Verwaltungsgericht Köln Urteil, 15. Juli 2015 - 3 K 2005/15.A
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 17.3.2015 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
T a t b e s t a n d :
2Der am 00.00.0000 in Singar, Kreis Mosul geborene Kläger ist irakischer Staatsangehhöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er reiste am 12.01.2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 23.02.2015 einen Asylantrag. Bei seiner Erstbefragung am 23.02.2015 gab er an, er habe den Irak am 31.12.2014 verlassen. Er sei über Syrien, die Türkei und unbekannte Länder nach Deutschland gereist. Er sei in die Bundesrepublik Deutschland gekommen, weil hier die Menschenrechte gewahrt würden. Er sei körperlich behindert und erhoffe sich in Deutschland bessere Möglichkeiten.
3Die anschließend durchgeführte EURODAC-Anfrage ergab Treffer für Ungarn und Österreich. Daraufhin teilte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) dem Kläger mit Schreiben vom 27.02.2015 mit, dass ein Dublin-Verfahren mit dem Ziel der Rückführung nach Ungarn eingeleitet werde. Unter demselben Datum richtete das Bundesamt ein Wiederaufnahmegesuch nach Art. 18 Abs. 1 b der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 (Dublin III-VO) unter Hinweis auf den dort am 10.01.2015 gestellten Asylantrag des Klägers an Ungarn. Am 12.03.2015 stimmte Ungarn der Rückführung des Klägers zu.
4Mit Bescheid vom 17.03.2015 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers ab und ordnete seine Abschiebung nach Ungarn an. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 27 a AsylVfG unzulässig, da Ungarn aufgrund des bereits dort gestellten Asylantrags gemäß Art. 18 Abs. 1 b Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich.
5In den Verwaltungsvorgängen des Bundesamtes ist kein Zustellungsnachweis enthalten.
6Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 02.04.2015 die vorliegende Klage erhoben, zu deren Begründung sein Prozessbevollmächtigter vorgetragen hat: Der Kläger habe bei einem Bombenattentat im Irak ein Bein und ein Auge verloren. Seitdem leide er unter einem Traumata, das ihn nachts nicht schlafen lasse. In Ungarn sei er medizinisch nicht ausreichend behandelt worden. Außerdem habe man ihn mehrere Tage lang in ein Gefängnis gesperrt. Bei einer Rückführung nach Ungarn müsse der Kläger mit erneuter Inhaftierung rechnen. Das ungarische Asylverfahren leide an systemischen Mängeln. Die Durchführung eines fairen Verfahrens sei dort nicht gewährleistet.
7Der Kläger beantragt,
8den Bescheid der Beklagten vom 17.03.2015 aufzuheben.
9Die Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid.
12Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
14E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
15Die Kammer entscheidet im Einverständnis der Beteiligten über die Klage ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
16Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig und auch begründet.
17Der Bescheid der Beklagten vom 17.03.2015 ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylVfG) rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Unrecht nach § 27 a AsylVfG als unzulässig abgelehnt und auf der Grundlage des § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die Abschiebung des Klägers nach Ungarn angeordnet.
18Gemäß § 27 a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In einem solchen Fall prüft die Beklagte den Asylantrag nicht, sondern ordnet die Abschiebung in den zuständigen Staat an (§ 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG).
19Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin III-VO).
20Danach bestand zwar gemäß Art. 18 Abs. 1 b Dublin III-VO eine Zuständigkeit Ungarns für die Prüfung des (erneuten) Asylantrags des Klägers, weil dieser zuvor dort einen Asylantrag gestellt hatte und die ungarischen Behörden einer Wiederaufnahme des Klägers zugestimmt hatten. Gleichwohl ist nunmehr die Beklagte aufgrund der Auffangzuständigkeit des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO für die Entscheidung über das Asylbegehren des Klägers zuständig, weil einer Überstellung nach Ungarn systemische Mängel des dortigen Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegenstehen und eine weitere Prüfung nach einem zuständigen Mitgliedstaat nach Ablauf der Fristen für die Stellung von Aufnahme- oder Wiederaufnahmeersuchen keinen Erfolg verspricht.
21Die Dublin III-VO beruht auf der Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Aufgrund dieses Prinzips des gegenseitigen Vertrauens gilt daher grundsätzlich die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtecharta (im Folgenden: GrCh) sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht. Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine unwiderlegbare Vermutung. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten nicht vereinbar ist. Zwar genügt nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat und nicht jeder geringste Verstoß gegen die Richtlinien, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Ist jedoch ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 GrCh implizieren, so ist die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar. In solchen Situationen obliegt es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den „zuständigen Mitgliedstaat“ im Sinne der Verordnung zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GrCh ausgesetzt zu werden.
22Vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011 – Rs C-411/10 und C-493/10, N.S. und M.E. –, juris; EGMR, Urteil vom 21.01.2011 – 30696/09 – M.S.S. / Belgien und Griechenland – und Urteil vom 04.11.2014 – 29217/12 – Tarakhel / Italien –.
23Der Begriff des systemischen Mangels ist weit zu verstehen. Mit „Asylverfahren und Aufnahmebedingungen“ ist der Gesamtkomplex des Asylsystems im Zielstaat gemeint. Dieses umfasst den Zugang zum Asylverfahren, das Asylverfahren selbst, die Behandlung während des Asylverfahrens, die Handhabung der Anerkennungsvoraussetzungen, das Rechtsschutzsystem und auch die in der Genfer Flüchtlingskonvention und der Qualifikationsrichtlinie geregelte Behandlung nach der Anerkennung.
24Vgl. Lübbe. „Systemische Mängel“ in Dublin-Verfahren, ZAR 2014, 105 ff; Bank/Hruschka, ZAR 2012, 182 ff.
25Systemische Mängel im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung des EuGH sind dabei nicht auf flächendeckende gravierende Systemausfälle (wie etwa für Griechenland festgestellt) beschränkt, sondern erfassen generell solche, die im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaats angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen und deshalb den Einzelnen vorhersehbar und regelhaft treffen. Auch tatsächliche Umstände, die dazu führen, dass ein theoretisch sachgerecht konzipiertes und nicht zu beanstandendes Asyl- und Aufnahmesystem – aus welchen Gründen auch immer – faktisch ganz oder in weiten Teilen seine ihm zugedachte Funktion nicht mehr erfüllen kann und weitgehend unwirksam wird, können einen systemischen Mangel darstellen. Nicht systemisch ist demgegenüber ein Mangel dann, wenn es lediglich in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GrCh bzw. Art. 3 EMRK kommt.
26Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19.03.2014 – 10 B 6.14 – und vom 06.06.2014 – 10 B 35.14 –; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10.11.2014 – A 11 S 1778/14 –, alle: juris.
27Nicht erforderlich ist, dass sich der systemische Mangel bzw. die strukturelle – systemische – Schwachstelle auf eine unüberschaubare Vielzahl, die Mehrheit aller Asylbewerber oder gar auf alle Asylbewerber auswirkt. Ein systemischer Mangel kann vielmehr auch dann vorliegen, wenn nur eine geringe Anzahl von Asylbewerbern betroffen ist, soweit dies vorhersehbar und regelhaft geschieht.
28Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteile vom 18.03.2015 – A 11 S 2042/14 – und vom 10.11.2014 – A 11 S 1778/14 –, juris; Lübbe, a. a. O..
29Im Falle des Vorliegens systemischer Mängel ist es ferner erforderlich, dass der einzelne Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, hiervon im Falle einer Überstellung in den Zielstaat selbst betroffen zu sein. Bei flächendeckenden systemischen Mängeln bedarf dies keiner besonderen Darlegung. Bei systemischen Mängeln, die sich nur auf Teilgruppen oder vereinzelt auswirken, müssen weitere besondere Umstände des Einzelfalls vorliegen bzw. geltend gemacht werden, die eine Betroffenheit des Einzelnen beachtlich wahrscheinlich machen.
30Vgl. Lübbe, a. a. O.
31Bei der Beurteilung der Situation in einem Mitgliedstaat und der für einen Asylbewerber dort bestehenden tatsächlichen Risiken im Falle einer Überstellung sind Stellungnahmen des UNHCR ebenso heranzuziehen wie regelmäßige und übereinstimmende Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen sowie sonstige Berichte der europäischen Institutionen, insbesondere der Kommission.
32Vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011, a. a. O., sowie vom 30.05.2013 – C-528/11 –, juris.
33Für die Rechtsfrage einer Verletzung des Art. 3 EMRK hat die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) eine Orientierungs- und Leitfunktion.
34Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze und nach Auswertung der aktuellen Auskunfts- und Erkenntnislage zu Ungarn steht es zur Überzeugung der Kammer fest, dass dem Kläger bei einer Überstellung nach Ungarn bereits aufgrund der dort bestehenden Inhaftierungspraxis die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne der EMRK mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
35Asylsuchende unterliegen in Ungarn einem erheblichen Risiko, für einen längeren Zeitraum in Haft genommen zu werden. Dies gilt in besonderem Maße für den Personenkreis der nach der Dublin III-VO rücküberstellten Asylsuchenden, d. h. Personen, die bereits ein Asylverfahren in Ungarn durchgeführt hatten, das entweder noch nicht abgeschlossen oder mit negativem Ausgang beendet ist. Denn diese werden nach den Erkenntnissen des UNHCR
36vgl. Auskunft vom 30.09.2014 an das VG Bremen
37mit Ausnahme von Familien oder besonders vulnerablen Personen bei Rückkehr nach Ungarn stets in Haft genommen.
38Diese Inhaftierungspraxis begegnet bereits deshalb Bedenken, weil nach den UNHCR-Richtlinien zur Inhaftierung von Flüchtlingen und Asylsuchenden Asylsuchende grundsätzlich nicht in Haft genommen werden sollten und Haft immer nur das letzte Mittel darstellen darf. Da Asylsuchende meist bereits traumatisierende Erfahrungen gemacht haben, kann sie nämlich eine Inhaftierung mit besonderer Härte treffen.
39Vgl. UNHCR vom 30.09.2014 an das VG Bremen unter Hinweis auf UNHCR, Detention Guidelines, 2012.
40Diesen Anforderungen wird die in dem seit dem 01.07.2013 geltenden ungarischen Asylgesetz geregelte Möglichkeit einer Inhaftierung von Asylbewerbern bis zu sechs Monaten schon deshalb nicht gerecht, weil die dort genannten Gründe für eine Asylhaft sehr weit und teilweise vage formuliert sind und auch die Anordnung der Haft durch die Verwaltungsbehörde nach der Auskunft des UNHCR nicht mit Gründen versehen wird. Die ungarischen Behörden scheinen dabei bei Dublin-Rückkehrern generell eine Fluchtgefahr anzunehmen,
41vgl. UNHCR vom 09.05.2014 an das VG Düsseldorf.
42Ein solches Vorgehen, bei dem Dublin-Rückkehrer regelmäßig inhaftiert werden, wird den europarechtlichen Vorgaben nicht im Ansatz gerecht. Zwar sieht die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 (Aufenthaltsrichtlinie) in Art. 8 Abs. 2 die Möglichkeit der Inhaftierung von Asylbewerbern unter anderem bei Fluchtgefahr vor. Die Normen des europäischen Flüchtlingsrechts stehen aber einer generellen Inhaftierung von Gruppen von Asylbewerbern eindeutig entgegen, vgl. etwa § 8 Abs. 1, 2 und 4 der Aufenthaltsrichtlinie und Art. 28 Dublin III-VO. Das von diesen Normen statuierte Erfordernis einer Einzelfallprüfung und der strikten Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wird in Ungarn nach allen der Kammer zur Verfügung stehenden Erkenntnissen systematisch missachtet. Die flächendeckende Inhaftierung verstößt dabei nicht nur gegen das Verbot der unrechtmäßigen Inhaftierung des Art. 5 EMRK, sondern begründet angesichts der regelmäßig langen Dauer der Inhaftierung und der Umstände in der Haft die Gefahr einer unmenschlichen und entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK in Verbindung mit Art. 4 GrCh.
43Denn es gibt gegen die Verhängung von Asylhaft keinen effektiven Rechtsschutz des Betroffenen. Alternativen zur Haft, wie etwa das Hinterlegen einer Kaution, werden kaum in Erwägung gezogen. In der Praxis führt dies dazu, dass die Gründe für eine Inhaftierung mangels individualisierter Begründung häufig nicht nachvollziehbar sind und willkürlich erscheinen.
44Vgl. UNHCR vom 09.05.2014 an das VG Düsseldorf; Report des Kommissars für Menschenrechte des Europäischen Rates, Nils Muiznieks, vom 16.12.2014 über einen Besuch Ungarn im Juli 2014 (Muiznieks-Report), Rdnr. 155 f.
45Darüber hinaus ist die gerichtliche Überprüfung und Kontrolle von Haftgründen und Haftverlängerungen nach den vorliegenden Erkenntnissen völlig unzureichend. So verlängern die ungarischen Gerichte die Haftanordnungen aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung meist um die maximal mögliche Spanne von 60 Tagen. Dabei werden die Häftlinge dem Gericht in Gruppen vorgeführt, so dass für die Bearbeitung eines Einzelfalls meist weniger als drei Minuten zur Verfügung stehen.
46Vgl. UNHCR vom 09.05.2014 an das VG Düsseldorf
47Dass bei dieser Verfahrensweise eine individuelle Prüfung von Haftgründen nicht möglich (und nach der herrschenden ungarischen Rechtsauffassung wohl auch gar nicht erforderlich) ist, liegt auf der Hand. Folge dieser Verfahrensweise ist es, dass die maximale Haftdauer in vielen Fällen voll ausgeschöpft wird.
48So PRO ASYL vom 31.10.2014 an das VG Düsseldorf.
49Hinzu kommt, dass Asylsuchende nach den gesetzlichen Bestimmungen in Ungarn zwar Anspruch auf eine kostenlose Rechtsberatung haben, in der Praxis jedoch eine qualifizierte Beratung durch das staatliche Rechtshilfesystem aber nicht zur Verfügung steht. So ist in den Haftanstalten der Zugang zu einer Rechtsberatung praktisch nur über Vertragsanwälte des Hungarian Helsinki Committee (HHC) möglich, die die Einrichtungen einmal pro Woche besuchen, was zur Folge hat, dass nur eine Minderheit der inhaftierten Asylsuchenden Rechtsberatung erhält oder anwaltlich vertreten wird.
50Vgl. UNHCR vom 30.09.2014 und PRO ASYL vom 31.10.2014, beide an das VG Düsseldorf.
51Diese Bedingungen führen dazu, dass ein Asylhäftling weitgehend rechtsschutzlos gestellt ist und zu einem reinen Objekt des Verfahrens der Haftanordnung sowie deren Überprüfung und Verlängerung herabgewürdigt wird.
52Schließlich entsprechen auch die Haftbedingungen nach den vorliegenden Erkenntnisquellen nicht den Mindeststandards an eine menschenwürdige Unterbringung und Behandlung. So wird dort vielfach schlecht geschultes Wach- und Betreuungspersonal eingesetzt. Auch ist eine angemessene medizinische Betreuung nicht gewährleistet. Eine Betreuung durch Psychologen findet nicht statt. Zudem erfüllen einige Hafteinrichtungen nicht die hygienischen Mindeststandards. Hinzu kommen Berichte über Misshandlungen und Schikanen sowie Beschwerden über brutale Übergriffe.
53Vgl. UNHCR vom 09.05.2014 an das VG Düsseldorf und vom 30.09.2014 an das VG Bremen; PRO ASYL vom 31.10.2014 an das VG Düsseldorf.
54Die systematisch angewendete Praxis, Asylhäftlinge angeleint und in Handschellen bei auswärtigen Terminen (etwa bei Behörden- oder Arztbesuchen) vorzuführen, stellt bereits für sich genommen eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung dar. Die erkennende Kammer schließt sich hierbei in vollem Umfang der Bewertung des UNHCR
55vgl. Auskünfte vom 09.05. und 30.09.2014 an das VG Düsseldorf
56an. An dieser Einschätzung vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass eine derartige Behandlung bei Straftätern in Ungarn allgemein üblich ist. Denn abgesehen davon, dass es bereits fraglich erscheint, ob ein „Ausführen“ von Strafgefangenen an einer Leine – zusätzlich zu einer Sicherung durch Handschellen – noch mit den Regelungen der EMRK vereinbar ist, sind Asylsuchende keine Straftäter, so dass sich eine Gleichbehandlung bereits aus diesem Grund verbietet. Hierauf weist auch der UNHCR in seinen Detention Guidelines (a.a.O.) ausdrücklich hin. Danach sollen Asylsuchende in der Asylhaft mit Würde und entsprechend internationaler Standards behandelt werden. Insbesondere soll die Asylhaft keinen bestrafenden Charakter haben.
57Insgesamt lassen die vorstehend dargestellte Inhaftierungspraxis sowie die dabei herrschenden Haftbedingungen nach Überzeugung der Kammer nur den Schluss zu, dass das Asylverfahren bzw. die Aufnahmebedingungen in Ungarn jedenfalls im hier maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung regelhaft derart defizitär sind, dass dem Kläger dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.
