Verwaltungsgericht Köln Beschluss, 27. Juli 2016 - 23 L 1577/16
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selber trägt.
2. Der Streitwert wird auf € 5.000,00 festgesetzt.
1
G r ü n d e
2Der zulässige sinngemäße Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage 23 K 2078/16 gegen die Baugenehmigung und den Abweichungsbescheid vom 21.02.2016 für den Neubau eines Wintergartens auf dem Grundstück B. M.---straße 00 (Gemarkung O. , Flur 00, Flurstück 0000) in C. anzuordnen,
4ist unbegründet.
5Das Gericht ordnet gemäß § 80a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2, § 80 Abs. 5 VwGO die nach § 212a Abs. 1 BauGB entfallende aufschiebende Wirkung der Klage des Nachbarn dann an, wenn dessen Interesse, von der Bauausführung vorerst verschont zu bleiben, schwerer wiegt als das Interesse des Bauherrn, die Baugenehmigung sofort auszunutzen. Diese Entscheidung bestimmt sich nach den Erfolgsaussichten der Klage. Die Klage der Antragstellerin wird voraussichtlich keinen Erfolg haben, weil es ihr verwehrt ist, Nachbarrechtsverletzungen durch den Abweichungsbescheid und damit auch die Baugenehmigung vom 21.02.2016 zu ihren Lasten geltend zu machen.
6Gegen eine Baugenehmigung kann sich ein Nachbar nur wehren, wenn das genehmigte Vorhaben gegen nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Baurechts verstößt und ein Dispens von diesen Vorschriften nicht erteilt ist bzw. wegen nachbarlicher Belange nicht hätte erteilt werden dürfen. Die verletzten Normen müssen nicht nur die Interessen der Allgemeinheit, sondern zumindest auch Individualinteressen des Nachbarn schützen.
7Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 09.03.2007 – 10 B 2675/06 –, juris, Rz. 4.
8Zudem darf der klagende Nachbar nicht nach Treu und Glauben daran gehindert sein, einen Nachbarrechtsverstoß geltend zu machen. Das Gebot, sich so zu verhalten, wie Treu und Glauben es erfordern (vgl. § 242 BGB), gehört auch zu den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts. Es verpflichtet zur Redlichkeit und zur Rücksichtnahme auf die schutzwürdigen Interessen anderer. Daher kann es demjenigen verwehrt sein, seine Rechte durchzusetzen, der eigene Pflichten bzw. Rechte anderer verletzt – getreu dem Rechtssprichwort „Ein jeder kehre vor seiner Tür“. Dies bedeutet jedoch nicht, dass nur derjenige Rechte geltend machen kann, der sich selbst rechtstreu verhalten hat. So hindert nicht jeder Abstandflächenverstoß daran, ein Nachbarvorhaben wegen eines solchen Verstoßes anzugreifen. Aus dem Grundsatz von Treu und Glauben folgt vielmehr, dass der Eigentümer nur solche Rechtsverstöße abwehren kann, die sein Grundstück stärker beeinträchtigen als sein eigener Rechtsverstoß das Nachbargrundstück. Ob die Verstöße vergleichbar sind, hängt vom Grenzverlauf, der Intensität der Beeinträchtigung und den weiteren Besonderheiten des Einzelfalls ab.
9Vgl. VG Köln, Urteil vom 10.06.2016 – 23 K 5757/14 – m.w.N.
10Die Antragstellerin kann der Antragsgegnerin einen Abstandflächenverstoß zugunsten der Beigeladenen durch die Baugenehmigung und den Abweichungsbescheid vom 21.02.2016 nicht mit Erfolg vorwerfen, weil die Bebauung auf ihrem Grundstück in vergleichbarer Weise das Grundstück der Beigeladenen beeinträchtigt. Auch wenn die Bauten auf dem Grundstück der Antragstellerin bestandsgeschützt sein sollten, verstoßen die lediglich grenznah errichten Gebäude gegen die Regelungen des § 6 BauO NRW. Grundsätzlich sind gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 BauO NRW vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Nach § 6 Abs. 2 S. 1 BauO NRW müssen die Abstandflächen auf dem Grundstück selbst liegen. Dabei bestimmt sich das Maß der Abstandfläche im Grundsatz nach § 6 Abs. 5 und 6 BauO NRW, wonach für die Berechnung der Abstandfläche die Wandhöhe maßgeblich ist und ihre Tiefe mindestens 3 m betragen muss. Auf beiden Seiten der gemeinsamen Grundstücksgrenze sind die Gebäude mit einem vergleichbaren Grenzabstand errichtet. Die Gebäude der Antragstellerin sind – soweit dies aus den Genehmigungsunterlagen ersichtlich ist – mit einem Abstand von 36 cm zu dieser Grenze errichtet. Das Vorhaben und das straßenseitige Haus auf dem Grundstück der Beigeladenen wahren einen Abstand von 40 cm zu dieser Grenze. Berücksichtigt man die rückwärtige Nebenanlage auf dem Grundstück der Antragstellerin, so übertrifft deren grenznahe Bebauung an der gemeinsamen Grenze die grenznahe Bebauung auf dem Grundstück der Beigeladenen auch der Länge nach.
11Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, 3 VwGO. Der Beigeladenen konnten keine Kosten auferlegt werden, da sie keinen Antrag gestellt und sich somit auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
12Mit Rücksicht auf die Bedeutung der Sache für die Antragstellerin ist es angemessen, den Streitwert auf den festgesetzten Betrag zu bestimmen (§ 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG). Das Gericht orientiert sich insoweit in ständiger Rechtsprechung an den Ziffern 7. a) und 12. a) des Streitwertkataloges der Bausenate des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 17.09.2003 (BauR 2003, 1883).
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(1) Legt ein Dritter einen Rechtsbehelf gegen den an einen anderen gerichteten, diesen begünstigenden Verwaltungsakt ein, kann die Behörde
- 1.
auf Antrag des Begünstigten nach § 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 die sofortige Vollziehung anordnen, - 2.
auf Antrag des Dritten nach § 80 Abs. 4 die Vollziehung aussetzen und einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der Rechte des Dritten treffen.
(2) Legt ein Betroffener gegen einen an ihn gerichteten belastenden Verwaltungsakt, der einen Dritten begünstigt, einen Rechtsbehelf ein, kann die Behörde auf Antrag des Dritten nach § 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 die sofortige Vollziehung anordnen.
(3) Das Gericht kann auf Antrag Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 ändern oder aufheben oder solche Maßnahmen treffen. § 80 Abs. 5 bis 8 gilt entsprechend.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens haben keine aufschiebende Wirkung.
(2) Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Geltendmachung des Kostenerstattungsbetrags nach § 135a Absatz 3 sowie des Ausgleichsbetrags nach § 154 durch die Gemeinde haben keine aufschiebende Wirkung.
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
Tenor
Die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 16.10.2013 für einen Lagerraum auf dem Grundstück C. N.---pfad 000 (Gemarkung M. , Flur 00, Flurstücke 000, 000) Az. 00/ 00/0000/0000 – in L. wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selber trägt.
1
T a t b e s t a n d
2Die Kläger wenden sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für einen Lagerraum.
3Sie sind Eigentümer des mit einem Einfamilienwohnhaus bebauten Grundstücks I.----straße 00 (Gemarkung M. , Flur 00, Flurstück 0000) in L. . Im Osten grenzt das Grundstück an das Grundstück C. N.---pfad 000 (Gemarkung M. , Flur 00, Flurstücke 000, 000; z. t. fälschlich bezeichnet mit Gemarkung S. , Flur 00, Flurstück 0000/0) des Beigeladenen.
4Die Beklagte erteilte am 12.01.1976 eine Baugenehmigung für ein zweigeschossiges Wohnhaus mit Laden und Werkstatt sowie einer PKW-Garage auf dem Grundstück des Beigeladenen. Im rückwärtigen Bereich des Grundstücks des Beigeladenen wurde zur Belichtung der Kellerfenster ein Lichthof ausgegraben.
5Am 16.10.2013 erteilte die Beklagte dem Beigeladenen eine Baugenehmigung, um den Lichthof in einen u.a. zum Grundstück der Kläger grenzständigen (s. den Lageplan, Bl. 2.15 Beiakte 1) oder grenznahen (s. den Grundriss Kellergeschoss, Bl. 2.20 Beiakte 1) überdachten Lagerraum für „einen Handwerksbetrieb“ zu ändern. Dieser Lagerraum soll gegenüber der westlichen Grundstücksgrenze 12,90 m, gegenüber der südlichen Grenze 7,40 m und gegenüber der nördlichen Grenze 6,80 m lang sein. Er kann über das Haupthaus begangen werden.
