Verwaltungsgericht Greifswald Beschluss, 01. Feb. 2016 - 5 B 1056/15 HGW

bei uns veröffentlicht am01.02.2016

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der Beigeladenen jeweils zur Hälfte.

3. Der Streitwert wird auf 5.000,- € festgesetzt.

Gründe

1

Der Antrag der Antragsteller,

2

die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung vom 17.08.2015 zum Az.: 1723/15 anzuordnen,

3

hat keinen Erfolg.

I.

4

Die Antragsteller sind Eigentümer des sich im unbeplanten Innenbereich von Z. befindlichen Grundstücks G1. Das Grundstück ist mit einem 1 ½ geschossigen Gebäude bebaut, in welchem sich zwei Ferienwohnungen befinden. Diese werden auch von den Antragstellern zweckentsprechend genutzt. Die sich im Erdgeschoss befindliche Terrasse und der sich oberhalb dieser befindliche Balkon sind nach Süden hin ausgerichtet. Das Gebäude ist ca. 8,39 m hoch und hält einen Abstand zwischen 3 m – 6,80 m zur Südgrenze des Grundstücks. Die Beigeladenen wollen das sich südlich vom Grundstück der Antragsteller befindliche Grundstück mit zwei Doppelhäusern bebauen. Das dem Grundstück der Antragsteller nächstgelegene Doppelhaus soll dabei in einem Abstand von wenigstens 3 m zum Grundstück der Antragsteller errichtet werden. Die Gebäude der Antragsteller und Beigeladenen sind jedoch wenigstens 8 m voneinander entfernt. Die den Antragstellern zugewandte Giebelmauer soll eine Firsthöhe von 9,11 m und eine Breite von ca. 9,30 m haben, wobei die Dachneigung 50º betragen soll. Das geplante Gebäude weist zudem eine Wandhöhe von 2,75 m und eine Dachhöhe von 6,38 m auf. Die nördliche Seite des Doppelhauses, welche dem Grundstück der Antragsteller zugewandt ist, soll im Erdgeschoss mit einem aus drei Fenstern bestehenden Erker und im Obergeschoss mit einem Fenster versehen werden. Der gemeindliche Rahmenplan wurde seitens der Gemeindevertreter nicht beschlossen. Die überwiegend ein- bis zweigeschossigen umliegenden Gebäude, welche in einer offenen Bauweise errichtet wurden, dienen vorherrschend dem Wohnen und sonstiger Ferienwohnnutzung. Zudem sind auch Gebäude in Form von Doppelhäusern bereits vorhanden.

5

Am 20.01.2015 erließ der Beklagte einen Bauvorbescheid, gegen welchen die Antragsteller mit Schriftsatz vom 18.02.2015 Widerspruch einlegten. Dieser wurde mittels Widerspruchsbescheid vom 19.06.2015 zurückgewiesen. Eine gegen beide Bescheide gerichtete Klage ist unter dem gerichtlichen Az.: 5 A 651/15 rechtshängig. Am 17.08.2015 wurde den Beigeladenen durch den Antragsgegner eine Baugenehmigung erteilt. Mit Schriftsatz vom 13.10.2015 haben die Antragsteller ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren eingeleitet.

6

Sie tragen vor, dass das Vorhaben der Beigeladenen der im Rahmenplan der Gemeinde Z. zum Ausdruck kommenden Zielsetzung widerspräche, die Sicherung eines durchgrünten Wohn-/Feriengebietes mit hoher Wohnqualität zu erreichen, indem wenigstens 8 m rückwärtiger Gartenfläche für die an der Straße gelegenen Gebäude und insgesamt 12 m Abstände zwischen erster und zweiter Baureihe erhalten werden. Zudem lasse das Vorhaben die gebotene Rücksichtnahme vermissen. Das Vorhabe füge sich nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein, da bodenrechtliche Spannungen begründet bzw. vorhandene Spannungen erhöht werden würden. Eine ausreichende Besonnung, Belüftung und Belichtung bei der Verwirklichung des Vorhabens wäre nicht mehr gegeben. Ebenfalls würde die unangemessene Verminderung der die Eigenart des Gebiets prägenden Freiflächen zu einer nicht unwesentlichen Beeinträchtigung des Ortsbildes und der vorhandenen Ruhelage führen. Darüber hinaus wäre bei der Verwirklichung des Vorhabens ein Leben „Auge in Auge“ in einem Abstand von nur 10 m die Folge. Schließlich sei die Baugenehmigung wegen der unterlassenen Beteiligung der Antragsteller, welche gem. § 70 I LBauO MV hätte erfolgen müssen, rechtswidrig.

7

Die Antragsteller beantragen,

8

die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung vom 17.08.2015 Az.: 1723/15 anzuordnen.

9

Der Antragsgegner beantragt,

10

den Antrag abzulehnen.

11

Zur Begründung trägt er vor, dass sich das Vorhaben der Beigeladenen in die nähere Umgebung nach der Art und dem Maß der baulichen Nutzung sowie der überbaubaren Grundstücksfläche einfüge. In der näheren Umgebung seien Firsthöhen von unter 10 m unproblematisch, da sich solche dort wiederfänden. Auch die Längenausdehnung beider Gebäude von ca. 27 m sei kein Einzelfall. Die vorhandenen Bebauung auf den jeweiligen Grundstücken sei diffus und ließe daher keinerlei Rückschlüsse auf eine etwaige unbebaute zweite oder dritte Baureihe zu. Die nähere Umgebung des Baugrundstücks sei geprägt von einer kompakten Bebauung, sodass die Antragsteller kein schutzwürdiges Vertrauen im Hinblick auf eine weitere unbebaute Fläche hätten fassen können. Zudem seien die Abstandsflächen des § 6 LBauO MV eingehalten, womit ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme in Bezug auf die Besonnung und etwaiger Einsichtsmöglichkeiten nicht gegeben sei.

12

Die Beigeladene beantragt,

13

den Antrag abzulehnen.

14

Sie trägt vor, dass der Antrag bereits unzulässig sei. Den Antragstellern fehle es am Rechtsschutzbedürfnis. Über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit, welche die Antragsteller ausschließlich rügen würden, sei bereits im Bauvorbescheid entschieden worden, so dass das Rechtsschutzziel der Antragsteller, einen Baustopp zu erreichen, mittels eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens in Bezug auf den Bauvorbescheid hätte verfolgt werden müssen. Zudem sei der Antrag auch unbegründet, da im Hauptsacheverfahren keine Aussicht auf Erfolg bestünde. Das Vorhaben der Beigeladenen füge sich in die Eigenart der näheren Umgebung nach den in § 34 BauGB enthaltenen Kriterien ein. Auch das Gebot der Rücksichtnahme sei nicht verletzt. Soweit die Antragsteller eine unzureichende Besonnung, Belichtung und Belüftung bei Verwirklichung des Vorhabens rügten, sei dies unbeachtlich, da die in § 6 LBauO MV festgelegten Abstandsflächen eingehalten würden. Eine Verletzung anderer drittschützender Normen, die einen Verstoß gegen das im Tatbestandsmerkmal des Einfügens gem. § 34 BauGB enthaltene Rücksichtnahmegebot begründen könnten, sei nicht ersichtlich. Auch sei nicht zu erkennen, dass vom Vorhaben der Beigeladenen eine erdrückende Wirkung auf das Grundstück der Antragsteller ausgehe. Der Einwand, dass ein Leben „Auge in Auge“ zu der Rechtswidrigkeit des Bauvorhabens führe, müsse unbeachtlich bleiben, da es keine drittschützende Norm gäbe, die vor der Schaffung neuer Einsichtsmöglichkeiten schütze. Ebenfalls sei der Rahmenplan der Gemeinde Z. für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung nicht maßgeblich.

II.

15

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigung gem. §§ 80a III, I Nr. 2, 80 V 1 Var. 1, II 1 Nr. 3 Var. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. 212a I Baugesetzbuch (BauGB) ist jedenfalls unbegründet. Es ist nicht zu erkennen, dass die Baugenehmigung die Antragsteller in subjektiven Rechten verletzt.

16

Ein Antrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gem. §§ 80a III, I Nr. 2, 80 V 1 Var. 1, II 1 Nr. 3 Var. 1 VwGO ist nur dann begründet, wenn das Aussetzungsinteresse des Antragstellers dem Vollziehungsinteresse des Antragsgegners gegenüber überwiegt. Dabei überwiegt das Aussetzungsinteresse immer dann, wenn nach einer summarischen Prüfung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, in der Hauptsache zu obsiegen. In der Hauptsache wäre die Anfechtungsklage gem. § 42 I Var. 1 VwGO die statthafte Klageart. Eine solche hätte Aussichten auf Erfolg, wenn der angegriffene Verwaltungsakt rechtswidrig ist und den Kläger in seinen subjektiven Rechten verletzt, vgl. § 113 I VwGO. Für die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes ist dabei erforderlich, dass dieser auf einer Ermächtigungsgrundlage beruht und formell sowie materiell rechtmäßig ist.

17

Nach der notwendigen und hinreichenden summarischen Prüfung der Vorträge der Beteiligten und des Inhalts der Verwaltungsakte, kann das Gericht keine überwiegenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache erkennen.

18

Der Erteilung der Baugenehmigung lag eine Ermächtigungsgrundlage zugrunde. Diese ist hier in §§ 59 I, 72 I, 63 I a) Nr. 1 Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern (LBauO MV) zu sehen.

19

Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die gegen die formelle Rechtmäßigkeit der erteilten Baugenehmigung sprechen würden. Soweit die Antragsteller vortragen, dass eine erforderliche Beteiligung seitens des Antragsgegners unterblieben wäre, folgt das Gericht dem nicht. Die Tatbestandsvoraussetzungen des die Beteiligung von Nachbarn regelnden § 70 LBauO MV sind nicht erfüllt. Eine Beteiligung der Eigentümer benachbarter Grundstücke, also von Nachbarn (vgl. § 70 I LBauO MV) ist gem. § 70 I, II LBauO MV nur vor der Erteilung von Abweichungen und Befreiungen vorgesehen. Solchen wurden hier jedoch weder beantragt, noch vom Antragsgegner gewährt, sodass die Voraussetzungen für eine Beteiligung der Antragsteller nicht erfüllt waren.

20

Die Baugenehmigung erscheint auch nicht als materiell rechtswidrig.

21

Nach der Ermächtigungsgrundlage ist im Baugenehmigungsverfahren hinsichtlich eines Wohngebäudes lediglich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach den §§ 29 - 38 BauGB zu prüfen. Das genehmigte Vorhaben der Beigeladenen dient ausschließlich dem Wohnen und ist daher ein Wohnhaus i.S.v. § 63 LBauO MV, vgl. § 2 II 2 LBauO MV. Da es sich im unbeplanten Innenbereich befindet, hat die Prüfung anhand der Tatbestandsmerkmale des § 34 BauGB zu erfolgen. Der Norm entsprechend ist ein Vorhaben innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils immer dann zulässig, wenn es sich nach der Art und dem Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Gem. § 113 I 1 VwGO muss die Rechtswidrigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes zu einer Verletzung subjektiver Rechte führen. Erst dann ist eine Anfechtungsklage begründet. Daher können sich die Antragsteller als Grundstücksnachbarn lediglich auf die Verletzung drittschützender Normen berufen, da nur solche verletzbare subjektive Rechte begründen können.

22

Die Verletzung drittschützender Normen durch die Erteilung der Baugenehmigung ist nach der summarischen Prüfung nicht zu erkennen.

23

Das Drittschutz vermittelnde Tatbestandsmerkmal des Einfügens in § 34 I BauGB, welches im Hinblick auf das einzuhaltende Gebot der Rücksichtnahme zu betrachten ist (Schrödter, BauGB, 8. Aufl., § 34 Rn. 39 & 126), ist vorliegend nicht tangiert. Die Verletzung des Rücksichtnahmegebots hängt dabei insbesondere von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Dabei sind die Schutzwürdigkeit der Nachbarn, die Intensität ihrer Beeinträchtigung und die Interessen des Bauherrn gegeneinander abzuwägen und dahingehend zu bewerten, inwieweit die von dem Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigungen für den Nachbarn billigerweise unzumutbar sind (Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 14. Juli 2015 – 2 Bs 131/15 –, Rn. 13, juris; Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 30. Oktober 2013 – 3 L 183/10 –, Rn. 71, juris; Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 24. Februar 2005 – 3 M 185/04 –, Rn. 37, juris; Schrödter, BauGB, 8. Aufl. § 34 Rn. 45 & 126).

24

Soweit die Kläger vortragen, dass durch das genehmigte Vorhaben der Beigeladenen eine ausreichende Belüftung, Belichtung und Besonnung nicht mehr gewährleistet wäre, kann dies auf Seiten des Gerichts nicht als zutreffend angenommen werden. Eine große Indizwirkung hinsichtlich der Einhaltung des Rücksichtnahmegebots in diesem Punkt hat die Einhaltung der gem. § 6 LBauO MV erforderlichen Abstandsflächen. Die Norm bezweckt die Gewährleistung der o.g. Umstände zusätzlich zum Erhalt eines sozialverträglichen Abstandes (VG Schwerin, Urteil vom 06. Dezember 2012 – 2 A 259/10 –, Rn. 30, juris; VG Greifswald, Urteil vom 26. August 2004 – 1 A 1492/02 –, Rn. 23, juris). Diese ist vorliegend erfüllt. Das genehmigte Vorhaben soll in einem Abstand von wenigstens 3 m zur Grundstücksgrenze der Beigeladenen errichtet werden. Gem. §§ 6 I 1, IV & V 1 LBauO MV sind mindestens 3 m Abstand zur Grundstücksgrenze einzuhalten. Nach der Norm sind von den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Das geplante Gebäude weist eine Dachneigung von 50°, eine Wandhöhe von 2,75 m und eine Dachhöhe von 5,98 m auf, wobei die letzte nur zu einen Drittel zu berücksichtigen ist (vgl. § 6 IV 3 LBauO MV). Daraus ergibt sich eine der Berechnung der Abstandsflächen zugrunde zu legende Wandhöhe von 4,86 m. Diese ist gem. § 6 V 1 LBauO MV mit 0,4 zu multiplizieren, was 1,94 m ergibt. Die Mindestabstandsfläche von 3 m ist demnach einzuhalten. Anhaltspunkte, die auf eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme trotz der Einhaltung der Abstandflächenregelung schließen lassen könnten, sind nicht ersichtlich.

25

Aus denselben Gründen greift auch die Befürchtung der Antragsteller mit den Bewohnern des Nachbargebäudes in Zukunft ein Leben „Auge in Auge“ zu führen nicht durch. Die Erhaltung eines ausreichenden Sozialabstandes ist ebenfalls dem Schutzzweck des § 6 LBauO M-V zuzurechnen. Außerdem nutzen die Antragsteller ihr Gebäude nur zu Ferienzwecken, so dass für die keine durchgehende Beeinträchtigung gegeben wäre.

26

Ebenfalls ist nicht zu befürchten, dass das Rücksichtnahmegebot im Hinblick auf das Einfügen des Vorhabens nach dem Maß der baulichen Nutzung verletzt ist. Dies wäre nur dann der Fall, wenn das geplante Vorhaben eine erdrückende Wirkung für das Grundstück der Antragsteller entfaltet. Eine rücksichtslose erdrückende Wirkung nimmt die Rechtsprechung an, wenn eine bauliche Anlage wegen ihrer Ausmaße, ihrer Baumasse oder ihrer massiven Gestaltung ein benachbartes Grundstück unangemessen benachteiligt, indem es diesem förmlich "die Luft nimmt", wenn für den Nachbarn das Gefühl des "Eingemauertseins" entsteht oder wenn die Größe des "erdrückenden" Gebäudes auf Grund der Besonderheiten des Einzelfalls - und gegebenenfalls trotz Wahrung der erforderlichen Abstandsflächen - derartig übermächtig ist, dass das "erdrückte" Gebäude oder Grundstück nur noch oder überwiegend wie eine von einem "herrschenden" Gebäude dominierte Fläche ohne eigene baurechtliche Charakteristik wahrgenommen wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Mai 1986 – 4 C 34/85 –, Rn. 15, juris; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 02. Juni 2015 – 8 S 1914/14 –, Rn. 64, juris Rn. 64 ; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.08.2005 - 10 A 3138/02 -, juris Rn. 50, Beschlüsse vom 13.01.2006 - 10 B 971/05 -, juris Rn 5, und vom 18.02.2014 - 7 B 1416/13 - juris Rn. 5; Bay. VGH, Beschluss vom 29.07.2014 - 9 CS 14.709 - juris Rn. 19; Erbguth/Schubert, Öffentliches Baurecht, 6. Aufl., § 15 Rn. 47). Allerdings stellt sich die Bebauungssituation im Umfeld des Grundstücks der Antragsteller ausweislich des sich auf Seite 2 der Verwaltungsakte, auf Seite 50 f. der Gerichtsakte und der über GAIA MV einsehbaren Luftbilder, nicht entsprechend dar. Auf den Bildern ist zu erkennen, dass die umliegenden Gebäude alle in offener Bauweise errichtet wurden. Demnach sind diese jedenfalls im Abstand der Mindestabstandsfläche voneinander entfernt. Zu einem Gefühl des Eingemauertseins und damit zu einer erdrückenden Wirkung kann dies nicht führen, da eine ausreichende Fläche vorhanden ist, die eine gewisse Fernsicht ermöglicht. Ebenfalls ist von Bedeutung, dass das Gebäude der Beigeladenen in einem 7,5 m übersteigendem Abstand zum Gebäude der Antragsteller errichtet werden soll. Dies ergibt sich aus der im Maßstab 1:250 gezeichneten Entwurfsplanung auf Seite 16 der Verwaltungsakte. Eine solche Entfernung spricht auch bei den vorliegenden Gegebenheiten gegen eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots (Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 21. Dezember 2010 – 3 M 244/10 –, Rn. 14, juris). Schließlich ist noch der Umstand zu beachten, dass das geplante Gebäude im Verhältnis zum Gebäude der Antragsteller nicht in einem gravierenden Missverhältnis höher und breiter ist und auch deswegen keine erdrückende Wirkung angenommen werden kann. Das Gebäude der Antragsteller weist eine Höhe von ca. 8,39 m und das der Beigeladenen von ca. 9,11 m auf.

27

Unbeachtlich ist der Vortrag der Antragsteller, dass ein Verstoß gegen die im Rahmenplan der Gemeinde Z. benannten Ziele zur Begründetheit des Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz führen könne. Ein gemeindlich nicht beschlossener Rahmenplan entfaltet für die die Baugenehmigung erteilende Behörde keine Bindungswirkung (Schrödter, BauGB, 8. Aufl., § 140 Rn. 22).

28

Darüber hinaus sei noch darauf hingewiesen, dass eine etwaige unangemessene Verminderung der die Eigenart des Gebiets prägender Freiflächen, die zu einer nicht unwesentlichen Beeinträchtigung des Ortsbildes führen kann, soweit dies überhaupt im Rahmen der Gewährung von Drittschutz geltend gemacht werden kann, nicht vorliegt. Auf den o.g. Luftbildaufnahmen sind keine einer Struktur gleichenden oder sonstwie das Baugebiet prägenden Freiflächen ersichtlich. Vielmehr erscheinen die meisten Grundstücke unter Einhaltung der Mindestabstandsflächenregelung bebaut, wodurch eine sehr kompakte Bebauungssituation gegeben ist, und sich die Bebauung des Vorhabengrundstücks als Baulücke geradezu aufdrängt.

29

Zudem ist nicht zu erkennen, dass das Vorhaben städtebauliche Spannungen erzeugt bzw. vorhandene Spannungen verstärkt. Dies kann nur dann angenommen werden, wenn ein Vorhaben den von der Umgebungsbebauung vorgegebenen Rahmen der Bebauung überschreitet (Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014; Dürr/Sauthoff, Baurecht Mecklenburg-Vorpommern, 1. Aufl. 2006; Schrödter, BauGB, 8. Aufl., § 34 Rn. 46). Eine solche Überschreitung ist nicht zu erkennen. Insbesondere trifft dies auf das Maß der baulichen Nutzung und die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll zu. Die Gesamtlänge des Vorhabens von ca. 27 m begründet keine städtebaulichen Spannungen, da sich in der näheren Umgebung Gebäude mit vergleichbaren Maßen wiederfinden. Solche sind z.B. auf den Flurstücken G2, G3 & G4, G5 und G6 vorhanden. Auch ist im Hinblick auf die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, auf Grund der kompakten Bebauung der näheren Umgebung die Gefahr der Begründung städtebaulicher Spannungen nicht zu erkennen.

30

Schließlich bleibt im Rahmen der Interessenabwägung noch zu berücksichtigen, dass die Antragsteller ihr Gebäude nicht als Hauptwohnsitz, sondern als Feriendomizil nutzen. Daraus ergibt sich die nur vorübergehende Einflussnahme des geplanten Vorhabens auf die nachbarlichen Belange der Antragsteller und die damit einhergehende verminderte Schutzwürdigkeit.

31

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 I, 162 III VwGO; da die Beigeladene einen eigenen Antrag gestellt hat, erscheint es billig, ihre außergerichtlichen Kosten den Antragstellern aufzuerlegen.

32

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 II Nr. 2, 52 I Gerichtskostengesetz (GKG.

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(1) Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.

(2) Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der auf Grund des § 9a erlassenen Verordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Absatz 1, im Übrigen ist § 31 Absatz 2 entsprechend anzuwenden.

(3) Von Vorhaben nach Absatz 1 oder 2 dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein.

(3a) Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach Absatz 1 Satz 1 kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Abweichung

1.
einem der nachfolgend genannten Vorhaben dient:
a)
der Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbe- oder Handwerksbetriebs,
b)
der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes oder
c)
der Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage zu Wohnzwecken, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung,
2.
städtebaulich vertretbar ist und
3.
auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Satz 1 findet keine Anwendung auf Einzelhandelsbetriebe, die die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung beeinträchtigen oder schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden haben können. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 Buchstabe b und c kann darüber hinaus vom Erfordernis des Einfügens im Einzelfall im Sinne des Satzes 1 in mehreren vergleichbaren Fällen abgewichen werden, wenn die übrigen Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und die Aufstellung eines Bebauungsplans nicht erforderlich ist.

(4) Die Gemeinde kann durch Satzung

1.
die Grenzen für im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen,
2.
bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, wenn die Flächen im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt sind,
3.
einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind.
Die Satzungen können miteinander verbunden werden.

(5) Voraussetzung für die Aufstellung von Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 ist, dass

1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sind,
2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und
3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
In den Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 können einzelne Festsetzungen nach § 9 Absatz 1 und 3 Satz 1 sowie Absatz 4 getroffen werden. § 9 Absatz 6 und § 31 sind entsprechend anzuwenden. Auf die Satzung nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 3 sind ergänzend § 1a Absatz 2 und 3 und § 9 Absatz 1a entsprechend anzuwenden; ihr ist eine Begründung mit den Angaben entsprechend § 2a Satz 2 Nummer 1 beizufügen.

(6) Bei der Aufstellung der Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 sind die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 sowie Satz 2 entsprechend anzuwenden. Auf die Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 bis 3 ist § 10 Absatz 3 entsprechend anzuwenden.

(1) Für Vorhaben, die die Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung von baulichen Anlagen zum Inhalt haben, und für Aufschüttungen und Abgrabungen größeren Umfangs sowie für Ausschachtungen, Ablagerungen einschließlich Lagerstätten gelten die §§ 30 bis 37.

(2) Die Vorschriften des Bauordnungsrechts und andere öffentlich-rechtliche Vorschriften bleiben unberührt.

(1) Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.

(2) Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der auf Grund des § 9a erlassenen Verordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Absatz 1, im Übrigen ist § 31 Absatz 2 entsprechend anzuwenden.

(3) Von Vorhaben nach Absatz 1 oder 2 dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein.

(3a) Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach Absatz 1 Satz 1 kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Abweichung

1.
einem der nachfolgend genannten Vorhaben dient:
a)
der Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbe- oder Handwerksbetriebs,
b)
der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes oder
c)
der Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage zu Wohnzwecken, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung,
2.
städtebaulich vertretbar ist und
3.
auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Satz 1 findet keine Anwendung auf Einzelhandelsbetriebe, die die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung beeinträchtigen oder schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden haben können. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 Buchstabe b und c kann darüber hinaus vom Erfordernis des Einfügens im Einzelfall im Sinne des Satzes 1 in mehreren vergleichbaren Fällen abgewichen werden, wenn die übrigen Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und die Aufstellung eines Bebauungsplans nicht erforderlich ist.

(4) Die Gemeinde kann durch Satzung

1.
die Grenzen für im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen,
2.
bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, wenn die Flächen im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt sind,
3.
einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind.
Die Satzungen können miteinander verbunden werden.

(5) Voraussetzung für die Aufstellung von Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 ist, dass

1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sind,
2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und
3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
In den Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 können einzelne Festsetzungen nach § 9 Absatz 1 und 3 Satz 1 sowie Absatz 4 getroffen werden. § 9 Absatz 6 und § 31 sind entsprechend anzuwenden. Auf die Satzung nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 3 sind ergänzend § 1a Absatz 2 und 3 und § 9 Absatz 1a entsprechend anzuwenden; ihr ist eine Begründung mit den Angaben entsprechend § 2a Satz 2 Nummer 1 beizufügen.

(6) Bei der Aufstellung der Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 sind die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 sowie Satz 2 entsprechend anzuwenden. Auf die Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 bis 3 ist § 10 Absatz 3 entsprechend anzuwenden.

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 29. Mai 2015 geändert:

Der Antrag der Antragsteller, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 30. September 2014 gegen die beiden Baugenehmigungen vom 17. Juli 2013 jeweils in der Gestalt des Änderungsbescheides Nr. 1 vom 8. bzw. 15. April 2015 anzuordnen, wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen als Gesamtschuldner die Kosten des gesamten Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Gründe

I.

1

Die Antragsteller wenden sich gegen zwei Baugenehmigungen, die die Antragsgegnerin den Beigeladenen für die Errichtung eines Einfamilienhauses jeweils als „Doppelhaushälfte“ mit einem Stellplatz erteilt hat.

2

Die Antragsteller sind Sondereigentümer einer (unechten) Doppelhaushälfte auf dem Flurstück … der Gemarkung E... Die Beigeladenen sind Miteigentümer des Baugrundstücks G. Straße x (Flurstück ….), das im Westen an das Grundstück der Antragsteller, belegen G….. Straße y, grenzt. Das Baugrundstück liegt in einer Hanglage, deren Gefälle in zwei Ebenen verläuft: von Norden nach Süden und von Osten nach Westen. Die westlich gelegenen Gebäude - wie das der Antragsteller - liegen tiefer, die östlich gelegenen Gebäude - wie das Vorhaben der Beigeladenen - liegen höher. Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Baustufenplans Harburg vom 28. Dezember 1954 (Amtl.Anz. 1955 S. 141; zuletzt geändert am 13.9.1960, HmbGVBl. S. 408), der sie mit W 1 o (nur zwei Wohnungen je Haus zulässig) ausweist. Die Antragsgegnerin erteilte den Beigeladenen mit zwei Bescheiden vom 17. Juli 2013 jeweils eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Einfamilienhauses als (unechte) Doppelhaushälfte mit einem Stellplatz. Die beiden Baugenehmigungen schließen die Erteilung einer Befreiung für das Überschreiten der zulässigen bebaubaren Fläche nach Spalte 8 der Baustufentafel zu § 11 Abs. 1 BPVO um 0,01 auf 0,21 ein. Mit Schreiben vom 30. September 2014 erhoben die Antragsteller, die zuvor am Baugenehmigungsverfahren nicht beteiligt worden waren, gegen beide Baugenehmigungen Widerspruch und wandten u.a. ein, dass entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze auf dem Baugrundstück der Beigeladenen infolge von Aufschüttungen eine 3,50 m hohe Stützmauer errichtet werde.

