 to 1966), www.thalidomide.ca.
29... In diesem Zusammenhang ist schließlich auch darauf hinzuweisen, dass Missbildungen sowohl spontan ohne erkennbare Ursache auftreten, genetisch bedingt oder durch verschiedenste Umwelteinflüsse ausgelöst sein können, wobei möglicherweise sogar der geringere Teil derartiger Fälle auf exogene Ursachen zurückzuführen ist.
30Vgl. Pschyrembel, Medizinisches Wörterbuch, 260. Aufl., Stichwort "Fehlbildung, kongenitale" (S. 557).“
31Die dargestellte zeitliche Abfolge steht auch im vorliegenden Fall einer Thalidomideinnahme als Ursache für die Fehlbildungen bei dem Kläger entgegen, zumal die Einnahme eines thalidomidhaltigen Medikaments hier noch früher – im Frühjahr 1954 – stattgefunden haben müsste. Die Richtigkeit dieser Einschätzung wird bestätigt durch die in der obigen Entscheidung nicht berücksichtigte Dissertation von Dr. Beate Kirk,
32Der Contergan-Fall: eine unvermeidbare Arzneimittelkatastrophe? Zur Geschichte des Arzneistoffs Thalidomid, Stuttgart 2000,
33in der die Pharmazeutin Quellen zugrundegelegt hat, die zuvor noch nicht zugänglich waren, indem sie nach Ablauf der 30-jährigen Sperrfrist die Akten des Contergan-Prozesses sichtete; dazu gehörten auch beschlagnahmte Firmenakten des Unternehmens Grünenthal. Außerdem forschte sie im Archiv des Bundesministeriums für Gesundheit und führte ein Interview mit dem 1995 verstorbenen Mediziner Widukind Lenz, der als erster die Schädigungen von Neugeborenen auf Contergan zurückführte.
34Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25.03.2013 - 16 E 1139/12 - juris.
35Nach dieser Veröffentlichung erfolgte die erstmalige Synthese von N‑Phthalylglutaminsäureimid (Thalidomid) im März 1954. Die zunächst als K 17 (17. Verbindung, die Dr. Kunz bei der Firma Grünenthal hergestellt hatte) bezeichnete Substanz wurde im April 1954 beim Deutschen Patentamt angemeldet. Die Substanz K 17 wurde in Tierversuchen pharmakologisch untersucht und zu Beginn des Jahres 1955 an die Universitätsklinik Köln sowie 1956 an eine Frauenklinik zur klinischen Erprobung (nicht bei Schwangeren) abgegeben. Die pharmakologischen und toxikologischen Ergebnisse der Studien stellten die Pharmakologen der Firma Grünenthal im Dezember 1955 bei einem Symposium vor. Publikationen zu diesen Studien und der klinischen Erprobung erschienen 1956. Das thalidomidhaltige Mittel „Grippex“ kam im November 1956, die Präparate „Contergan“ und „Contergan forte“ kamen am 1. Oktober 1957 in Deutschland in den Handel.
36Anhaltspunkte dafür, dass Thalidomid entgegen der obigen Angaben bereits vor 1954 entwickelt worden sein könnte, ergeben sich nicht aus der Behauptung des Klägers, Frau Dr. Kirk habe seinem Prozessbevollmächtigten in einem Telefongespräch bestätigt, dass thalidomidhaltige Medikamente der Firma Grünenthal bereits Anfang der 50er Jahre, insbesondere vor 1952, illegal an Personen verabreicht worden sei. Frau Dr. Kirk hat gegenüber dem Gericht auf Anfrage dieser Behauptung ausdrücklich widersprochen und an dem Zeitpunkt der erstmaligen Synthese von Thalidomid in 1954 ausdrücklich festgehalten.
37Das Gericht sieht keine Veranlassung, die Angaben von Frau Dr. Kirk in ihrem Antwortschreiben an das Gericht in Zweifel zu ziehen und sie als Zeugin für die gegenläufige Behauptung des Klägers anzuhören. Ihre Angaben stimmen mit ihren Ausführungen in ihrer Dissertation überein und es spricht nichts dafür, dass Frau Dr. Kirk abweichende Erkenntnisse gewonnen hat, die sie dem Gericht vorenthalten will. Der aus der Luft gegriffenen Spekulation des Klägers, Frau Dr. Kirk habe sich einem von der Beklagten verhängten Redeverbot unterworfen, fehlt erkennbar jede tatsächliche Grundlage.
