Verwaltungsgericht Köln Urteil, 23. Feb. 2016 - 7 K 2817/14
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt die Klägerin.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Die am 00.00.0000 in Brasilien geborene Klägerin begehrt Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz. Sie erhält seit dem Jahr 2000 eine lebenslängliche Rente von der brasilianischen Sozialversicherung als Thalidomidgeschädigte.
3Am 01.02.2010 stellte sie bei der Beklagten einen Antrag auf Bewilligung und Zahlung von Kapitalentschädigung und Conterganrente. Sie gab an, ihre Mutter sei während der ersten 4 Schwangerschaftsmonate mit einem thalidomidhaltigen Arzneimittel behandelt worden. Sie habe hierdurch die folgenden Schädigungen erlitten: Missbildung der oberen Glieder, wahrscheinlich Agenesie der linken Niere, schwere Kurzsichtigkeit.
4Die Beklagte legte den Vorgang ihrer Medizinischen Kommission zur Beurteilung vor. Im ärztlichen Gutachten von Dr. T. -I. vom 27.07.2010 wurde festgestellt, dass bei der Klägerin eine schwere Oberarmschädigung, eine Agenesie der linken Niere, eine schwere Kurzsichtigkeit, ein Hypertelorismus und eine plumpe Nase vorlägen. Es wurde vorgeschlagen, die Klägerin wegen sämtlicher Schäden den Fachgutachtern vorzustellen. In der Gesamtbeurteilung hieß es: „Das Vorliegen eines Conterganschadens ist wahrscheinlich.“
5Herr Dr. Graf erklärte in seiner orthopädischen Stellungnahme vom 29.03.2012, es sei eine eindeutige Entscheidung nicht möglich, weil Röntgenbilder sowie Fotos der Hände fehlten. Zunächst sei der Antrag „orthopädischerseits sicher abzulehnen“.
6Mit Bescheid vom 06.06.2012 wurde der Antrag abgelehnt. In der Begründung wurde ausgeführt, es könne nicht sicher davon ausgegangen werden, dass die Mutter seinerzeit ein Präparat der Fa. Grünenthal eingenommen habe. Denn in Brasilien seien thalidomidhaltige Präparate verschiedener Firmen im Handel gewesen. Die Klägerin habe nur angegeben, dass der Mutter „Thalidomida“ für Übelkeit in der Schwangerschaft verordnet worden sei. Außerdem seien die vorgelegten Unterlagen nicht vollständig. Es fehlten Röntgenbilder und Fotos der Hände. Die vorliegenden Röntgenbilder könnten nicht zugeordnet werden, da sie keinen Namen trügen.
7Am 27.07.2012 wurde der Klägerin der Bescheid per e-mail bekanntgegeben. Die Postsendung konnte mehrfach nicht zugestellt werden.
8Daraufhin übersandte die Klägerin mit einem Schreiben vom 05.08.2012 weitere ärztliche Unterlagen, die am 14.09.2012 bei der Beklagten eingingen. In dem Schreiben führte die Klägerin aus, die Mutter habe das Medikament in der frühen Schwangerschaft im November 1960 eingenommen. Die körperlichen Missbildungen seien daher in der empfindlichen Phase der Schwangerschaft verursacht worden. Die Mutter habe ihr vor ihrem Tod im Jahr 2011 bestätigt, dass das Arzneimittel von Grünenthal, und nicht von einer anderen Firma hergestellt worden sei.
9Die Beklagte behandelte das Schreiben als Widerspruch und forderte neue Fotos und Röntgenaufnahmen der oberen Extremitäten an. Die geforderten Unterlagen, insbesondere beschriftete und aussagekräftige Röntgenbilder der oberen Extremitäten, wurden am 22.04.2013 vorgelegt und an die Medizinische Kommission weitergeleitet.
10Mit Widerspruchsbescheid vom 31.03.2014 wurde der Widerspruch, gestützt auf ein ärztliches Gutachten von Frau Dr. L. vom 05.03.2014, zurückgewiesen. In der Begründung wurde ausgeführt, dass es sich bei den geltend gemachten Körperschäden nach der Auffassung von Frau Dr. L. nicht um eine Thalidomidembryopathie handele. Die Fehlbildungen entsprächen nicht dem typischen radialen Schädigungsmuster bei oberen Extremitäten, das in der wissenschaftlichen Literatur bestätigt sei. Bei diesem seien zunächst die Daumen geschädigt, dann zusätzlich die Speichen (Radii), anschließend die Oberarme (Humeri) und zum Schluss die Ellen (Ulnae) und die ulnaren Langfinger. Bei einer schweren Schädigung blieben als Röhrenknochen die Ellen (Ulnae) und die ulnaren Finger erhalten.
11Dieses Muster liege bei der Klägerin nicht vor, denn die Humerusknochen seien zwar hypoplastisch, aber beidseitig erhalten. Beide Radii und Ulnae fehlten. Dieses Muster sei bei Thalidomidschäden nicht beschrieben.
12Der Bescheid wurde am 22.04.2014 zugestellt. Am 19.05.2014 hat die Klägerin Klage erhoben.
13Zur Begründung hat sie vorgetragen, die Annahme der Gutachterin, Frau Dr. L. , dass die vorliegenden Schädigungen nicht thalidomidtypisch seien, widersprächen den übrigen ärztlichen Stellungnahmen. Herr Dr. K. H. habe im Schreiben vom 29.03.2012 ausgeführt, dass die Unterlagen für eine Beurteilung nicht ausreichten. Herr Dr. T. -I. komme in seiner Stellungnahme vom 27.07.2010 zu dem Ergebnis, dass das Vorliegen eines Conterganschadens wahrscheinlich sei. Damit setze sich Frau Dr. L. nicht auseinander.
14Ferner legte die Klägerin weitere ärztliche Bescheinigungen aus Brasilien vor. Im Schreiben des Herrn Dr. N. H1. B. vom Institut für Neurologie in T1. vom 10.07.2014 (Anlage K 1, Beiakte 3), dem radiologischen Gutachten des Herrn Dr. K1. D. D1. , leitender Arzt der Klinik „N1. J. “, vom 10.07.2014 (Anlage K2, Beiakte 3) und in der Stellungnahme des brasilianischen Sozialversicherungsträgers vom 04.10.2000 (Anlage K3, Beiakte 3) werde bestätigt, dass es sich um eine Thalidomidembryopathie handele. Die Gewährung von Unterstützungsleistungen in Brasilien beruhten auf umfassenden ärztlichen Untersuchungen.
15Im Verlauf des Verfahrens sind ergänzend eine Erklärung des Gesundheitsamtes der Stadt Sao Paulo (Prof. Dr. A. N2. ) vom 29.06.2015 (Bl. 75 + 89) und die ärztlichen Stellungnahmen im Verfahren des Sozialversicherungsträgers (Bl. 77, 78) vorgelegt worden. Hiermit hätten fünf Ärzte aus Brasilien eine Thalidomidembryopathie bei der Klägerin bejaht. Dagegen stehe allein das Gutachten von Frau Dr. L. .
16Die Beklagte lasse außer Acht, dass durch Thalidomid geschädigte Personen auch untypische Schädigungsmuster aufweisen könnten. Außerdem fehle jede Erklärung dazu, welche sonstigen Ursachen eine derartige Fehlbildung haben könne.
17Die Klägerin beantragt,
18die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 06.06.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.03.2014 zu verpflichten, der Klägerin Leistungen nach §§ 13 ContStifG zu bewilligen.
19Die Beklagte beantragt,
20die Klage abzuweisen.
21Sie beruft sich auf ergänzende Stellungnahmen von Frau Dr. L. vom 07.10.2014 und vom 19.03.2015.
22Darin führt Frau Dr. L. aus, ihre Beurteilung beruhe – im Gegensatz zu den Gutachten von Herrn Dr. H. vom 29.03.2012 und von Herrn Dr. T2. -I. vom 27.07.2010 – auf Fotos und Röntgenaufnahmen, die erst im Jahr 2013 vorgelegt worden seien. Die Vorgutachten seien daher auf eine unvollständige und unzureichende Grundlage gestützt.
23Bei der Klägerin lägen verkürzte und fehlgebildete Humeri (Oberarmknochen) vor; im Gegensatz dazu wiesen thalidomidgeschädigte Personen verkürzte und fehlgebildete Ulnae auf. Das Schädigungsmuster sei daher nicht thalidomidtypisch.
24Herr Dr. N. H1. B. habe sich nicht mit dem thalidomidtypischen Schädigungsmuster auseinandergesetzt. Außerdem behaupte er, die Mutter der Klägerin habe während der Schwangerschaft „Contergan“ eingenommen. Dieses sei in Brasilien aber nicht im Handel gewesen. Das dort vertriebene Präparat der Fa. Grünenthal habe die Bezeichnung „Sedalis“ getragen. Außerdem seien thalidomidhaltige Arzneimittel anderer Hersteller dort vertrieben worden. Als Nachweis wird ein Auszug aus der Dissertation von Frau Walburga Freitag (Bl. 56) sowie eine Tabelle der kanadischen Gesellschaft der Thalidomidgeschädigten (Bl. 57) vorgelegt.
25Die Röntgenbefunde von Herrn Dr. D1. bestätigten ihre Einschätzung. In diesen werde festgestellt, dass bei der Klägerin beidseits fehlgebildete Humeri sowie beidseits fehlende Unterarme (Radii + Ulnae) vorlägen. Der rechte Humerus sei auf den Röntgenbildern anhand seiner Form eindeutig zu identifizieren. Auf der linken Seite sei der Humerus komplett dysplastisch; es sei jedoch kein „lump“, also kein klumpenförmiger Knochenrest in der Nähe der Schulter, der nicht identifizierbar sei. Auch liege hier keine Synostose von Humerus und Ulna vor.
26Untypisch für eine Thalidomidschädigung seien auch die synostosierten Metacarpalia sowie die Y-Synostose der ulnarseitigen Grundphalangen an der rechten Hand. Außerdem entspreche der Finger der rechten Hand, der am weitesten radial liege, am ehesten einem Daumen. Bei einer thalidomidbedingten Phokomelie fehle jedoch immer der Daumen.
27Es sei auch bei Dr. D1. und den Gutachtern des brasilianischen Sozialversicherungsträgers nicht erkennbar, dass diese sich mit dem typischen Schädigungsmuster befasst hätten.
28Auf Nachfrage des Gerichts ergänzte die Gutachterin, dass die übrigen bei der Klägerin vorliegenden Körperschäden nicht auf eine Thalidomidschädigung hinwiesen. Eine einseitige Nierenagenesie sei in der Allgemeinbevölkerung nicht selten und bei Thalidomidgeschädigten ohne weitere typische Symptome als alleiniges Merkmal nicht beobachtet worden. Kurzsichtigkeit gehöre zu den in der Allgemeinbevölkerung häufigen Krankheitsbildern und habe keinen Zusammenhang mit einer pränatalen Thalidomidexposition. Auch der Hypertelorismus, der keinen Krankheitswert habe, gehöre zu den Varianten der Gesichtsphysiognomie in der Allgemeinbevölkerung. Darüber hinaus komme dieses Symptom bei vielen genetischen Syndromen in Kombination mit weiteren Fehlbildungen vor. Ein gehäuftes Auftreten bei Thalidomidgeschädigten sei nicht bekannt. Eine plumpe Nase könne allein anhand der vorgelegten Fotos der Klägerin nicht festgestellt werden.
29Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge sowie alle weiteren von den Beteiligten vorgelegten Unterlagen, Fotos und Röntgenaufnahmen Bezug genommen.
30E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
31Die zulässige Klage ist nicht begründet.
32Der Bescheid der Beklagten vom 06.06.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.03.2014 ist rechtmäßig. Die Klägerin wird durch die Weigerung der Beklagten, ihr Leistungen nach dem ContStiftG zu bewilligen, nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Absatz 5 Satz 1 VwGO).
33Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 ContStiftG setzt die Gewährung von Leistungen nach § 13 ContStifG voraus, dass der Antragsteller Fehlbildungen aufweist, die mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Grünenthal GmbH, Aachen, durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können. Der Kreis der Anspruchsberechtigten ist weit gefasst, um zugunsten etwaiger Betroffener dem Umstand Rechnung zu tragen, dass eine über jeden Zweifel erhabene Kausalitätsfeststellung unmöglich ist,
34vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 02.12.2011 - 16 E 723/11 -, vom 25.03.2013 - 16 E 1139/12 - und vom 14.01.2015 - 16 E 435/13 -,
35weil sowohl die Aufklärung einer Thalidomideinnahme durch die Mutter während einer mehrere Jahrzehnte zurückliegenden Schwangerschaft als auch die eindeutige Feststellung eines naturwissenschaftlichen Zusammenhangs zwischen der Einnahme und einer Fehlbildung an Grenzen stoßen. Allerdings reicht es nicht aus, dass Thalidomid als theoretische Ursache für Fehlbildungen nicht auszuschließen ist. Dadurch ließe sich angesichts der Vielfalt anderer möglicher Ursachen der anspruchsberechtigte Personenkreis, der nach dem Willen des Gesetzgebers von Leistungen aus dem Stiftungsvermögen profitieren soll, nicht verlässlich eingrenzen. Aus Sicht der Kammer muss es daher mit Wahrscheinlichkeit gerade die Einwirkung von thalidomidhaltigen Präparaten der Fa. Grünenthal während der Embryonalentwicklung sein, die in einen ursächlichen Zusammenhang mit Fehlbildungen des Antragstellers gebracht werden kann,
36bestätigt durch OVG NRW, Beschlüsse vom 28.12.2015 - 16 A 1124/15 - und vom 19.01.2016 - 16 A 817/15 - .
37Eine Verbindung der von der Klägerin geltend gemachten Fehlbildungen mit der Einnahme eines thalidomidhaltigen Arzneimittels der Fa. Grünenthal GmbH durch ihre Mutter kann jedoch nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden.
38Es bestehen bereits erhebliche Zweifel daran, ob die Mutter der Klägerin in der Frühschwangerschaft im November 1960 ein Medikament der Fa. Grünenthal eingenommen hat. Denn in Brasilien waren in dieser Zeit mehrere thadlidomidhaltige Arzneimittel im Handel. Nur das Arzneimittel mit der Bezeichnung „Sedalis“ wurde von der Fa. Grünenthal hergestellt. Die weiteren Präparate mit den Namen Ectiluran, Ondasil, Sedin, Slip und Verdil stammten hingegen von anderen Unternehmen. Dies ergibt sich aus den von der Beklagten vorgelegten Unterlagen (Auszug aus der Habilitation von Walburga Freitag; Tabelle der Association canadienne des victimes de la Thalidomide, Bl. 56 und 57 der Akten).
39Die Klägerin konnte aber nicht angeben, welches Präparat ihre Mutter eingenommen hat. Insbesondere hat sie sich stets nur darauf berufen, der Mutter sei „Thalidomida“ verschrieben worden. Eine genaue Arzneimittelbezeichnung hat sie an keiner Stelle genannt. Soweit sie im Schreiben vom 05.08.2012 behauptet, die Mutter habe ihr vor ihrem Tod 2011 bestätigt, dass das Arzneimittel von Grünenthal und keiner anderen Firma stamme, ist diese Aussage nicht glaubhaft. Diese Erklärung erfolgte erst nach dem Ablehnungsbescheid vom 06.06.2012, der darauf gestützt war, dass die Einnahme eines Präparats der Fa. Grünenthal nicht sicher festgestellt werden könne. Sie diente also offensichtlich zu dem Zweck, diesen Ablehnungsgrund auszuräumen und ist daher verfahrensangepasst. Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Aussage ergeben sich auch daraus, dass die Klägerin auch jetzt den Namen des von ihrer Mutter eingenommenen Mittels nicht angibt. Insbesondere erwähnt sie an keiner Stelle die Bezeichnung „Sedalis“, welche ihr offenbar nicht bekannt war.
40Auch aus den Unterlagen des brasilianischen Sozialversicherungsträgers und den Auskünften der brasilianischen Ärzte ergibt sich kein Hinweis auf das konkrete, von der Mutter angewendete Präparat. Dort ist stets von „Thalidomida“ die Rede. Allein in dem Bericht von Dr. N. H1. B. vom 10.07.2014 heißt es, die Mutter habe „“Contergan“ eingenommen. Das Arzneimittel der Fa. Grünenthal war aber in Brasilien nicht mit dieser Bezeichnung im Verkehr.
41Jedenfalls sind die von der Klägerin geltend gemachten Fehlbildungen von ihrem „Erscheinungsbild“
42- vgl. zu dessen Bedeutung für die Annahme einer ursächlichen Verbindung: Begründung des Gesetzentwurfs über die Errichtung einer nationalen Stiftung „Hilfswerk für das behinderte Kind“, BT-Drs. VI/926 S. 8 zu § 13 -
43her nicht so beschaffen, dass sie zumindest mit Wahrscheinlichkeit mit einer Thalidomideinnahme in Zusammenhang stehen.
44Hiervon ist das Gericht nach Auswertung sämtlicher ärztlicher Befunde überzeugt. Insbesondere hat Frau Prof. Dr. L. in den von ihr erstellten Gutachten vom 05.03.2014, 07.10.2014 und 19.03.2015 detailliert und nachvollziehbar unter Auswertung der vorliegenden Röntgenbilder dargelegt, dass das bei der Klägerin vorliegende Schadensbild in seiner Gesamtheit nicht einem Thalidomidschaden entspricht. Ihren schlüssigen Feststellungen zufolge weist die Klägerin keine auf Thalidomid zurückführbare Extremitätenfehlbildung und auch keine anderen Symptome auf, die eine Thalidomidembryopathie typischerweise begleiten.
45Das dabei von Prof. Dr. L. für die oberen Gliedmaßen herangezogene Fehlbildungsmuster deckt sich mit gutachterlichen Äußerungen auch in anderen bei der Kammer anhängigen Verfahren, die durch entsprechende Fachquellen
46- vgl. R W Smithells/C G H Newman, Recognition of thalidomide defects J. Med. Genet. 1992, 29: 716 - 723; Henkel/Willert, Dysmelia – A classification and pattern of malformation in a group of congenital defects of the limbs, Journal of Bone & Joint Surgery 51 B, 399, 401.; Willert, Das Fehlbildungsmuster der Thalidomid-bedingten Dysmelie in: Die Contergankatastrophe – Eine Bilanz nach 40 Jahren, 2005, S. 75 ff.; Peters, Thalidomid-Embryopathie: eine vielfältige Katastrophe, Pädiatrie hautnah, 2014, 44, 46 -
47untermauert sind. Danach folgen thalidomidbedingte Dysmelien der oberen Extremitäten insofern einem festen Muster, als es sich um longitudinale, radial betonte Fehlbildungen handelt, die eine Knochenreduktion von distal nach proximal aufweisen. Es ergeben sich teratologische Reihen, die am Arm mit einer Entwicklungsstörung der Daumen beginnen, sich mit zunehmendem Schweregrad schrittweise auf weitere Skelettabschnitte des Armes ausdehnen und mit dem völligen Fehlen der oberen Extremität enden. Finden sich primär Fehlbildungen beider Daumen, so erstreckt sich die nächstschwerere Ausprägung dann auf eine Verformung und Verkürzung der Speiche (Radius) als Fortsetzung des Daumenstrahls, und in der Folge auf den Oberarmknochen (Humerus), das Schultergelenk und zuletzt auf die Elle (Ulna) und die weiteren ulnaren Fingerstrahlen (3. – 5. Finger).
48Mit dieser Gesetzmäßigkeit lässt sich nicht in Einklang bringen, dass bei der Klägerin nach den vorliegenden Röntgenaufnahmen beide Humeri in dysplastischer Form vorhanden sind, jedoch beide Unterarmknochen (Radius und Ulna) fehlen. Diese Feststellung ergibt sich aus einer übereinstimmenden Auswertung der Röntgenaufnahmen aus dem Jahr 2013 durch den brasilianischen Radiologen Dr. D1. und durch Frau Prof. Dr. L. . Bei der Thalidomidembryopathie verbleibt hingegen nicht der Humerus als letzter der langen Röhrenknochen der Arme, sondern die Ulna. Ferner ist auch die Fehlbildung der rechten Hand nicht thalidomidtypisch. Hier findet sich nach Aussage von Frau Prof. Dr. L. auf der radialen Seite ein Finger mit zwei Gliedern, der am ehesten einem Daumen entspricht. Bei einer Thalidomidembryopathie wäre aber zu erwarten, dass bei einem Fehlen des Radius auch der Daumen nicht vorhanden ist, weil dieser als erstes Glied der Fehlentwicklung zum Opfer fällt. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse hat das Gericht auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass die der Klägerin angeborenen Fehlbildungen zumindest vereinzelt in Zusammenhang mit einer Thalidomidembryopathie festgestellt worden sind.
49Frau Prof. Dr. L. hat auch hinreichend und nachvollziehbar dargelegt, dass die übrigen Körperschäden bzw. körperlichen Besonderheiten der Klägerin als alleinige Symptome einer Thalidomidembryopathie nicht ausreichend sind, weil sie auch in der übrigen Bevölkerung häufig als Geburtsfehler auftreten. Das gilt sowohl für die wahrscheinlich vorliegende einseitige Nierenagenesie (Fehlen einer Niere), die starke Kurzsichtigkeit und den Hypertelorismus (zu großer Augenabstand). Die von Herrn Dr. T. -I. diagnostizierte „plumpe Nase“ lässt sich auch aus der Sicht des Gerichts auf den Fotos der Klägerin nicht als Fehlbildung einordnen, sondern hält sich im Rahmen normaler Nasenformen.
50Die sachverständige Stellungnahme von Prof. Dr. L. ist hinreichend geeignet, dem Gericht die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen zu vermitteln. Sie weist keine für den Nichtsachkundigen erkennbaren groben Mängel auf und beruht auf einem anerkannten Wissensstand insbesondere auch zu den Fehlbildungsmustern bei der Thalidomidembryopathie. Sie geht von zutreffenden tatsächlichen Verhältnissen aus, enthält keine unlösbaren Widersprüche und gibt keinen Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Sachverständigen,
51vgl. zu diesen Anforderungen OVG NRW, Beschluss vom 06.02.2012 - 1 A 1337/10 - und vom 19.01.2016 - 16 A 817/15 - .
52Die Aussagen der beiden anderen Gutachter der Medizinischen Kommission der Beklagten sind nicht geeignet, das fundierte Gutachten von Frau Prof. Dr. L. zu entkräften. Herr Dr. H. hat eine endgültige Beurteilung aufgrund fehlender Unterlagen abgelehnt. Herr Dr. T. -I. hat zwar im Ergebnis ausgeführt, ein Conterganschaden sei wahrscheinlich. Dies lässt sich aber nicht schlüssig auf die zuvor genannten Feststellungen zu den einzelnen Körperschäden zurückführen, weil der Gutachter hinsichtlich aller Einzelschäden eine endgültige Beurteilung offen gelassen und eine Vorstellung bei den Fachgutachtern vorgeschlagen hat. Darüber hinaus lagen Herrn Dr. T. -I. die erst im Jahr 2013 eingereichten aussagekräftigen Röntgenaufnahmen der oberen Extremitäten, die entscheidend für die Beurteilung einer Thalidomidembryopathie sind, bei seiner Stellungnahme vom 27.07.2010 nicht vor.
53Auch die eingereichten Stellungnahmen der brasilianischen Ärzte, die übereinstimmend von einer Thalidomidschädigung ausgehen, sprechen nicht gegen die Einschätzung von Frau Prof. Dr. L. . Eine ausführliche Begründung für die Annahme eines Thalidomidschadens fehlt. Insbesondere setzt sich keiner der Ärzte mit dem für Thalidomid typischen Schädigungsmuster der oberen Extremitäten und den hiervon abweichenden Körperschäden der Klägerin, wie sie aus den Röntgenaufnahmen von 2013 erkennbar sind, auseinander. Es ist daher für das Gericht nicht nachvollziehbar, warum die brasilianische Sozialversicherung die Klägerin als thalidomidgeschädigte Person anerkannt hat, zumal im Jahr 2000 die aussagekräftigen Röntgenbilder von Herrn Dr. D1. von 2013 noch nicht vorlagen.
54Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin weist zwar zu Recht darauf hin, dass wegen der lückenhaften wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Embryonalentwicklung und wegen der Individuellen Unterschiede des menschlichen Körpers nicht sicher ausgeschlossen werden könne, dass auch untypische Körperschäden durch Thalidomid verursacht sein könnten. Dies genügt jedoch nicht dem gesetzlichen Maßstab des § 13 ContStifG, wonach eine positive Feststellung mit dem Inhalt erforderlich ist, dass die Fehlbildungen in Verbindung mit der Einnahme von Thalidomid in der Schwangerschaft stehen können, dieser Zusammenhang also mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann.
55Ein wahrscheinlicher Zusammenhang mit einer Thalidomideinnahme liegt aber in der Regel nicht vor, wenn kein typisches, anhand einer Vielzahl von Fällen ermitteltes Schadensbild vorliegt. Denn eine atypische Ausprägung einer Extremitätenfehlbildung (Dysmelie) kann auch durch eine Vielzahl anderer Ursachen hervorgerufen werden, z.B. durch den Einfluss äußerer Faktoren - wie Viren, anderen Schadstoffen oder Medikamenten, Sauerstoffmangel des Embryos, ein Amniotisches-Band-Syndrom oder Fehlernährung in der Schwangerschaft - oder durch genetische Abweichungen
56vgl. Wikipedia, „Dysmelie“, https:// de.wikipedia.org/wiki/Dysmelie; Medizin-Lexikon „Dysmelie“, http:// symptomat.de/Dysmelie; Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 263. Auflage 2012, „Embryopathie“, „Fehlbildung“.
57Eine Abgrenzung von thalidomidbedingten Schäden und anderen Schäden ist daher bei einem untypischen Gesamtschadensbild und einer zweifelhaften Thalidomideinnahme in der Regel kaum möglich,
58vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 28.12.2015 - 16 A 1124/15 - .
59Für die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit eines Thalidomidschadens kommt es auch nicht darauf an, ob sich die Fehlbildungen mit vollständiger oder großer Gewissheit auf ein anderes Krankheitsbild bzw. eine andere Entstehungsursache zurückführen lassen,
60Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25.03.2013 – 16 E 1139/12 – juris, Rn. 18.
61Maßgeblich ist allein, ob der erforderliche Ursachenzusammenhang der Körperschäden mit Thalidomid mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann. Die Beklagte ist daher nicht verpflichtet, eine andere Ursache für die geltend gemachten Fehlbildungen darzulegen. Eine derartige Verpflichtung kann schon deshalb nicht bestehen, weil sich die Ursachen für Geburtsschäden häufig nicht eindeutig feststellen lassen.
62Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Köln Urteil, 23. Feb. 2016 - 7 K 2817/14
Urteilsbesprechung schreiben0 Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Köln Urteil, 23. Feb. 2016 - 7 K 2817/14
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Urteil einreichenVerwaltungsgericht Köln Urteil, 23. Feb. 2016 - 7 K 2817/14 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).
(1) Den in § 12 genannten leistungsberechtigten Personen stehen als Leistungen zu:
- 1.
eine einmalige Kapitalentschädigung, - 2.
eine lebenslängliche Conterganrente vorbehaltlich des Absatzes 2 Satz 3, - 3.
jährliche Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe und - 4.
eine jährliche Sonderzahlung, die erstmals für das Jahr 2009 und letztmalig für das Jahr 2022 gewährt wird.
(2) Die Höhe der in Absatz 1 genannten Leistungen richtet sich nach der Schwere des Körperschadens und der hierdurch hervorgerufenen Körperfunktionsstörungen und liegt
- 1.
bei der einmaligen Kapitalentschädigung zwischen 1 278 Euro und 12 782 Euro, - 2.
bei der monatlichen Conterganrente zwischen 662 Euro und 7 480 Euro, - 3.
bei den jährlichen Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe zwischen 876 Euro und 9 900 Euro. Zusätzlich erhält jede leistungsberechtigte Person einen jährlichen Sockelbetrag von 4 800 Euro.
(3) Auf Antrag ist die Conterganrente zu kapitalisieren, soweit der Betrag zum Erwerb oder zur wirtschaftlichen Stärkung eigenen Grundbesitzes zu eigenen Wohnzwecken verwendet wird. Die §§ 72, 73, 74 Abs. 3 Satz 1, §§ 75, 76 und 77 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 des Bundesversorgungsgesetzes finden entsprechende Anwendung. § 75 Abs. 1 Satz 2 des Bundesversorgungsgesetzes findet mit der Maßgabe Anwendung, dass die Veräußerung und Belastung des mit der Kapitalabfindung erworbenen oder wirtschaftlich gestärkten Grundstücks, Erbbaurechts, Wohnungseigentums oder Wohnungserbbaurechts innerhalb der Frist, für die die Conterganrente kapitalisiert wurde, nur mit Genehmigung der Stiftung zulässig sind. Die Kosten der Eintragung einer Verfügungsbeschränkung gemäß § 75 Abs. 1 Satz 2 bis 4 des Bundesversorgungsgesetzes in das Grundbuch trägt die leistungsberechtigte Person. Darüber hinaus ist die Conterganrente auf Antrag zu kapitalisieren, wenn dies im berechtigten wirtschaftlichen Interesse der leistungsberechtigten Person liegt. Im Übrigen kann die Conterganrente auf Antrag teilweise kapitalisiert werden, wenn dies im Interesse der leistungsberechtigten Person liegt. Die Kapitalisierung ist auf die für einen Zeitraum von höchstens zehn Jahren zustehende Conterganrente beschränkt. Der Anspruch auf Conterganrente, an deren Stelle die Kapitalabfindung tritt, erlischt für die Dauer des Zeitraumes, für den die Kapitalabfindung gewährt wird, mit Ablauf des Monats, der auf den Monat der Auszahlung der Abfindung folgt.
(4) Die Zahlungen der Conterganrente beginnen frühestens mit dem Antragsmonat. Wird der Antrag innerhalb von drei Monaten nach dem Inkrafttreten des Errichtungsgesetzes gestellt, so wird die Conterganrente vom Zeitpunkt des Inkrafttretens an gewährt. Die jährlichen Sonderzahlungen beginnen nach Maßgabe des Absatzes 1 Satz 1 mit dem Jahr, in dem der Antrag auf Conterganrente gestellt worden ist. Für die Auszahlung der Mittel für die jährlichen Sonderzahlungen nach Absatz 1 Satz 3 werden Anträge auf Leistungen nach diesem Gesetz oder Anträge auf Erhöhung der Leistungen nach diesem Gesetz berücksichtigt, die bis einschließlich 31. Dezember 2021 gestellt worden sind. Die Zahlung der jährlichen Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 beginnt ab dem 1. Januar 2017.
(5) Die Ansprüche auf die in Absatz 1 genannten Leistungen können nicht übertragen, verpfändet oder gepfändet werden. Vererblich sind lediglich Ansprüche auf Kapitalentschädigung, auf Conterganrente und auf die jährliche Sonderzahlung, die im Zeitpunkt des Todes der leistungsberechtigten Person bereits fällig geworden sind, und zwar nur dann, wenn die Person von ihrem Ehegatten, ihrer Lebenspartnerin oder ihrem Lebenspartner, ihren Kindern oder ihren Eltern beerbt wird.
(6) Das Nähere regeln die Satzung und die Richtlinien. Die Satzung trifft insbesondere Bestimmungen über die Voraussetzungen und den Umfang der Kapitalisierung der Conterganrente nach Absatz 3 Satz 5 und 6 sowie über die Art der Berechnung des Kapitalbetrages. In den Richtlinien ist insbesondere zu regeln, nach welchen Maßstäben auf der Grundlage der zur Verfügung stehenden Mittel Leistungen nach diesem Abschnitt zu bemessen sind und wie das Verfahren zur Gewährung von Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe auszugestalten ist; diese Richtlinien erlässt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
(7) An Erhöhungen der Conterganrente nehmen auch leistungsberechtigte Personen teil, deren Conterganrente nach Absatz 3 kapitalisiert worden ist.
(8) Für die Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen gelten die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes entsprechend. § 118 Abs. 3 und 4 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ist entsprechend anwendbar.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Den in § 12 genannten leistungsberechtigten Personen stehen als Leistungen zu:
- 1.
eine einmalige Kapitalentschädigung, - 2.
eine lebenslängliche Conterganrente vorbehaltlich des Absatzes 2 Satz 3, - 3.
jährliche Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe und - 4.
eine jährliche Sonderzahlung, die erstmals für das Jahr 2009 und letztmalig für das Jahr 2022 gewährt wird.
(2) Die Höhe der in Absatz 1 genannten Leistungen richtet sich nach der Schwere des Körperschadens und der hierdurch hervorgerufenen Körperfunktionsstörungen und liegt
- 1.
bei der einmaligen Kapitalentschädigung zwischen 1 278 Euro und 12 782 Euro, - 2.
bei der monatlichen Conterganrente zwischen 662 Euro und 7 480 Euro, - 3.
bei den jährlichen Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe zwischen 876 Euro und 9 900 Euro. Zusätzlich erhält jede leistungsberechtigte Person einen jährlichen Sockelbetrag von 4 800 Euro.
(3) Auf Antrag ist die Conterganrente zu kapitalisieren, soweit der Betrag zum Erwerb oder zur wirtschaftlichen Stärkung eigenen Grundbesitzes zu eigenen Wohnzwecken verwendet wird. Die §§ 72, 73, 74 Abs. 3 Satz 1, §§ 75, 76 und 77 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 des Bundesversorgungsgesetzes finden entsprechende Anwendung. § 75 Abs. 1 Satz 2 des Bundesversorgungsgesetzes findet mit der Maßgabe Anwendung, dass die Veräußerung und Belastung des mit der Kapitalabfindung erworbenen oder wirtschaftlich gestärkten Grundstücks, Erbbaurechts, Wohnungseigentums oder Wohnungserbbaurechts innerhalb der Frist, für die die Conterganrente kapitalisiert wurde, nur mit Genehmigung der Stiftung zulässig sind. Die Kosten der Eintragung einer Verfügungsbeschränkung gemäß § 75 Abs. 1 Satz 2 bis 4 des Bundesversorgungsgesetzes in das Grundbuch trägt die leistungsberechtigte Person. Darüber hinaus ist die Conterganrente auf Antrag zu kapitalisieren, wenn dies im berechtigten wirtschaftlichen Interesse der leistungsberechtigten Person liegt. Im Übrigen kann die Conterganrente auf Antrag teilweise kapitalisiert werden, wenn dies im Interesse der leistungsberechtigten Person liegt. Die Kapitalisierung ist auf die für einen Zeitraum von höchstens zehn Jahren zustehende Conterganrente beschränkt. Der Anspruch auf Conterganrente, an deren Stelle die Kapitalabfindung tritt, erlischt für die Dauer des Zeitraumes, für den die Kapitalabfindung gewährt wird, mit Ablauf des Monats, der auf den Monat der Auszahlung der Abfindung folgt.
(4) Die Zahlungen der Conterganrente beginnen frühestens mit dem Antragsmonat. Wird der Antrag innerhalb von drei Monaten nach dem Inkrafttreten des Errichtungsgesetzes gestellt, so wird die Conterganrente vom Zeitpunkt des Inkrafttretens an gewährt. Die jährlichen Sonderzahlungen beginnen nach Maßgabe des Absatzes 1 Satz 1 mit dem Jahr, in dem der Antrag auf Conterganrente gestellt worden ist. Für die Auszahlung der Mittel für die jährlichen Sonderzahlungen nach Absatz 1 Satz 3 werden Anträge auf Leistungen nach diesem Gesetz oder Anträge auf Erhöhung der Leistungen nach diesem Gesetz berücksichtigt, die bis einschließlich 31. Dezember 2021 gestellt worden sind. Die Zahlung der jährlichen Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 beginnt ab dem 1. Januar 2017.
(5) Die Ansprüche auf die in Absatz 1 genannten Leistungen können nicht übertragen, verpfändet oder gepfändet werden. Vererblich sind lediglich Ansprüche auf Kapitalentschädigung, auf Conterganrente und auf die jährliche Sonderzahlung, die im Zeitpunkt des Todes der leistungsberechtigten Person bereits fällig geworden sind, und zwar nur dann, wenn die Person von ihrem Ehegatten, ihrer Lebenspartnerin oder ihrem Lebenspartner, ihren Kindern oder ihren Eltern beerbt wird.
