Verwaltungsgericht Köln Urteil, 06. Okt. 2015 - 7 K 3077/13
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
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T a t b e s t a n d
2Die am 00.00.1959 geborene Klägerin begehrt die Anerkennung als Contergangeschädigte und die Gewährung von Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz (ContStifG).
3Die Klägerin stellte erstmals mit Datum vom 22.03.1998 einen Antrag auf Anerkennung als Contergangeschädigte, den die Beklagte mit Bescheid vom 30.09.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.03.1999 ablehnte, da die damalige Frist zur Stellung eines solchen Antrages abgelaufen war.
4Am 02.07.2009 beantragte die Klägerin erneut die Bewilligung von Rente nach dem ContStifG. Zur Begründung gab sie an, ihr Vater sei als Maurer von 1950 bis 1972 bei der Firma Kali-Chemie AG beschäftigt gewesen. Die Kali-Chemie habe Hustenmittel mit von der Firma Grünenthal geliefertem Thalidomid hergestellt. Ihre Eltern seien bereits verstorben. Die Mutter habe ihr am Sterbebett gestanden, dass sie Schuld an ihrem fehlgebildeten Arm sei. Sie – die Klägerin – habe erst im Jahr 1998 durch eine Hotline der Ärztekammer von der Conterganstiftung erfahren.
5Als thalidomidbedingt gab die Klägerin an: Fehlbildung des rechten Arms und des rechten Schultergürtels mit Verkürzung und Verkrümmung des Oberarmknochens, dysplastischem Ellenbogen, Verkürzung und Verkrümmung der Elle, radialer Klumphand mit fehlendem Daumen, verkürztem zweiten Finger und nur zwei Handwurzelknochen. Weiterhin lägen eine Thorakolumbalskoliose, Blockwirbelbildung der Halswirbelsäule, Dysplasie des Kreuzbeins, fehlendes Steißbein, Hüftgelenkdysplasie beidseits, eine Fehllage der rechten Niere, eine Blasenentleerungs- und Stuhlentleerungsstörung, eine Harnröhrenverengung, eine Fehlbildung der Gebärmutter und Kleinwuchs vor.
6Hinsichtlich der orthopädischen Schäden legte die Klägerin ein fachorthopädisches Gutachten von Herrn Prof. Dr. Q. vom 19.01.2009 vor, wegen dessen Einzelheiten auf Bl. 41 der medizinischen Akte verwiesen wird. Prof. Dr. Q. kam zu dem Ergebnis, dass eine Dysmelie des rechten Arms bei regelrecht ausgebildetem linken Arm zwar bei einer Conterganschädigung im Vergleich zu einer Beteiligung beider Extremitäten deutlich seltener auftrete. Das Schädigungsmuster sowie die Beschäftigung des Vaters bei der Firma Kali-Chemie sprächen jedoch für eine thalidomidbedingte Schädigung.
7Der Gutachter Herr PD Dr. H. gab in seiner Stellungnahme vom 16.08.2009 (Bl. 94 med. Akte) an, es handele sich nicht um einen Conterganschaden.
8Zu den inneren Schäden der Klägerin führte der Gutachter Herr Dr. X. unter dem 26.10.2009 (Bl. 98 med. Akte) aus, dass bei der Geburt keine Harnröhrenverengung vorgelegen habe, die einer Therapie bedurft hätte. Die Fehllage der Niere sei durch die Skoliose verursacht. Die neurogene Blasenentleerungsstörung sei wahrscheinlich ebenfalls Folge der Fehlbildung der Wirbelsäule.
9Der Gutachter Herr Dr. T. -I. führte unter dem 13.12.2009 (Bl. 104 med. Akte) aus, dass bei der Klägerin eine auffällige Asymmetrie der Reduktionsfehlbildungen der oberen Extremitäten bestehe, was untypisch für eine Thalidomidschädigung sei. Er schlug zur weiteren Aufklärung die Einschaltung eines humangenetischen Gutachters sowie eine Befassung und einen Vergleich mit anderen stark asymmetrischen Thalidomidschäden vor.
10In ihrer Stellungnahme vom 20.03.2010 (Bl. 107 med. Akte) kam Frau Prof. Dr. L. zu dem Ergebnis, dass das Fehlbildungsspektrum der Klägerin wegen der Involvierung nur einer Körperseite nicht zu einer Thalidomidembryopathie passe. Aus ihrer Sicht handele es sich am ehesten um die Assoziationen MURCS/MRKH (Müllersche Gänge, Renales und Cervikothorakales Somiten Syndrom/Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser-Syndrom). Alle bei der Klägerin vorliegenden Fehlbildungen seien in der Literatur zu MURCS/MRKH gelistet.
11Herr Dr. T. -I. schloss sich dieser Auffassung unter dem 17.10.2010 (Bl. 108 med. Akte) an und führte zudem aus, ein ihm bekannter Fall einer stark asymmetrischen Thalidomidschädigung sei mit den Fehlbildungen der Klägerin nicht vergleichbar.
12Mit Bescheid vom 09.03.2011 lehnte die Beklagte den Antrag unter Hinweis auf die Ausführung der Frau Prof. Dr. L. wegen der auffälligen Asymmetrie aufgrund der Bevorzugung der rechten Körperhälfte ab.
13Hiergegen erhob die Klägerin unter dem 22.03.2011 Widerspruch, den sie unter dem 30.09.2012 ausführlich begründete und eine humangenetische Beurteilung vom 20.08.2012 von Herrn Dr. O. beifügte. Aus dieser geht hervor, dass eine durch die Klägerin veranlasste DNA-Analyse bei Dr. O. unauffällige Befunde im HNF1BITCF2-, TBX5- und SALL4-Gen ergeben habe. Ein HNF1B-bedingtes MRKHS, ein Holt-Oram-Syndrom, Okihiro-Syndrom und TAR-Syndrom sei daher unwahrscheinlich.
14Die Beklagte legte den Fall erneut Frau Prof. Dr. L. vor. In ihrer zweiten Stellungnahme bekräftigt Frau Prof. Dr. L. unter dem 23.04.2013 (Bl. 139 med. Akte) ihre Auffassung, dass ein Thalidomidschaden nicht vorliege. Völlig untypisch sei die Bevorzugung der rechten Körperseite, die nicht nur das Skelett, sondern auch die Niere und Gebärmutter betreffe. Durch Thalidomid verursachte Fehlbildungen seien typischerweise nahezu gleichartig auf beiden Körperseiten ausgebildet. Ein eingenommenes thalidomidhaltiges Medikament erreiche über den Blutstrom der Mutter die Plazenta und werde von dort auf den gesamten Embryo verteilt, so dass eine Schädigung nur einer Körperseite nicht denkbar sei. Zudem sei in der Studie von L. Ruffing (1980) mit Befunden zu 480 Thalidomidgeschädigten kein einziges Mal über eine Blockwirbelbildung der Halswirbelsäule und die Kombination Kreuzbeindysplasie/Steißbeinaplasie berichtet worden. Eine radiale Fehlbildung des Arms und der Hand, die Anomalien der inneren Genitalien und die beidseitige Hüftgelenksdyplasie seien nicht beweisend für eine Thalidomidembryopathie. Die Gesamtsymptomatik deute auf eine MURCS-Assoziation hin.