58So unter Berücksichtigung der neueren Entwicklung im Ergebnis auch: VG Münster, Beschluss vom 07.07.2015 – 2 L 858/15.A –, VG Bremen, Beschluss vom 01.04.2015 – 3 V 145/15 –, VG München, Beschluss vom 20.02.2015 – M 24 S 15.50091 – und VG Berlin, Beschluss vom 15.01.2015 – 23 L 899.14 A – jeweils m. w. N., alle juris; a. A. u.a. VG Düsseldorf, Urteil vom 20.03.2015 – 13 K 501/14.A – (nicht rechtskräftig), VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 16.06.2015 – 7a L 1208/15.A –, BayVGH, Beschluss vom 12.06.2015 – 13a ZB 15.50097 – alle juris.
59Dieser Einschätzung steht nicht der Umstand entgegen, dass der UNHCR trotz seiner Kritik an der Inhaftierungspraxis Ungarns kein Positionspapier herausgegeben hat, in dem die Mitgliedstaaten der Europäischen Union aufgefordert werden, von Überstellungen Asylsuchender nach Ungarn gemäß der Dublin-Verordnung abzusehen. Denn der UNHCR hat in seiner Stellungnahme vom 30.09.2014 an das VG Bremen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er derartige Empfehlungen bislang lediglich in Ausnahmekonstellationen ausgesprochen habe und aus der Tatsache des Fehlens einer Äußerung in einem UNHCR-Papier, ob bestimmte Mängel einer Überstellung in den betreffenden Staat entgegenstünden, nicht geschlossen werden könne, der UNHCR vertrete die Auffassung, dass keine einer Überstellung entgegenstehenden Umstände vorlägen oder im Einzelfall vorliegen könnten. Dies sei deshalb der Fall, weil sich die betreffenden Papiere zumeist in erster Linie mit Empfehlungen zur Verbesserung des Flüchtlingsschutzes an die betreffende Regierung richteten. Nach Auffassung des UNHCR ist es die Aufgabe der Behörden und Gerichte, im Einzelfall zu entscheiden, ob drohende Verletzungen von Art. 3 EMRK eine Überstellung in einen Mitgliedstaat ausschließen.
60So UNHCR vom 30.09.2014 an das VG Bremen.
61Ebenso wenig gebietet der Umstand, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit Urteil vom 03.07.2014 (Mohammadi / Österreich, Nr. 71932/12) entschieden hat, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung ein Asylsuchender nicht mehr einer tatsächlichen und persönlichen Gefahr unterliege, bei einer Überstellung nach Ungarn im Rahmen der Dublin-Verordnung einer Behandlung ausgesetzt zu sein, die Art. 3 EMRK verletzen würde. Denn diese Einschätzung beruhte im Wesentlichen auf der Erwartung, dass die zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretenen Gesetzesänderungen in Ungarn zu einer positiven Entwicklung des ungarischen Asylsystems führen würden. Diese Erwartungen haben sich indessen – wie die oben dargelegten aktuellen Erkenntnisse zur Inhaftierungspraxis in Ungarn sowie den dort herrschenden Haftbedingungen für Asylbewerber zeigen – nicht erfüllt.
62Unabhängig von der menschenrechtswidrigen Inhaftierungspraxis Ungarns bestehen systemische Mängel in dem oben beschriebenen Sinn zur Überzeugung der Kammer aber auch aufgrund der Entwicklungen der jüngsten Zeit.
63Denn in der ersten Jahreshälfte 2015 sind nach Angaben der Regierung bis zu 72.000 Flüchtlinge nach Ungarn eingereist. Bis zum 14.07.2015 sollen es bis zu 78.000 Flüchtlinge gewesen sein,
64vgl. Pressemitteilung des ungarischen Minstry of Foreign Affairs and Trade vom 14.07.2015 „Steady migratory pressure necessitates border fence”
65Andere Quellen sprechen von 61.000 Flüchtlingen.
66So die Pressemitteilung des UNHCR vom 02.07.2015, „UNHCR urges Hungary not to amend its asylum system in a rush, ignoring international standards“.
67Die Aufnahmekapazitäten liegen bei maximal 2.500 Plätzen für Flüchtlinge. Bei einem Verhältnis von bis zu 29 Flüchtlingen im Halbjahr für einen Aufnahmeplatz ist für die Kammer schon im Ansatz nicht mehr erkennbar, wie hier eine menschenwürdige Unterbringung der Flüchtlinge gewährleistet sein soll,
68vgl. zu einer ähnlichen Überlegung zu Italien bei einem zahlenmäßig noch deutlich günstigeren Verhältnis von ca. 35.000 Aufnahmeplätzen und 7.900 Flüchtlingen in den ersten zwei Monaten 2015 VG Düsseldorf, Urteil vom 20.05.2015 – 8 K 1694/15.A – juris Rz. 40 ff.
69Dies gilt auch dann, wenn man berücksichtigt, dass zahlreiche Flüchtlinge, soweit sie nicht inhaftiert werden, untertauchen und in weitere EU-Länder weiterreisen. Denn angesichts der enorm hohen Zahl, die sich binnen weniger Jahre vervielfacht hat, sind die Aufnahmekapazitäten völlig unzureichend. Es ist ausgeschlossen, dass Unterkunft und Verpflegung in einem Mindestansprüchen genügenden Sinne vorgehalten werden, um die häufig traumatisierten Flüchtlinge ausreichend zu versorgen. Viele Flüchtlinge werden dementsprechend auf der Straße leben, wo sie einer feindseligen Umgebung und einer zunehmenden Anzahl an rassistischen Übergriffen ausgesetzt sind.
70Es bedarf vor diesem Hintergrund keiner abschließenden Entscheidung, ob durch die jüngst verabschiedeten Gesetzesänderungen weitere systemische Mängel im ungarischen Asylsystem vorliegen,
71vgl. UNHCR, UNHCR urges Hungary not to amend asylum system in haste.
72Insbesondere die Gesetzesänderung, nach der ein Asylverfahren eingestellt werden kann, wenn Flüchtlinge für die Dauer von 48 Stunden nicht in der Aufnahmeeinrichtung, der sie zugewiesen worden sind, angetroffen werden, dürfte schon im Ansatz nicht mehr mit rechtstaatlichen Grundsätzen vereinbar sein. Dies gilt umso mehr, als die oben geschilderten chaotischen Zustände in den ungarischen Flüchtlingseinrichtungen eine solche Feststellung der Abwesenheit praktisch immer möglich machen werden.
73Ebenso wenig bedarf es einer Entscheidung, ob die Rücküberführung nach Ungarn derzeit faktisch überhaupt möglich ist. Nachdem die ungarische Regierung am 22.06.2015 angekündigt hatte, keine Flüchtlinge mehr aufzunehmen, hat sie dies zwar schon am Folgetag revidiert. Weiterhin existieren jedoch Berichte, nach denen maximal zwölf Flüchtlinge täglich durch die ungarischen Behörden im Rahmen von Dublin-Rücküberstellungen aufgenommen werden. Bei mehreren Tausend Flüchtlingen, die allein Deutschland nach Ungarn zurücküberstellen möchte, ist sehr zweifelhaft, ob es im streitgegenständlichen Einzelfall überhaupt zu einer Rücküberstellung kommen wird.
74Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.
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Urteil einreichenVerwaltungsgericht Köln Urteil, 15. Juli 2015 - 3 K 2005/15.A zitiert oder wird zitiert von 34 Urteil(en).
(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.
(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 30. Juni 2014 - A 7 K 880/14 - geändert, soweit es der Klage stattgegeben hat.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 8. August 2014 - A 11 K 2448/14 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 30. Juni 2014 - A 7 K 880/14 - geändert, soweit es der Klage stattgegeben hat.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Entscheidungsgründe
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Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage 2 K 1422/15.A des Antragstellers gegen die in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12. Mai 2015 enthaltene Abschiebungsanordnung nach Ungarn wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
G r ü n d e
2Der Antrag des Antragstellers,
3die aufschiebende Wirkung seiner Klage 2 K 1422/15.A gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 12. Mai 2015, zugestellt am 18. Juni 2015, anzuordnen,
4ist zulässig und begründet.
5Im Rahmen der in Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotenen Abwägung zwischen dem privaten Interesse des Antragstellers an einem Verbleib in Deutschland bis zum Abschluss des Klageverfahrens und dem öffentlichen Interesse an einem Vollzug der auf § 34a Abs. 1 AsylVfG gestützten Anordnung der Abschiebung nach Ungarn im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12. Mai 2015 überwiegt unter Berücksichtigung aller derzeit erkennbaren Umstände das Aussetzungsinteresse. Denn es lässt sich nicht mehr mit der in Verfahren der vorliegenden Art hinreichenden Wahrscheinlichkeit annehmen, dass sich der auf §§ 27a, 34a AsylVfG gestützte Bundesamtsbescheid im Ergebnis als rechtmäßig erweisen wird. Deshalb wäre mit einem sofortigen Vollzug des umstrittenen Bundesamtsbescheides eine unbillige Härte für den Antragsteller verbunden (vgl. zum Prüfungsmaßstab § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO).
6Nach § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt in einem solchen Fall die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
7Zwar ist die Antragsgegnerin zutreffend davon ausgegangen, dass Ungarn grundsätzlich der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Mitgliedsstaat ist. Die ungarischen Behörden haben auf das Wiederaufnahmegesuch der Bundesrepublik Deutschland mit Schreiben vom 10. April 2015 ihre Zuständigkeit gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin II-VO) für die Bearbeitung des Asylantrags des Antragstellers erklärt.
8Allerdings kann nach Einschätzung des Gerichts unter Berücksichtigung des vorliegenden neueren Erkenntnismaterials sowie der geänderten Positionierung des ungarischen Staates zur Aufnahmebereitschaft von Asylbewerbern im Rahmen des Dublin-Übereinkommens aktuell nicht mehr mit der erforderlichen Gewissheit davon ausgegangen werden, dass in Ungarn systemische Mängel bzw. Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber nicht anzunehmen sind. Vielmehr gibt die jüngste Entwicklung in Ungarn Anlass zu der Annahme, dass gravierende Anhaltspunkte für das Bestehen systemischer Mängel vorhanden sind, aufgrund derer der Antragsteller im Falle der Rückführung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr liefe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein.
9Ausgangspunkt für diese Bewertung ist das in Ungarn sich in jüngster Zeit massiv zuspitzende Kapazitätsproblem bei der Aufnahme von Asylbewerbern bedingt durch die stetig ansteigende Zahl von Asylbewerbern. Während in Ungarn im Jahre 2012 lediglich 2.157 Asylanträge gestellt wurden, stieg die Anzahl der Asylbewerber im Jahre 2013 auf 18.900 an und verdoppelte sich im Jahre 2014 auf 42.777. Vom 1. Januar 2015 bis zum 1. März 2015 registrierten die ungarischen Behörden bereits eine Anzahl von 28.535 Personen.
10Vgl. Hungarian Helsinki Committee (HHC), Bericht vom 4. März 2015 (abrufbar unter http://helsinki.hu/wp-content/uploads/Asylum-2015-Hungary-press-info-4March2015.pdf.
11Bis zu 72.000 Flüchtlinge sollen bereits in diesem Jahr nach Angaben der ungarischen Regierung in das Land gelangt sein.
12Vgl. spiegelonline: Überlastetes Asylsystem, Ungarn verschärft Gesetz zur Aufnahme von Flüchtlingen, Bericht vom 6. Juli 2015, abrufbar unter: http://www.spiegel.de/politik/ausland/ungarn-verschaerft-gesetzzur-aufnahme-von-flüchtlingen.
13Ungarn gehört damit in der EU zum drittgrößten Zuwanderungsland für Asylbewerber.
14Vgl. Hungarian Helsinki Committee (HHC), Bericht vom 4. März 2015,aaO.
15Hinzu kommt noch, dass Ungarn nach der Dublin-VO verpflichtet ist, alle weitergereisten Personen, die erstmals in Ungarn einen Asylantrag gestellt haben, wiederaufzunehmen. Dieser großen Anzahl von Asylbewerbern steht demgegenüber nur eine geringe Zahl von Aufnahmeplätzen gegenüber. Wie dem jüngsten Bericht des European Asylum Support Office (EOS) vom 18. Mai 2015 zu entnehmen ist, der eine ausführliche aktuelle Berichterstattung über das ungarische Asylsystem enthält,
16http://easo.europa.eu/wp-content/uploads/Description-of-the-Hungarian-asylum-system-18-May-final.pdf;
17gibt es in ganz Ungarn weniger als 2.500 Aufnahmeplätze in staatlichen Unterbringungseinrichtungen. Die Plätze verteilen sich auf vier offene Aufnahmeeinrichtungen (Bicske 439, Debrecen 823, Vamaosszabadi 255, Nagyfa 300 sowie in Balassagyarmat 111) und drei geschlossene Lager (Debrecen 192, Bekescsabe 159, Nyirbator 105).
18Bereits diese Zahlen verdeutlichen das bestehende massive Unterbringungsproblem in Ungarn. Es kann angesichts dieser Größenordnung bei einer Zuwanderung von mehr als 60.000 Flüchtlingen innerhalb eines halben Jahres ersichtlich nicht davon ausgegangen werden, dass die erheblich zu geringe Zahl an staatlichen Unterbringungsplätzen für Asylbewerber auch nur ansatzweise durch von Kirchen und sonstigen nichtstaatlichen caritativen Einrichtungen aufgefangen werden könnte.
19Hinzu kommt, dass sich der ungarische Staat selbst weder willens noch in der Lage sieht, die Unterbringung und Versorgung der stetig ansteigenden Zahl von Asylbewerbern zu gewährleisten. Dass bereits seit einigen Monaten von den ungarischen Behörden die Situation der Flüchtlingsunterbringung als dramatisch eingestuft wird, zeigt der Umstand des bereits Ende Mai 2015 erklärten Aufnahmestopps von Asylbewerbern im Rahmen des Dublin-Transfers wegen ausgeschöpfter Aufnahmekapazitäten bis zum 5. August 2015.
20S. E-Mail der Dublinet Hungary vom 29. Mai 2015 an die Europäischen Mitgliedsstaaten betr. INFO Transfer Stop.
21Als erschwerend ist die ablehnende Haltung der ungarischen Regierung gegenüber dem Dublin-Übereinkommen anzusehen, die das gesamte Dublin-Konzept als ein Systemfehler bezeichnet. Seitens der ungarischen Regierung wird unmissverständlich deutlich gemacht, dass man eine nennenswerte Zuwanderung sog. Wirtschaftsflüchtlinge nicht wünsche und Ungarn keine multikulturelle Gesellschaft werden wolle.
22Vgl. Hungarian Helsinki Committee (HHC), Bericht vom 4. März 2015, aaO; Die Welt, Bericht vom 24. Juni 2015, Flüchtlingskrise: Warum Ungarn Angst vor zu vielen Asylbewerbern hat, abrufbar unter: http://www.welt.de/143027058; Süddeutsche Zeitung, Bericht vom 24. Juni 2015, Die ungarische Regierung will Flüchtlinge ab sofort aussperren.
23Die mangelnde Bereitschaft der ungarischen Regierung zur Aufnahme von Dublin-Rückkehrern gipfelte schließlich in der am 23. Juni 2015 erfolgten Ankündigung des Regierungschef Orban, das EU Abkommen zur Aufnahme von Flüchtlingen auszusetzen. Begründet wurde diese Entscheidung mit dem Hinweis, dass die Kapazitäten ausgeschöpft seien („Das Boot ist voll“) und die ungarische Interessen sowie die ungarische Bevölkerung geschützt werden müssten.
24Vgl. Die Welt, Bericht vom 24. Juni 2015, Flüchtlingskrise: Warum Ungarn Angst vor zu vielen Asylbewerbern hat; aa0; Süddeutsche Zeitung, Bericht vom 24. Juni 2015, aa0.
25Wenn auch diese Ankündigung bereits einen Tag später zurückgenommen wurde, so macht sie doch auf der einen Seite die dramatische Unterbringungssituation für die Flüchtlinge in Ungarn deutlich wie auch auf der anderen Seite die fehlende Bereitschaft staatlicher Stellen, die Aufnahme von Flüchtlingen zu unterstützen und deren menschwürdige Unterbringung zu garantieren. Vielmehr ist zu konstatieren, dass die ungarische Regierung die Politik der Ausgrenzung weiter forciert. Ungeachtet internationaler Kritik hat Ungarn die Regeln für die Einwanderung verschärft. Am Montag, den 6. Juli 2015 verabschiedete das ungarische Parlament eine Verschärfung der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Der Zeitrahmen für Asylverfahren wird gekürzt werden. Mit der neuen Rechtslage wird ermöglicht, Asylanträge von Flüchtlingen abzulehnen, die über sichere Transitländer nach Ungarn gereist sind - selbst wenn sie aus Bürgerkriegsländern wie Syrien, Afghanistan oder dem Irak stammen. Vorgesehen ist überdies, dass Asylbewerber zukünftig selbst für Kost und Unterbringung während der Antragsbearbeitung zahlen sollen.
26Vgl. spiegelonline. Überlastetes Asylsystem, aa0; Die Welt, Bericht vom 6. Juli 2015 Zuwanderung: Ungarn zieht Grenzzaun gegen Flüchtlinge hoch, abrufbar unter: http://www.welt.de/143651657.