3

Die Antragsteller haben am 28. Oktober 2014 beim Verwaltungsgericht einen Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt. Die Antragsgegnerin hat den Beigeladenen zwei Änderungsbescheide Nr. 1 vom 8. bzw. 15. April 2015 über die Anpassung der Stützmauer erteilt. Danach darf deren Höhe 2 m - gemessen vom gewachsenen Boden aus - nicht überschreiten. Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 29. Mai 2015 die aufschiebende Wirkung der Widersprüche der Antragsteller gegen die beiden Baugenehmigungen jeweils in der Gestalt der Änderungsbescheide Nr. 1 angeordnet. Zur Begründung heißt es dort u.a., der Antrag sei begründet, weil das Vorhaben voraussichtlich gegen die nachbarschützende Vorschrift des § 71 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 5 HBauO verstoße. Bei dem Vorhaben handele es sich um eine einheitliche bauliche Anlage i.S.v. § 6 Abs. 1 HBauO, bestehend aus der Aufschüttung, der sie sichernden Stützmauer und den beiden auf der Aufschüttung zu errichtenden Gebäuden. Diese bauliche Anlage halte die erforderliche Mindestabstandsfläche von 2,50 m nicht ein. Die Betrachtung von Bauvorhaben - bei denen Gebäude auf einer die natürliche Geländeoberfläche verändernden Aufschüttung errichtet würden und wo eine Stützmauer zur Sicherung der Aufschüttung diene - als einheitliche bauliche Anlage entspreche der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 14.11.2013, 3 M 222/13, juris Rn. 10 ff.; OVG Lüneburg, Urt. v. 29.9.1988, BRS 48 Nr. 164; OVG Münster, Beschl. v. 22.5.2005, 7 A 1408/04, juris Rn. 11; v. 22.1.2001, BRS 64 Nr. 126). Bezogen auf das Vorhaben der Beigeladenen folge daraus, dass der Privilegierungstatbestand in § 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 HBauO keine Anwendung finde. Denn die Stützmauer könne als Bestandteil des einheitlichen Gesamtvorhabens nicht isoliert unter einen lediglich sie, nicht jedoch die weiteren Bestandteile erfassenden Privilegierungstatbestand subsumiert werden.

II.

4

Die gemäß §§ 146 Abs. 4, 147 Abs. 1 VwGO zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin hat auch in der Sache Erfolg.

5

1. Das Beschwerdegericht ist berechtigt und verpflichtet, ohne die Beschränkung in § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO über die Beschwerde zu entscheiden, weil die Antragsgegnerin in ihrer Beschwerdebegründung die entscheidungstragende Annahme des Verwaltungsgerichts - die Stützmauer an der gemeinsamen Grundstücksgrenze werde von dem Privilegierungstatbestand des § 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 HBauO nicht erfasst, so dass die Antragsteller in ihrem nachbarschützenden Zustimmungsrecht aus § 71 Abs. 2 Nr. 1 HBauO verletzt würden - mit überprüfungswerten Argumenten erschüttert hat. Die Antragsgegnerin hat danach zutreffend dargelegt, dass es mit Sinn und Zweck des § 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 HBauO nicht vereinbar wäre, eine Stützmauer an der Grundstücksgrenze allein deshalb abstandsflächenrechtlich für unzulässig zu erklären, weil sie mit dem zu errichtenden Gebäude bzw. mit der das Gebäude tragenden Aufschüttung eine baulich-funktionelle Einheit bilde.

6

2. Die danach eröffnete uneingeschränkte Überprüfung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts ergibt, dass der Antrag - die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 30. September 2014 gegen die beiden Baugenehmigungen vom 17. Juli 2013 jeweils in der Gestalt des Änderungsbescheides Nr. 1 vom 8. bzw. 15. April 2015 anzuordnen, nach der gemäß §§ 80a Abs. 1 und 3, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotenen Interessenabwägung unbegründet ist. Denn der Widerspruch der Antragsteller ist mit hoher Wahrscheinlichkeit jedenfalls deshalb aussichtlos, weil sie durch die angefochtene Baugenehmigung nicht in ihren Rechten verletzt werden (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Ob der Widerspruch darüber hinaus bereits unzulässig ist, kann daher offen bleiben (a). Entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts ist nicht von einer Verletzung der Antragsteller in ihrem nachbarschützenden Zustimmungsrecht aus § 71 Abs. 2 Nr. 1 HBauO auszugehen (b). Für eine anders begründete Verletzung subjektiver Rechte der Antragsteller durch die erteilte Baugenehmigung ist nichts ersichtlich. Das Vorhaben der Beigeladenen erweist sich insbesondere nicht als rücksichtslos (c).

7

a) Das Beschwerdegericht lässt offen, ob die Antragsteller ihr Widerspruchsrecht verwirkt haben, weil sie - wie die Beigeladenen behaupten - als die Bauarbeiten vor Ort im September 2013 begonnen haben, von den beiden Baugenehmigungen vom 17. Juli 2013 zuverlässig Kenntnis hätten haben müssen, so dass der von den Antragstellern erst am 2. Oktober 2014 erhobene Widerspruch unter Umständen verspätet sein könnte.

8

Selbst wenn - wie hier - eine amtliche Bekanntgabe der Baugenehmigung an die Nachbarn fehlt, kann nach dem Grundsatz von Treu und Glauben, der sich insoweit aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis ableitet, eine verfahrensrechtliche Verwirkung eintreten, die zur Unzulässigkeit des Widerspruchs führt. Denn ab dem Zeitpunkt, zu dem der Nachbar von der erteilten Baugenehmigung zuverlässig Kenntnis erlangt hat oder hätte haben müssen, hat er sich grundsätzlich so behandeln zu lassen, als sei ihm die Baugenehmigung wirksam bekannt gegeben worden. Ab diesem Zeitpunkt richtet sich die Frist zur Einlegung des Widerspruchs in der Regel nach den Vorschriften der §§ 70 Abs. 2 und 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO (so grundlegend BVerwG, Urt. v. 25.1.1974, BVerwGE 44, 294, 298 ff.; bestätigt im Beschl. v. 28.8.1987, BVerwGE 78, 85, 88; ebenso OVG Hamburg, Beschl. v. 14.1.2013, 2 Bs 261/12, n.v.). Für den Verlust des Widerspruchsrechts nach dem Grundsatz von Treu und Glauben sind danach allerdings die jeweiligen Umstände des Einzelfalles maßgeblich, über die hier mangels weiterer Sachaufklärung nichts bekannt ist, so dass sich die offensichtliche Erfolgslosigkeit des Widerspruchs der Antragsteller nicht bereits mit dessen Unzulässigkeit begründen lässt.

9

b) Die Antragsteller werden ihren Widerspruch - entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts - nicht mit Erfolg auf die Verletzung ihres nachbarschützenden Zustimmungsrechts aus § 71 Abs. 2 Nr. 1 HBauO stützen können.

10

Nach dieser Vorschrift ist die Zustimmung der Eigentümer des angrenzenden Grundstückes erforderlich bei Abweichungen von den Anforderungen an Abstandsflächen, und zwar des § 6 Abs. 5 HBauO, soweit die Mindesttiefe von 2,50 m unterschritten werden soll. Ein derartiger Fall einer Unterschreitung der Mindesttiefe von 2,50 m ohne die erforderliche Zustimmung der Antragsteller als Eigentümer des angrenzenden Grundstückes ist vom Verwaltungsgericht angenommen worden, weil die Stützmauer an der gemeinsamen Grundstücksgrenze liegt und der Privilegierungstatbestand des § 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 HBauO keine Anwendung finden soll, wenn Stützmauer, Aufschüttung und das auf der Aufschüttung ruhende Gebäude eine einheitliche bauliche Anlage bildeten, die insgesamt den Mindestabstand von 2,50 m einzuhalten habe (so auch OVG Greifswald, Beschl. v. 14.11.2013, 3 M 222/13, juris Rn. 10 ff. für die Parallelvorschrift des § 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 LBauO M-V). Dieser Rechtsauffassung vermag sich das Beschwerdegericht nicht anzuschließen.

11

Stützmauern sind gemäß § 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 HBauO in Wohngebieten mit einer Höhe bis zu 2 m - die hier nach den Änderungsbescheiden Nr. 1 vom 8. und 15. April 2015 nicht überschritten werden darf - in den Abstandsflächen eines Gebäudes sowie ohne eigene Abstandsflächen zulässig, auch wenn sie nicht an die Grundstücksgrenze oder an das Gebäude angebaut werden. Eine Stützmauer wird danach durch die Sonderregelung in § 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 HBauO auch dann privilegiert, wenn sie an das Gebäude angebaut wird und dadurch eine baulich-funktionelle Einheit mit dem Gebäude bildet. Wird die Stützmauer - wie hier - an der Grundstücksgrenze errichtet, kann dies für die Privilegierung aber keinen Unterschied machen. Einer Stützmauer ist bereits von ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung her zu eigen, dass sie funktionell der Sicherung des natürlichen Geländes oder einer Aufschüttung dient; andernfalls würde es sich um eine Einfriedigung handeln. Eine Einschränkung, dass Stützmauern nur das natürliche Gelände gegen ein Abrutschen absichern dürfen, nicht dagegen Aufschüttungen, sieht der Hamburgische Gesetzgeber in § 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 HBauO nicht vor (so bereits OVG Hamburg, Beschl. v. 17.11.2011, 2 Bs 177/11, juris Rn. 48). Der Stützmauer unter Hinweis auf diese bauliche Sicherungsfunktion ihre Privilegierung zu versagen, widerspricht dem Willen des Gesetzgebers, der durch die Sonderregelung in § 6 Abs. 7 HBauO abstandsflächenrechtlich gerade eine angemessene erweiterte Grundstücksnutzung ermöglichen will. Von der genehmigten Aufschüttung, die durch die Stützmauer abgesichert wird, gehen auch keine gebäudegleichen Wirkungen i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 2 HBauO aus, die die Stützmauer als abstandsflächenrechtlich dysfunktional erweisen könnten. Hinzu kommt, dass das genehmigte Gebäude selbst die gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 HBauO notwendige Tiefe der Abstandsfläche von 0,4 H einhält, und zwar gegenüber der natürlichen Geländeoberfläche als maßgeblicher Bemessungsgrundlage.

12

c) Die Antragsteller können ihren Widerspruch nicht mit einer Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme, wie es sich hier aus § 31 Abs. 2 BauGB und entsprechend § 15 Abs. 1 BauNVO ergibt, begründen.

13

Das Gebot der Rücksichtnahme beinhaltet nicht, jede Beeinträchtigung eines Nachbarn zu vermeiden. Ein Nachbar kann lediglich solche Nutzungsstörungen abwehren, die als rücksichtslos zu werten sind. Davon kann erst die Rede sein, wenn die mit dem genehmigten Bauvorhaben verbundenen Beeinträchtigungen bei der Nutzung des eigenen Grundstückes bei einer Abwägung, in der die Schutzwürdigkeit der Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung und die Interessen des Bauherrn zu berücksichtigen sind, für den Nachbarn billigerweise unzumutbar erscheinen (siehe BVerwG, Urt. v. 5.8.1983, BVerwGE 67, 334, 339; OVG Hamburg, Urt. v. 17.1.2002, NordÖR 2002, 454, 457).

14

Die Antragsteller halten das Vorhaben der Beigeladenen für unzumutbar, weil von ihm eine abriegelnde bzw. erdrückende Wirkung ausgehe und es zu einer vollständigen Verschattung ihres Grundstücks führe. Bei dieser Betrachtung lassen sie aber unberücksichtigt, dass die zu erwartenden Beeinträchtigungen durch das Vorhaben im Wesentlichen auf den lagebedingten Nachteil ihres Grundstücks als Unterlieger in einer Hanglage beruhen. Dieser Nachteil wurde auch nicht dadurch aufzufangen versucht, dass bei der Bebauung ihres Grundstücks ein größerer Grenzabstand gewählt worden wäre. Die Doppelhaushälfte der Antragsteller liegt vielmehr nur ca. 2,50 m von der gemeinsamen Grundstücksgrenze entfernt. Von daher stand - wie jetzt bei den Beigeladenen - eine optimale wirtschaftliche Ausnutzung des Grundstücks im Vordergrund. Das Nord-Süd-Gefälle des Geländes ist im Übrigen optisch geeignet, einer abriegelnden Wirkung durch die Stützmauer entgegenzuwirken, weil diese die Geländebewegung aufnimmt. Was die Besonnung und Belichtung der Doppelhaushälfte der Antragsteller angeht, ist diese vor allem nach Süden und Nordwesten ausgerichtet und wird sie durch das Vorhaben der Beigeladenen im Osten nicht tangiert.

15

3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2, 162 Abs. 3 VwGO. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts entspricht es der Billigkeit, den Antragstellern als unterlegener Partei auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, obwohl diese keine Sachanträge gestellt haben. Denn eine Billigkeitsentscheidung zugunsten des Beigeladenen setzt keinen Sachantrag i.S.d. § 154 Abs. 3 VwGO voraus (siehe Schmidt in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 162 Rn. 17 m.w.N.). Sie kommt auch ohne einen solchen Antrag in Betracht, wenn der Beigeladene das Verfahren wesentlich gefördert hat (siehe VGH Mannheim, Beschl. v. 20.1.2011, VBlBW 2011, 279 f.; zustimmend Neumann in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 162 Rn. 133). Dies ist hier zu bejahen, weil die Beigeladenen in beiden Instanzen Sachargumente vorgetragen und dadurch an der Rechtsfindung mitgewirkt haben.

16

Die Streitwertfestsetzung bleibt einem gesonderten Beschluss vorbehalten.

Tenor

Auf die Berufung des Beigeladenen wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 06. August 2010 teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:

Die Auflage Nr. 1 der von der Beklagten zu Gunsten des Beigeladenen erteilten Baugenehmigung vom 12. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2009 wird aufgehoben.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht tragen die Klägerin zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen werden nicht erstattet.

Die Kosten des Verfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht werden wie folgt verteilt: Die Gerichtskosten tragen die Beteiligten zu je 1/3. Die Klägerin trägt je 1/3 der außergerichtlichen Kosten der Beklagten und des Beigeladenen.

Die Beklagte und der Beigeladene tragen je 1/3 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Im Übrigen werden die außergerichtlichen Kosten nicht erstattet.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beteiligten können die Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich als Nachbarin gegen eine zu Gunsten des Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für ein Nebengebäude an der Grundstücksgrenze.

2

Ursprünglich hatte die Beklagte dem Beigeladenen 1999 eine Baugenehmigung für ein als "Garage mit Abstellraum" bezeichnetes Vorhaben erteilt, für das die Bauvorlagen eine Grundfläche von 9 m (Länge entlang der Grundstücksgrenze) x 5,50 m und eine Höhe von 2,97 m auswiesen. Mit Urteil vom 18.10.2007 zum Az. 1 A 922/03 hatte das Verwaltungsgericht Greifswald die Baugenehmigung aufgehoben und die Beklagte zum Erlass einer Beseitigungsverfügung verpflichtet. Zur Begründung ist ausgeführt, die Baugenehmigung verstoße gegen die nachbarschützenden Vorschriften des Abstandflächenrechts. Die Baugenehmigung sei hinsichtlich der höhenmäßigen Einordnung des Vorhabens nicht hinreichend bestimmt, weil die zum Gegenstand der Baugenehmigung gemachten Bauvorlagen keine Angaben zu der vor Ausführung des Vorhabens vorhandenen natürlichen Geländeoberfläche enthielten. Soweit Angaben zur Geländeoberfläche vorlägen, halte das auf dieser Grundlage genehmigte Vorhaben nicht die notwendigen Abstandflächen ein, weil das Gebäude mit einer Wandhöhe von 3 m nicht auf der natürlichen Geländeoberfläche, sondern auf einer etwa 20 cm hohen Anschüttung errichtet worden sei. Die Baugenehmigung sei auch hinsichtlich der maßgeblichen Wandhöhe an der Grundstücksgrenze unbestimmt bzw. rechtswidrig, weil die Bauvorlagen lediglich die Höhe der Oberkante der Dachsparren auswiesen, nicht aber den oberen Abschluss der Wand. Mit Schalung und Dachpappen ergebe sich die - im Termin vor Ort auch gemessene - Wandhöhe von etwa 3,05 m. Im übrigen seien die Voraussetzungen einer zulässigen Grenzbebauung auch deshalb nicht erfüllt, weil es sich nicht um ein Gebäude ohne Aufenthaltsräume handele. Insbesondere der als "Abstellraum" bezeichnete größere der beiden geplanten Räume sei als Aufenthaltsraum objektiv geeignet und im übrigen - wie vor Ort festgestellt worden sei - auch tatsächlich entsprechend ausgebaut. Einen zunächst gestellten Antrag auf Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil hatte der Beigeladene zurückgenommen.

3

Am 16.04.2008 beantragte der Beigeladene erneut die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung einer Garage mit Abstellraum an der Grenze zum Grundstück der Klägerin mit Abmessungen von 9 m (Länge entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze) x 5,50 m (Breite) x 2,97 m (Höhe an der Grundstücksgrenze). Die Geländehöhe wurde im Bereich der beiden Gebäudeecken an der Grundstücksgrenze unter Bezugnahme auf den Lageplan des ÖbVI Schröder vom 25.07.2002 mit 14,27 m angegeben, im Bereich der der Grenze abgewandten Gebäudeecken mit 14,13 und 14,19 m. Die geplante Nutzung der Räume ist in den Bauvorlagen mit "Garage 17,77 qm", "Lager- u. Abstellraum 4,42 qm" sowie "Abstellraum und Werkraum (unbeheizt) 18,8 qm" angegeben.

4

Mit Bescheid vom 14.07.2008 lehnte die Beklagte die Erteilung einer Baugenehmigung mit der Begründung ab, das beantragte Gebäude halte zwar die zulässige mittlere Wandhöhe von 3 m und die Gesamtlänge von 9 m ein. Es könne jedoch nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden, dass auch die Errichtung eines Aufenthaltsraumes beabsichtigt sei. Damit könne der Verstoß gegen die nachbarschützende Vorschrift des Abstandflächenrechts (§ 6 Abs. 7 Nr. 1 LBauO M-V) nicht ausgeräumt werden.

5

Nachdem der Beigeladene gegen die Ablehnung Widerspruch eingelegt und bestimmte bauliche Veränderungen - insbesondere eine Verkleinerung der Fenster - angeboten hatte, um sicher zu stellen, dass das Gebäude nicht zu Aufenthaltszwecken genutzt wird, und am 01.12.2008 zu diesen Fragen ein Termin vor Ort mit Vertretern der Beklagten und des Beigeladenen stattgefunden hatte, erteilte die Beklagte mit Bescheid vom 12.12.2008 die beantragte Baugenehmigung und nahm mit gesondertem Bescheid vom 16.12.2008 den Ablehnungsbescheid zurück.

6

In dem Baugenehmigungsbescheid vom 12.12.2008 heißt es:

7

"Auf Ihren Antrag vom 16.04.2008 erteile ich Ihnen, unbeschadet privater Rechte Dritter, die Genehmigung, das vorgenannte Vorhaben, die Errichtung einer Garage mit Abstellraum, entsprechend den beigefügten und als zugehörig gekennzeichneten Bauvorlagen auszuführen.

8

Die Prüfung der Bauvorlagen erfolgte im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach § 63 Abs. 1 LBauO M-V. Der Prüfumfang beschränkt sich hierbei auf den in der Vorschrift genannten Rahmen.

9

Die nachstehend oder in den Anlagen enthaltenen Bedingungen (B) und Auflagen (A) sowie die grünen Eintragungen sind Bestandteile dieser Genehmigung. Die Hinweise (H) sind bei der Ausführung zu beachten:

10

1. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens und der während der durchgeführten Besichtigung vom 01.12.08 getroffenen Festlegungen sind nachfolgende Maßnahmen bis zum 31.05.09 zu realisieren und der Vollzug der Bauaufsichtsbehörde schriftlich anzuzeigen:

11

- Zumauern des kleineren Fensters in der Garage

12

- Verkleinerung der 3 verbleibenden Fenster (davon 1 Fenster in der Garage und 2 Fenster im Abstell- und Werkraum) auf das Maß von 800 x 1000 mm

13

- Entfernen der Fliesen im Werk-, Abstellraum gemäß Schreiben des Bauherrn vom 05.07.2008

14

- Rückbau der Dachwandanschlußhöhe an der Grundstücksgrenze als Nachweis der Einhaltung der mittleren Wandhöhe von 3 m für grenzständige Nebengebäude gemäß § 6 (7) LBauO. (A) ..."

15

Der Rücknahmebescheid und die Baugenehmigung, die keine Rechtsbehelfsbelehrung enthält, wurden dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 16.12.2008 übersandt. Darin heißt es:

16

"Durch die Änderung der Bauvorlagen und die Beauflagungen in der Baugenehmigung sind die Räume der Garage mit Abstellraum objektiv nicht mehr als Aufenthaltsräume geeignet. Nach dem Vollzug der Baugenehmigung werden die öffentlich-rechtlichen Vorschriften eingehalten und keine nachbarrechtlichen Belange mehr beeinträchtigt."

17

Die Klägerin legte am 22.01.2009 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.03.2009, zugestellt am 20.03.2009, zurückwies. In der Begründung heißt es, das beantragte Nebengebäude sei im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfen. Weiter ist ausgeführt:

18

"... Zum Prüfumfang gehören nicht die Vorschriften des Abstandsflächenrechts. Da durch das vorhergehende Verwaltungsstreitverfahren aber festgestellt wurde, dass das vorhandene Gebäude gegen nachbarschützende Vorschriften des Abstandsflächenrechts nach § 6 LBauO M-V verstößt, ist eine Legitimierung des Gebäudes durch Um/Rückbau nur möglich, wenn dadurch die nachbarschützenden Abstandsflächenvorschriften eingehalten werden."

19

Im Rahmen des Vor-Ort-Termins am 01.12.2008 hätten die Vertreter der Beklagten sich davon überzeugen können, dass das Gebäude als Garage und zu Abstellzwecken genutzt werde. Durch erfolgte bauliche Änderungen sowie die in der Baugenehmigung erteilten Auflagen sei sicher gestellt, dass die Räume objektiv nicht mehr für Aufenthaltszwecke geeignet seien. Das Gebäude verstoße danach nicht mehr gegen die nachbarschützenden Vorschriften des Abstandsflächenrechts. Ihm stünden keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegen; ein Grund die Beseitigung zu verfügen, sei nicht mehr erkennbar.

20

Die Klägerin hat am 24.03.2009 Klage erhoben und geltend gemacht: Das Gebäude sei nach wie vor unzulässig, weil es grenzständig mit einer Wandhöhe von ca. 3,05 m errichtet worden sei. Daran habe sich nichts geändert. Auch die in dem Urteil des Verwaltungsgerichts vom 18.10.2007 zum Az. 1 A 922/03 beanstandeten Mängel bei der Einmessung des Gebäudes lägen weiterhin vor. Das ursprüngliche Gebäude sei ferner als Ferienwohnung ausgebaut worden, wie sich an den verwendeten Materialien, Anzahl und Dimension der Fenster, Elektro- und Sanitärinstallation gezeigt habe. Dies bleibe auch auf der Grundlage der neuen Baugenehmigung unverändert. Die Um- und Rückbaumaßnahmen änderten nicht den Charakter des Gebäudes. Dieses könne nach wie vor ohne großen Aufwand zu Wohnzwecken genutzt werden. Die Absicht, den Nutzungszweck zu ändern, sei nicht glaubhaft. Die Baugenehmigung sei daher rechtswidrig.

21

Die Klägerin hat beantragt,

22

die Baugenehmigung der Beklagten vom 12.12.2008 und ihren Widerspruchsbescheid vom 12.03.2009 aufzuheben.

23

Die Beklagte hat beantragt,

24

die Klage abzuweisen.

25

Sie hat vorgetragen: Die Beschaffenheit des Gebäudes mache derzeit eine Wohnnutzung nicht mehr in annehmbarer Form möglich, insbesondere nachdem die Fensteröffnungen verkleinert und in der Zahl verringert worden seien.

26

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

27

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 06.08.2010 die Baugenehmigung vom 12.12.2008 und den Widerspruchsbescheid vom 12.03.2009 aufgehoben und zur Begründung ausgeführt: Das Vorhaben sei im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfen, in dem das Abstandflächenrecht nicht zum Prüfprogramm gehöre. Davon sei die Beklagte jedoch abgewichen, indem sie die Baugenehmigung mit Nebenbestimmungen versehen habe, die die Einhaltung des Abstandflächenrechts gewährleisten sollten, und indem sie im Widerspruchsbescheid ausdrücklich davon ausgegangen sei, dass die "Legitimierung des Gebäudes", also die Erteilung der Baugenehmigung, nur möglich sei, wenn die Abstandflächen eingehalten würden. Allerdings werde auch durch eine ausdrückliche Prüfung nicht zum gesetzlichen Prüfprogramm gehörender Vorschriften keine Regelung im Hinblick auf die Vereinbarkeit des Vorhabens mit diesen Vorschriften getroffen. Eine entsprechende Baugenehmigung erwecke aber den Anschein, dass die Vereinbarkeit des Vorhabens mit bestimmten Vorschriften über das gesetzliche Prüfprogramm hinaus verbindlich festgestellt werde. Wegen dieses Rechtsscheins könne die Baugenehmigung, so weit es um nachbarschützende Vorschriften wie hier das Abstandflächenrecht gehe, erfolgreich angefochten werden. Das genehmigte Vorhaben verstoße gegen das Abstandflächenrecht. Die Baugenehmigung sei insoweit unbestimmt, weil die maßgeblichen Bauvorlagen, insbesondere der Schnitt, der die Wandhöhe angebe, nicht mit einem Zugehörigkeitsvermerk zur Baugenehmigung versehen sei. Unabhängig davon liege eine Verletzung des materiellen Abstandflächenrechts vor, weil die Bauvorlagen eine durch Aufschüttung um 15 bis 20 cm veränderte Geländeoberfläche zu Grunde legten, die Wandhöhe aber von der natürlichen Geländeoberfläche aus zu bestimmen sei. Die Wandhöhe betrage danach tatsächlich zwischen 3,15 und 3,20 m.

28

Der Beigeladene hat gegen das am 14.08.2010 zugestellte Urteil am 10.09.2010 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt und diese nach Gewährung einer entsprechenden Fristverlängerung am 11.11.2010 begründet.

29

Er trägt vor: Ein Rechtsschein, der über das gesetzliche Prüfprogramm hinausreiche, könne von einer Baugenehmigung nicht ausgehen. Dass die Höhenlage nicht ausreichend bestimmt sei, treffe nicht zu. Die Höhe der Garagenwand sei vor Erteilung der Baugenehmigung durch die Beklagte überprüft worden; dies sei ausreichend. Die Feststellungen des Verwaltungsgerichts zur Wandhöhe könnten nicht zutreffen. In dem Verfahren VG Greifswald Az. 1 A 922/03 sei die Wandhöhe im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor Ort am 18.10.2007 mit 3,05 m gemessen worden. Er - der Beigeladene - habe entsprechend den Auflagen das Dach aufgenommen und die Wand um 10 cm zurück gebaut, so dass die vorgeschriebene Höhe von 3,00 m hergestellt worden sei. Davon habe sich die Beklagte während des Ortstermins zur Überprüfung der Durchführung der erteilten Auflagen überzeugt. Er sei beim Rückbau des Daches und der Abtragung der Wandhöhe von der vorgefundenen Geländeoberfläche an der Grundstücksgrenze ausgegangen. Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme liege nicht vor. Belange der Klägerin würden nicht unzumutbar beeinträchtigt. Ein störender Schattenwurf könne nicht eintreten, weil das Vorhaben nördlich des Hauses der Klägerin liege. Durch eine geringe Höhenüberschreitung von nur 15 oder 20 cm würden weder die Sichtverhältnisse der Klägerin unzumutbar beeinträchtigt noch liege eine erhebliche ästhetische Beeinträchtigung vor. Auch wenn die Garage entfernt werden müsste, würde er – der Beigeladene - auf jeden Fall eine Mauer bis zu 2 m Höhe als Grundstückseingrenzung für erforderlich halten. Im übrigen habe bis 1999 auf der fraglichen Fläche in Höhe des Wohnhauses der Klägerin ein Stallgebäude gestanden. Durch dessen Abriss und die Errichtung der Garage hätten sich die Sicht- und Lichtverhältnisse für die Klägerin erheblich verbessert. Auch das OVG Greifswald habe in einer Entscheidung vom 06.01.2010 zum Az. 3 M 231/09 in einer Überschreitung der in der näheren Umgebung vorhandenen Geschosszahl keine unzumutbare Beeinträchtigung der Nachbarschaft gesehen und die Auffassung vertreten, dass bei einer geringfügigen Abweichung von den erforderlichen Abstandflächen ein vorläufiger Baustopp nicht in Betracht komme.

30

Der Beigeladene beantragt,

31

das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 06.08.2010 zu ändern und die Klage abzuweisen.

32

Die Klägerin beantragt,

33

die Berufung zurückzuweisen.

34

Sie trägt vor: Auf eine wertende Betrachtung, ob die mit der Verletzung der Abstandflächen verbundenen Beeinträchtigungen für den Nachbarn zumutbar seien oder nicht, komme es nicht an. Rechtmäßigkeitskriterium sei lediglich die Einhaltung eines bestimmten Maßes. Im übrigen könne auch deshalb nicht von einer nur ganz geringfügigen Überschreitung ausgegangen werden, weil wegen der Unbestimmtheit der Höhenlagen überhaupt nicht festgestellt werden könne, um welches Maß die Wandhöhe überschritten worden sei. Auf früher vorhandene Baulichkeiten komme es nicht an, da mit deren Entfernung der Bestandsschutz entfallen sei.

