Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Beschluss, 24. Sept. 2015 - 6 L 1787/15
Gericht
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
1
Der nach § 123 Abs. 1 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Hauptantrag,
2im Wege der einstweiligen Anordnung die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller im Rahmen der Wartezeit einen Studienplatz im Fach Medizin entsprechend seinem Antrag zuzuweisen,
3ist nicht begründet. Der Antragsteller hat nicht gemäß § 123 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung glaubhaft gemacht, dass ihm ein Anspruch auf Zuteilung des begehrten Studienplatzes im Studiengang Humanmedizin nach den für das Wintersemester 2015/2016 maßgeblichen Regeln und tatsächlichen Verhältnissen zusteht.
4Studienplätze im Studiengang Humanmedizin werden gemäß § 1 Satz 2 der Verordnung über die zentrale Vergabe von Studienplätzen – VergabeVO – in Verbindung mit ihrer Anlage 1 in einem zentralen Vergabeverfahren nach Maßgabe der §§ 6 ff. VergabeVO vergeben. Der Antragsteller erfüllt mit zwölf Wartehalbjahren und mit der Abiturnote 3,3 nicht die zum Wintersemester 2015/2016 maßgeblichen Auswahlgrenzen. Für eine Auswahl in der Abiturbestenquote (§ 11 VergabeVO) war bei Bewerbern mit Hochschulzugangsberechtigung aus Nordrhein-Westfalen die Note 1,0 erforderlich; für eine Auswahl in der Wartezeitquote (§ 14 VergabeVO) waren mindestens 14 Halbjahre erforderlich.
5Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf eine Zulassung zum Studium der Humanmedizin aufgrund der Härtefallregelung des § 15 VergabeVO. Ungeachtet der Frage, ob es insoweit eines vom Antragsteller nicht gestellten expliziten Antrags bedurft hätte,
6vgl. zu dieser Frage VG Gelsenkirchen, Beschluss vom8. Oktober 2013 – 6z L 1134/13 –, www.nrwe.de,
7ist eine besondere Härte im Sinne von § 15 VergabeVO nach Auffassung der Kammer vorliegend nicht gegeben. Die Studienplätze der Härtefallquote werden an Bewerber vergeben, für die es eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde, wenn sie keine Zulassung erhielten. Eine außergewöhnliche Härte liegt gemäß § 15 Satz 2 VergabeVO und Art. 9 Abs. 3 Vergabestaatsvertrag 2008 vor, wenn besondere, insbesondere soziale oder familiäre Gründe in der Person des Bewerbers die sofortige Aufnahme des Studiums zwingend erfordern. Da die Zulassung im Härtewege nach dem System des § 6 VergabeVO zwangsläufig zur Zurückweisung eines anderen, noch nicht zugelassenen Erstbewerbers führt, ist eine strenge Betrachtungsweise geboten. Im Blick zu behalten ist dabei auch die Funktion der Härtefallregelung. Sie soll innerhalb des notwendigerweise schematisierten Massenverfahrens der Studienzulassung einen Ausgleich für besondere Einzelfälle schaffen und damit die Chancengleichheit wahren. Nach Möglichkeit soll niemand infolge wirtschaftlicher, gesundheitlicher, familiärer oder sonstiger sozialer Benachteiligungen an der Erreichung seines Berufsziels gehindert werden. Anderen Zwecken darf die Härtefallzulassung hingegen nicht dienen.
8Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 17. Mai 2010 – 13 B 504/10 – und vom 27. Mai 2011 – 13 B 523/11 –, beide juris; VG Gelsenkirchen, Beschlüsse vom 1. April 2015 – 6z L 425/15 – und vom 30. September 2013 – 6z L 1208/13 –, beide www.nrwe.de; Berlin, in: Bahro/Berlin, Das Hochschulzulassungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 4. Aufl. 2003, § 21 VergabeVO, Rdnr. 1 am Ende.
9Gemessen an diesen Anforderungen sind die Voraussetzungen für eine Zulassung nach § 15 VergabeVO nicht dargetan. Dass allein der Umstand einer überlangen Wartezeit für sich genommen keine Härte im Sinne des § 15 VergabeVO zu begründen vermag, hat die Kammer in ihren Vorlagebeschlüssen vom 19. März 2013 – 6z K 4171/12 – (dort unter III. 2. – S. 94 ff.) und vom 18. März 2014 – 6z K 4229/13 u.a. – bereits erläutert. An den dortigen Ausführungen hält die Kammer weiter fest und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf sie Bezug. Eine Zulassung von Studienbewerbern über die Härtefallregelung allein wegen ihrer überlangen Wartezeit erscheint der Kammer nach wie vor nicht vertretbar.