6Unter dem 28.01.2014 beantragten die Kläger bei der Beklagten, gegen Arbeiten auf dem Grundstück des Beigeladenen einzuschreiten, die von der Baugenehmigung vom 16.10.2013 abwichen.
7Gegen die Baugenehmigung vom 16.10.2013 haben die Kläger am 21.10.2014 Klage erhoben. Sie führen aus, die Baugenehmigung sei in nachbarrechtlich relevanter Weise unbestimmt. Denn unterschiedliche Höhenangaben befänden sich in Lageplan und Schnittzeichnung einerseits und in den Ansichtszeichnungen andererseits. Auch sei der Geländeverlauf im Grundriss des Kellergeschosses anders dargestellt als auf dem Lageplan. Als Gebäudeteil sei der Lagerraum abstandflächenrechtlich nicht privilegiert. Im Übrigen sei der Bau gegenüber der gemeinsamen Grenze länger als 9,00 m. Der Abstand von ihrem Hauptgebäude zur Außenwand des Vorhabens betrage derzeit deshalb nur 2,92 m, da der Beigeladene im Februar 2014 eine Dämmschicht habe aufbringen lassen. Mit der Dämmschicht sei ihr Grundstück überbaut worden.
8Die Kläger beantragen,
9die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 16.10.2013 für einen Lagerraum auf dem Grundstück C. N.---pfad 000 aufzuheben.
10Die Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Sie meint, die Kläger könnten nach Treu und Glauben nicht mit ihren Einwänden durchdringen, da ihr Haus nur einen Abstand von 2,70 m zur Grenze mit dem Grundstück des Beigeladenen wahre und somit gegen Abstandflächenrecht verstoße. Der Verstoß sei mindestens so schwerwiegend wie die etwas unklare Höhenbestimmung.
13Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Er hat in der mündlichen Verhandlung bestätigt, im Februar 2014 eine Dämmschicht auf die Außenwand des Lagerraums aufgebracht zu haben.
14Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
15E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
16Die zulässige Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Fall 1 VwGO) ist begründet. Die angefochtene Baugenehmigung vom 16.10.2013 ist in nachbarrechtsrelevanter Weise rechtswidrig und verletzt die Kläger in eigenen Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.
17Gegen eine Baugenehmigung kann sich ein Nachbar nur wehren, wenn das genehmigte Vorhaben gegen nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Baurechts verstößt und ein Dispens von diesen Vorschriften nicht erteilt ist bzw. wegen nachbarlicher Belange nicht hätte erteilt werden dürfen. Die verletzten Normen müssen nicht nur die Interessen der Allgemeinheit, sondern zumindest auch Individualinteressen des Nachbarn schützen.
18Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 09.03.2007 – 10 B 2675/06 –, juris, Rz. 4.
19Nicht nachbarschützende Vorschriften bleiben daher im Nachbarverfahren außer Betracht.
20Die angefochtene Baugenehmigung verstößt zu Lasten der Kläger gegen das Bestimmtheitsgebot sowie gegen Abstandflächenrecht.
21Die Baugenehmigung ist entgegen § 37 Abs. 1 VwVfG NRW inhaltlich nicht hinreichend bestimmt. Eine Baugenehmigung muss Inhalt, Reichweite und Umfang der getroffenen Regelung eindeutig erkennen lassen, damit der Bauherr den Umfang der für ihn zulässigen Nutzungen und Dritte das Maß ihrer Betroffenheit zweifelsfrei feststellen können. Eine solche Aussage muss der Baugenehmigung selbst, gegebenenfalls durch Auslegung, entnommen werden können. Bei der Ermittlung des objektiven Erklärungsinhalts der Baugenehmigung sind die mit Zugehörigkeitsvermerk („Grünstempel“) versehenen Bauvorlagen heranzuziehen.
22Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25.01.2013 – 10 A 2269/10 –, juris, Rz. 59 ff. m.w.N.