(6) Das Nähere regeln die Satzung und die Richtlinien. Die Satzung trifft insbesondere Bestimmungen über die Voraussetzungen und den Umfang der Kapitalisierung der Conterganrente nach Absatz 3 Satz 5 und 6 sowie über die Art der Berechnung des Kapitalbetrages. In den Richtlinien ist insbesondere zu regeln, nach welchen Maßstäben auf der Grundlage der zur Verfügung stehenden Mittel Leistungen nach diesem Abschnitt zu bemessen sind und wie das Verfahren zur Gewährung von Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe auszugestalten ist; diese Richtlinien erlässt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
(7) An Erhöhungen der Conterganrente nehmen auch leistungsberechtigte Personen teil, deren Conterganrente nach Absatz 3 kapitalisiert worden ist.
(8) Für die Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen gelten die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes entsprechend. § 118 Abs. 3 und 4 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ist entsprechend anwendbar.
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 25. März 2013 geändert. Dem Kläger wird für das erstinstanzliche Klageverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Q. U. aus X. beigeordnet.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
1
Gründe
2Die Beschwerde des Klägers ist begründet. Der Kläger, der nach den von ihm dargelegten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, kann für die Durchführung des erstinstanzlichen Klageverfahrens die Bewilligung von Prozesskostenhilfe einschließlich der Beiordnung eines Rechtsanwalts beanspruchen (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1, Satz 1, den §§ 115 und 117, § 119 Abs. 1 und § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO). Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg böte. Denn es kommt nach summarischer Prüfung in Betracht, dass seine Klage mit dem Antrag,
3die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 27. Februar 2012 und des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2012 zu verpflichten, ihn, den Kläger, als Contergangeschädigten anzuerkennen,
4entgegen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts doch Aussicht auf Erfolg hat.
5Das Begehren des Klägers dürfte nicht an Ausschlussfristen für die Geltendmachung des Anerkennungsbegehrens scheitern. Die vormalige Bestimmung des § 13 des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung "Hilfswerk für behinderte Kinder" vom 17. Dezember 1971 (BGBl. I S. 2018; im folgenden: Errichtungsgesetz) in der zuletzt geltenden Fassung ist für das Begehren des Klägers nicht mehr maßgeblich. Nach dieser Bestimmung konnten Leistungen wegen Fehlbildungen, die mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Firma D. H. GmbH in T. durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können, (nur) gewährt werden, wenn die Leistungen bis zum 31. Dezember 1983 bei der Stiftung geltend gemacht worden sind, was in Bezug auf den Kläger offensichtlich nicht der Fall gewesen ist. Demgegenüber sieht § 12 Abs. 2 des Conterganstiftungsgesetzes (ContStifG) in der nunmehr geltenden Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des ContStifG vom 25. Juni 2009 vor, dass die Conterganrente und eine Kapitalentschädigung für die Zeit ab 1. Juli 2009 beantragt werden können, wenn Leistungen nach § 13 des Errichtungsgesetzes nicht innerhalb der dort vorgesehenen Frist geltend gemacht wurden. Das trifft, wie schon erwähnt, auf den Kläger zu, dessen Eltern zwar frühzeitig Ansprüche wegen einer möglichen Conterganschädigung erhoben haben, aber nicht (mehr) tätig geworden sind, nachdem die o. g. Stiftung gegründet worden ist. Diesen Fall regelt § 12 Abs. 2 ContStifG. Das Normverständnis des Verwaltungsgerichts, wonach § 12 Abs. 2 ContStifG nur dann die Möglichkeit der Leistungsbeantragung mit Wirkung für die Zeit ab dem 1. Juli 2009 ermöglicht, wenn Leistungen nach § 13 des Errichtungsgesetzes nicht innerhalb der dort vorgesehenen Frist geltend gemachtwerden konnten, findet im Wortlaut dieser Bestimmung keinen Niederschlag und ergibt sich auch nicht bei der zusätzlichen Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien zum Zweiten Gesetz zur Änderung des ContStifG. Soweit es etwa im Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vom 24. März 2009 (BT‑Drucks. 16/12413) heißt, die "bisher von der Ausschlussfrist betroffenen" contergangeschädigten Menschen sollten die Möglichkeit erhalten, künftig Leistungen geltend zu machen, zwingt das nicht zu der vom Verwaltungsgericht für zutreffend gehaltenen Wertung, nur solche Personen seien von der Ausschlussfrist betroffen, die bisher keinen Antrag stellen konnten. Vielmehr sind alle diejenigen von der bisherigen Ausschlussfrist betroffen, die einen Leistungsantrag ‑ warum auch immer ‑ nicht gestellt haben. Abgesehen davon gab es auch im Fall des Klägers Gründe für die Nichtantragstellung vor dem Stichtag des 31. Dezember 1983, die zwar nicht zwingend eine rechtzeitige Antragstellung ausgeschlossen haben, dies aber doch als nachvollziehbar erscheinen lassen. Dazu gehört insbesondere, dass den Eltern des Klägers schon im zeitlichen Vorfeld der Schaffung der Stiftung "Hilfswerk für behinderte Kinder" bedeutet worden war, eine Anerkennung der Behinderungen des Klägers als Conterganschädigung komme aus medizinischen Gründen nicht in Betracht, sie also, möglicherweise sachlich zu Unrecht, mit der Aussichtslosigkeit einer Antragstellung bei der Stiftung konfrontiert worden sind und deshalb resigniert haben.
6Dem Anerkennungsbegehren des Klägers steht auch nicht entgegen, dass er bzw. sein Vater im Jahr 1989 die Wiederaufnahme eines vor Jahren abgelehnten Anerkennungsverfahrens beantragt hat und die Stiftung seinerzeit ‑ durch erneute Befragung des schon zuvor in Erscheinung getretenen Gutachters Prof. Dr. Dr. X1. M. ‑ aus Sachgründen mit Bescheiden vom 20. August 1990 sowie vom 7. Mai 1992 bzw. mit Widerspruchsbescheid vom 25. November 1992 die Anerkennung des Klägers abgelehnt hat. Denn in dem sich anschließenden (zivil‑)gerichtlichen Verfahren ist die sachliche Frage, worauf die multiplen Körperschäden des Klägers zurückzuführen sind, nicht abschließend gewürdigt worden. Vielmehr beruhen die Urteile des Landgerichts Bonn vom 13. Juli 1993 sowie des OLG Köln vom 25. Oktober 1994 auf der Einschätzung, dass der als "unstreitig erstmalige" bezeichnete Leistungsantrag "des Jahres 1990" mit Blick auf die Ausschlussfrist des § 13 des Errichtungsgesetzes und auf die Unmöglichkeit einer Wiedereinsetzung in die versäumte Ausschlussfrist keiner sachlichen Entscheidung zugänglich gewesen sei. Damit fehlt es an einer abschließenden ‑ die gerichtliche Überprüfung umfassenden ‑ sachlichen Würdigung der bis damals vorliegenden medizinischen Befunde, und dies im Ergebnis mit der Begründung, dass die Ausschlussfrist des § 13 des Errichtungsgesetzes diese Überprüfung ausschließe. Das ist gerade der Sachverhalt, der nunmehr durch § 12 Abs. 2 ContStifG in dem Sinne geregelt wird, dass für die Zukunft unabhängig von der Versäumung einer Antragstellung vor dem 1. Januar 1984 Ansprüche auf Hilfen für Contergangeschädigte geprüft und gegebenenfalls zuerkannt werden.
7Schließlich ist auch die Frage der sachlichen Berechtigung des Anerkennungsbegehrens des Klägers als Contergangeschädigter nicht mit einer Eindeutigkeit zu verneinen, die schon eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe ausschließt. Sowohl in § 2 ContStifG (Stiftungszweck) als auch in § 12 Abs. 1 ContStifG (Leistungsberechtigte Personen) ist der Kreis der anspruchsberechtigten Personen weit gefasst (behinderte Menschen, deren Fehlbildungen mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der H. GmbH, B. , durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können), um zugunsten etwaiger Betroffener der Unmöglichkeit einer über jeden Zweifel erhabenen Kausalitätsfeststellung Rechnung zu tragen.
8Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 2. Dezember 2011 ‑ 16 E 723/11 ‑, juris, Rn. 2, und vom 25. März 2013 ‑ 16 E 1139/12 ‑, juris, Rn. 2.
9Eine Conterganeinnahme durch die Mutter des Klägers während der Schwangerschaft hat nach ihren glaubhaften, auch eidesstattlich versicherten Einlassungen stattgefunden. So hat bereits kurz nach der Geburt des Klägers am 18. April 1962, nämlich am 28. April 1962, ein namentlich nicht bekannter Arzt des Krankenhauses, in dem die Geburt stattgefunden hatte, dem Hausarzt der Familie des Klägers mitgeteilt, wie die Geburt vonstattengegangen ist und welche Missbildungen beim Kläger vorliegen. Er hat insoweit ausgeführt: "Interessanterweise hat Pat. in den ersten Schwangerschaftsmonaten Contergan forte eingenommen; ein ursächlicher Faktor, der ja heute viel diskutiert wird." Da erst im November 1961 erstmals in der Presse über den Conterganverdacht berichtet worden war und nachfolgend die strafrechtlichen Ermittlungen aufgenommen wurden,
10vgl. im Einzelnen Kirk, Der Contergan‑Fall: eine unvermeidbare Arzneimittelkatastrophe? Zur Geschichte des Arzneistoffs Thalidomid (1999), S. 85 ff.,
11handelte es sich seinerzeit noch um eine neue und ungesicherte Verdachtslage. Daher liegt es fern, dass die frühzeitige und offensichtlich spontane Angabe der Mutter des Klägers über den Tablettenkonsum im Sinne einer Förderung oder Sicherung etwaiger Regressansprüche zielgerichtet gewesen sein könnte. Aus dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. M. an das Treuhändergremium vom 23. September 1971 geht überdies hervor, dass auf der Grundlage der ‑ nach seiner Einschätzung allerdings unbelegten ‑ Angaben der Mutter des Klägers die Einnahme von Contergan bei normaler Dauer der Schwangerschaft zum Teil in die "sensible Phase" gefallen sei.
12Nach den Gutachten, die seit 1967 über die mögliche Ursache der Missbildungen beim Kläger erstellt worden sind, kann mit hinlänglicher Sicherheit nur ausgeschlossen werden, dass die Veränderungen an den Gliedmaßen des Klägers, insbesondere des linken Unterschenkels, mit der Einnahme von Thalidomid in Verbindung gebracht werden können. Dagegen spricht vor allem das Vorhandensein von Abschnürungsfurchen, die für amniotische (von sich ablösenden Bändern der Fruchtblase, die sich um den Fötus legen können, herrührende) Schädigungen, nicht aber für thalidomidbedingte Missbildungen charakteristisch sind. Allerdings gehört zu den Missbildungen des Klägers auch eine doppelseitige Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte (sog. Wolfsrachen), die zumindest vereinzelt auch im Zusammenhang mit der Einnahme von Thalidomid während der Schwangerschaft der Mutter festgestellt worden ist; das folgt etwa aus dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. M. vom 4. Dezember 1967, wobei dieser aber zugleich betont, das könne "keinesfalls als typisch angesehen werden". Soweit Prof. Dr. Dr. M. , der gemeinhin als der "Entdecker" des Zusammenhangs zwischen den um das Jahr 1960 gehäuft aufgetretenen spezifischen Missbildungsfällen und der Einnahme von Thalidomid durch die Mütter der geschädigten Kinder während der Schwangerschaft gilt und wesentlichen Anteil an der wissenschaftlichen Erforschung der Contergan‑Problematik hatte, in dem genannten Gutachten darauf hinweist, dass Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalten häufig zusammen mit den übrigen ‑ nicht thalidomidbedingten ‑ Schädigungen, wie sie beim Kläger vorliegen, auftreten und sich daher "für die Gesamtheit der [beim Kläger festgestellten] Mißbildungen … eindeutig feststellen [lasse], daß sie in keiner Weise typisch für Mißbildungen nach Thalidomideinnahme sind", liegt dem offenkundig eine monokausale Betrachtung zugrunde, die sich an typischen Erscheinungsformen multipler Missbildungen orientiert, aber nicht erkennbar der Frage nachgeht, ob sich im Einzelfall ausnahmsweise mehrere ursächliche Faktoren ‑ amniogene und thalidomid-bedingte Schädigungen ‑ nebeneinander ausgewirkt haben könnten bzw. was dagegen sprechen könnte, dass es sich beim Kläger ausnahmsweise so verhalten hat. In seiner weiteren Stellungnahme vom 28. Mai 1990 verweist Prof. Dr. Dr. M. auf seine früheren Gutachten und benennt Literaturstellen, die sich mit amniogenen Fehlbildungen vor allem der Lippen und des Gaumens befassen; auf seine vormalige Einschätzung, dass Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalten auch als Thalidomid-Schädigungsfolge aufgetreten seien, geht der Gutachter indessen ebenso wenig ein wie auf die Möglichkeit einer "doppelten Kausalkette".
