Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Beschluss, 28. Mai 2015 - 7 L 1091/15
Tenor
- 1.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt L. wird abgelehnt.
- 2.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird auf Kosten des Antragstellers abgelehnt.
- 3.
Der Streitwert wird auf 2.500,-- Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e:
2I.
3Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung ‑ wie sich aus den nachstehenden Ausführungen ergibt (unter II.) ‑ keine hinreichenden Aussichten auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung ‑ VwGO ‑ i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung ‑ ZPO ‑).
4II.
5Der Antrag,
6die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers 7 K 2276/15 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 13. April 2015 wiederherzustellen,
7ist gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung ‑ VwGO ‑ zulässig, aber unbegründet.
8Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus.
9Die Ordnungsverfügung, mit der dem Antragsteller die Fahrerlaubnis entzogen worden ist, erweist sich bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig. Zur Begründung verweist die Kammer zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf die rechtlichen und tatsächlichen Ausführungen in der angegriffenen Verfügung (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO). Ergänzend ist mit Rücksicht auf das Klage- und Antragsvorbringen Folgendes auszuführen:
10Der Antragsteller ist aufgrund des Konsums von Kokain ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeugs (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz ‑ StVG ‑, § 46 Abs. 1 Fahrerlaubnisverordnung ‑ FeV ‑ i. V. m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV). Bei der chemisch-toxikologischen Untersuchung des Universitätsklinikums N. der am °°. K. °°°° entnommenen Blutprobe des Antragstellers ist ein Cocain-Wert von 396 ng/ml und eine Benzoylecgonin-Wert von 3.060 ng/ml ermittelt worden. Damit steht fest, dass der Antragsteller Kokain konsumiert hat. Ausweislich des rechtsmedizinischen Gutachtens des Universitätsklinikums N. stand der Antragsteller zudem bei der Blutentnahme am °°. K. °°°° und damit beim Führen des Kraftfahrzeugs unter dem Einfluss von Kokain. Bereits der einmalige Konsum sogenannter harter Drogen, zu denen auch Kokain zählt, schließt regelmäßig die Kraftfahreignung aus, wobei nicht maßgeblich ist, ob unter dem Einfluss der Betäubungsmittel ein Auto geführt wurde.
11OVG NRW, Beschluss vom 7. April 2014 ‑ 16 B 89/14 ‑, juris; OVG NRW, Beschluss vom 24. Juli 2013 ‑ 16 B 718/13 ‑, juris.
12Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass der Antragsteller nicht willens und in der Lage ist, zwischen dem Konsum von Cannabis und der Teilnahme am Straßenverkehr zu trennen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV i. V. m. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV). Der Antragsteller ist nach dem Stand des Eilverfahrens jedenfalls gelegentlicher Konsument von Cannabis. Dass dieser vor der Polizeikontrolle am °°. K. °°°° erst- bzw. einmalig Cannabis eingenommen hätte, ist weder ersichtlich noch von diesem konkret geltend gemacht worden. Vielmehr wurden nach dem polizeilichen Bericht im Fahrzeug des Antragstellers Reste von Cannabis und eine Pfeife zum Konsum von Betäubungsmitteln gefunden, was auf einen jedenfalls gelegentlichen Konsum hindeutet. Der Antragsteller hat am °°. K. °°°° ein Kraftfahrzeug unter Cannabiseinfluss im Straßenverkehr geführt. Der festgestellte THC-Wert von 2,3 ng/ml übersteigt den zu § 24 a Abs. 2 StVG durch die Grenzwertkommission festgesetzten Wert von 1,0 ng/g bzw. ml und rechtfertigt die Annahme eines zeitnahen Konsums mit entsprechender Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit. Nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen ist davon auszugehen, dass der Inhaber der Fahrerlaubnis zwischen dem (gelegentlichen) Cannabiskonsum und dem Führen von Kraftfahrzeugen nicht trennt, wenn im zeitlichen Zusammenhang mit der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr ein THC-Wert von 1,0 ng/ml im Blut festgestellt wird.
13OVG NRW, Beschluss vom 5. Februar 2015 ‑ 16 B 8/15 ‑, juris; Beschluss vom 1. August 2014 ‑ 16 A 2806/13 ‑, juris; Beschluss vom 21. Mai 2014 ‑ 16 B 436/14 ‑, juris, jeweils m. w. N.