23Auf die Unbestimmtheit kann sich ein Nachbar nur dann berufen, wenn nicht ausgeschlossen ist, dass seine Nachbarrechte verletzt werden. Für sich betrachtet schließen die Bauvorlagen des Vorhabens nicht aus, dass Abstandflächenrecht zulasten der Kläger verletzt wird. Zum einen ist unklar, ob das Vorhaben grenzständig oder nahe der gemeinsamen Grundstücksgrenze genehmigt ist. Der Lageplan (Bl. 2.15 Beiakte 1) stellt das Vorhaben dort als grenzständig dar. Hingegen ist im Grundriss Kellergeschoss (Bl. 2.20 Beiakte 1) die westliche Außenwand mit einem geringen Abstand zu dieser Grenze gezeichnet. Zum anderen widersprechen sich einzelne Höhenangaben: Auf dem Lageplan (Bl. 2.15 Beiakte 1) und der Giebelansicht (Bl. 2.29) werden die Höhe der Außenwand mit 52,93 m NN und die Höhe der Geländeoberfläche auf dem Grundstück der Kläger mit 52,25 m wiedergegeben. Auf der Schnittzeichnung (Bl. 2.27 Beiakte 1) werden hingegen Wandhöhe und Höhe der Geländeoberfläche auf dem Nachbargrundstück jeweils mit 52,93 m dargestellt. Wenn man die Bauvorlagen für sich betrachtet, ist demnach unklar, ob die westliche Außenwand des Lagerraums oberhalb der natürlichen Geländeoberfläche liegt und somit eine Abstandfläche auslöst, die auf dem Grundstück der Kläger liegt.
24Berücksichtigt man weitere Dokumente, wird sogar deutlich, dass die angefochtene Baugenehmigung zu Lasten der Kläger Abstandflächenrecht verletzt. Grundsätzlich sind gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 BauO NRW vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Nach § 6 Abs. 2 S. 1 BauO NRW müssen die Abstandflächen auf dem Grundstück selbst liegen. Dabei bestimmt sich das Maß der Abstandfläche im Grundsatz nach § 6 Abs. 5 und 6 BauO NRW, wonach für die Berechnung der Abstandfläche die Wandhöhe maßgeblich ist und ihre Tiefe mindestens 3 m betragen muss. Diese Voraussetzungen erfüllt das Vorhaben nicht. Jedenfalls liegt der Lagerraum an bzw. nahe der gemeinsamen Grenze oberhalb der natürlichen Geländeoberfläche. Die zur Gerichtsakte gereichten Fotos (Bl. 41) zeigen, dass die bestehende Außenwand des Lichthofes das Grundstück der Kläger überragt. Dies bestätigen auch die Höhenangaben im Lageplan der den Klägern erteilten Baugenehmigung vom 08.03.2010 (vgl. Bl. 2.5 Beiakte 6). Somit ist auf der Schnittzeichnung zur angefochtenen Baugenehmigung (vgl. Bl. 2.27 Beiakte 1) die Höhe der Geländeoberfläche auf dem Grundstück der Kläger falsch dargestellt. Mit einer abstandflächenrelevanten Wandhöhe von 0,68 m wirft der grenzständig genehmigte Lagerraum eine 3 m tiefe Abstandfläche. Diese liegt, da der genaue Wandverlauf im Verhältnis zur Grundstücksgrenze unklar ist, jedenfalls größtenteils auf dem Grundstück der Kläger.
25Der Lagerraum ist auch nicht nach § 6 Abs. 11 BauO NRW privilegiert. Gemäß Satz 1 des Absatzes sind Gebäude mit einer mittleren Wandhöhe bis zu 3 m über der Geländeoberfläche an der Grenze, die als Garage, Gewächshaus oder zu Abstellzwecken genutzt werden, ohne eigene Abstandflächen sowie in den Abstandflächen eines Gebäudes unter bestimmten weiteren Voraussetzungen zulässig. Die Vorschrift ist hier nicht anwendbar. Sie gilt nur für bauliche Anlagen, die in funktionaler und bautechnischer Hinsicht selbstständig zu privaten Zwecken benutzbar sind.
26Vgl. OVG NRW, Urteil vom 16.10.2008 – 7 A 3096/07 –, juris, Rz. 45 ff.; Beschluss vom 05.08.2008 – 10 A 1096/08 –, juris, Rz. 4.