35

Die Beklagte stellt keinen Antrag.

36

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie der beigezogenen Gerichtsakte VG Greifswald Az. 1 A 922/03 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

37

Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere fristgerecht begründet worden, nachdem die Begründungsfrist von zwei Monaten nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils, die am 14.10.2010 abgelaufen wäre, auf den am 06.10.2010 und damit rechtzeitig vor Fristablauf gestellten Antrag des Beigeladenen bis zum 11.11.2010 verlängert worden war, § 124a Abs. 3 Sätze 1 und 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

38

Die Berufung ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet; im übrigen ist sie unbegründet.

39

I. Hinsichtlich der Auflage Nr. 1 zur Baugenehmigung und der darin sinngemäß enthaltenen Feststellung der abstandflächenrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens hat das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht der von der Klägerin erhobenen Nachbarklage stattgegeben und den angefochtenen Bescheid aufgehoben.

40

Die Klage ist zulässig. Insbesondere kann die Klägerin geltend machen, durch den angefochtenen Bescheid in eigenen Rechten verletzt zu sein, § 42 Abs. 2 VwGO. Dafür genügt es, dass die behauptete Rechtsverletzung möglich erscheint. Dies ist bereits dann anzunehmen, wenn die Verletzung eigener subjektiver Rechte eines Klägers nicht offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen ist (stRspr des BVerwG, vgl. U. v. 10.07.2001 - 1 C 35.00 - BVerwGE 114, 356 = Juris Rn. 15; U. v. 27.02.1996 - 1 C 41.93 - BVerwGE 100, 287, 299; U. v. 29.06.1995 - 2 C 32.94 - BVerwGE 99, 64, 66 mwN). Dies ist hier der Fall. Im Hinblick auf die in dem Baugenehmigungsbescheid vom 12.12.2008 enthaltene Auflage, mit der offenbar die Einhaltung der abstandflächenrechtlichen Vorschriften, insbesondere der Voraussetzungen des § 6 Abs. 7 LBauO M-V gewährleistet werden soll, kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass der Bescheid eine Regelung über die abstandflächenrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens auch mit Wirkung gegenüber der Klägerin enthält. Da die abstandflächenrechtlichen Vorschriften nachbarschützend sind, kann die Klägerin geltend machen, durch deren Anwendung in eigenen Rechten verletzt zu sein. Die Frage der Auslegung des Bescheides in dieser Hinsicht kann nicht bereits im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit abschließend behandelt werden ohne die prozessualen Anforderungen an eine nur mögliche Rechtsverletzung zu überspannen; sie bleibt deshalb der Begründetheitsprüfung vorbehalten.

41

Die Klage ist hinsichtlich der Auflage Nr. 1 zur Baugenehmigung und der darin sinngemäß enthaltenen Feststellung der abstandflächenrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens auch begründet. Insoweit sind der Bescheid der Beklagten vom 12.12.2008 und deren Widerspruchsbescheid vom 12.03.2009 rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

42

1. Der Baugenehmigungsbescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides ist dahin gehend auszulegen, dass die Beklagte neben der Erteilung einer Baugenehmigung im vereinfachten Verfahren nach § 63 LBauO M-V sinngemäß die selbständige Feststellung getroffen hat, dass das Vorhaben des Beigeladenen nach § 6 LBauO M-V zulässig ist.

43

Gegenstand dieser Feststellung ist das geplante Vorhaben, das auch Gegenstand der Baugenehmigung ist, nicht ein tatsächlich vorhandener Bestand. Auf den Vortrag des Beigeladenen, er habe entsprechend den Auflagen das Dach aufgenommen und die Wand um 10 cm zurück gebaut, so dass die vorgeschriebene Höhe von 3,00 m hergestellt worden sei, kommt es daher nicht an.

44

a) Die Prüfung des Abstandflächenrechts ist nicht im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens erfolgt.

45

Das Vorhaben unterfällt gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c LBauO M-V dem vereinfachten Baugenehmigungsverfahren, in dem die Übereinstimmung des Vorhabens mit den bauordnungsrechtlichen Vorschriften der Landesbauordnung einschließlich des Abstandflächenrechts nicht geprüft werden. Zur Erweiterung des in § 63 Abs. 1 LBauO M-V gesetzlich vorgegebenen Prüfprogramms und damit der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen für die zu erteilende Baugenehmigung (§ 72 Abs. 1 LBauO M-V) ist die Bauaufsichtsbehörde nicht befugt. Die Feststellungswirkung der Baugenehmigung bezieht sich nur auf die Einhaltung der Vorschriften, die zum Prüfprogramm gehören (vgl. OVG Koblenz, U. v. 22.10.2008 - 8 A 10942/08 - BRS 73 Nr. 147 = Juris Rn. 24; Wolf in: Simon/Busse BayBO Art. 59 Rn. 106; Hornmann HessBO 2. Aufl. 2011 § 58 Rn. 17; Sauthoff BauR 2013, 415, 416). Die im vereinfachten Genehmigungsverfahren ergehende Baugenehmigung stellt keine (tendenziell) umfassende, sondern nur eine "beschränkte öffentlich-rechtliche Unbedenklichkeitsbescheinigung" dar (Jäde in: Jäde u.a. BayBO Anm. 1 zu Art. 73 BayBO). Dass die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung und die Rechtmäßigkeit des Bauvorhabens auseinanderfallen können, ist die Konsequenz der Einführung des vereinfachten Genehmigungsverfahrens (OVG Koblenz aaO). Dabei bleibt es grundsätzlich auch dann bei dem gesetzlich beschränkten Prüfprogramm und der entsprechend beschränkten Feststellungswirkung der Baugenehmigung, wenn sich aus den Verwaltungsvorgängen ergibt, dass die Baubehörde sich mit Vorschriften außerhalb des Prüfungsprogramms befasst hat (VGH München B. v. 08.02.2010 - 2 AS 09.2907 - Juris Rn. 24; B. v. 27.10.1999 - 2 CS 99.2387 - BRS 62 Nr. 166 = Juris Rn. 16).

46

Den beschränkten Prüfungsumfang im vereinfachten Genehmigungsverfahren hat die Beklagte auch nicht verkannt. Dies ergibt sich aus dem Hinweis im Ausgangsbescheid: "Die Prüfung der Bauvorlagen erfolgte im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach § 63 Abs. 1 LBauO M-V. Der Prüfumfang beschränkt sich hierbei auf den in der Vorschrift genannten Rahmen." Ebenso heißt es im Widerspruchsbescheid ausdrücklich: "Zum Prüfumfang gehören nicht die Vorschriften des Abstandflächenrechts." Insoweit unterscheiden sich die hier streitigen Entscheidungen von dem vorangegangenen Ablehnungsbescheid vom 14.07.2008, in dem der Prüfungsumfang nicht erörtert worden war; dort war lediglich § 72 LBauO M-V als Rechtsgrundlage für die Erteilung einer Baugenehmigung genannt, ein Verstoß gegen § 6 Abs. 7 Nr. 1 LBauO M-V als nachbarschützende Vorschrift des Abstandflächenrechts festgestellt und anschließend formuliert worden: "Eine Baugenehmigung kann nicht erteilt werden, da das Vorhaben gegen o.g. öffentlich-rechtliche Vorschrift verstößt."

47

b) Die Beklagte hat jedoch im hier vorliegenden konkreten Einzelfall zusätzlich zur Durchführung des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens die Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem Abstandflächenrecht geprüft und hierzu eine selbständige - positive - Feststellung getroffen.

48

Die Beklagte hat nicht nur in der Begründung des Bescheides Ausführungen zum Abstandflächenrecht gemacht, sondern mit den Auflagen unter Ziff. 1 in dem Bescheid Regelungen hierzu ausdrücklich tenoriert. Dabei handelt es sich zwar zunächst nur um bauordnungsrechtliche Anordnungen, die an den Beigeladenen gerichtet sind und nur diesen belasten. Nach Auffassung des Senats erschöpft sich die Bedeutung der Auflagen darin jedoch nicht. Vor dem Hintergrund des vorangegangenen Verfahrens, in dem die Einhaltung der Abstandsflächen durch das Vorhaben des Beigeladenen den maßgeblichen Streitpunkt bildete, wollte die Beklagte nicht nur einen Teilaspekt der Abstandsflächenproblematik allein mit belastender Wirkung gegenüber dem Beigeladenen regeln. Auf die Frage, ob eine solche Regelung gestützt auf § 58 Abs. 1 S. 2 LBauO M-V rechtmäßig sein könnte, kommt es daher vorliegend nicht an. Der Beklagten ging es vielmehr darum, die Frage der Einhaltung des Abstandflächenrechts durch das geänderte Vorhaben des Beigeladenen mit Wirkung für und gegen den Beigeladenen und für und gegen die Klägerin abschließend zu regeln.

49

Hierfür spricht zunächst die Struktur der Entscheidung. Dass die Beklagte in den Baugenehmigungsbescheid, d.h. unter die Überschrift „Baugenehmigung“ auch Aussagen zu der über das Prüfprogramm des Baugenehmigungsverfahrens hinausgehenden Frage der Abstandflächen aufgenommen hat, legt nahe, dass sie die für die Baugenehmigung typische Feststellungswirkung auch für diese - im Baugenehmigungsverfahren an sich nicht zu prüfenden - Frage erreichen wollte. Für das Vorliegen einer abschließenden Regelung zum Abstandflächenrecht auch mit Wirkung zu Gunsten des Beigeladenen und zu Lasten der Klägerin spricht ferner die Formulierung des Widerspruchsbescheides, der den ursprünglichen Verwaltungsakt abschließend gestaltet (vgl. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Nach dessen Begründung war "eine Legitimierung des Gebäudes" gerade im Hinblick auf das nachbarschützende Abstandflächenrecht beabsichtigt. Entsprechendes gilt schließlich im Hinblick auf die Übersendung des Baugenehmigungsbescheides an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin, verbunden mit den Aussagen, auf Grund der Änderung der Bauvorlagen und der Beauflagungen in der Baugenehmigung seien die Räume der Garage mit Abstellraum objektiv nicht mehr als Aufenthaltsräume geeignet, und nach dem Vollzug der Baugenehmigung würden die öffentlich-rechtlichen Vorschriften eingehalten und keine nachbarrechtlichen Belange mehr beeinträchtigt,

50

Dem Baugenehmigungsbescheid ist deshalb über die ausdrücklich tenorierten Regelungen hinaus sinngemäß die Feststellung zu entnehmen, dass das Vorhaben des Beigeladenen so wie es zur Genehmigung gestellt ist und bei Einhaltung der verfügten Auflagen dem Abstandflächenrecht entspricht. Die Auflagen sind dann als Nebenbestimmungen zu dieser selbständigen Feststellung zu verstehen, die das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen der Feststellung sicher stellen sollen (vgl. § 36 Abs. 1, 2. Alt. VwVfG M-V).

51

2. Die Feststellung der Vereinbarkeit des Vorhabens mit den Vorschriften des Abstandflächenrechts ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

52

a) Für die getroffene Feststellung fehlt es an einer Rechtsgrundlage.

53

Allerdings hat das OVG Koblenz (U. v. 22.11.2011 - 8 A 10636/11 - NVwZ-RR 2012, 304 = Juris Rn. 23) angenommen, es bleibe der Bauaufsichtsbehörde neben der Erteilung einer Baugenehmigung im vereinfachten Verfahren unbenommen, zur Klärung der Rechtslage die aus ihrer Sicht gegebene bauordnungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens festzustellen. Für eine solche Verfahrensweise bestehe insbesondere dann Anlass, wenn bereits im vereinfachten Genehmigungsverfahren Einwendungen des Nachbarn hinsichtlich der bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens vorlägen und die Behörde deshalb ohnehin gehalten sei, sich mit einem Begehren auf bauaufsichtsbehördliches Einschreiten zu befassen.

54

Dieser Auffassung folgt der Senat jedoch für das Landesrecht Mecklenburg-Vorpommern jedenfalls in der hier vorliegenden Konstellation nicht. Rechtsgrundlage für eine Feststellung der Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem Abstandflächenrecht könnte hier nur § 58 Abs. 1 Satz 2 oder § 80 Abs. 1 LBauO M-V sein. Anlass für eine Entscheidung der Beklagten nach § 80 Abs. 1 LBauO M-V bestand vorliegend im Hinblick auf das rechtskräftige Verpflichtungsurteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 18.10.2007 zum Az. 1 A 922/03. Aus dieser Rechtsgrundlage ergibt sich jedoch nicht auch die Ermächtigung der Bauaufsichtsbehörde, das Nichtvorliegen bestimmter Voraussetzungen für ein Einschreiten gesondert festzustellen. Damit würde dem Nachbarn die Anfechtungslast auferlegt. Er würde die Möglichkeit verlieren, die Verletzung nachbarschützender Vorschriften geltend zu machen, wenn der Verwaltungsakt ihm gegenüber bestandskräftig würde (vgl. Sauthoff BauR 2013, 415, 421 f.). Die behördliche Entscheidung hätte damit insoweit die gleiche Wirkung wie die Erteilung einer Baugenehmigung, der nach dem Willen des Gesetzgebers eine entsprechende Feststellungswirkung auch für das materielle Bauordnungsrecht aber gerade nicht zukommen soll. Diese Entscheidung des Gesetzgebers darf bei der Auslegung der Ermächtigungsgrundlagen für ein bauaufsichtliches Einschreiten nicht überspielt werden.

55

b) Die getroffene Feststellung ist ferner im konkreten Fall rechtswidrig.

56

aa) Allerdings steht ihr nicht die Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 18.10.2007 - 1 A 922/03 - entgegen. Diese erfasst nicht auch das hier zur Beurteilung stehende Vorhaben.

57

Die Rechtskraft endet, wenn sich die zur Zeit des Urteils maßgebliche Sach- oder Rechtslage nachträglich verändert, und diese Änderung entscheidungserheblich ist. Dabei hängt die Erheblichkeit der Änderung nicht davon ab, ob die Behörde oder das Gericht auf der Grundlage des neuen Sachverhalts zu einem anderen Ergebnis kommt als das rechtskräftige Urteil. Es reicht aus, dass die Änderung so wesentlich ist, dass auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Rechtskraft eines Urteils eine erneute Sachentscheidung gerechtfertigt ist. Eine von der Rechtskraftbindung des früheren Urteils befreiende entscheidungserhebliche Änderung der Sachlage liegt danach vor, wenn es für die geltend gemachte Rechtsfolge um die rechtliche Bewertung eines jedenfalls in wesentlichen Punkten neuen Sachverhalts geht, zu dem das rechtskräftige Urteil - auch unter Berücksichtigung seiner Rechtsfrieden und Rechtssicherheit stiftenden Funktion - keine verbindlichen Aussagen mehr enthält (vgl. BVerwG U. v. 18.09.2001 - 1 C 7.01 - BVerwGE 115, 118 = Juris Rn. 10 ff.).

58

Maßgeblich ist danach, ob das Bauvorhaben, das nunmehr verwirklicht werden soll, mit dem früheren im wesentlichen identisch ist, oder ob es in wesentlicher Beziehung hiervon abweicht. Das nunmehrige Vorhaben unterscheidet sich von dem früher zur Genehmigung gestellten - soweit es für die Anwendung der Vorschriften des Abstandflächenrechts möglicherweise von Bedeutung ist – insofern, als von dem früheren "Abstellraum" mit 23,67 qm nunmehr ein 4,42 qm großer (fensterloser) "Lager- und Abstellraum" abgetrennt werden soll und die Nutzung im übrigen mit "Abstellraum und Werkraum" bezeichnet ist; ferner hinsichtlich der Größe der Fenster in dem "Abstell- und Werkraum" (80 x 100 cm statt 91,5 x 126 cm) und hinsichtlich der Stärke der Zwischenwand zur Garage (26 cm statt 11,5 cm). Zusätzlich hat die Beklagte den Beigeladenen beauflagt, in dem Werk- und Abstellraum die (Boden-)Fliesen zu entfernen; ein entsprechender Grünvermerk findet sich auch in den Bauvorlagen. Im nördlichen Garagenteil, der ursprünglich fensterlos geplant war, ist nunmehr ebenfalls ein Fenster mit einer Größe von 80 x 100 cm vorgesehen.

59

Danach unterscheidet sich das nunmehrige Vorhaben immerhin in einem der seinerzeit vom Verwaltungsgericht bei der abstandflächenrechtlichen Bewertung für maßgeblich gehaltenen Punkte von dem ursprünglichen, nämlich insoweit als die Fenster in dem früheren Abstellraum von etwa 10 % auf etwa 8,5 % der Netto-Grundfläche verkleinert worden sind (für Aufenthaltsräume vorgeschrieben sind 12,5 %, § 47 Abs. 2 LBauO M-V). Dies reicht aus, um eine Neubewertung zu rechtfertigen.

60

bb) Die Feststellung der Vereinbarkeit des Vorhabens mit den Vorschriften des Abstandflächenrechts ist jedoch rechtswidrig, weil sie materiell-rechtlich falsch ist. Das Vorhaben steht mit § 6 LBauO M-V nicht in Einklang.

61

Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 LBauO M-V sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Diese müssen auf dem Grundstück selbst liegen, § 6 Abs. 2 Satz 1 LBauO M-V. Die Tiefe der Abstandfläche beträgt 0,4 H, mindestens aber 3 m, wobei das Maß H der Wandhöhe von der Geländeoberfläche bis zum Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut oder bis zum oberen Abschluss der Wand entspricht (§ 6 Abs. 4 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 LBauO M-V). Gemäß § 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 LBauO M-V sind in den Abstandflächen eines Gebäudes sowie ohne eigene Abstandflächen Garagen und Gebäude ohne Aufenthaltsräume und ohne Feuerstätten mit einer mittleren Wandhöhe bis zu 3 m und einer Gesamtlänge je Grundstücksgrenze von 9 m zulässig. Diese Voraussetzungen werden von dem grenzständigen Vorhaben des Beigeladenen jedoch nicht eingehalten.

62

Das Vorhaben des Beigeladenen überschreitet die gemäß § 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 LBauO M-V zulässige Wandhöhe von 3 m. Diese wird von der Geländeoberfläche bis zum Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut oder bis zum oberen Abschluss der Wand gemessen, § 6 Abs. 4 Satz 1, 2. Hs. LBauO M-V. Ausgangspunkt der Messung ist dabei die natürliche Geländeoberfläche. Die Bauvorlagen für das hier zu beurteilende Bauvorhaben stellen jedoch mit der Höhenangabe von 14,27 m für die Grenze zum Grundstück der Klägerin eine bereits veränderte Geländeoberfläche dar. Der entsprechende Lageplan datiert vom 25.07.2002; zu diesem Zeitpunkt war das Gebäude bereits errichtet. Der Kläger hat am 10.02.2005 in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Greifswald in dem Verfahren 1 A 922/03 angegeben, nach Abschluss der Bauarbeiten die Geländeoberfläche angeglichen zu haben, die ursprünglich in Richtung auf das Grundstück der Klägerin leicht abschüssig gewesen sei, wobei er die Höhendifferenz zwischen der Eingangsseite des Gebäudes und der Grundstücksgrenze auf etwa 15 bis 20 cm schätze. Die Vermessung sei erst nach der Angleichung des Geländes erfolgt. Die Höhe der nach diesem Vorbringen unverändert gebliebenen Geländeoberfläche auf der der gemeinsamen Grundstücksgrenze abgewandten Seite des Nebengebäudes ist in dem Lageplan mit 14,13 m bzw. 14,19 m angegeben. Liegt die natürliche Geländeoberfläche im Bereich der gemeinsamen Grundstücksgrenze nach den Angaben des Klägers etwa 15 bis 20 cm tiefer, so ist insoweit von einer Höhe von etwa 14,00 m auszugehen. Die maßgebliche Wandhöhe des Vorhabens an der Grundstücksgrenze beträgt dann etwa 3,24 m.

63

Daran ändert auch der Unterpunkt 4 der Auflage Nr. 1 zur Baugenehmigung nichts, mit dem dem Beigeladenen der "Rückbau der Dachwandanschlußhöhe an der Grundstücksgrenze als Nachweis der Einhaltung der mittleren Wandhöhe von 3 m für grenzständige Nebengebäude gemäß § 6 (7) LBauO" aufgegeben wird. Diese Regelung steht in Widerspruch zu den genehmigten Bauvorlagen; zudem ist sie unbestimmt und deshalb nicht vollziehbar. Was die "Dachwandanschlusshöhe" sein soll, ist nicht klar. Die Beklagte hat insoweit den vom Beigeladenen persönlich in seinem Schreiben vom 05.07.2008 laienhaft verwendeten Begriff in die Baugenehmigung übernommen, ohne ihn näher zu definieren. Zudem ist nicht klar, von welcher Geländeoberfläche die Beklagte ausgehen will, d.h. ob die Angaben aus den Bauvorlagen maßgeblich sein sollen oder ob die ursprüngliche – natürliche - Geländeoberfläche zu Grunde gelegt werden soll.

64

Schließlich erfüllt das nunmehr zur Beurteilung stehende Vorhaben des Beigeladenen auch deshalb nicht die Voraussetzungen eines privilegierten Grenzgebäudes gemäß § 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 LBauO M-V, weil es sich nicht um ein Gebäude ohne Aufenthaltsräume handelt. Aufenthaltsräume sind nach § 2 Abs. 5 LBauO M-V Räume, die zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmt oder geeignet sind. Anders als bei dem ursprünglich genehmigten Vorhaben liegt hier bereits eine Zweckbestimmung als Aufenthaltsraum vor. Der Beigeladene hat als Nutzungsart für den südlichen Gebäudeteil nunmehr "Abstell- und Werkraum" angegeben. Anders als ein Abstellraum ist ein Werkraum jedoch - jedenfalls bei nicht nur kurzzeitiger Nutzung - als Aufenthaltsraum anzusehen (vgl. Heintz in: Gädtke ua BauO NRW 11. Aufl. 2008 § 2 Rn. 233 f.). Auf die Frage, wie die Geeignetheit der Räume als Aufenthaltsräume nach der Verkleinerung der Fensteröffnungen unter Berücksichtigung der Regelung des § 47 Abs. 2 LBauO M-V zu beurteilen ist, kommt es daher nicht mehr an.

65

3. Da die Vorschriften des Abstandflächenrechts Nachbarschutz vermitteln, verletzt die rechtswidrige Feststellung der Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem Abstandflächenrecht die Klägerin in ihren Rechten.

66

a) Zu Unrecht beruft der Beigeladene sich darauf, der Senat habe in seinem Beschluss vom 06.01.2010 - 3 M 231/09 - einen Abwehranspruch des Nachbarn bei lediglich geringfügiger Überschreitung der Abstandflächen verneint. Die genannte Entscheidung betraf einen anderen Streitgegenstand, nämlich den (Verpflichtungs-)Anspruch des Nachbarn auf bauordnungsrechtliches Einschreiten, nicht aber - wie hier - dessen Abwehranspruch gegen eine die Zulässigkeit des benachbarten Vorhabens feststellende Regelung. Ferner ging es in dem angeführten Beschluss um eine Abstandflächenüberschreitung um lediglich (bis zu) 8 cm und eine betroffene Fläche von (höchstens) 1 qm. Die Entscheidung erging ferner im vorläufigen Rechtsschutzverfahren, in dem der Senat lediglich einen Anspruch auf Erlass eines vorläufigen Baustopps verneinte, und zwar mit der Begründung dass die Überschreitung der Abstandfläche noch durch bauliche Maßnahmen bei der Vollendung des im Rohbau bereits fertig gestellten Gebäudes vermieden werden könne, und der Bauherr eine entsprechende Änderung bereits angekündigt habe. So liegt der Fall hier aber nicht.

67

bb) Die Klägerin ist auch nicht deshalb gehindert, die Rechtsverletzung geltend zu machen, weil ihr eigenes Bestandsgebäude auf dem Nachbargrundstück die Abstandflächen nicht einhält. Eine unzulässige Rechtsausübung liegt nur vor, wenn der Nachbar seinerseits den erforderlichen Abstand nicht einhält und sich dennoch gegen einen vergleichbaren Rechtsverstoß durch ein Vorhaben auf dem angrenzenden Grundstück zur Wehr setzt (vgl. VGH Mannheim U. v. 18.11.2002 - 3 S 882/02 - BRS 65 Nr. 193; OVG Münster U. v. 24.04.2001 - 10 A 1402/98 - BRS 64 Nr. 188). Für die Vergleichbarkeit wechselseitiger Rechtsverstöße ist neben dem Maß des Grenzabstands die Qualität der Beeinträchtigung von Bedeutung (vgl. OVG Münster aaO).

68

Nach diesen Maßstäben liegt ein vergleichbarer Rechtsverstoß hier nicht vor. Zwar hatte die Klägerin in dem vorangegangenen Verfahren vor dem VG Greifswald erklärt, der Verandenteil ihres Wohngebäudes stehe von der Grundstücksgrenze lediglich 2,63 m entfernt. Auch wenn davon auszugehen sein sollte, dass dies über die gesamte Breite des Gebäudes der Fall ist - die vorliegenden Lagepläne lassen unterschiedliche Verläufe der Grundstücksgrenze erkennen - ergibt sich daraus lediglich eine Abstandflächenverletzung in einem Umfang von etwa 0,37 m x 9 m, d.h. von etwa 3,3 qm, während das Gebäude des Beigeladenen eine Abstandfläche von insgesamt etwa 3,24 m x 9 m, d.h. von etwa 29,16 qm auslöst. Denn sind die Voraussetzungen eines privilegierten Grenzgebäudes nicht erfüllt, so tritt eine Abstandflächenverletzung nicht nur in dem Umfang ein, um den die für ein Privilegierung einzuhaltenden Abmessungen überschritten werden, sondern im vollen Umfang der durch das Gebäude ausgelösten Abstandfläche, die dann nach den allgemeinen Regeln des Abstandflächenrechts auf dem Grundstück des Bauherren liegen müsste (§ 6 Abs. 2 Satz 1 LBauO M-V).

69

Hinzu kommt, dass die Abstandflächenverletzung durch das Gebäude der Klägerin sich lediglich im rückwärtigen Bereich des Grundstücks des Beigeladenen auswirkt und das Wohngebäude nicht tangiert, während das streitgegenständliche Gebäude des Beigeladenen sich auf die Belichtung des Wohngebäudes der Klägerin auswirkt.

70

4. Durch die Aufhebung der Auflagen Nr. 1 zur Baugenehmigung wird gleichzeitig die damit sinngemäß verbundene Feststellung der Abstandflächenrechtskonformität des Vorhabens aufgehoben, weil sie rechtswidrig ist und Rechte der Klägerin verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Bescheid ist insoweit nicht teilbar, weil die Beklagte eine einheitliche Entscheidung treffen wollte. Die isolierte Aufrechterhaltung der Auflagen selbst als derjenigen Nebenbestimmungen, durch die die Voraussetzungen für die Feststellung der Abstandflächenkonformität abgesichert werden sollen, kommt nicht in Betracht.

71

II. Soweit das Verwaltungsgericht auch die im vereinfachten Verfahren erteilte Baugenehmigung aufgehoben hat, hat die Berufung hingegen Erfolg. Insoweit verletzen der angefochtene Baugenehmigungsbescheid und der Widerspruchsbescheid die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Insbesondere liegt ein Verstoß gegen das in dem Gebot des Einfügens gemäß § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme nicht vor. Das Gebot der Rücksichtnahme in seiner subjektiv-rechtlichen Ausprägung ist nur dann verletzt, wenn die Bebauung sich als dem Nachbarn gegenüber unzumutbar erweist. Wann dies der Fall ist, kann nur aufgrund einer Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmepflichtigen nach Lage der Dinge zuzumuten ist, beurteilt werden. BVerwG, U. v. 25.02.1977 - IV C 22/75 - BVerwGE 52, 122). Eine Bebauung ist u.a. dann rücksichtslos, wenn sie eine erdrückende Wirkung hat (vgl. BVerwG, U. v. 23.05.1986 – 4 C 34.85 – NVwZ 1987, 34 = Juris Rn. 15; U. v. 13.03.1981 – 4 C 1.78 – BauR 1981, 155 = Juris Rn. 38). Eine solche Wirkung geht von dem Vorhaben des Beigeladenen jedoch nicht aus. Es wird zwar grenzständig errichtet und überschreitet das Maß des nach dem landesrechtlichen Abstandsflächenrecht Zulässigen. Die Nichteinhaltung des landesrechtlichen Abstandflächenrechts indiziert aber nicht das Vorliegen eines Rücksichtnahmeverstoßes (zur Unabhängigkeit der Frage der Einhaltung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebotes von der Beachtung der bauordnungsrechtlichen Abstandsvorschriften vgl. BVerwG U. v. 23.05.1986 – 4 C 34.85 – aaO Rn. 17). Auch dass mit der Überschreitung des abstandflächenrechtlich Zulässigen eine zusätzliche Beeinträchtigung der Belichtung des Wohngebäudes der Klägerin verbunden ist, reicht nicht aus. Die Höhe eines abstandflächenrechtlich zulässigen Grenzgebäudes wird nur in einem begrenzten Maß überschritten; dem entsprechend begrenzt ist das Maß der zusätzlichen Beeinträchtigung. Ein grobes Missverhältnis zwischen den Kubaturen der einander gegenüber stehenden Baukörper liegt nicht vor. Die beengte Wohnsituation beruht auch auf der Anordnung des Gebäudes der Klägerin im Verhältnis zur Grundstücksgrenze. Auf die Frage, ob sich insoweit auch auswirkt, dass die Klägerin die Bebauung ihres Grundstücks in einer Weise, dass sie auf die Belichtung des Gebäudes aus der Richtung des Nachbargrundstücks angewiesen ist, zu einem Zeitpunkt vorgenommen hat, zu dem sich an der Nachbargrenze ebenfalls eine Grenzbebauung befand, kommt es nicht mehr an.