27Angesichts dieser jüngeren Entwicklungen bestehen ernst zu nehmende Anhaltspunkte für die Annahme, dass das Asylsystem in Ungarn systemische Schwachstellen aufweist. Daher sieht sich das Gericht veranlasst, im vorläufigen Rechtsschutzverfahren – unter Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung - die Erfolgsaussichten der Klage gegen die Abschiebungsanordnung nach Ungarn nach summarischer Prüfung derzeit als offen zu betrachten. Die nähere Prüfung dieser in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht komplexen Fragestellung ist allerdings dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Im vorliegenden Verfahren überwiegt das Aussetzungsinteresse.
28Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVG.
29Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
30Hemmelgarn
Tenor
I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung vom 16. Januar 2015 wird angeordnet.
II.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der Abschiebungsanordnung nach Ungarn anzuordnen.
II.
- Schreiben des UNHCR vom 9. Mai 2014 an das VG Düsseldorf im Verfahren 13 L 172/14.A (abrufbar in der öffentlich zugänglichen Datenbank MILO des BAMF);
- Bericht des HHC (Hungarian Helsinki Committee) zur Asylhaft und zu den Dublin-Verfahren in Ungarn (Stand: Mai 2014; ebenfalls abrufbar in MILO);
- Ungarn-Länder-Bericht des AIDA (Asylum Information Database), der ebenfalls vom HHC geschrieben und vom European Council on Refugees and Exiles (EDRE) veröffentlicht worden ist (Stand: 30.4.2014; abrufbar unter:
http://www.asylumineurope.org/reports/country/hungary).
- Schreiben des UNHCR vom 30. September 2014 an das VG Düsseldorf im Verfahren 13 K 501/14.A (einsehbar in der Asyldokumentation des VG München);
- Schreiben von PRO ASYL vom 31. Oktober 2014 an das VG Düsseldorf im Verfahren 13 K 501/14.A (abrufbar in MILO);
- Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 19. November 2014 an das VG Düsseldorf im Verfahren 13 K 501/14.A (abrufbar in MILO);
- Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 19. November 2014 an das VG München im Verfahren M 10 K 14.50126 (einsehbar in der Asyldokumentation des VG München);
- Report des Beauftragten des Europarats für Menschenrechte vom 16. Dezember 2014 (dort Rn. 148-166; abrufbar unter:
https://wcd.coe.int/ViewDoc.jsp?Ref=CommDH(2014)21&Language=lanEnglish ).
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist ghanaischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben am 15. August 2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) seine Anerkennung als Asylberechtigter.
3In der Befragung beim Bundesamt vom 28. Oktober 2013 gab er unter anderem an, er habe im Jahr 2009 sein Heimatland verlassen und sei über die Türkei nach Griechenland gereist. Nach etwa drei Jahren sei er über Mazedonien und Serbien nach Ungarn weitergereist. In Ungarn beantragte der Kläger ausweislich der Abfrage des Bundesamtes in der Eurodac-Datenbank am 15. Juni 2013 Asyl.
4Das Bundesamt richtete am 12. Dezember 2013 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin II-VO an Ungarn. Die ungarischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 19. Dezember 2013 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe c Dublin II-VO.
5Mit Bescheid vom 16. Januar 2014, dem Kläger zugestellt am 21. Januar 2014, lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers gemäß § 27a Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Ungarn an.
6Am 28. Januar 2014 hat der Kläger Klage erhoben und einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Absatz 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gestellt (13 L 172/14.A).
7Er ist der Ansicht Deutschland sei für die Prüfung seines Asylantrags zuständig, da er Ungarn für mehr als drei Monate verlassen habe. Im Übrigen lägen in Ungarn systemische Mängel vor. Sog. Dublin-Rückkehrer müssten in Ungarn mit ihrer Inhaftierung und Abschiebung rechnen.
8Der Kläger beantragt,
9die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16. Januar 2014 zu verpflichten, ein Asylverfahren durchzuführen.
10Die Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Zur Begründung bezieht sie sich auf ihr bisheriges Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren.
13Das Gericht hat mit Beschlüssen vom 28. Mai und 23. Juni 2014 Beweis erhoben durch Einholung von Auskünften des Auswärtigen Amtes, der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, des UNHCR und von Pro Asyl zu den in den Beweisbeschlüssen genannten Fragen. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe teilte dem Gericht mit Schreiben vom 6. Juni 2014 mit, dass sie aus Kapazitätsgründen keine Anfragen zu den sog. „Dublin-Ländern“ bearbeite. Auf den Inhalt der erstatteten Gutachten vom 30. September 2014 (UNHCR), 31. Oktober 2014 (Pro Asyl) und 19. November 2014 (Auswärtiges Amt) wird Bezug genommen.
14Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten ergänzend Bezug genommen.
15Entscheidungsgründe:
16Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ordnungsgemäß geladen worden sind und in den Ladungen vom 27. Januar 2015 zudem gemäß § 102 Absatz 2 VwGO darauf hingewiesen worden sind, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.
17Die Klage ist teilweise unzulässig (I.) und soweit sie zulässig ist unbegründet (II.).
18I. Die als Verpflichtungsklage erhobene Klage ist teilweise unzulässig.
19Statthafte Klageart ist allein die Anfechtungsklage gemäß § 42 Absatz 1, 1. Variante VwGO. In dem vom Kläger geltend gemachten Verpflichtungsbegehren ist das – zulässige – Anfechtungsbegehren, gerichtet auf die Aufhebung des Bescheides vom 16. Januar 2014 enthalten. Mit diesem Teil ist die Klage zulässig. Der Erhebung einer vorrangigen Verpflichtungsklage – gerichtet auf das Rechtsschutzziel, dass die Beklagte das Asylverfahren durchführt – bedarf es hingegen nicht. Insoweit ist die Klage unzulässig.
20Der Kläger begehrt die Aufhebung des ihn belastenden Bescheides vom 16. Januar 2014, in welchem die Beklagte seinen Asylantrag gemäß § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt hat. Gegen eine solche Unzulässigkeitsentscheidung ist ein isoliertes Aufhebungsbegehren statthaft. Die Entscheidungen nach § 27a und § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG stellen Verwaltungsakte im Sinne des § 35 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) dar, deren isolierte Aufhebung – anders als in sonstigen Fällen eines Verpflichtungsbegehrens – ausnahmsweise zulässig ist, weil schon ihre Beseitigung grundsätzlich zur formellen und materiellen Prüfung des gestellten Asylantrages und damit zu dem erstrebten Rechtschutzziel führt. Denn das Bundesamt ist nach Aufhebung des Bescheides bereits gesetzlich verpflichtet, das Asylverfahren durchzuführen, §§ 31, 24 AsylVfG. Das Bundesamt hat sich in den Fällen des § 27a AsylVfG lediglich mit der – einer materiellen Prüfung des Asylbegehrens vorgelagerten – Frage befasst, welcher Staat nach den Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Prüfung des Asylbegehrens des Klägers zuständig ist; eine Prüfung des Asylbegehrens ist in der Sache nicht erfolgt. Mit der Aufhebung des Bescheides wird ein Verfahrenshindernis für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens beseitigt, und das Asylverfahren ist in dem Stadium, in dem es zu Unrecht beendet worden ist, durch das Bundesamt weiterzuführen.
21Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, juris, Rn. 28 ff.; Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris, Rn. 21 f.; Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteile vom 27. Juni 2014 – 13 K 654/14.A –, juris, Rn. 22, ; 26. April 2013 – 17 K 1777/12.A –, juris, Rn. 14 und 15. Januar 2010, – 11 K 8136/09.A –, Seite 4; Verwaltungsgericht Köln, Urteil vom 27. Mai 2014 – 2 K 2273/13.A –, juris, Rn. 14; Verwaltungsgericht München, Gerichtsbescheid vom 21. Mai 2014 – M 21 K 14.30286 –, juris, Rn. 15 m.w.N.; Verwaltungsgericht Regensburg, Urteil vom 18. Juli 2013 – RN 5 K 13.30027 –, juris, Rn. 19; VerwaltungsgerichtHamburg, Urteil vom 15. März 2012 – 10 A 227/11 –, juris, Rn. 16; Verwaltungsgericht Freiburg (Breisgau), Beschluss vom 2. Februar 2012 – A 4 K 2203/11 –, juris, Rn. 2; Verwaltungsgericht Weimar, Urteil vom 23. November 2011 – 5 K 20196/10 –, juris, Seite 5;Verwaltungsgericht Trier, Urteil vom 18. Mai 2011 – 5 K 198/11.TR –, juris, Rn. 16; Verwaltungsgericht Karlsruhe, Urteil vom 3. März 2010 – A 4 K 4052/08 –, Seite 4; Verwaltungsgericht Ansbach, Urteil vom 16. September 2009 – AN 11 K 09.30200 –, juris, Rn. 22; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand: 101. Erg.lieferg. Juni 2014, § 27a Rn. 21, § 34a Rn. 64 f.
22Diese Verfahrenssituation ist vergleichbar mit derjenigen, die im Falle der Einstellung des Asylverfahrens wegen Nichtbetreibens nach den §§ 33, 32 AsylVfG entsteht. In letzterer Konstellation ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) eine Anfechtungsklage allein gegen den Einstellungsbescheid des Bundesamtes statthaft. Mit der Aufhebung des Einstellungsbescheids wird nämlich ein Verfahrenshindernis für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens beseitigt und das Asylverfahren ist in dem Stadium, in dem es zu Unrecht beendet worden ist, durch das Bundesamt weiterzuführen.
23Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 – 9 C 264.94 –, juris, Rn. 15 ff.
24Ergänzend hierzu weist das Gericht – ohne dass es vorliegend darauf ankäme – auf Folgendes hin: Eine Verpflichtungsklage, die unmittelbar auf die Anerkennung als Asylberechtigter, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylVfG oder aber – hilfsweise – die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylVfG und die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) gerichtet ist, scheidet ebenso aus. Denn eine Verpflichtung für das Gericht, die Sache selbst spruchreif zu machen, besteht nur dann, wenn ein „mit seinem Asylantrag beim Bundesamt erfolglos gebliebener Ausländer“ den Klageweg beschreitet.
25BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 – 9 C 45.97 – BVerwGE 107, 128 ff. = juris, Rn. 10.
26Zwar ist bei fehlerhafter oder verweigerter sachlicher Entscheidung der Behörde im Falle eines gebundenen begünstigenden Verwaltungsakts regelmäßig die dem Rechtsschutzbegehren des Klägers allein entsprechende Verpflichtungsklage die richtige Klageart mit der Konsequenz, dass das Gericht die Sache spruchreif zu machen hat und sich nicht auf eine Entscheidung über die Anfechtungsklage beschränken darf, die im Ergebnis einer Zurückverweisung an die Verwaltungsbehörde gleichkäme.
27Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 – 9 C 264.94 –, juris, Rn. 15.
28Dieser auch im Asylverfahren geltende Grundsatz kann jedoch auf behördliche Entscheidungen, die – wie hier – auf der Grundlage von § 27a AsylVfG ergangen sind, keine Anwendung finden. Denn im Falle einer fehlerhaften Ablehnung des Asylantrags als unzulässig mangels Zuständigkeit ist der Antrag in der Sache von der zuständigen Behörde noch gar nicht geprüft worden. Wäre nunmehr das Gericht verpflichtet, die Sache spruchreif zu machen und durchzuentscheiden, ginge dem Kläger eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenderen Verfahrensgarantien ausgestattet ist. Das gilt sowohl für die Verpflichtung der Behörde zur persönlichen Anhörung (§ 24 Absatz 1 Satz 3 AsylVfG) als auch zur umfassenden Sachaufklärung sowie der Erhebung der erforderlichen Beweise von Amts wegen (§ 24 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG) ohne die einmonatige Präklusionsfrist, wie sie für das Gerichtsverfahren in § 74 Absatz 2 AsylVfG in Verbindung mit § 87b Absatz 3 VwGO vorgesehen ist. Im Übrigen führte ein Durchentscheiden des Gerichts im Ergebnis dazu, dass das Gericht nicht eine Entscheidung der Behörde kontrollieren würde, sondern anstelle der Behörde selbst entschiede, was im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung aus Artikel 20 Absatz 2 Grundgesetz (GG) zumindest bedenklich wäre.
29Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteile vom 27. Juni 2014 – 13 K 654/14.A –, juris, Rn. 30, 26. April 2013 – 17 K 1777/12.A –, juris, Rn. 18 und 19. März 2013 – 6 K 2643/12.A –, juris, Rn. 16; Verwaltungsgericht München, Gerichtsbescheid vom 21. Mai 2014 – M 21 K 14.30286 –, juris, Rn. 17 f.; Verwaltungsgericht Hamburg, Urteil vom 23. April 2014 – 10 A 1242/12 –, juris, Rn. 19; Verwaltungsgericht Regensburg, Urteil vom 18. Juli 2013 – RN 5 K 13.30027 –, juris, Rn. 20; Verwaltungsgericht Hannover, Urteil vom 7. November 2013 – 2 A 4696/12 –, juris, Rn. 20; Verwaltungsgericht Hamburg, Urteil vom 18. Juli 2013 – 10 A 581/13 –, juris, Rn. 18; Verwaltungsgericht Gießen, Urteil vom 24. Januar 2013 – 6 K 1329/12.GI.A –, juris, Rn. 16 f.; Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil vom 20. September 2012 – A 11 K 2519/12 –, juris, Rn. 15; VerwaltungsgerichtHamburg, Urteil vom 15. März 2012, – 10 A 227/11 –, juris, Rn. 16;Verwaltungsgericht Karlsruhe, Urteil vom 3. März 2010, – A 4 K 4052/08 –, Seite 5; vgl. zum vergleichbaren Fall der Verfahrenseinstellung nach § 33 AsylVfG: BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 – 9 C 264.94 –, juris, Rn. 15 ff.
30Überdies würden die vom Gesetzgeber im Bemühen um Verfahrensbeschleunigung dem Bundesamt zugewiesenen Gestaltungsmöglichkeiten unterlaufen, wenn eine Verpflichtung des Gerichts zur Spruchreifmachung und damit zum „Durchentscheiden“ bestünde. Gelangt das Bundesamt nämlich nach sachlicher Prüfung des Asylbegehrens zu dem Ergebnis, das Begehren sei gemäß §§ 29a, 30 AsylVfG offensichtlich unbegründet, so bestimmt § 36 AsylVfG das weitere Verfahren und sieht eine starke Beschleunigung der gerichtlichen Kontrolle und ggf. eine kurzfristige Beendigung des Aufenthalts des Klägers vor. Eine vergleichbare Möglichkeit steht dem Gericht nicht zu. Stellt sich nämlich das Asylbegehren nach gerichtlicher Prüfung als schlicht unbegründet dar, bemisst § 38 Absatz 1 AsylVfG die Ausreisefrist auf 30 Tage. Allerdings müsste sie, da sie nicht vom Gericht ausgesprochen werden kann, nachträglich von der Behörde festgesetzt werden, was im Widerspruch zu dem Beschleunigungsgedanken des Asylverfahrensgesetzes stünde.
31Verwaltungsgericht München, Gerichtsbescheid vom 21. Mai 2014 – M 21 K 14.30286 –, juris, Rn. 16.
32Im Falle der Aufhebung eines auf der Grundlage von § 27a AsylVfG ergangenen Bescheides ist daher das Asylverfahren durch die Beklagte weiterzuführen und das Asylbegehren von ihr in der Sache zu prüfen.
33II. Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 16. Januar 2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO).
34Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Recht nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt und auf der Grundlage des § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG die Abschiebung des Klägers nach Ungarn angeordnet. Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In einem solchen Fall prüft die Beklagte den Asylantrag nicht, sondern ordnet die Abschiebung in den zuständigen Staat an (§ 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG).
35Die Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass Ungarn grundsätzlich der für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers zuständige Mitgliedstaat ist (1.). Auch steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Überstellung des Klägers nach Ungarn durchgeführt werden kann; das ungarische Asylverfahren leidet insbesondere nicht an systemischen Mängeln (2.).
361. Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II-VO). Diese findet auf den Asylantrag des Klägers Anwendung, obwohl gemäß § 77 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. bei Entscheidungen ohne mündliche Verhandlung auf den Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen ist und die Nachfolgevorschrift der Dublin II-VO, die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), bereits am 19. Juli 2013 in Kraft getreten ist. Denn gemäß Artikel 49 Unterabsatz 2 Satz 2 Dublin III-VO bleibt die Dublin II-VO anwendbar für Asylanträge, die vor dem 1. Januar 2014 gestellt werden. Anderes gilt allenfalls im Falle von Gesuchen um Aufnahme oder Wiederaufnahme, die ab dem 1. Januar 2014 gestellt werden (Artikel 49 Unterabsatz 2 Satz 1 Dublin III-VO), was hier jedoch nicht der Fall ist,
37vgl. bereits Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 27. Juni 2014 – 13 K 654/14.A –, juris, Rn. 55; Beschlüsse vom 12. Februar 2014 – 13 L 2428/13.A –, juris, Rn. 13 und 8. Mai 2014 – 13 L 126/14.A –, juris, Rn. 11.