38Von einer frühzeitigeren Synthese des Stoffes ist auch nicht schon deshalb auszugehen, weil K 17 bereits im April 1954 beim Deutschen Patentamt angemeldet wurde. Entgegen der Annahme des Klägers waren hierfür keine vorherigen Tests an Menschen erforderlich. Das Patent schützt die Erfindung (die Synthese der chemischen Verbindung) vor unbefugter Nutzung durch Dritte. Es trifft aber keine Aussage über Qualität, Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Verkehrsfähigkeit eines mit dem Wirkstoff hergestellten Medikaments. Dementsprechend bedurfte es für die Patentanmeldung keiner vorherigen pharmakologischen und klinischen Studien.
39Aber auch wenn eine erstmalige Entwicklung von Thalidomid durch Chemiker der Firma Grünenthal schon 1953 nicht auszuschließen sein sollte, fehlt es an jedem Hinweis darauf, dass schon kurz nach der Entwicklung thalidomidhaltiger Arzneimittel einnahmefertige Präparate den internen Bereich der Firma Grünenthal verlassen haben könnten.
40Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25.03.2013 - 16 E 1139/12 -, juris, betreffend einen 1954 in Österreich geborenen Antragsteller.
41Allerdings konnten bereits vor der Markteinführung Schädigungen durch thalidomidhaltige Präparate beobachtet werden. Frau Dr. Kirk erwähnt in ihrer Arbeit die Geburt des ersten thalidomidgeschädigten Kindes in der Bundesrepublik Deutschland im Dezember 1956. Der Vater, ein Angestellter des Herstellerwerkes Grünenthal, habe Muster des neuen Präparates Contergan erhalten und seiner schwangeren Frau gegeben.
42Beate Kirk, Der Contergan-Fall: eine unvermeidbare Arzneimittelkatastrophe? Zur Geschichte des Arzneistoffs Thalidomid, S. 45.
43Jedoch liegt im Falle des Klägers der Zeitraum der erforderlichen Einnahme von thalidomidhaltigen Präparaten nicht lediglich vor deren Markteinführung, sondern unmittelbar nach Patentanmeldung des Stoffes Thalidomid im April 1954 und deutlich vor Beginn seiner klinischen Erprobung in 1955. Tatsächliche Anhaltspunkte, die die Annahme des Klägers stützen könnten, der Stoff habe in diesem Zeitraum (Frühjahr 1954) bereits in einer für Menschen bestimmten Darreichungsform als einnahmefertiges Präparat vorgelegen und dieses habe den internen Bereich der Firma Grünenthal verlassen und im Medikamentenbestand eines Hausarztes in Österreich zur Abgabe an eine Patientin zur Verfügung stehen können, sind nicht erkennbar. Die diesbezüglichen Überlegungen des Klägers erschöpfen sich in bloßen Spekulationen. Die durch nichts belegte Behauptung, der Hausarzt der Mutter des Klägers habe der nationalsozialistischen Partei nahegestanden und Kontakte mit der Firma Grünenthal gepflegt und sei auf diesem Wege – inoffiziell – an thalidomidhaltige Präparate gelangt, die er dann an seine Patienten weitergegeben habe, hält das Gericht für unglaubhaft.
44Die Mutmaßung des Klägers, thalidomidhaltige Arzneimittel seien bereits während des Zweiten Weltkrieges entwickelt worden, führt zu keinem anderen Ergebnis. Derartige Vermutungen sind verschiedentlich vor dem Hintergrund geäußert worden, dass die Firma Grünenthal Presseberichten zufolge in der Nachkriegszeit ehemalige NS-Chemiker und -Mediziner eingestellt haben soll, die an Menschenversuchen in KZ beteiligt gewesen sein sollen und andererseits keinen Anlass sieht, ihr Firmenarchiv zu öffnen; greifbare Tatsachen, die für die Richtigkeit dieser Vermutungen sprechen, sind nicht erkennbar.