15Unter Hinweis auf diese Stellungnahme wies die Beklagte den Widerspruch mit Bescheid vom 07.05.2013 zurück.
16Die Klägerin hat am 15.05.2013 Klage erhoben, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vorträgt:
17Eine auffällige Asymmetrie der Fehlbildungen sei zwar allgemein untypisch, schließe einen Thalidomidschaden jedoch nicht aus. Hiervon sei auch Prof. Dr. Q. ausgegangen. Die weiteren Fehlbildungen der Klägerin seien zudem auch mit dem Erscheinungsbild eines thalidomidbedingten Medikamentenschadens in Übereinstimmung zu bringen. Frau Prof. Dr. L. habe sich mit den von ihren Arztkollegen zuvor gestellten Untersuchungsergebnissen inhaltlich nicht auseinandergesetzt. Das Gutachten sei nur nach Aktenlage angefertigt worden. Aufgrund des komplexen Fehlbildungsspektrums sei eine sorgfältige körperliche Untersuchung notwendig. Die Medizinische Kommission habe lediglich die Ausführungen der Frau Prof. Dr. L. , selbst Mitglied der Kommission, übernommen. Das Vorliegen einer MRKH-Schädigung sei nicht nachvollziehbar. Bei der von Frau Prof. Dr. L. vermuteten MRKH-Schädigung seien Schwangerschaft und Geburt auszuschließen, die Klägerin habe jedoch im Jahr 1979 eine Tochter zur Welt gebracht. Nach Angabe des Herrn Dr. Renner, der mit etwa 100 MRKH-betroffenen Patientinnen zu tun gehabt haben soll, habe zudem keine dieser Patientinnen eine Armschädigung in Gestalt einer ausgeprägten radialen Klumphand gehabt. Eine durch den VACTERL-Komplex verursachte Fehlbildung sei durch Herrn Prof. Dr. Q. ebenfalls ausgeschlossen worden.
18Die Klägerin führt zudem eine Begutachtung der Frau Prof. Dr. L. in einem Parallelverfahren an, bei dem diese die Unwahrheit hinsichtlich einer Meinungsverständigung mit PD Dr. H. geschrieben haben soll. Aus diesem Grund widerspricht sie gemäß § 406 ZPO analog der Verwertung des Gutachtens der Frau Prof. Dr. L. in ihrem Fall.
19Weiterhin hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, ihre Mutter habe Contergantabletten von ihrem damaligen Hausarzt erhalten. Zu dieser Zeit sei Contergan noch nicht verschreibungspflichtig gewesen. Er habe Contergan vorrätig gehabt. Es müsse sich um ein Ärztemuster gehandelt haben, die er an Patienten verteilt habe. Das habe der Hausarzt der Mutter noch zu Lebzeiten erklärt. Näheres sei jedoch nicht bekannt.
20Die Klägerin beantragt,
21die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.03.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.05.2013 zu verpflichten, ihr Leistungen nach dem ConstifG zu bewilligen.
22Die Beklagte beantragt,
23die Klage abzuweisen.
24Sie wiederholt ihre bisherigen Ausführungen und bezieht sich auf die fachärztlichen Stellungnahmen der Medizinischen Kommission. Zweifel an der Qualität oder Unparteilichkeit der Frau Prof. Dr. L. seien durch den Vortrag der Klägerin nicht nachvollziehbar. Die Ausführungen zu einem Parallelverfahren lägen neben der Sache.
25Die Beklagte hat auf Veranlassung der Kammer ein Gutachten von Herrn Prof. Dr. G. , Direktor der Orthopädischen Universitätsklinik im X1. T1. N. in F. , eingeholt. Herr Prof. Dr. G. kommt zu dem Ergebnis, dass die Einseitigkeit der Fehlbildungen zwingend gegen einen Thalidomidschaden spreche. Auch die Blockwirbelbildung im Bereich der Halswirbelsäule sei kein typisches Schadensbild bei einer Thalidomidschädigung. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf das Gutachten Bezug genommen.
26Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
27Entscheidungsgründe
28Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
29Der Bescheid der Beklagten vom 09.03.2011 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 07.05.2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Leistungen nach dem Gesetz über die Conterganstiftung für behinderte Menschen in der Fassung der Bekanntmachung vom 25.06.2009 (BGBl. I S. 1537), zuletzt geändert durch das dritte Gesetz zur Änderung des ConstifG (BGBl. I S. 1847).
30Die Gewährung von Leistungen nach § 13 ContStifG – Kapitalentschädigung, Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe und Conterganrente – setzt gemäß § 12 Abs. 1 ContStifG Fehlbildungen voraus, die mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Grünenthal GmbH, Aachen, durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werdenkönnen. Mit der durch den Gesetzgeber gewählten Formulierung ist der Kreis der Anspruchsberechtigten bewusst weit gefasst, um zugunsten etwaiger Betroffener dem Umstand Rechnung zu tragen, dass eine über jeden Zweifel erhabene Kausalitätsfeststellung unmöglich ist.
31Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 02.12.2011 - 16 E 723/11 -, vom 25.03.2013 - 16 E 1139/12 - und vom 14.01.2015 - 16 E 435/13 -.
32Mit dieser Beweiserleichterung ist darauf Rücksicht genommen, dass sowohl die Aufklärung der Thalidomideinnahme als solche durch die Mutter nach mehr als 50 Jahren, als auch die eindeutige Feststellung eines naturwissenschaftlichen Zusammenhangs zwischen der Einnahme und einer Fehlbildung an Grenzen stoßen. Dies hat allerdings nicht zur Folge, dass nur theoretische Kausalzusammenhänge in dem Sinne ausreichen, dass Thalidomid als Ursache für die Fehlbildungen nicht auszuschließen ist. Hiermit ließe sich angesichts der Vielfalt anderer möglicher Ursachen der Kreis der anspruchsberechtigten Personen nicht verlässlich eingrenzen. Denn einer Thalidomidembryopathie vom Erscheinungsbild her ähnliche Fehlbildungen treten auch in der Allgemeinbevölkerung auf. Gerade die Einwirkung von Thalidomid während der embryonalen Entwicklung, die in einen ursächlichen Zusammenhang mit den jeweiligen Fehlbildungen gebracht werden kann, muss wahrscheinlich sein. Bloße Behauptungen oder Vermutungen reichen hierfür nicht aus.
33Es bestehen aufgrund der im Laufe des Verfahrens geänderter Angaben der Klägerin bereits erhebliche Zweifel an der Einnahme von Thalidomid durch die Mutter während der Schwangerschaft. Von Seiten der Klägerin wurde im Antrag vom 02.07.2009 vorgetragen, ihr Vater sei als Maurer von 1950 bis 1972 bei der Firma Kali-Chemie AG beschäftigt gewesen und diese Firma habe Hustenmittel mit von der Firma Grünenthal geliefertem Thalidomid hergestellt. Ihre Mutter habe ihr am Sterbebett im Jahr 1992 erklärt, dass sie Schuld an dem behinderten Arm sei. Angaben zu einer tatsächlichen Einnahme von Thalidomid wurden jedoch von der Klägerin nicht gemacht. Auch im Widerspruchsverfahren und in der Klagebegründung vom 20.08.2013 nahm die Klägerin auf diesen Vortrag Bezug. In der mündlichen Verhandlung am 06.10.2015 trug die Klägerin hingegen erstmalig vor, ihre Mutter habe Contergantabletten als Ärztemuster von ihrem damaligen Hausarzt erhalten. Dies habe der Hausarzt der Mutter zu Lebzeiten erklärt. Der neue Vortrag der Klägerin unterscheidet sich hinsichtlich der Bezugsperson und der Art des Medikamentes völlig von dem zuvor jahrelang vorgetragenen Sachverhalt. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb eine tatsächliche Einnahme von Contergantabletten durch die Mutter sechs Jahre lang nicht vorgetragen und statt dessen nur auf den vagen Umstand abgestellt wurde, der Vater sei bei der Firma Kali-Chemie beschäftigt gewesen und ihre Mutter habe sich die Schuld an dem behinderten Arm gegeben. Eine Erklärung hierzu wurde von der Klägerin nicht dargetan. Es wurde auch nicht erklärt, sie habe erst jetzt von diesem Sachverhalt erfahren. Da die Mutter 1992 und der Vater 1985 verstorben sind und die Klägerin keine Kenntnis hatte, ob der damalige Hausarzt noch lebt, ist auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin von der Tabletteneinnahme erst zum jetzigen Zeitpunkt erfahren hat. Laut Angaben der Klägerin in ihrem Antrag aus dem Jahr 2009, habe sie selbst nach dem Geständnis ihrer Mutter am Sterbebett nicht näher nachgefragt. In einem Schreiben vom 22.02.1998 teilte sie zudem mit, sie wisse nur, dass ihre Mutter ihr gegenüber ein schlechtes Gewissen gehabt habe. Aufgrund dessen sind die Angaben der Klägerin zu der Einnahme von Thalidomid durch ihre Mutter insgesamt nicht glaubhaft.
34Auch eine Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung des Erscheinungsbildes der geltend gemachten Fehlbildungen führt nicht zu der Annahme, dass die Fehlbildungen der Klägerin zumindest mit Wahrscheinlichkeit mit einer Conterganeinnahme der Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können.
35Vgl. zur Bedeutung des Erscheinungsbildes für die Annahme eines Kausalzusammenhangs: Begründung des Gesetzentwurfs über die Errichtung einer nationalen Stiftung „Hilfswerk für das behinderte Kind“, BT-Drs. VI/926, S. 8, ferner OVG NRW, Beschluss vom 14.01.2015 - 16 E 435/13 -.
36Hiervon hat sich die Kammer nach Auswertung sämtlicher ärztlicher Stellungnahmen, insbesondere der von der Medizinischen Kommission der Beklagten eingeholten Stellungnahmen der Frau Prof. Dr. L. sowie des im gerichtlichen Verfahren eingeholten Gutachtens des Herrn Prof. Dr. G. überzeugt.
37Das einseitige Schädigungsmuster der oberen rechten Extremität sowie die Blockwirbelbildung im Bereich der Halswirbelsäule und die Kombination Kreuzbeindsyplasie/Steißbeinaplasie sprechen gegen eine Thalidomidembryopathie.
38Die Klägerin zeigt an den oberen Extremitäten ein einseitiges Schädigungsmuster, da eine krankhaft veränderte rechte obere Extremität bei gesunder linker oberer Extremität vorliegt. Diesbezüglich besteht Einigkeit aller Gutachter.
39Angesichts der Wirkweise von Thalidomid ist es nachvollziehbar, wenn Frau Prof. Dr. L. , Herr Dr. T. -I. und Herr Prof. Dr. G. die Schädigung nur einer Körperseite für nicht denkbar halten. Wie Frau Prof. Dr. L. unter dem 23.04.2013 erläutert, wirkt Thalidomid auf den embryonalen Blutstrom in den unterschiedlichen Entwicklungsphasen, was regelmäßig eine beidseitige Schädigung zur Folge hat. Herr Prof. Dr. G. erklärt ergänzend in seinem Gutachten vom 21.03.2015 ausführlich und nachvollziehbar den Unterschied zwischen einer Asymmetrie und einer Einseitigkeit der Schädigungen. Demnach liegt eine Asymmetrie bei Betroffenheit von zwei Extremitäten in qualitativ und/oder quantitativ unterschiedlichem Ausmaß vor, während Einseitigkeit bedeutet, dass ausschließlich eine Extremität krankhaft verändert und die andere vollkommen normal entwickelt ist. Asymmetrien können im Rahmen der Embryoentwicklung erklärbar sein. Eine einseitige Betroffenheit ist jedoch in der Literatur, auch in der von der Klägerin erwähnten Monographie von McCredie, nicht zu finden.
40Herr Dr. T. -I. verweist zwar unter dem 13.12.2009 auf eine andere Geschädigte mit stark asymmetrischen Fehlbildungen. Nachdem er sich jedoch mit diesem Fall befasst hatte, kam er zu dem Ergebnis, dass der Fall mit dem Schädigungsmuster der Klägerin nicht vergleichbar ist. Im Gegensatz zu der einseitigen Schädigung der Klägerin lagen stark asymmetrische Fehlbildungen an beiden Armen vor.
41Der Umstand, dass in der der Medizinischen Punktetabelle zwischen einseitigen und zweiseitigen Schädigungen differenziert wird, beruht auf der Tatsache, dass beidseitige Schädigungen nicht absolut symmetrisch sein müssen. Eine Extremität auf der einen Körperseite kann durchaus mehr betroffen sein als die andere Körperseite.
42Wie die Kammer aus verschiedenen Verfahren ersehen kann, konnte die Medizinische Kommission der Beklagten zu der Frage der Anerkennung stark asymmetrischer Fehlbildungen noch keine vollständige einheitliche Haltung finden. Dies betrifft jedoch bezogen auf Extremitäten nur die Frage des Grades der Asymmetrie bzw. die Größe des Unterschiedes zwischen der linken und rechten Extremität. Selbst wenn demnach in Betracht kommen sollte, dass die Einseitigkeit von Fehlbildungen zumindest dann einem Zusammenhang mit Thalidomid nicht entgegensteht, wenn bei Vorhandensein einer normal ausgeprägten Seite die Fehlbildung auf der anderen Seite nur sehr milde ausfällt und damit ein lediglich geringer Unterschied zwischen den Körperseiten besteht, führt dies hier zu keiner abweichenden Bewertung. Denn die Fehlbildung der Klägerin an der rechten oberen Körperseite ist sehr deutlich ausgeprägt, während die linke obere Körperseite keine Fehlbildungen aufweist.
43Vgl. hierzu auch Smithells/Newman, Recognition of thalidomid defects, 1992, 29, 716 ff., wonach die Wahrscheinlichkeit einer genetischen oder stofflichen (wie Thalidomid) Ursache mit der Zunahme der Unterschiede zwischen den Seiten abnimmt.