38Nach den Vorschriften der Dublin II-VO ist Ungarn der zuständige Staat für die Prüfung des durch den Kläger gestellten Asylantrags. Der Kläger hat ausweislich der Abfrage des Bundesamtes in der Eurodac-Datenbank sowie nach seinen eigenen Angaben im Rahmen der Anhörung durch das Bundesamt am 28. Oktober 2013 bereits am 15. Juni 2013 in Ungarn einen Asylantrag gestellt. Ungarn hat auf das am 12. Dezember 2013 vom Bundesamt gestellte Ersuchen um Wiederaufnahme des Klägers nach Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe c Dublin II-VO bereits am 19. Dezember 2013, und damit innerhalb der nach Artikel 20 Absatz 1 Satz 1 Buchstabe c Dublin II-VO im Falle eines Eurodac-Treffers maßgeblichen Frist von 2 Wochen nach Stellung des Wiederaufnahmeersuchens, seine Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags des Klägers erklärt. Ungarn ist daher gemäß Artikel 20 Absatz 1 Satz 1 Buchstabe d Dublin II-VO grundsätzlich verpflichtet, den Kläger innerhalb einer Frist von sechs Monaten, nachdem es die Wiederaufnahme akzeptiert hat, bzw. innerhalb von sechs Monaten nach der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wieder aufzunehmen. Diese Frist ist noch nicht abgelaufen, da das Gericht mit Beschluss vom 28. Mai 2014 die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet hat.
39Zum fehlenden subjektiven Recht des Ausländers sich auf den Ablauf der Überstellungsfrist zu berufen siehe Verwaltungsgericht Düsseldorf, Kammerurteil vom 12. September 2014 – 13 K 8286/13.A –, juris.
40Der Überstellung des Klägers nach Ungarn steht auch nicht entgegen, dass zwischen der Antragstellung am 15. August 2013 und der Stellung des Übernahmeersuchens an Ungarn am 12. Dezember 2013 knapp 4 Monate vergangen sind. Fristvorgaben enthält die Dublin-II-VO insoweit allein für Aufnahmeersuchen (Artikel 17 Absatz 1 Dublin II-VO), also Ersuchen, die darauf gerichtet sind, dass der erstmalige Asylantrag von einem anderen Mitgliedstaat geprüft werde. Wird wie hier nach der Stellung eines Asylantrags in einem anderen Mitgliedstaat (Ungarn) ein weiterer Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland gestellt und ersucht die Beklagte daraufhin den Staat der ersten Asylantragstellung um Übernahme des Asylbewerbers, handelt es sich um ein Wiederaufnahmeersuchen nach Artikel 20 Dublin II-VO, das nicht der Fristregelung des Artikel 17 Dublin II-VO unterfällt,
41vgl. Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 6. Februar 2014 – 17 L 150/13.A –, juris Rn. 40; Verwaltungsgericht Regensburg, Beschluss vom 5. Juli 2013 – RN 5 S 13.30273 –, juris Rn. 24; Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 7. Oktober 2013 – 33 L 403.13 A –, juris Rn. 8.
42Es liegt auch kein Fall vor, in dem es zum Schutz der Grundrechte des Klägers aufgrund einer unangemessen langen Verfahrensdauer der Beklagten verwehrt ist, sich auf die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats zu berufen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hat der an sich nach der Dublin II-VO unzuständige Mitgliedstaat darauf zu achten, dass eine Situation, in der die Grundrechte des Asylbewerbers verletzt werden, nicht durch ein unangemessen langes Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats verschlimmert wird. Erforderlichenfalls muss er den Antrag nach den Modalitäten des Artikel 3 Absatz 2 Dublin II-VO selbst prüfen,
43vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris Rn. 108.
44Dahingestellt bleiben kann, ob diese Vorgabe des EuGH auch bei Wiederaufnahmeersuchen nach Artikel 20 Dublin II-VO, noch dazu in Fällen, in denen sich der Asylbewerber – wie vorliegend der Kläger – während der Überprüfung seines Asylbegehrens durch den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat begibt, zu beachten ist. Denn jedenfalls lag keine unangemessen lange Verfahrensdauer vor.
45Anhaltspunkte, ab wann von einer unangemessen langen Verfahrensdauer auszugehen ist, hat der Europäische Gerichtshof nicht gegeben. Nach Auffassung des Gerichts ist insoweit aber zunächst zu berücksichtigen, dass schon die Regelung des Artikel 17 Absatz 2 Dublin II-VO für Aufnahmeersuchen und nunmehr auch Artikel 23 Absatz 2 Dublin III-VO für Wiederaufnahmeersuchen eine regelmäßige Frist von zwei bzw. drei Monaten vorsieht. Deren Überschreiten kann dabei nicht gleichgesetzt werden mit der vom Europäischen Gerichtshof angesprochenen, die Grundrechte des Asylbewerbers beeinträchtigenden unangemessen langen Verfahrensdauer. Der gesetzlichen Wertung des § 24 Absatz 4 AsylVfG folgend geht das Gericht davon aus, dass frühestens nach dem Verstreichen eines Zeitraums, der der regelmäßigen Frist des Artikel 17 Dublin II-VO von drei Monaten zuzüglich der durch Artikel 24 Absatz 4 AsylVfG für die innerstaatlich für die Entscheidung über den Asylantrag im Regelfall vorgesehenen Frist von sechs Monaten, also insgesamt von neun Monaten, entspricht, von einer unangemessen langen Verfahrensdauer ausgegangen werden kann,
46vgl. Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteile vom 9. Dezember 2014 – 13 K 399/14.A –, S. 5 f. des Urteilsabdrucks, 27. August 2013 – 17 K 4737/12.A –, S. 8 des Urteilsabdrucks, n.v; Beschlüsse vom 26. Februar 2013 – 13 L 396/14.A. – und vom 31. März 2014 – 13 L 119/14.A – beide juris.
47Hier sind seit der Asylantragstellung am 15. August 2013 bis zur Stellung des Übernahmeersuchens am 12. Dezember 2013 erst knapp 4 Monate verstrichen, so dass unter keinen Umständen von einer unangemessen langen Frist auszugehen ist.
48Schließlich ist die Pflicht Ungarns zur Wiederaufnahme des Klägers auch nicht gemäß Artikel 16 Absatz 3 Dublin II-VO erloschen. Danach erlöschen die Verpflichtungen nach Absatz 1, wenn der Drittstaatsangehörige das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat. Entgegen der Ansicht des Klägers erlischt die Pflicht eines eigentlich zuständigen Mitgliedstaats zur Wiederaufnahme des Asylbewerbers nicht bereits durch das Verlassen des Hoheitsgebiets dieses Mitgliedstaats. Vielmehr muss der Ausländer das Hoheitsgebiet aller Mitgliedstaaten für diesen Zeitraum verlassen haben. Hierfür ist aber nichts ersichtlich.
492. Es liegen auch keine Gründe vor, die trotz der genannten Zuständigkeit Ungarns eine Verpflichtung der Beklagten begründen könnten, vom Selbsteintrittsrecht nach Artikel 3 Absatz 2 Dublin II-VO Gebrauch zu machen oder es ausschließen würden, den Kläger nach Ungarn abzuschieben.
50Ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Artikel 3 Absatz 2 Dublin II-VO durch die Bundesrepublik Deutschland besteht ohnehin nicht. Die Dublin‑Verordnungen sehen ein nach objektiven Kriterien ausgerichtetes Verfahren der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten vor. Sie sind im Grundsatz nicht darauf ausgerichtet, Ansprüche von Asylbewerbern gegen einen Mitgliedstaat auf Durchführung eines Asylverfahrens durch ihn zu begründen. Ausnahmen bestehen allenfalls bei einzelnen, eindeutig subjektiv-rechtlich ausgestalteten Zuständigkeitstatbeständen (vgl. etwa Artikel 8 Dublin II-VO zugunsten von Familienangehörigen). Die Zuständigkeitsvorschriften der Dublin II-VO begründen – wie die der Dublin III‑VO – zum Zwecke der sachgerechten Verteilung der Asylbewerber vor allem subjektive Rechte der Mitgliedstaaten untereinander. Die Unmöglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers an einen bestimmten Staat hindert daher nur die Überstellung dorthin; sie begründet kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts gegenüber der Beklagten,
51vgl. Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –, juris, Rn. 60, 62 und Urteil vom 14. November 2013 – C 4/11 –, juris, Rn. 37; Schlussanträge des GA Jääskinnen vom 18. April 2013 – C 4/11 –, juris, Rn. 57 f.; BVerwG, Beschluss 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 7.
52Die Beklagte ist aber auch nicht – unabhängig von der Frage der Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Artikel 3 Absatz 2 Dublin II-VO zugunsten des Klägers –gehindert, diesen nach Ungarn zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) mit sich bringen. Die Voraussetzungen, unter denen das nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs,
53EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, S. 413,
54der Fall wäre, liegen nicht vor. Systemische Mängel in diesem Sinne können erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) entsprechenden Gravität nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können,
55EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 94.
56Die im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem grundsätzlich bestehende Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat ist und die Grundrechte von Asylbewerbern einschließlich des Refoulement-Verbots hinreichend achtet, ist nicht unwiderleglich. Vielmehr hat eine Überstellung in einen Mitgliedstaat zu unterbleiben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta implizieren,
57EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 86.
58Eine Widerlegung der Vermutung ist aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Das Gericht muss sich vielmehr die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Absatz 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird.
59Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 6 m.w.N.
60Bei der Bewertung der in Ungarn anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind dabei vorliegend diejenigen Umstände heranzuziehen, die auf die Situation des Klägers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen oder tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Klägers auswirken (können),
61vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12 –, juris, Rn. 130.
62Damit ist vorliegend in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehren zu betrachten, die wie der Kläger vor der Ausreise aus Ungarn dort bereits einen ersten Asylantrag gestellt haben, über den materiell noch nicht entschieden worden ist.
63Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedstaat sind nach der Rechtsprechung des EuGH im Übrigen die regelmäßigen und übereinstimmenden Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort,
64vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C 411/10 et. al. –, juris, Rn. 90 ff.
65Letzteren Informationen kommt bei der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem nach der Dublin II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat besondere Relevanz zu. Dies entspricht der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, wobei letztere bei der Auslegung der unionsrechtlichen Asylvorschriften zu beachten ist,
66vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013 – C 528/11 –, juris, Rn. 44.
67Für die Frage, ob in Ungarn „systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber“ im Sinne der zitierten Rechtsprechung vorliegen, kommen dabei allerdings vorliegend von vorne herein nur solche Auskünfte und Berichte der genannten Organisationen in Betracht, die sich mit der Sach- und Rechtslage in Ungarn seit dem 1. Juli 2013 befassen. Für den Zeitraum bis zum 30. Juni 2013, insbesondere ab dem 1. Januar 2013, ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte davon auszugehen, dass die in den Jahren bis 2012 festgestellten Mängel des ungarischen Asylsystems und der Aufnahmebedingungen durch zwischenzeitliche weitreichende tatsächliche und rechtliche Verbesserungen, insbesondere die vorübergehende Abschaffung der Inhaftierungsmöglichkeiten für Asylbewerber mit Wirkung zum 1. Januar 2013, entfallen sind,
68vgl. EGMR, Urteil vom 6. Juni 2013 – 2283/12 –, juris, Rn. 105, Mohammed gegen Österreich, in Auszügen veröffentlicht unter asyl.net.
69Zum 1. Juli 2013 wurde das Asylsystem Ungarns allerdings erneut verändert. Insbesondere wurden erneut umfassende Gründe für die Inhaftierung von Asylbewerbern, sog. asylum detention – eine durch die für das Asylverfahren zuständige Behörde angeordnete Verwaltungshaft – in das Asylrecht aufgenommen.
70Der EGMR, dessen Rechtsprechung auf der Ebene des (nationalen) Verfassungsrechts als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes dienen kann,
71vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 14. Oktober 2004 – 2 BvR 1481/04 –, juris, Rn. 32,
72und dessen Rechtsprechung maßgeblich für die Auslegung der Menschenrechte der EMRK ist, hat mit Urteil vom 3. Juli 2014 das Vorliegen systemischer Mängel in Ungarn unter Berücksichtigung der veränderten Rechtslage verneint. Zur Begründung führte er aus:
73„The country reports showed that there is still a practice of detaining asylum-seekers, and that so-called asylum detention is also applicable to Dublin returnees. The grounds for detention are vaguely formulated, and there is no legal remedy against asylum detention. However, the reports also showed that there is no systematic detention of asylum-seekers anymore, and that alternatives to detention are now provided for by law. The maximum period of detention has been limited to six months. Turning to the conditions of detention, it is noted that while there are still reports of shortcomings in the detention system, from an overall view there seem to have been improvements.
74Moreover, the Court notes that the UNHCR never issued a position paper requesting EU member States to refrain from transferring asylum‑seekers to Hungary under the Dublin II or Dublin III Regulation (compare the situation relating to Greece discussed in M.S.S. v. Belgium and Greece, cited above, § 195, and the UNHCR recommendation of 2 January 2013 to halt transfers to Bulgaria).
75Under those circumstances and as regards the possible detention of the applicant and the related complaints, the Court concludes that in view of the recent reports cited above, the applicant would currently not be at a real and individual risk of being subjected to treatment in violation of Article 3 of the Convention upon a transfer to Hungary under the Dublin Regulation.”
76EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014 – 71932/12 –, Mohammadi gegen Österreich, Rn. 68 bis 70.
77Auch das erkennende Gericht vermag nach Auswertung der im vorliegenden Verfahren eingeholten aktuellen Auskünfte des UNHCR, des Auswärtigen Amtes und von Pro Asyl – welche dem EGMR bei seiner Entscheidung nicht vorlagen – nicht festzustellen, dass der Kläger Gefahr liefe, nach seiner Rücküberstellung nach Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. im Sinne von Artikel 3 EMRK zu unterfallen. Dies ergibt sich aus folgenden rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen:
78Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 EMRK normieren das Verbot der Folter und unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung. Eine Behandlung ist „unmenschlich”, wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt wurde und entweder körperliche Verletzungen oder intensives physisches oder psychisches Leid verursacht hat. „Erniedrigend” ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, geeignet, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen. Es kann ausreichen, dass ein Opfer in seinen Augen erniedrigt ist, auch wenn andere das nicht so sehen. Ob Zweck der Behandlung war, das Opfer zu erniedrigen oder zu demütigen, ist zu berücksichtigen, aber auch wenn das nicht gewollt war, schließt das die Feststellung einer Verletzung von Artikel 3 EMRK nicht zwingend aus.
79EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413, Rn. 220 m.w.N.
80Eine Behandlung in diesem Sinne kann nach den Ergebnissen der Beweisaufnahme zumindest nicht positiv festgestellt werden.
81Zwar hat sich nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen bestätigt, dass Dublin-Rückkehrer flächendeckend – so der UNHCR – bzw. regelmäßig – so Pro Asyl – inhaftiert werden.
82Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 3, Seite 2; Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 3 b), Seite.
83Indes begründet die Tatsache, dass das ungarische Asylrecht seit der erneuten Rechtsänderung zum 1. Juli 2013 – wieder – Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthält und Ungarn auf dieser Grundlage praktisch alle Dublin-Rückkehr – so der UNHCR – bzw. regelmäßig, allerdings nicht sämtliche Dublin-Rückkehrer – so Pro Asyl – inhaftiert, für sich genommen noch keinen begründeten Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems. Vielmehr verpflichtet Artikel 3 EMRK die Mitgliedstaaten, sich zu vergewissern, dass die Bedingungen der Haft mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind und dass Art und Methode des Vollzugs der Maßnahme den Gefangenen nicht Leid oder Härten unterwirft, die das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß an Leiden übersteigt, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Bedürfnisse der Haft angemessen sichergestellt sind.
84Vgl. EGMR, Urteile vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, juris, Rn. 221, und 15. Juli 2002 – 47095/99 –, Rn. 95.
85Die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (AufnahmeRL), enthält für die Inhaftierung von Asylbewerbern Mindeststandards, zu denen auch die Benennung von Haftgründen gehört. Anhaltspunkte dafür, dass diese Mindeststandards ihrerseits nicht genügen, um die Asylbewerber vor einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung zu schützen, liegen dem Gericht nicht vor. Danach darf Haft nicht allein deswegen angeordnet werden, weil der Betroffene einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gestellt hat, sondern nur in Ausnahmefällen, insbesondere zur Überprüfung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit, im Falle notwendiger Beweissicherung, insbesondere bei Fluchtgefahr, zur Prüfung des Einreiserechts, zur Durch- oder Fortführung eines Abschiebeverfahrens, wenn die Gefahr der Verzögerung oder der Vereitelung durch den Betroffenen besteht und bei Gefahr für die nationale Sicherheit und Ordnung (Artikel 8 Absatz 1 und 3 AufnahmeRL). Die Inhaftierung darf nur für den kürzest möglichen Zeitraum und nur so lange, wie die Gründe gemäß Artikel 8 Absatz 3 bestehen, angeordnet werden (Artikel 9 Absatz 1 Satz 1 AufnahmeRL). Die Haftanordnung ist zu begründen (Artikel 9 Absatz 2 AufnahmeRL); bei einer Anordnung durch eine Verwaltungsbehörde ist eine zügige Überprüfung durch ein Gericht herbeizuführen (Artikel 9 Absatz 3 AufnahmeRL). In diesem Fall soll dem Betroffenen unentgeltlicher Rechtsbeistand zur Verfügung stehen (Artikel 9 Absatz 6 AufnahmeRL). Auch im Übrigen ist eine turnusmäßige Haftüberprüfung von Amts wegen vorzusehen (Artikel 9 Absatz 5 AufnahmeRL). Die Schutzsuchenden sind in speziellen Hafteinrichtungen unterzubringen, auf jeden Fall aber getrennt von gewöhnlichen Strafgefangenen (Artikel 10 Absatz 1 AufnahmeRL). Die Inhaftierung von besonders schutzbedürftigen Personen ist nur im Ausnahmefall und unter weiteren sehr eingeschränkten Bedingungen zulässig (Artikel 11 AufnahmeRL).