13Das Gutachten von Prof. Dr. X2. , Direktor des Instituts für Humangenetik der Universität C. , vom 20. April 1971 beschreibt die einzelnen Fehlbildungen beim Kläger, wobei er auch noch die Möglichkeit eines linksseitigen Enophthalmus (Einsinken des Augapfels in die Augenhöhle) erwähnt, und kommt abschließend zu der Einschätzung, dass es eine derartige Fehlbildungskombination im Rahmen einer Thalidomid-Embryopathie nicht gebe. Er erörtert demgegenüber nicht die Frage, ob die Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte ‑ gegebenenfalls auch der Enophthalmus ‑ isoliert betrachtet auf Thalidomid zurückzuführen sein könnte und nimmt folglich auch die Möglichkeit einer Doppelkausalität nicht in den Blick.
14Auch das im laufenden Anerkennungsverfahren erstattete Gutachten von Frau Prof. Dr. L. , Universität N. , vom 1. August 2012 kommt zu dem Ergebnis, dass an der schon in der Vergangenheit gestellten Diagnose einer ‑ von ihr so bezeichneten ‑ "Amnionbänder Sequenz" auch aus heutiger Sicht nicht zu zweifeln sei. Die amniotischen Abschnürungen (Schnürfurchen) an den Fingern, Unterschenkeln und Füßen seien auf vorliegenden Fotos gut zu erkennen; auch die Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte gehöre zu diesem Fehlbildungskomplex. In der humangenetischen Literatur seien unzählige Patienten dokumentiert, die dem Phänotyp des Klägers ähnelten. Hingegen handele es sich nicht um ein teratogenes (u.a. durch Chemikalien hervorgerufene Einwirkungen auf den Embryo) Krankheitsbild, schon gar nicht um einen thalidomidbedingten Fehlbildungskomplex. Im Zusammenhang mit Thalidomidschädigungen seien die beim Kläger vorzufindenden Hand‑ und Fußfehlbildungen mit Syndaktylien (Verwachsungen bzw. Nichttrennung von Finger‑ oder Zehengliedern) und Schnürfurchen nie aufgetreten. Vielmehr seien für eine Conterganschädigung je nach dem Zeitpunkt der Einnahme spezifische und relativ symmetrisch angelegte Missbildungen an Händen, Füßen und Unterschenkeln charakteristisch, wie sie beim Kläger gerade nicht vorlägen. Aus diesen gutachterlichen Äußerungen geht mithin hervor, dass ‑ wie schon oben festgehalten ‑ die Schädigungen an den äußeren Extremitäten des Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mit der Conterganeinnahme durch seine Mutter während der Schwangerschaft zusammenhängen. Indessen beschränken sich die Angaben der Gutachterin zu der seit der Geburt des Klägers vorliegenden Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte darauf, dass auch diese zu dem Fehlbildungskomplex "Amnionbänder Sequenz" gehöre. Eine klare Abgrenzung zu einer möglichen teratogenen Schädigung wird ‑ anders als in Bezug auf die Missbildungen an den Gliedmaßen ‑ mit Blick auf die Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte hingegen nicht gezogen. Nach Auffassung des Senats bleibt damit im Anschluss an die Auffassung von Prof. Dr. Dr. M. , dass eine Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte ‑ wenngleich wohl eher selten ‑ auch in Conterganfällen angetroffen worden sei, die Frage einer "doppelten Kausalität" offen. Allein der von Frau Prof. Dr. L. erneut hervorgehobene Umstand, dass Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalten häufig ‑ und ohne Anhaltspunkte für teratogene Ursachen ‑ im Zusammenhang mit amniogenen Schädigungsbildern auftrete, widerlegt nicht die aufgrund der sicheren Conterganeinnahme durch die Mutter des Klägers mehr als nur rein theoretische Möglichkeit, dass im Fall des Klägers eine Kombination aus einer teratogenen und einer amniogenen Schädigung gegeben ist. Eine solche Möglichkeit könnte nur dann ausgeschlossen werden, wenn entweder auch in Hinblick auf die Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte des Klägers Spezifika vorlägen, die eindeutig auf eine amniotische Verursachung hinweisen, oder aber wenn verdeutlicht worden wäre, dass im Zusammenhang mit der Einnahme von Thalidomid nie ausschließlich eine Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte festgestellt worden wäre. Daran fehlt es aber auch mit Blick auf das Gutachten von Frau Prof. Dr. L. nach wie vor.
15Die Stellungnahme von Privatdozent Dr. H1. aus O. ‑ Facharzt für Orthopädie/Unfallchirurgie/Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sportmedizin/Kinder-orthopädie ‑ vom 29. Dezember 2011 verhält sich ausschließlich zu den Missbildungen des Klägers an den Händen bzw. am linken Bein und kommt wie die vorherigen Gutachter und nachfolgend Frau Prof. Dr. L. zu der Einschätzung, dass diese Befunde nicht typisch für einen Conterganschaden seien und daher insgesamt der Antrag des Klägers abzulehnen sei. Eine spezielle Auseinandersetzung mit der Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte des Klägers bzw. mit den insoweit in Frage kommenden Ursachen findet sich in dieser Stellungnahme nicht. Frau Dr. X3. aus L1. kommt schließlich in ihrer Stellungnahme vom 29. Juli 2010 ‑ wie schon Prof. Dr. Dr. M. ‑ zu der Einschätzung, dass die beim Kläger bestehende beiderseitige Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte (jedenfalls für sich betrachtet) mit einem Conterganschaden vereinbar sei und mit 25 Punkten veranschlagt werden sollte.
16Abschließend weist der Senat noch darauf hin, dass die diversen Diagnosen von den Kläger behandelnden Ärzten, die fast durchweg (insgesamt) von einer thalidomidbe-dingten Schädigung des Klägers berichten, neben den oben wiedergegebenen Fachgutachten nicht ins Gewicht fallen. Es spricht weit Überwiegendes dafür, dass diese Mediziner keine genaue und abschließende Beurteilung der Schädigungsursache abgeben wollten und mussten und sich daher auf die anamnestischen Angaben des Klägers bzw. auf einen "ersten Eindruck" verlassen haben. Erwähnenswert erscheint dem Senat in diesem Zusammenhang aber die Diagnose von Dr. M1. und Dr. X4. von der Westfälischen Wilhelms‑Universität N1. ‑ Klinik und Poliklinik für Technische Orthopädie und Rehabilitation ‑ im Arztbrief vom 19. März 1990, in dem neben der Angabe "Angeborene Fehlbildung an den Extremitäten durch Amnionabschnürungen" weiter von "Verdacht auf Thalidomidschaden" und (beziehungslos dahinterstehend) "Lippen‑, Kiefer‑, Gaumenspalte" die Rede ist. Nachfolgend wird ausgeführt, neben den Fehlbildungen an den äußeren Extremitäten, die klinisch eher einer Amnion-Abschnürung entsprächen, seien in der Folge auch Fehlbildungen am Schädel wie eine Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte, eine Fehlstellung der Zähne, eine einseitige Schwerhörigkeit sowie eine Zwerchfellhernie aufgefallen; alle diese Schäden sprächen "eher wieder für einen Conterganschaden". Damit schließen diese Mediziner die Möglichkeit von Schädigungen unterschiedlicher Genese offensichtlich nicht aus. In eine ähnliche Richtung könnte auch die ärztliche Bescheinigung des Prof. Dr. S. , Städtische Krankenanstalten C1. ‑ Chirurgische Abteilung der Kinderklinik ‑, vom 13. Februar 1965 weisen, in der die Diagnose einer doppelseitigen Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte (und auch die bis in die Stirn hinein klaffende Sagittalnaht) den "multiplen Amnionabschnürungen" zur Seite gestellt ‑ und gerade nicht in das Bild einer insgesamt amniogenen Schädigung einbezogen ‑ werden; entsprechend verhält es sich auch in der Stellungnahme der Stationsärztin Dr. G. , Städtische Krankenanstalten C1. , vom 3. Oktober 1962 ("Es handelte sich um eine doppelseitige Lippen‑Kiefer‑Gaumenspalte; gleichzeitig bestehen multiple Amnionabschnürungen").
17Die Kostenentscheidung folgt aus § 188 Satz 2 VwGO sowie aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.
18Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 15. April 2015 wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungszulassungsverfahrens.
1
Gründe
2Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils) und des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache) gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
3Ernstliche Zweifel i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind gegeben, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angegriffenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird.
4Vgl. zu diesem Prüfungsmaßstab BVerfG, Kammerbeschluss vom 26. März 2007 ‑ 1 BvR 2228/02 ‑, NVwZ‑RR 2008, 1 = GewArch 2007, 242 = juris, Rn. 25.
5Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils ergeben sich zunächst nicht daraus, dass diesem ein unzutreffender Maßstab für die zu fordernde Wahrscheinlichkeit der Thalidomid‑Verursachung zugrundeläge. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend und im Einklang mit der ständigen Senatsrechtsprechung hervorgehoben, dass der Kreis der Anspruchsberechtigten nach § 12 Abs. 1 ContStifG weit gefasst sei, weil angesichts der Komplexität insbesondere der medizinischen Fragestellungen eine über jeden Zweifel erhabene Kausalitätsfeststellung ‑ in die eine wie in die andere Richtung ‑ kaum jemals möglich sein dürfte. Soweit das Verwaltungsgericht weiter ausführt, für die Zuerkennung der Leistungsberechtigung könne es nicht ausreichen, dass Thalidomid als theoretische Ursache für Fehlbildungen nicht auszuschließen sei, weil sich sonst der anspruchsberechtigte Personenkreis nicht verlässlich eingrenzen lasse, stimmt auch diese Annahme mit dem vom Senat eingenommenen Standpunkt überein. Denn auch bei zugunsten potenzieller Anspruchsberechtigter relativ weit gefassten Voraussetzungen muss angesichts der theoretisch durchaus vielfältigen und wohl noch nicht bis ins Letzte ergründeten Ursachen für kongenitale Missbildungen eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine gerade auf Thalidomideinnahme beruhende Schädigung werdenden Lebens vorliegen.
6Eine solche Wahrscheinlichkeit hat das Verwaltungsgericht mit zutreffenden Gründen verneint, wobei vorliegend gerade die Kombination einer sehr unwahrscheinlichen Thalidomideinnahme mit einem atypischen Schädigungsbild nachgerade zu der Annahme zwingt, dass kein Fall nach § 12 Abs. 1 ContStifG gegeben ist. Die Angriffe der Klägerin gegen die Argumentation des Verwaltungsgerichts im Einzelnen führen daher jedenfalls nicht zu ernstlichen Richtigkeitszweifeln.
7Zunächst spricht nichts dafür, das Verwaltungsgericht könne übersehen haben, dass Thalidomid bis zum Verkaufsstopp Ende November 1961 nicht nur unter den Markennamen "Contergan" bzw. "Contergan forte" und auch nicht nur als Beruhigungs‑ und Schlafmittel, sondern auch unter anderen Bezeichnungen bzw. mit anderem Wirkungsspektrum auf dem Arzneimittelmarkt vertreten war. Das Verwaltungsgericht verwendet wiederholt Formulierungen wie "Einnahme thalidomidhaltiger Präparate" oder "Einnahme von Thalidomid", was nahelegt, dass der Kammer das Vorhandensein anderer thalidomidhaltiger Produkte als "Contergan" oder "Contergan forte" vor Augen stand, zumal dies zu dem Grundwissen aller gehört, die sich regelmäßig mit der juristischen Aufarbeitung dieses besonders spektakulären Arzneimittelskandals befassen.
8Vgl. dazu insbesondere die auch vom Verwaltungsgericht zitierte Monografie von Kirk, Der Contergan-Fall: eine unvermeidbare Arzneimittelkatastrophe? Zur Geschichte des Arzneistoffs Thalidomid, 1999, Anhang I (S. 241 f.).