45Vgl. etwa Der Spiegel, Nr. 8/2009 vom 16.02.2009 (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-64197265.html); Wikipedia, Stichwort „Grünenthal“.
46Unabhängig davon wäre eine solche Entwicklung nicht der 1946 gegründeten Firma Grünenthal zuzurechnen; die Annahme einer erstmaligen Synthese von Thalidomid oder vergleichbarer Substanzen außerhalb der Firma Grünenthal würde vielmehr die Möglichkeit eröffnen, Schädigungen mit einem anderen Verursacher als der Firma Grünenthal in Verbindung zu bringen, so dass der Anwendungsbereich des ContStiftG nicht betroffen wäre.
47Vgl. dazu auch OVG NRW, Beschluss vom 25.03.2013 - 16 E 1139/12 -, juris.
48Das Gericht konnte davon absehen, die als Zeugin im Wege der Beweisanregung benannte Frau N. zu der Behauptung des Klägers zu hören, ihre Mutter habe auf Anraten der Mutter des Klägers das ärztlich verordnete thalidomidhaltige Medikament der Firma Grünenthal im 6 bis 7 Monat vor der Geburt der Frau N. vernichten lassen. Die Behauptung der Klägers ist schon nicht entscheidungserheblich, da nicht ersichtlich ist, weshalb die Vernichtung thalidomidhaltiger Medikamente auf Anraten der Mutter des Klägers einen Nachweis dafür liefert, dass die Mutter des Klägers im Frühjahr 1954 thalidomidhaltige Medikamente der Firma Grünenthal eingenommen hat und die Fehlbildungen des Klägers darin ihre wahrscheinliche Ursache haben.
49Nach alledem kommt es nach Überzeugung des Gerichts nicht ernsthaft in Betracht, dass die Mutter des Klägers im Frühjahr 1954 ein thalidomidhaltiges Medikament der Firma Grünenthal eingenommen haben kann. Fehlt es damit an einer Verbindung zwischen den Fehlbildungen bei dem Kläger und der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Grünenthal GmbH, Aachen, durch die Mutter des Klägers während der Schwangerschaft, da der hierfür notwendige Termin der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate zeitlich vor deren Erhältlichkeit lag, scheidet ein Anspruch des Klägers auf Leistungen nach dem ContStiftG aus.
50Der Befund von Dr. H. , der mit der orthopädischen Begutachtung des Klägers beauftragt war und der einen Conterganschaden bei dem Kläger aufgrund der persönlichen Untersuchung und der Auswertung der Röntgenbilder eindeutig ausschließt, stützt dieses Ergebnis. In diesem Zusammenhang begegnet es keinen Bedenken, dass Dr. H. in seinem Schreiben vom 25.11.2011 an die Beklagte die Formulierung verwandte, „der Antrag ist abzulehnen“. Darin sollte ersichtlich keine Anweisung gegenüber der Beklagten, die ohnehin nicht verbindlich wäre, sondern ein Standpunkt zum Ausdruck kommen. Da es (aus seiner Sicht) an den Voraussetzungen für die Bewilligung fehlt – weil die Fehlbildungen für ihn eindeutig nicht dem Schadensbild nach Thalidomideinnahme entsprechen –, kann der Antrag (aus seiner Sicht) keinen Erfolg haben. Gegenläufige ärztliche Stellungnahmen, die sich zur Frage einer Conterganschädigung bei dem Kläger verhalten, hat der Kläger nicht vorgelegt. Dabei kommt es für die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit einer Thalidomidschädigung des Klägers nicht darauf an, ob sich seine Behinderungen einer anderen Entstehungsursache in Verbindung bringen lassen. Angeborene Fehlbildungen können die unterschiedlichsten Ursachen haben, so dass im Falle der Einschätzung, dass es sich um eine nicht dem ContStiftG unterfallende Schädigung handele, eine gesicherte alternative Diagnose weder möglich noch geboten sein dürfte.
51Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25.03.2013 – 16 E 1139/12 -, juris.