86Dahingestellt bleiben kann, wann ein Verstoß gegen diese Mindeststandards die Annahme systemischer Mängel indiziert, da die gesetzlichen Regelungen Ungarns zur Inhaftierung von Asylbewerbern (Act LXXX of 2007 on Asylum, im Folgenden: Asylum Act Hungary) den vorstehend genannten Vorgaben im Wesentlichen gerecht werden:
87Gemäß § 31/B Absatz 1 Asylum Act Hungary darf eine Inhaftierung nicht alleine deswegen erfolgen, weil die Antragsteller einen Asylantrag gestellt haben. Die in § 31/A Absatz 1 Asylum Act Hungary genannten Haftgründe entsprechen ganz überwiegend denen des Artikel 8 Absatz 3 der AufnahmeRL; insbesondere wird auch die Fluchtgefahr als ein Haftgrund genannt (Buchstabe c). Dabei darf entsprechend den Vorgaben der AufnahmeRL nach § 31/A Absatz 3 des ungarischen Gesetzes eine Inhaftierung nur aufgrund einer individuellen Ermessensentscheidung erfolgen und nur, wenn nicht durch andere Maßnahmen sichergestellt werden kann, dass der Asylbewerber sich dem Asylverfahren nicht entzieht. Unbegleitete Minderjährige dürfen gemäß § 31/B Absatz 2 Asylum Act Hungary nicht inhaftiert werden; Familien mit Minderjährigen dürfen nur ultima ratio inhaftiert werden, wobei das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen ist. Gemäß § 31/A Absatz 10 Asylum Act Hungary soll Asylhaft nur in speziellen Einrichtungen vollzogen werden. Dabei soll die Inhaftierung von Männern und Frauen sowie Familien mit Minderjährigen jeweils getrennt erfolgen (§ 31/F Absatz 1 Asylum Act Hungary). Die zulässige Höchstdauer von Asylhaft regelt § 31/A Absatz 7 Asylum Act Hungary. Danach soll die Haft maximal sechs Monate dauern; bei Familien mit Kindern nicht länger als 30 Tage. Gemäß § 31/A Absatz 6 Asylum Act Hungary kann die Flüchtlingsbehörde innerhalb von 24 Stunden seit der Haftanordnung die Verlängerung der Inhaftierung auf mehr als 72 Stunden bei dem örtlich zuständigen Amtsgericht beantragen. Das Gericht kann die Haftdauer sodann auf höchstens 60 Tage verlängern. Eine Verlängerung auf weitere 60 Tage ist nach einem erneuten Antrag der Flüchtlingsbehörde durch das zuständige Amtsgericht möglich. Hieraus folgt, dass eine Überprüfung der Inhaftierung von Amts wegen nach 72 Stunden und anschließend nach 60 Tagen erfolgt. Darüber hinaus besteht gemäß § 31/C Absatz 3 Asylum Act Hungary die Möglichkeit gegen die Inhaftierung Einspruch einzulegen. Gemäß § 31/E Absatz 1 Asylum Act Hungary sollen inhaftierte Asylbewerber über ihre Rechte und Pflichten in ihrer Muttersprache oder einer anderen Sprache, die sie verstehen können, informiert werden. Gemäß § 31/D Absatz 4 Asylum Act Hungary soll das Gericht einen Vormund bestellen, wenn der Asylbewerber kein ungarisch spricht und nicht in der Lage ist seine Vertretung durch einen Bevollmächtigten sicherzustellen. § 31/A Absatz 8 Asylum Act Hungary zählt schließlich auf, in welchen Fällen die Inhaftierung unverzüglich zu beenden ist. Danach endet die Haft unter anderem, wenn der Haftgrund entfallen ist.
88Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die ungarischen Behörden diese Vorgaben bei ihrer Entscheidung über die Inhaftierung von Asylbewerbern – speziell Dublin-Rückkehrern – nicht nur in Einzelfällen, sondern systemisch nicht beachten und sich hieraus eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im oben genannten Sinne ergibt, liegen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht vor.
89Das Gericht hat im Rahmen der Beweisaufnahme unter anderem danach gefragt, auf welche konkreten Haftgründe die Inhaftierungen seit dem 1. Juli 2013 gestützt werden (Frage 4).
90Pro Asyl gab an, dass laut dem Hungarian Helsinki Committee (HHC) in der Praxis vor allem der Haftgrund „risk of absconding“ (c) bzw. der Haftgrund „risk of absconding“ in Verbindung mit „establishment of identiy“ (a) Anwendung finde. Weiterhin würden Inhaftierungen auf dem Haftgrund „previous absconding“ (b) basieren.
91Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 4, Seite 3.
92Bei diesen Haftgründen, welche dazu dienen, einer bestehende Fluchtgefahr zu begegnen oder die Identität des Asylbewerbers festzustellen, handelt es sich um Haftgründe, die den in Artikel 8 Absatz 3 AufnahmeRL genannten entsprechen. Allerdings hat Pro Asyl im Rahmen der Beantwortung von Frage 9 unter Bezugnahme auf die Ausführungen des HHC angegeben, dass in der Mehrheit der Haftanordnungen weiterhin auf Gründe verwiesen werde, die nicht unter die im „Asylum Act“ definierten Haftgründe fallen würden. Das HHC führt diesbezüglich auf Seite 6 der „INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“ von Mai 2014 aus, dass viele Entscheidungen verschiedene Umstände und Gründe benennen würden, die oftmals über die zulässigen Haftgründe nach dem Asylum Act Hungary hinausgingen. Beispielsweise genannt werden der unrechtmäßige Aufenthalt, die Einreise auf irreguläre Weise, das Fehlen ausreichender finanzieller Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts und das Fehlen von Verbindungen nach Ungarn. Dahingestellt bleiben kann, inwieweit die vorstehend genannten Beispiele unter einen der in Artikel 8 Absatz 3 AufnahmeRL bzw. § 31/A Absatz 1 Asylum Act Hungary genannten Haftgründe subsumiert werden können. Zunächst liegen dem Gericht keine Erkenntnisse vor, wonach diese Haftgründe auch bei Dublin-Rückkehrern angewandt werden. Sodann bestehen nach dem oben Ausgeführten tragfähige Anhaltspunkte, die die häufige Heranziehung des auch in der AufnahmeRL aufgeführten Haftgrundes der Fluchtgefahr belegen. Schließlich lässt sich jedenfalls nicht allein aus einer etwaigen europarechtswidrigen Annahme eines Haftgrundes ohne weiteres auf das Vorliegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 3 EMRK bzw. Artikel 4 EU-GR-Charta schließen. Entscheidend ist vielmehr, dass das ungarische Recht den Asylbewerbern in solchen Fällen ermöglicht, sich gegen eine unrechtmäßige Inhaftierung zu wehren.
93Zwar gibt es gemäß § 31/C Absatz 2 Asylum Act Hungary keine individuellen Rechtsmittel, sondern gemäß Absatz 3 nur die Möglichkeit eines Einspruchs („objection“), gegen die Haftanordnung.
94Vgl auch Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 11, Seite 9 und Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 11, Seite 7.
95Dahingestellt bleiben kann, inwieweit dieser Rechtsbehelf hinreichenden Rechtschutz zu gewähren vermag. Denn die Asylbewerber haben jedenfalls die Möglichkeit, die Rechtswidrigkeit ihrer Inhaftierung im Rahmen der von Amts wegen erfolgenden Überprüfung nach 72 Stunden bzw. 60 Tagen vor dem Amtsgericht geltend zu machen. Anhaltspunkte dafür, dass diese Fristregelungen gegen Artikel 9 Absatz 3 AufnahmeRL – der seinerseits keine konkreten Fristvorgaben enthält – verstoßen und/oder diese Vorgaben in der Praxis nicht umgesetzt werden, sind nicht ersichtlich. Ebenso wenig steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die vorgeschriebenen gerichtlichen Haftüberprüfungen nicht geeignet sind, den Asylbewerbern effektiven Rechtschutz zu gewähren. Zwar kritisieren Pro Asyl und der UNHCR, dass es in der Praxis so gut wie nie zu einer Entlassung komme.
96Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 11, Seite 10 und Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 11, Seite 7.
97Zum einen konnte keine der drei befragten Organisationen verlässliche Auskünfte zu der Frage, wie viele der nach dem 1. Juli 2013 erlassenen Anordnungen von Asylhaft aufgrund der bestehenden Rechtschutzmöglichkeiten tatsächlich aufgehoben worden sind, geben.
98Vgl. die Antworten des Auswärtigen Amtes, UNHCR und von Pro Asyl zu Frage 12 des Beweisbeschlusses.
99Zum anderen ließe sich allein aus einer geringen Erfolgsquote der Rechtsbehelfe auch nicht ohne weiteres darauf schließen, dass die ungarischen Gerichte keinen effektiven Rechtschutz gewährleisten. Dass derartige Haftprüfungsanträge durch die Gerichte angeblich mit schematisierten Entscheidungen abgelehnt werden und die Verhandlungen nur wenige Minuten dauern, muss nicht bedeuten, dass diese Rechtsbehelfe nicht individuell geprüft würden. Vielmehr kann in Haftsachen, die Massenverfahren darstellen, aus Gründen der Vereinfachung auch eine individuelle richterliche Überprüfung zu einer schematisierten Begründung führen, wenn das Gericht keine besonders begründungsbedürftigen Umstände des Einzelfalles angenommen hat, ohne dass grundlegende rechtsstaatliche Garantien verletzt wären; die Annahme von (fortbestehender) Fluchtgefahr bei Personen, die sich dem Asylverfahren bereits in der Vergangenheit entzogen haben, erscheint dem erkennenden Gericht zumindest nicht unvertretbar.
100Vgl. Verwaltungsgericht Würzburg, Urteil vom 23. September 2014 – W 1 K 14.50050 –, juris, Rn. 37.
101Gleichfalls steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Inhaftierung von Dublin-Rückkehrern in der Praxis entgegen den Vorgaben des Artikel 8 Absatz 2 AufnahmeRL und § 31/A Absatz 2 Asylum Act Hungary erfolgt. Danach dürfen die Mitgliedstaaten in Fällen, in denen es erforderlich ist, auf der Grundlage einer Einzelfallprüfung den Antragsteller in Haft nehmen, wenn sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen.
102Zwar spricht vieles dafür, dass die Haftanordnung regelmäßig schematisch erfolgt und eine auf den konkreten Einzelfall bezogene Argumentation unter Abwägung der Rechts- bzw. Verhältnismäßigkeit in der Regel nicht stattfindet.
103Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 9, Seite 8.
104Indes lässt sich daraus bereits nicht ableiten, dass eine Einzelfallprüfung auch tatsächlich nicht stattgefunden hat. Vielmehr erscheint es dem Gericht nachvollziehbar, dass die Haftanordnungen größtenteils inhaltlich identisch aussehen und von einer individuellen Begründung absehen, da die Haftanordnung bei Dublin Rückkehrern regelmäßig auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützt wird. Vor dem Hintergrund, dass die Dublin-Rückkehr bereits einmal aus Ungarn geflohen sind, erscheint diese Annahme auch nicht willkürlich (s.o.).
105Ungeachtet dessen widerlegt die Tatsache, dass es auch Fälle gibt, in denen die Haftanordnung auch individuelle Einzelheiten berücksichtigt,
106vgl. HHC “INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“, Seite 6,
107die Annahme der fehlenden individuellen Einzelfallprüfung. Auch spricht für die Durchführung einer Einzelfallprüfung, dass Familien und besonders schutzbedürftige Personen in der Regel nicht inhaftiert werden, obwohl die Inhaftierung dieser Personengruppen ebenfalls rechtlich möglich wäre.
108Vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 6, Seite 6.
109Zudem wird zumindest auch in vereinzelten Fällen von den im ungarischen Recht vorgesehenen Haftalternativen Gebrauch gemacht. Laut dem HHC sei in 13 der 107 untersuchten Haftentscheidungen begründet worden, warum nicht auf Haftalternativen zurückgegriffen worden sei. Im Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis zum 17. April 2014 sei in 32 Fällen eine Kaution angeordnet worden. Die Betroffenen seien vorab gefragt worden, ob sie Geld besäßen bzw. jemand Geld schicken könne.
110Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 10, Seite 9; dem UNHCR liegen hierzu keine Informationen vor.
111Daraus geht hervor, dass die gesetzlich vorgesehenen Haftalternativen in der Praxis –wenn auch nur in Ausnahmefällen – tatsächlich angewendet werden. Dass die Anzahl von Fällen, in denen eine Kaution angeordnet wurde, gering ausfällt überrascht das Gericht nicht, da Flüchtlinge in der Regel nicht über entsprechende finanzielle Mittel verfügen werden, um eine Kaution in Höhe von 962,00 und 2.000,00 Euro bezahlen zu können.
112Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 10, Seite 9.
113Unter Berücksichtigung der Funktion einer Kaution als eine Sicherheitsleistung, welche nur bei einer gewissen – für den Betroffenen spürbaren – Höhe erfüllt werden kann, bestehen keine Bedenken gegen die geforderte Höhe. Auch spricht der Umstand, dass die Höhe der geforderten Kaution variiert, dafür, dass die Höhe der Kaution im jeweiligen Einzelfall entsprechend der wirtschaftlichen Verhältnisse des Inhaftierten festgesetzt wird.
114Aus den vorstehenden Ausführungen folgt überdies, dass die Haftanordnung in Übereinstimmung mit Artikel 9 Absatz 2 AufnahmeRL schriftlich unter Angabe der sachlichen und rechtlichen Gründe für die Haft, die letztlich eine Überprüfbarkeit gewährleisten, ergeht. Diese werden den Asylsuchenden auch verbal übersetzt.
115Vgl. Auskunft Pro Asyl an das Verwaltungsgericht München vom 30. Oktober 2014 zu Frage 1.
116Damit wird dem durch Artikel 5 Absatz 2 EMRK gewährleisteten Recht eines jeden Festgenommenen auf Unterrichtung hinreichend entsprochen. Eine mündliche Unterrichtung genügt insoweit.
117Vgl. Dörr, in: Grote/Marahun, EMRK/GG, S. 574, Rn. 36.
118Auch aus den Erkenntnissen des Gerichts zur Haftdauer lässt sich keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung von Dublin-Rückkehrern ableiten. Vielmehr steht die Rechtslage und tatsächlich gelebte Praxis in Ungarn auch insoweit in Einklang mit den europarechtlichen Vorgaben. Laut Auskunft von Pro Asyl beobachtete das HHC in der Vergangenheit, dass die maximale Haftdauer von sechs Monaten in vielen Fällen ausgeschöpft worden sei. Seit Kurzem würden inhaftierte Asylsuchende aus der Asylhaft entlassen, sobald das OIN im „in-merit procedure“ über das Asylgesuch entschieden hat und zwar auch dann, wenn diese Entscheidung negativ ausgefallen sei und der Betroffene Rechtmitte eingelegt habe. Demgegenüber ist nicht ersichtlich, dass die Höchstgrenze der zulässigen Haftdauer überschritten wird.
119vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 2 Buchstabe, Seite 2.
120Es erscheint zumindest nicht unvertretbar, bei Dublin-Rückkehrern anzunehmen, dass der Haftgrund der Fluchtgefahr – bis zu einer Entscheidung über das Asylbegehren bzw. unter Umständen auch nach einer ablehnenden Entscheidung – fortlaufend gegeben ist.
121Vgl. Verwaltungsgericht Stade, Beschluss vom 14. Juli 2014 – 1 B 862/14 –, juris, Rn. 15.
122Hinzu kommt, dass die Inhaftierung von Amts wegen alle 60 Tage überprüft wird (s.o.), die Asylbewerber mithin die Möglichkeit haben, ihre Inhaftierung auf die fortbestehende Rechtmäßigkeit hin überprüfen zu lassen.
123Schließlich kann das Gericht den aktuellen Auskünften nicht entnehmen, dass die konkreten Haftbedingungen in Ungarn systemisch eine unmenschliche, erniedrigende Behandlung der Dublin-Rückkehrer darstellen.