9Soweit das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils daneben auch von "Contergan" spricht, erklärt sich dies zwanglos zum einen damit, dass gerade dieses Medikament in den fraglichen Jahren 1957 bis 1961 besonders oft eingenommen wurde und später dem gesamten Skandal ‑ und nicht zuletzt der beklagten Stiftung ‑ den Namen gab, und zum anderen damit, dass auch in der vorprozessualen Korrespondenz der Klägerseite und vor allem in der schriftlichen Erklärung der Mutter der Klägerin von Contergan (oder Contregan) die Rede war. Abgesehen davon ist kaum anzunehmen, dass einer Klinikärztin die sonstigen thalidomidhaltigen Arzneien (außer Contergan) unbekannt waren, sofern nicht ohnehin bei einer Medikamentenausgabe eher auf die enthaltenen Wirkstoffe (also Thalidomid) als auf den Markennamen des Präparates geachtet wird.
10Der Antrag greift auch ohne Erfolg das Argument des Verwaltungsgerichts an, wonach nicht nachvollziehbar sei, warum die Mutter der Klägerin nichts gegen die Klinik bzw. die behandelnde Ärztin unternommen habe, wenn es doch so offensichtlich gewesen sei, dass die Behinderungen der Klägerin mit der Gabe eines schädlichen Medikaments zusammengehangen hätten. Soweit die Klägerin hierzu darauf hinweist, ihre Eltern hätten kaum Deutsch gesprochen und seien kurz nach ihrer, der Klägerin, Geburt wieder in das damalige Jugoslawien zurückgekehrt, erklärt das nicht erschöpfend, warum die auch für juristische Laien naheliegende Möglichkeit einer Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen nicht ergriffen worden ist. Im Übrigen dürfte die Darstellung über die Rückkehr der Eltern in ihre Heimat im Jahr 1973 auch nicht zutreffen, denn die Klägerin hat in ihrer ausführlichen persönlichen Stellungnahme ("Biographie") vom 15. Februar 2010 ausdrücklich geschildert, dass nur sie und ihre Mutter nach Bosnien-Herzegowina zurückgekehrt seien, wohingegen ihr Vater als Gastarbeiter in Deutschland geblieben sei.
11Soweit es die ätiologische Einordnung der Körper‑ und Gesundheitsbeeinträchtigungen der Klägerin betrifft, dürfte deren Ansicht zutreffen, dass die in den Gutachten von Prof. Dr. L. vom 19. Juli 2011 und von Prof. Dr. G. vom 24. Januar 2013 ausdrücklich oder sinngemäß vorgenommene Einstufung der sog. VACTERL‑Asso-ziation als Differenzialdiagnose zu einer Verursachung durch Thalidomid zumindest missverständlich ist. Daraus kann aber nichts Entscheidendes in Richtung auf eine erhöhte Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden, dass die Missbildungen bei der Klägerin auf Thalidomid zurückzuführen sind. Denn auch wenn die Bezeichnung "VACTERL‑Assoziation" üblicherweise lediglich eine symptombeschreibende Funktion haben und deren Feststellung ‑ d.h. das Vorliegen von mindestens drei der sieben unter dem Akronym "VACTERL" zusammengefassten Anomalien ‑ nichts über die Entstehungsursache aussagen sollte, käme nicht umgekehrt in Frage, die Bejahung einer VACTERL‑Assoziation als Hinweis auf eine hohe Wahrscheinlichkeit einer Thalidomidverursachung anzuführen. Dies ergibt sich insbesondere nicht aus dem von der Klägerin beigefügten Aufsatz von Stevenson und Hunter ("Considering the Embryopathogenesis of VACTERL Association", Molecular Syndromology 2013; 4:7‑15), in dem vielmehr neben einer Verursachung durch Thalidomid eine Anzahl weiterer teratogener sowie nicht-teratogener Entstehungsursachen diskutiert wird. Der vom Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die Gutachten von Prof. Dr. L. und Prof. Dr. G. eingenommene Standpunkt, jedenfalls bei der vorliegend gegebenen ausgeprägten Einseitigkeit der Armfehlbildungen sei eine teratogene Schädigung durch Thalidomid unwahrscheinlich, wird weder durch den genannten Aufsatz von Stevenson und Hunter noch durch die beigebrachte Stellungnahme des sich auf Stevenson und Hunter beziehenden Internisten und Kardiologen sowie Klinischen Pharmakologen Prof. Dr. L1. vom 12. Juni 2015 erschüttert.
12Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass selbst im Falle einer Verabreichung eines thalidomidhaltigen Medikaments an die Mutter der Klägerin während der Schwangerschaft und dadurch hervorgerufener Missbildungen bei der Klägerin eine Anspruchsberechtigung nach den §§ 12 und 13 ContStifG schwerwiegenden Zweifeln ausgesetzt wäre, denen hier aber nicht abschließend nachgegangen werden muss. Denn die zur Gründung der sog. Conterganstiftung führende (Selbst‑)Verpflichtung der Fa. H. ‑GmbH und insbesondere die im Laufe der Jahre erheblichen Zuschüsse aus Bundesmitteln beruhen letztlich auf einer anerkannten fortwirkenden Verantwortlichkeit dafür, dass in den Jahren 1957 bis Ende 1961 Arzneien wie Contergan in der Bundesrepublik Deutschland ‑ weithin rezeptfrei ‑ vertrieben wurden bzw. vertrieben werden konnten. In diesem Zusammenhang ist etwa darauf hinzuweisen, dass es in Deutschland bis zum sog. Conterganskandal nicht einmal ein Arzneimittelgesetz gab, das eine Katastrophe dieses Ausmaßes zumindest deutlich unwahrscheinlicher hätte machen können; bemerkenswert ist auch, dass es in einer Reihe von Staaten, etwa den USA und der DDR, wegen frühzeitig gesehener Risiken nicht zu einer Lizenzvergabe für Thalidomid gekommen ist, während in anderen Staaten, so in Österreich und der Schweiz, von vornherein eine Rezeptpflicht bestand und daher Schädigungsfälle relativ selten blieben.
13Vgl. Kirk, a. a. O., S. 20 bis 33, 70 bis 83, 107 bis 113, 135 f. und 191 bis 203; Wikipedia unter: "Contergan-Skandal".
14Dieser ‑ vorstehend nur schlagwortartig umrissene ‑ Entstehungsgrund für die Conterganstiftung dürfte Auswirkungen auch auf den sachlichen Anwendungsbereich des Conterganstiftungsgesetzes haben, so dass dieser vermutlich nicht Fälle umfasst, die nicht in erster Linie auf dem seinerzeit legalen Vertrieb derartiger Mittel in den Jahren 1957 bis 1961 beruhten, sondern in denen ‑ Jahre später ‑ ein zusätzliches erhebliches Verschulden Dritter den unter wertenden Gesichtspunkten klar im Vordergrund stehenden Verursachungsbeitrag bildet. Ein solcher Fall wäre auf der Grundlage der klägerischen Schilderungen vorliegend anzunehmen.
15Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich zugleich, dass die Rechtssache keine tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist.
16Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und §188 Satz 2 VwGO.
17Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 24. Februar 2015 wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungszulassungsverfahrens.
1
Gründe
2Der auf die Berufungszulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils) und des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen kann) gestützte Zulassungsantrag der Klägerin bleibt ohne Erfolg, weil die genannten Zulassungsgründe nicht hinreichend dargelegt sind bzw. in der Sache nicht greifen.
3Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ergeben sich nicht. Solche Zweifel liegen vor, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angegriffenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird.
4Vgl. zu diesem Prüfungsmaßstab BVerfG, Kammerbeschluss vom 26. März 2007 ‑ 1 BvR 2228/02 ‑, NVwZ‑RR 2008, 1 = GewArch 2007, 242 = juris, Rn. 25.
5Ernstliche Zweifel werden zunächst nicht dadurch aufgeworfen, dass das Verwaltungsgericht seiner Prüfung einen unzutreffenden Maßstab für die zu fordernde Wahrscheinlichkeit einer Verursachung des Beckenschiefstandes bei der Klägerin durch Thalidomid zugrundegelegt hätte. Das Verwaltungsgericht hat im Einklang mit der ständigen Senatsrechtsprechung hervorgehoben, dass der Kreis der Anspruchsberechtigten nach § 12 Abs. 1 ContStifG weit gefasst sei, weil angesichts der Komplexität insbesondere der medizinischen Fragestellungen eine über jeden Zweifel erhabene Kausalitätsfeststellung ‑ in die eine wie in die andere Richtung ‑ kaum jemals möglich sein dürfte; das gilt auch, sofern wie vorliegend die Anspruchsberechtigung dem Grunde nach außer Frage steht und lediglich über die Anerkennung einzelner (weiterer) Schadensbilder als thalidomidverursacht gestritten wird. Soweit das Verwaltungsgericht weiter ausführt, für die Zuerkennung der Leistungsberechtigung könne es jedoch nicht ausreichen, dass Thalidomid als theoretische Ursache für Fehlbildungen nicht auszuschließen sei, weil sich sonst der anspruchsberechtigte Personenkreis nicht verlässlich eingrenzen lasse, stimmt auch dies mit dem vom Senat eingenommenen Standpunkt überein. Denn auch bei zugunsten potenzieller Anspruchsberechtigter relativ weit gefassten Voraussetzungen muss angesichts der theoretisch durchaus vielfältigen und wohl noch nicht bis ins Letzte ergründeten Ursachen für kongenitale Missbildungen eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine gerade auf Thalidomideinnahme beruhende Schädigung werdenden Lebens vorliegen.
6Eine solche Wahrscheinlichkeit hat das Verwaltungsgericht in Bezug auf den leistungserhöhend geltend gemachten Beckenschiefstand der Klägerin aus Gründen verneint, denen diese keine schlüssigen Argumente entgegenzusetzen vermag. Das Verwaltungsgericht hat seine Auffassung im Wesentlichen mit den in der "Medizinischen Punktetabelle" beschriebenen, auf die Hüfte bezogenen Schadensfällen, die einen Beckenschiefstand gerade nicht beinhalten, sowie mit den in der Akte enthaltenen ärztlichen Stellungnahmen über das Schadensbild bei der Klägerin und dessen Einordnung begründet. Auch für den Senat ist unter Berücksichtigung der Befundberichte von Prof. Dr. N. schon aus dem Jahr 1979 sowie von Prof. Dr. G. und dem Orthopäden Dr. O. aus neuerer Zeit nicht zweifelhaft, dass die Hüftgelenke der Klägerin keine Missbildungen aufweisen und lediglich ein geringgradiger Beckenschiefstand vorliegt, der als solcher keinen Zusammenhang mit einer Thalidomidschädigung hat. Die Klägerin hat auch nichts anführen können, was unter Anlegung des oben angegebenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes die Einstufung des Beckenschiefstandes als thalidomidverursachte Schädigung tragen könnte. Soweit sie sich darauf beruft, dass Prof. Dr. N. im Jahr 1973 eine beidseitige Hüftschädigung angenommen hat, wird das entscheidend dadurch relativiert, dass es sich seinerzeit um eine pauschale, also gerade nicht auf der Feststellung eines konkreten Schadensbildes beruhende Feststellung gehandelt hat, die ‑ wie auch die von der Klägerin außerhalb der Darlegungsfrist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) gemachten Ausführungen (E-Mail vom 25. August 2015) nahelegen ‑ aller Wahrscheinlichkeit nach lediglich prospektiv im Hinblick auf für möglich gehaltene Langzeitfolgen erfolgt ist, wobei jedenfalls die aktuellen ärztlichen Stellungnahmen klar belegen, dass sich derartige Folgeschäden bis heute nicht eingestellt haben. Wenn die Klägerin des Weiteren behauptet, bei einer festgestellten auf der Einnahme von Contergan beruhenden Schädigung der Wirbelsäule sowie der unteren Extremitäten sei ausgeschlossen, dass eine Hüftfehlbildung nicht thalidomidbedingt sei, geht das daran vorbei, dass die genannten medizinischen Sachverständigen eine Hüftfehlbildung gerade verneint haben. Auch die weitere Darlegung, ein ‑ etwa ‑ auf muskulärer Verspannung der Gesäßmuskulatur und der unteren Rückenmuskulatur beruhender Beckenschiefstand sei "in einem solch jungen Alter schier unwahrscheinlich", wird nicht in einer Weise untermauert, der Zweifel an den fachlichen Aussagen der beteiligten Mediziner, denen auch das Alter der Klägerin vor Augen gestanden hat, wecken könnte. Vor dem Hintergrund der vorliegenden ärztlichen Gutachten kommt es folglich auch nicht auf die Beantwortung der Frage an, inwieweit mittelbare Schäden als Schädigungen im Sinne von § 2 sowie § 12 Abs. 1 ContStifG Anerkennung finden können.