44Es entspricht daher dem aktuellen Wissensstand, dass eine einseitige Fehlbildung der oberen Extremitäten bei deutlich ausgeprägter Schädigung einer Körperseite, nicht in Verbindung mit Thalidomid gebracht werden kann.
45Die Blockwirbelbildung der Halswirbelsäule und die Kombination Kreuzbeindsyplasie/Steißbeinaplasie sprechen ebenfalls gegen eine Thalidomidembryopathie. Hierzu führt Frau Prof. Dr. L. aus, dass in der nationalen und internationalen Literatur bislang kein einziges Mal über Blockwirbelbildungen der Halswirbelsäule oder über die Kombination Kreuzbeindsyplasie/Steißbeinaplasie berichtet wurde,
46vgl. Ruffing, Die Wirbelsäule bei der Thalidomidembryopathie, 1980; Newman, Teratogen update: Clinical aspects of thalodomide embryopathy – a continuing preoccupation, 1985; Smithells/Newman, Recognition of thalidomide effects, 1992.
47Herr Prof. Dr. G. bekräftigt ebenfalls, dass bei einer thalidomidbedingten Schädigung Blockwirbelbildungen lediglich im Bereich der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule auftreten, nicht jedoch im Bereich der Halswirbelsäule.
48Alleine der Umstand, dass radiale Fehlbildungen des Arms und der Hand, wie sie bei der Klägerin vorliegen, bei einer Thalidomidembryopathie vorkommen, führt nicht zu einer Wahrscheinlichkeit eines Conterganschadens. Diesbezüglich ist darauf hinzuweisen, dass diese auch thalidomidunabhängig auftreten,
49- vgl. OVG Münster, Beschluss vom 02.12.2011 - 16 E 723/11 -.
50Soweit die weiteren geltend gemachten Fehlbildungen der Klägerin wie die Anomalien der inneren Genitalien, die beidseitige Hüftgelenksdyplasie, Kleinwuchs, Skoliose, Blasenentleerungsstörung und Nierenfehlbildung für sich genommen auch bei thalidomidbedingten Schädigungen auftreten, ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass keine dieser Fehlbildungen ausschließlich auf Thalidomid zurückzuführen ist. Die von Thalidomid hervorgerufenen angeborenen Fehlbildungen können für sich genommen auch andere Ursachen haben.
51In dieser Weise äußert sich Frau Prof. Dr. L. , die ausführt, dass vor allem drei Fehlbildungskomplexe, nämlich MRKHS, MURCS Assoziation/Sequenz und VATER Assoziation/Sequenz, bei der Klägerin in Frage kommen und insbesondere alle bei der Klägerin vorliegenden Fehlbildungen in der Literatur zu MURCS gelistet sind. Die Vorlage der humangenetischen Beurteilung des Herrn Dr. O. vom 20.08.2012 kann diese Annahme nicht entkräften. Dieser konnte zwar keine sicher pathogene Mutation der untersuchten Gene bei der Klägerin feststellen. Er führt jedoch aus, dass bereits die Einseitigkeit der Fehlbildung der oberen Extremität gegen eine Thalidomidembryopathie spricht und erläutert, dass die genetischen Ursachen des MRKH-Syndroms größtenteils unbekannt sind und ein fehlender Nachweis einer Mutation im HNF1B-ITCF2-Gen ein MRKH-Syndrom nicht ausschließt. Hierzu macht Herr Prof. Dr. G. deutlich, dass es sich bei den oben genannten Krankheitsbildern nicht um ein klar definiertes Syndrom handelt, sondern um eine Verschmelzung und sich die Symptomatik der Krankheitsbilder überlappen kann. Ob die Diagnose MRKH/MURCS-Assoziation tatsächlich zutrifft, bedarf keiner Entscheidung. Es genügt vielmehr, dass nach den überzeugenden Ausführungen der Frau Prof. Dr. L. , des Herrn Dr. T. -I. und des Herrn Prof. Dr. G. ein Conterganschaden nicht wahrscheinlich ist.
52Die vorliegenden sachverständigen Stellungnahmen und Gutachten sind auch hinreichend geeignet, dem Gericht die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen zu vermitteln. Sie weisen keine auch für den Nichtsachkundigen erkennbaren (groben) Mängel auf, beruhen vielmehr auf dem anerkannten Wissensstand. Sie gehen von zutreffenden tatsächlichen Verhältnissen aus, enthalten keine unlösbaren Widersprüche und geben keinen Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Sachverständigen.
53Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 06.02.2012 - 1 A 1337/10 -; BVerwG, Beschluss vom 09.08.1983 - 9 B 1024/83 -.
54Insbesondere ist Frau Prof. Dr. L. aufgrund der ihr vorgelegten, umfangreichen Unterlagen von einer korrekten Fehlbildungssymptomatik ausgegangen. Dies wird auch durch das Gutachten von Herrn Prof. Dr. G. bestätigt, dem noch weitere Röntgenaufnahmen der Klägerin vorlagen. Die einzelnen Fehlbildungen der Klägerin waren zudem auch nicht streitig, sondern lediglich die Bewertung als Conterganschaden. Entgegen des Vortrags der Klägerin hat sich Frau Prof. Dr. L. auch in ihrer Stellungnahme vom 23.04.2013 eingehend inhaltlich mit den zuvor gestellten Untersuchungsergebnissen auseinandergesetzt. Das von der Klägerin erwähnte Parallelverfahren, in dem Frau Prof. Dr. L. die Unwahrheit bezüglich einer Meinungsverständigung mit Herrn Dr. H. geschrieben haben soll, ist der Kammer bekannt. In diesem Parallelverfahren hat Frau Prof. Dr. L. mehrmals ausführlich, glaubhaft und nachvollziehbar Stellung zu diesem Vorwurf genommen. Anlass, an der Unparteilichkeit der Gutachterin im vorliegenden Verfahren zu zweifeln, besteht daher nicht.
55Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Gutachten des Herrn Prof. Dr. Q. vom 19.01.2009. Soweit darin das Vorliegen eines Conterganschadens bestätigt wird, fehlt es an einer nachvollziehbaren Begründung im Hinblick auf die Einseitigkeit der Fehlbildungen an den oberen Extremitäten sowie einer Würdigung aller Fehlbildungen. Herr Prof. Dr. Q. weist darauf hin, dass eine Fehlbildung des rechten Arms bei normal ausgebildetem linken Arm im Vergleich zu einer Beteiligung beider Körperseiten deutlich seltener vorkommt und verweist diesbezüglich auf eine anerkannte Contergan-geschädigte ohne sich jedoch weiter mit diesem Thema und einer tatsächlichen Vergleichbarkeit der Fälle zu befassen. Es fehlen Angaben zu der Problematik der strengen Einseitigkeit der Fehlbildungen, die geeignet wären, die Ausführungen der übrigen Sachverständigen zu erschüttern oder durchgreifend in Zweifel zu ziehen. Zudem setzt er sich auch nicht mit der - auch von ihm festgestellten - Blockwirbelbildung im Bereich der Halswirbelsäule und der Kombination Kreuzbeindysplasie/Steißbeinaplasie auseinander.