124Hinsichtlich der Haftbedingungen in den Asylhaftanstalten liegen dem Gericht im Wesentlichen die folgenden Erkenntnisse vor:
125Die Asylhafteinrichtungen seien nicht überbelegt. Die gesetzliche Mindestvorgabe von 5 m² pro Person werde in allen Einrichtungen gewahrt. Asylbewerber könnten sich innerhalb der Hafteinrichtungen zwischen 6 und 23 Uhr frei bewegen. Außerhalb der Einrichtungen, auf dem Weg zum Krankenhaus oder zum Gericht, würden die Asylbewerber hingegen an einer Leine geführt. Zur Freizeitgestaltung gebe es in den Hafteinrichtungen Computerräume mit Internetzugang, Fitnessräume und Gemeinschaftsräume, in denen ein Fernseher stehe. Bezüglich der hygienischen Verhältnisse in den Asylhafteinrichtungen lägen Mängel vor. In Békéscaba hätten einige der Toiletten keine Türen gehabt und einige Wasserhähne würden nicht funktionieren, weshalb der Zugang zu warmen Wasser nicht immer gewährleistet sei. In Nyírbátor habe eine unzureichende Versorgung mit Putzutensilien und Reinigungsmitteln zur Reinigung der Toiletten und Duschen stattgefunden. Der Waschraum im ersten Stock sei permanent dreckig gewesen und würde stinken. Auch sei das Wasser von mangelhafter Qualität gewesen, was zu Hautausschlägen geführt habe. In Debrecen seien Duschen im zweiten Stock häufig verstopft und daher unbenutzbar gewesen. Eine Versorgung mit Lebensmitteln erfolge entsprechend einer Verordnung des Innenministeriums. Religiöse und medizinische Besonderheiten würden in der Regel berücksichtigt. Kritisiert werde aber die schlechte Qualität des Essens. Eine medizinische Grundversorgung werde gewährleistet, auch wenn diese oft als unzureichend empfunden werde. Sanitäter bzw. Krankenschwestern seien permanent anwesend; Allgemeinmediziner würden die Einrichtungen zweitweise besuchen. In schwerwiegenden Fällen könne eine Zuweisung zu den Allgemein- oder Spezialeinrichtungen des Gesundheitssystems erfolgen. Die Kosten der Behandlung trage der ungarische Staat bzw. seine Gesundheitseinrichtung. In der Aufnahmeeinrichtung Békéscaba werde zudem psychologische Betreuung durch Spezialisten und Psychologen der Cordelia Stiftung gewährt.
126Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 5 b) bis f), Seite 3 ff.; Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 5 b) bis f), Seite 3 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 19. November 2014 zu Frage 5 b) bis f), Seite 3 f.; HHC “INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“, S. 15 ff.
127Obschon das Gericht nicht verkennt, dass Defizite in den Haftbedingungen bestehen, erreichen diese jedenfalls nicht das erforderliche Mindestmaß an Schwere, um von systemischen Mängeln in dem geschilderten Sinne ausgehen zu können. Die Beurteilung dieses Mindestmaßes ist relativ und hängt von allen Umständen des Einzelfalls ab, wie die Dauer der Behandlung und ihre physischen und psychischen Wirkungen und manchmal das Geschlecht, das Alter und der Gesundheitszustand des Opfers.
128Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – M.S. S./Belgien u. Griechenland, Rn. 219.
129Die vorstehend genannten hygienischen, medizinischen und sonstigen Mängel in den Asylhaftanstalten, insbesondere auch die Vorfälle, in denen Asylbewerber von „armed security guards“ misshandelt worden sind, sind zwar nicht zu vernachlässigen. Indes lässt sich daraus nicht ableiten, dass die inhaftierten Asylbewerber in Ungarn nicht nur vereinzelt, sondern gerade systematisch einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterliegen. Vielmehr zeigt ein Vergleich mit der früheren Lage in Ungarn, dass zwischenzeitlich weitreichende tatsächliche und rechtliche Verbesserungen eingetreten sind.
130So auch EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014 – 71932/12 – Mohammadi gegen Österreich, Rn. 68.
131Soweit die Bedingungen in einzelnen Aufnahmeeinrichtungen noch verbesserungswürdig sind, ist darauf hinzuweisen, dass einzelne Missstände, die in bestimmten Aufnahmeeinrichtungen auftreten, das Asyl- und Aufnahmesystem nicht insgesamt tangieren. Auch der Umstand, dass sich die Situation in Ungarn deutlich schlechter darstellen mag als in der Bundesrepublik Deutschland, begründet für sich keinen systemischen Mangel.
132Vgl. EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014 – 71932/12 – Mohammadi gegen Österreich, Rn. 69; Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 30. Januar 2015 – 13 L 58/15.A –, juris, Rn. 43 m.w.N.
133Lediglich ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass der UNHCR – auch nach einer intensiven Auseinandersetzung mit der Inhaftierungspraxis Ungarns infolge der durch das Gericht veranlassten Beweisaufnahme – keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder Aufnahmebedingungen in Ungarn explizit festgestellt und keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, im Rahmen des Dublin-Verfahrens Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen. Dem Fehlen einer solchen generellen Empfehlung des UNHCR kommt insoweit besondere Bedeutung zu. Denn die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente sind im Rahmen der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in einem Mitgliedstaat angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die – bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrensrechts zu beachtende – Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, besonders relevant.
134So auch Verwaltungsgericht Augsburg, Beschluss vom 26. Januar 2015 – Au 7 S 15.50015 –, juris, Rn. 31.
135Schließlich liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Dublin-Rückkehrer entgegen des Refoulement-Verbots ohne eine Entscheidung über ihren Asyl(folge)antrag in ihr Herkunftsland abgeschoben werden, wenn – wie vorliegend – über den Asylantrag des Asylbewerbers noch nicht entschieden worden ist, weil dieser infolge des Verlassens Ungarns während des Asylverfahrens als zurückgenommen gilt.
136Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht München vom 31. Oktober 2014 zu Frage 2, Seite 2 f.; HHC “INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“, S. 20.
137Dass das Asylverfahren des Klägers in Ungarn eingestellt worden ist, ohne dass über seinen Asylantrag entschieden worden ist, steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der auf Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe c) Dublin II-VO gestützten Zustimmung Ungarns zur Übernahme des Klägers fest. Danach ist ein Mitgliedstaat verpflichtet einen Drittstaatangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats befindet nach Maßgabe des Artikel 20 wieder aufzunehmen.
138Steht nach alldem nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass das ungarische Asylverfahren an systemischen Mängeln leidet, geht dieser Umstand – nach den Grundsätzen der materiellen Beweislast – zu Lasten des Klägers. Bereits aus dem eingangs dargestellten Erfordernis, dass sich das Gericht zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Absatz 1 Satz 1 VwGO) verschaffen muss, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird (S. 10),
139BVerwG, Beschluss vom 15. April 2014 – 10 B 16.14 –, juris, S. 5,
140folgt, dass es zu Lasten des Asylbewerbers geht, wenn das Gericht – wie vorliegend – nicht zu dieser Überzeugungsgewissheit gelangt. Gleiches ergibt sich auch aus der Diktion des EuGH, wonach ein Asylbewerber seiner Überstellung in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht (Hervorhebung durch das Gericht), die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 der Charta ausgesetzt zu werden.
141Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –, juris, Rn. 62.
142Gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nach § 34a Absatz 1 AsylVfG bestehen im Ergebnis daher keine Bedenken. Es sind auch keine zielstaatsbezogenen oder in der Person des Klägers liegenden, also inlandsbezogenen, Abschiebungshindernisse ersichtlich.
143Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Absatz 1 VwGO, § 83b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
Tenor
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt der Antragsteller.
1
Gründe:
2Der sinngemäß gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 7a K 2538/15.A gegen die im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21. Mai 2015 in Ziffer 2. enthaltene Abschiebungsanordnung nach Ungarn anzuordnen,
4hat keinen Erfolg. Der gemäß § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag an das Gericht gegen die auf der Grundlage des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG vom Bundesamt in Ziffer 2. des angefochtenen Bescheides verfügten Abschiebungsanordnung ist zulässig, aber unbegründet.
5Die gemäß § 80 Abs. 5 VwGO in der Sache vorzunehmende Interessenabwägung fällt zugunsten der Antragsgegnerin aus, da die Klage des Antragstellers in der Hauptsache zu dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den vorläufigen Rechtsschutzantrag keine Aussicht auf Erfolg hat. Die Abschiebungsanordnung nach Ungarn erweist sich bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage aller Voraussicht nach als rechtmäßig, da Ungarn als Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Entscheidung über den Asylantrag des Antragstellers zuständig ist. Das folgt aus § 27a AsylVfG i.V.m. Art. 13 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. Nr. L 180 S. 31; im Folgenden: VO [EU] Nr. 604/2013, so genannte Dublin-III-VO).
6Die grundsätzliche Zuständigkeit Ungarns für die Bearbeitung des Asylbegehrens des Antragstellers begegnet keinen rechtlichen Zweifeln. Ungarn war der Mitgliedstaat, für den die Antragsgegnerin am 23. März 2015 einen Eurodac-Datentreffer (Bundesamtsakte Bl. 33) für den Antragsteller erzielte. Der Antragsteller hat dort am 26. September 2013 einen Asylantrag gestellt. Sein am 3. März 2015 in der Bundesrepublik Deutschland gestellter Asylantrag ist demnach unzulässig (§ 27a AsylVfG).
7Die Zuständigkeit zur Bearbeitung des Asylantrags ist auch nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 VO (EU) Nr. 604/2013 wegen systemischer Mängel des Asyl- und des Aufnahmeverfahrens in Ungarn auf die Antragsgegnerin übergegangen. Das wäre nur der Fall, wenn solche systemischen Mängel im zuständigen Mitgliedsstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S. von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – GRCharta – (Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention) ausgesetzt zu werden.
8Davon ist derzeit für die Person des Antragstellers nicht auszugehen
9Systemische Mängel bestehen (erst) bei einer reellen Unfähigkeit des gesamten Verwaltungsapparats zur Beachtung des Art. 4 EU-GR-Charta, was gleichbedeutend ist mit strukturellen Störungen, die ihre Ursache im Gesamtsystem des nationalen Asylverfahrens haben. Die im jeweiligen nationalen Asylsystem festzustellenden Mängel müssen demnach so gravierend sein, dass sie nicht lediglich singulär oder zufällig sind, sondern in einer Vielzahl von Fällen zu der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen. Dies kann einerseits darauf beruhen, dass die Fehler bereits im System selbst angelegt sind, andererseits aber auch daraus folgen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Asylsystem – mit Blick auf seine empirisch feststellbare Umsetzung in der Praxis – in weiten Teilen aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft defizitär ist und funktionslos wird.
10Vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 –, NVwZ 2014, S. 1677 ff. = Juris Rdnr. 5 a.E.; und Beschluss vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, NVwZ 2014, S. 1039 f. = Juris Rdnr. 6 und 9; VGH BW, Urteil vom 10. November 2014 – A 11 S 1778/14 –, InfAuslR 2015, S. 77, 78 ff. =Juris; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, Juris Rdnr. 79 ff.; OVG RP, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13 –, Juris Rdnr. 39 f.
11Der Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hat als Maßstab für die Beantwortung der Frage, ob Struktur und allgemeine Lage der Aufnahme im europäischen Zielstaat der Überstellung jegliches Überstellen von Asylbewerbern in dorthin verhindern, in seiner jüngeren Rechtsprechung ausdrücklich benannt, ob eine Gleichgültigkeit der Behörden des betreffenden Staates vorliegt,
12vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014, Tarakhel ./. Switzerland, Nr. 29217/12, NVwZ 2015, 127 ff., Juris Rdnr. 114 f., und Entscheidung vom 13. Januar 2015, A.M.E. ./. Netherlands, Nr. 51428/10, hudoc Rdnr. 34 u. 35,
13wie sie der EGMR im Fall M.S.S. ./. Belgien und Griechenland von Seiten Griechenlands gegenüber der stetig steigenden Zahl von Schutzsuchenden angenommen hat.
14Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011, M.S.S. ./. Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09, Rdnr. 253 ff., 263 = NVwZ 2011 S. 413 ff.; VGH BW, Urteil vom 10. November 2014– A 11 S 1778/14 –, InfAuslR 2015, S. 77, 78 = Juris Rdnr. 34 (zu Bulgarien),
15Unerheblich ist, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung kommen kann und ob ein Drittstaatsangehöriger einer solchen tatsächlich schon einmal ausgesetzt gewesen ist. Derartige Erfahrungen sind in die Gesamtwürdigung einzubeziehen, ob systemische Mängel im Zielland der Überstellung vorliegen; nur in diesem begrenzten Umfang sind individuelle Erfahrungen zu berücksichtigen. Persönliche Erlebnisse Betroffener, die einige Jahre zurückliegen, können allerdings durch neuere Entwicklungen im betreffenden Staat überholt sein. Individuelle Erfahrungen einer gegen Art. 4 EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung führen hingegen nicht zu einer Beweislastumkehr für die Frage des Vorliegens systemischer Mängel.
16Vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 –, NVwZ 2014, S. 1677 ff. = Juris Rdnr. 6.
17Bei Beachtung dieser Maßgaben bestehen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) über den Streitfall auch bei der bloß gebotenen summarischen Prüfung der Sachlage keine systemischen Mängel des ungarischen Asylverfahrens und der dortigen Aufnahmebedingungen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 VO (EU) Nr. 604/2013. Dies gilt nach Einschätzung der erkennenden Kammer namentlich soweit der einzelne internationalen Schutz begehrende Drittstaatsangehörige – wie der Antragsteller im Streitfall – gerade keinem besonderen schutzwürdigen Personenkreis angehört. Mit den beiden Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) sowohl vom 6. Juni 2013 in der Sache Mohammed ./. Österreich – Nr. 2283/12 –,
18vgl. EGMR, Urteil vom 6. Juni 2013, Mohammed ./. Österreich, Nr. 2283/12, Rdnr. 32-50, 65, 69 f., 74 f. (in Englischer Sprache; abrufbar unter: http://hudoc.echr.coe.int/sites/eng/ Pages/search.aspx#{“appo“:[“2283/12“]},
19und vom 3. Juli 2014 in der Sache Mohammadi ./. Österreich – Nr. 71932/12 –,
20vgl. EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014, Mohammadi ./. Österreich, Nr. 71932/12, Rdnr. 29-45, 65, 69 f., 74 f. (abrufbar unter: http://hudoc.echr.coe.int/sites/eng/Pages/search.aspx#{“appo“:[“713932/12“]},
21geht die erkennende Kammer angesichts des Ablaufs und der Durchführung von Asylverfahren in Ungarn sowie der Behandlung von Dublin-Rückkehrern weiterhin davon aus, dass das ungarische Asylsystem und die Aufnahmebedingungen keine systematischen Defizite aufweisen. Obwohl der EGMR in seiner (ersten) Entscheidung vom 6. Juni 2013 – Nr. 2283/12 – noch deutlicher von alarmierenden Berichten über die Verhältnisse in Ungarn in den Jahren 2011 und 2012 ausging, hat er zuletzt in seiner Entscheidung vom 3. Juli 2014 – Nr. 71932/12 – ausdrücklich hervorgehoben, dass angesichts der seinerzeit festzustellenden Änderung des Asylrechts wie auch der tatsächlichen Behandlung von Drittstaatsangehörigen in Ungarn zu Beginn des Jahres 2014 Art. 3 EMRK eine Rückführung eines Asylsuchenden dorthin nach den Dublin-Regularien gerade nicht entgegensteht. Dabei hat sich der EGMR ausdrücklich unter genauerer Darstellung des jeweiligen Inhalts auf im Einzelnen näher bezeichnete und ausgewertete Stellungnahmen verschiedener Regierungs- wie Nichtregierungsorganisationen gestützt, die zeitlich bis ins Jahr 2014 hineinreichten. Insgesamt seien Verbesserungen des Asylsystems einschließlich der Abschiebehaftbedingungen und auch der Rechtsschutzmöglichkeiten festzustellen.
22Vgl. EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014, Mohammadi ./. Österreich, Nr. 71932/12, Rdnr. 28-45.
23Hintergrund dieser Verbesserung ist die zur Bewältigung der durch die massive Flüchtlingswelle namentlich von Schutzsuchenden aus Syrien und dem Irak entstandenen Flüchtlingskrise von der EU gewährte finanzielle, logistische und personelle Unterstützung. Die Hilfen und bereits erreichten Verbesserungen lassen zudem mittel- und langfristig eine weitere Besserung der Zustände erwarten. Gerade dass der UNHCR, dessen amtlichen Stellungnahmen bei der Beurteilung der Situation und der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in den Mitgliedstaaten eine besondere Relevanz zukommt,
24vgl. EuGH, Urteil vom 30 Mai 2013 – C-528/11 –,NVwZ-RR 2013, S. 660 ff. = Juris Rdnr. 44,
25zu Ungarn kein – wie etwa im Vergleich zu den Verhältnissen in den Mitgliedstaaten Griechenland und Bulgarien – ausdrückliches Positionspapier gegen eine Überstellung von Asylsuchenden nach den Regeln der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 verfasst hat, hat den EGMR veranlasst anzunehmen, der betroffene Drittstaatsangehörige sei keines individuellen realen Risikos ausgesetzt gewesen, als Asylantragsteller in Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK unterworfen zu werden.
26Vgl. EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014, Mohammadi ./. Österreich, Nr. 71932/12, Rdnr. 69 f. und 74 f.