14Die Befugnis, die Fahrerlaubnis umgehend ‑ ohne ein vorausgehendes Gutachten ‑ zu entziehen, ist entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht entfallen durch die seit dem Vorfall am °°. K. °°°° verstrichene Zeitdauer und die während dieser Zeit geltend gemachte Abstinenz. Zwar liegen zwischen dem Vorfall am °°. K. °°°° und der Entziehung der Fahrerlaubnis durch den streitgegenständlichen Bescheid vom 13. April 2015 knapp zwei Jahre. Der Zeitablauf von mehr als einem Jahr steht der Entziehung jedoch nicht entgegen. Ist die Fahreignung ‑ wie hier ‑ wegen Drogenkonsums nach Ziffer 9 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung verloren gegangen, entfällt nicht allein durch die Behauptung einer nachfolgenden Drogenabstinenz und den Ablauf mindestens eines Jahres seit den Beginn der behaupteten Abstinenz die Befugnis der Fahrerlaubnisbehörde, wegen fortbestehender Fahrungeeignetheit die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn der Fahrerlaubnisinhaber keinen Abstinenznachweis und keine positive psychologische Prognose einer Begutachtungsstelle für Fahreignung beigebracht hat. Vielmehr ist ohne ein starres Zeitschema und unter Berücksichtigung aller Umstände zu beurteilen, ob sich der Betroffene trotz des Ablaufs einer längeren Zeitspanne weiterhin als fahrungeeignet erweist.
15OVG NRW, Beschluss vom 3. September 2010 ‑ 16 B 382/10 ‑, juris, m. w. N.; vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 24. April 2002 ‑ 3 Bs 19/02 ‑, juris; a. A. BayVGH, Beschluss vom 9. Mai 2005 ‑ 11 CS 04.2526 ‑, juris.
16Hiervon ist nach dem Stand des Eilverfahrens auszugehen. Der Eignung des Antragstellers war bei Erlass des Bescheids am 13. April 2015 weiterhin nicht gegeben. Die nach den Angaben des Antragstellers von mehreren Drogenscreenings begleitete (mindestens) sechsmonatige Abstinenz ist bereits deshalb nicht ausreichend, weil in der Regel mindestens eine einjährige, nachgewiesene Abstinenz erforderlich ist (Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV). Die Abstinenz muss dabei auf der Basis von mindestens vier unvorhersehbar, in unregelmäßigen Abständen anberaumten Laboruntersuchungen durch ein anerkanntes rechtsmedizinisches Institut bzw. Labor erfolgen (vgl. Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Ziffer 3.14.1, S. 74). Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller diese Voraussetzungen erfüllt. Darüber hinaus fehlt es bislang an dem regelmäßig zu erbringenden medizinisch-psychologischen Gutachten, das einen stabilen Einstellungswandel des Antragstellers attestiert. Dass von den genannten Anforderungen im Fall des Antragstellers ausnahmsweise abgesehen werden könnte, ist nicht ersichtlich: Bei dem Antragsteller ist anlässlich der Kontrolle am °°. K. °°°° eine erheblich erhöhte Konzentration von Cocain und Benzoylecgnonin festgestellt worden, die einen zeitnahen bzw. erheblichen Kokain-Konsum belegt. Zudem führte der Antragsteller sein Fahrzeug am °°. K. °°°° nicht nur unter dem Einfluss von Kokain, sondern auch unter der Wirkung von Cannabis. Der Antragsteller hat sich demnach in besonderer Weise als ungeeignet zu Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen. Dass der Antragsteller sich nach seinen Angaben in der Justizvollzugsanstalt in einer therapeutischen Behandlung befindet, belegt noch keinen stabilen Einstellungswandel. Die therapeutische Behandlung kann gegebenenfalls bei einer durchzuführenden medizinisch-psychologischen Begutachtung mit berücksichtigt werden, vermag diese aber nicht zu ersetzen. Der Antragsteller hat zudem keine Unterlagen vorgelegt, die einen stabilen und nachgewiesenen Einstellungswandel belegen oder auch nur nahelegen.
17Auch bei einer von den Erfolgsaussichten der Hauptsache losgelösten Interessenabwägung steht das Interesse des Antragstellers, seine Fahrerlaubnis bis zum Abschluss des Verfahrens nutzen zu können, hinter dem öffentlichen Vollziehungsinteresse zurück. Die mit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis verbundenen persönlichen und beruflichen Schwierigkeiten sind vergleichsweise gering. Ihnen steht das öffentliche Interesse am Schutz von Leib, Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer vor ungeeigneten Kraftfahrern gegenüber, das eindeutig überwiegt. Der Zeitablauf zwischen dem Vorfall und der Entziehung der Fahrerlaubnis steht einer sofortigen Vollziehung der Entziehungsverfügung nicht entgegen, da ‑ wie oben ausgeführt ‑ weiter von der fehlenden Eignung und damit einer Gefährdung des Straßenverkehrs auszugehen ist.
18Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
19III.
20Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes ‑ GKG ‑. Der Streitwert eines Klageverfahrens, das die Erteilung einer Fahrerlaubnis betrifft, ist ungeachtet der im Streit stehenden Fahrerlaubnisklassen, nach dem Auffangwert zu bemessen. Dieser ist im vorliegenden Eilverfahren zu halbieren.
21Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. Mai 2009 ‑ 16 E 550/09 ‑ juris.
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