52Die Kostenentscheidung in dem gerichtskostenfreien Verfahren (§ 188 Satz 2 VwGO) beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 25. März 2013 geändert. Dem Kläger wird für das erstinstanzliche Klageverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Q. U. aus X. beigeordnet.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
1
Gründe
2Die Beschwerde des Klägers ist begründet. Der Kläger, der nach den von ihm dargelegten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, kann für die Durchführung des erstinstanzlichen Klageverfahrens die Bewilligung von Prozesskostenhilfe einschließlich der Beiordnung eines Rechtsanwalts beanspruchen (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1, Satz 1, den §§ 115 und 117, § 119 Abs. 1 und § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO). Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg böte. Denn es kommt nach summarischer Prüfung in Betracht, dass seine Klage mit dem Antrag,
3die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 27. Februar 2012 und des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2012 zu verpflichten, ihn, den Kläger, als Contergangeschädigten anzuerkennen,
4entgegen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts doch Aussicht auf Erfolg hat.
5Das Begehren des Klägers dürfte nicht an Ausschlussfristen für die Geltendmachung des Anerkennungsbegehrens scheitern. Die vormalige Bestimmung des § 13 des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung "Hilfswerk für behinderte Kinder" vom 17. Dezember 1971 (BGBl. I S. 2018; im folgenden: Errichtungsgesetz) in der zuletzt geltenden Fassung ist für das Begehren des Klägers nicht mehr maßgeblich. Nach dieser Bestimmung konnten Leistungen wegen Fehlbildungen, die mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Firma D. H. GmbH in T. durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können, (nur) gewährt werden, wenn die Leistungen bis zum 31. Dezember 1983 bei der Stiftung geltend gemacht worden sind, was in Bezug auf den Kläger offensichtlich nicht der Fall gewesen ist. Demgegenüber sieht § 12 Abs. 2 des Conterganstiftungsgesetzes (ContStifG) in der nunmehr geltenden Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des ContStifG vom 25. Juni 2009 vor, dass die Conterganrente und eine Kapitalentschädigung für die Zeit ab 1. Juli 2009 beantragt werden können, wenn Leistungen nach § 13 des Errichtungsgesetzes nicht innerhalb der dort vorgesehenen Frist geltend gemacht wurden. Das trifft, wie schon erwähnt, auf den Kläger zu, dessen Eltern zwar frühzeitig Ansprüche wegen einer möglichen Conterganschädigung erhoben haben, aber nicht (mehr) tätig geworden sind, nachdem die o. g. Stiftung gegründet worden ist. Diesen Fall regelt § 12 Abs. 2 ContStifG. Das Normverständnis des Verwaltungsgerichts, wonach § 12 Abs. 2 ContStifG nur dann die Möglichkeit der Leistungsbeantragung mit Wirkung für die Zeit ab dem 1. Juli 2009 ermöglicht, wenn Leistungen nach § 13 des Errichtungsgesetzes nicht innerhalb der dort vorgesehenen Frist geltend gemachtwerden konnten, findet im Wortlaut dieser Bestimmung keinen Niederschlag und ergibt sich auch nicht bei der zusätzlichen Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien zum Zweiten Gesetz zur Änderung des ContStifG. Soweit es etwa im Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vom 24. März 2009 (BT‑Drucks. 16/12413) heißt, die "bisher von der Ausschlussfrist betroffenen" contergangeschädigten Menschen sollten die Möglichkeit erhalten, künftig Leistungen geltend zu machen, zwingt das nicht zu der vom Verwaltungsgericht für zutreffend gehaltenen Wertung, nur solche Personen seien von der Ausschlussfrist betroffen, die bisher keinen Antrag stellen konnten. Vielmehr sind alle diejenigen von der bisherigen Ausschlussfrist betroffen, die einen Leistungsantrag ‑ warum auch immer ‑ nicht gestellt haben. Abgesehen davon gab es auch im Fall des Klägers Gründe für die Nichtantragstellung vor dem Stichtag des 31. Dezember 1983, die zwar nicht zwingend eine rechtzeitige Antragstellung ausgeschlossen haben, dies aber doch als nachvollziehbar erscheinen lassen. Dazu gehört insbesondere, dass den Eltern des Klägers schon im zeitlichen Vorfeld der Schaffung der Stiftung "Hilfswerk für behinderte Kinder" bedeutet worden war, eine Anerkennung der Behinderungen des Klägers als Conterganschädigung komme aus medizinischen Gründen nicht in Betracht, sie also, möglicherweise sachlich zu Unrecht, mit der Aussichtslosigkeit einer Antragstellung bei der Stiftung konfrontiert worden sind und deshalb resigniert haben.