72

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

73

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Tenor

1. Die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 11.11.2009 (Az.: …) für den Neubau einer Terrassenüberdachung auf ihrem Grundstück in A-Stadt, Flurstück 651, Flur 1, in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.02.2010 (Az.: ….) und der Bescheid über Abweichungen vom 11.11.2009 (Az.: …..) in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.02.2010 (Az.: …) werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vollstreckbar.

2. Die Zuziehung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung nebst positiver Abweichungsentscheidung für den Bau einer Terrassenüberdachung.

2

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Flurstücke 650/1 und 650/2 der Flur 1 der Gemarkung … in der A-Straße. Südlich schließt sich das Grundstück der Beigeladenen in der …, Flurstück 651 der Flur 1 der Gemarkung …, an. Beide Grundstücke sind jeweils entlang der nördlichen Grundstücksgrenze ohne seitlichen Grenzabstand mit einem Hauptgebäude bebaut. Das Hauptgebäude der Beigeladenen weist eine etwas größere Tiefe als das Gebäude der Klägerin auf. In den jeweils rückwärtigen Grundstücksbereichen zur westlichen Grundstücksgrenze befinden sich kleinere Nebengebäude. Zwischen der jeweils westlichen Grundstücksgrenze und dem Abschluss des Hauptgebäudes befinden sich auf beiden Grundstücken überwiegend unbebaute Flächen. Zur jeweils südlichen Grundstücksgrenze weisen die Grundstücke folgende Abstände auf: das Gebäude der Beigeladenen einen Abstand von ca. 1 m im vorderen Bereich und jedenfalls nicht mehr als 1,90 m im hinteren Bereich, das Gebäude der Klägerin von 3 m im vorderen Bereich und ca. 2,60 m im hinteren Gebäudebereich. An das hintere Hauptgebäude jeweils der Klägerin und der Beigeladenen schließt sich eine Terrasse an. Auf der nördlichen Grundstücksgrenze der Klägerin hin zum Grundstück der Beigeladenen steht eine durchgehende ca. 1,90 m hohe Mauer. Zur Verdeutlichung der Bebauung und Grundstückseigenschaften wird auf den Lageplan vom 13.10.2009 als Anlage zur Baugenehmigung vom 11.11.2009 auf Blatt 3 der Behördenakten verwiesen.

3

Am 13.08.2009 beantragten die Beigeladenen die Errichtung einer Terrassenüberdachung. Die Grundfläche der Terrasse beträgt gemäß dem Antrag 21,30 m². Die Seite zur Grundstücksgrenze der Klägerin hin misst 4,46 m. Die Überdachung soll nach den Bauantragsunterlagen 2,10 m am westlichen Ende und 2,85 m am östlichen Ende hoch sein. Das Glasdach wird von einer Aluminiumkonstruktion getragen. Diese weist zwei Stützen im vorderen Bereich und Querstreben im Dachbereich auf. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die dem Bauantrag beigefügten Ansichten vom 12.08.2009 auf Blatt 11 der Behördenakten verwiesen.

4

Unter dem 02.09.2009 stellten die Beigeladenen einen Antrag auf Erteilung einer Zulassung über die Abweichung von den erforderlichen Abstandsflächen. Die Klägerin versagte im Zuge ihrer Beteiligung als Nachbarin die Zustimmung am 28.09.2009. Ihr sei ein weiteres, die Sicht nehmendes Bauvorhaben entlang der unbebauten Gartenfläche nicht zuzumuten. Würde man im rückwärtigen Bereich der Bebauung in diesem Block eine faktische Baulinie ziehen, springe ihr Haus 1,40 m hinter das der Beigeladenen zurück. Das Vorhaben verletze die erforderlichen Abstandsflächen und sei rücksichtslos. Die Inanspruchnahme des besonders schutzwürdigen rückwärtigen Bereiches schränke ihre Privatsphäre spürbar ein. Es sei ernsthaft zu befürchten, dass von der intensivierten Terrassennutzung nachteilige Auswirkungen wie Lärm ausgingen. Die Grundstückssituation werde erheblich verschlechtert.

5

Am 11.11.2009 erteilte der Beklagte unter Zulassung einer Abweichung von den erforderlichen Abstandsflächen die Baugenehmigung. Im Bescheid über die Zulassung der Abweichung führte er aus, die Unterschreitung der Abstandsflächen sei der sogenannten Tüschenbauweise geschuldet. Es handele sich hier um die nach der Erhaltungssatzung für …. und im Denkmalbereich … zwingend einzuhaltende Tüschenbauweise. Diese betreffe die jeweils südlichen Grundstücksgrenzen der Baugrundstücke. Zu den nördlichen Grundstücksgrenzen seien jeweils keine Abstandsflächen eingehalten, hier sei eine Grenzbauweise abzuleiten. Die Baugenehmigung wurde der Klägerin bekannt gegeben, die Abweichungsentscheidung nicht.

6

Am 18.11.2009 erhob die Klägerin Widerspruch gegen die erteilte Baugenehmigung. Sie führte aus, die Terrassenkonstruktion halte in einer Höhe von 2,85 m auf einer 0,6 m über der Geländeoberfläche liegenden Terrasse die vorgeschriebene Abstandsfläche nicht ein. Eine Abweichung könne nicht zugelassen werden. Die Erhaltungssatzung gebe nicht zwingend geringere Abstandsflächen vor. Die Tüschenbauweise sei nur straßenseitig, nicht im rückwärtigen Grundstücksbereich gegeben. Für die rückwärtigen Bereiche sei typisch, dass die sich jeweils an das Haupthaus anschließende Bebauung zurückspringe und hierdurch einen größeren Abstand zu der gemeinsamen Grundstücksgrenze von 2 bis 3 m oder mehr bilde. Es fehle an einem für eine positive Abweichungsentscheidung atypischen, von der gesetzlichen Regelung nicht hinreichend erfassten oder bedachten Sachverhalt. Es sei nicht erkennbar, dass die Gestaltung des Straßenbildes oder andere städtebauliche Erfordernisse eine Verringerung der Abstandsflächen rechtfertigen könne. Eine rechtmäßige Ermessensausübung sei nicht erfolgt. Am 07.01.2010 legte die Klägerin Widerspruch gegen den Abweichungsbescheid mit der gleichen Begründung ein.

7

Mit Bescheiden vom 15.02.2010 wies der Beklagte die Widersprüche gegen die Baugenehmigung und gegen den Abweichungsbescheid als unbegründet zurück: Das Vorhaben füge sich in die nähere Umgebung ein. Eine Atypik sei vorhanden. Das Gebiet sei vorgeprägt durch eine abweichende Bauweise wegen Unterschreitungen der Abstandsflächen nach Süden hin. Die in den Hofbereichen bestehende städtebauliche Situation sei geprägt durch eine dichte und heterogene Bebauung. Diese Vorprägung bilde den Gestaltungsrahmen, in dem sich das Neuvorhaben bewegen müsse. Zu den südlichen Grundstücksgrenzen überwögen schmale Wege (sogenannte Tüschen) im vorderen Grundstücksbereich zwischen Grundstücksgrenze und Hauptgebäude. Im Hinblick auf die langjährige Genehmigungspraxis in vergleichbaren Fällen sei der Abweichungsbescheid ergangen. Bei der Ermessensausübung hätten die Interessen der Beigeladenen überwogen. Für die Klägerin nicht zumutbare nachteilige Auswirkungen seien nicht erkennbar. Das Interesse der Klägerin an der Erhaltung der Privatsphäre und der Wohnruhe sei berücksichtigt worden. Mögliche Beeinträchtigungen seien zumutbar. Eine erhebliche Verschlechterung der Grundstückssituation durch Lärmbeeinträchtigungen sei nicht zu erwarten. Es handele sich lediglich um die Überdachung einer bereits vorhandenen Terrasse.

8

Am 18.02.2010 wurden die Widerspruchsbescheide der Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt.

9

Am 17.03.2010 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie vertieft ihre Ausführungen und ergänzt, der Abstand zur gemeinsamen Grundstücksgrenze betrage lediglich 1,45 m. In der Umgebung seien vergleichbare Terrassenüberdachungen nicht vorhanden. Die Beigeladenen könnten das Vorhaben schmaler bauen und so die Abstandsflächen einhalten. Die Abweichung sei nicht wegen des Ortsbildes und zum Erhalt historischer Bausubstanzen erforderlich. Eine langjährige Genehmigungspraxis des Beklagten in vergleichbaren Fällen gebe es nicht. In etlichen Genehmigungsverfahren sei eine gestaffelte Bebauung genehmigt worden, bei der die Abstandsflächen der rückwärtigen Bebauung zur südlichen Grundstücksgrenze immer ca. 3 m aufweisen würden. Selbst die Abstandsflächen der Wohnhäuser würden bis zu 3 m betragen. Auch das im Widerspruchsbescheid ausgeübte Ermessen sei fehlerhaft. Fehlerhaft sei nur auf die konkrete Beeinträchtigung abgestellt worden. Die generelle Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeit des Grundstücks der Klägerin für zukünftige Vorhaben sei unerwähnt geblieben. Ferner komme es darauf an, ob die so gegebene Schmälerung der Interessen der Klägerin durch gewichtige öffentliche Belange gerechtfertigt sei. Daran fehle es. Die Interessen des Bauherrn seien in diesem Zusammenhang nicht maßgeblich. Zum Hilfsantrag führt die Klägerin aus, ihr seien die Kosten des Widerspruchverfahrens zu ersetzen, da der Ausgangsbescheid rechtswidrig gewesen sei und eine Heilung erst durch den Widerspruchsbescheid und dessen Begründung herbeigeführt worden sei.

10

Sie beantragt,

11

1. die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 11.11.2009 (Az.: …) für den Neubau einer Terrassenüberdachung auf ihrem Grundstück in …, C-Straße, Gemarkung …, Flurstück 651, Flur 1, in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.02.201 (Az.: …) und den Bescheid über Abweichungen vom 11.11.2009 (Az.: ….) in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.02.2010 (Az.: ….) aufzuheben;

12

hilfsweise,

13

die Kostenentscheidungen in den vorbenannten Widerspruchsbescheiden des Beklagten vom 15.02.2010 (Az.: … und …) aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Kosten der beiden Widerspruchsverfahren (nebst Anwaltskosten der Klägerin) zu tragen bzw. den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin die in den beiden Widerspruchsverfahren angefallenen Rechtsanwaltskosten in i.H.v. …. € zu erstatten.

14

2. Die Zuziehung der Prozessvertretung der Klägerin in den beiden Widerspruchsverfahren gemäß § 162 Ab. 2 VwGO für notwendig zu erklären.

15

Der Beklagte beantragt,

16

die Klage abzuweisen.

17

Er vertieft seine Ausführungen und ergänzt, eine Schmälerung der nachbarlichen Interessen sei nicht gegeben. Die bestehende Terrasse sei nach allen Seiten offen und solle lediglich eine genehmigungspflichtige Überdachung erhalten. Eine Veränderung der Belüftungssituation des Grundstücks werde nicht entstehen.

18

Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.

19

Sie tragen vor, die Terrassenüberdachung bewege sich in einer finanziellen Größenordnung von etwa 20.000 €. Ein Grund für die Überdachung sei, dass auf dem nördlich angrenzenden Grundstück im hinteren Bereich eine Pension betrieben werde. Über die dort vorhandene Wendeltreppe zum ersten Obergeschoss beständen Einsichtsmöglichkeiten auf ihren Terrassenbereich. Auf der Wendeltreppe würden sich zeitweise Personen aufhalten, beispielsweise zum Rauchen. Sofern dies hilfreich sei, könne klargestellt werden, dass sich die Verglasung auf eine Überdachung beschränke und eine seitliche Verglasung der Aluminiumkonstruktion nicht erfolgen solle.

20

Das Gericht hat die Akten der Verfahren 2 B 256/10 und 2 B 1227/09 beigezogen. Ferner hat es Beweis erhoben durch Inaugenscheinnahme ausgedruckter Luft- und Satellitenbildern (Blatt 110 bis 113 der Akte). Ferner hat das Gericht einen ausgedruckten Auszug der automatischen Liegenschaftskarte für das Gebiet aus dem Geoportal Mecklenburg-Vorpommern in Augenschein genommen. Die Ausdrucke wurden mit den Beteiligten erörtert.

21

Im Übrigen wird zum Sach- und Streitstand auf die Gerichts- und die Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

22

Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die Klägerin klagebefugt gemäß § 42 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Es besteht die Möglichkeit, dass die Klägerin durch die angegriffenen Bescheide in ihren Rechten verletzt ist. Da die Regelungen zu den notwendigen Abstandsflächen nachbarschützend sind, kann die Klägerin grundsätzlich geltend machen, durch eine Zulassung einer Abweichung von den erforderlichen Abstandsflächen in eigenen Rechten verletzt zu sein. Gleiches gilt für die Baugenehmigung. Gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 2 der Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern (LBauO M-V) sind auch im vereinfachten Genehmigungsverfahren Abstandsflächen Gegenstand des Verfahrens, wenn die beantragten Abweichungen im Sinne des § 67 Abs. 1 und 2 Satz 2 der LBauO M-V Abstandsflächen betreffen. So liegt der Fall hier.

23

Die Klage ist begründet. Die Baugenehmigung und die Abweichungsentscheidung jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheids sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

24

Die Voraussetzungen für die Zulassung einer Abweichung von den erforderlichen Abstandsflächen gemäß § 67 Abs. 1 i.V.m. § 6 LBauO M-V liegen nicht vor.

25

1. Zunächst ist festzustellen, dass das genehmigte Vorhaben von den Anforderungen des Gesetzes im Sinne von § 67 Abs. 1 Satz 1 LBauO M-V abweicht, denn es hält die gemäß § 6 LBauO erforderlichen Abstandsflächen nicht ein. Die Beteiligten haben dies zu Recht nicht in Streit gestellt.

26

Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 LBauO M-V fallen bauliche Anlagen, von denen Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen, in den Anwendungsbereich dieser Vorschrift. Beim Vorhaben der Beigeladenen handelt sich um eine Anlage in diesem Sinne. Lediglich kleine Aufschüttungen bis 1 m Höhe, Mauern unter 2 m Höhe oder sonstige Kleinstvorhaben entfalten in der Regel keine gebäudeähnlichen Wirkungen und fallen aus dem weit zu verstehenden Anwendungsbereich von § 6 LBauO M-V heraus. Um ein solches Kleinstvorhaben handelt es sich hier jedoch nicht. Die hier in Rede stehende Terrassenüberdachung ist als von einer Aluminiumkonstruktion getragenes Glasdach abstrakt auch ohne seitliche Verglasung durchaus geeignet, die Belüftung, Besonnung sowie den Wohnfrieden zu beeinträchtigen.

27

Die Regelungen zu den Abstandsflächen gemäß § 6 LBauO M-V werden hier auch nicht durch bauplanungsrechtliche Vorschriften verdrängt. Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 3 LBauO M-V sind Abstandsflächen nur dann nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf. So kann es gemäß § 34 Abs. 1 BauGB bei geschlossener Bauweise zulässig sein, ein Gebäude ohne Abstandsflächen an der Grenze zu errichten. Diese Voraussetzungen erfüllt das Vorhaben der Beigeladenen jedoch nicht. Die Bebauung des Grundstücks der Beigeladenen entspricht bereits nicht einer geschlossenen Bauweise. Das Hauptgebäude der Beigeladenen ist zur südlichen Grundstücksgrenze – nur diese ist hier relevant – hin in offener Bauweise errichtet und gerade nicht an die Grenze gebaut.

28

Die Tiefe der erforderlichen Abstandsfläche beträgt hier gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 LBauO M-V die Mindesttiefe von 3 m. Eine Ausnahme gemäß § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBauO M-V für Vorbauten, für welche gemäß Nr. 2 Buchstabe c eine Abstandsfläche von 2 m genügen würde, liegt nicht vor. Einen Abstand von 3 m hält das Vorhaben jedoch nicht ein. Der Abstand zur Grundstücksgrenze der Klägerin beträgt unstreitig jedenfalls nicht mehr als 1,90 m.

29

2. Die Voraussetzungen für eine Abweichung liegen nicht vor.

30

Die Bauaufsichtsbehörde kann Abweichungen gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 LBauO M-V zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind. Bei der Auslegung dieser Vorschrift ist zwar zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber das materielle Bauordnungsrecht vollzugstauglich flexibilisieren wollte und zum Ziel hatte, die Erreichung des jeweiligen Schutzzieles der Norm in den Vordergrund zu rücken (vgl. Landtagsdrucksache 4/1810, Seite 170). Jedenfalls bei Abweichungen von der erforderlichen Mindestabstandsfläche jedoch greift dieser Gedanke nicht, da kein Fall der Flexibilisierung vorliegt, sondern das Ziel der Abstandsflächen - ausreichende Belichtung, Belüftung und Sozialabstand - bei Zulassung einer Abweichung nicht mehr vollständig erreicht werden kann. § 6 LBauO M-V sieht bereits differenzierter Weise in Absatz 6 und 7 Ausnahmen vom Grundsatz der Tiefe 0,4 H vor und setzt im Übrigen den erforderlichen Abstand auf ein Mindestmaß von 3 m fest. Abweichungen nach § 67 LBauO M-V von den erforderlichen Abstandsflächen können daher, insbesondere vom Mindestabstand, nur in besonderen Ausnahmefällen zugelassen werden. Die Zulassung einer Abweichung erfordert Gründe, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die die etwa bewirkte Einbuße an geschützten Nachbarrechtspositionen vertretbar erscheinen lassen. Für die Zulassung einer Abweichung ist mithin eine atypische Situation zu fordern (VGH München, Urt. v. 22.09.2011, Az.: 2 B 11.762 – zitiert nach Juris). Liegt eine Atypik nicht vor, ist die Erteilung einer Abweichung grundsätzlich ausgeschlossen, weil die zu berücksichtigenden Belange und Interessen regelmäßig bereits durch die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften und insbesondere durch diejenigen über den einzuhaltenden Mindestabstand in einen gerechten Ausgleich gebracht worden sind und die Gleichmäßigkeit des Gesetzesvollzugs kein beliebiges Abweichen von den Vorschriften gestattet (Johlen, in: Gädtke/Czepuck/Johlen/Plietz/Wenzel, BauO NRW, 12. Auflage, 2011 § 73 Rn. 4 e). Eine Abweichung kommt daher grundsätzlich nur in Betracht, wenn der Nachbar nicht schutzbedürftig ist oder die Gründe, die für die Abweichung streiten, objektiv derartig gewichtig sind, dass die Interessen des Nachbarn ausnahmsweise zurücktreten müssen (Johlen a. a. O. Rn. 12). Bei der Zulassung einer Abweichung von nachbarschützenden Vorschriften wie Abstandsflächenvorschriften kann der Nachbar zudem nicht nur eine ausreichende Berücksichtigung seiner Interessen beanspruchen. Er ist auch dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Abweichung aus einem anderen Grund, etwa weil sie nicht mit im konkreten Fall zu erwägenden öffentlichen Belangen zu vereinbaren ist (VGH München, Urt. v. 22.09.2011, Az.: 2 B 11.762 – zitiert nach Juris), rechtswidrig ist.

31

Gemessen an diesen Maßstäben ist die hier in Rede stehende Abweichung mit öffentlichen und nachbarlichen Belangen nicht zu vereinbaren, da es an objektiv gewichtigen Gründen für eine Abweichung fehlt.

32

Die städtebauliche Situation stellt sich wie folgt dar: Die südlich der … beginnende bis zum Flurstück 632 in der …, zwischen … und … im Blockinnenbereich gelegene Bebauung stellt sich als heterogen dar. Dies ist erwiesen aufgrund der in der Verhandlung mit den Beteiligten erörterten Luftbilder und den Auszügen aus der Liegenschaftskarte. Diese zeigen im Blockinnern überwiegend weitgehend überbaute Grundstücke mit teilweise kleinen unbebauten Flächen, Höfen und Gängen, aber auch Grundstücke, die große Freiflächen aufweisen. Es überwiegen im Blockinnern Gebäude, die wie Nebengebäude erscheinen. Es befinden sich dort aber auch einige Gebäude, die nach ihrem Erscheinungsbild als Hauptnutzung erscheinen müssen. Die von der Klägerin vorgetragene abgestufte Bauweise ist dagegen nicht als durchgehendes Prinzip zu erkennen. Auch wenn diese Struktur nach dem Auszug aus der Liegenschaftskarte bei den Flurstücken 653, 647/4, 645, 644, 633 teilweise zu erkennen ist, zeigen die Ausdrucke eine zunehmende Verdichtung, bei der eine Abstufung mit sich daraus ergebenden Abständen jedenfalls als prägendes Prinzip nicht mehr zu erkennen ist. Nicht zutreffend ist anhand dieser Feststellungen auch der Vortrag des Beklagten, die nähere Umgebung sei durch eine Tüschenbauweise geprägt. Dies trifft lediglich auf die Gebäude unmittelbar an der Straße zu, nicht jedoch auf die Blockinnenbebauung und Nebenanlagen. Die Bebauung im Blockinnern bezeichnet der Beklagte zu Recht an anderer Stelle als heterogen.

33

Diese Sachlage lässt bezogen auf die hier in Rede stehende rückwärtige Grundstückssituation keine gewichtigen Belange städtebaulicher Art erkennen, die eine Abweichung von der Mindestabstandsfläche rechtfertigen könnten. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Tüschenbauweise zum historisch schützenswerten und geschützten Erscheinungsbild gehört und, wie vom Beklagten behauptet, durch die Erhaltungssatzung sowie die Festlegung als Denkmalbereich rechtlich wirksam geschützt ist (zur Nichtigkeit von Denkmalbereichsverordnung und Erhaltungssatzung für das Gebiet … vgl. VG Schwerin, Urt. v. 03.12.2009 - 2 A 174/08 -). Die Einhaltung der gesetzmäßigen Abstandsflächen im Blockinnern berührt bei dieser diffusen Prägung das Erscheinungsbild des Stadtbildes, insbesondere die Tüschenbauweise, nicht. Dass die Blockinnenbebauung mit ihrer heterogenen und diffusen Prägung zum historisch geschützten Erscheinungsbild gehört, an dessen Verdichtung ein städtebauliches Interesse bestehen könnte, ist weder ersichtlich noch vom Beklagten substantiiert vorgetragen. Vielmehr kann eine Blockinnen– und Hinterhofbebauung, die zunehmend Abstandsflächen unterschreitet wegen der damit verbundenen Steigerung bodenrechtlicher Spannungen kaum wünschenswert sein.

34

Ein atypischer Fall ist auch nicht aufgrund der Eigenschaften des Grundstücks der Beigeladenen anzunehmen. Eine grundstücksbezogene Atypik kann vorliegen, wenn anders als durch Zulassung einer Abweichung eine sinnvolle und angemessene Nutzung des Grundstücks nicht möglich ist, insbesondere weil die Abweichung in dem Bereich für die Instandsetzung, Aufwertung oder Erneuerung einer überalterten Bausubstanz in einem dicht bebauten innerstädtischen Bereich erforderlich ist (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 14.07.2005, Az.: 3 M 69/05, NordÖR 2005, 424; vgl. VGH München, Urt. v. 22.09.2011, Az.: 2 B 11.762 – zitiert nach Juris).

35

Eine solche Sachlage ist hier nicht ersichtlich. Das Grundstück der Beigeladenen ist regelmäßig geschnitten und bereits mit einem Hauptgebäude bebaut. Auch die Terrasse kann genutzt werden. Die Überdachung mit einer aufwendigen Konstruktion mag zwar wünschenswert sein, sie ist jedoch nicht zwingender Bestandteil einer angemessenen Nutzung und dient auch nicht lediglich der Anpassung einer überalterten Bausubstanz an unentbehrliche oder nach dem Gesetz zwingende Nutzungsanforderungen. Dem steht der Vortrag der Beigeladenen, die Überdachung sei zu Abwehr unzumutbarer Einsichtsmöglichkeiten vom Nachbargrundstück an der Nordgrenze erforderlich, nicht entgegen. Zunächst kann eine frei von Einsichtsmöglichkeiten bestehende Terrasse in einem durch dichte Bebauung vorgeprägten Blockinnenbereich nicht als Standard vorausgesetzt werden. Ferner ist es nicht Zweck der Abweichungsvorschriften, einen städtebaulichen Missstand durch einen weiteren zu kompensieren und die sich daraus ergebenden Folgen an die Allgemeinheit und die Nachbarschaft weiterzureichen. Vielmehr sind die Beigeladenen gehalten, gegebenenfalls zivilrechtliche Abwehransprüche geltend zu machen oder die Ordnungsbehörden einzuschalten, wenn unzumutbare Störungen infolge der Einsichtsmöglichkeiten von dem Pensionsbetrieb vorliegen sollten. Doch auch aus tatsächlichen Gründen verfängt die Argumentation der Beigeladenen nicht. Wie auf dem Lichtbild der Anlage B 1, Blatt 105 der Akten, zu erkennen und von keinem Beteiligten in Abrede gestellt worden ist, verfügt das Haus der Beigeladenen über eine Markise. Die Beigeladenen sind aus diesem Grund Einsichtsmöglichkeiten nicht schutzlos ausgesetzt. Ferner bestände die Möglichkeit, eine kleinere Terrassenüberdachung unter Einhaltung der Abstandsflächen zu errichten, welche vor Einsichtsnahmemöglichkeiten vom Norden her schützen würde.

36

3. Die Klägerin ist durch die fehlerhafte Genehmigung und Zulassung der Abweichung auch in ihren Rechten verletzt.

37

Grundsätzlich kann sich ein Nachbar gegen jede Unterschreitung der (Mindest)Abstandsfläche zur Wehr setzen. Dieses Recht unterliegt mit Rücksicht auf den das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben jedoch Grenzen. Der baurechtliche Nachbarschutz beruht auf den Gedanken der gegenseitigen Rücksichtnahme; seine Grundlage ist das nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, in dessen Rahmen jeder Eigentümer zu Gunsten seines Nachbarn bestimmten Beschränkungen unterworfen ist und im Austausch dafür verlangen kann, dass der Nachbar diese Beschränkungen gleichfalls beachtet. Aus diesem System nachbarlicher Ausgleichs- und Rücksichtnahmepflichten folgt, dass derjenige, der selbst mit seinem Gebäude den erforderlichen Grenzabstand nicht einhält, billiger Weise nicht verlangen kann, dass der Nachbar die Abstandsfläche freihält. Damit kann ein Nachbar aus dem Gesichtspunkt unzulässiger Rechtsausübung gehindert sein, die Verletzung des Grenzabstandes zu rügen. Der Vorwurf treuwidrigen Verhaltens entfällt nicht dadurch, dass das Gebäude des sich wehrenden Nachbarn in Einklang mit den damals geltenden Bauvorschriften errichtet worden ist; maßgeblich ist allein, dass er mit seinem Gebäude den (jetzt) erforderlichen Grenzabstand nicht einhält. Denn die Versagung des Abwehranspruchs beruht darauf, dass es unbillig wäre, einen Nachbarn den von den grenznahen baulichen Anlagen des anderen Nachbarn ausgehenden Nachteilen auszusetzen, ihm selbst aber eine Ausnutzung seines Grundstücks im Grenzbereich zu verwehren. Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis erlaubt in diesen Fällen eine Abwehrmaßnahme nur dann, wenn die Verletzung nachbarschützender Abstandsregelungen durch das angegriffene Vorhaben nicht vergleichbar ist, sondern schwerer wiegt als die Inanspruchnahme des Bauwiches durch den sich wehrenden Nachbarn. Bei vergleichbaren Verstößen vermag dagegen der letztlich aus Treu und Glauben und dem Verbot eigenen widersprüchlichen Verhaltens ergebende Grundsatz nur dann eine Einschränkung zu finden, wenn anderenfalls in gefahrenrechtlicher Hinsicht völlig untragbare Zustände entstünden. Für die Vergleichbarkeit der die Nachbarn in diesem Sinne wechselseitig beeinträchtigenden Rechtsverstöße ist jeweils neben dem konkreten Grenzabstand auch die Qualität der mit der Verletzung der Abstandflächenvorschriften einhergehenden Beeinträchtigung von wesentlicher Bedeutung (OVG Greifswald, Beschl. v. 14.07.2005, Az.: 3 M 69/05, NordÖR, 2005, 424 – zitiert nach Juris).