7Auch ein Verfahrensmangel in der Gestalt einer unzulänglichen Sachverhalts-ermittlung tritt auf der Grundlage der klägerischen Darlegungen nicht hervor. Es führt insbesondere nicht zur Annahme des Berufungszulassungsgrundes nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, dass das Verwaltungsgericht zu der Frage der Verursachung eines Beckenschiefstandes bzw. des Vorhandenseins von Hüftfehlbildungen durch thalidomidhaltige Arzneimittel kein (zusätzliches) Sachverständigengutachten eingeholt hat. Eine prozessrechtswidrige Verletzung der Aufklärungspflicht ist nämlich grundsätzlich nicht gegeben, wenn das Gericht von einer Beweiserhebung absieht, die eine durch einen Rechtsanwalt vertretene Partei wie hier nicht förmlich ‑ das heißt im Rahmen der mündlichen Verhandlung (§ 86 Abs. 2 VwGO) ‑ beantragt hat.
8Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. August 2015 ‑ 1 B 37.15 ‑, juris, Rn. 11; OVG NRW, Beschlüsse vom 30. Juli 2012 ‑ 16 A 1165/12 ‑, juris, Rn. 21 f., und zuletzt vom 30. Dezember 2015 ‑ 16 A 1852/15 ‑; Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, Kommentar, 4. Auflage (2014), § 124 Rn. 191; Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 21. Auflage (2015), § 124 Rn. 13; Stuhlfauth, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, Kommentar, 6. Auflage (2014), § 124 Rn. 65; Dietz, in: Gärditz, VwGO, Kommentar, 2013, § 124 Rn. 49.
9Ein solcher Antrag geht aus dem Sitzungsprotokoll des Verwaltungsgerichts vom 24. Februar 2015 nicht hervor. Das Anregen einer Beweiserhebung durch ein (weiteres) medizinisches Gutachten etwa im Rahmen vorbereitender Schriftsätze ersetzt einen Beweisantrag nach § 86 Abs. 2 VwGO nicht.
10Es ist auch nicht unter Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts dargelegt, dass sich diesem eine (weitere) Beweiserhebung zu dem oben genannten Punkt aufdrängen musste. Die Klägerin hat nicht verdeutlicht, warum die im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten unzutreffend bzw. unvollständig sein könnten. Sie beruft sich in diesem Zusammenhang auch zu Unrecht darauf, die Gutachten stellten gleichsam Beklagtenvorbringen dar. Der bloße Umstand, dass die beiden im Jahr 2013 mit dem Fall der Klägerin befassten medizinischen Sachverständigen (Prof. Dr. G. und Dr. O. ) von der Beklagten beauftragt worden sind, führt nicht zu der Annahme, dass diese gleichsam "im Lager der Beklagten" stehen und einseitig deren Interessen wahrnehmen; die Klägerin trägt auch über den für sich genommen unergiebigen Hinweis auf die Auftragserteilung durch die Beklagte hinaus nichts vor, was Zweifel an der Objektivität und Fachkunde der beteiligten Gutachter erzeugen könnte, wobei überdies darauf hinzuweisen ist, dass die Zahl der Fachärzte und ‑ärztinnen mit speziellen Kenntnissen und ‑ vor allem ‑ Erfahrungen auf dem Gebiet der Einordnung von Contergan-Schädigungen eng begrenzt ist.
11Im Übrigen ergibt sich aus den Darlegungen der Klägerin nicht, welche tatsächlichen Umstände über die bereits von den genannten Gutachten behandelten Punkte hinaus einer Klärung bedürfen. Es verfängt auch nicht der Hinweis der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe ‑ statt ein weiteres Gutachten einzuholen ‑ durch die Auswertung von Onlineinformationen allgemeiner Art eine eigene Sachkunde herzustellen versucht und diese dann in das Urteil einfließen lassen. Soweit das Verwaltungsgericht auf medizinische Erklärungen insbesondere aus Internetveröffentlichungen wie "apothekenumschau.de" oder "onmeda.de" zurückgegriffen hat, diente das ersichtlich nicht der (zusätzlichen) Erkenntnisgewinnung, sondern erklärt sich hinlänglich aus dem Bemühen der Kammer, dem Urteil durch den ergänzenden Verweis auf allgemein zugängliches medizinisches Wissen zusätzliche Überzeugungskraft zu geben. Daraus kann weder der Schluss gezogen werden, dass aus der Sicht des Verwaltungsgerichts ‑ oder auch aus objektiver Sicht ‑ die Faktengrundlage für eine negative Bewertung der Thalidomidbedingtheit etwaiger Hüft‑/Beckenschädigungen der Klägerin ergänzungsbedürftig war, noch dass das Verwaltungsgericht eine ihm nicht zustehende Fachkompetenz in Anspruch genommen hätte. Unzutreffend ist schließlich auch die Auffassung der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe ihr mit dem Hinweis auf fehlende ärztliche Stellungnahmen, die für eine hüft‑/becken-bezogene Thalidomidschädigung sprechen könnten, eine "Beibringungslast" auferlegt und so den Grundsatz der Amtsermittlung missachtet. Diese Auffassung könnte nur dann in dem von der Klägerin gewünschten Sinne tragfähig sein, wenn das Verwaltungsgericht von einer offenen Sachlage ausgegangen wäre und auf dieser gedanklichen Grundlage eine Beweislastentscheidung zum Nachteil der Klägerin getroffen hätte. Das trifft aber, wie dargestellt, nicht zu; vielmehr hat sich das Verwaltungsgericht die volle Überzeugung verschafft, dass die im Streit stehenden Beschwerden der Klägerin nicht vorliegen bzw. nicht thalidomidverursacht sind.
12Soweit der Antrag einen (weiteren) Verfahrungsmangel darin sieht, dass die Rücknahme des Bewilligungsbescheides ‑ vom 4. Februar 1974 ‑ u. a. wegen des Fehlens einer vorherigen Anhörung gegen das Rechtsstaatsprinzip und gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen habe, ist das schon im Ansatz nicht geeignet, den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO darzulegen. Denn diese Bestimmung bezieht sich lediglich auf Mängel des gerichtlichen Verfahrens, nicht aber auf etwaige Fehler im vorangegangenen behördlichen Verfahren.
13Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 10. Juni 1997 ‑ 8 B 852/97 ‑ und vom 29. Mai 2000 ‑ 22 A 852/99 ‑, jeweils m. w. N.
14Entsprechendes gilt für einen etwaigen Verstoß gegen § 51 VwVfG, wie er von der Klägerin unter Hinweis auf eine verspätete Zusendung erbetener Unterlagen durch die Beklagte in den Raum gestellt wird.
15Soweit die Klägerin schließlich im Zusammenhang mit dem Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO ausführt, die "Aberkennung von 4 Versorgungspunkten" (rechte bzw. linke Hüfte pauschal) habe einen eigenständigen Verwaltungsakt dargestellt und daran habe sich durch die "Verrechnung" mit anderen Punkten nichts geändert, bleibt das auch dann ohne Erfolg, wenn zu ihren Gunsten davon ausgegangen wird, dass sie damit auch im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO die Richtigkeit entsprechender Ausführungen des angefochtenen Urteils in Zweifel ziehen möchte. Denn sie widerspricht der Auffassung des Verwaltungsgerichts, das eine an den §§ 48 f. VwVfG zu messende Regelung der Beklagten verneint hat, ohne den eingehenden Ausführungen im Urteil eigene Argumente von hinlänglichem Gewicht entgegenzusetzen. Insbesondere fehlt es an jeglicher Darlegung, aus welchem Grund eine Verwaltungsaktsqualität der "Aberkennung" bzw. der "Gesamtverrechnung" von Punkten durch die Beklagte zu einem Anspruch auf Stiftungsleistungen in der von ihr begehrten Höhe und damit zur Ergebnisunrichtigkeit des angegriffenen Urteils geführt haben könnte.
16Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 188 Satz 2 VwGO.
17Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
(1) Den in § 12 genannten leistungsberechtigten Personen stehen als Leistungen zu:
- 1.
eine einmalige Kapitalentschädigung, - 2.
eine lebenslängliche Conterganrente vorbehaltlich des Absatzes 2 Satz 3, - 3.
jährliche Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe und - 4.
eine jährliche Sonderzahlung, die erstmals für das Jahr 2009 und letztmalig für das Jahr 2022 gewährt wird.
(2) Die Höhe der in Absatz 1 genannten Leistungen richtet sich nach der Schwere des Körperschadens und der hierdurch hervorgerufenen Körperfunktionsstörungen und liegt
- 1.
bei der einmaligen Kapitalentschädigung zwischen 1 278 Euro und 12 782 Euro, - 2.
bei der monatlichen Conterganrente zwischen 662 Euro und 7 480 Euro, - 3.
bei den jährlichen Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe zwischen 876 Euro und 9 900 Euro. Zusätzlich erhält jede leistungsberechtigte Person einen jährlichen Sockelbetrag von 4 800 Euro.
(3) Auf Antrag ist die Conterganrente zu kapitalisieren, soweit der Betrag zum Erwerb oder zur wirtschaftlichen Stärkung eigenen Grundbesitzes zu eigenen Wohnzwecken verwendet wird. Die §§ 72, 73, 74 Abs. 3 Satz 1, §§ 75, 76 und 77 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 des Bundesversorgungsgesetzes finden entsprechende Anwendung. § 75 Abs. 1 Satz 2 des Bundesversorgungsgesetzes findet mit der Maßgabe Anwendung, dass die Veräußerung und Belastung des mit der Kapitalabfindung erworbenen oder wirtschaftlich gestärkten Grundstücks, Erbbaurechts, Wohnungseigentums oder Wohnungserbbaurechts innerhalb der Frist, für die die Conterganrente kapitalisiert wurde, nur mit Genehmigung der Stiftung zulässig sind. Die Kosten der Eintragung einer Verfügungsbeschränkung gemäß § 75 Abs. 1 Satz 2 bis 4 des Bundesversorgungsgesetzes in das Grundbuch trägt die leistungsberechtigte Person. Darüber hinaus ist die Conterganrente auf Antrag zu kapitalisieren, wenn dies im berechtigten wirtschaftlichen Interesse der leistungsberechtigten Person liegt. Im Übrigen kann die Conterganrente auf Antrag teilweise kapitalisiert werden, wenn dies im Interesse der leistungsberechtigten Person liegt. Die Kapitalisierung ist auf die für einen Zeitraum von höchstens zehn Jahren zustehende Conterganrente beschränkt. Der Anspruch auf Conterganrente, an deren Stelle die Kapitalabfindung tritt, erlischt für die Dauer des Zeitraumes, für den die Kapitalabfindung gewährt wird, mit Ablauf des Monats, der auf den Monat der Auszahlung der Abfindung folgt.
(4) Die Zahlungen der Conterganrente beginnen frühestens mit dem Antragsmonat. Wird der Antrag innerhalb von drei Monaten nach dem Inkrafttreten des Errichtungsgesetzes gestellt, so wird die Conterganrente vom Zeitpunkt des Inkrafttretens an gewährt. Die jährlichen Sonderzahlungen beginnen nach Maßgabe des Absatzes 1 Satz 1 mit dem Jahr, in dem der Antrag auf Conterganrente gestellt worden ist. Für die Auszahlung der Mittel für die jährlichen Sonderzahlungen nach Absatz 1 Satz 3 werden Anträge auf Leistungen nach diesem Gesetz oder Anträge auf Erhöhung der Leistungen nach diesem Gesetz berücksichtigt, die bis einschließlich 31. Dezember 2021 gestellt worden sind. Die Zahlung der jährlichen Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 beginnt ab dem 1. Januar 2017.