6Dem Anerkennungsbegehren des Klägers steht auch nicht entgegen, dass er bzw. sein Vater im Jahr 1989 die Wiederaufnahme eines vor Jahren abgelehnten Anerkennungsverfahrens beantragt hat und die Stiftung seinerzeit ‑ durch erneute Befragung des schon zuvor in Erscheinung getretenen Gutachters Prof. Dr. Dr. X1. M. ‑ aus Sachgründen mit Bescheiden vom 20. August 1990 sowie vom 7. Mai 1992 bzw. mit Widerspruchsbescheid vom 25. November 1992 die Anerkennung des Klägers abgelehnt hat. Denn in dem sich anschließenden (zivil‑)gerichtlichen Verfahren ist die sachliche Frage, worauf die multiplen Körperschäden des Klägers zurückzuführen sind, nicht abschließend gewürdigt worden. Vielmehr beruhen die Urteile des Landgerichts Bonn vom 13. Juli 1993 sowie des OLG Köln vom 25. Oktober 1994 auf der Einschätzung, dass der als "unstreitig erstmalige" bezeichnete Leistungsantrag "des Jahres 1990" mit Blick auf die Ausschlussfrist des § 13 des Errichtungsgesetzes und auf die Unmöglichkeit einer Wiedereinsetzung in die versäumte Ausschlussfrist keiner sachlichen Entscheidung zugänglich gewesen sei. Damit fehlt es an einer abschließenden ‑ die gerichtliche Überprüfung umfassenden ‑ sachlichen Würdigung der bis damals vorliegenden medizinischen Befunde, und dies im Ergebnis mit der Begründung, dass die Ausschlussfrist des § 13 des Errichtungsgesetzes diese Überprüfung ausschließe. Das ist gerade der Sachverhalt, der nunmehr durch § 12 Abs. 2 ContStifG in dem Sinne geregelt wird, dass für die Zukunft unabhängig von der Versäumung einer Antragstellung vor dem 1. Januar 1984 Ansprüche auf Hilfen für Contergangeschädigte geprüft und gegebenenfalls zuerkannt werden.
7Schließlich ist auch die Frage der sachlichen Berechtigung des Anerkennungsbegehrens des Klägers als Contergangeschädigter nicht mit einer Eindeutigkeit zu verneinen, die schon eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe ausschließt. Sowohl in § 2 ContStifG (Stiftungszweck) als auch in § 12 Abs. 1 ContStifG (Leistungsberechtigte Personen) ist der Kreis der anspruchsberechtigten Personen weit gefasst (behinderte Menschen, deren Fehlbildungen mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der H. GmbH, B. , durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können), um zugunsten etwaiger Betroffener der Unmöglichkeit einer über jeden Zweifel erhabenen Kausalitätsfeststellung Rechnung zu tragen.
8Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 2. Dezember 2011 ‑ 16 E 723/11 ‑, juris, Rn. 2, und vom 25. März 2013 ‑ 16 E 1139/12 ‑, juris, Rn. 2.
9Eine Conterganeinnahme durch die Mutter des Klägers während der Schwangerschaft hat nach ihren glaubhaften, auch eidesstattlich versicherten Einlassungen stattgefunden. So hat bereits kurz nach der Geburt des Klägers am 18. April 1962, nämlich am 28. April 1962, ein namentlich nicht bekannter Arzt des Krankenhauses, in dem die Geburt stattgefunden hatte, dem Hausarzt der Familie des Klägers mitgeteilt, wie die Geburt vonstattengegangen ist und welche Missbildungen beim Kläger vorliegen. Er hat insoweit ausgeführt: "Interessanterweise hat Pat. in den ersten Schwangerschaftsmonaten Contergan forte eingenommen; ein ursächlicher Faktor, der ja heute viel diskutiert wird." Da erst im November 1961 erstmals in der Presse über den Conterganverdacht berichtet worden war und nachfolgend die strafrechtlichen Ermittlungen aufgenommen wurden,
10vgl. im Einzelnen Kirk, Der Contergan‑Fall: eine unvermeidbare Arzneimittelkatastrophe? Zur Geschichte des Arzneistoffs Thalidomid (1999), S. 85 ff.,
11handelte es sich seinerzeit noch um eine neue und ungesicherte Verdachtslage. Daher liegt es fern, dass die frühzeitige und offensichtlich spontane Angabe der Mutter des Klägers über den Tablettenkonsum im Sinne einer Förderung oder Sicherung etwaiger Regressansprüche zielgerichtet gewesen sein könnte. Aus dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. M. an das Treuhändergremium vom 23. September 1971 geht überdies hervor, dass auf der Grundlage der ‑ nach seiner Einschätzung allerdings unbelegten ‑ Angaben der Mutter des Klägers die Einnahme von Contergan bei normaler Dauer der Schwangerschaft zum Teil in die "sensible Phase" gefallen sei.