56Auch die Einschätzung des Herrn Dr. X. führt zu keinem anderen Ergebnis. Dieser betrachtete nur die inneren Schädigungen der Klägerin und stellte die Anerkennung eines Conterganschadens bezüglich der Fehllage der Niere und der Blasenentleerungsstörung unter die Bedingung, dass die Skoliose als Conterganschaden anerkannt wird. Eine abschließende Bewertung wurde daher durch Herrn Dr. X. nicht getroffen. Insbesondere ist bei der Bewertung, ob ein Conterganschaden wahrscheinlich ist, nicht nur auf einzelne Fehlbildungen abzustellen, sondern maßgebend ist immer das Gesamtbild des Schädigungsmusters.
57Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 188 Satz 2 VwGO.
58Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr.11, 711 VwGO.
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(1) Ein Sachverständiger kann aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Ein Ablehnungsgrund kann jedoch nicht daraus entnommen werden, dass der Sachverständige als Zeuge vernommen worden ist.
(2) Der Ablehnungsantrag ist bei dem Gericht oder Richter, von dem der Sachverständige ernannt ist, vor seiner Vernehmung zu stellen, spätestens jedoch binnen zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung. Zu einem späteren Zeitpunkt ist die Ablehnung nur zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen. Der Antrag kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden.
(3) Der Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides statt darf die Partei nicht zugelassen werden.
(4) Die Entscheidung ergeht von dem im zweiten Absatz bezeichneten Gericht oder Richter durch Beschluss.
(5) Gegen den Beschluss, durch den die Ablehnung für begründet erklärt wird, findet kein Rechtsmittel, gegen den Beschluss, durch den sie für unbegründet erklärt wird, findet sofortige Beschwerde statt.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Den in § 12 genannten leistungsberechtigten Personen stehen als Leistungen zu:
- 1.
eine einmalige Kapitalentschädigung, - 2.
eine lebenslängliche Conterganrente vorbehaltlich des Absatzes 2 Satz 3, - 3.
jährliche Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe und - 4.
eine jährliche Sonderzahlung, die erstmals für das Jahr 2009 und letztmalig für das Jahr 2022 gewährt wird.
(2) Die Höhe der in Absatz 1 genannten Leistungen richtet sich nach der Schwere des Körperschadens und der hierdurch hervorgerufenen Körperfunktionsstörungen und liegt
- 1.
bei der einmaligen Kapitalentschädigung zwischen 1 278 Euro und 12 782 Euro, - 2.
bei der monatlichen Conterganrente zwischen 662 Euro und 7 480 Euro, - 3.
bei den jährlichen Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe zwischen 876 Euro und 9 900 Euro. Zusätzlich erhält jede leistungsberechtigte Person einen jährlichen Sockelbetrag von 4 800 Euro.
(3) Auf Antrag ist die Conterganrente zu kapitalisieren, soweit der Betrag zum Erwerb oder zur wirtschaftlichen Stärkung eigenen Grundbesitzes zu eigenen Wohnzwecken verwendet wird. Die §§ 72, 73, 74 Abs. 3 Satz 1, §§ 75, 76 und 77 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 des Bundesversorgungsgesetzes finden entsprechende Anwendung. § 75 Abs. 1 Satz 2 des Bundesversorgungsgesetzes findet mit der Maßgabe Anwendung, dass die Veräußerung und Belastung des mit der Kapitalabfindung erworbenen oder wirtschaftlich gestärkten Grundstücks, Erbbaurechts, Wohnungseigentums oder Wohnungserbbaurechts innerhalb der Frist, für die die Conterganrente kapitalisiert wurde, nur mit Genehmigung der Stiftung zulässig sind. Die Kosten der Eintragung einer Verfügungsbeschränkung gemäß § 75 Abs. 1 Satz 2 bis 4 des Bundesversorgungsgesetzes in das Grundbuch trägt die leistungsberechtigte Person. Darüber hinaus ist die Conterganrente auf Antrag zu kapitalisieren, wenn dies im berechtigten wirtschaftlichen Interesse der leistungsberechtigten Person liegt. Im Übrigen kann die Conterganrente auf Antrag teilweise kapitalisiert werden, wenn dies im Interesse der leistungsberechtigten Person liegt. Die Kapitalisierung ist auf die für einen Zeitraum von höchstens zehn Jahren zustehende Conterganrente beschränkt. Der Anspruch auf Conterganrente, an deren Stelle die Kapitalabfindung tritt, erlischt für die Dauer des Zeitraumes, für den die Kapitalabfindung gewährt wird, mit Ablauf des Monats, der auf den Monat der Auszahlung der Abfindung folgt.
(4) Die Zahlungen der Conterganrente beginnen frühestens mit dem Antragsmonat. Wird der Antrag innerhalb von drei Monaten nach dem Inkrafttreten des Errichtungsgesetzes gestellt, so wird die Conterganrente vom Zeitpunkt des Inkrafttretens an gewährt. Die jährlichen Sonderzahlungen beginnen nach Maßgabe des Absatzes 1 Satz 1 mit dem Jahr, in dem der Antrag auf Conterganrente gestellt worden ist. Für die Auszahlung der Mittel für die jährlichen Sonderzahlungen nach Absatz 1 Satz 3 werden Anträge auf Leistungen nach diesem Gesetz oder Anträge auf Erhöhung der Leistungen nach diesem Gesetz berücksichtigt, die bis einschließlich 31. Dezember 2021 gestellt worden sind. Die Zahlung der jährlichen Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 beginnt ab dem 1. Januar 2017.
(5) Die Ansprüche auf die in Absatz 1 genannten Leistungen können nicht übertragen, verpfändet oder gepfändet werden. Vererblich sind lediglich Ansprüche auf Kapitalentschädigung, auf Conterganrente und auf die jährliche Sonderzahlung, die im Zeitpunkt des Todes der leistungsberechtigten Person bereits fällig geworden sind, und zwar nur dann, wenn die Person von ihrem Ehegatten, ihrer Lebenspartnerin oder ihrem Lebenspartner, ihren Kindern oder ihren Eltern beerbt wird.
(6) Das Nähere regeln die Satzung und die Richtlinien. Die Satzung trifft insbesondere Bestimmungen über die Voraussetzungen und den Umfang der Kapitalisierung der Conterganrente nach Absatz 3 Satz 5 und 6 sowie über die Art der Berechnung des Kapitalbetrages. In den Richtlinien ist insbesondere zu regeln, nach welchen Maßstäben auf der Grundlage der zur Verfügung stehenden Mittel Leistungen nach diesem Abschnitt zu bemessen sind und wie das Verfahren zur Gewährung von Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe auszugestalten ist; diese Richtlinien erlässt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
(7) An Erhöhungen der Conterganrente nehmen auch leistungsberechtigte Personen teil, deren Conterganrente nach Absatz 3 kapitalisiert worden ist.
(8) Für die Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen gelten die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes entsprechend. § 118 Abs. 3 und 4 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ist entsprechend anwendbar.
(1) Leistungen wegen Fehlbildungen, die mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Grünenthal GmbH, Aachen, durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können, werden an die Leistungsberechtigten gewährt, die bei Inkrafttreten des Errichtungsgesetzes lebten, und nach Maßgabe des § 13 Abs. 5 Satz 2 an deren Erbinnen und Erben.