38

Hieran gemessen verhält sich die Klägerin nicht treuwidrig, wenn sie sich auf die Verletzung der Abstandsflächen beruft. Die Grenzmauer der Klägerin verletzt mit einer Höhe von ca. 1,90 m keine Abstandsflächen. Diese ist nach § 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 LBauO M-V als bis zu 2 m hohe geschlossene Einfriedung ohne eigene Abstandsfläche zulässig.

39

Die Pflicht des Beklagten, die Kosten zu tragen folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

40

Gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 war auf Antrag der Klägerin hin die Zuziehung ihrer Prozessbevollmächtigten für das Vorhaben für notwendig zu erklären. Ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig war, ist vom Standpunkt einer verständigen Partei aus zu beurteilen. Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sach- und Rechtslage eines Rechtsanwalts bedient hätte. Notwendig ist die Zuziehung eines Bevollmächtigten nur dann - aber dann grundsätzlich auch immer -, wenn es dem Beteiligten nach seiner Vorbildung, Erfahrung und seinen sonstigen persönlichen Umständen nicht zuzumuten war, das Verfahren selbst zu führen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn es nicht nur um Sachfragen, sondern um die Beantwortung von nicht einfach gelagerten Rechtsfragen geht. Vor dem Hintergrund der aufgeworfenen abstandsflächenrechtlichen Sach- und Rechtsfragen war es der Klägerin nicht zuzumuten, das Verfahren selbst zu führen.

41

Hinsichtlich der Beigeladenen folgt die Kostenentscheidung aus § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Insbesondere haben die Beigeladenen keinen Sachantrag gestellt und sich so keinem Kostenrisiko ausgesetzt.

42

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO, § 709 ZPO.

Tenor

Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beigeladene auf den Bauvorbescheid verzichtet und die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 26. März 2014 - 4 K 4392/12 - ist insoweit unwirksam.

Im Übrigen wird auf die Berufung der Klägerinnen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 26. März 2014 - 4 K 4392/12 - geändert.

Der Bauvorbescheid der Beklagten vom 1. August 2012 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 26. November 2012 werden aufgehoben, soweit diese durch den Teilverzicht nicht unwirksam geworden sind.