12Nach den Gutachten, die seit 1967 über die mögliche Ursache der Missbildungen beim Kläger erstellt worden sind, kann mit hinlänglicher Sicherheit nur ausgeschlossen werden, dass die Veränderungen an den Gliedmaßen des Klägers, insbesondere des linken Unterschenkels, mit der Einnahme von Thalidomid in Verbindung gebracht werden können. Dagegen spricht vor allem das Vorhandensein von Abschnürungsfurchen, die für amniotische (von sich ablösenden Bändern der Fruchtblase, die sich um den Fötus legen können, herrührende) Schädigungen, nicht aber für thalidomidbedingte Missbildungen charakteristisch sind. Allerdings gehört zu den Missbildungen des Klägers auch eine doppelseitige Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte (sog. Wolfsrachen), die zumindest vereinzelt auch im Zusammenhang mit der Einnahme von Thalidomid während der Schwangerschaft der Mutter festgestellt worden ist; das folgt etwa aus dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. M. vom 4. Dezember 1967, wobei dieser aber zugleich betont, das könne "keinesfalls als typisch angesehen werden". Soweit Prof. Dr. Dr. M. , der gemeinhin als der "Entdecker" des Zusammenhangs zwischen den um das Jahr 1960 gehäuft aufgetretenen spezifischen Missbildungsfällen und der Einnahme von Thalidomid durch die Mütter der geschädigten Kinder während der Schwangerschaft gilt und wesentlichen Anteil an der wissenschaftlichen Erforschung der Contergan‑Problematik hatte, in dem genannten Gutachten darauf hinweist, dass Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalten häufig zusammen mit den übrigen ‑ nicht thalidomidbedingten ‑ Schädigungen, wie sie beim Kläger vorliegen, auftreten und sich daher "für die Gesamtheit der [beim Kläger festgestellten] Mißbildungen … eindeutig feststellen [lasse], daß sie in keiner Weise typisch für Mißbildungen nach Thalidomideinnahme sind", liegt dem offenkundig eine monokausale Betrachtung zugrunde, die sich an typischen Erscheinungsformen multipler Missbildungen orientiert, aber nicht erkennbar der Frage nachgeht, ob sich im Einzelfall ausnahmsweise mehrere ursächliche Faktoren ‑ amniogene und thalidomid-bedingte Schädigungen ‑ nebeneinander ausgewirkt haben könnten bzw. was dagegen sprechen könnte, dass es sich beim Kläger ausnahmsweise so verhalten hat. In seiner weiteren Stellungnahme vom 28. Mai 1990 verweist Prof. Dr. Dr. M. auf seine früheren Gutachten und benennt Literaturstellen, die sich mit amniogenen Fehlbildungen vor allem der Lippen und des Gaumens befassen; auf seine vormalige Einschätzung, dass Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalten auch als Thalidomid-Schädigungsfolge aufgetreten seien, geht der Gutachter indessen ebenso wenig ein wie auf die Möglichkeit einer "doppelten Kausalkette".