27Dem schließt sich die erkennende Kammer nach Durchsicht und Bewertung der vorliegenden Erkenntnisse an, und hält daran auch mit Blick auf zeitlich nachfolgende neuere Erkenntnismittel fest. Eine Änderung der vom EGMR zugrunde gelegten Sachlage, die ein Abweichen von dessen Rechtsprechung rechtfertigen würde, besteht zur Überzeugung der erkennenden Kammer nicht:
28Die Stellungnahme des Hungarian Helsinki Committee (HHC) aus Mai 2014 (Information Note on Asylum-Seekers in Detention and in Dublin Procedures in Hungary),
29abrufbar unter: http://helsinki.hu/en/information-note-on-asylum-seekers-in-detention-and-in-dublin-procedures-in-hungary,
30auf die u.a. sich auch der EGMR in seiner Entscheidung vom 3. Juli 2014 ‑ Nr. 71932/12 ‑ gestützt hat, lässt keine andere Beurteilung zu. Nach den zum 1. Januar 2014 erfolgten Änderungen im ungarischen Asylgesetz als genereller Reglung haben nunmehr Rückkehrer nach den Dublin-Regularien – bis auf einen Ausnahmefall – einen garantierten Zugang zum Asylverfahren und einer vollständigen Untersuchung ihres Asylbegehrens.
31Namentlich der jüngste Bericht von „aida, Asylum Information Database, Country Report Hungary“ mit Stand 17. Februar 2015, der von Mitgliedern des `Hungarian Helsinki Committee (HHC)´ geschrieben und von `European Council on Refugees and Exiles (ECRE)´ herausgegeben wurde,
32abrufbar unter: http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_-_hungary_thirdupdate_final_february_2015.pdf,
33stellt insgesamt heraus, dass im Jahr 2014 mehr als 42.000 Asylsuchende um internationalen Schutz nachgesucht haben, was einen Anstieg im Vergleich zum Jahr 2013 von 226% ergab. Die Behandlung unbegleiteter Kinder entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen. Stellt eine aus welchen Gründen auch immer verhaftete Person einen Asylantrag, wird das Verfahren beschleunigt bearbeitet. Rechtsschutz mit kostenloser Unterstützung wird nicht immer und nur mit Schwierigkeiten gewährt (S. 14-19). Dublin-Rückkehrer haben – anders als im Jahr 2013 – Zugang zum Asylverfahren, ihr Asylbegehren wird vollständig geprüft (S. 21). Es gibt keinen Mechanismus im Asylverfahren, um schutzbedürftige Asylsuchende zu erkennen, allerdings bestehen besondere Vorkehrungen im Verfahren für diese Personengruppe. Medizinisches oder psychologisches Personal kann einbezogen werden, um eine notwendige Behandlung zu erhalten. Bei Personen die dem Gesetz nach nicht voll handlungsfähig sind, wie Kindern oder psychisch Kranken, wird im Regelfall ein besonderes staatliches Büro unterrichtet oder ein Vertreter zugewiesen (S. 32 f.). Im Bedarfsfall werden medizinische Stellungnahmen nach einer entsprechenden Anfrage des Asylsuchenden eingeholt (S. 33 f.). (Unbegleitete) Minderjährige werden grundsätzlich erfasst, Minderjährigkeit kann festgestellt werden (S. 34-36). Asylsuchende werden als Erstantragsteller den nationalen Bestimmungen zufolge registriert und behandelt. Wirkt ein Asylsuchender nicht ausreichend mit, kann dies u.U. zu finanziellen Konsequenzen bei der Tragung der Unterbringungs- und Behandlungskosten führen. Es liegen bislang keine Erkenntnisse vor, dass Asylsuchende nicht tatsächlich untergebracht werden. In Aufnahmeeinrichtungen werden Asylsuchende mit Essen versorgt, erhalten Hygieneartikel und Taschengeld; Kinder, Alleinerziehende und über 60-Jährige erhalten einen Betrag über 25 % der niedrigsten Rente (95 EUR), andere Erwachsene weniger. Im Jahr 2014 betrug die Verweildauer von Personen in den Asylunterkünften länger als 5 Monate. Die staatlichen Unterbringungszentren werden von Nichtregierungsorganisationen unterstützt. Frauen werden regelmäßig mit Familien auf einem Flur untergebracht. Unbegleitete Kinder werden in einer gesonderten Einrichtung aufgenommen. Familien werden während des Asylverfahrens nicht getrennt. Die Bedingungen in den Unterbringungszentren sind nicht einheitlich. Überall gibt es drei Mahlzeiten am Tag. Es kann überwiegend auch selbständig gekocht werden. Die Menschen teilen sich Räume. Psychologische Betreuung und Psychotherapie für traumatisierte Asylsuchende wird von Nichtregierungsorganisation angeboten (S. 40-44). Es erfolgt keine Erfassung von besonderen Aufnahmebedürfnissen für vulnerable Personen (S. 45 f.). Nicht inhaftiere Asylsuchende können sich frei im Land bewegen, dürfen ihre Unterbringungseinrichtung aber nur weniger als 24 Stunden verlassen. Um die monatlichen Geldzahlungen zu erhalten müssen Asylsuchende wenigstes 25 Tage im Monat in der Einrichtung sein (S. 46 f.). Der Zugang zur Gesundheitsversorgung ist gewährleistet; Allgemeinmediziner sind in den Unterbringungszentren regelmäßig unter der Woche verfügbar, Fachärzte nur in Notfällen (S. 49 f.). Im Jahr 2014 waren mehr als 4.800 Asylsuchende inhaftiert; die Haftplätze sind fast vollständig belegt. Es gibt keine besonderen Kategorien von Asylsuchenden die inhaftiert werden. Familien werden gemeinsam in einer gesonderten Einrichtung in Haft genommen (S. 51).
34Diese Umstände begründen allerdings keine systematischen Defizite des Asylsystems.
35Der Bericht des Menschenrechtskommissars des Europarates Nils Muiżnieks vom 16. Dezember 2014 über die Menschenrechte von Immigranten, Asylsuchenden und Flüchtlingen (ohne Schutzstatus) in Ungarn, S. 36 ff, Rn. 148 ff.,
36abrufbar unter: https://wcd.coe.int/com.instranet.InstraServlet?command=com.instranet.CmdBlobGet&InstranetImage=2662996&SecMode=1&DocId=2218468&Usage=2,
37gibt ebenfalls nichts für die Annahme systemischer Mängel her. Dieser spricht von Verbesserungen hinsichtlich der Gründe der Asylhaft, der gerichtlichen Überprüfung sowie dem tatsächlichen Zugang der Betroffenen zu einem diese Frage betreffenden Gerichtsverfahren, obgleich sich der Kommissar besorgt zeigt hinsichtlich des fehlenden Zugangs zu einer effektiven gerichtlichen Überprüfung; dabei nimmt er allerdings die Jahre vor der letzten Entscheidung des EGMR vom 3. Juli 2014 ‑ Nr. 71932/12 ‑ zu Ungarn in den Blick und beleuchtet die damaligen Verhältnisse kritisch, ohne die Entwicklung seit dem Jahr 2014 näher zu betrachten. Allerdings bemerkt der Kommissar einen nicht hinlänglich den Besonderheiten für schutzbedürftige internationalen Schutz suchende Drittstaatsangehörige wie etwa Traumatisierte oder Minderjährige.
38Ein systemischer Mangel wird zur Überzeugung der Kammer insbesondere nicht durch die in Ungarn (auch im Jahr 2014) praktizierte Asylhaft begründet. Eine Inhaftierung ist nach dem ungarischen Asylgesetz zulässig zur Überprüfung der Identität und Staatsangehörigkeit, nach dem Untertauchen oder anderweitiger Behinderung der Durchführung des Asylverfahrens, oder wenn dies aus gewichtigen Gründen zu befürchten ist oder wenn der Betreffende seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, an Verfahrenshandlungen teilzunehmen, und damit die Durchführung eines Dublin-Verfahrens behindert hat. Die Verhängung der Asylhaft ist nach vorheriger Einzelfallprüfung nur zulässig, wenn der Zweck nicht durch die Anwendung weniger einschneidender Alternativen zur Inhaftierung erreicht werden kann, etwa durch die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit, die Pflicht, sich an einem zugewiesenen Ort aufzuhalten oder Meldeauflagen. Gegen die Anordnung der Asylhaft als solches gibt es eigenständiges kein Rechtsmittel; die Haft wird nur allerdings insoweit richterlich überprüft, dass dies erstmals nach 72 Stunden und in der Folgezeit in 60-Tages-Intervallen erfolgt.
39Vgl. zu den Einzelheiten der Asylhaft: Auswärtiges Amt, Bericht an das VG Düsseldorf vom 19. November 2014– 508-9-516.80/48135, Juris Mitteilungen, S. 2 f.; (österreichisches) Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 4. Dezember 2014 – W 192 2014566-1/3 E – (B) I. 1.1. Asylrechtliche Haft), abrufbar unter: http://www.ris.bka.gv.at (Datenbank RIS).
40Diese Regelungen zur Asylhaft und ihre tatsächlichen Anwendung hat der EGMR bereits bei seiner Entscheidung vom 3. Juli 2014 – Nr. 71932/12 – berücksichtigt, da er u.a. auf den Country Report des Ungarischen Helsinki-Komitee vom 30. April 2014 abgestellt hat. Dem ist zu entnehmen, dass in der Zeit zwischen Juli und Dezember 2013 etwa 26 % aller Asylbewerber und etwa 42 % der männlichen Asylbewerber inhaftiert worden sind; ferner bestehen in den Haftanstalten nicht unerhebliche Mängel auf den Gebieten der Wohnverhältnisse, der Wasserqualität und der Versorgung mit Putz- und Reinigungsmitteln. Dem bereits genannten neuen Bericht „aida - Country-Report Hungary“ Stand 17. Februar 2015 sind für das gesamte Jahr 2014 keine nennenswert höheren Haftzahlen als die soeben dargestellten wie auch keine Verschlechterung der bereits früher festgestellten mäßigen Haftbedingungen zu entnehmen (dort S. 51, 53-56, 58-61). Ähnliche Zahlen und Umstände haben den EGMR gerade nicht veranlasst, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK bei der Behandlung von Asyl begehrenden Drittstaatsangehörigen in Ungarn festzustellen.
41Ferner führt der Bericht von UNHCR Deutschland an das VG Düsseldorf vom 30. September 2014, der eine Zusammenfassung der UNHCR (international) bis dato vorliegenden Erkenntnissen, Stellungnahmen und Berichten verschiedener Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen enthält,
42abrufbar unter http://www.frnrw.de (Flüchtlingsrat NRW dort: UNHCR Stellungnahme zur Inhaftierung von Dublin-Rückkehrern in Ungarn),
43gleichfalls nicht zur Annahme systematischer Mängel im ungarischen Asylsystem. Dabei berücksichtigt die Kammer, dass einer von UNHCR Deutschland ausgegebenen Stellungnahme keine „amtliche“ von UNHCR (international) ist, welcher dem EuGH zufolge eine besondere Gewichtung bei der Auslegung und Beurteilung der europarechtlichen Vorschriften zuzumessen wäre.
44Vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013 – C -528/11 – (Halaf), NVwZ-RR 2013, S. 660 ff. =Juris Rdnr. 44.
45UNHCR Deutschland betrachtet in dieser Stellungnahme einen Zeitraum ab dem 1. Juli 2013; er legt allerdings nicht dar, dass die ungarischen Behörden aktuell (wieder) exzessiv von der Möglichkeit der Inhaftierung von Asylsuchenden Gebrauch machen. Vielmehr entspricht die für das 1. Halbjahr des Jahres 2014 genannte Zahl der Inhaftierungen (Inhaftierung von 25 % aller Asylsuchenden, 40 % der männlichen Asylbewerber) in etwa den vom EGMR in dem Urteil vom 3. Juli 2014 ‑ Nr. 71932/12 ‑ zugrunde gelegten Inhaftierungszahlen (26 % aller Asylbewerber, 42 % der männlichen Asylbewerber), welche auch dem `aida, Asylum Information Database, Country Report Hungary´ Stand 17. Februar 2015 zu entnehmen sind. Zudem sieht die Richtlinie 2013/33 (EU) des Europäischen Parlaments und Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180/96 vom 29. Juni 2013; so gen. Aufnahmerichtlinie) ausdrücklich die Möglichkeit zur Inhaftierung von Asylantragstellern vor (Erwägungsgründe 15 bis 20 sowie Art. 8 bis Art 11 RL 2013/33/EU). In ihrer ungarischen Handhabung erfolgt die Inhaftierung nicht wegen der Stellung eines Asylantrags, sondern wegen solcher Umstände, die das individuelle Verhalten des Drittstaatsangehörigen vor und bei der Antragstellung kennzeichnen. Zudem hat ein Dublin-Rückkehrer bereits durch seine Weiterreise in die Bundesrepublik belegt, dass er sich nach seiner erkennungsdienstlichen Behandlung/Erfassung in Ungarn dem ungarischen Asylverfahren entzogen hat und offensichtlich nicht dort verbleiben wollte.
46Der Bericht von UNHCR Deutschland – offenbar an das VG Düsseldorf – vom 25. November 2014,
47abrufbar unter http://www.ecoi.net,
48ergibt nichts anderes. Darin stellt UNHCR Deutschland heraus, dass der UNHCR (international) die Veränderungen im ungarischen Asylsystem ab dem Jahr 2014 begrüßt und Dublin-Rückkehrer von staatlicher wie auch nichtstaatlicher Seite unterstützt werden, zumal es in Ungarn ein neu aufgelegtes Unterstützungsprogramm gibt. UNHCR (international) befürchtet für Personen, die den subsidiären oder internationalen Schutz erhalten haben, dass diese nicht an den ansonsten eingetretenen Verbesserungen für Schutz suchende Drittstaatsangehörige teilhaben. Die zusammengetragenen kritischen Berichte erfassen zudem oft einen Zeitraum vor dem Jahr 2014, namentlich die Jahre 2012 und 2013, die auch der EGMR beurteilt hat, ohne eine beachtliche Gefahr einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung von Asylantragstellern festgestellt zu haben.
49Die der Kammer ebenfalls vorliegenden beiden, weitgehend deutschsprachigen Stellungnahmen von Pro Asyl bzw. bordermonitoring.eu an das VG Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 bzw. an das VG München vom 30. Oktober 2014,
50abrufbar unter: http://bordermonitoring.eu/2014/11/stellungnahmen-von-bordermonitoring-eu-zur-situation-in-ungarn/, bzw. http://bordermonitoring.eu/files/2014/11/antwort-vg-muenchen.pdf,
51die in Zusammenarbeit mit dem ungarischen Helsinki Komitee (HHC) erarbeitet wurden, ergeben für den Antragsteller ebenfalls nichts Günstiges. Darin werden nämlich die bereits zuvor dargestellten Umstände um die Anwendung der Asylhaft weitestgehend bestätigt, ohne greifbar eine Verschlechterung aufzuzeigen.
52Schließlich sind auch keine Anhaltspunkte für systemische Mängel wegen drohender Obdachlosigkeit von Schutz suchenden Drittstaatsangehörigen in Ungarn greifbar,
53vgl. dazu insgesamt mit genauerer Darlegung: VG Düsseldorf, Beschluss vom 2. September 2014 ‑ 6 L 1235/14.A ‑, Juris Rdnr. 84 ff. und Urteil vom 20. März 2013 – 13 K 501/14 -, juris Rdnr. 79 ff,
54die an die zumindest seinerzeit sehr weitgehend verbreitete Obdachlosigkeit unter dem griechischen Asylsystem hin zu einer behördlichen Gleichgültigkeit
55vgl. dazu: EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 M.S.S. ./. Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09, Rdnr. 253 ff., 263= NVwZ 2011 S. 413 ff.; BVerwG, Beschluss vom 25. Oktober 2012 – 10 B 16/12 –, InfAuslR 2013, S. 45 f. = Juris Rdnr. 9,
56heranreicht. Es ist nämlich bisher, d.h. im gesamten vergangenen Jahr 2014 gerade kein Fall bekannt, in dem einem Asylantragsteller – etwa wegen Überbesetzung der Unterbringungseinrichtungen – in Ungarn kein Obdach gewährt worden ist.
57Vgl. aida, Asylum Information Database, Country Report Hungary, Stand 17. Februar 2015, S. 43; und bereits National Country Report Hungary, Stand 30. April 2014, S. 40.
58Der Antragsteller selbst hat Mängel im ungarischen Asylverfahren lediglich pauschal behauptet und eine individuelle Betroffenheit nicht geltend gemacht. Vielmehr hat er nicht einmal eingeräumt, sich in Ungarn aufgehalten und dort Asyl beantragt zu haben.
59Für ein der Abschiebung nach Ungarn entgegenstehendes inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, das im Rahmen einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylVfG ausnahmsweise von der Antragsgegnerin auch noch nach Erlass der Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen wäre,
60vgl. BVerfG, (Nichtannahme-)Beschluss vom 17. September 2014 – 2 BvR 732/14 –, AuAS 2014 S. 244 ff. = Juris Rdnr. 11 f.; OVG NRW, Beschluss vom 30. August 2011 – 18 B 1060/11 –, Juris Rdnr. 4,
61ist weder etwas vorgetragen noch sonst ersichtlich.
62Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Tenor
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22. Januar 2015 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Der nach eigenen Angaben am 0.0.1995 geborene Kläger ist ghanaischer Staatsangehöriger islamischer Religionszugehörigkeit.
3Der Kläger stellte am 1. Juli 2014 in Italien einen Asylantrag. Während der Prüfung seines Asylantrags in Italien reiste er am 25. Oktober 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 7. November 2014 einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt). Er hat das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten seither nicht verlassen.
4Das Bundesamt stellte auf der Grundlage eines Eurodac-Treffers fest, dass Anhaltspunkte für eine Zuständigkeit Italiens vorlagen. Daraufhin richtete es am 5. Januar 2015 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin III-Verordnung an die italienischen Behörden, das unbeantwortet blieb.