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Die Beklagte und die Beigeladene tragen jeweils die Hälfte der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen in beiden Rechtszügen; im Übrigen tragen sie ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Die Klägerinnen wenden sich gegen einen der Beigeladenen erteilten Bauvorbescheid über die bauplanungs- und abstandsflächenrechtliche Zulässigkeit der Errichtung eines Wohn- und Geschäftshauses mit Tiefgarage.
Die Klägerin zu 1 ist Eigentümerin der in der historischen Altstadt von Isny gelegenen Grundstücke Flst.Nrn. 30 und 30/2, ... Straße 11 und 11a, an denen die Klägerin zu 2 das Nießbrauchsrecht hat. Die ... Straße ist als Fußgängerzone ausgebildet, die zum Marktplatz führt. Entlang der quartierbildenden Straßen der Altstadt - zu denen auch die ... Straße gehört - sind die Gebäude mit ihren Giebel- oder Traufseiten jeweils direkt an den Straßen in geschlossener Bauweise errichtet. Das Grundstück Flst.Nr. 30, ... Straße 11, ist mit einem viergeschossigen Wohn- und Geschäftshaus bebaut. Mit den Giebelseiten ist es im Nordosten an das Wohn- und Geschäftsgebäude auf dem Grundstück Flst.Nr. 29/1, ...-Straße 13, und im Südwesten an das Gebäude auf dem Grundstück Flst.Nr. 27/2, ... Straße 9, in dem sich eine Gaststätte befindet, jeweils grenzständig errichtet. Im rückwärtigen Hofbereich des Flst.Nr. 30 schließt sich nordwestlich das Grundstück Flst.Nr. 30/2, ... Straße 11a, an. Dieses Grundstück ist mit einem dreigeschossigen Wohngebäude mit einer Firsthöhe von ca. 11 m bebaut. Im zweiten Obergeschoss wurde ein nach Westen und Süden ausgerichteter Freisitz eingebaut. Das Gebäude, hält zu den Grenzen der nordöstlich anschließenden Grundstücke Flst.Nr. 28, das mit einer Garage bebaut ist, und Flst.Nr. 29, das unbebaut ist, sowie zur Grenze des mit einer Garage und einem Schuppengebäude bebauten südwestlich anschließenden Grundstücks Flst.Nr. 33/1 keine Abstände ein. Der Zugang zu dem Wohngebäude ... Straße 11a erfolgt über eine private Verkehrsfläche von der Straße „...“. Der Schuppen auf dem Flst.Nr. 33/1, der als Garage genutzt wird, ist in einer Länge von ca. 13,75 m auf der Grenze zum Grundstück Flst.Nr. 30/2 an das Wohngebäude ...-... Straße 11a angebaut.
Die Beigeladenen sind Eigentümer der Grundstücke Flst.Nrn. 27/2 und 33, ... Straße 9 und 7. Das Grundstück Flst.Nr. 33 ist mit einem ca. 50 m tiefen und 10 - 15 m breiten Wohn- und Geschäftshaus bebaut. Im hinteren Grundstücksbereich sind 15 Stellplätze angelegt. Der vordere Gebäudeteil ist an der ... Straße an den Grenzen zu den Grundstücken Flst.Nr. 27/2, ... Straße 9, und Flst.Nr. 20, ... Straße 5, errichtet. Im rückwärtigen Bereich des Grundstücks Flst.Nr. 33 wurden aufgrund einer Baugenehmigung der Beklagten vom 27.03.1974 ein ca. 31 m langer und ca. 13 m breiter Anbau mit einem Großraumladen und drei Wohnungen sowie 15 Stellplätze errichtet. Der Anbau ist an den Grenzen zu den nordöstlich anschließenden Grundstücke Flst.Nrn. 33/1 und 27/2 errichtet.
Die genannten Grundstücke liegen in den Geltungsbereichen des nicht qualifizierten Bebauungsplans „Altstadt Isny im Allgäu“ vom 10.10.1990 der Beklagten, der für die Grundstücke ein Mischgebiet festsetzt, der vom Regierungspräsidium Tübingen als höhere Denkmalschutzbehörde erlassenen Verordnung über die Gesamtanlage „Altstadt Isny i.A.“ vom 15.12.1983 und der Satzung der Beklagten zur „Erhaltung baulicher Anlagen sowie über örtliche Bauvorschriften in der Stadt Isny im Allgäu“ vom 04.11.1981 (Altstadtsatzung). Das Gebäude ... Straße 11 und der vordere Teil des Gebäudes ... Straße 7 sind darüber hinaus als Kulturdenkmale von besonderer Bedeutung in das Denkmalbuch eingetragen.
Am 06.03.2012 beantragte die Beigeladene die Erteilung eines Bauvorbescheids über die bauplanungsrechtliche und abstandsflächenrechtliche Zulässigkeit der Errichtung eines Wohn- und Geschäftshauses mit Tiefgarage auf den Grundstücken Flst.Nrn. 27/2, 33 und 33/1, ... Straße 7 und 9. Nach den eingereichten Bauvorlagen ist auf den Grundstücken die Errichtung eines ca. 70 m langen und zwischen 9 und 27 m breiten Neubaus vorgesehen. Das Gebäude soll mit seiner gesamten Länge an den Grenzen zu den Grundstücken Flst.Nr. 30 und 30/2 der Klägerin zu 1 errichtet werden. Der Baukörper gliedert sich im vorderen Teil an der ... Straße in einen ca. 8,66 m breiten und ca. 23 m langen zunächst zweigeschossigen, dann dreigeschossigen Flachdachbau. An diesen schließt sich im mittleren Bereich ein ca. 22 m langer und ca. 13 m breiter weiterer Flachdachbau an, der ca. auf Höhe des Gebäudes ... Straße 11a in einen viergeschossigen Querbau mit Satteldach (Firsthöhe 17 m bis 18 m) übergeht. Daran folgt ein weiterer eingeschossiger, ca. 6,20 m langer Flachdachanbau. Der 22 m lange Neubau im mittleren Bereich soll nach den Bauvorlagen in einer Höhe zwischen 4,60 m und 5,10 m eingeschossig an der Grenze zu den Grundstücken der Klägerin zu 1 errichtet werden. Die Außenwand seines ersten Obergeschosses springt gegenüber den Grenzen der Grundstücke der Klägerin zu 1 zwischen 2,75 m und 2,97 m zurück, die Außenwand des zweiten Obergeschosses zwischen 9 und 10 m. Auf diesem Rücksprung ist die Anlegung einer 157,85 qm großen Terrasse vorgesehen. Im dritten Obergeschoss soll auf dem Flachdach eine weitere, 267,05 qm große Terrasse angelegt werden Nach den Bauvorlagen sollen im Untergeschoß 51 Stellplätze sowie ein Lager eingerichtet werden. Für das Erdgeschoss findet sich der Eintrag „Gewerbe“, für das erste Obergeschoss der Eintrag „Gewerbe, Arztpraxen/Büro/Wohnungen“ und für das zweite Obergeschoss der Eintrag „ Arztpraxen, Büro, Wohnungen“.
Die Klägerinnen erhoben mit Schreiben vom 10.04.2012 Einwendungen gegen das geplante Bauvorhaben. Sie wandten sich im Wesentlichen gegen die geplante Grenzbebauung und befürchteten die Gefahr von Schäden an ihren Gebäuden. Der geplante Baukörper widerspreche auch der Eigenart der näheren Umgebung. Insbesondere seine Höhe führe zu einer unzumutbaren Beschattung vor allem des Wohnhauses ... Straße 11a. Die Nutzung der vorgesehenen Freiflächen führe ebenso wie der durch das Vorhaben entstehende Verkehr zu einer unzumutbaren Lärmbelastung für ihre Grundstücke.
Die Beklagte erteilte am 01.08.2012 unter Zurückweisung der von den Klägerinnen und anderer Angrenzer erhobenen Einwendungen den folgenden Bauvorbescheid:
„1. Die bebauungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens (§§ 29 Abs. 1, 34 BauGB) wird festgestellt (Bebauungsgenehmigung).
2. Der Standort des Vorhabens befindet sich im unbeplanten Innenbereich und ist als Innenbereichsvorhaben gem. § 34 BauGB grundsätzlich zulässig.
10 
3. Mit dem Vorhaben werden die Abstandsflächenvorschriften gem. §§ 5 und 6 LBO eingehalten.
11 
4. Zu den weiteren Fragen des Vorhabens wie beispielsweise vorbeugender Brandschutz, Nutzung und daraus resultierende Zahl der erforderlichen Stellplätze samt deren Nachweis, denkmalschutzrechtliche Belange sowie Nachweise über die Feuerwehrzufahrt und notwendigen Feuerwehraufstellflächen etc. wird mit diesem Bauvorbescheid keine Aussage getroffen.“
12 
Bestandteil des Bauvorbescheids seien die von der Beigeladenen eingereichten Bauvorlagen vom 29.02.2012 (Lageplan, Abstandsflächenplan, Grundrisspläne und Schnitte).
13 
Die Klägerinnen erhoben am 29.08.2012 Widerspruch. Der Bauvorbescheid sei zu ihren Lasten rechtswidrig. Das Vorhaben füge sich hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Weder hinsichtlich seiner Größe, der Gesamtlänge, der Breite und der Höhe sei es mit der vorhandenen Häuserstruktur in Einklang zu bringen. Gebäude in der Größe des geplanten Komplexes seien in der näheren Umgebung nicht vorhanden. Das geplante Vorhaben entfalte eine erdrückende Wirkung auf die Gebäude ... Straße 11 und 11a. Es stelle sich als Fremdkörper dar und führe im Hinterhof der Grundstücke der Klägerin zu 1 zu einer „Gefängnishofatmosphäre“. Das Wohngebäude ... Straße 11a würde über die gesamte Grundstückslänge hinweg vollständig eingemauert werden.
14 
Das Regierungspräsidium Tübingen wies die Widersprüche der Klägerinnen mit Widerspruchsbescheid vom 26.11.2012 zurück.
15 
Am 20.12.2012 haben die Klägerinnen Klagen beim Verwaltungsgericht Sigmaringen erhoben mit dem Antrag, den Bauvorbescheid der Beklagten vom 01.08.2012 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 26.11.2012 aufzuheben.
16 
In der mündlichen Verhandlung vom 26.03.2014 hat die Beigeladene zu Protokoll des Verwaltungsgerichts erklärt, auf die Nutzungsangabe „Gewerbe“ für das erste Obergeschoss und für das Erdgeschoss auf Nutzungen nach § 6 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO, mit Ausnahme von „Einzelhandelsbetriebe“, und nach § 6 Abs. 2 Nr. 6, 7, 8 und § 6 Abs. 3 BauNVO zu verzichten.
17 
Nach Einnahme eines Augenscheins hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 26.03.2014 die Klagen abgewiesen und die Berufung zugelassen. In den Entscheidungsgründen hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Bauvorbescheid sei rechtmäßig. Zwar seien die Bauvorlagen, die Bestandteil des Bauvorbescheids seien, fehlerhaft. Die Regelungen zu den Bauvorlagen seien jedoch lediglich formelle Ordnungsvorschriften ohne nachbarschützende Wirkung. Etwas anderes gelte nur, wenn wegen der Unvollständigkeit der Bauvorlagen andere nachbarschützende Vorschriften nicht geprüft oder deren Verletzung nicht zuverlässig ausgeschlossen werden könnten. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor. Eine Verletzung von Nachbarrechten ergebe sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Beklagte die zum Bestandteil des Bauvorbescheids gemachten Bauvorlagen mit dem Stempel „Genehmigt im Baugenehmigungsverfahren nach § 58 LBO, 1. Aug. 2012, Stadt Isny im Allgäu“ und mit dem Siegel der Stadt versehen habe. Die Klägerinnen könnten sich auch nicht auf einen möglichen Verstoß gegen die Vorschriften der Altstadtsatzung der Beklagten berufen. Deren Gestaltungsvorschriften seien nicht Gegenstand der Bauvoranfrage. Gleiches gelte für die geltend gemachte Beeinträchtigung der Denkmaleigenschaft des Gebäudes ... Straße 11.
18 
Das Bauvorhaben verstoße nicht gegen die von der Beklagten zu prüfenden bauplanungsrechtlichen Vorschriften, soweit diese zumindest auch dem Schutz der Klägerinnen dienten. Das Vorhaben verletze nicht einen sich aus dem Bebauungsplan „Altstadt Isny im Allgäu“ vom 10.10.1990 ergebenden Gebietserhaltungsanspruch der Klägerinnen. Der Bebauungsplan weise für die Grundstücke ein Mischgebiet nach § 6 BauNVO aus, mit dem die für das Bauvorhaben unter Berücksichtigung der Protokollerklärungen vorgesehen Nutzungen im Einklang stünden. Gleiches gelte bei einer Unwirksamkeit des Bebauungsplans, da das maßgebliche Quartier einem Mischgebiet entspreche. Im Übrigen sei das Vorhaben an § 34 Abs. 1 BauGB zu messen, da es insoweit an bauplanerischen Festsetzungen fehle. Maßstabsbildend für das Einfügen sei das Quartier zwischen ... Straße, ... Gasse, der Straße ..., ... Straße und ... Straße. Das sich aus § 34 Abs. 1 BauGB ergebende Gebot der Rücksichtnahme sei nicht verletzt. Das Vorhaben füge sich nach der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden solle, in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Hinsichtlich der überbauten Grundstücksfläche werde der im Quartier vorgegebene Rahmen durch die vollständig überbauten Grundstücke ... Straße 15, ... Straße 10 und ... Gasse 22 bestimmt. Gleiches gelte bezüglich der Bauweise. Während sich entlang der quartierbildenden Straßen durchgehend geschlossene Bebauung finde, gelte dies nicht für die rückwärtigen Grundstücksbereiche, auf denen zum Teil geschlossene und zum Teil offene Bauweise anzutreffen sei. Eine durch faktische Baugrenzen vorgegebene Bebauungstiefe sei nicht feststellbar. Hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung füge sich das Vorhaben zwar nur hinsichtlich der vorgesehenen Gebäudehöhen in die Eigenart der näheren Umgebung ein, nicht dagegen bezüglich seiner Länge, Breite und Kubatur. Hieraus ergebe sich jedoch kein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme zu Lasten der Klägerinnen. Das Vorhaben entfalte keine erdrückende Wirkung. Hierbei sei einzustellen, dass die von den Klägerinnen als belastend angeführte Gesamtlänge der Grenzwand des Vorhabens von 70 m nur auf ca. 32 m als zusätzliche Grenzbebauung in Erscheinung treten, weil die Beigeladene auf einer Länge von 38 m an die bereits vorhandene umfangreiche Grenzbebauung auf den Grundstücken der Klägerin zu 1 anbaue. Die Situation auf den bislang unbebauten Grundstücksbereichen würde gegenüber dem derzeitigen Zustand nicht unzumutbar verschlechtert. Dies gelte insbesondere unter Berücksichtigung der auf den Grundstücken der Klägerin zu 1 derzeit vorhandenen zusätzlichen Grenzmauern und dem Zustand im rückwärtigen Hofbereich des Grundstücks Flst.Nr. 27/2. Eine erdrückende Wirkung und der Eindruck des Eingemauertseins seien auch nicht deshalb festzustellen, weil die Grundstücke der Klägerin zu 1 im Nordosten und Nordwesten frei von Bebauung seien und die geplante Grenzwand im mittleren Bereich des Vorhabens eine Höhe von 4,6 bis 5,1 m und im rückwärtigen Bereich von 4,6 m nicht überschreite. Den Umstand, dass der geplante Neubau das Gebäude ... Straße 11a erheblich überrage und damit unter anderem die Vorteile der Nutzung des Freisitzes im Dachgeschoss und den Lichteinfall mindere, müssten die Klägerinnen hinnehmen. Sie würden dadurch nicht unzumutbar benachteiligt, weil der Beigeladenen im Austauschverhältnis nicht versagt werden könne, was die Klägerinnen mit ihrer Grenzbebauung für sich beansprucht hätten. Auch die planungsrechtliche Untätigkeit der Beklagten verletze keine Nachbarrechte der Klägerinnen und begründe insbesondere nicht die Rücksichtslosigkeit des Bauvorhabens. Ein Anspruch der Klägerinnen auf eine ihre Nutzungen schützende Überplanung des Innenbereichs des Quartiers bestehe nach dem Baugesetzbuch nicht. Der befürchtete Tiefgaragenlärm sei nicht rücksichtslos. Der Grundstücksnachbar habe die mit dem Betrieb der notwendigen Stellplätze üblicherweise verbundenen Immissionen grundsätzlich hinzunehmen. Zudem werde zwischen der geplanten Ein- und Ausfahrt der umfangreiche Neubau errichtet und die Entfernung zum Gebäude ... Straße 11a betrage ca. 30 m.
19 
Die Klägerinnen könnten sich auch nicht auf eine Verletzung des abstandsflächenrechtlichen Nachbarschutzes berufen, da mit dem Vorhaben gegenüber den Grundstücken der Klägerin zu 1 keine Abstandsflächen einzuhalten seien. Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO lägen vor. Denn nach § 34 Abs. 1 BauGB dürften in dem maßgeblichen Bereich Gebäude ohne Grenzabstände errichtet werden. Es sei auch öffentlich-rechtlich gesichert, dass auf dem Nachbargrundstück ebenfalls an die Grenze gebaut werde. Hierfür genüge der Umstand, dass auf den Grundstücken der Klägerin zu 1 mit den bereits errichteten Gebäuden ... Straße 11 und 11a jeweils ein Grenzbau vorhanden sei. Brandschutzrechtliche Bestimmungen seien nicht Gegenstand des Bauvorbescheides. Im Übrigen übersähen die Klägerinnen, dass wegen ihrer Grenzbauten bereits jetzt Rettungs- und Feuerwehreinsätze zwischen ihren Gebäuden nur über fremde Grundstücke oder durch die Gebäude erfolgen könnten. Das Urteil des Verwaltungsgerichts wurde den Klägerinnen am 14.08.2014 zugestellt.
20 
Am 11.09.2014 haben die Klägerinnen Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie im Wesentlichen ergänzend vorbringen: Der Bauvorbescheid sei bereits wegen der unvollständigen Bauvorlagen formell fehlerhaft. Hierdurch seien sie in nachbarschützenden Rechten verletzt, weil es ihnen nicht möglich gewesen sei, die Verletzung nachbarschützender Vorschriften konkret zu prüfen. Das Verwaltungsgericht habe auch zu Unrecht angenommen, dass der unrichtige Genehmigungsvermerk auf den Bauvorlagen nicht zur Unbestimmtheit des Bauvorbescheids führe.
21 
Der Bauvorbescheid sei jedenfalls zu ihren Lasten materiell baurechtswidrig. Er verstoße gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Das Verwaltungsgericht habe zutreffend festgestellt, dass das Vorhaben hinsichtlich seiner Länge, Breite und Höhe und Kubatur den durch die vorhandene Bebauung vergebenen Rahmen in erheblichem Maße sprenge. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts führe gerade die Grenzbebauung zu einer unzumutbaren Verschlechterung für die Grundstücke der Klägerin zu 1. Die vorhandene Grenzmauer sei mit dem geplanten Bauvorhaben nicht vergleichbar. Es werde nicht ausreichend berücksichtigt, dass sich das geplante Vorhaben wie ein Riegel durch das gesamte Quartier ziehen werde. Aufgrund des vorgesehenen Flachbaus im mittleren und vorderen Bereich wirke das Vorhaben umso erschlagender. Wegen seiner Höhe würden die bislang unbebauten Flächen an den Grundstücksgrenzen einen Sonneneinfall auf die Grundstücke der Klägerin zu 1 bzw. auf die dortigen Gebäude nahezu ausschließen. Die Luftzufuhr bzw. Luftzirkulation werde erheblich eingeschränkt. Darüber hinaus ergäbe sich eine massive Verengung des bislang weitestgehend offenen Hofbereichs, was die erdrückende Wirkung erheblich verstärke. Die bisherige Möglichkeit des Rundumblicks im Hofraum werde ausgeschlossen. Besonders einschneidend stellten sich die negativen Auswirkungen im Bereich der Dachterrasse des Gebäudes ... Straße 11a dar. Deren Nutzungsmöglichkeiten würden aufgrund des unmittelbaren Anbaus unzumutbar eingeschränkt. Die Begründung des Verwaltungsgerichts, wonach der Beigeladenen im Austauschverhältnis nicht versagt werden könne, was die Klägerinnen mit ihrer Grenzbebauung für sich beansprucht hätten, verfange insoweit nicht, als die vorhandene Grenzbebauung 38 m lang und maximal 3 m hoch sei. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts füge sich das Vorhaben auch hinsichtlich seiner Bauweise nicht in die Umgebungsbebauung ein. In den hofseitigen Bereichen des maßgeblichen Quartiers sei die offene Bauweise klar vorherrschend und gebe dem Quartier sein Gepräge. Sinn und Zweck der offenen Bauweise innerhalb der Hofbereiche sei es gerade, die hofseitigen Grundstücke und Gebäude ausreichend mit Licht und Frischluft zu versorgen.
22 
Das Vorhaben sei auch mit dem Vorschriften über Abstandsflächen nicht vereinbar. Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO lägen bereits deshalb nicht vor, da in den Hofbereichen des Quartiers keine geschlossene Bauweise zulässig sei. Selbst wenn dem nicht gefolgt werde, seien Abstandsflächen einzuhalten, da die Vorschrift eine deckungsgleiche Bebauung erfordere. Im Rahmen der Bestimmung dessen, was als Grenzbebauung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO zulässig sei, müssten auch die Wertungen des Einfügungsgebots nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB einfließen. Anderenfalls wäre es möglich, dass der Landesgesetzgeber durch das Bauordnungsrecht die Vorschriften des Bauplanungsrechts umgehe. Berücksichtige man das Einfügungsgebot müsse sich das Vorhaben insbesondere nach dem Maß der baulichen Nutzung an die schon bestehenden Grenzbauten anpassen, um sich in die Eigenart der näheren Umgebung einzufügen. Diese Auslegung widerspreche nicht dem Willen des Landesgesetzgebers, was durch die Begründung zur Novellierung der LBO vom 08.08.1995 verdeutlicht werde. Der Gesetzgeber habe die Konstellation eines überplanten Bereichs nach § 30 Abs. 1 BauGB vor Augen gehabt. Im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB sei gerade kein gemeindlicher Planungswille vorhanden. Insofern werde der Wille des Plangebers durch die Verhältnisse ersetzt, welche den maßgeblichen Bereich prägten. Der Einwand, dass der „Erstbauende“ durch seine Bautätigkeit gegebenenfalls die Bebauungsmöglichkeiten des später Bauenden einschränke, müsse für den Innenbereich insoweit hingenommen werden.
23 
Die Klägerinnen beantragen,
24 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 26.03.2014 - 4 K 4392/14 - zu ändern und den Bauvorbescheid der Beklagten vom 01.08.2012 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 26.11.2012 aufzuheben, soweit diese nicht durch den von der Beigeladenen erklärten Teilverzicht unwirksam geworden sind;
25 
die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären
26 
Die Beklagte beantragt,
27 
die Berufung zurückzuweisen.
28 
Sie verteidigt im Einzelnen die Ausführungen im angefochten Urteil.
29 
Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
30 
die Berufung zurückzuweisen.
31 
Die Klägerinnen könnten sich nicht auf die Unvollständigkeit der Bauvorlagen berufen. Wie der Verlauf des Verwaltungsverfahrens sowie des gerichtlichen Verfahrens gezeigt habe, seien die Klägerinnen sehr wohl in der Lage gewesen, aufgrund der aktenkundigen Bauvorlagen, die bei diesem Bauvorhaben in Frage kommenden nachbarschützenden Aspekte vorzutragen und geltend zu machen. Aus dem eigenen Vorbringen ergebe sich danach, dass die Bauvorlagen jedenfalls im Hinblick auf die Prüfung etwaiger Verletzungen nachbarschützender Vorschriften insoweit ausreichend gewesen seien. Das Bauvorhaben füge sich sowohl nach Art der baulichen Nutzung, seiner Bauweise, der überbaubaren Grundstücksfläche und der Höhe der Bebauung in den Rahmen des Vorhandenen ein. Schon aus diesem Grunde könne daher von einer erdrückenden Wirkung nicht ausgegangen werden. Eine Abstandsfläche sei nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO nicht einzuhalten. Die Vorschrift verlange keine deckungsgleiche bzw. nahezu deckungsgleiche Anbausicherung. Es befinde sich auf den Grundstücken der Klägerinnen bereits eine Grenzbebauung von 38 m Länge, also über die Hälfte der nunmehr beabsichtigten Bebauung. Aufgrund des Zuschnittes der Grundstücke der Klägerin zu 1 sei dort jede weitere Bebauung mit Abstandsflächen ausgeschlossen, so dass jede neue Bebauung zwingend ebenfalls in geschlossener Bauweise auszuführen sei. Die Klägerinnen könnten dann die vorhandene Bebauung auf dem Grundstück der Beigeladenen aufnehmen.
32 
Die Beigeladene hat in der Berufungsverhandlung klargestellt, dass ihre Erklärung in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Sigmaringen über den Verzicht auf bestimmte im Bauvorbescheid genannte Nutzungen als Teilverzicht auf den Bauvorbescheid zu verstehen ist. Die Beteiligten haben daraufhin übereinstimmend den Rechtsstreit insoweit für in der Hauptsache erledigt erklärt.
33 
Der Senat hat in der Berufungsverhandlung das Baugrundstück und seine nähere Umgebung in Augenschein genommen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage zur Niederschrift verwiesen.
34 
Dem Senat liegen die Bauakten der Beklagten, die Widerspruchsakten des Regierungspräsidiums Tübingen, die Bebauungspläne „Altstadt Isny im Allgäu“, „Quartier IV/23 Wassertorstraße/Hofweg“ sowie „Wassertorstraße/Strauss“, und insgesamt 14 Bauakten zu früheren Bauvorhaben auf den Grundstücken der Klägerinnen und der Nachbargrundstücke sowie die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vor. Hierauf und auf die beim Senat angefallenen Gerichtsakten wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
I.
35 
Soweit die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von §§ 125 Abs. 1 i.V.m. 92 Abs. 3 VwGO einzustellen und das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 26.03.2014 insoweit für unwirksam zu erklären (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO analog).
II.
36 
Im Übrigen ist die nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthafte Berufung auch sonst zulässig.
III.
37 
Die Berufung ist im Übrigen auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Denn der angefochtene Bauvorbescheid der Beklagten vom 01.08.2012 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 26.11.2012 sind auch in der Gestalt, die sie durch die Teilverzichtserklärung der Beigeladenen gefunden haben, rechtswidrig und verletzen die Klägerinnen in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Bauvorbescheid verstößt gegen von der Baurechtsbehörde zu prüfende öffentlich-rechtliche Vorschriften, die zumindest auch dem Schutz der Klägerinnen zu dienen bestimmt sind. Das Bauvorhaben hält die nach § 5 Abs. 1 Satz 1 LBO erforderlichen Abstandsflächen gegenüber den Grundstücken der Klägerin zu 1 nicht ein (1.) und verstößt gegen das Gebot der Rücksichtnahme nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB (2.). Ob der Bauvorbescheid auch im Übrigen Rechte der Klägerinnen verletzt, kann folglich dahinstehen.
38 
1. Der Bauvorbescheid in der Gestalt, die er durch den Teilverzicht der Beigeladenen gefunden hat, verstößt, soweit er die Vereinbarkeit des Vorhabens mit §§ 5, 6 LBO feststellt (Nr. 3), zu Lasten der Klägerinnen gegen die nachbarschützende Vorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 1 LBO. Danach müssen vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen liegen, die von oberirdischen Anlagen freizuhalten sind und die nach § 5 Abs. 2 Satz 1 LBO auf dem Baugrundstück selbst liegen müssen. Dieser Bestimmung widerspricht der angefochtene Bauvorbescheid insoweit, als das Gebäude unmittelbar an den gemeinsamen Grundstücksgrenzen zu den Grundstücken der Klägerin zu 1, d.h. ohne Einhaltung von Abstandsflächen, errichtet werden soll.
39 
a) Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts Sigmaringen sind die Voraussetzungen für eine Grenzbebauung ohne Abstandsflächen nach § 5 Abs. 2 Satz 2 LBO nicht gegeben.
40 
Nach dieser Vorschrift ist eine Abstandsfläche nicht erforderlich vor Außenwänden an Grundstücksgrenzen, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss (Nr. 1) oder an die Grenze gebaut werden darf und öffentlich-rechtlich gesichert ist, dass auf dem Nachbargrundstück ebenfalls an die Grenze gebaut wird (Nr. 2.). Beides trifft hier nicht zu.
41 
aa) Nach planungsrechtlichen Vorschriften ist die geplante Grenzbebauung nicht zwingend geboten, aber i. S. des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO zulässig.
42 
Da für das Baugrundstück und seine nähere Umgebung keine die Bauweise betreffenden Festsetzungen eines Bebauungsplans bestehen - der Bebauungsplan „Altstadt Isny im Allgäu“ vom 10.10.1990 enthält lediglich Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung - und das Vorhaben innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles geplant ist, richtet sich die planungsrechtliche Zulässigkeit einer Grenzbebauung nach § 30 Abs. 3 BauGB i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB.
43 
Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB muss ein Gebäude dann an die Grundstücksgrenze gebaut werden, wenn die Eigenart der näheren Umgebung durch eine geschlossene Bauweise entsprechend § 22 Abs. 3 BauNVO oder eine abweichende, d.h. halboffene Bauweise entsprechend § 22 Abs. 4 BauNVO geprägt wird, die zu einer Grenzbebauung zwingt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13.02.1998 - 5 S 3202/96 - BRS 60 Nr. 86, juris Rn. 24). Ist in einem unbeplanten Gebiet teils offene bzw. halboffene und teils geschlossene Bauweise vorzufinden, besteht kein Zwang zu einer Grenzbebauung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.03.1994 - 4 B 53.94 - ZfBR 1994, 192, juris Rn. 4).
44 
Danach verlangt die in der näheren Umgebung des Baugrundstücks vorhandene Bebauung nicht zwingend die Errichtung der geplanten Grenzbebauung, sie lässt eine solche jedoch zu.
45 
Maßstabsbildend für das Einfügen im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist die Umgebung, insoweit sich die Ausführung eines Vorhabens auf sie auswirken kann und insoweit, als sie ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst (stRspr BVerwG, u.a. Urteile vom 26.05.1978 - 4 C 9.77 - BVerwGE 55, 369, 380, und vom 05.12.2013 - 4 C 5.12 - NVwZ 2014, 370).
46 
Nach den Darstellungen des im verwaltungsgerichtlichen Urteil abgebildeten Lageplanausschnitts, deren Richtigkeit sich nach dem vom Senat eingenommen Augenschein bestätigt hat, wird die hinsichtlich der Bauweise nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB maßgebliche nähere Umgebung durch das Straßengeviert... Straße, ... Gasse, ..., ... Straße und ... Straße gebildet. Die Hauptgebäude sind hier fast durchgängig entlang der jeweiligen Straßenbegrenzungslinien und in geschlossener Bauweise im Sinne einer Blockrandbebauung errichtet. Dagegen befinden sich hinter den jeweiligen Hauptgebäuden im Innern des Straßengevierts auf den Grundstücken teilweise unbebaute Freiflächen, wie etwa auf den Grundstücken Flst.Nrn. 27/2, 30, 29/1 und 28, als auch Gebäude, die zu den Nachbargrundstücken in geschlossener Bauweise, wie das Grundstück Flst.Nr. 30/2, oder auch in halboffener Bauweise errichtet sind. Das Gebäude auf dem Grundstück Flst.Nr. 33/1 ist nur einseitig grenzständig an das Gebäude ...-Straße 11a der Klägerin zu 1 angebaut. Auch das der Beigeladenen gehörende Gebäude ... Straße 7 ist selbst lediglich im vorderen Grundstücksbereich zur ... Straße hin in geschlossener Bauweise errichtet. Im hinteren Bereich, d.h. dort, wo der 1973 genehmigte Anbau errichtet wurde, setzt sich die Grenzbebauung nur zum Grundstück Flst.Nr. 27/2 fort, dagegen werden gegenüber dem westlich anschließenden Grundstück Flst.Nr. 20 teilweise Abstandsflächen eingehalten. Im Inneren des Straßengevierts ist danach weder eine einheitliche geschlossene noch eine einheitliche halboffene Bauweise vorzufinden. Da das Bauvorhaben der Beigeladenen auch auf Grundstücken bzw. Grundstücksbereichen im Inneren des Straßengevierts errichtet werden soll, sind die beschriebenen unterschiedlichen Bauweisen insgesamt Maßstab für eine Grenzbebauung. Folglich besteht für das streitige Vorhaben kein Zwang zur Errichtung an der Grenze. Vielmehr darf i. S. des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grundstücksgrenze gebaut werden. Hiervon ist auch das Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil zutreffend ausgegangen.
47 
bb) Der Zulässigkeit des Vorhabens ohne Abstandsflächen nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO steht jedoch entgegen, dass nicht i. S. dieser Vorschrift öffentlich-rechtlich gesichert ist, dass auf dem Nachbargrundstück ebenfalls an die Grenze gebaut wird.
48 
aaa) Nachbargrundstück i. S. des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO sind hier die beiden Grundstücke Flst.Nrn. 30 und 30/2 der Klägerin zu 1. Die Landesbauordnung verwendet zwar den Begriff des Grundstücks regelmäßig im Sinne von Buchgrundstück (vgl. § 4 Abs. 1 LBO), so dass danach die Grenzbebauung jeweils zu den Grundstücken Flst.Nrn. 30 und 30/2 isoliert zu betrachten wäre. Die Regelung des § 4 Abs. 2 LBO zeigt jedoch, dass der Buchgrundstücksbegriff nicht ausnahmslos gilt. Vielmehr kann ein Nachbargrundstück im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO auch ein aus mehreren Buchgrundstücken bestehendes benachbartes Baugrundstück sein (vgl. Beschluss des Senats vom 06.06.2008 - 8 S 18/07 - VBlBW 2008, 483, juris Rn. 37). Danach sind die beiden Buchgrundstücke der Klägerin zu 1 als ein Nachbargrundstück anzusehen. Denn beide Grundstücke sind vor wenigen Jahren durch Teilung aus dem Buchgrundstück Flst.Nr. 30 hervorgegangen und die Freifläche zwischen den Gebäuden auf beiden Grundstücken wird als ein gemeinsamer Garten genutzt.
49 
bbb) Es ist nicht i. S. des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO öffentlich-rechtlich gesichert, dass auf den Grundstücken Flst.Nrn. 30 und 30/2 der Klägerin zu 1 ebenfalls an die Grenze gebaut wird.
50 
(1) Das Tatbestandsmerkmal der öffentlich-rechtlichen Sicherung im Sinne dieser Vorschrift ist in der Regel nur erfüllt, wenn zulasten der von der Grenzbebauung betroffenen Grundstücke eine entsprechende Baulast nach § 71 LBO übernommen wird.
51 
Eine solche Baulast hat die Klägerin zu 1 unstreitig nicht übernommen.
52 
(2) Die öffentlich-rechtliche Sicherung ist darüber hinaus ausnahmsweise auch dann gewährleistet, wenn auf dem Nachbargrundstück bereits ein Gebäude, von dessen Fortbestand ausgegangen werden kann, an der Grenze vorhanden ist, an das angebaut werden soll, und der geplante Grenzbau noch in einer hinreichenden Beziehung zu dem vorhandenen Gebäude steht (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.01.1996 - 5 S 2766/95 - juris; Beschlüsse vom 12.09.1996 - 5 S 2232/96 - VBlBW 1997, 221, vom 10.03.1999 - 3 S 332/99 - juris und vom 03.11.2014 - 3 S 1368/14 - juris; Busch in: Das Neue Baurecht in Baden-Württemberg, Stand November 2014, § 5 Rn. 39). Denn in einem solchem Fall würde es sich bei der Forderung nach Eintragung einer Baulast um eine bloße Förmelei handeln. Die Wirkungen eines bereits vorhandenen Gebäudes auf dem Nachbargrundstück auf dessen Schutzwürdigkeit nach § 5 LBO können jedoch nicht weiter reichen, als die einer entsprechenden Baulast. Eine auf dem Nachbargrundstück vorhandene Grenzbebauung kann die von § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO geforderte öffentlich-rechtliche Sicherung daher nur in ihrem Umfeld ersetzen. Das an der Grenze geplante Bauvorhaben und das auf dem Nachbargrundstück bereits errichtete Grenzgebäude müssen zueinander in einer gewissen Beziehung stehen und beide Gebäude müssen sich in einem Maße überdecken, dass als Ergebnis einer beiderseitigen Grenzbebauung noch der Eindruck einer geschlossenen Bauweise vermittelt wird; nicht ausreichend ist, dass irgendwo an der gemeinsamen Grundstücksgrenze ein Grenzbau errichtet ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 03.11.2014 - 3 S 1368/14 - NVwZ-RR 2015, 288). Eine andere Auslegung ist mit dem Zweck des § 5 Abs. 1 Satz 2 LBO nicht vereinbar, auch wenn die Entstehungsgeschichte der Norm dies nahelegen mag.
53 
Zweck dieser Vorschrift ist es, den Regelungen des Bauplanungsrechts, die gegebenenfalls eine Bebauung ohne Abstand der Gebäude voneinander vorsehen, auch im Bauordnungsrecht Geltung zu verschaffen (vgl. Sauter, Landesbauordnung für Baden-Württemberg, 3. Aufl., Stand: März 2010, Band 1, § 5 Rn. 9 und 35 ). Durch diese Regelung soll eine nur einseitige Grenzbebauung verhindert werden, die sich ergeben könnte, wenn das Bauplanungsrecht ein Bauvorhaben an der Grenze gestattet, ohne zugleich zwingend für das Nachbargrundstück eine entsprechende Bebauung vorzuschreiben (vgl. VG Freiburg, Beschluss vom 06.07.2010 - 4 K 952/10 - juris Rn. 3).
54 
Die genannten Voraussetzungen für die ausnahmsweise anzunehmende öffentlich-rechtliche Sicherung durch einen vorhandenen Grenzbau galten nach der Rechtsprechung der mit Bausachen befassten Senate bereits zu der Vorgängerregelung des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO a.F. (vgl. z.B. Beschluss vom 15.09.1993 - 3 S 1670/93 - juris Rn. 5). Allein die Ersetzung des Wortes „angebaut“ durch „an die Grenze gebaut“ in der seit dem 01.01.1996 geltenden Neuregelung führt entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts und der Beigeladenen nicht dazu, dass nunmehr auf die Notwendigkeit einer hinreichenden Beziehung zwischen dem vorhandenen und dem geplanten Grenzbau verzichtet werden kann. Nach der Gesetzesbegründung (LT-Drs. 11/5337 S. 80) war mit der Neuregelung zwar die Vorstellung verbunden, es müsse nunmehr dem „Zweitbauenden“ grundsätzlich möglich sein, ohne Anknüpfung an die bestehende Bebauung die planungsrechtlich zulässige Bebauungstiefe auszuschöpfen. Diese Vorstellung hat jedoch in Wortlaut und Systematik des Gesetzes keinen hinreichenden Niederschlag gefunden (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 03.11.2014 - 3 S 1368/14 - juris Rn. 23; VG Freiburg, Beschluss vom 06.07.2010 - 4 K 952/10 - juris Rn. 8). Zudem dient die Einhaltung von Abstandsflächen gerade der Sicherstellung der ausreichenden Belüftung und Beleuchtung der Gebäude und der unbebauten Grundstücksteile (vgl. Sauter a.a.O., § 5 Rn. 3). Hierauf wird in den Fällen des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO verzichtet, weil der Landesgesetzgeber auch hier dem Planungsrecht den Vorrang einräumt, obwohl er dazu in Gebieten, in denen planungsrechtliche Vorschriften nicht zwingend eine geschlossene Bauweise verlangen, nicht verpflichtet wäre (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.03.1994 - 4 B 53.94 - juris Rn. 4). Ein solcher Verzicht begründet indes - wegen der ähnlichen Interessenlage wie bei einer Doppelhausbebauung (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.02.2000 - 4 C 12.98 - BVerwGE 110, 355, 359) -ein gegenseitiges nachbarschaftliches Austauschverhältnis, das eine Grenzbebauung verlangt, aufgrund derer die Gebäude noch in einer gewissen Beziehung zueinander stehen und sich in relevanter Weise überdecken.
55 
Danach vermag die bereits vorhandene Grenzbebauung auf den Nachbargrundstücken der Klägerin zu 1 die von § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO geforderte öffentlich-rechtliche Sicherung für die Errichtung des Bauvorhabens der Beigeladenen entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze nicht ersetzen. Das geplante Bauvorhaben steht zu der vorhandenen Grenzbebauung nicht mehr in einer gewissen Beziehung und die Gebäude überdecken sich nicht in einem Maße, dass noch der Eindruck der geschlossenen Bauweise vermittelt wird. Dafür ist zwar nicht erforderlich, dass die geplante Grenzbebauung und die vorhandene Grenzbebauung in Höhe und Tiefe der Baukörper weitestgehend deckungsgleich sind (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.02.2007 - 5 S 2826/06 - juris Rn. 11). Ab welcher Abweichung der Eindruck der geschlossenen Bauweise nicht mehr besteht, ist jedoch eine Frage des Einzelfalls. So hat der 5. Senat des erkennenden Gerichtshof im Beschluss vom 12.09.1996 - 5 S 2232/96 - juris Rn. 5, auf den spätere Entscheidungen (vgl. Beschluss vom 10.01.2006 - 5 S 2335/05 - juris Rn. 6) Bezug nehmen, eine Abweichung von zwei Metern in der Tiefe und zwei bis drei Metern in der Höhe für zulässig erachtet. Entgegen der Ansicht der Beigeladenen verlangt danach auch der 5. Senat gerade eine weitgehende Deckungsgleichheit. Die genannten Maße überschreitet der vorgesehene Grenzbau deutlich. Die Grenzbebauung auf dem Flst.Nr. 30 ist ca. 25 m lang, die Grenzbebauung auf dem Flst.Nr. 30/2 beträgt ca. 13,5 m. Demgegenüber soll das Bauvorhaben entlang der gesamten Grundstücksgrenze beider Buchgrundstücke über eine Länge von ca. 70 m an der Grenze errichtet werden. Der Eindruck einer geschlossenen Bauweise wird so nicht mehr vermittelt. Auf den Einwand der Beigeladenen, wonach auch die Klägerin zu 1 bei einer künftigen Bebauung der Grundstücke von der geplanten Grenzbebauung profitieren könnte, kommt es in dem Zusammenhang nicht an. Gleiches gilt für den Hinweis der Beigeladenen, wonach die Klägerin zu 1 ihre Grundstücke überhaupt nur mit Grenzbauten bebauen könne, da wegen der Größe der Grundstücke Abstandsflächen nicht eingehalten werden könnten. Im Übrigen ist die Klägerin zu 1 etwa nach einem Untergang eines Gebäudes nicht gezwungen, überhaupt wieder ein Gebäude zu errichten. Weiter ist denkbar, dass sie bislang unbebaute Nachbargrundstücke erwirbt und so Abstandsflächen bei einer künftigen Bebauung eingehalten werden können.
56 
b) Auch die Zulassung einer geringeren Tiefe der Abstandsfläche in einem Sonderfall nach § 6 Abs. 3 Satz 1 LBO scheidet aus.
57 
Der Anspruch des Bauherrn auf Zulassung einer geringeren Tiefe der Abstandsfläche ist vom Gericht im Rahmen der Nachbarklage zugunsten des Bauherrn zu berücksichtigen, auch wenn eine Entscheidung der Baurechtsbehörde hierüber nicht vorliegt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.01.1996 - 5 S 2766/95 - juris Rn. 24). Die gesetzlichen Voraussetzungen dafür sind jedoch nicht erfüllt. Ein Sonderfall nach § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 oder 3 LBO scheidet offensichtlich aus und ein Sonderfall nach § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 LBO liegt ebenfalls nicht vor.