13Das Gutachten von Prof. Dr. X2. , Direktor des Instituts für Humangenetik der Universität C. , vom 20. April 1971 beschreibt die einzelnen Fehlbildungen beim Kläger, wobei er auch noch die Möglichkeit eines linksseitigen Enophthalmus (Einsinken des Augapfels in die Augenhöhle) erwähnt, und kommt abschließend zu der Einschätzung, dass es eine derartige Fehlbildungskombination im Rahmen einer Thalidomid-Embryopathie nicht gebe. Er erörtert demgegenüber nicht die Frage, ob die Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte ‑ gegebenenfalls auch der Enophthalmus ‑ isoliert betrachtet auf Thalidomid zurückzuführen sein könnte und nimmt folglich auch die Möglichkeit einer Doppelkausalität nicht in den Blick.
14Auch das im laufenden Anerkennungsverfahren erstattete Gutachten von Frau Prof. Dr. L. , Universität N. , vom 1. August 2012 kommt zu dem Ergebnis, dass an der schon in der Vergangenheit gestellten Diagnose einer ‑ von ihr so bezeichneten ‑ "Amnionbänder Sequenz" auch aus heutiger Sicht nicht zu zweifeln sei. Die amniotischen Abschnürungen (Schnürfurchen) an den Fingern, Unterschenkeln und Füßen seien auf vorliegenden Fotos gut zu erkennen; auch die Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte gehöre zu diesem Fehlbildungskomplex. In der humangenetischen Literatur seien unzählige Patienten dokumentiert, die dem Phänotyp des Klägers ähnelten. Hingegen handele es sich nicht um ein teratogenes (u.a. durch Chemikalien hervorgerufene Einwirkungen auf den Embryo) Krankheitsbild, schon gar nicht um einen thalidomidbedingten Fehlbildungskomplex. Im Zusammenhang mit Thalidomidschädigungen seien die beim Kläger vorzufindenden Hand‑ und Fußfehlbildungen mit Syndaktylien (Verwachsungen bzw. Nichttrennung von Finger‑ oder Zehengliedern) und Schnürfurchen nie aufgetreten. Vielmehr seien für eine Conterganschädigung je nach dem Zeitpunkt der Einnahme spezifische und relativ symmetrisch angelegte Missbildungen an Händen, Füßen und Unterschenkeln charakteristisch, wie sie beim Kläger gerade nicht vorlägen. Aus diesen gutachterlichen Äußerungen geht mithin hervor, dass ‑ wie schon oben festgehalten ‑ die Schädigungen an den äußeren Extremitäten des Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mit der Conterganeinnahme durch seine Mutter während der Schwangerschaft zusammenhängen. Indessen beschränken sich die Angaben der Gutachterin zu der seit der Geburt des Klägers vorliegenden Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte darauf, dass auch diese zu dem Fehlbildungskomplex "Amnionbänder Sequenz" gehöre. Eine klare Abgrenzung zu einer möglichen teratogenen Schädigung wird ‑ anders als in Bezug auf die Missbildungen an den Gliedmaßen ‑ mit Blick auf die Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte hingegen nicht gezogen. Nach Auffassung des Senats bleibt damit im Anschluss an die Auffassung von Prof. Dr. Dr. M. , dass eine Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte ‑ wenngleich wohl eher selten ‑ auch in Conterganfällen angetroffen worden sei, die Frage einer "doppelten Kausalität" offen. Allein der von Frau Prof. Dr. L. erneut hervorgehobene Umstand, dass Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalten häufig ‑ und ohne Anhaltspunkte für teratogene Ursachen ‑ im Zusammenhang mit amniogenen Schädigungsbildern auftrete, widerlegt nicht die aufgrund der sicheren Conterganeinnahme durch die Mutter des Klägers mehr als nur rein theoretische Möglichkeit, dass im Fall des Klägers eine Kombination aus einer teratogenen und einer amniogenen Schädigung gegeben ist. Eine solche Möglichkeit könnte nur dann ausgeschlossen werden, wenn entweder auch in Hinblick auf die Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte des Klägers Spezifika vorlägen, die eindeutig auf eine amniotische Verursachung hinweisen, oder aber wenn verdeutlicht worden wäre, dass im Zusammenhang mit der Einnahme von Thalidomid nie ausschließlich eine Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte festgestellt worden wäre. Daran fehlt es aber auch mit Blick auf das Gutachten von Frau Prof. Dr. L. nach wie vor.