5Es lehnte mit Bescheid vom 22. Januar 2015, dem Kläger persönlich zugestellt am 28. Februar 2015, den Asylantrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Italien an.
6Der Kläger hat am 3. März 2015 die vorliegende Klage erhoben und einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt (8 L 728/15.A). Dem Eilantrag hat die erkennende Einzelrichterin mit Beschluss vom 27. April 2015 stattgegeben.
7Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
8die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22. Februar 2015 zu verpflichten, ein Asylverfahren durchzuführen,
9hilfsweise
10festzustellen, dass in Bezug auf ihn Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 1 – 7 AufenthG vorliegen.
11Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
12die Klage abzuweisen.
13Der Kläger hat auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Die Beklagte hat durch allgemeine Prozesserklärung auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
14Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakte, der Gerichtsakte in dem Verfahren 8 L 728/15.A, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Ausländerbehörde der Stadt N. Bezug genommen.
15Entscheidungsgründe:
16Das Gericht kann durch die Einzelrichterin entscheiden, nachdem ihr das Verfahren durch Beschluss der Kammer vom 27. April 2015 zur Entscheidung übertragen worden ist (§ 76 Abs. 1 AsylVfG).
17Die Entscheidung kann im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergehen (§ 101 Abs. 2 VwGO).
18Die Klage hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
19Sie ist unzulässig, soweit der Kläger mit ihr die Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens begehrt. Statthafte Klageart ist einzig die Anfechtungsklage. Ein solcher Antrag ist indes in dem klägerseits gestellten (Verpflichtungs-)Antrag als Minus mit enthalten. Der nach dem Begehren des Klägers so auszulegende Klageantrag ist zulässig (§ 88 VwGO).
20Der Kläger wendet sich (auch) gegen den Bescheid vom 22. Februar 2015, mit welchem die Beklagte seinen Asylantrag gemäß § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt hat. Gegen eine solche Unzulässigkeitsentscheidung ist (nur) ein isoliertes Aufhebungsbegehren statthaft. Die Entscheidungen nach § 27a und § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG stellen Verwaltungsakte im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG dar, deren isolierte Aufhebung - anders als in sonstigen Fällen eines Verpflichtungsbegehrens - ausnahmsweise zulässig ist, weil schon ihre Beseitigung grundsätzlich zur formellen und materiellen Prüfung des gestellten Asylantrages und damit zu dem erstrebten Rechtschutzziel führt. Denn das Bundesamt ist gemäß §§ 31, 24 AsylVfG nach Aufhebung des Bescheides bereits gesetzlich verpflichtet, das Asylverfahren durchzuführen. Das Bundesamt hat sich in den Fällen des § 27a AsylVfG lediglich mit der - einer materiellen Prüfung des Asylbegehrens vorgelagerten - Frage befasst, welcher Staat nach den Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Prüfung des Asylbegehrens des Klägers zuständig ist; eine Prüfung des Asylbegehrens ist in der Sache nicht erfolgt. Mit der Aufhebung des Bescheides wird ein Verfahrenshindernis für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens beseitigt, und das Asylverfahren ist in dem Stadium, in dem es zu Unrecht beendet worden ist, durch das Bundesamt weiterzuführen.
21Vgl. ausführlich OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris Rn. 28 ff.; Hamburgisches OVG, Beschluss vom 2. Februar 2015 – 1 Bf 208/14.AZ -, juris (Leitsatz); BayVGH, Urteil vom 29. Januar 2015 – 13a B 14.50039 -, juris (Leitsatz); OVG Niedersachsen, Beschluss vom 6. November 2014 – 13 LA 66/14 –, juris Rn. 7; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16. April 2014 – A 11 S 1721/13 –, juris Rn. 18; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 - 3 L 643/12 -, juris Rn. 21 f.
22Der nach dem Begehren des Klägers so auszulegende zulässige Klage(haupt-)antrag ist auch begründet.
23Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22. Februar 2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Unrecht nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt und auf der Grundlage des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG seine Abschiebung nach Italien angeordnet.
24Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In einem solchen Fall prüft die Beklagte den Asylantrag nicht, sondern ordnet die Abschiebung in den zuständigen Staat an (§ 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG).
25Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin III-Verordnung).
26Zwar bestand eine Zuständigkeit Italiens für die Prüfung des Asylantrags gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b) Dublin III-Verordnung, weil der Kläger während der Prüfung seines am 1. Juli 2014 in Italien gestellten Asylantrages am 7. November 2014 in der Bundesrepublik einen weiteren Asylantrag gestellt und das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten seither nicht verlassen hat.
27Der Kläger hat aber einen Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts der Bundesrepublik Deutschland im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin III-Verordnung.
28Ausgehend von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist ein Mitglied- oder Vertragsstaat unter bestimmten Umständen dazu verpflichtet, von der Rückführung in den an sich zuständigen Mitgliedstaat abzusehen. Das ihm insofern eingeräumte Ermessen ist Teil des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats und stellt ein Element des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems dar. Bei der Ermessensausübung führt der Mitgliedstaat daher Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Europäischen Grundrechtecharta (GRCh) aus. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem stützt sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Europäischen Grundrechtecharta, aber auch der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Art. 18 GRCh und Art. 78 AEUV). Die Mitgliedstaaten müssen bei ihrer Entscheidung, ob sie von dem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen, diese Grundsätze beachten.
29Vgl. ausführlich EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. -, NVwZ 2012, 417 Rn. 96; Urteil vom 14. November 2013 - C-4/11, Puid -, NVwZ 2014, 170 Rn. 33; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16. April 2014 – A 11 S 1721/13 -, juris Rn. 18; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A -, juris Rn. 28 ff.
30Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die nach der Aufnahmerichtlinie erforderlichen Aufnahmebedingungen zu gewährleisten, beginnt mit der Stellung des Asylantrags. Systematik und Zweck der Richtlinie und auch die Wahrung der Grundrechte verbieten es, dass einem Asylbewerber der mit den in der Richtlinie festgelegten Mindestnormen verbundene Schutz entzogen wird, und sei es auch nur vorübergehend nach Asylantragstellung.
31Vgl. EuGH, Urteil vom 27. Februar 2014 - C- 79/13 - (Saciri u. a.), juris Rn. 33 ff., und Urteil vom 27. September 2012 - C-179/11 - (Cimade), juris Rn. 39, 56, jeweils zur Richtlinie 2003/9/EG; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A -, juris Rn. 122.
32Davon ausgehend kann ein Staat im Rahmen von Art. 3 EMRK (bzw. entsprechend Art. 4 GRCh) - zumindest in Gestalt einer in Betracht kommenden Möglichkeit - für eine Behandlung verantwortlich sein, bei der sich ein von staatlicher Unterstützung vollständig abhängiger Asylsuchender in einer gravierenden Mangel- oder Notsituation staatlicher Gleichgültigkeit ausgesetzt sieht, die mit der Menschenwürde unvereinbar ist. Dies kann der Fall sein, wenn ein Asylsuchender erkanntermaßen mehrere Monate obdachlos auf der Straße gelebt hat, ohne Einnahmen oder Zugang zu Sanitäreinrichtungen und ohne die Mittel zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse.
33EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 - (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 253, 263; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A -, juris Rn. 124.
34Hiernach ergibt sich: Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK liegt (insbesondere) vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er als den nach der Dublin III-Verordnung „zuständigen“ Staat überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbarer Weise befriedigen kann.
35Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A -, juris Rn. 126.
36Nach diesen Maßstäben liegen Voraussetzungen vor, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des den Bestimmungen der Dublin III-Verordnung zugrunde liegenden Systems des gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist. Die Aufnahmebedingungen in Italien sind aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär, dass anzunehmen ist, dass dem Kläger im konkreten Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.
37Vgl. zum Maßstab BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 – 10 B 6/14 –, juris.
38Das Gericht geht in tatsächlicher Hinsicht übereinstimmend mit dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte davon aus, dass aufgrund von Berichten international anerkannter Flüchtlingsschutzorganisationen und des Auswärtigen Amtes belastbare Anhaltspunkte für das Bestehen von erheblichen Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rückgeführter Ausländer in Italien bestehen und nicht auszuschließen ist, dass eine erhebliche Zahl Asylsuchender ohne Unterkunft bleibt oder in überfüllten Einrichtungen ohne jede Privatsphäre oder sogar in einer gesundheitsgefährdenden oder gewalttätigen Umgebung untergebracht werden könnte.
39Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2014 – 2 BvR 939/14 –, juris Rn. 13; EGMR, Urteil vom 4. November 2014 – Nr. 29217/12, Rn. 115 – Tarakhel.
40Bei der Bewertung der in Italien anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind diejenigen Umstände heranzuziehen, die auch auf die Situation des konkreten Asylantragstellers – hier des Klägers – zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des konkreten Asylantragstellers auswirken (können).
41Vgl. ausführlich OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A -, juris Rn. 130.
42Demgemäß ist auf diejenigen Personen abzustellen, die einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gestellt haben, über den noch nicht endgültig entschieden wurde (Art. 2 Buchstaben b und c Dublin III-Verordnung). Hierunter fallen auch die sog. Dublin-Rückkehrer, die nach den vorliegenden Erkenntnissen keine besondere Behandlung erfahren.
43In Anwendung dieser Grundsätze sind zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bei der Unterbringungssituation in Italien systemische Mängel festzustellen. Die Kapazitäten der CARA und des SPRAR-Systems reichen bei weitem nicht aus, um auch nur einen überwiegenden Teil der Asylantragsteller in Italien aufzunehmen. Hierbei geht das Gericht von folgender Situation aus:
44Zuständig für die erste Unterbringung von Asylsuchenden sind die sog. CARA (Centri di Accoglienza per Richiedenti Asilo). Die offizielle maximale Aufenthaltsdauer in den CARA beträgt 35 Tage, weil ursprünglich die Vorstellung bestand, dass bis zu diesem Zeitpunkt das Asylverfahren abgeschlossen sein würde. In der Praxis wird die Aufenthaltsdauer bis zu sechs Monaten verlängert. Die Anzahl der in den CARA zur Verfügung stehenden Plätze beträgt je nach Quelle bis zu knapp über 10.000 Plätzen.
45Daneben bestehen die Unterbringungseinrichtungen des sog. SPRAR (Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugati). In diesen können sich Asylsuchende, die nicht in CARA wohnen müssen, bis zu einer Entscheidung der Kommission aufhalten. Personen, denen eine Form des internationalen Schutzes gewährt worden ist, dürfen sich noch maximal sechs Monate in den SPRAR-Einrichtungen aufhalten. Aufgrund außergewöhnlicher Umstände kann die Aufenthaltsdauer um bis zu sechs Monate verlängert werden. Bei Vorliegen besonderer Schutzbedürftigkeit ist eine Verlängerung um bis zu 11 Monate möglich. In den SPRAR wurden in 2011 rund 3.000 Plätze angeboten. Bis 2016 sollte die Gesamtzahl an Plätzen auf 16.000 erhöht werden. Indes teilte das italienische Innenministerium bereits im September 2014 mit, das Aufnahmesystem SPRAR verfüge (bereits) über 19.000 Plätze.
46Neben diesen staatlichen Einrichtungen gibt es noch einige Kommunen, die eigene Unterbringungsmöglichkeiten vorhalten, wobei diese nicht speziell für Asylsuchende betrieben werden. So soll die Stadt Rom in insgesamt 21 Einrichtungen zwischen 1.300 und 1.400 Plätze vorhalten, Mailand rund 400 Plätze und Turin rund 200 Plätze.
47Vgl. zum Ganzen: OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A -, juris Rn. 147 ff.; VG Aachen, Beschluss vom 3. März 2015 – 9 L 168/15.A -, juris Rn. 26 ff.; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Leitfaden Italien (Stand: Oktober 2014), Seite 10 ff..
48Diesem Angebot standen in Italien für das Jahr 2013 über 25.000 neue Asylantragsteller und für das Jahr 2014 über 63.000 neue Asylantragsteller gegenüber.
49Siehe die amtlichen Zahlen von eurostat für die Jahre 2013 und 2014, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/eurostat/tgm/table.do?tab=table&init=1&plugin=1&pcode=tps00191&language=en; UNHCR, Asylum Trends 2014, Levels and Trends in Industrialized Countries vom 26. März 2015, Seite 20 (Tabelle 1), abrufbar unter http://www.unhcr.org/551128679.html.
50Das Ungleichgewicht zwischen verfügbaren Unterkunftsplätzen und Asylantragstellern hat sich seit Anfang des Jahres 2015 noch deutlich verschärft. In den Monaten Januar und Februar 2015 kamen knapp 7.900 Flüchtlinge nach Italien.
51Vgl. die amtlichen Zahlen von eurostat für Januar 2015, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/eurostat/tgm/table.do?tab=table&init=1&plugin=1&pcode=tps00189&language=en borderline-europe, Newsletter März 2015, Seite 3, abrufbar unter http://www.borderline-europe.de/sites/default/files/background/Newsletter%20M%C3%A4rz%202015.pdf.
52Seither sind die Flüchtlingszahlen erneut stark gestiegen. Nachdem am Osterwochenende mehr als 1.800 Bootsflüchtlinge gerettet wurden,
53http://www.focus.de/politik/ausland/seenot-im-mittelmeer-italienische-kuestwenwache-rettet-1800-bootsfluechtlinge_id_4592375.html
54hat Italiens Küstenwache in der darauffolgenden Woche 10.000 Menschen an Land gebracht.
55http://www.spiegel.de/politik/ausland/europa-und-die-mittelmeer-fluechtlinge-hilflos-a-1028935.html.
56Am ersten Maiwochenende wurden erneut etwa 5.800 Flüchtlinge von der italienischen Küstenwache gerettet.
57Vgl. http://www.sueddeutsche.de/politik/drama-im-mittelmehr-mehr-als-bootsfluechtlinge-im-mittelmeer-gerettet-1.2463509.
58Der Bundesinnenminister geht davon aus, dass in Libyen etwa eine Million Flüchtlinge warten.
59http://www.t-online.de/nachrichten/panorama/id_73712474/in-libyen-warten-1-million-fluechtlinge-merkel-kuendigt-kurswechsel-an.html.
60Die Notunterkünfte in Italien sind überfüllt. Die Auffanglager stehen vor dem Kollaps.
61http://www.spiegel.de/politik/ausland/europa-und-die-mittelmeer-fluechtlinge-hilflos-a-1028935.html; http://www.sueddeutsche.de/politik/fluechtlingsdrama-tod-in-den-schwarzen-wogen-1.2441804.
62Damit stehen auch bei Zugrundelegung der amtlichen Zahlen den neuen Asylantragstellern in Italien – und auch dem Kläger als sog. Dublin-Rückkehrer – keine ausreichenden Unterkunftsmöglichkeiten zur Verfügung.
63Vgl. ebenso VG Aachen, Beschluss vom 3. März 2015 – 9 L 168/15.A -; VG Köln, Beschluss vom 20. Februar 2015 – 20 L 114/15.A -; VG Arnsberg, Urteil vom 12. März 2015 – 13 K 488/14.A -; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 27. Januar 2015 – 7a L 1718/14.A -; VG Minden, Beschluss vom 22. April 2015 – 10 L 136/15.A –.
64Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des OVG NRW vom 24. April 2015 (- 14 A 2356/12.A -, juris). Es nimmt lediglich Bezug auf die obergerichtliche Rechtsprechung aus den Jahren 2013 und 2014 und setzt sich auch im Übrigen nicht mit den zitierten neuesten Erkenntnissen zu den seit Januar 2015 stark gestiegenen Flüchtlingszahlen, den damit unmittelbar einhergehenden Kapazitätsproblemen der italienischen Aufnahmeeinrichtungen sowie der daraus resultierenden weit verbreiteten Obdachlosigkeit einer hohen Zahl von Asylsuchenden auseinander. Diese Entwicklungen können auch in der durch das OVG NRW zitierten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 6. Januar 2015 - naturgemäß - noch keine Berücksichtigung gefunden haben.
65Es liegen auch keine sonstigen Erkenntnisse vor, dass dem Kläger bei einer Überstellung nach Italien eine ausreichende Unterkunftsmöglichkeit zur Verfügung stünde. Es ist gerichtsbekannt, dass Italien keine individuellen Zusicherungen mehr gibt.
66Vgl. die Auskunft der Liasonbeamtin des Bundesamtes in Italien vom 13. April 2015.
67Einer Entscheidung über den gestellten Hilfsantrag bedurfte es nicht. Denn der Kläger hat sein mit dem Hauptantrag verfolgtes Ziel, die Beklagte zur Durchführung eines Asylverfahrens zu verpflichten, (mittelbar) dadurch erreicht, dass die Beklagte hierzu infolge der gerichtlichen Aufhebung des Bescheides kraft Gesetzes (§§ 31, 24 AsylVfG) verpflichtet ist. Dessen ungeachtet ist mit der gerichtlichen Aufhebung des angefochtenen Bescheides dem Hilfsantrag auch der Boden entzogen. Da die in Ziffer 2 des Bescheides getroffene Abschiebungsanordnung nach Italien beseitigt ist, bedarf es auch keiner Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 1 – 7 AufenthG.
68Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, § 83b AsylVfG.
69Dem Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit liegt § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO zugrunde.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.