27Der Lagerraum ist funktional ein unselbstständiger Gebäudeteil des Haupthauses. Denn er ist allein über das Kellergeschoss des Haupthauses zugänglich. Zudem ist er ausweislich des Bauscheins für einen Handwerksbetrieb, also zur gewerblichen Hauptnutzung genehmigt. Darüber hinaus wären auch weitere Voraussetzungen der Vorschrift nicht erfüllt. Die Gesamtlänge der Bebauung nach § 6 Abs. 11 S. 1 BauO NRW darf je Nachbargrenze 9 m und auf einem Grundstück zu allen Nachbargrenzen insgesamt 15 m nicht überschreiten, § 6 Abs. 11 S. 5 BauO NRW. An der Grenze zum Grundstück der Kläger ist der Lagerraum ca. 12,90 m lang. Seine Länge zu allen Nachbargrenzen beträgt ca. 27,10 m.
28Entgegen der Auffassung der Beklagten sind die Kläger nicht nach Treu und Glauben daran gehindert, den genehmigten Abstandflächenverstoß anzufechten. Das Gebot, sich so zu verhalten, wie Treu und Glauben es erfordern (vgl. § 242 BGB), gehört auch zu den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts. Es verpflichtet zur Redlichkeit und zur Rücksichtnahme auf die schutzwürdigen Interessen anderer. Daher kann es demjenigen verwehrt sein, seine Rechte durchzusetzen, der eigene Pflichten bzw. Rechte anderer verletzt – getreu dem Rechtssprichwort „Ein jeder kehre vor seiner Tür“. Dies bedeutet jedoch nicht, dass nur derjenige Rechte geltend machen kann, der sich selbst rechtstreu verhalten hat. So hindert nicht jeder Abstandflächenverstoß daran, ein Nachbarvorhaben wegen eines solchen Verstoßes anzugreifen. Aus dem Grundsatz von Treu und Glauben folgt vielmehr, dass der Eigentümer nur solche Rechtsverstöße abwehren kann, die sein Grundstück stärker beeinträchtigen als sein eigener Rechtsverstoß das Nachbargrundstück. Ob die Verstöße vergleichbar sind, hängt vom Grenzverlauf, der Intensität der Beeinträchtigung und den weiteren Besonderheiten des Einzelfalls ab.
29Vgl. BVerwG, Urteil vom 14.04.1978 – IV C 6.76 –, juris, Rz. 10; OVG NRW, Urteil vom 29.10.2012 – 2 A 723/11 –, juris, Rz. 91; Grüneberg, in: Palandt, BGB, 75. Aufl., § 242, Rz. 6, 46; zu dem Rechtssprichwort s. PrOVG, Urteil vom 30.10.1886 – Rep. I. A. 33/86 –, PrOVGE 14, 399 (400); FG Hamburg, Urteil vom 06.05.2004 – VII 22/04 –, juris, Rz. 17.; Jellinek, Verwaltungsrecht, 2. Aufl., S. 125.
30Die Beklagte hat ihren Vortrag, dass das Haupthaus der Kläger lediglich 2,70 m von der Grundstücksgrenze entfernt sei, nicht durch eine amtliche Vermessung nachgewiesen. Ihr Bauaufsichtsamt hat lediglich den Abstand des Hauses der Kläger zur Wand des Lagerraums elektronisch gemessen. Da jedoch die genaue Lage der Wand zum Grenzverlauf nach den Genehmigungsunterlagen unklar ist und der Beigeladene im Februar 2014 eine Dämmschicht auf die Außenwand des Lagerraums aufgebracht hat, legt das Messergebnis der Beklagten keinen Abstandverstoß der Kläger nahe. Jedenfalls war für das Gericht eine amtliche Vermessung des Grenzabstands deshalb nicht geboten, weil die Verstöße selbst dann kein vergleichbares Gewicht erreichen würden, wenn der Vortrag der Beklagten zutreffen würde: Das Haupthaus der Kläger wirft nach Osten eine Abstandfläche, die – den Vortrag der Beklagten insoweit als wahr unterstellt – ca. 30 Zentimeter tief auf dem Grundstück des Beigeladenen liegen würde. Demgegenüber liegt die Abstandfläche der Außenwand des Lagerraums mit einer Tiefe von ca. 3 m – je nach der tatsächlichen Lage der Wand zur Grundstücksgrenze –, auf dem Grundstück der Kläger, also ungefähr zehn Mal so tief.
31Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, 3 VwGO. Dem Beigeladenen konnten keine Kosten auferlegt werden, da er keinen Antrag gestellt und sich somit auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.
(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.
(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.
(4) In Verfahren
- 1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro, - 2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro, - 3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und - 4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.
(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert
- 1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist, - 2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.
(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.