(2) Wurden Leistungen nach § 13 des Errichtungsgesetzes nicht innerhalb der dort vorgesehenen Frist geltend gemacht, können die Conterganrente und eine Kapitalentschädigung für die Zeit ab 1. Juli 2009 beantragt werden.
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 25. März 2013 geändert. Dem Kläger wird für das erstinstanzliche Klageverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Q. U. aus X. beigeordnet.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
1
Gründe
2Die Beschwerde des Klägers ist begründet. Der Kläger, der nach den von ihm dargelegten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, kann für die Durchführung des erstinstanzlichen Klageverfahrens die Bewilligung von Prozesskostenhilfe einschließlich der Beiordnung eines Rechtsanwalts beanspruchen (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1, Satz 1, den §§ 115 und 117, § 119 Abs. 1 und § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO). Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg böte. Denn es kommt nach summarischer Prüfung in Betracht, dass seine Klage mit dem Antrag,
3die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 27. Februar 2012 und des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2012 zu verpflichten, ihn, den Kläger, als Contergangeschädigten anzuerkennen,
4entgegen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts doch Aussicht auf Erfolg hat.
5Das Begehren des Klägers dürfte nicht an Ausschlussfristen für die Geltendmachung des Anerkennungsbegehrens scheitern. Die vormalige Bestimmung des § 13 des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung "Hilfswerk für behinderte Kinder" vom 17. Dezember 1971 (BGBl. I S. 2018; im folgenden: Errichtungsgesetz) in der zuletzt geltenden Fassung ist für das Begehren des Klägers nicht mehr maßgeblich. Nach dieser Bestimmung konnten Leistungen wegen Fehlbildungen, die mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Firma D. H. GmbH in T. durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können, (nur) gewährt werden, wenn die Leistungen bis zum 31. Dezember 1983 bei der Stiftung geltend gemacht worden sind, was in Bezug auf den Kläger offensichtlich nicht der Fall gewesen ist. Demgegenüber sieht § 12 Abs. 2 des Conterganstiftungsgesetzes (ContStifG) in der nunmehr geltenden Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des ContStifG vom 25. Juni 2009 vor, dass die Conterganrente und eine Kapitalentschädigung für die Zeit ab 1. Juli 2009 beantragt werden können, wenn Leistungen nach § 13 des Errichtungsgesetzes nicht innerhalb der dort vorgesehenen Frist geltend gemacht wurden. Das trifft, wie schon erwähnt, auf den Kläger zu, dessen Eltern zwar frühzeitig Ansprüche wegen einer möglichen Conterganschädigung erhoben haben, aber nicht (mehr) tätig geworden sind, nachdem die o. g. Stiftung gegründet worden ist. Diesen Fall regelt § 12 Abs. 2 ContStifG. Das Normverständnis des Verwaltungsgerichts, wonach § 12 Abs. 2 ContStifG nur dann die Möglichkeit der Leistungsbeantragung mit Wirkung für die Zeit ab dem 1. Juli 2009 ermöglicht, wenn Leistungen nach § 13 des Errichtungsgesetzes nicht innerhalb der dort vorgesehenen Frist geltend gemachtwerden konnten, findet im Wortlaut dieser Bestimmung keinen Niederschlag und ergibt sich auch nicht bei der zusätzlichen Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien zum Zweiten Gesetz zur Änderung des ContStifG. Soweit es etwa im Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vom 24. März 2009 (BT‑Drucks. 16/12413) heißt, die "bisher von der Ausschlussfrist betroffenen" contergangeschädigten Menschen sollten die Möglichkeit erhalten, künftig Leistungen geltend zu machen, zwingt das nicht zu der vom Verwaltungsgericht für zutreffend gehaltenen Wertung, nur solche Personen seien von der Ausschlussfrist betroffen, die bisher keinen Antrag stellen konnten. Vielmehr sind alle diejenigen von der bisherigen Ausschlussfrist betroffen, die einen Leistungsantrag ‑ warum auch immer ‑ nicht gestellt haben. Abgesehen davon gab es auch im Fall des Klägers Gründe für die Nichtantragstellung vor dem Stichtag des 31. Dezember 1983, die zwar nicht zwingend eine rechtzeitige Antragstellung ausgeschlossen haben, dies aber doch als nachvollziehbar erscheinen lassen. Dazu gehört insbesondere, dass den Eltern des Klägers schon im zeitlichen Vorfeld der Schaffung der Stiftung "Hilfswerk für behinderte Kinder" bedeutet worden war, eine Anerkennung der Behinderungen des Klägers als Conterganschädigung komme aus medizinischen Gründen nicht in Betracht, sie also, möglicherweise sachlich zu Unrecht, mit der Aussichtslosigkeit einer Antragstellung bei der Stiftung konfrontiert worden sind und deshalb resigniert haben.
6Dem Anerkennungsbegehren des Klägers steht auch nicht entgegen, dass er bzw. sein Vater im Jahr 1989 die Wiederaufnahme eines vor Jahren abgelehnten Anerkennungsverfahrens beantragt hat und die Stiftung seinerzeit ‑ durch erneute Befragung des schon zuvor in Erscheinung getretenen Gutachters Prof. Dr. Dr. X1. M. ‑ aus Sachgründen mit Bescheiden vom 20. August 1990 sowie vom 7. Mai 1992 bzw. mit Widerspruchsbescheid vom 25. November 1992 die Anerkennung des Klägers abgelehnt hat. Denn in dem sich anschließenden (zivil‑)gerichtlichen Verfahren ist die sachliche Frage, worauf die multiplen Körperschäden des Klägers zurückzuführen sind, nicht abschließend gewürdigt worden. Vielmehr beruhen die Urteile des Landgerichts Bonn vom 13. Juli 1993 sowie des OLG Köln vom 25. Oktober 1994 auf der Einschätzung, dass der als "unstreitig erstmalige" bezeichnete Leistungsantrag "des Jahres 1990" mit Blick auf die Ausschlussfrist des § 13 des Errichtungsgesetzes und auf die Unmöglichkeit einer Wiedereinsetzung in die versäumte Ausschlussfrist keiner sachlichen Entscheidung zugänglich gewesen sei. Damit fehlt es an einer abschließenden ‑ die gerichtliche Überprüfung umfassenden ‑ sachlichen Würdigung der bis damals vorliegenden medizinischen Befunde, und dies im Ergebnis mit der Begründung, dass die Ausschlussfrist des § 13 des Errichtungsgesetzes diese Überprüfung ausschließe. Das ist gerade der Sachverhalt, der nunmehr durch § 12 Abs. 2 ContStifG in dem Sinne geregelt wird, dass für die Zukunft unabhängig von der Versäumung einer Antragstellung vor dem 1. Januar 1984 Ansprüche auf Hilfen für Contergangeschädigte geprüft und gegebenenfalls zuerkannt werden.
