Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Urteil, 24. Juni 2014 - 6 K 176/13
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Den Klägern wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks L. I. 9 (Gemarkung P. , Flur 3, Flurstück 1951) in C. . Das Grundstück ist mit einem freistehenden Wohnhaus mit Garage bebaut, das die Kläger selbst bewohnen. Das Grundstück liegt an der Südseite der Straße „L. I. “ und ist Teil eines im Wesentlichen von Wohnhäusern geprägten Gebiets. Die Beigeladene führt derzeit das streitgegenständliche Bauvorhaben auf dem Grundstück L. I. 8 (Gemarkung P1. , Flur 3, Flurstück 2236) durch. Dieses liegt dem Klägergrundstück gegenüber, auf der anderen Seite der ca. 7,5 m breiten Straße.
3Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 63 „L. I. “ aus dem Jahre 1979. Der Bebauungsplan setzt im fraglichen Bereich ein Allgemeines Wohngebiet (WA) mit offener Bauweise und Baufenstern fest. Die zu errichtenden Gebäude sind durch den Bebauungsplan auf zwei Vollgeschosse, eine Grundflächenzahl von 0,4 und eine Geschossflächenzahl von 0,8 beschränkt. Zudem ist die Dachform „Satteldach“ vorgegeben. Ein Teil des heutigen Flurstücks 2236 ist als Verkehrsfläche für eine seinerzeit geplante, nach Nordwesten abzweigende Straße ausgewiesen. Die Planbegründung enthält unter anderem den Hinweis, das Gebiet sei „eine der besten Wohnlagen Bergkamens“ und solle „entsprechend dem Bestand der lockeren Wohnbebauung zugeführt werden“. Städtebauliches Ziel der Planung sei „die Schaffung der planungsrechtlichen Voraussetzungen für den ein- und zweigeschossigen Einfamilienhausbau“.
4Weitere Einzelheiten der Bebauung zeigt der nachfolgende Kartenausschnitt:
5 6Am 16. Oktober 2012 beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für den „Neubau eines Mehrfamilienhauses mit 7 Wohneinheiten und 9 Garagen“. Zugleich wurde eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans zur östlichen Baugrenze, zur Dachform und zu der auf dem Grundstück ausgewiesenen Verkehrsfläche beantragt. Das geplante, rund 24 Meter breite Wohnhaus soll über zwei Vollgeschosse sowie ein Staffelgeschoss verfügen und mit einem Pultdach versehen sein. Der ca. zwölf Meter breite Mittelteil des Gebäudes hält zur Straße einen Abstand von knapp neun Metern ein, während der südwestliche Teil und der nordöstliche Teil Abstände von knapp 17 Metern und knapp 15 Metern wahren. Vor jedem der drei Gebäudeteile soll im ersten Obergeschoss ein zwei Meter tiefer, zur Straße hin ausgerichteter Balkon entstehen. Den am höchsten aufragenden Teil des Gebäudes bildet die südöstliche Traufe des Pultdachs mit einer Höhe von rund zehn Metern.
7Mit dem Bauantrag legte die Beigeladene die Zustimmung einer Reihe von Angrenzern vor. Die Kläger hatten die Zustimmung allerdings verweigert und machten mit Schreiben an die Beklagte vom 24. November 2012 und anlässlich einer mündlichen Vorsprache am 13. Dezember 2012 ausdrücklich Einwände gegen das Bauvorhaben, insbesondere gegen die abweichende Dachform und die Ausrichtung des geplanten Pultdachs geltend.
8Unter dem 11. Dezember 2012 wurde der Beigeladenen die begehrte Baugenehmigung (Az. 21200227) erteilt. Mit Befreiungsbescheid von demselben Tage wurden die beantragten Befreiungen erteilt.
9Am 11. Januar 2013 haben die Kläger die vorliegende Klage erhoben, zu deren Begründung sie ausführen: Die Beklagte habe im Verwaltungsverfahren ausdrücklich ihre Zustimmung zu dem Bauvorhaben gefordert; es sei inkonsequent, die Baugenehmigung trotz des Fehlens der Zustimmung zu erteilen. Bei der Erteilung der Befreiung seien ihre nachbarlichen Interessen verletzt worden. Durch das als Mehrfamilienhaus genehmigte Bauvorhaben werde der Gebietscharakter, der vorwiegend durch Einfamilienhäuser geprägt sei, nicht mehr gewahrt. Das genehmigte Gebäude sei überdies rücksichtslos. Es weise eine unzumutbare Massivität auf und sei in der Umgebung ohne Beispiel. Durch die Gestaltung mit Staffelgeschoss und Dachterrasse würden übermäßige Einsichtmöglichkeiten in ihr Grundstück geschaffen.
10Die Kläger beantragen sinngemäß (schriftsätzlich),
11die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 11. Dezember 2012 nebst dem Befreiungsbescheid vom 11. Dezember 2012 (Az. 21200227) aufzuheben.
12Die Beklagte beantragt (schriftsätzlich),
13die Klage abzuweisen.