10Vgl. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 9. Oktober 2013 ‑ 6z L 1042/13 ‑, bestätigt durch OVG NRW, Beschluss vom 28. November 2013 – 13 B 1260/13 –, beide www.nrwe.de.
11Auch der Umstand, dass der Antragsteller sein gesamtes Leben seit dem Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung auf eine Zulassung zum Studium der Humanmedizin ausgerichtet hat, vermag das Vorliegen eines Härtefalles nicht zu begründen. Es ist nicht ersichtlich, dass gerade dieser Umstand zu einer besonderen Härte führt. Dass der Antragsteller, der nach dem Erwerb der Hochschulreife und vor der Aufnahme seiner Tätigkeit als Krankenpflegerhelfer noch mit einer deutlich kürzeren Wartezeit, jedenfalls aber mit einer Zulassung zum Studium innerhalb einer zumutbaren Wartezeit gerechnet haben dürfte und möglicherweise auch vor diesem Hintergrund davon abgesehen haben mag, eine Berufsausbildung zum Krankenpfleger zu absolvieren, sich in seinem Vertrauen enttäuscht sieht, ist ohne Weiteres nachvollziehbar. Allerdings teilt er dieses Schicksal mit einer Vielzahl von Mitbewerbern, von denen wiederum ein großer Anteil – im Gegensatz zum Antragsteller – zunächst sogar eine einschlägige Berufsausbildung angetreten hat. Eine schematisierende Zuordnung all dieser Bewerber und des Antragstellers zur Härtefallquote würde deren Charakter als Ausnahmeregelung, die der Lösung von Problemen des Einzelfalles dient, erkennbar zuwider laufen. Auch insoweit nimmt die Kammer auf die Ausführungen in ihren Vorlagebeschlüssen vom 19. März 2013 – 6z K 4171/12 – (dort unter III.2. – S. 99 f.) und vom 18. März 2014 – 6z K 4229/13 u.a. – Bezug. Dort hat die Kammer im Übrigen auch dargelegt, dass eine Bevorzugung derjenigen Bewerber, die jahrelang kontinuierlich auf einen Studienplatz gewartet haben, gegenüber Gelegenheitsbewerbern, die sich erstmals, aber mit erheblicher "Wartezeit" um einen Studienplatz bemühen, derzeit aus tatsächlichen Gründen nicht in Betracht kommt, wenngleich eine solche Differenzierung im Ergebnis durchaus wünschenswert erschiene.
12Die Auffassung des Antragstellers, dass das geltende System der zentralen Studienplatzvergabe zu Lasten langjährig Wartender gegen Verfassungsrecht verstößt, teilt auch die beschließende Kammer. Sie hat diese Auffassung in ihren Vorlagebeschlüssen vom 19. März 2013 und vom 18. März 2014 ausführlich begründet.
13Vgl. VG Gelsenkirchen, Vorlagebeschlüsse vom 19. März 2013 – 6 K 4171/12 – und vom 18. März 2014 – 6z K 4229/13, 6z K 4324/13 und 6z K 4455/13 –, juris und www.nrwe.de.
14Die Kammer hat indes bereits in den vorgenannten Beschlüssen ausgeführt, dass aus der Verfassungswidrigkeit der in Rede stehenden Vorschriften kein unmittelbarer Zulassungsanspruch des langjährig wartenden Bewerbers resultiert, und sich damit der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen angeschlossen.
15Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 8. November 2011 – 13 B 1212/11 u.a. –, NJW 2012, 1096 ff.; siehe auch die Beschlüsse der Kammer vom 8. Oktober 2012 – 6z L 1018/12 –, juris, vom 5. Februar 2013 – 6z L 13/13 – und vom 28. März 2013 – 6z L 303/13 –, juris; anders noch die Beschlüsse vom 28./29. September 2011 – 6z L 940/11, 6z L 929/11 u.a. –, juris.
16An dieser Rechtsprechung, auf die bereits in der das vorliegende Verfahren betreffenden Eingangsverfügung vom 31. August 2015 hingewiesen worden ist, hält die Kammer fest; für eine einstweilige Anordnung entsprechend dem Hauptantrag des Antragstellers ist damit kein Raum.