7Schließlich ist auch die Frage der sachlichen Berechtigung des Anerkennungsbegehrens des Klägers als Contergangeschädigter nicht mit einer Eindeutigkeit zu verneinen, die schon eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe ausschließt. Sowohl in § 2 ContStifG (Stiftungszweck) als auch in § 12 Abs. 1 ContStifG (Leistungsberechtigte Personen) ist der Kreis der anspruchsberechtigten Personen weit gefasst (behinderte Menschen, deren Fehlbildungen mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der H. GmbH, B. , durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können), um zugunsten etwaiger Betroffener der Unmöglichkeit einer über jeden Zweifel erhabenen Kausalitätsfeststellung Rechnung zu tragen.
8Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 2. Dezember 2011 ‑ 16 E 723/11 ‑, juris, Rn. 2, und vom 25. März 2013 ‑ 16 E 1139/12 ‑, juris, Rn. 2.
9Eine Conterganeinnahme durch die Mutter des Klägers während der Schwangerschaft hat nach ihren glaubhaften, auch eidesstattlich versicherten Einlassungen stattgefunden. So hat bereits kurz nach der Geburt des Klägers am 18. April 1962, nämlich am 28. April 1962, ein namentlich nicht bekannter Arzt des Krankenhauses, in dem die Geburt stattgefunden hatte, dem Hausarzt der Familie des Klägers mitgeteilt, wie die Geburt vonstattengegangen ist und welche Missbildungen beim Kläger vorliegen. Er hat insoweit ausgeführt: "Interessanterweise hat Pat. in den ersten Schwangerschaftsmonaten Contergan forte eingenommen; ein ursächlicher Faktor, der ja heute viel diskutiert wird." Da erst im November 1961 erstmals in der Presse über den Conterganverdacht berichtet worden war und nachfolgend die strafrechtlichen Ermittlungen aufgenommen wurden,
10vgl. im Einzelnen Kirk, Der Contergan‑Fall: eine unvermeidbare Arzneimittelkatastrophe? Zur Geschichte des Arzneistoffs Thalidomid (1999), S. 85 ff.,
11handelte es sich seinerzeit noch um eine neue und ungesicherte Verdachtslage. Daher liegt es fern, dass die frühzeitige und offensichtlich spontane Angabe der Mutter des Klägers über den Tablettenkonsum im Sinne einer Förderung oder Sicherung etwaiger Regressansprüche zielgerichtet gewesen sein könnte. Aus dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. M. an das Treuhändergremium vom 23. September 1971 geht überdies hervor, dass auf der Grundlage der ‑ nach seiner Einschätzung allerdings unbelegten ‑ Angaben der Mutter des Klägers die Einnahme von Contergan bei normaler Dauer der Schwangerschaft zum Teil in die "sensible Phase" gefallen sei.
12Nach den Gutachten, die seit 1967 über die mögliche Ursache der Missbildungen beim Kläger erstellt worden sind, kann mit hinlänglicher Sicherheit nur ausgeschlossen werden, dass die Veränderungen an den Gliedmaßen des Klägers, insbesondere des linken Unterschenkels, mit der Einnahme von Thalidomid in Verbindung gebracht werden können. Dagegen spricht vor allem das Vorhandensein von Abschnürungsfurchen, die für amniotische (von sich ablösenden Bändern der Fruchtblase, die sich um den Fötus legen können, herrührende) Schädigungen, nicht aber für thalidomidbedingte Missbildungen charakteristisch sind. Allerdings gehört zu den Missbildungen des Klägers auch eine doppelseitige Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte (sog. Wolfsrachen), die zumindest vereinzelt auch im Zusammenhang mit der Einnahme von Thalidomid während der Schwangerschaft der Mutter festgestellt worden ist; das folgt etwa aus dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. M. vom 4. Dezember 1967, wobei dieser aber zugleich betont, das könne "keinesfalls als typisch angesehen werden". Soweit Prof. Dr. Dr. M. , der gemeinhin als der "Entdecker" des Zusammenhangs zwischen den um das Jahr 1960 gehäuft aufgetretenen spezifischen Missbildungsfällen und der Einnahme von Thalidomid durch die Mütter der geschädigten Kinder während der Schwangerschaft gilt und wesentlichen Anteil an der wissenschaftlichen Erforschung der Contergan‑Problematik hatte, in dem genannten Gutachten darauf hinweist, dass Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalten häufig zusammen mit den übrigen ‑ nicht thalidomidbedingten ‑ Schädigungen, wie sie beim Kläger vorliegen, auftreten und sich daher "für die Gesamtheit der [beim Kläger festgestellten] Mißbildungen … eindeutig feststellen [lasse], daß sie in keiner Weise typisch für Mißbildungen nach Thalidomideinnahme sind", liegt dem offenkundig eine monokausale Betrachtung zugrunde, die sich an typischen Erscheinungsformen multipler Missbildungen orientiert, aber nicht erkennbar der Frage nachgeht, ob sich im Einzelfall ausnahmsweise mehrere ursächliche Faktoren ‑ amniogene und thalidomid-bedingte Schädigungen ‑ nebeneinander ausgewirkt haben könnten bzw. was dagegen sprechen könnte, dass es sich beim Kläger ausnahmsweise so verhalten hat. In seiner weiteren Stellungnahme vom 28. Mai 1990 verweist Prof. Dr. Dr. M. auf seine früheren Gutachten und benennt Literaturstellen, die sich mit amniogenen Fehlbildungen vor allem der Lippen und des Gaumens befassen; auf seine vormalige Einschätzung, dass Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalten auch als Thalidomid-Schädigungsfolge aufgetreten seien, geht der Gutachter indessen ebenso wenig ein wie auf die Möglichkeit einer "doppelten Kausalkette".
13Das Gutachten von Prof. Dr. X2. , Direktor des Instituts für Humangenetik der Universität C. , vom 20. April 1971 beschreibt die einzelnen Fehlbildungen beim Kläger, wobei er auch noch die Möglichkeit eines linksseitigen Enophthalmus (Einsinken des Augapfels in die Augenhöhle) erwähnt, und kommt abschließend zu der Einschätzung, dass es eine derartige Fehlbildungskombination im Rahmen einer Thalidomid-Embryopathie nicht gebe. Er erörtert demgegenüber nicht die Frage, ob die Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte ‑ gegebenenfalls auch der Enophthalmus ‑ isoliert betrachtet auf Thalidomid zurückzuführen sein könnte und nimmt folglich auch die Möglichkeit einer Doppelkausalität nicht in den Blick.