14Sie trägt vor, das Wohngebiet L. I. sei durch eine Bebauung mit Ein- und Mehrfamilienhäusern geprägt. In unmittelbarer Nähe befänden sich bereits zwei Mehrfamilienhäuser mit sechs bzw. sieben Wohneinheiten. Das zur Genehmigung gestellte Vorhaben halte sich in diesem Rahmen. Übermäßige Einsichtmöglichkeiten seien ebenfalls nicht zu erwarten. Wegen der zwischen den Grundstücken liegenden Straße bestehe eine erhebliche Entfernung zwischen den Gebäuden. Das Wohnhaus der Kläger werde auch der Höhe nach durch das Bauvorhaben kaum überragt. Eine erdrückende Wirkung sei vor diesem Hintergrund nicht erkennbar.
15Die Beigeladene stellt keinen Antrag und hat sich im Klageverfahren nicht schriftsätzlich geäußert.
16Die Kammer hat am 14. Mai 2014 durch den Berichterstatter einen Ortstermin durchgeführt. Wegen der Einzelheiten wird auf das Terminsprotokoll verwiesen.
17Wegen der sonstigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe:
19Die Kammer entscheidet gemäß § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung, nachdem die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben.
20Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
21Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 11. Dezember 2012 ist hinsichtlich nachbarschützender Vorschriften rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
22Ein Nachbar kann nur dann erfolgreich gegen die einem Dritten erteilte Baugenehmigung vorgehen, wenn sie gegen nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Bauplanungs- oder Bauordnungsrechts verstößt und eine Befreiung oder Abweichung von diesen Vorschriften nicht vorliegt oder unter Berücksichtigung nachbarlicher Belange nicht hätte erteilt werden dürfen. Ob das Vorhaben objektiv, d. h. hinsichtlich derjenigen Vorschriften, die nicht nachbarschützend sind, rechtmäßig ist, ist dagegen im Nachbarverfahren unerheblich. Gemessen an diesen Maßstäben ist die angefochtene Baugenehmigung nicht zu beanstanden.
23Verstöße gegen das Bauordnungsrecht sind nicht ersichtlich. Insbesondere verstößt das genehmigte Vorhaben nicht zu Lasten der Kläger gegen die Vorgaben des § 6 BauO NRW. Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandflächen freizuhalten. Die Abstandflächen müssen nach § 6 Abs. 2 Satz 1 BauO NRW grundsätzlich auf dem Grundstück selbst liegen, können sich allerdings gemäß § 6 Abs. 2 S. 2 BauO NRW auch auf öffentliche Verkehrsflächen erstrecken (bis zu deren Mitte). Vorliegend liegen die Abstandflächen der in Richtung des Grundstücks der Kläger ausgerichteten südöstlichen Außenwände des Gebäudes auf dem Baugrundstück selbst.
24Auch bauplanungsrechtlich ist die erteilte Baugenehmigung nicht zu beanstanden. Soweit die Kläger eine Verletzung des „Gebietscharakters“ mit der Begründung rügen, ein Mehrfamilienhaus mit sieben Wohneinheiten sei in der Umgebung ohne Vorbild, vermag das Gericht ihnen nicht zu folgen. Abgesehen davon, dass die Beklagte zwei vergleichbare Mehrfamilienhäuser östlich des Baugrundstücks konkret benannt hat, ist festzustellen, dass der Bebauungsplan Nr. 63 „L. I. “ hinsichtlich der Zahl der Wohneinheiten je Gebäude keine Festsetzungen (z. B. nach § 4 Abs. 4 BauNVO 1977) enthält. Die Ausführungen in der Begründung zu dem Bebauungsplan, denen zufolge „die Voraussetzungen für den ein- und zweigeschossigen Einfamilienhausbau“ geschaffen werden sollten, haben somit keinen Eingang in die Planfestsetzungen gefunden und sind für die Entscheidung unbeachtlich.
25Das genehmigte Vorhaben verstößt auch nicht zu Lasten der Kläger gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme soll angesichts der gegenseitigen Verflechtungen der baulichen Situation benachbarter Grundstücke einen angemessenen planungsrechtlichen Ausgleich schaffen, der einerseits dem Bauherrn ermöglicht, was von seiner Interessenlage her verständlich und unabweisbar ist, und andererseits dem Nachbarn erspart, was an Belästigungen und Nachteilen für ihn unzumutbar ist. Die Beachtung des Rücksichtnahmegebots soll gewährleisten, Nutzungen, die geeignet sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen, einander so zuzuordnen, dass Konflikte möglichst vermieden werden. Die sich daraus ergebenden Anforderungen sind im Einzelfall festzustellen, wobei die konkreten Umstände zu würdigen, insbesondere die gegenläufigen Interessen des Bauherrn und des Nachbarn in Anwendung des Maßstabes der planungsrechtlichen Zumutbarkeit gegeneinander abzuwägen sind. Dabei kann desto mehr an Rücksichtnahme verlangt werden, je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung dessen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute kommt; umgekehrt braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, desto weniger Rücksicht zu nehmen, je verständlicher und unabweisbarer die von ihm mit dem Bauvorhaben verfolgten Interessen sind.
26Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Januar 1983 ‑ 4 C 59.79 ‑, BauR 1983, 449, vom 28. Oktober 1993 ‑ 4 C 5.93 ‑, DVBl 1994, 697 und vom 23. September 1999 ‑ 4 C 6.98 ‑, DVBl 2000, 192; OVG NRW, Beschlüsse vom 3. September 1999 ‑ 10 B 1283/99 ‑, NVwZ 1999, 1360, und vom 29. August 2011 - 2 B 940/11 -, juris.
27Ausgehend von diesen Grundsätzen vermag das Gericht nicht zu erkennen, dass die Kläger durch die angefochtene Baugenehmigung unzumutbar beeinträchtigt werden. Dabei bietet § 6 BauO NRW auch für die Rücksichtnahmeprüfung eine gewisse Orientierung. Denn diese Vorschrift dient gerade dem Zweck, die Interessen von Grundstücksnachbarn im Falle einer grenzständigen oder grenznahen Bebauung zum Ausgleich zu bringen. Dass die bauliche Anlage – wie oben aufgezeigt – die Vorgaben des Abstandflächenrechts deutlich einhält, gibt insoweit einen gewissen Anhalt, wenngleich durch die (landesrechtlichen) Vorgaben des § 6 BauO NRW keine verbindliche Konkretisierung des (bundesrechtlichen) Rücksichtnahmegebots herbeigeführt werden kann und insbesondere nach der Zurücknahme der abstandflächenrechtlichen Anforderungen im Rahmen der Novellierung der Bauordnung NRW vom Dezember 2006 stets eine Betrachtung des Einzelfalls geboten ist.
28Vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 9. Februar 2009- 10 B 1713/08 -, BauR 2009, 775.
29Auch eine solche Einzelfallbetrachtung führt vorliegend nicht zu einem von der Wertung des Abstandflächenrechts abweichenden Ergebnis. Wesentliche Beeinträchtigungen der Belichtung und Besonnung des Klägergrundstücks liegen schon wegen der Lage des Neubaus – nördlich des Grundstücks der Kläger – und wegen des erheblichen Abstands zwischen dem Neubau und dem Wohnhaus der Kläger – mehr als 20 Meter – wenig nahe. Die Kammer kann auch nicht feststellen, dass das genehmigte Gebäude eine „erdrückende Wirkung“ auf das Haus oder das Grundstück der Kläger hat. Rücksichtslos erweist sich ein Bauvorhaben insoweit erst dann, wenn es ein benachbartes Grundstück unangemessen benachteiligt, indem es diesem förmlich "die Luft nimmt", wenn für den Nachbarn das Gefühl des "Eingemauertseins" entsteht oder wenn die Größe des "erdrückenden" Gebäudes aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls derart übermächtig ist, dass das "erdrückte" Gebäude oder Grundstück nur noch oder überwiegend wie eine von einem "herrschenden" Gebäude dominierte Fläche ohne eigene Charakteristik wahrgenommen wird.
30Vgl. dazu OVG NRW, Urteile vom 19. Juli 2010 - 7 A 3199/08 -, juris, und vom 18. Oktober 2011 - 10 A 26/09 -, juris, Beschlüsse vom 30. August 2012 - 2 A 983/12 -, juris, und vom 18. Februar 2014 - 7 B 1416/13 -, juris.
31Dies ist hier nicht der Fall. Der genehmigte Neubau geht der Höhe nach nicht wesentlich über das Wohnhaus der Kläger hinaus. Zwar wirkt das Gebäude wegen des Pultdachs und der auf der Südostseite relativ hohen Wände des Staffelgeschosses recht massiv. Dieser Eindruck wird jedoch zu einem guten Teil durch die starke Gliederung des Gebäudes – namentlich durch das deutliche Zurücktreten der südöstlichen Außenwände auf immerhin rund 12 von 24 Metern – ausgeglichen. Vor diesem Hintergrund liegt die Annahme, dass das Grundstück der Kläger fortan als „beherrschte Fläche ohne eigene Charakteristik“ wahrgenommen werden könnte, fern. Zu berücksichtigen ist insoweit auch, dass das Mehrfamilienhaus der Beigeladenen sowohl gemessen an der durch den Bebauungsplan festgesetzten vorderen Baugrenze als auch nach den abstandflächenrechtlichen Maßgaben noch deutlich näher an die Straße und damit an das Wohnhaus der Kläger hätte herangerückt werden dürfen. Ähnliches gilt für die gewählte Dachform: Hätte die Beigeladene das nach dem Bebauungsplan vorgesehene Satteldach mit einer Neigung von 38 Grad gewählt, so hätte das Mehrfamilienhaus um mehrere Meter höher werden können.
32Soweit die Kläger schließlich geltend machen, aus den Fenstern und von der Dachterrasse des Neubaus aus werde man Einblickmöglichkeiten auf ihr Grundstück haben, vermag auch dies nicht die Rücksichtslosigkeit des Bauvorhabens zu begründen. In einem bebauten innerstädtischen Wohngebiet muss jeder Grundstückseigentümer mit der Möglichkeit rechnen, dass in gewissem Umfang entsprechende Einsichtmöglichkeiten bestehen.
33Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Februar 2009- 10 B 1713/08 -, BauR 2009, 775.
34Hinzu kommt vorliegend, dass allenfalls der vordere Bereich des Grundstücks der Kläger und die dortigen Fenster erweiterten Einblickmöglichkeiten ausgesetzt sind. Der Terrassen- und Gartenbereich auf der Südseite hingegen ist durch das Wohnhaus der Kläger gegen Blicke von dem Grundstück der Beigeladenen abgeschirmt.
35Soweit die Kläger ausdrücklich die Erteilung der Befreiungen angreifen, ist darauf hinzuweisen, dass auch insoweit die Abwehrrechte der Nachbarn begrenzt sind. § 31 Abs. 2 BauGB hat zwar mit dem Gebot der Würdigung nachbarlicher Interessen drittschützende Wirkung. Das bedeutet aber lediglich, dass bei einer fehlerhaften Befreiung von nachbarschützenden Festsetzungen eines Bebauungsplans ein nachbarlicher Abwehranspruch gegeben ist, dass also bei nachbarschützenden Festsetzungen jeder Fehler bei der Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB zur Aufhebung der Baugenehmigung führen muss. Demgegenüber besteht Drittschutz des Nachbarn bei einer rechtswidrigen Befreiung von nicht nachbarschützenden Festsetzungen nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung nur, wenn seine nachbarlichen Interessen nicht hinreichend berücksichtigt worden sind; alle übrigen denkbaren Fehler einer Befreiung machen diese und die auf ihr beruhende Baugenehmigung zwar objektiv rechtswidrig, vermitteln dem Nachbarn aber keinen Abwehranspruch, weil seine eigenen Rechte nicht berührt werden. Unter welchen Voraussetzungen eine Befreiung die Rechte des Nachbarn verletzt, ist dabei nach den Maßstäben zu beantworten, welche die Rechtsprechung zum Gebot der Rücksichtnahme entwickelt hat.
36Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Februar 2014 - 7 B 1416/13 -, juris.
37Vorliegend haben die in Rede stehendenden Festsetzungen – Dachform, überbaubare Grundstücksfläche und Verkehrsfläche – weder nach ihrem Inhalt noch nach der Begründung des Bebauungsplans nachbarschützende Wirkung. Die Befreiung ist daher nur am Maßstab des Rücksichtnahmegebots zu überprüfen. Dieses ist – wie oben bereits aufgezeigt – durch die Gestaltung des Bauvorhabens nicht verletzt.
38Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nicht für erstattungsfähig zu erklären, da diese keinen Antrag gestellt und sich damit ihrerseits nicht dem Risiko der Kostentragung (§ 154 Abs. 3 VwGO) ausgesetzt hat.
39Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 711 Zivilprozessordnung.
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(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.
(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Allgemeine Wohngebiete dienen vorwiegend dem Wohnen.
(2) Zulässig sind
- 1.
Wohngebäude, - 2.
die der Versorgung des Gebiets dienenden Läden, Schank- und Speisewirtschaften sowie nicht störenden Handwerksbetriebe, - 3.
Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke.
(3) Ausnahmsweise können zugelassen werden
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die erstattungsfähig sind.
Der Wert des Streitgegenstands wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,00 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
3Das Verwaltungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, der zulässige Antrag sei unbegründet; die Interessenabwägung falle zu Lasten der Antragsteller aus, da nicht erkennbar sei, dass die streitige Baugenehmigung gegen Nachbarschutz vermittelnde Vorschriften des öffentlichen Rechts verstoße.
4Die dagegen mit der Beschwerde fristgemäß vorgebrachten Einwände führen zu keinem anderen Ergebnis. Die angegriffene Baugenehmigung ist summarischer Prüfung zufolge nicht in nachbarrechtsrelevanter Weise rechtswidrig.
5Der Senat vermag nicht festzustellen, dass das Vorhaben gegen das Rücksicht-nahmegebot verstößt. Auch im Rahmen einer Gesamtschau ist mit Blick auf das Volumen des Vorhabengebäudes, die durchgehende Bebauung von der V.--straße bis zum G. , die Höhen des Vorhabengebäudes und der Gebäude der Antragsteller und die Stellung der Gebäude der Antragsteller auf dem Grundstück weder die angesprochene „erdrückende Wirkung“ gegenüber dem Grundstück der Antragsteller noch sonst eine rechtlich relevante Rücksichtslosigkeit anzunehmen.
6Eine erdrückende Wirkung wird angenommen, wenn eine bauliche Anlage wegen ihrer Ausmaße, ihrer Baumasse oder ihrer massiven Gestaltung ein benachbartes Grundstück unangemessen benachteiligt, indem es diesem förmlich „die Luft nimmt“, wenn für den Nachbarn das Gefühl des „Eingemauertseins“ entsteht oder wenn die Größe des „erdrückenden“ Gebäudes auf Grund der Besonderheiten des Einzelfalls ‑ und gegebenenfalls trotz Wahrung der erforderlichen Abstandflächen - derartig übermächtig ist, dass das „erdrückte“ Gebäude oder Grundstück nur noch oder überwiegend wie eine von einem „herrschenden“ Gebäude dominierte Fläche ohne eigene Charakteristik wahrgenommen wird.
7Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Juli 2010 - 7 A 3199/08 -, BRS 76 Nr. 181 = BauR 2011, 248 und Beschlüsse vom 24. April 2012 - 7 B 242/12 -, und vom 6. Juni 2012 - 7 B 487/12 -.
8Eine solche Wirkung kann angesichts der Umstände des Einzelfalls nicht angenommen werden.
9Der zur V.--straße gelegene höchste Dachfirst des geplanten Hauses des Beigeladenen ist nach den Angaben im amtlichen Lageplan 79,99 m ü. N. N. und damit lediglich 2,3 m höher als der Dachfirst des an der V.--straße gelegenen Wohnhauses der Antragsteller (First 77,69 ü. N. N.). Zum G. hin fällt das geplante Gebäude in drei Stufen (79,085 m ü. N. N., Brüstungshöhe 77,265 m ü. N. N., Brüstungshöhe 74,49 m ü. N. N.) ab, so dass die Höhendifferenz zwischen dem Wohnhaus der Antragsteller am G. und dem Vorhaben an der östlichen Gebäudeabschlusswand einschließlich der Brüstungen nur 2,75 m beträgt (74,49 m ü. N. N. - 71,74 m ü. N. N.) und somit keinesfalls von einem „Übermaß an Höhe“ des streitgegenständlichen Gebäudes gesprochen werden kann. Auch der Vergleich des absoluten Höhenunterschiedes des Vorhabengebäudes und des am G. gelegenen Wohnhauses der Antragsteller von ca. 8,25 m (Dachfirsthöhe 79,99 m ü. N. N. – 71,74 m ü. N. N.) führt nicht zur Annahme einer erdrückenden Wirkung. Vielmehr handelt es sich um einen im innerstädtischen Bereich nicht unüblichen Höhenversprung aneinander stehender Gebäude. Unter Berücksichtigung der Bautiefe des Gebäudes des Beigeladenen von etwa 21 m ändert daran auch nichts, dass dieses an der zur V.--straße ausgerichteten Seite ca. doppelt so hoch ist, wie das Flachdachgebäude der Antragsteller am G. . Die Annahme eines unzumutbaren „Eingemauertseins“ scheidet auch hinsichtlich ihres Innenhofes aus. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf verwiesen, dass die befürchtete Entstehung einer „Innenhofsituation“ im Wesentlichen Folge der baulichen Ausnutzung des Grundstücks der Antragsteller ist. Eine erdrückende Wirkung wäre selbst dann nicht anzunehmen, wenn die Ostseite des Grundstücks der Antragsteller überhaupt nicht bebaut wäre.
10Gegenüber den Antragstellern resultiert eine Rücksichtslosigkeit im Rechtssinne auch nicht aus den vom Vorhaben des Beigeladenen ausgehenden Einsichtsmöglichkeiten. In einem bebauten innerstädtischen Wohngebiet müssen Nachbarn hinnehmen, dass Grundstücke innerhalb des durch das Bauplanungs- und das Bauordnungsrecht (insbesondere § 6 BauO NRW) vorgegebenen Rahmens baulich ausgenutzt werden und es dadurch zu Einsichtsmöglichkeiten kommt, die in einem bebauten Gebiet üblich sind.
11Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 1. Juni 2007 ‑ 7 A 3852/06 -, BRS 71 Nr. 127, vom 9. Februar 2009 - 10 B 1713/08 -, BRS 74 Nr. 181 und vom 6. Juni 2012 - 7 B 487/12 -.
12Die Antragsteller können nicht beanspruchen, dass das Grundstück des Beigeladenen nicht oder nur so bebaut wird, dass die Möglichkeit eines Einblicks nicht gegeben ist. In Anbetracht der Vorgaben des Bebauungsplanes und der Lage des Grundstücks des Beigeladenen mussten die Antragsteller mit einer durchgehenden Bebauung dieses Grundstücks rechnen. Die geschaffenen Einsichtsmöglichkeiten gehen ihrer Qualität nach nicht über eine regelmäßig hinzunehmende gegenseitige Einsichtnahme in die jeweiligen Ruhebereiche hinaus. Mangels einer durch das Vorhaben veranlassten unangemessenen Benachteiligung des Grundstücks der Antragsteller ist es irrelevant, ob die Planänderung auch im Interesse des Beigeladenen erfolgte.
13Ohne Erfolg wendet sich die Beschwerde gegen die erstinstanzliche Annahme, auch bei der Erteilung der Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB seien Nachbarrechte der Antragsteller nicht verletzt worden.