(5) Die Ansprüche auf die in Absatz 1 genannten Leistungen können nicht übertragen, verpfändet oder gepfändet werden. Vererblich sind lediglich Ansprüche auf Kapitalentschädigung, auf Conterganrente und auf die jährliche Sonderzahlung, die im Zeitpunkt des Todes der leistungsberechtigten Person bereits fällig geworden sind, und zwar nur dann, wenn die Person von ihrem Ehegatten, ihrer Lebenspartnerin oder ihrem Lebenspartner, ihren Kindern oder ihren Eltern beerbt wird.
(6) Das Nähere regeln die Satzung und die Richtlinien. Die Satzung trifft insbesondere Bestimmungen über die Voraussetzungen und den Umfang der Kapitalisierung der Conterganrente nach Absatz 3 Satz 5 und 6 sowie über die Art der Berechnung des Kapitalbetrages. In den Richtlinien ist insbesondere zu regeln, nach welchen Maßstäben auf der Grundlage der zur Verfügung stehenden Mittel Leistungen nach diesem Abschnitt zu bemessen sind und wie das Verfahren zur Gewährung von Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe auszugestalten ist; diese Richtlinien erlässt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
(7) An Erhöhungen der Conterganrente nehmen auch leistungsberechtigte Personen teil, deren Conterganrente nach Absatz 3 kapitalisiert worden ist.
(8) Für die Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen gelten die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes entsprechend. § 118 Abs. 3 und 4 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ist entsprechend anwendbar.
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 15. April 2015 wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungszulassungsverfahrens.
1
Gründe
2Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils) und des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache) gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
3Ernstliche Zweifel i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind gegeben, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angegriffenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird.
4Vgl. zu diesem Prüfungsmaßstab BVerfG, Kammerbeschluss vom 26. März 2007 ‑ 1 BvR 2228/02 ‑, NVwZ‑RR 2008, 1 = GewArch 2007, 242 = juris, Rn. 25.
5Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils ergeben sich zunächst nicht daraus, dass diesem ein unzutreffender Maßstab für die zu fordernde Wahrscheinlichkeit der Thalidomid‑Verursachung zugrundeläge. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend und im Einklang mit der ständigen Senatsrechtsprechung hervorgehoben, dass der Kreis der Anspruchsberechtigten nach § 12 Abs. 1 ContStifG weit gefasst sei, weil angesichts der Komplexität insbesondere der medizinischen Fragestellungen eine über jeden Zweifel erhabene Kausalitätsfeststellung ‑ in die eine wie in die andere Richtung ‑ kaum jemals möglich sein dürfte. Soweit das Verwaltungsgericht weiter ausführt, für die Zuerkennung der Leistungsberechtigung könne es nicht ausreichen, dass Thalidomid als theoretische Ursache für Fehlbildungen nicht auszuschließen sei, weil sich sonst der anspruchsberechtigte Personenkreis nicht verlässlich eingrenzen lasse, stimmt auch diese Annahme mit dem vom Senat eingenommenen Standpunkt überein. Denn auch bei zugunsten potenzieller Anspruchsberechtigter relativ weit gefassten Voraussetzungen muss angesichts der theoretisch durchaus vielfältigen und wohl noch nicht bis ins Letzte ergründeten Ursachen für kongenitale Missbildungen eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine gerade auf Thalidomideinnahme beruhende Schädigung werdenden Lebens vorliegen.
6Eine solche Wahrscheinlichkeit hat das Verwaltungsgericht mit zutreffenden Gründen verneint, wobei vorliegend gerade die Kombination einer sehr unwahrscheinlichen Thalidomideinnahme mit einem atypischen Schädigungsbild nachgerade zu der Annahme zwingt, dass kein Fall nach § 12 Abs. 1 ContStifG gegeben ist. Die Angriffe der Klägerin gegen die Argumentation des Verwaltungsgerichts im Einzelnen führen daher jedenfalls nicht zu ernstlichen Richtigkeitszweifeln.
7Zunächst spricht nichts dafür, das Verwaltungsgericht könne übersehen haben, dass Thalidomid bis zum Verkaufsstopp Ende November 1961 nicht nur unter den Markennamen "Contergan" bzw. "Contergan forte" und auch nicht nur als Beruhigungs‑ und Schlafmittel, sondern auch unter anderen Bezeichnungen bzw. mit anderem Wirkungsspektrum auf dem Arzneimittelmarkt vertreten war. Das Verwaltungsgericht verwendet wiederholt Formulierungen wie "Einnahme thalidomidhaltiger Präparate" oder "Einnahme von Thalidomid", was nahelegt, dass der Kammer das Vorhandensein anderer thalidomidhaltiger Produkte als "Contergan" oder "Contergan forte" vor Augen stand, zumal dies zu dem Grundwissen aller gehört, die sich regelmäßig mit der juristischen Aufarbeitung dieses besonders spektakulären Arzneimittelskandals befassen.
8Vgl. dazu insbesondere die auch vom Verwaltungsgericht zitierte Monografie von Kirk, Der Contergan-Fall: eine unvermeidbare Arzneimittelkatastrophe? Zur Geschichte des Arzneistoffs Thalidomid, 1999, Anhang I (S. 241 f.).
9Soweit das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils daneben auch von "Contergan" spricht, erklärt sich dies zwanglos zum einen damit, dass gerade dieses Medikament in den fraglichen Jahren 1957 bis 1961 besonders oft eingenommen wurde und später dem gesamten Skandal ‑ und nicht zuletzt der beklagten Stiftung ‑ den Namen gab, und zum anderen damit, dass auch in der vorprozessualen Korrespondenz der Klägerseite und vor allem in der schriftlichen Erklärung der Mutter der Klägerin von Contergan (oder Contregan) die Rede war. Abgesehen davon ist kaum anzunehmen, dass einer Klinikärztin die sonstigen thalidomidhaltigen Arzneien (außer Contergan) unbekannt waren, sofern nicht ohnehin bei einer Medikamentenausgabe eher auf die enthaltenen Wirkstoffe (also Thalidomid) als auf den Markennamen des Präparates geachtet wird.
10Der Antrag greift auch ohne Erfolg das Argument des Verwaltungsgerichts an, wonach nicht nachvollziehbar sei, warum die Mutter der Klägerin nichts gegen die Klinik bzw. die behandelnde Ärztin unternommen habe, wenn es doch so offensichtlich gewesen sei, dass die Behinderungen der Klägerin mit der Gabe eines schädlichen Medikaments zusammengehangen hätten. Soweit die Klägerin hierzu darauf hinweist, ihre Eltern hätten kaum Deutsch gesprochen und seien kurz nach ihrer, der Klägerin, Geburt wieder in das damalige Jugoslawien zurückgekehrt, erklärt das nicht erschöpfend, warum die auch für juristische Laien naheliegende Möglichkeit einer Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen nicht ergriffen worden ist. Im Übrigen dürfte die Darstellung über die Rückkehr der Eltern in ihre Heimat im Jahr 1973 auch nicht zutreffen, denn die Klägerin hat in ihrer ausführlichen persönlichen Stellungnahme ("Biographie") vom 15. Februar 2010 ausdrücklich geschildert, dass nur sie und ihre Mutter nach Bosnien-Herzegowina zurückgekehrt seien, wohingegen ihr Vater als Gastarbeiter in Deutschland geblieben sei.
11Soweit es die ätiologische Einordnung der Körper‑ und Gesundheitsbeeinträchtigungen der Klägerin betrifft, dürfte deren Ansicht zutreffen, dass die in den Gutachten von Prof. Dr. L. vom 19. Juli 2011 und von Prof. Dr. G. vom 24. Januar 2013 ausdrücklich oder sinngemäß vorgenommene Einstufung der sog. VACTERL‑Asso-ziation als Differenzialdiagnose zu einer Verursachung durch Thalidomid zumindest missverständlich ist. Daraus kann aber nichts Entscheidendes in Richtung auf eine erhöhte Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden, dass die Missbildungen bei der Klägerin auf Thalidomid zurückzuführen sind. Denn auch wenn die Bezeichnung "VACTERL‑Assoziation" üblicherweise lediglich eine symptombeschreibende Funktion haben und deren Feststellung ‑ d.h. das Vorliegen von mindestens drei der sieben unter dem Akronym "VACTERL" zusammengefassten Anomalien ‑ nichts über die Entstehungsursache aussagen sollte, käme nicht umgekehrt in Frage, die Bejahung einer VACTERL‑Assoziation als Hinweis auf eine hohe Wahrscheinlichkeit einer Thalidomidverursachung anzuführen. Dies ergibt sich insbesondere nicht aus dem von der Klägerin beigefügten Aufsatz von Stevenson und Hunter ("Considering the Embryopathogenesis of VACTERL Association", Molecular Syndromology 2013; 4:7‑15), in dem vielmehr neben einer Verursachung durch Thalidomid eine Anzahl weiterer teratogener sowie nicht-teratogener Entstehungsursachen diskutiert wird. Der vom Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die Gutachten von Prof. Dr. L. und Prof. Dr. G. eingenommene Standpunkt, jedenfalls bei der vorliegend gegebenen ausgeprägten Einseitigkeit der Armfehlbildungen sei eine teratogene Schädigung durch Thalidomid unwahrscheinlich, wird weder durch den genannten Aufsatz von Stevenson und Hunter noch durch die beigebrachte Stellungnahme des sich auf Stevenson und Hunter beziehenden Internisten und Kardiologen sowie Klinischen Pharmakologen Prof. Dr. L1. vom 12. Juni 2015 erschüttert.
12Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass selbst im Falle einer Verabreichung eines thalidomidhaltigen Medikaments an die Mutter der Klägerin während der Schwangerschaft und dadurch hervorgerufener Missbildungen bei der Klägerin eine Anspruchsberechtigung nach den §§ 12 und 13 ContStifG schwerwiegenden Zweifeln ausgesetzt wäre, denen hier aber nicht abschließend nachgegangen werden muss. Denn die zur Gründung der sog. Conterganstiftung führende (Selbst‑)Verpflichtung der Fa. H. ‑GmbH und insbesondere die im Laufe der Jahre erheblichen Zuschüsse aus Bundesmitteln beruhen letztlich auf einer anerkannten fortwirkenden Verantwortlichkeit dafür, dass in den Jahren 1957 bis Ende 1961 Arzneien wie Contergan in der Bundesrepublik Deutschland ‑ weithin rezeptfrei ‑ vertrieben wurden bzw. vertrieben werden konnten. In diesem Zusammenhang ist etwa darauf hinzuweisen, dass es in Deutschland bis zum sog. Conterganskandal nicht einmal ein Arzneimittelgesetz gab, das eine Katastrophe dieses Ausmaßes zumindest deutlich unwahrscheinlicher hätte machen können; bemerkenswert ist auch, dass es in einer Reihe von Staaten, etwa den USA und der DDR, wegen frühzeitig gesehener Risiken nicht zu einer Lizenzvergabe für Thalidomid gekommen ist, während in anderen Staaten, so in Österreich und der Schweiz, von vornherein eine Rezeptpflicht bestand und daher Schädigungsfälle relativ selten blieben.
13Vgl. Kirk, a. a. O., S. 20 bis 33, 70 bis 83, 107 bis 113, 135 f. und 191 bis 203; Wikipedia unter: "Contergan-Skandal".
14Dieser ‑ vorstehend nur schlagwortartig umrissene ‑ Entstehungsgrund für die Conterganstiftung dürfte Auswirkungen auch auf den sachlichen Anwendungsbereich des Conterganstiftungsgesetzes haben, so dass dieser vermutlich nicht Fälle umfasst, die nicht in erster Linie auf dem seinerzeit legalen Vertrieb derartiger Mittel in den Jahren 1957 bis 1961 beruhten, sondern in denen ‑ Jahre später ‑ ein zusätzliches erhebliches Verschulden Dritter den unter wertenden Gesichtspunkten klar im Vordergrund stehenden Verursachungsbeitrag bildet. Ein solcher Fall wäre auf der Grundlage der klägerischen Schilderungen vorliegend anzunehmen.
15Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich zugleich, dass die Rechtssache keine tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist.
16Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und §188 Satz 2 VwGO.
17Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
Die Sachgebiete in Angelegenheiten der Fürsorge mit Ausnahme der Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes, der Jugendhilfe, der Kriegsopferfürsorge, der Schwerbehindertenfürsorge sowie der Ausbildungsförderung sollen in einer Kammer oder in einem Senat zusammengefaßt werden. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in den Verfahren dieser Art nicht erhoben; dies gilt nicht für Erstattungsstreitigkeiten zwischen Sozialleistungsträgern.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.