15Die Stellungnahme von Privatdozent Dr. H1. aus O. ‑ Facharzt für Orthopädie/Unfallchirurgie/Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sportmedizin/Kinder-orthopädie ‑ vom 29. Dezember 2011 verhält sich ausschließlich zu den Missbildungen des Klägers an den Händen bzw. am linken Bein und kommt wie die vorherigen Gutachter und nachfolgend Frau Prof. Dr. L. zu der Einschätzung, dass diese Befunde nicht typisch für einen Conterganschaden seien und daher insgesamt der Antrag des Klägers abzulehnen sei. Eine spezielle Auseinandersetzung mit der Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte des Klägers bzw. mit den insoweit in Frage kommenden Ursachen findet sich in dieser Stellungnahme nicht. Frau Dr. X3. aus L1. kommt schließlich in ihrer Stellungnahme vom 29. Juli 2010 ‑ wie schon Prof. Dr. Dr. M. ‑ zu der Einschätzung, dass die beim Kläger bestehende beiderseitige Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte (jedenfalls für sich betrachtet) mit einem Conterganschaden vereinbar sei und mit 25 Punkten veranschlagt werden sollte.
16Abschließend weist der Senat noch darauf hin, dass die diversen Diagnosen von den Kläger behandelnden Ärzten, die fast durchweg (insgesamt) von einer thalidomidbe-dingten Schädigung des Klägers berichten, neben den oben wiedergegebenen Fachgutachten nicht ins Gewicht fallen. Es spricht weit Überwiegendes dafür, dass diese Mediziner keine genaue und abschließende Beurteilung der Schädigungsursache abgeben wollten und mussten und sich daher auf die anamnestischen Angaben des Klägers bzw. auf einen "ersten Eindruck" verlassen haben. Erwähnenswert erscheint dem Senat in diesem Zusammenhang aber die Diagnose von Dr. M1. und Dr. X4. von der Westfälischen Wilhelms‑Universität N1. ‑ Klinik und Poliklinik für Technische Orthopädie und Rehabilitation ‑ im Arztbrief vom 19. März 1990, in dem neben der Angabe "Angeborene Fehlbildung an den Extremitäten durch Amnionabschnürungen" weiter von "Verdacht auf Thalidomidschaden" und (beziehungslos dahinterstehend) "Lippen‑, Kiefer‑, Gaumenspalte" die Rede ist. Nachfolgend wird ausgeführt, neben den Fehlbildungen an den äußeren Extremitäten, die klinisch eher einer Amnion-Abschnürung entsprächen, seien in der Folge auch Fehlbildungen am Schädel wie eine Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte, eine Fehlstellung der Zähne, eine einseitige Schwerhörigkeit sowie eine Zwerchfellhernie aufgefallen; alle diese Schäden sprächen "eher wieder für einen Conterganschaden". Damit schließen diese Mediziner die Möglichkeit von Schädigungen unterschiedlicher Genese offensichtlich nicht aus. In eine ähnliche Richtung könnte auch die ärztliche Bescheinigung des Prof. Dr. S. , Städtische Krankenanstalten C1. ‑ Chirurgische Abteilung der Kinderklinik ‑, vom 13. Februar 1965 weisen, in der die Diagnose einer doppelseitigen Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte (und auch die bis in die Stirn hinein klaffende Sagittalnaht) den "multiplen Amnionabschnürungen" zur Seite gestellt ‑ und gerade nicht in das Bild einer insgesamt amniogenen Schädigung einbezogen ‑ werden; entsprechend verhält es sich auch in der Stellungnahme der Stationsärztin Dr. G. , Städtische Krankenanstalten C1. , vom 3. Oktober 1962 ("Es handelte sich um eine doppelseitige Lippen‑Kiefer‑Gaumenspalte; gleichzeitig bestehen multiple Amnionabschnürungen").
17Die Kostenentscheidung folgt aus § 188 Satz 2 VwGO sowie aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.
18Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
Die Sachgebiete in Angelegenheiten der Fürsorge mit Ausnahme der Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes, der Jugendhilfe, der Kriegsopferfürsorge, der Schwerbehindertenfürsorge sowie der Ausbildungsförderung sollen in einer Kammer oder in einem Senat zusammengefaßt werden. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in den Verfahren dieser Art nicht erhoben; dies gilt nicht für Erstattungsstreitigkeiten zwischen Sozialleistungsträgern.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.