14Soweit die Antragsteller rügen, nicht sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB hätten vorgelegen und hinsichtlich des 2. Dachgeschosses fehle es gänzlich an einer Befreiung, verkennen sie die Reichweite ihrer Abwehrrechte. § 31 Abs. 2 BauGB hat zwar mit dem Gebot der Würdigung nachbarlicher Interessen drittschützende Wirkung. Das bedeutet aber lediglich, dass nur bei einer fehlerhaften Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung eines Bebauungsplans ein nachbarlicher Abwehranspruch gegeben ist, dass also bei nachbarschützenden Festsetzungen jeder Fehler bei der Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB zur Aufhebung der Baugenehmigung führen muss. Demgegenüber besteht Drittschutz des Nachbarn bei einer rechtswidrigen Befreiung von einer nicht nachbarschützenden Festsetzung nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung vielmehr nur, wenn seine nachbarlichen Interessen nicht hinreichend berücksichtigt worden sind; alle übrigen denkbaren Fehler einer Befreiung machen diese und die auf ihr beruhende Baugenehmigung zwar objektiv rechtswidrig, vermitteln dem Nachbarn aber keinen Abwehranspruch, weil seine eigenen Rechte nicht berührt werden. Unter welchen Voraussetzungen eine Befreiung die Rechte des Nachbarn verletzt, ist dabei nach den Maßstäben zu beantworten, die das Bundesverwaltungsgericht zum Gebot der Rücksichtnahme entwickelt hat.
15Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Juli 1998 - 4 B 64.98 -, BauR 1998, 1206 = BRS 60 Nr. 183, und Urteil vom 19. September 1986 - 4 C 8.84 -, BauR 1987, 70 = BRS 46 Nr. 173; OVG NRW, Beschluss vom 17. Februar 2011 - 7 B 1803/10 -, BRS 78 Nr. 188.
16Dass hier von einer nachbarsschützenden Festsetzung des Bebauungsplanes abgewichen wird, haben die Antragsteller schon nicht dargelegt. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots liegt aus obigen Gründen nicht vor.
17Den von den Antragstellern geltend gemachten objektivrechtlichen Verstößen - der Bebauungsplan sei unwirksam und das Vorhaben füge sich hinsichtlich seines Höhenmaßes, der Dachneigung und der Geschossflächenzahl nicht in die nähere Umgebung ein - kommt keine nachbarschützende Wirkung zu. Selbiges gilt hinsichtlich des schon nicht dargelegten Wertverlustes ihres Grundstücks.
18Aus der geltend gemachten fehlenden Angrenzerbeteiligung der Antragsteller im Sinne von § 74 BauO NRW können diese letztlich ebenfalls keine abwehrfähige Rechtsposition herleiten. Hierzu hat bereits das Verwaltungsgericht aufgezeigt, dass ein solcher Verfahrensfehler unabhängig von einer materiellen Rechtsverletzung des Nachbarn keinen Anspruch des nichtbeteiligten Nachbarn auf Aufhebung des Verwaltungsaktes begründen kann, abgesehen davon ist ohnehin von einer Heilung des Mangels nach den zumindest entsprechend anwendbaren Regelungen des § 45 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 VwVfG NRW bzw. von einer Unbeachtlichkeit gemäß § 46 VwVfG NRW auszugehen.
19Vgl. hierzu etwa: OVG NRW, Beschluss vom 14. Juni 2013 - 2 B 492/13 -; Johlen, in: Gädtke/Czepuck/Johlen/Plietz/Wenzel, BauO NRW, 12. Auflage, 2011, § 74 Rn. 87a; Schönenbroicher/Kamp/ BauO NRW, 2012, Rn. 1, 31 zu § 74.
20Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO; es entspricht der Billigkeit, den Antragstellern auch die Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen, weil dieser einen Antrag gestellt und sich damit selbst einem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
21Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
22Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
(1) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans können solche Ausnahmen zugelassen werden, die in dem Bebauungsplan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen sind.
(2) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans kann befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und
- 1.
Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung, des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, des Bedarfs an Anlagen für soziale Zwecke und des Bedarfs an einem zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien, die Befreiung erfordern oder - 2.
die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder - 3.
die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde
(3) In einem Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt, das nach § 201a bestimmt ist, kann mit Zustimmung der Gemeinde im Einzelfall von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugunsten des Wohnungsbaus befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Von Satz 1 kann nur bis zum Ende der Geltungsdauer der Rechtsverordnung nach § 201a Gebrauch gemacht werden. Die Befristung in Satz 2 bezieht sich nicht auf die Geltungsdauer einer Genehmigung, sondern auf den Zeitraum, bis zu dessen Ende im bauaufsichtlichen Verfahren von der Vorschrift Gebrauch gemacht werden kann. Für die Zustimmung der Gemeinde nach Satz 1 gilt § 36 Absatz 2 Satz 2 entsprechend.
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die erstattungsfähig sind.
Der Wert des Streitgegenstands wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,00 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
3Das Verwaltungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, der zulässige Antrag sei unbegründet; die Interessenabwägung falle zu Lasten der Antragsteller aus, da nicht erkennbar sei, dass die streitige Baugenehmigung gegen Nachbarschutz vermittelnde Vorschriften des öffentlichen Rechts verstoße.