58 
Nach § 6 Abs. 3 Satz 1 LBO ist eine geringere Tiefe der Abstandsfläche zuzulassen, wenn Beleuchtung mit Tageslicht sowie Belüftung in ausreichendem Maße gewährleistet bleiben, Gründe des Brandschutzes nicht entgegenstehen und nachbarliche Belange nicht erheblich beeinträchtigt werden. Nach der Rechtsprechung aller mit Baurechtssachen befassten Senate des erkennenden Gerichtshofs liegt eine erhebliche Beeinträchtigung nachbarlicher Belange regelmäßig vor, wenn die nachbarschützende Abstandsflächentiefe (vgl. § 5 Abs. 7 LBO) unterschritten wird, gleichgültig, ob die Unterschreitung gravierend oder geringfügig ist. Nachbarliche Belange sind in einem solchen Fall nur dann nicht erheblich beeinträchtigt, wenn die vorhandene Situation auf dem Nachbargrundstück durch bauordnungsrechtlich relevante, tatsächliche oder rechtliche Besonderheiten gekennzeichnet ist, die das Interesse des Nachbarn an der Einhaltung des nachbarschützenden Teils der Abstandstiefe deutlich mindern oder als weniger schutzwürdig erscheinen lassen (vgl. Senatsbeschluss vom 27.11.2013 - 8 S 1813/13 - BauR 2014, 533 m.w.N.). Solche Besonderheiten sind vorliegend in Bezug auf die Grundstücke der Klägerin zu 1 nicht gegeben. Diese Grundstücke sind insbesondere auch nicht aufgrund der an der Grenze zum Flst.Nr. 33/1 errichten Grenzmauer weniger schutzwürdig. Dies ergibt sich bereits aus den völlig untergeordneten Ausmaßen der Mauer, die mit ca. 1,50 m Höhe deutlich hinter der vorgesehen Grenzbebauung zurücktritt und auch nur wenige Meter lang ist.
59 
2. Der Bauvorbescheid in der Gestalt, die er durch den Teilverzicht der Beigeladenen gefunden hat, verstößt ferner, soweit er die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens feststellt (Nr. 1 und 2), gegen das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Denn das Vorhaben fügt sich nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht in Eigenart der näheren Umgebung ein und beeinträchtigt dadurch die Nutzung der Nachbargrundstücke der Klägerin zu 1 und demzufolge auch das an diesen Grundstücken bestehende Nießbrauchsrecht der Klägerin zu 2 rücksichtslos.
60 
a) § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB verleiht dem Nachbarn einen Abwehranspruch, wenn die angefochtene Baugenehmigung oder ein planungsrechtlicher Vorbescheid das im Tatbestandsmerkmal des Einfügens enthaltene Gebot der Rücksichtnahme verletzt (st. Rspr. BVerwG, u.a. Urteil vom 13.03.1981 - 4 C 1.78 - BRS 38 Nr. 186). Nachbar im Sinne des Bodenrechts ist dabei nicht nur der jeweilige zivilrechtliche Eigentümer eines Grundstücks sondern auch - wie die Klägerin zu 2 - ein sonst in eigentumsähnlicher Weise an einem Grundstück dinglich Berechtigter, zu denen auch der Nießbraucher zählt. Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme setzt dabei einen Verstoß gegen das objektive Recht voraus, der vorliegen kann, wenn ein Vorhaben zwar in jeder Hinsicht den aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmen wahrt, sich aber gleichwohl in seine Umgebung nicht einfügt, weil das Vorhaben es an der gebotenen Rücksicht auf die sonstige, also vor allem auf die in seiner unmittelbaren Nähe vorhandene Bebauung fehlen lässt (BVerwG, Urteil vom 26.05.1978 - 4 C 9.77 - BVerwGE 55, 369 <385 f.>). Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot kann auch vorliegen, wenn sich ein Vorhaben objektiv-rechtlich nach seinem Maß der baulichen Nutzung, seiner Bauweise oder seiner überbauten Grundstücksfläche nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt (BVerwG, Beschluss vom 11.01.1999 - 4 B 128.98 - NVwZ 1999, 879). Drittschutz wird gewährt, wenn in qualifizierter und individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (BVerwG, Urteil vom 13.03.1981, a.a.O). Es kommt darauf an, dass sich aus den individualisierenden Tatbestandsmerkmalen der Norm ein Personenkreis entnehmen lässt, der sich von der Allgemeinheit unterscheidet (BVerwG, Urteil vom 05.12.2013 - 4 C 5.12 - BVerwGE 148, 290 m.w.N.). Das Gebot der Rücksichtnahme hebt insoweit auf die gegenseitige Verflechtung der baulichen Situation unmittelbar benachbarter Grundstücke ab und nimmt das nachbarliche Austauschverhältnis in den Blick (BVerwG, Urteile vom 16.09.2010 - 4 C 7/10 - NVwZ 2011, 436, und vom 05.12.2013 - 4 C 5/12 - BVerwGE 148, 290, 295).
61 
Nach diesen Grundsätzen ist das Bauvorhaben der Beigeladenen hinsichtlich seines Maßes der baulichen Nutzung gegenüber den Grundstücken der Klägerin zu 1 rücksichtslos. Da der Bebauungsplan „Alstadt Isny im Allgäu“ vom 10.10.1990 nur Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung enthält, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens im Übrigen, d.h. auch hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung, gemäß § 30 Abs. 3 BauGB nach § 34 Abs. 1 BauGB. Maßgebend für das Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB nach dem Maß der baulichen Nutzung ist die von außen wahrnehmbare Erscheinung des Gebäudes im Verhältnis zu seiner Umgebungsbebauung. Vorrangig ist auf diejenigen Maßkriterien abzustellen, in denen die prägende Wirkung besonders zum Ausdruck kommt, wie die flächenmäßige Ausdehnung, die Geschosszahl und Höhe der den Rahmen bildenden Gebäude (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.03.1994 - 4 C 18.92 - BVerwGE 95, 277, 279, 282; Beschluss vom 03.04.2014 - 4 B 12.14 -juris Rn. 3). In der maßgeblichen Umgebungsbebauung, die wiederum durch das bereits beschriebene Straßengeviert gekennzeichnet wird, ist kein Baukörper vorhanden, der hinsichtlich seiner flächenmäßigen Ausdehnung mit dem Bauvorhaben vergleichbar ist. Das bislang größte Einzelgebäude in der maßgeblichen Umgebung ist das Gebäude ... Straße 7. Dessen Grundfläche wird durch das Bauvorhaben hinsichtlich Bebauungstiefe, Breite und Kubatur deutlich überschritten.
62 
Auf die von der Beigeladenen bei der Einnahme des Augenscheins verwiesenen Gebäude ... Straße 6 und ... Straße 43, die in Bezug auf das Maß der baulichen Nutzung mit dem Bauvorhaben vergleichbar seien, kommt es dagegen nicht an. Diese Grundstücke liegen außerhalb der für die Beurteilung des Einfügens maßgeblichen Umgebungsbebauung. Der Rahmen für die maßgebliche Umgebungsbebauung wird durch das bereits an anderer Stelle beschriebene Straßengeviert begrenzt, in dem die genannten Grundstücke nicht liegen. Auf diese Bereiche wirkt sich die Ausführung des Bauvorhabens der Beigeladenen weder aus, noch prägen oder beeinflussen diese Grundstücke ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks in Bezug auf das Maß der baulichen Nutzung.
63 
Die danach vorliegende Rahmenüberschreitung hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung lässt die gebotene Rücksichtnahme gerade in Bezug auf die unmittelbar benachbarte Bebauung auf den Grundstücken der Klägerin zu 1 vermissen. Das Gesamtvolumen und die Gliederung des Baukörpers führen zu einer rücksichtslosen optisch erdrückenden Wirkung des Bauvorhabens insbesondere auf das Wohnhaus ... Straße 11a.
64 
Eine rücksichtslose erdrückende Wirkung nimmt die Rechtsprechung an, wenn eine bauliche Anlage wegen ihrer Ausmaße, ihrer Baumasse oder ihrer massiven Gestaltung ein benachbartes Grundstück unangemessen benachteiligt, indem es diesem förmlich "die Luft nimmt", wenn für den Nachbarn das Gefühl des "Eingemauertseins" entsteht oder wenn die Größe des "erdrückenden" Gebäudes auf Grund der Besonderheiten des Einzelfalls - und gegebenenfalls trotz Wahrung der erforderlichen Abstandflächen - derartig übermächtig ist, dass das "erdrückte" Gebäude oder Grundstück nur noch oder überwiegend wie eine von einem "herrschenden" Gebäude dominierte Fläche ohne eigene baurechtliche Charakteristik wahrgenommen wird (vgl. BVerwG, Urteile vom 13.08.1981 - 4 C 1.78 - BauR 1981, 354 und vom 23.05.1986 - 4 C 34.85 - BauR 1986, 542; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.08.2005 - 10 A 3138/02 -, juris Rn. 50, Beschlüsse vom 13.01.2006 - 10 B 971/05 -, juris Rn 5, und vom 18.02.2014 - 7 B 1416/13 - juris Rn. 5; Bay. VGH, Beschluss vom 29.07.2014 - 9 CS 14.709 - juris Rn. 19). Eine erdrückende Wirkung liegt danach nicht schon dann vor, wenn die bisherigen Verhältnisse durch eine bauliche Verdichtung geändert werden. Vielmehr muss von dem Vorhaben aufgrund der Massivität und Lage eine qualifizierte handgreifliche Störung auf das Nachbargrundstück ausgehen (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 19.03.2015 - 1 B 19/15 - juris Rn. 26).
65 
Gemessen hieran erweist sich das Bauvorhaben der Beigeladenen gegenüber den benachbarten Anwesen der Klägerin zu 1 als rücksichtslos. Der Augenschein des Senats hat gezeigt, dass sich zwischen den Gebäuden ...-Straße 11 und 11a eine als Garten genutzte Freifläche der beiden Wohnhausgrundstücke befindet. In dem Bereich befindet sich auch auf den Nachbargrundstücken keine Bebauung. Bei einer Verwirklichung des Vorhabens entstünde gerade hier eine Grenzbebauung, die, trotz der Gliederung des Baukörpers mit zurückspringenden Obergeschossen, insgesamt den Eindruck einer geschlossenen massiven Riegelbebauung vermittelt, die den Grundstücken der Klägerin zu 1 gleichsam „die Luft zum Atmen nimmt“. War die bisherige Bebauung von einer fast deckungsgleichen Grenzbebauung auf den Grundstücken Flst.Nrn. 27/2 und 30/2 geprägt, wird nunmehr entlang der gesamten Grundstückslängen ein in seinen Ausmaßen enorm kompakter Baukörper errichtet. Die Grenzbebauung zwischen den Gebäuden ... Straße 11 und 11a beträgt 22 m, die Höhe der Bebauung an der Grenze beträgt 4,6 bis 5,1 Meter. Gegenüber dieser Grenzbebauung tritt die vorhandene Grenzmauer in ihren Ausmaßen von nur 1,5 m deutlich zurück. Hinzu kommt die Höhendisparität zwischen dem rückwärtigen Querbau und dem Wohnhaus ... Straße 11a. Schließlich führt die Grenzbebauung auch zu einer massiven Verschattung des bisher als Garten genutzten Freiraumes zwischen den Gebäuden ... Straße 11 und 11a, die den Klägerinnen nicht zumutbar ist, zumal da die Grenzbebauung nicht nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO zulässig ist.
66 
Die Klägerinnen sind hinsichtlich der grenzständigen Bebauung an den gemeinsamen Grundstücksgrenzen auch schutzbedürftig, da sie angesichts der in dem maßgeblichen Grundstücksbereich bislang prägend vorgegebenen Bauweise auch nicht damit rechnen mussten, dass entlang der gesamten Grundstücksgrenzen ein durchgängiges grenzständiges Gebäude errichtet wird.
67 
Zudem ermöglichen sowohl die vorgesehene 157,86 qm große Terrasse im zweiten Obergeschoss als auch die geplante 267,05 qm große Terrasse im dritten Obergeschoss im mittleren Bereich des Gebäudes Einblicke auf die Grundstücke der Klägerin zu 1, die das Maß dessen deutlich übersteigen, was Grundstückseigentümern auch im bebauten innerörtlichen Bereich regelmäßig zugemutet werden kann (vgl. hierzu OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.09.2014 - 7 B 1037/14 - juris Rn. 10 m.w.N.).
IV.
68 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 3 VwGO, 162 Abs. 3, 161 Abs. 2 VwGO. Die Hinzuziehung der Bevollmächtigten im Vorverfahren durch die Klägerinnen war notwendig (§ 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO).
69 
Die Revision ist nicht zuzulassen, da kein Zulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
70 
Beschluss
71 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 39 Abs. 1 GKG auf15.000,- EUR festgesetzt (entsprechend der Streitwertfestsetzung im ersten Rechtszug).
72 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
I.
35 
Soweit die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von §§ 125 Abs. 1 i.V.m. 92 Abs. 3 VwGO einzustellen und das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 26.03.2014 insoweit für unwirksam zu erklären (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO analog).
II.
36 
Im Übrigen ist die nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthafte Berufung auch sonst zulässig.
III.
37 
Die Berufung ist im Übrigen auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Denn der angefochtene Bauvorbescheid der Beklagten vom 01.08.2012 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 26.11.2012 sind auch in der Gestalt, die sie durch die Teilverzichtserklärung der Beigeladenen gefunden haben, rechtswidrig und verletzen die Klägerinnen in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Bauvorbescheid verstößt gegen von der Baurechtsbehörde zu prüfende öffentlich-rechtliche Vorschriften, die zumindest auch dem Schutz der Klägerinnen zu dienen bestimmt sind. Das Bauvorhaben hält die nach § 5 Abs. 1 Satz 1 LBO erforderlichen Abstandsflächen gegenüber den Grundstücken der Klägerin zu 1 nicht ein (1.) und verstößt gegen das Gebot der Rücksichtnahme nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB (2.). Ob der Bauvorbescheid auch im Übrigen Rechte der Klägerinnen verletzt, kann folglich dahinstehen.
38 
1. Der Bauvorbescheid in der Gestalt, die er durch den Teilverzicht der Beigeladenen gefunden hat, verstößt, soweit er die Vereinbarkeit des Vorhabens mit §§ 5, 6 LBO feststellt (Nr. 3), zu Lasten der Klägerinnen gegen die nachbarschützende Vorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 1 LBO. Danach müssen vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen liegen, die von oberirdischen Anlagen freizuhalten sind und die nach § 5 Abs. 2 Satz 1 LBO auf dem Baugrundstück selbst liegen müssen. Dieser Bestimmung widerspricht der angefochtene Bauvorbescheid insoweit, als das Gebäude unmittelbar an den gemeinsamen Grundstücksgrenzen zu den Grundstücken der Klägerin zu 1, d.h. ohne Einhaltung von Abstandsflächen, errichtet werden soll.
39 
a) Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts Sigmaringen sind die Voraussetzungen für eine Grenzbebauung ohne Abstandsflächen nach § 5 Abs. 2 Satz 2 LBO nicht gegeben.
40 
Nach dieser Vorschrift ist eine Abstandsfläche nicht erforderlich vor Außenwänden an Grundstücksgrenzen, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss (Nr. 1) oder an die Grenze gebaut werden darf und öffentlich-rechtlich gesichert ist, dass auf dem Nachbargrundstück ebenfalls an die Grenze gebaut wird (Nr. 2.). Beides trifft hier nicht zu.
41 
aa) Nach planungsrechtlichen Vorschriften ist die geplante Grenzbebauung nicht zwingend geboten, aber i. S. des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO zulässig.
42 
Da für das Baugrundstück und seine nähere Umgebung keine die Bauweise betreffenden Festsetzungen eines Bebauungsplans bestehen - der Bebauungsplan „Altstadt Isny im Allgäu“ vom 10.10.1990 enthält lediglich Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung - und das Vorhaben innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles geplant ist, richtet sich die planungsrechtliche Zulässigkeit einer Grenzbebauung nach § 30 Abs. 3 BauGB i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB.
43 
Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB muss ein Gebäude dann an die Grundstücksgrenze gebaut werden, wenn die Eigenart der näheren Umgebung durch eine geschlossene Bauweise entsprechend § 22 Abs. 3 BauNVO oder eine abweichende, d.h. halboffene Bauweise entsprechend § 22 Abs. 4 BauNVO geprägt wird, die zu einer Grenzbebauung zwingt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13.02.1998 - 5 S 3202/96 - BRS 60 Nr. 86, juris Rn. 24). Ist in einem unbeplanten Gebiet teils offene bzw. halboffene und teils geschlossene Bauweise vorzufinden, besteht kein Zwang zu einer Grenzbebauung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.03.1994 - 4 B 53.94 - ZfBR 1994, 192, juris Rn. 4).
44 
Danach verlangt die in der näheren Umgebung des Baugrundstücks vorhandene Bebauung nicht zwingend die Errichtung der geplanten Grenzbebauung, sie lässt eine solche jedoch zu.
45 
Maßstabsbildend für das Einfügen im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist die Umgebung, insoweit sich die Ausführung eines Vorhabens auf sie auswirken kann und insoweit, als sie ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst (stRspr BVerwG, u.a. Urteile vom 26.05.1978 - 4 C 9.77 - BVerwGE 55, 369, 380, und vom 05.12.2013 - 4 C 5.12 - NVwZ 2014, 370).
46 
Nach den Darstellungen des im verwaltungsgerichtlichen Urteil abgebildeten Lageplanausschnitts, deren Richtigkeit sich nach dem vom Senat eingenommen Augenschein bestätigt hat, wird die hinsichtlich der Bauweise nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB maßgebliche nähere Umgebung durch das Straßengeviert... Straße, ... Gasse, ..., ... Straße und ... Straße gebildet. Die Hauptgebäude sind hier fast durchgängig entlang der jeweiligen Straßenbegrenzungslinien und in geschlossener Bauweise im Sinne einer Blockrandbebauung errichtet. Dagegen befinden sich hinter den jeweiligen Hauptgebäuden im Innern des Straßengevierts auf den Grundstücken teilweise unbebaute Freiflächen, wie etwa auf den Grundstücken Flst.Nrn. 27/2, 30, 29/1 und 28, als auch Gebäude, die zu den Nachbargrundstücken in geschlossener Bauweise, wie das Grundstück Flst.Nr. 30/2, oder auch in halboffener Bauweise errichtet sind. Das Gebäude auf dem Grundstück Flst.Nr. 33/1 ist nur einseitig grenzständig an das Gebäude ...-Straße 11a der Klägerin zu 1 angebaut. Auch das der Beigeladenen gehörende Gebäude ... Straße 7 ist selbst lediglich im vorderen Grundstücksbereich zur ... Straße hin in geschlossener Bauweise errichtet. Im hinteren Bereich, d.h. dort, wo der 1973 genehmigte Anbau errichtet wurde, setzt sich die Grenzbebauung nur zum Grundstück Flst.Nr. 27/2 fort, dagegen werden gegenüber dem westlich anschließenden Grundstück Flst.Nr. 20 teilweise Abstandsflächen eingehalten. Im Inneren des Straßengevierts ist danach weder eine einheitliche geschlossene noch eine einheitliche halboffene Bauweise vorzufinden. Da das Bauvorhaben der Beigeladenen auch auf Grundstücken bzw. Grundstücksbereichen im Inneren des Straßengevierts errichtet werden soll, sind die beschriebenen unterschiedlichen Bauweisen insgesamt Maßstab für eine Grenzbebauung. Folglich besteht für das streitige Vorhaben kein Zwang zur Errichtung an der Grenze. Vielmehr darf i. S. des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grundstücksgrenze gebaut werden. Hiervon ist auch das Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil zutreffend ausgegangen.
47 
bb) Der Zulässigkeit des Vorhabens ohne Abstandsflächen nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO steht jedoch entgegen, dass nicht i. S. dieser Vorschrift öffentlich-rechtlich gesichert ist, dass auf dem Nachbargrundstück ebenfalls an die Grenze gebaut wird.
48 
aaa) Nachbargrundstück i. S. des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO sind hier die beiden Grundstücke Flst.Nrn. 30 und 30/2 der Klägerin zu 1. Die Landesbauordnung verwendet zwar den Begriff des Grundstücks regelmäßig im Sinne von Buchgrundstück (vgl. § 4 Abs. 1 LBO), so dass danach die Grenzbebauung jeweils zu den Grundstücken Flst.Nrn. 30 und 30/2 isoliert zu betrachten wäre. Die Regelung des § 4 Abs. 2 LBO zeigt jedoch, dass der Buchgrundstücksbegriff nicht ausnahmslos gilt. Vielmehr kann ein Nachbargrundstück im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO auch ein aus mehreren Buchgrundstücken bestehendes benachbartes Baugrundstück sein (vgl. Beschluss des Senats vom 06.06.2008 - 8 S 18/07 - VBlBW 2008, 483, juris Rn. 37). Danach sind die beiden Buchgrundstücke der Klägerin zu 1 als ein Nachbargrundstück anzusehen. Denn beide Grundstücke sind vor wenigen Jahren durch Teilung aus dem Buchgrundstück Flst.Nr. 30 hervorgegangen und die Freifläche zwischen den Gebäuden auf beiden Grundstücken wird als ein gemeinsamer Garten genutzt.
49 
bbb) Es ist nicht i. S. des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO öffentlich-rechtlich gesichert, dass auf den Grundstücken Flst.Nrn. 30 und 30/2 der Klägerin zu 1 ebenfalls an die Grenze gebaut wird.
50 
(1) Das Tatbestandsmerkmal der öffentlich-rechtlichen Sicherung im Sinne dieser Vorschrift ist in der Regel nur erfüllt, wenn zulasten der von der Grenzbebauung betroffenen Grundstücke eine entsprechende Baulast nach § 71 LBO übernommen wird.
51 
Eine solche Baulast hat die Klägerin zu 1 unstreitig nicht übernommen.
52 
(2) Die öffentlich-rechtliche Sicherung ist darüber hinaus ausnahmsweise auch dann gewährleistet, wenn auf dem Nachbargrundstück bereits ein Gebäude, von dessen Fortbestand ausgegangen werden kann, an der Grenze vorhanden ist, an das angebaut werden soll, und der geplante Grenzbau noch in einer hinreichenden Beziehung zu dem vorhandenen Gebäude steht (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.01.1996 - 5 S 2766/95 - juris; Beschlüsse vom 12.09.1996 - 5 S 2232/96 - VBlBW 1997, 221, vom 10.03.1999 - 3 S 332/99 - juris und vom 03.11.2014 - 3 S 1368/14 - juris; Busch in: Das Neue Baurecht in Baden-Württemberg, Stand November 2014, § 5 Rn. 39). Denn in einem solchem Fall würde es sich bei der Forderung nach Eintragung einer Baulast um eine bloße Förmelei handeln. Die Wirkungen eines bereits vorhandenen Gebäudes auf dem Nachbargrundstück auf dessen Schutzwürdigkeit nach § 5 LBO können jedoch nicht weiter reichen, als die einer entsprechenden Baulast. Eine auf dem Nachbargrundstück vorhandene Grenzbebauung kann die von § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO geforderte öffentlich-rechtliche Sicherung daher nur in ihrem Umfeld ersetzen. Das an der Grenze geplante Bauvorhaben und das auf dem Nachbargrundstück bereits errichtete Grenzgebäude müssen zueinander in einer gewissen Beziehung stehen und beide Gebäude müssen sich in einem Maße überdecken, dass als Ergebnis einer beiderseitigen Grenzbebauung noch der Eindruck einer geschlossenen Bauweise vermittelt wird; nicht ausreichend ist, dass irgendwo an der gemeinsamen Grundstücksgrenze ein Grenzbau errichtet ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 03.11.2014 - 3 S 1368/14 - NVwZ-RR 2015, 288). Eine andere Auslegung ist mit dem Zweck des § 5 Abs. 1 Satz 2 LBO nicht vereinbar, auch wenn die Entstehungsgeschichte der Norm dies nahelegen mag.
53 
Zweck dieser Vorschrift ist es, den Regelungen des Bauplanungsrechts, die gegebenenfalls eine Bebauung ohne Abstand der Gebäude voneinander vorsehen, auch im Bauordnungsrecht Geltung zu verschaffen (vgl. Sauter, Landesbauordnung für Baden-Württemberg, 3. Aufl., Stand: März 2010, Band 1, § 5 Rn. 9 und 35 ). Durch diese Regelung soll eine nur einseitige Grenzbebauung verhindert werden, die sich ergeben könnte, wenn das Bauplanungsrecht ein Bauvorhaben an der Grenze gestattet, ohne zugleich zwingend für das Nachbargrundstück eine entsprechende Bebauung vorzuschreiben (vgl. VG Freiburg, Beschluss vom 06.07.2010 - 4 K 952/10 - juris Rn. 3).
54 
Die genannten Voraussetzungen für die ausnahmsweise anzunehmende öffentlich-rechtliche Sicherung durch einen vorhandenen Grenzbau galten nach der Rechtsprechung der mit Bausachen befassten Senate bereits zu der Vorgängerregelung des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO a.F. (vgl. z.B. Beschluss vom 15.09.1993 - 3 S 1670/93 - juris Rn. 5). Allein die Ersetzung des Wortes „angebaut“ durch „an die Grenze gebaut“ in der seit dem 01.01.1996 geltenden Neuregelung führt entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts und der Beigeladenen nicht dazu, dass nunmehr auf die Notwendigkeit einer hinreichenden Beziehung zwischen dem vorhandenen und dem geplanten Grenzbau verzichtet werden kann. Nach der Gesetzesbegründung (LT-Drs. 11/5337 S. 80) war mit der Neuregelung zwar die Vorstellung verbunden, es müsse nunmehr dem „Zweitbauenden“ grundsätzlich möglich sein, ohne Anknüpfung an die bestehende Bebauung die planungsrechtlich zulässige Bebauungstiefe auszuschöpfen. Diese Vorstellung hat jedoch in Wortlaut und Systematik des Gesetzes keinen hinreichenden Niederschlag gefunden (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 03.11.2014 - 3 S 1368/14 - juris Rn. 23; VG Freiburg, Beschluss vom 06.07.2010 - 4 K 952/10 - juris Rn. 8). Zudem dient die Einhaltung von Abstandsflächen gerade der Sicherstellung der ausreichenden Belüftung und Beleuchtung der Gebäude und der unbebauten Grundstücksteile (vgl. Sauter a.a.O., § 5 Rn. 3). Hierauf wird in den Fällen des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO verzichtet, weil der Landesgesetzgeber auch hier dem Planungsrecht den Vorrang einräumt, obwohl er dazu in Gebieten, in denen planungsrechtliche Vorschriften nicht zwingend eine geschlossene Bauweise verlangen, nicht verpflichtet wäre (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.03.1994 - 4 B 53.94 - juris Rn. 4). Ein solcher Verzicht begründet indes - wegen der ähnlichen Interessenlage wie bei einer Doppelhausbebauung (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.02.2000 - 4 C 12.98 - BVerwGE 110, 355, 359) -ein gegenseitiges nachbarschaftliches Austauschverhältnis, das eine Grenzbebauung verlangt, aufgrund derer die Gebäude noch in einer gewissen Beziehung zueinander stehen und sich in relevanter Weise überdecken.
55 
Danach vermag die bereits vorhandene Grenzbebauung auf den Nachbargrundstücken der Klägerin zu 1 die von § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO geforderte öffentlich-rechtliche Sicherung für die Errichtung des Bauvorhabens der Beigeladenen entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze nicht ersetzen. Das geplante Bauvorhaben steht zu der vorhandenen Grenzbebauung nicht mehr in einer gewissen Beziehung und die Gebäude überdecken sich nicht in einem Maße, dass noch der Eindruck der geschlossenen Bauweise vermittelt wird. Dafür ist zwar nicht erforderlich, dass die geplante Grenzbebauung und die vorhandene Grenzbebauung in Höhe und Tiefe der Baukörper weitestgehend deckungsgleich sind (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.02.2007 - 5 S 2826/06 - juris Rn. 11). Ab welcher Abweichung der Eindruck der geschlossenen Bauweise nicht mehr besteht, ist jedoch eine Frage des Einzelfalls. So hat der 5. Senat des erkennenden Gerichtshof im Beschluss vom 12.09.1996 - 5 S 2232/96 - juris Rn. 5, auf den spätere Entscheidungen (vgl. Beschluss vom 10.01.2006 - 5 S 2335/05 - juris Rn. 6) Bezug nehmen, eine Abweichung von zwei Metern in der Tiefe und zwei bis drei Metern in der Höhe für zulässig erachtet. Entgegen der Ansicht der Beigeladenen verlangt danach auch der 5. Senat gerade eine weitgehende Deckungsgleichheit. Die genannten Maße überschreitet der vorgesehene Grenzbau deutlich. Die Grenzbebauung auf dem Flst.Nr. 30 ist ca. 25 m lang, die Grenzbebauung auf dem Flst.Nr. 30/2 beträgt ca. 13,5 m. Demgegenüber soll das Bauvorhaben entlang der gesamten Grundstücksgrenze beider Buchgrundstücke über eine Länge von ca. 70 m an der Grenze errichtet werden. Der Eindruck einer geschlossenen Bauweise wird so nicht mehr vermittelt. Auf den Einwand der Beigeladenen, wonach auch die Klägerin zu 1 bei einer künftigen Bebauung der Grundstücke von der geplanten Grenzbebauung profitieren könnte, kommt es in dem Zusammenhang nicht an. Gleiches gilt für den Hinweis der Beigeladenen, wonach die Klägerin zu 1 ihre Grundstücke überhaupt nur mit Grenzbauten bebauen könne, da wegen der Größe der Grundstücke Abstandsflächen nicht eingehalten werden könnten. Im Übrigen ist die Klägerin zu 1 etwa nach einem Untergang eines Gebäudes nicht gezwungen, überhaupt wieder ein Gebäude zu errichten. Weiter ist denkbar, dass sie bislang unbebaute Nachbargrundstücke erwirbt und so Abstandsflächen bei einer künftigen Bebauung eingehalten werden können.
56 
b) Auch die Zulassung einer geringeren Tiefe der Abstandsfläche in einem Sonderfall nach § 6 Abs. 3 Satz 1 LBO scheidet aus.
57 
Der Anspruch des Bauherrn auf Zulassung einer geringeren Tiefe der Abstandsfläche ist vom Gericht im Rahmen der Nachbarklage zugunsten des Bauherrn zu berücksichtigen, auch wenn eine Entscheidung der Baurechtsbehörde hierüber nicht vorliegt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.01.1996 - 5 S 2766/95 - juris Rn. 24). Die gesetzlichen Voraussetzungen dafür sind jedoch nicht erfüllt. Ein Sonderfall nach § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 oder 3 LBO scheidet offensichtlich aus und ein Sonderfall nach § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 LBO liegt ebenfalls nicht vor.
58 
Nach § 6 Abs. 3 Satz 1 LBO ist eine geringere Tiefe der Abstandsfläche zuzulassen, wenn Beleuchtung mit Tageslicht sowie Belüftung in ausreichendem Maße gewährleistet bleiben, Gründe des Brandschutzes nicht entgegenstehen und nachbarliche Belange nicht erheblich beeinträchtigt werden. Nach der Rechtsprechung aller mit Baurechtssachen befassten Senate des erkennenden Gerichtshofs liegt eine erhebliche Beeinträchtigung nachbarlicher Belange regelmäßig vor, wenn die nachbarschützende Abstandsflächentiefe (vgl. § 5 Abs. 7 LBO) unterschritten wird, gleichgültig, ob die Unterschreitung gravierend oder geringfügig ist. Nachbarliche Belange sind in einem solchen Fall nur dann nicht erheblich beeinträchtigt, wenn die vorhandene Situation auf dem Nachbargrundstück durch bauordnungsrechtlich relevante, tatsächliche oder rechtliche Besonderheiten gekennzeichnet ist, die das Interesse des Nachbarn an der Einhaltung des nachbarschützenden Teils der Abstandstiefe deutlich mindern oder als weniger schutzwürdig erscheinen lassen (vgl. Senatsbeschluss vom 27.11.2013 - 8 S 1813/13 - BauR 2014, 533 m.w.N.). Solche Besonderheiten sind vorliegend in Bezug auf die Grundstücke der Klägerin zu 1 nicht gegeben. Diese Grundstücke sind insbesondere auch nicht aufgrund der an der Grenze zum Flst.Nr. 33/1 errichten Grenzmauer weniger schutzwürdig. Dies ergibt sich bereits aus den völlig untergeordneten Ausmaßen der Mauer, die mit ca. 1,50 m Höhe deutlich hinter der vorgesehen Grenzbebauung zurücktritt und auch nur wenige Meter lang ist.
59 
2. Der Bauvorbescheid in der Gestalt, die er durch den Teilverzicht der Beigeladenen gefunden hat, verstößt ferner, soweit er die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens feststellt (Nr. 1 und 2), gegen das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Denn das Vorhaben fügt sich nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht in Eigenart der näheren Umgebung ein und beeinträchtigt dadurch die Nutzung der Nachbargrundstücke der Klägerin zu 1 und demzufolge auch das an diesen Grundstücken bestehende Nießbrauchsrecht der Klägerin zu 2 rücksichtslos.
60 
a) § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB verleiht dem Nachbarn einen Abwehranspruch, wenn die angefochtene Baugenehmigung oder ein planungsrechtlicher Vorbescheid das im Tatbestandsmerkmal des Einfügens enthaltene Gebot der Rücksichtnahme verletzt (st. Rspr. BVerwG, u.a. Urteil vom 13.03.1981 - 4 C 1.78 - BRS 38 Nr. 186). Nachbar im Sinne des Bodenrechts ist dabei nicht nur der jeweilige zivilrechtliche Eigentümer eines Grundstücks sondern auch - wie die Klägerin zu 2 - ein sonst in eigentumsähnlicher Weise an einem Grundstück dinglich Berechtigter, zu denen auch der Nießbraucher zählt. Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme setzt dabei einen Verstoß gegen das objektive Recht voraus, der vorliegen kann, wenn ein Vorhaben zwar in jeder Hinsicht den aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmen wahrt, sich aber gleichwohl in seine Umgebung nicht einfügt, weil das Vorhaben es an der gebotenen Rücksicht auf die sonstige, also vor allem auf die in seiner unmittelbaren Nähe vorhandene Bebauung fehlen lässt (BVerwG, Urteil vom 26.05.1978 - 4 C 9.77 - BVerwGE 55, 369 <385 f.>). Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot kann auch vorliegen, wenn sich ein Vorhaben objektiv-rechtlich nach seinem Maß der baulichen Nutzung, seiner Bauweise oder seiner überbauten Grundstücksfläche nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt (BVerwG, Beschluss vom 11.01.1999 - 4 B 128.98 - NVwZ 1999, 879). Drittschutz wird gewährt, wenn in qualifizierter und individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (BVerwG, Urteil vom 13.03.1981, a.a.O). Es kommt darauf an, dass sich aus den individualisierenden Tatbestandsmerkmalen der Norm ein Personenkreis entnehmen lässt, der sich von der Allgemeinheit unterscheidet (BVerwG, Urteil vom 05.12.2013 - 4 C 5.12 - BVerwGE 148, 290 m.w.N.). Das Gebot der Rücksichtnahme hebt insoweit auf die gegenseitige Verflechtung der baulichen Situation unmittelbar benachbarter Grundstücke ab und nimmt das nachbarliche Austauschverhältnis in den Blick (BVerwG, Urteile vom 16.09.2010 - 4 C 7/10 - NVwZ 2011, 436, und vom 05.12.2013 - 4 C 5/12 - BVerwGE 148, 290, 295).
61 
Nach diesen Grundsätzen ist das Bauvorhaben der Beigeladenen hinsichtlich seines Maßes der baulichen Nutzung gegenüber den Grundstücken der Klägerin zu 1 rücksichtslos. Da der Bebauungsplan „Alstadt Isny im Allgäu“ vom 10.10.1990 nur Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung enthält, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens im Übrigen, d.h. auch hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung, gemäß § 30 Abs. 3 BauGB nach § 34 Abs. 1 BauGB. Maßgebend für das Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB nach dem Maß der baulichen Nutzung ist die von außen wahrnehmbare Erscheinung des Gebäudes im Verhältnis zu seiner Umgebungsbebauung. Vorrangig ist auf diejenigen Maßkriterien abzustellen, in denen die prägende Wirkung besonders zum Ausdruck kommt, wie die flächenmäßige Ausdehnung, die Geschosszahl und Höhe der den Rahmen bildenden Gebäude (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.03.1994 - 4 C 18.92 - BVerwGE 95, 277, 279, 282; Beschluss vom 03.04.2014 - 4 B 12.14 -juris Rn. 3). In der maßgeblichen Umgebungsbebauung, die wiederum durch das bereits beschriebene Straßengeviert gekennzeichnet wird, ist kein Baukörper vorhanden, der hinsichtlich seiner flächenmäßigen Ausdehnung mit dem Bauvorhaben vergleichbar ist. Das bislang größte Einzelgebäude in der maßgeblichen Umgebung ist das Gebäude ... Straße 7. Dessen Grundfläche wird durch das Bauvorhaben hinsichtlich Bebauungstiefe, Breite und Kubatur deutlich überschritten.
62 
Auf die von der Beigeladenen bei der Einnahme des Augenscheins verwiesenen Gebäude ... Straße 6 und ... Straße 43, die in Bezug auf das Maß der baulichen Nutzung mit dem Bauvorhaben vergleichbar seien, kommt es dagegen nicht an. Diese Grundstücke liegen außerhalb der für die Beurteilung des Einfügens maßgeblichen Umgebungsbebauung. Der Rahmen für die maßgebliche Umgebungsbebauung wird durch das bereits an anderer Stelle beschriebene Straßengeviert begrenzt, in dem die genannten Grundstücke nicht liegen. Auf diese Bereiche wirkt sich die Ausführung des Bauvorhabens der Beigeladenen weder aus, noch prägen oder beeinflussen diese Grundstücke ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks in Bezug auf das Maß der baulichen Nutzung.
63 
Die danach vorliegende Rahmenüberschreitung hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung lässt die gebotene Rücksichtnahme gerade in Bezug auf die unmittelbar benachbarte Bebauung auf den Grundstücken der Klägerin zu 1 vermissen. Das Gesamtvolumen und die Gliederung des Baukörpers führen zu einer rücksichtslosen optisch erdrückenden Wirkung des Bauvorhabens insbesondere auf das Wohnhaus ... Straße 11a.
64 
Eine rücksichtslose erdrückende Wirkung nimmt die Rechtsprechung an, wenn eine bauliche Anlage wegen ihrer Ausmaße, ihrer Baumasse oder ihrer massiven Gestaltung ein benachbartes Grundstück unangemessen benachteiligt, indem es diesem förmlich "die Luft nimmt", wenn für den Nachbarn das Gefühl des "Eingemauertseins" entsteht oder wenn die Größe des "erdrückenden" Gebäudes auf Grund der Besonderheiten des Einzelfalls - und gegebenenfalls trotz Wahrung der erforderlichen Abstandflächen - derartig übermächtig ist, dass das "erdrückte" Gebäude oder Grundstück nur noch oder überwiegend wie eine von einem "herrschenden" Gebäude dominierte Fläche ohne eigene baurechtliche Charakteristik wahrgenommen wird (vgl. BVerwG, Urteile vom 13.08.1981 - 4 C 1.78 - BauR 1981, 354 und vom 23.05.1986 - 4 C 34.85 - BauR 1986, 542; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.08.2005 - 10 A 3138/02 -, juris Rn. 50, Beschlüsse vom 13.01.2006 - 10 B 971/05 -, juris Rn 5, und vom 18.02.2014 - 7 B 1416/13 - juris Rn. 5; Bay. VGH, Beschluss vom 29.07.2014 - 9 CS 14.709 - juris Rn. 19). Eine erdrückende Wirkung liegt danach nicht schon dann vor, wenn die bisherigen Verhältnisse durch eine bauliche Verdichtung geändert werden. Vielmehr muss von dem Vorhaben aufgrund der Massivität und Lage eine qualifizierte handgreifliche Störung auf das Nachbargrundstück ausgehen (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 19.03.2015 - 1 B 19/15 - juris Rn. 26).
65 
Gemessen hieran erweist sich das Bauvorhaben der Beigeladenen gegenüber den benachbarten Anwesen der Klägerin zu 1 als rücksichtslos. Der Augenschein des Senats hat gezeigt, dass sich zwischen den Gebäuden ...-Straße 11 und 11a eine als Garten genutzte Freifläche der beiden Wohnhausgrundstücke befindet. In dem Bereich befindet sich auch auf den Nachbargrundstücken keine Bebauung. Bei einer Verwirklichung des Vorhabens entstünde gerade hier eine Grenzbebauung, die, trotz der Gliederung des Baukörpers mit zurückspringenden Obergeschossen, insgesamt den Eindruck einer geschlossenen massiven Riegelbebauung vermittelt, die den Grundstücken der Klägerin zu 1 gleichsam „die Luft zum Atmen nimmt“. War die bisherige Bebauung von einer fast deckungsgleichen Grenzbebauung auf den Grundstücken Flst.Nrn. 27/2 und 30/2 geprägt, wird nunmehr entlang der gesamten Grundstückslängen ein in seinen Ausmaßen enorm kompakter Baukörper errichtet. Die Grenzbebauung zwischen den Gebäuden ... Straße 11 und 11a beträgt 22 m, die Höhe der Bebauung an der Grenze beträgt 4,6 bis 5,1 Meter. Gegenüber dieser Grenzbebauung tritt die vorhandene Grenzmauer in ihren Ausmaßen von nur 1,5 m deutlich zurück. Hinzu kommt die Höhendisparität zwischen dem rückwärtigen Querbau und dem Wohnhaus ... Straße 11a. Schließlich führt die Grenzbebauung auch zu einer massiven Verschattung des bisher als Garten genutzten Freiraumes zwischen den Gebäuden ... Straße 11 und 11a, die den Klägerinnen nicht zumutbar ist, zumal da die Grenzbebauung nicht nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO zulässig ist.
66 
Die Klägerinnen sind hinsichtlich der grenzständigen Bebauung an den gemeinsamen Grundstücksgrenzen auch schutzbedürftig, da sie angesichts der in dem maßgeblichen Grundstücksbereich bislang prägend vorgegebenen Bauweise auch nicht damit rechnen mussten, dass entlang der gesamten Grundstücksgrenzen ein durchgängiges grenzständiges Gebäude errichtet wird.
67 
Zudem ermöglichen sowohl die vorgesehene 157,86 qm große Terrasse im zweiten Obergeschoss als auch die geplante 267,05 qm große Terrasse im dritten Obergeschoss im mittleren Bereich des Gebäudes Einblicke auf die Grundstücke der Klägerin zu 1, die das Maß dessen deutlich übersteigen, was Grundstückseigentümern auch im bebauten innerörtlichen Bereich regelmäßig zugemutet werden kann (vgl. hierzu OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.09.2014 - 7 B 1037/14 - juris Rn. 10 m.w.N.).
IV.
68 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 3 VwGO, 162 Abs. 3, 161 Abs. 2 VwGO. Die Hinzuziehung der Bevollmächtigten im Vorverfahren durch die Klägerinnen war notwendig (§ 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO).
69 
Die Revision ist nicht zuzulassen, da kein Zulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
70 
Beschluss
71 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 39 Abs. 1 GKG auf15.000,- EUR festgesetzt (entsprechend der Streitwertfestsetzung im ersten Rechtszug).
72 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