14Auch das im laufenden Anerkennungsverfahren erstattete Gutachten von Frau Prof. Dr. L. , Universität N. , vom 1. August 2012 kommt zu dem Ergebnis, dass an der schon in der Vergangenheit gestellten Diagnose einer ‑ von ihr so bezeichneten ‑ "Amnionbänder Sequenz" auch aus heutiger Sicht nicht zu zweifeln sei. Die amniotischen Abschnürungen (Schnürfurchen) an den Fingern, Unterschenkeln und Füßen seien auf vorliegenden Fotos gut zu erkennen; auch die Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte gehöre zu diesem Fehlbildungskomplex. In der humangenetischen Literatur seien unzählige Patienten dokumentiert, die dem Phänotyp des Klägers ähnelten. Hingegen handele es sich nicht um ein teratogenes (u.a. durch Chemikalien hervorgerufene Einwirkungen auf den Embryo) Krankheitsbild, schon gar nicht um einen thalidomidbedingten Fehlbildungskomplex. Im Zusammenhang mit Thalidomidschädigungen seien die beim Kläger vorzufindenden Hand‑ und Fußfehlbildungen mit Syndaktylien (Verwachsungen bzw. Nichttrennung von Finger‑ oder Zehengliedern) und Schnürfurchen nie aufgetreten. Vielmehr seien für eine Conterganschädigung je nach dem Zeitpunkt der Einnahme spezifische und relativ symmetrisch angelegte Missbildungen an Händen, Füßen und Unterschenkeln charakteristisch, wie sie beim Kläger gerade nicht vorlägen. Aus diesen gutachterlichen Äußerungen geht mithin hervor, dass ‑ wie schon oben festgehalten ‑ die Schädigungen an den äußeren Extremitäten des Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mit der Conterganeinnahme durch seine Mutter während der Schwangerschaft zusammenhängen. Indessen beschränken sich die Angaben der Gutachterin zu der seit der Geburt des Klägers vorliegenden Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte darauf, dass auch diese zu dem Fehlbildungskomplex "Amnionbänder Sequenz" gehöre. Eine klare Abgrenzung zu einer möglichen teratogenen Schädigung wird ‑ anders als in Bezug auf die Missbildungen an den Gliedmaßen ‑ mit Blick auf die Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte hingegen nicht gezogen. Nach Auffassung des Senats bleibt damit im Anschluss an die Auffassung von Prof. Dr. Dr. M. , dass eine Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte ‑ wenngleich wohl eher selten ‑ auch in Conterganfällen angetroffen worden sei, die Frage einer "doppelten Kausalität" offen. Allein der von Frau Prof. Dr. L. erneut hervorgehobene Umstand, dass Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalten häufig ‑ und ohne Anhaltspunkte für teratogene Ursachen ‑ im Zusammenhang mit amniogenen Schädigungsbildern auftrete, widerlegt nicht die aufgrund der sicheren Conterganeinnahme durch die Mutter des Klägers mehr als nur rein theoretische Möglichkeit, dass im Fall des Klägers eine Kombination aus einer teratogenen und einer amniogenen Schädigung gegeben ist. Eine solche Möglichkeit könnte nur dann ausgeschlossen werden, wenn entweder auch in Hinblick auf die Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte des Klägers Spezifika vorlägen, die eindeutig auf eine amniotische Verursachung hinweisen, oder aber wenn verdeutlicht worden wäre, dass im Zusammenhang mit der Einnahme von Thalidomid nie ausschließlich eine Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte festgestellt worden wäre. Daran fehlt es aber auch mit Blick auf das Gutachten von Frau Prof. Dr. L. nach wie vor.
15Die Stellungnahme von Privatdozent Dr. H1. aus O. ‑ Facharzt für Orthopädie/Unfallchirurgie/Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sportmedizin/Kinder-orthopädie ‑ vom 29. Dezember 2011 verhält sich ausschließlich zu den Missbildungen des Klägers an den Händen bzw. am linken Bein und kommt wie die vorherigen Gutachter und nachfolgend Frau Prof. Dr. L. zu der Einschätzung, dass diese Befunde nicht typisch für einen Conterganschaden seien und daher insgesamt der Antrag des Klägers abzulehnen sei. Eine spezielle Auseinandersetzung mit der Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte des Klägers bzw. mit den insoweit in Frage kommenden Ursachen findet sich in dieser Stellungnahme nicht. Frau Dr. X3. aus L1. kommt schließlich in ihrer Stellungnahme vom 29. Juli 2010 ‑ wie schon Prof. Dr. Dr. M. ‑ zu der Einschätzung, dass die beim Kläger bestehende beiderseitige Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte (jedenfalls für sich betrachtet) mit einem Conterganschaden vereinbar sei und mit 25 Punkten veranschlagt werden sollte.
16Abschließend weist der Senat noch darauf hin, dass die diversen Diagnosen von den Kläger behandelnden Ärzten, die fast durchweg (insgesamt) von einer thalidomidbe-dingten Schädigung des Klägers berichten, neben den oben wiedergegebenen Fachgutachten nicht ins Gewicht fallen. Es spricht weit Überwiegendes dafür, dass diese Mediziner keine genaue und abschließende Beurteilung der Schädigungsursache abgeben wollten und mussten und sich daher auf die anamnestischen Angaben des Klägers bzw. auf einen "ersten Eindruck" verlassen haben. Erwähnenswert erscheint dem Senat in diesem Zusammenhang aber die Diagnose von Dr. M1. und Dr. X4. von der Westfälischen Wilhelms‑Universität N1. ‑ Klinik und Poliklinik für Technische Orthopädie und Rehabilitation ‑ im Arztbrief vom 19. März 1990, in dem neben der Angabe "Angeborene Fehlbildung an den Extremitäten durch Amnionabschnürungen" weiter von "Verdacht auf Thalidomidschaden" und (beziehungslos dahinterstehend) "Lippen‑, Kiefer‑, Gaumenspalte" die Rede ist. Nachfolgend wird ausgeführt, neben den Fehlbildungen an den äußeren Extremitäten, die klinisch eher einer Amnion-Abschnürung entsprächen, seien in der Folge auch Fehlbildungen am Schädel wie eine Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte, eine Fehlstellung der Zähne, eine einseitige Schwerhörigkeit sowie eine Zwerchfellhernie aufgefallen; alle diese Schäden sprächen "eher wieder für einen Conterganschaden". Damit schließen diese Mediziner die Möglichkeit von Schädigungen unterschiedlicher Genese offensichtlich nicht aus. In eine ähnliche Richtung könnte auch die ärztliche Bescheinigung des Prof. Dr. S. , Städtische Krankenanstalten C1. ‑ Chirurgische Abteilung der Kinderklinik ‑, vom 13. Februar 1965 weisen, in der die Diagnose einer doppelseitigen Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte (und auch die bis in die Stirn hinein klaffende Sagittalnaht) den "multiplen Amnionabschnürungen" zur Seite gestellt ‑ und gerade nicht in das Bild einer insgesamt amniogenen Schädigung einbezogen ‑ werden; entsprechend verhält es sich auch in der Stellungnahme der Stationsärztin Dr. G. , Städtische Krankenanstalten C1. , vom 3. Oktober 1962 ("Es handelte sich um eine doppelseitige Lippen‑Kiefer‑Gaumenspalte; gleichzeitig bestehen multiple Amnionabschnürungen").
17Die Kostenentscheidung folgt aus § 188 Satz 2 VwGO sowie aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.
18Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
Die Sachgebiete in Angelegenheiten der Fürsorge mit Ausnahme der Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes, der Jugendhilfe, der Kriegsopferfürsorge, der Schwerbehindertenfürsorge sowie der Ausbildungsförderung sollen in einer Kammer oder in einem Senat zusammengefaßt werden. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in den Verfahren dieser Art nicht erhoben; dies gilt nicht für Erstattungsstreitigkeiten zwischen Sozialleistungsträgern.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.