4Die dagegen mit der Beschwerde fristgemäß vorgebrachten Einwände führen zu keinem anderen Ergebnis. Die angegriffene Baugenehmigung ist summarischer Prüfung zufolge nicht in nachbarrechtsrelevanter Weise rechtswidrig.
5Der Senat vermag nicht festzustellen, dass das Vorhaben gegen das Rücksicht-nahmegebot verstößt. Auch im Rahmen einer Gesamtschau ist mit Blick auf das Volumen des Vorhabengebäudes, die durchgehende Bebauung von der V.--straße bis zum G. , die Höhen des Vorhabengebäudes und der Gebäude der Antragsteller und die Stellung der Gebäude der Antragsteller auf dem Grundstück weder die angesprochene „erdrückende Wirkung“ gegenüber dem Grundstück der Antragsteller noch sonst eine rechtlich relevante Rücksichtslosigkeit anzunehmen.
6Eine erdrückende Wirkung wird angenommen, wenn eine bauliche Anlage wegen ihrer Ausmaße, ihrer Baumasse oder ihrer massiven Gestaltung ein benachbartes Grundstück unangemessen benachteiligt, indem es diesem förmlich „die Luft nimmt“, wenn für den Nachbarn das Gefühl des „Eingemauertseins“ entsteht oder wenn die Größe des „erdrückenden“ Gebäudes auf Grund der Besonderheiten des Einzelfalls ‑ und gegebenenfalls trotz Wahrung der erforderlichen Abstandflächen - derartig übermächtig ist, dass das „erdrückte“ Gebäude oder Grundstück nur noch oder überwiegend wie eine von einem „herrschenden“ Gebäude dominierte Fläche ohne eigene Charakteristik wahrgenommen wird.
7Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Juli 2010 - 7 A 3199/08 -, BRS 76 Nr. 181 = BauR 2011, 248 und Beschlüsse vom 24. April 2012 - 7 B 242/12 -, und vom 6. Juni 2012 - 7 B 487/12 -.
8Eine solche Wirkung kann angesichts der Umstände des Einzelfalls nicht angenommen werden.
9Der zur V.--straße gelegene höchste Dachfirst des geplanten Hauses des Beigeladenen ist nach den Angaben im amtlichen Lageplan 79,99 m ü. N. N. und damit lediglich 2,3 m höher als der Dachfirst des an der V.--straße gelegenen Wohnhauses der Antragsteller (First 77,69 ü. N. N.). Zum G. hin fällt das geplante Gebäude in drei Stufen (79,085 m ü. N. N., Brüstungshöhe 77,265 m ü. N. N., Brüstungshöhe 74,49 m ü. N. N.) ab, so dass die Höhendifferenz zwischen dem Wohnhaus der Antragsteller am G. und dem Vorhaben an der östlichen Gebäudeabschlusswand einschließlich der Brüstungen nur 2,75 m beträgt (74,49 m ü. N. N. - 71,74 m ü. N. N.) und somit keinesfalls von einem „Übermaß an Höhe“ des streitgegenständlichen Gebäudes gesprochen werden kann. Auch der Vergleich des absoluten Höhenunterschiedes des Vorhabengebäudes und des am G. gelegenen Wohnhauses der Antragsteller von ca. 8,25 m (Dachfirsthöhe 79,99 m ü. N. N. – 71,74 m ü. N. N.) führt nicht zur Annahme einer erdrückenden Wirkung. Vielmehr handelt es sich um einen im innerstädtischen Bereich nicht unüblichen Höhenversprung aneinander stehender Gebäude. Unter Berücksichtigung der Bautiefe des Gebäudes des Beigeladenen von etwa 21 m ändert daran auch nichts, dass dieses an der zur V.--straße ausgerichteten Seite ca. doppelt so hoch ist, wie das Flachdachgebäude der Antragsteller am G. . Die Annahme eines unzumutbaren „Eingemauertseins“ scheidet auch hinsichtlich ihres Innenhofes aus. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf verwiesen, dass die befürchtete Entstehung einer „Innenhofsituation“ im Wesentlichen Folge der baulichen Ausnutzung des Grundstücks der Antragsteller ist. Eine erdrückende Wirkung wäre selbst dann nicht anzunehmen, wenn die Ostseite des Grundstücks der Antragsteller überhaupt nicht bebaut wäre.
10Gegenüber den Antragstellern resultiert eine Rücksichtslosigkeit im Rechtssinne auch nicht aus den vom Vorhaben des Beigeladenen ausgehenden Einsichtsmöglichkeiten. In einem bebauten innerstädtischen Wohngebiet müssen Nachbarn hinnehmen, dass Grundstücke innerhalb des durch das Bauplanungs- und das Bauordnungsrecht (insbesondere § 6 BauO NRW) vorgegebenen Rahmens baulich ausgenutzt werden und es dadurch zu Einsichtsmöglichkeiten kommt, die in einem bebauten Gebiet üblich sind.
11Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 1. Juni 2007 ‑ 7 A 3852/06 -, BRS 71 Nr. 127, vom 9. Februar 2009 - 10 B 1713/08 -, BRS 74 Nr. 181 und vom 6. Juni 2012 - 7 B 487/12 -.
12Die Antragsteller können nicht beanspruchen, dass das Grundstück des Beigeladenen nicht oder nur so bebaut wird, dass die Möglichkeit eines Einblicks nicht gegeben ist. In Anbetracht der Vorgaben des Bebauungsplanes und der Lage des Grundstücks des Beigeladenen mussten die Antragsteller mit einer durchgehenden Bebauung dieses Grundstücks rechnen. Die geschaffenen Einsichtsmöglichkeiten gehen ihrer Qualität nach nicht über eine regelmäßig hinzunehmende gegenseitige Einsichtnahme in die jeweiligen Ruhebereiche hinaus. Mangels einer durch das Vorhaben veranlassten unangemessenen Benachteiligung des Grundstücks der Antragsteller ist es irrelevant, ob die Planänderung auch im Interesse des Beigeladenen erfolgte.
13Ohne Erfolg wendet sich die Beschwerde gegen die erstinstanzliche Annahme, auch bei der Erteilung der Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB seien Nachbarrechte der Antragsteller nicht verletzt worden.
14Soweit die Antragsteller rügen, nicht sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB hätten vorgelegen und hinsichtlich des 2. Dachgeschosses fehle es gänzlich an einer Befreiung, verkennen sie die Reichweite ihrer Abwehrrechte. § 31 Abs. 2 BauGB hat zwar mit dem Gebot der Würdigung nachbarlicher Interessen drittschützende Wirkung. Das bedeutet aber lediglich, dass nur bei einer fehlerhaften Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung eines Bebauungsplans ein nachbarlicher Abwehranspruch gegeben ist, dass also bei nachbarschützenden Festsetzungen jeder Fehler bei der Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB zur Aufhebung der Baugenehmigung führen muss. Demgegenüber besteht Drittschutz des Nachbarn bei einer rechtswidrigen Befreiung von einer nicht nachbarschützenden Festsetzung nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung vielmehr nur, wenn seine nachbarlichen Interessen nicht hinreichend berücksichtigt worden sind; alle übrigen denkbaren Fehler einer Befreiung machen diese und die auf ihr beruhende Baugenehmigung zwar objektiv rechtswidrig, vermitteln dem Nachbarn aber keinen Abwehranspruch, weil seine eigenen Rechte nicht berührt werden. Unter welchen Voraussetzungen eine Befreiung die Rechte des Nachbarn verletzt, ist dabei nach den Maßstäben zu beantworten, die das Bundesverwaltungsgericht zum Gebot der Rücksichtnahme entwickelt hat.
15Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Juli 1998 - 4 B 64.98 -, BauR 1998, 1206 = BRS 60 Nr. 183, und Urteil vom 19. September 1986 - 4 C 8.84 -, BauR 1987, 70 = BRS 46 Nr. 173; OVG NRW, Beschluss vom 17. Februar 2011 - 7 B 1803/10 -, BRS 78 Nr. 188.
16Dass hier von einer nachbarsschützenden Festsetzung des Bebauungsplanes abgewichen wird, haben die Antragsteller schon nicht dargelegt. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots liegt aus obigen Gründen nicht vor.
17Den von den Antragstellern geltend gemachten objektivrechtlichen Verstößen - der Bebauungsplan sei unwirksam und das Vorhaben füge sich hinsichtlich seines Höhenmaßes, der Dachneigung und der Geschossflächenzahl nicht in die nähere Umgebung ein - kommt keine nachbarschützende Wirkung zu. Selbiges gilt hinsichtlich des schon nicht dargelegten Wertverlustes ihres Grundstücks.
18Aus der geltend gemachten fehlenden Angrenzerbeteiligung der Antragsteller im Sinne von § 74 BauO NRW können diese letztlich ebenfalls keine abwehrfähige Rechtsposition herleiten. Hierzu hat bereits das Verwaltungsgericht aufgezeigt, dass ein solcher Verfahrensfehler unabhängig von einer materiellen Rechtsverletzung des Nachbarn keinen Anspruch des nichtbeteiligten Nachbarn auf Aufhebung des Verwaltungsaktes begründen kann, abgesehen davon ist ohnehin von einer Heilung des Mangels nach den zumindest entsprechend anwendbaren Regelungen des § 45 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 VwVfG NRW bzw. von einer Unbeachtlichkeit gemäß § 46 VwVfG NRW auszugehen.
19Vgl. hierzu etwa: OVG NRW, Beschluss vom 14. Juni 2013 - 2 B 492/13 -; Johlen, in: Gädtke/Czepuck/Johlen/Plietz/Wenzel, BauO NRW, 12. Auflage, 2011, § 74 Rn. 87a; Schönenbroicher/Kamp/ BauO NRW, 2012, Rn. 1, 31 zu § 74.
20Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO; es entspricht der Billigkeit, den Antragstellern auch die Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen, weil dieser einen Antrag gestellt und sich damit selbst einem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
21Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
22Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.
In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt entsprechend, für den Schuldner jedoch mit der Maßgabe, dass Sicherheit in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages zu leisten ist. Für den Gläubiger gilt § 710 entsprechend.