Tenor

I.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

III.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller, Eigentümer des Grundstücks FlNr. 3704 Gemarkung W., wendet sich gegen die der Beigeladenen mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 10. Januar 2014 erteilte Baugenehmigung zum Neubau einer Wohnanlage mit 55 Wohneinheiten einschließlich Tiefgarage mit 60 Pkw-Stellplätzen auf dem Grundstück FlNr. 3658 Gemarkung W. auf der gegenüberliegenden Straßenseite der L.straße. Er hat gegen die Baugenehmigung Klage erhoben. Ferner hat er beantragt, die aufschiebende Wirkung seiner Klage anzuordnen. Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 10. März 2014 abgelehnt.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers. Er macht geltend, gegenüber seinem Grundstück werde Abstandsflächenrecht verletzt, weil der Baulinienplan von 1913, auf dessen Grundlage die Baugenehmigung an die Beigeladene erteilt worden sei, funktionslos geworden sei. Abgesehen davon könne die damalige Planung hinsichtlich der Baulinien nicht als abwägungsgerecht angesehen werden. Auch nach heutigen Maßstäben enthalte diese Planung kein vertretbares Abwägungsergebnis. Mit Inkrafttreten der Bayerischen Bauordnung im Jahre 1962 seien die Baulinienpläne als übergeleitete Bebauungspläne unwirksam geworden, soweit sie kleinere Abstände zugelassen hätten, als die BayBO 1962 vorgesehen habe. Durch den massiven Verstoß des Bauvorhabens gegen das Abstandsflächenrecht bei unwirksamer Baulinie werde das Gebot der Rücksichtnahme zulasten des Antragstellers verletzt. Das Vorhaben betreffe die besonders schutzwürdige Südseite seines Grundstücks. Zwar halte auch sein Gebäude die vollen Abstandsflächen nicht ein. Der Verstoß sei aber erheblich geringer als der Verstoß gegen Abstandsflächenrecht durch das Vorhaben der Beigeladenen. Die bei Unwirksamkeit der Baulinienplanung erforderliche Befreiung von den Abstandsflächenvorschriften gegenüber dem Grundstück des Antragstellers sei im angefochtenen Bescheid nicht erteilt worden.

Der Antragsteller beantragt,

unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts W. vom 10. März 2014 die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Baugenehmigung vom 10. Januar 2014 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Baulinienplan von 1913 sei nicht funktionslos geworden. Er weise auf der Südseite der L.-straße eine an der jeweiligen Grundstücksgrenze liegende Baulinie auf, auf der sich die dort vorhandene Bebauung befinde. Demgegenüber herrsche entlang der M.-Straße eine Einzelhausbebauung vor, so dass dort eine Befreiung von der Baulinie städtebaulich vertretbar gewesen sei. Wie sich den Akten zum Baulinienplan 1913 entnehmen lasse, habe ein Abwägungsprozess stattgefunden und es seien Einwendungen abgehandelt worden. Die nachbarlichen Belange des Anwesens des Antragstellers hinsichtlich Belichtung, Belüftung und Besonnung seien bei einem Abstand der beiden Gebäude von ca. 17 m und einer abstandsflächenrelevanten Höhe des Vorhabens der Beigeladenen von maximal 14,42 m ausreichend gewahrt.

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die maßgebliche Baulinie entlang der südlichen Grenze der heutigen L.-straße habe noch heute die im Baulinienplan von 1913 vorgesehene städtebauliche Funktion, weil sich dort die gesamte bestehende Bebauung wie auch die geplante Bebauung auf dem Grundstück der Beigeladenen an dieser Baulinie orientiere. Es sei nicht ersichtlich, warum die Planung hinsichtlich der Baulinien - insbesondere in Bezug auf das Grundstück des Antragstellers - als nicht abwägungsgerecht anzusehen sei. Der Antragsteller lege nicht dar, warum der Planinhalt auch zum Zeitpunkt der Überleitung kein vertretbares Abwägungsergebnis dargestellt habe. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes scheide aus.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf die die Prüfung des Senats im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses.

1. Soweit sich der Antragsteller auf die Verletzung der Abstandsflächenvorschriften beruft, führt dies nicht zum Erfolg der Beschwerde. Zwar erstreckt sich das Prüfprogramm im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO auch auf beantragte Abweichungen im Sinn des Art. 63 Abs. 1 BayBO, so dass im Hinblick auf die von der Beigeladenen (unter anderem) beantragte Abweichung von den Abstandsflächen nach Art. 6 Abs. 2 BayBO im Bereich der L-straße /M-Straße auch die Abstandsflächenvorschriften zu prüfen waren (vgl. Koch/Molodovsky/Famers, BayBO, Art. 59 Rn. 15).

Die Antragsgegnerin ist jedoch zu Recht davon ausgegangen, dass das Vorhaben der Beigeladenen insoweit keiner Abweichung bedarf. Denn gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO ist vor der an der L-straße gelegenen Außenwand des Vorhabens eine Abstandsfläche nicht erforderlich, weil dort nach planungsrechtlichen Vorschriften, nämlich aufgrund des Baulinienplans für die J-straße - jetzt L-straße - vom 19. Juli 1913, an diese Grenze gebaut werden muss. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, stellt dieser (übergeleitete) Baulinienplan jedenfalls dann eine solche planungsrechtliche Vorschrift dar, wenn - wie hier - eine Baulinie als Gebäudefluchtlinie auf der vorderen Grundstücksgrenze festgesetzt ist, weil in diesem Fall an der Grenze gebaut werden muss (vgl. Kuchler, BayVBl 2014, 257/266).

Dem Baulinienplan fehlt auch nicht der für eine Überleitung nach § 173 Abs. 3 BauGB 1960 erforderliche Charakter der Verbindlichkeit (vgl. BayVGH, B.v. 30.12.2012 - 1 ZB 11.1536). Insbesondere handelt es sich bei ihm nicht lediglich um einen sogenannten Generalbaulinienplan, aus dem verbindliche Baulinien erst entwickelt werden sollen (s. § 59 Abs. 1 Satz 1 der Bauordnung v. 17.2.1901, GVBl S. 87). Wie sich dem Bescheid der Regierung von Unterfranken und Aschaffenburg vom 19. Juli 1913 entnehmen lässt, wurden damit die Bau- und Vorgartenlinie für die J-straße und die angrenzenden Teile des Platzes an der A-straße nach Maßgabe des Plans vom 17. August 1912 sowie die Höhenlage der J-straße nach Maßgabe des Plans vom 24. Juli 1913 verbindlich festgesetzt (s. § 64 i. V. m. § 58 Abs. 1 BauO 1901). Bei der mit roter Farbe auf der Südseite der J-straße dargestellten Baulinie im Baulinienplan, die durch die Festsetzung nicht verändert wurde, handelt es sich um eine Gebäudefluchtlinie mit der rechtlichen Wirkung, dass die vordere Gebäudeflucht unmittelbar an diese Linie herangerückt werden muss (vgl. § 4 Abs. 2 BauO 1901 i. V. m. Nr. 4 der Entschließung des Staatsministeriums des Innern vom 3.8.1910, abgedruckt in Englert/Mang, BayBO 1901, 11. Auflage 1957, Anhang 28).

Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist der Baulinienplan nicht mit Inkrafttreten der Bayerischen Bauordnung im Jahre 1962 unwirksam geworden. Eine Festsetzung von kleineren oder größeren Grenz- oder Gebäudeabständen nach Art. 101 des Polizeistrafgesetzbuchs für Bayern - PStGB - vom 26. Dezember 1871 (GBl. Sp. 9) als nach der Bayerischen Bauordnung 1962 zulässig, die zu seinem Außerkrafttreten geführt haben könnte (vgl. Dhom in Simon/Busse, BayBO, Art. 6 Rn. 296), enthält dieser Baulinienplan nicht.

Anhaltspunkte dafür, dass der Baulinienplan am rechtsstaatlichen Abwägungsgebot scheitern würde und seine Überleitung aus diesen oder anderen Gründen ausgeschlossen wäre (vgl. BVerwG, U.v. 20.10.1972 - BVerwG IV 14,71 - BVerwGE 41, 67/72), sind auch unter Würdigung des Beschwerdevorbringens nicht ersichtlich. Vielmehr lässt sich der Behördenakte zum Baulinienplan entnehmen, aus welchen Gründen die frühere Vorgartenlinie auf der Südseite der J-straße weggefallen ist und dass die damalige Eigentümerin des Grundstücks FlNr. 3704 bei der Aufstellung des Baulinienplans angehört worden ist und mit diesem einverstanden war.

Ob der Baulinienplan in Teilbereichen wegen späterer erheblicher Abweichungen funktionslos geworden ist, kann offen bleiben. Denn jedenfalls die Baulinie entlang der südlichen Grenze der L-straße entfaltet auch heute noch ihre städtebauliche Ordnungsfunktion, weil sie vom vorhandenen Baubestand ersichtlich eingehalten wird. Dieser Festsetzung trägt auch das Vorhaben der Beigeladenen Rechnung.

2. Anhaltspunkte dafür, dass das Vorhaben entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts das im Einfügungsgebot des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB angelegte Gebot der Rücksichtnahme verletzt, lassen sich dem Beschwerdevorbringen nicht entnehmen. Für eine „abriegelnde“ oder „erdrückende“ Wirkung des Bauvorhabens gegenüber dem Wohngebäude des Antragstellers ist bei einem Abstand von ca. 17 m zwischen beiden Gebäuden und einer Höhe des Bauvorhabens von maximal 14,42 m sowie einer Höhe des Wohngebäudes des Antragstellers von ca. 13 bis 14 m in Richtung des Bauvorhabens nach der dem Antragsteller mit Bescheid vom 21. Februar 2000 erteilten Baugenehmigung für die Wohnhausaufstockung nichts ersichtlich. Bei dem gegebenen Abstand ist nach dem Vorbringen der Antragsgegnerin, dem im Beschwerdeverfahren nicht entgegengetreten wird, ein Lichteinfallswinkel von 45 Grad für das gesamte Wohngebäude des Antragstellers gewährleistet, der für eine ausreichende Besonnung und Belüftung spricht (vgl. BayVGH, B.v. 5.7.2011 - 14 CS 11.814 - juris Rn. 22).

Kosten: § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.

Streitwert: § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 08.11.2010 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten des Beigeladenen im Beschwerdeverfahren sind nicht erstattungsfähig.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

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Die Antragstellerin als unmittelbare Nachbarin (T. 9/10) wendet sich gegen die dem Beigeladenen durch Bescheid vom 01.06.2010 für ein Wohnhaus mit Tiefgarage erteilte Baugenehmigung (T. 8). Der Widerspruch der Antragstellerin hiergegen blieb ohne Erfolg; über die Klage (VG Greifswald 5 A 1298/10) ist noch nicht entschieden.

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Den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes lehnte das Verwaltungsgericht Greifswald durch Beschluss vom 08.11.2010 ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus: Das Vorhaben füge sich offenbar nach dem Maß der baulichen Nutzung gemäß § 34 Abs. 1 BauGB in die nähere Umgebung ein. Ob dies auch für die Traufhöhe gelte, könne offenbleiben, da dieses Maß in der Umgebung nicht prägend sei. Von dem Vorhaben gehe keine erdrückende Wirkung auf das Grundstück der Antragstellerin aus. Hiervon könne nur gesprochen werden, wenn das Nachbargrundstück aufgrund außergewöhnlicher Umstände regelrecht abgeriegelt werde, d. h. dort ein Gefühl des „Eingemauertseins“ oder eine „Gefängnishofsituation“ hervorgerufen werde. Dem Grundstück müsse dann die „Luft zum Atmen“ genommen werden. Hiervon könne keine Rede sein. Im Hinblick auf die Einhaltung des Abstandsflächenrechts könne die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung nicht angeordnet werden, da dieser Gesichtspunkt nicht zum Prüfungsumfang gehöre, weil die Voraussetzungen eines Sonderbaus nach § 2 Abs. 4 LBauO M-V nicht erfüllt seien. Vorschriften der Gestaltungssatzung kämen regelmäßig keine nachbarschützende Wirkung zu. Hinsichtlich einer Gefährdung der Standsicherheit des eigenen Gebäudes habe die Antragstellerin nicht ansatzweise glaubhaft gemacht, dass die Errichtung der Tiefgarage die Standsicherheit ihres Gebäudes und die Tragfähigkeit des Nachbargrundstücks gefährden könne. Schließlich würden von der Nutzung der Tiefgarage mit ihren 34 Stellplätzen keine unzumutbaren Immissionen für das Nachbargrundstück ausgehen.

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Dieser Beschluss wurde der Antragstellerin am 11.11.2010 zugestellt. Hiergegen hat sie am 22.11.2010 beim Verwaltungsgericht Beschwerde eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 01.12.2010, bei Gericht eingegangen am 06.12.2010, begründet hat.

II.

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Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

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In derartigen Antragsverfahren nach den §§ 80a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist Entscheidungskriterium für die Verwaltungsgerichte die mit den Erkenntnismöglichkeiten des Eilverfahrens zu prognostizierende Erfolgsaussicht des in der Hauptsache eingelegten Nachbarrechtsbehelfs. Maßgebend ist daher nicht die objektive (umfassende) Zulässigkeit des bekämpften Bauvorhabens, sondern allein die Frage des Vorliegens einer für den Erfolg der Anfechtungsklage der Antragstellerin unabdingbaren Verletzung ihrem Schutz dienender Vorschriften des öffentlichen Rechts durch die Baugenehmigung (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein maßgebliche Beschwerdevorbringen rechtfertigt daran gemessen keine Änderung des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts.

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Die Antragstellerin macht zunächst geltend, es handele sich bei dem Vorhaben um einen Sonderbau nach § 2 Abs. 4 LBauO M-V, da das Gebäude zu Ferienwohnzwecken genutzt werden solle, gegebenenfalls als Aparthotel. Daher habe die Baugenehmigung nicht im vereinfachten Verfahren nach § 63 LBauO M-V erteilt werden dürfen mit der Folge, dass unter anderem auch die Abstandsflächen nach § 6 LBauO M-V hätten geprüft werden müssen.

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Die Antragstellerin trägt vor, § 2 Abs. 4 Nr. 8 LBauO M-V sei auf das vorliegende Vorhaben anwendbar. Danach sind Schank- und Speisegaststätten mit mehr als 40 Gastplätzen und Beherbergungsstätten mit mehr als 12 Betten Sonderbauten. Maßgebend für die Qualifizierung des Gebäudes ist indessen die Bestimmung, die der Bauherr im Bauantrag trifft. Als Zweckbestimmung gibt der Beigeladene in seinem Bauantrag im vereinfachten Verfahren unter Ziff. 1 an „Wohngebäude mit Tiefgarage“. Nur diese Nutzung ist Gegenstand der Baugenehmigung. Eine Baugenehmigung kann regelmäßig nicht mit der Erwägung angefochten werden, der Bauherr werde in Wirklichkeit eine andere Art der baulichen Nutzung realisieren. In diesem Falle würde es sich um eine formell illegale Nutzung handeln, gegen die gegebenenfalls die Antragsgegnerin im Wege bauaufsichtlicher Verfügungen einschreiten könnte (vgl. § 58 Abs. 1 Satz 2 und §§ 80 f. LBauO M-V). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der dem Vortrag der Antragstellerin zugrundeliegenden Überlegung, das Vorhaben hätte nicht im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach § 63 LBauO M-V genehmigt werden dürfen. Hiermit würde sie allein ein fehlerhaftes Genehmigungsverfahren geltend machen. Ein Nachbar hat indessen kein Anspruch darauf, dass das erforderliche Baugenehmigungsverfahren durchgeführt wird, da diese Vorschriften der Landesbauordnung nicht nachbarschützend sind (vgl. OVG Bautzen, Beschluss vom 20.01.2010 – 1 A 140/09 -, BauR 2010, 947 [Leitsatz]; vgl. auch OVG Saarland, Beschluss vom 27.05.2010 - 2 B 95/10).

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Soweit die Antragstellerin des weiteren geltend macht, das Vorhaben füge sich nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht in die nähere Umgebung ein, so macht sie insoweit keine Verletzung eines sie schützenden subjektiv-öffentlichen Nachbarrechts geltend. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist nämlich geklärt, dass § 34 Abs. 1 BauGB selbst keine nachbarschützende Wirkung hat. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob ein Vorhaben sich objektiv in die nähere Umgebung einfügt. Nachbarschutz könnte sie – worauf die Antragstellerin unter Ziff. 5 ihrer Beschwerdeschrift eingeht – allenfalls unter dem Gesichtspunkt des Gebots der Rücksichtnahme haben (vgl. zusammenfassend BVerwG, Beschluss vom 20.01.1992 – 4 B 229/91 -).

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Die Antragstellerin beruft sich des weiteren auf die Gestaltungssatzung der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf und macht geltend, das Vorhaben halte eine Vielzahl von Parametern dieser Satzung nicht ein. Örtliche Bauvorschriften sind indes grundsätzlich nicht nachbarschützend (OVG B-Stadt, Urteil vom 03.05.2007 - 7 A 2364/06 - NVwZ-RR 2007, 744). Es kann offenbleiben, ob etwas anderes gelten könnte, wenn sie die gesetzlichen Abstandsflächen verkürzen oder die Auslegung der Vorschriften ergibt, dass die Gemeinde ihnen drittschützende Wirkung beimessen wollte (VG des Saarlandes, Urteil vom 08.12.2004 - 5 K 141/03). Derartiges hat die Antragstellerin in ihrer Beschwerdeschrift nicht vorgetragen. Dies liegt hinsichtlich der von der Antragstellerin genannten Kriterien, die im Wesentlichen das Maß der baulichen Nutzung betreffen, auch nicht nahe, da auch aus bauplanungsrechtlichen Gründen das Maß der baulichen Nutzung in der Regel nicht nachbarschützend ist.

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Soweit die Antragstellerin weiter vorträgt, die Abstandsflächen seien nicht eingehalten worden, kann dieser Gesichtspunkt gegen die angefochtene Baugenehmigung nicht ins Feld geführt werden. Sie ist im vereinfachten Verfahren ergangen, so dass die Antragsgegnerin gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 2 LBauO M-V diesen Gesichtspunkt nicht zu prüfen hatte. Aus der seit der Novellierung der Landesbauordnung im Jahre 2006 geltenden Reduzierung des das gesamte Bauordnungsrecht ausklammernden präventiven Pflichtprüfungsprogramms im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren (§ 63 Abs. 1 Nr. 2 LBauO M-V) folgt notwendig ein für die Beurteilung der Frage des Vorliegens einer Nachbarrechtsverletzung eingeschränkter Entscheidungsinhalt einer solchen Baugenehmigung. Bauordnungsrechtliche Anforderungen an Bauvorhaben darf die Bauaufsichtsbehörde danach in diesem Verfahren - vorbehaltlich einer konkreten Abweichung (§ 67 Abs. 1 LBauO M-V) und zusätzlich eines auf deren Zulassung zielenden Antrags des Bauherrn (§ 63 Abs. 1 Nr. 2 und § 67 Abs. 2 Satz 1 LBauO M-V) - generell nicht mehr prüfen. Der angefochtenen Baugenehmigung, die Gegenstand des vorliegenden Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO ist, kann eine Feststellungswirkung im Hinblick auf die Einhaltung der Anforderung des § 6 LBauO M-V nicht entnommen werden.

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Sollten die Bedenken der Antragstellerin zutreffen, hätte sie daher einen Antrag gemäß § 123 Abs. 1 VwGO auf Einschreiten der Antragsgegnerin gegen das Vorhaben aus diesem Gesichtspunkt stellen müssen.

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Im Übrigen ist der Vortrag der Antragstellerin dazu, dass die Vorgaben des § 6 LBauO M-V nicht eingehalten würden, nicht hinreichend substantiiert. Der zitierte Vermerk vom 10.08.2010 (Blatt 32 der Beiakte D) beinhaltet keine Prüfung dieses Gesichtspunkts, weil sie mangels Abstandsflächenplan als nicht möglich angesehen wird. Einen Abstandsflächenplan hat die Beigeladene allerdings vorgelegt (Blatt 22 der Beiakte E), der Gegenstand der eingereichten Bauunterlagen ist. Soweit die Antragstellerin vorträgt, das Staffelgeschoss müsse bei der Berechnung der Abstandsfläche berücksichtigt werden, da es weniger als 3 m zurückspringe, trifft dies im Ausgangspunkt nicht zu. Die Tiefe der Abstandfläche bemisst sich gem. § 6 Abs. 4 LBauO M-V nach der Wandhöhe. Als Wandhöhe gilt das Maß von der Geländeoberfläche bis zur Schnittlinie der Wand mit der Dachhaut oder bis zum oberen Abschluss der Wand. Für Gebäude mit Staffelgeschoss bedeutet dies: Ausgehend von dem zurückspringenden Wandteil des Staffelgeschosses ist die Gesamthöhe der Wand zu ermitteln durch eine gedachte Verlängerung der Wand des Staffelgeschosses bis zum Schnitt mit der Geländeoberfläche. Von diesem fiktiven Schnitt mit der Geländeoberfläche aus ist die Abstandfläche zu bemessen. Das Staffelgeschoss wirft dann eine eigene Abstandfläche auf, wenn sie tiefer ist als die für die darunter liegende Wand. Das Abfallen des Geländes von der Bergstraße zur T. lässt sich an Hand der Geländehöhen, die in dem Abstandsplan sowie den Längsschnitten (a.a.O. Blatt 34) eingetragen sind, nachvollziehen. Dass dieser Umstand bei der Bestimmung der Abstandsflächen gleichwohl nicht berücksichtigt worden sein soll, hätte die Antragstellerin – unbeschadet dessen, dass es hierauf aus den genannten Gründen nicht ankommt – näher darlegen müssen.

13

Soweit die Antragstellerin in diesem Zusammenhang darauf verweist, die Baugenehmigung enthalte eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften, gegen die sie sich wenden könne, trifft dies nicht zu. Die Baugenehmigung kann nicht gleichsam konkludent eine Abweichungsentscheidung enthalten. Dem stehen § 63 Abs. 1 Nr. 2 und § 67 Abs. 2 Satz 1 LBauO M-V entgegen, wonach Abweichungen gesondert schriftlich zu beantragen und zu begründen sind. Einen solchen Antrag hat der Beigeladene nicht gestellt. Die Annahme der Antragstellerin, gleichwohl beinhalte die Baugenehmigung eine Prüfung dieses Gesichtspunkts und die Gewährung einer Abweichung, ist mit dem dargelegten System des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens nicht vereinbar.

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Die Antragstellerin macht schließlich einen Verstoß gegen das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme geltend. Sie trägt zunächst vor, die Voraussetzungen, die das Verwaltungsgericht formuliert hat, seien zu streng. Die vom Verwaltungsgericht seiner Würdigung zugrunde gelegten Anforderungen entsprechen indes der Rechtsprechung auch des Senats (Beschluss vom 06.01.2010 – 3 M 231/09; vgl. BVerwG, B. v. 11.12.2006 - 4 B 72/06 - NVwZ 2007, 336). Die Antragstellerin legt auch nicht näher dar, aus welchen Gründen die beabsichtigte Bebauung im Sinne der genannten Grundsätze das Gebot der Rücksichtnahme verletzt. Angesichts der Bebauung auf dem Grundstück der Antragstellerin mit zwei Gebäuden und der zwei Gebäude, die Gegenstand der Baugenehmigung sind, hätte dies näherer Darlegungen bedurft. Im Übrigen setzt sich die Antragstellerin mit dem Argument des Verwaltungsgerichts nicht auseinander, dass in dem angesprochenen südöstlichen Bereich keine Bebauung vorhanden sei. Zudem spricht gegen eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme, dass zwischen dem Vorhaben und den Gebäuden auf dem Grundstück der Antragstellerin ein Abstand von mindestens 7,5 m liegt und das Grundstück der Antragstellerin im südlichen Bereich zumindest mit einem drei- wenn nicht viergeschossigen Gebäude mit Abstand zur eigenen Grundstücksgrenzen von ca. 2,5 m bebaut ist. Die Gesamtbetrachtung dieser Umstände führt dazu, dass eine erdrückende Wirkung oder eine sonstige Unzumutbarkeit des Vorhabens zu Lasten der Antragstellerin nicht feststellbar ist.

15

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO sowie § 162 Abs. 3 i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 53 Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.

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Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 5 und § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.