17Soweit der Antragsteller weiter vorträgt, dass diejenigen, die wie er selbst an den verfassungswidrigen Auswahlgrenzen gescheitert seien, vorläufig zum Studium zugelassen werden müssten, solange die Funktionsfähigkeit der Hochschulen nicht leide, und dass seine Zulassung an der Hochschule, an der er entsprechend seinem Antrag auf Wartezeit zuzulassen wäre, die Funktionsfähigkeit ebendieser Hochschule nicht zuletzt angesichts der wenigen Klageverfahren zum Wintersemester 2015/2016 nicht beeinträchtigen werde, vermag dies eine andere rechtliche Bewertung nicht zu rechtfertigen. Wie soeben ausgeführt folgt aus der Verfassungswidrigkeit der in Rede stehenden Vorschriften gerade kein unmittelbarer Zulassungsanspruch. Ungeachtet dessen dürfte es im vorliegenden, auf die Zulassung zum Studium innerhalb der festgesetzten Kapazität gerichteten Verfahren auf die Frage, ob eine – wenn auch vorläufige – außerkapazitäre Zulassung zum Studium die Funktionsfähigkeit der betreffenden Hochschule beeinträchtigt, nicht ankommen. Klagen auf Zulassung zum Studium der Humanmedizin außerhalb der festgelegten Kapazität sind gegen die Hochschule zu richten, an der eine Zulassung begehrt wird, und bei dem für diese Hochschule örtlich zuständigen Verwaltungsgericht zu erheben.
18Auch der Hilfsantrag,
19die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller spätestens zum Sommersemester 2016 im Rahmen der Wartezeitquote einen Studienplatz im Fach Medizin entsprechend seinem dann zu stellenden Antrag zuzuweisen,
20bleibt ohne Erfolg.
21Er ist bereits unzulässig. Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer –
22so z.B. Gerichtsbescheid vom 5. März 20915 – 6z K 3908/14 –, www.nrwe.de, und Urteil vom 2. Dezember 2011 – 6z K 4083/10 –, www.nrwe.de, jeweils im Hinblick auf einen Feststellungsantrag, –
23liegen die Voraussetzungen für einen – mit dem Hilfsantrag verfolgten – vorbeugenden Rechtsschutz des Studienplatzbewerbers in Bezug auf künftige Bewerbungssemester regelmäßig nicht vor, da dem Betreffenden zugemutet werden kann, sich zunächst wieder bei der Beklagten um einen Studienplatz zu bewerben und gegebenenfalls gegen einen neuerlichen Ablehnungsbescheid im Wege der Verpflichtungsklage – unter Umständen ergänzt um einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes – vorzugehen.
24Auch an diesen Überlegungen hält die Kammer nach erneuter Prüfung fest. Der Antragsteller hat keine Umstände vorgetragen, die die Annahme nahelegen könnten, dass ihm das Ergreifen nachträglichen Rechtsschutzes nicht zuzumuten sein könnte.
25Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
26Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 2 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 1 des Gerichtskostengesetzes und entspricht der Praxis des erkennenden Gerichts in Verfahren der vorliegenden Art.
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Annotations
(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.
(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 3 der Zivilprozessordnung:
- 1.
über die Anordnung eines Arrests, zur Erwirkung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, wenn keine Festgebühren bestimmt sind, und auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie im Verfahren über die Aufhebung, den Widerruf oder die Abänderung der genannten Entscheidungen, - 2.
über den Antrag auf Zulassung der Vollziehung einer vorläufigen oder sichernden Maßnahme des Schiedsgerichts, - 3.
auf Aufhebung oder Abänderung einer Entscheidung auf Zulassung der Vollziehung (§ 1041 der Zivilprozessordnung), - 4.
nach § 47 Absatz 5 des Energiewirtschaftsgesetzes über gerügte Rechtsverletzungen, der Wert beträgt höchstens 100 000 Euro, und - 5.
nach § 148 Absatz 1 und 2 des Aktiengesetzes; er darf jedoch ein Zehntel des Grundkapitals oder Stammkapitals des übertragenden oder formwechselnden Rechtsträgers oder, falls der übertragende oder formwechselnde Rechtsträger ein Grundkapital oder Stammkapital nicht hat, ein Zehntel des Vermögens dieses Rechtsträgers, höchstens jedoch 500 000 Euro, nur insoweit übersteigen, als die Bedeutung der Sache für die Parteien höher zu bewerten ist.
(2) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 52 Absatz 1 und 2:
- 1.
über einen Antrag auf Erlass, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung oder § 114 der Finanzgerichtsordnung, - 2.
nach § 47 Absatz 6, § 80 Absatz 5 bis 8, § 80a Absatz 3 oder § 80b Absatz 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung, - 3.
nach § 69 Absatz 3, 5 der Finanzgerichtsordnung, - 4.
nach § 86b des Sozialgerichtsgesetzes und - 5.
nach § 50 Absatz 3 bis 5 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes.