Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Beschluss, 10. Apr. 2015 - 18a L 453/15.A
Gericht
Tenor
Der Antrag,
die aufschiebende Wirkung der Klage 18a K 1140/15.A gegen die im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. Februar 2015 in Ziffer 2. enthaltene Abschiebungsanordnung nach Ungarn anzuordnen,
hat keinen Erfolg.
1
Gründe:
2Der Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 18a K 1140/15.A gegen die im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. Februar 2015 in Ziffer 2. enthaltene Abschiebungsanordnung nach Ungarn anzuordnen,
4hat keinen Erfolg.
5Der gemäß § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag an das Gericht gegen die auf der Grundlage des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG vom Bundesamt in Ziffer 2. des angefochtenen Bescheides verfügte Abschiebungsanordnung ist zulässig, insbesondere fristgerecht.
6Der Antrag ist allerdings unbegründet.
7Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung – einer Klage – ganz oder teilweise anordnen, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen das private Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt. Maßgebliche – aber nicht ausschließliche – Grundlage der Abwägungsentscheidung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache, soweit diese sich bei summarischer Prüfung im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes abschätzen lassen.
8Diese Interessenabwägung fällt hier zugunsten der Antragsgegnerin aus, da die Klage des Antragstellers in der Hauptsache zu dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den vorläufigen Rechtsschutzantrag keine Aussicht auf Erfolg hat. Die in Ziffer 2. des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. Februar 2015 getroffene Abschiebungsanordnung nach Ungarn erweist sich bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage aller Voraussicht nach als rechtmäßig.
9a) Ob die Republik Ungarn für die Bearbeitung des Asylbegehrens des Antragstellers gemäß Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. Nr. L 180 S. 31; im Folgenden: VO [EU] Nr. 604/2013, so genannte Dublin-III-VO) zuständig ist, kann offen bleiben. Denn selbst wenn die Republik Ungarn nicht gemäß Art. 13 Abs. 1 VO (EU) Nr. 604/2013 zuständig wäre, könnte sich der Antragsteller nicht auf diesen Umstand berufen. Die subjektive Rechtsstellung von Asylbewerbern in Verfahren nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 ist nämlich – jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden, in denen der ersuchte Mitgliedstaat der Wiederaufnahme des Asylbewerbers bereits zugestimmt hat – nur insofern betroffen, als es darum geht, ob diese auf der Grundlage von ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründen in dem Mitgliedstaat, in den sie überstellt werden sollen, ernsthaft Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 14. Dezember 2007 (ABl. Nr. C 303 S. 1) ausgesetzt zu werden (vgl. nunmehr ausdrücklich von Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 VO [EU] Nr. 604/2013 rezipiert). Keine subjektiven Rechte sind hingegen von der Prüfung berührt, ob im jeweiligen Fall die Rangkriterien der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 richtig angewendet oder aber damit verbundene Form- und Fristerfordernisse korrekt beachtet wurden. Diese Zuständigkeitsvorschriften sind allein an die Mitgliedstaaten adressiert und sehen Rechte und Pflichten (allein) für die EU-Mitgliedstaaten vor.
10Vgl. die noch zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (so gen. Dublin-II-VO) ergangene, auf die hier anzuwendende Verordnung (EU) Nr. 604/2013 uneingeschränkt übertragbare Rechtsprechung: EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, S. 208 ff. = juris Rn. 60 und 62; OVG RP, Ur-teil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13 – juris Rn. 33; Beschluss der erkennenden Kammer vom 23. Dezember 2013 – 18a L 1458/13.A – (n.v.).
11Dies folgt insbesondere aus einer Berücksichtigung nicht nur des Wortlauts der Verordnung (EU) Nr. 604/2013, sondern auch namentlich ihres allgemeinen Aufbaus, ihrer Ziele und ihres Kontextes. Dazu gehört ferner die Entwicklung, der sie im Zusammenhang mit dem unionsrechtlichen System, in das sie sich einfügt, unterworfen war. Die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 beruht auf einem Prinzip gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedstaaten untereinander in die Beachtung der unionsrechtlichen Regularien. Auf dieser Grundlage dient die Verordnung den Zielen, die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren, die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrags zuständigen Staates zu erhöhen und damit dem „Forum Shopping“ zuvorzukommen. Dabei bezweckt all dies hauptsächlich, die Bearbeitung der Anträge im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen. Einer der Hauptzwecke der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 besteht gerade in der Schaffung einer klaren und praktikablen Formel für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden. Dementsprechend bezeugen verschiedene Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 die Absicht des Unionsgesetzgebers, für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats organisatorische Vorschriften festzulegen, die die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten regeln.
12Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – juris Rn. 50-59.
13Für den Antragsteller streitet nicht etwa der Umstand, die Antragsgegnerin sei verpflichtet gewesen, das ausdrücklich in ihrem Ermessen stehende Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Unterabsatz 1 VO (EU) Nr. 604/2013 auszuüben, weil ein Bruder des Antragstellers im Bundesgebiet lebt. Die Vorschrift begründet nämlich keine subjektiven Rechte des jeweiligen (Asyl-)Antragstellers. Sie dient lediglich dazu, die Prärogativen der Mitgliedstaaten untereinander zu wahren.
14Vgl. zu Art. 15 Abs. 1 VO (EG) Nr. 343/2003: VGH BW, Urteil vom 26. Februar 2014 – A 3 S 698/13 – juris Rn. 31 ff.; OVG RP, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A10656/13 – juris Rn. 33; Beschluss der Kammer vom 23. Dezember 2013 – 18a L 1458/13.A – (n.v.).
15Da es sich demzufolge nicht um eine Ermessensregelung im Sinne der§§ 40 VwVfG, 114 VwGO handelt, begegnet es auch keinen Bedenken, dass die Antragsgegnerin im Bescheid vom 23. Februar 2015 keine diesbezügliche Begründung niedergelegt hat.
16b) Die Zuständigkeit zur Bearbeitung des Asylantrags ist auch nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 VO (EU) Nr. 604/2013 wegen systemischer Mängel des Asylsystems in Ungarn auf die Antragsgegnerin übergegangen. Gemäß dieser Vorschrift setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Kapitel III (Art. 7 bis 15 VO [EU] Nr. 604/2013) der Verordnung vorgesehenen Kriterien fort, wenn es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für (Asyl-)Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta (EU-GR-Charta) mit sich bringen (Unterabsatz 2); kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der (Asyl-)Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat (Unterabsatz 3).
17Dieser Vorschrift liegt die zur (Vorgänger-)Verordnung (EG) Nr. 343/2003 ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zugrunde: Danach obliegt es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den an sich formal zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller in diesem Mitgliedstaat tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-GR-Charta ausgesetzt zu werden. Dabei lässt allerdings nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 entfallen. Der EuGH hat nämlich deutlich herausgestellt, dass insoweit der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems – auf dem Spiel stehe.
18Vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10 –, NVwZ 2012, S. 417 ff. ; und Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, S. 208-211 = juris Rn. 54-60.
19Systemische Mängel bestehen (erst) bei einer reellen Unfähigkeit des gesamten Verwaltungsapparats zur Beachtung des Art. 4 EU-GR-Charta, was gleichbedeutend ist mit strukturellen Störungen, die ihre Ursache im Gesamtsystem des nationalen Asylverfahrens haben. Die im jeweiligen nationalen Asylsystem festzustellenden Mängel müssen demnach so gravierend sein, dass sie nicht lediglich singulär oder zufällig sind, sondern in einer Vielzahl von Fällen zu der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen. Dies kann einerseits darauf beruhen, dass die Fehler bereits im System selbst angelegt sind, andererseits aber auch daraus folgen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Asylsystem – mit Blick auf seine empirisch feststellbare Umsetzung in der Praxis – in weiten Teilen aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft defizitär ist und funktionslos wird.
20Vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 – NVwZ 2014, S. 1677 ff. = juris Rn. 5 a.E.; und Beschluss vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 – NVwZ 2014, S. 1039 f. = juris Rn. 6 und 9; VGH BW, Urteil vom 10. November 2014 – A 11 S 1778/14 – InfAuslR 2015, S. 77, 78 ff. = juris; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A – juris Rn. 79 ff.; OVG RP, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A10656/13 – juris Rn. 39 f.
21Der Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hat als Maßstab für die Beantwortung der Frage, ob Struktur und allgemeine Lage der Aufnahme im europäischen Zielstaat der Überstellung jegliches Überstellen von Asylbewerbern dorthin verhindern, in seiner jüngeren Rechtsprechung ausdrücklich benannt, ob eine Gleichgültigkeit der Behörden des betreffenden Staates vorliegt,
22vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014, Tarakhel ./. Swit-zerland, Nr. 29217/12, NVwZ 2015, 127 ff. = juris Rn. 114 f., und Entscheidung vom 13. Januar 2015, A.M.E. ./. Netherlands, Nr. 51428/10, hudoc Rn. 34 u. 35,
23wie sie der EGMR im Fall M.S.S. ./. Belgien und Griechenland von Seiten Griechenlands gegenüber der stetig steigenden Zahl von Schutzsuchenden angenommen hat.
24Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011, M.S.S. ./. Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09, Rn. 253 ff., 263 = NVwZ 2011 S. 413 ff.; VGH BW, Urteil vom 10. November 2014– A 11 S 1778/14 – InfAuslR 2015, S. 77, 78 = juris Rn. 34 (zu Bulgarien),
25Unerheblich ist, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung kommen kann und ob ein Drittstaatsangehöriger einer solchen tatsächlich schon einmal ausgesetzt gewesen ist. Derartige Erfahrungen sind in die Gesamtwürdigung einzubeziehen, ob systemische Mängel im Zielland der Überstellung vorliegen; nur in diesem begrenzten Umfang sind individuelle Erfahrungen zu berücksichtigen. Persönliche Erlebnisse Betroffener, die einige Jahre zurückliegen, können allerdings durch neuere Entwicklungen im betreffenden Staat überholt sein. Individuelle Erfahrungen einer gegen Art. 4 EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung führen hingegen nicht zu einer Beweislastumkehr für die Frage des Vorliegens systemischer Mängel.
26Vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 – NVwZ 2014, S. 1677 ff. = juris Rn. 6.
27c) Bei Beachtung dieser Maßgaben bestehen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) über den Streitfall auch bei der bloß gebotenen summarischen Prüfung der Sachlage keine systemischen Mängel des ungarischen Asylverfahrens und der dortigen Aufnahmebedingungen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 VO (EU) Nr. 604/2013. Dies gilt nach Einschätzung der erkennenden Kammer namentlich soweit der einzelne internationalen Schutz begehrende Drittstaatsangehörige – wie die Antragsteller im Streitfall – gerade keinem besonderen schutzwürdigen Personenkreis angehört. Mit den beiden Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) sowohl vom 6. Juni 2013 in der Sache Mohammed ./. Österreich – Nr. 2283/12 –,
28vgl. EGMR, Urteil vom 6. Juni 2013, Mohammed ./. Österreich, Nr. 2283/12, Rn. 32-50, 65, 69 f., 74 f. (in Englischer Sprache; abrufbar unter: http://hudoc.echr.coe.int/sites/eng/Pages/search.aspx#{“appo“:[“2283/12“]},
29und vom 3. Juli 2014 in der Sache Mohammadi ./. Österreich – Nr. 71932/12 –,
30vgl. EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014, Mohammadi ./. Österreich, Nr. 71932/12, Rn. 29-45, 65, 69 f., 74 f. (abrufbar unter: http://hudoc.echr.coe.int/sites/eng/Pages/search.aspx#{“appo“:[“713932/12“]},
31geht die erkennende Kammer angesichts des Ablaufs und der Durchführung von Asylverfahren in Ungarn sowie der Behandlung von Dublin-Rückkehrern weiterhin davon aus, dass das ungarische Asylsystem und die Aufnahmebedingungen keine systematischen Defizite aufweisen. Obwohl der EGMR in seiner (ersten) Entscheidung vom 6. Juni 2013 – Nr. 2283/12 – noch deutlicher von alarmierenden Berichten über die Verhältnisse in Ungarn in den Jahren 2011 und 2012 ausging, hat er zuletzt in seiner Entscheidung vom 3. Juli 2014 – Nr. 71932/12 – ausdrücklich hervorgehoben, dass angesichts der seinerzeit festzustellenden Änderung des Asylrechts wie auch der tatsächlichen Behandlung von Drittstaatsangehörigen in Ungarn zu Beginn des Jahres 2014 Art. 3 EMRK einer Rückführung eines Asylsuchenden dorthin nach den Dublin-Regularien gerade nicht entgegensteht. Dabei hat sich der EGMR ausdrücklich unter genauerer Darstellung des jeweiligen Inhalts auf im Einzelnen näher bezeichnete und ausgewertete Stellungnahmen verschiedener Regierungs- wie Nichtregierungsorganisationen gestützt, die zeitlich bis ins Jahr 2014 hineinreichten. Insgesamt seien Verbesserungen des Asylsystems einschließlich der Abschiebehaftbedingungen und auch der Rechtsschutzmöglichkeiten festzustellen.
32Vgl. EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014, Mohammadi ./. Österreich, Nr. 71932/12, Rn. 28-45.
33Hintergrund dieser Verbesserung ist die zur Bewältigung der durch die massive Flüchtlingswelle namentlich von Schutzsuchenden aus Syrien und dem Irak entstandenen Flüchtlingskrise von der EU gewährte finanzielle, logistische und personelle Unterstützung. Die Hilfen und bereits erreichten Verbesserungen lassen zudem mittel- und langfristig eine weitere Besserung der Zustände erwarten. Gerade dass der UNHCR, dessen amtlichen Stellungnahmen bei der Beurteilung der Situation und der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in den Mitgliedstaaten eine besondere Relevanz zukommt,
34vgl. EuGH, Urteil vom 30 Mai 2013 – C-528/11 –,NVwZ-RR 2013, S. 660 ff. = juris Rn. 44,
35zu Ungarn kein – wie etwa im Vergleich zu den Verhältnissen in den Mitgliedstaaten Griechenland und Bulgarien – ausdrückliches Positionspapier gegen eine Überstellung von Asylsuchenden nach den Regeln der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 verfasst hat, hat den EGMR veranlasst anzunehmen, der betroffene Drittstaatsangehörige sei keines individuellen realen Risikos ausgesetzt gewesen, als Asylantragsteller in Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK unterworfen zu werden.
36Vgl. EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014, Mohammadi ./. Österreich, Nr. 71932/12, Rn. 69 f. und 74 f.
37Dem schließt sich die erkennende Kammer nach eigenständiger Durchsicht und Bewertung der ebenfalls vorliegenden Erkenntnisse an, und hält daran auch mit Blick auf zeitlich nachfolgende neuere Erkenntnismittel fest. Eine Änderung der vom EGMR zugrunde gelegten Sachlage, die ein Abweichen von dessen Rechtsprechung rechtfertigen würde, besteht zur Überzeugung der erkennenden Kammer nicht:
38Die Stellungnahme des Hungarian Helsinki Committee (HHC) aus Mai 2014 (Information Note on Asylum-Seekers in Detention and in Dublin Procedures in Hungary),
39abrufbar unter: http://helsinki.hu/en/information-note-on-asylum-seekers-in-detention-and-in-dublin-procedures-in-hungary,
40auf die sich u.a. auch der EGMR in seiner Entscheidung vom 3. Juli 2014 – Nr. 71932/12 – gestützt hat, lässt keine andere Beurteilung zu. Nach den zum 1. Januar 2014 erfolgten Änderungen im ungarischen Asylgesetz als genereller Reglung haben nunmehr Rückkehrer nach den Dublin-Regularien – bis auf einen Ausnahmefall – einen garantierten Zugang zum Asylverfahren und einer vollständigen Untersuchung ihres Asylbegehrens.
41Namentlich der jüngste Bericht von `aida, Asylum Information Database, Country Report Hungary´ mit Stand 17. Februar 2015, der von Mitgliedern des `Hungarian Helsinki Committee (HHC)´ geschrieben und von `European Council on Refugees and Exiles (ECRE)´ herausgegeben wurde,
42abrufbar unter: http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_-_hungary_thirdupdate_final_february_2015.pdf,
43stellt insgesamt heraus, dass im Jahr 2014 mehr als 42.000 Asylsuchende in Ungarn um internationalen Schutz nachgesucht haben, was einen Anstieg im Vergleich zum Jahr 2013 von 226% ergab. Die Behandlung unbegleiteter Kinder entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen. Stellt eine aus welchen Gründen auch immer verhaftete Person einen Asylantrag, wird das Verfahren beschleunigt bearbeitet. Rechtsschutz mit kostenloser Unterstützung wird nicht immer und nur mit Schwierigkeiten gewährt (S. 14-19). Dublin-Rückkehrer haben – anders als im Jahr 2013 – Zugang zum Asylverfahren, ihr Asylbegehren wird vollständig geprüft (S. 21). Es gibt keinen Mechanismus im Asylverfahren, um schutzbedürftige Asylsuchende zu erkennen, allerdings bestehen besondere Vorkehrungen im Verfahren für diese Personengruppe. Medizinisches oder psychologisches Personal kann einbezogen werden, um eine notwendige Behandlung zu erhalten. Bei Personen die dem Gesetz nach nicht voll handlungsfähig sind, wie Kindern oder psychisch Kranken, wird im Regelfall ein besonderes staatliches Büro unterrichtet oder ein Vertreter zugewiesen (S. 32 f.). Im Bedarfsfall werden medizinische Stellungnahmen nach einer entsprechenden Anfrage des Asylsuchenden eingeholt (S. 33 f.). (Unbegleitete) Minderjährige werden grundsätzlich erfasst. Minderjährigkeit kann festgestellt werden (S. 34-36). Asylsuchende werden als Erstantragsteller den nationalen Bestimmungen zufolge registriert und behandelt. Wirkt ein Asylsuchender nicht ausreichend mit, kann dies u.U. zu finanziellen Konsequenzen bei der Tragung der Unterbringungs- und Behandlungskosten führen. Es liegen bislang keine Erkenntnisse vor, dass Asylsuchende nicht tatsächlich untergebracht werden. In Aufnahmeeinrichtungen werden Asylsuchende mit Essen versorgt, erhalten Hygieneartikel und Taschengeld; Kinder, Alleinerziehende und über 60-Jährige erhalten einen Betrag über 25 % der niedrigsten Rente (95 EUR), andere Erwachsene weniger. Im Jahr 2014 betrug die Verweildauer von Personen in den Asylunterkünften länger als 5 Monate. Die staatlichen Unterbringungszentren werden von Nichtregierungsorganisationen unterstützt. Frauen werden regelmäßig mit Familien auf einem Flur untergebracht. Unbegleitete Kinder werden in einer gesonderten Einrichtung aufgenommen. Familien werden während des Asylverfahrens nicht getrennt. Die Bedingungen in den Unterbringungszentren sind nicht einheitlich. Jedoch gibt es überall drei Mahlzeiten am Tag. Es kann überwiegend auch selbständig gekocht werden. Die Menschen teilen sich Räume. Psychologische Betreuung und Psychotherapie für traumatisierte Asylsuchende wird von Nichtregierungsorganisation angeboten (S. 40-44). Es erfolgt keine Erfassung von besonderen Aufnahmebedürfnissen für vulnerable Personen (S. 45 f.). Nicht inhaftierte Asylsuchende können sich frei im Land bewegen, dürfen ihre Unterbringungseinrichtung aber nur weniger als 24 Stunden verlassen. Um die monatlichen Geldzahlungen zu erhalten, müssen Asylsuchende wenigstes 25 Tage im Monat in der Einrichtung sein (S. 46 f.). Der Zugang zur Gesundheitsversorgung ist gewährleistet; Allgemeinmediziner sind in den Unterbringungszentren regelmäßig unter der Woche verfügbar, Fachärzte jedoch nur in Notfällen (S. 49 f.). Im Jahr 2014 waren mehr als 4.800 Asylsuchende inhaftiert; die Haftplätze sind fast vollständig belegt. Es gibt keine besonderen Kategorien von Asylsuchenden, die inhaftiert werden. Familien werden gemeinsam in einer gesonderten Einrichtung in Haft genommen (S. 51).
44Diese Umstände begründen allerdings keine systemischen Defizite des Asylsystems. Entgegen der Auffassung des Antragstellers begründet es auch keinen Anhaltspunkt für einen systemischen Mangel, dass auf Seite 6 des Berichts für aus Syrien stammende Asylantragsteller bezogen auf das Jahr 2014 eine Ablehnungsquote von 34,6 % der nicht auf andere Weise erledigten Verfahren ausgewiesen ist. Insoweit ist dem Antragsteller entgegenzuhalten, dass die Anerkennungsquote für sich genommen schon deshalb keinen tauglichen Maßstab für die Bestimmung eines systemischen Mangels bildet, weil sie die jeweils für die Entscheidung maßgeblichen Gründe, wie etwa formelle Ablehnungsgründe, nicht berücksichtigt. Dass die ungarischen Behörden der aktuellen Situation in Syrien gegenüber gleichgültig wären, kann dem Bericht gerade nicht entnommen werden. Vielmehr ist dort auf Seiten 37 f. ausgeführt, dass die Behörden die gegenwärtige, generell gefährliche Situation in Syrien anerkennen und dass nach den Untersuchungen des HHC seit Frühjahr 2012 keine Rückführungen syrischer Flüchtlinge mehr vorgenommen wurden.
45Der Bericht des Menschenrechtskommissars des Europarates Nils Muiżnieks vom 16. Dezember 2014 über die Menschenrechte von Immigranten, Asylsuchenden und Flüchtlingen (ohne Schutzstatus) in Ungarn, S. 36 ff, Rn. 148 ff.,
46abrufbar unter: https://wcd.coe.int/com.instranet.InstraServlet?command=com.instranet.CmdBlobGet&InstranetImage=2662996&SecMode=1&DocId=2218468&Usage=2,
47gibt ebenfalls nichts für die Annahme systemischer Mängel her. Dieser spricht von Verbesserungen hinsichtlich der Gründe der Asylhaft, der gerichtlichen Überprüfung sowie dem tatsächlichen Zugang der Betroffenen zu einem diese Frage betreffenden Gerichtsverfahren, obgleich sich der Kommissar besorgt zeigt hinsichtlich des fehlenden Zugangs zu einer effektiven gerichtlichen Überprüfung. Dabei nimmt er allerdings die Jahre vor der letzten Entscheidung des EGMR vom 3. Juli 2014 –Nr. 71932/12 – zu Ungarn in den Blick und beleuchtet die damaligen Verhältnisse kritisch, ohne die Entwicklung seit dem Jahr 2014 näher zu betrachten. Allerdings bemerkt der Kommissar einen nicht hinlänglich den Besonderheiten für schutzbedürftige internationalen Schutz suchende Drittstaatsangehörige wie etwa Traumatisierte oder Minderjährige.
48Ein systemischer Mangel wird zur Überzeugung der Kammer insbesondere nicht durch die in Ungarn (auch im Jahr 2014) praktizierte Asylhaft begründet. Eine Inhaftierung ist nach dem ungarischen Asylgesetz zulässig zur Überprüfung der Identität und Staatsangehörigkeit, nach dem Untertauchen oder anderweitiger Behinderung der Durchführung des Asylverfahrens, oder wenn dies aus gewichtigen Gründen zu befürchten ist oder wenn der Betreffende seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, an Verfahrenshandlungen teilzunehmen, und damit die Durchführung eines Dublin-Verfahrens behindert hat. Die Verhängung der Asylhaft ist nach vorheriger Einzelfallprüfung nur zulässig, wenn der Zweck nicht durch die Anwendung weniger einschneidender Alternativen zur Inhaftierung erreicht werden kann, etwa durch die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit, die Pflicht, sich an einem zugewiesenen Ort aufzuhalten oder Meldeauflagen. Gegen die Anordnung der Asylhaft als solches gibt es kein eigenständiges Rechtsmittel; die Haft wird allerdings insoweit richterlich überprüft, dass dies erstmals nach 72 Stunden und in der Folgezeit in 60-Tages-Intervallen erfolgt.
49Vgl. zu den Einzelheiten der Asylhaft: Auswärtiges Amt, Bericht an das VG Düsseldorf vom 19. November 2014– 508-9-516.80/48135, juris Mitteilungen, S. 2 f.; (öster-reichisches) Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 4. Dezember 2014 – W 192 2014566-1/3 E – (B) I. 1.1. Asylrechtliche Haft), abrufbar unter: http://www.ris.bka.gv.at (Datenbank RIS).
50Diese Regelungen zur Asylhaft und ihre tatsächliche Anwendung hat der EGMR bereits bei seiner Entscheidung vom 3. Juli 2014 – Nr. 71932/12 – berücksichtigt, da er u.a. auf den Country Report des Ungarischen Helsinki-Komitee vom 30. April 2014 abgestellt hat. Dem ist zu entnehmen, dass in der Zeit zwischen Juli und Dezember 2013 etwa 26 % aller Asylbewerber und etwa 42 % der männlichen Asylbewerber inhaftiert worden sind; ferner bestehen in den Haftanstalten nicht unerhebliche Mängel auf den Gebieten der Wohnverhältnisse, der Wasserqualität und der Versorgung mit Putz- und Reinigungsmitteln. Dem bereits genannten neuen Bericht `aida-Country-Report Hungary´ Stand 17. Februar 2015 sind für das gesamte Jahr 2014 keine nennenswert höheren Haftzahlen als die soeben dargestellten wie auch keine Verschlechterung der bereits früher festgestellten mäßigen Haftbedingungen zu entnehmen (dort S. 51, 53-56, 58-61). Ähnliche Zahlen und Umstände haben den EGMR gerade nicht veranlasst, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK – dessen Schutzbereich dem des Art. 4 EU-GR-Charta entspricht – bei der Behandlung von Asyl begehrenden Drittstaatsangehörigen in Ungarn festzustellen.
51Ferner führt der Bericht von UNHCR Deutschland an das VG Düsseldorf vom 30. September 2014, der eine Zusammenfassung der UNHCR (international) bis dato vorliegenden Erkenntnisse, Stellungnahmen und Berichte verschiedener Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen enthält,
52abrufbar unter http://www.frnrw.de (Flüchtlingsrat NRW dort: UNHCR Stellungnahme zur Inhaftierung von Dublin-Rückkehrern in Ungarn),
53gleichfalls nicht zur Annahme systematischer Mängel im ungarischen Asylsystem. Dabei berücksichtigt die Kammer, dass eine von UNHCR Deutschland ausgegebenen Stellungnahme keine „amtliche“ Stellungnahme des UNHCR (international) ist, welcher dem EuGH zufolge eine besondere Gewichtung bei der Auslegung und Beurteilung der europarechtlichen Vorschriften zuzumessen wäre.
54Vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013 – C -528/11 – (Halaf), NVwZ-RR 2013, S. 660 ff. = juris Rn. 44.
55UNHCR Deutschland betrachtet in dieser Stellungnahme einen Zeitraum ab dem 1. Juli 2013. Er legt allerdings nicht dar, dass die ungarischen Behörden aktuell (wieder) exzessiv von der Möglichkeit der Inhaftierung von Asylsuchenden Gebrauch machen würden. Vielmehr entspricht die für das 1. Halbjahr des Jahres 2014 genannte Zahl (Inhaftierung von 25 % aller Asylsuchenden, 40 % der männlichen Asylbewerber) in etwa den vom EGMR in dem Urteil vom 3. Juli 2014 – Nr. 71932/12 – zugrunde gelegten Inhaftierungszahlen (26 % aller Asylbewerber, 42 % der männlichen Asylbewerber), welche auch dem `aida, Asylum Information Database, Country Report Hungary´ Stand 17. Februar 2015 zu entnehmen sind. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Richtlinie 2013/33 (EU) des Europäischen Parlaments und Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180/96 vom 29. Juni 2013; so gen. Aufnahmerichtlinie) ausdrücklich die Möglichkeit zur Inhaftierung von Asylantragstellern vorsieht (Erwägungsgründe 15 bis 20 sowie Art. 8 bis Art 11 RL 2013/33/EU). In ihrer ungarischen Handhabung erfolgt die Inhaftierung nicht wegen der Stellung eines Asylantrags, sondern wegen solcher Umstände, die das individuelle Verhalten des Drittstaatsangehörigen vor und bei der Antragstellung kennzeichnen. Zudem hat ein Dublin-Rückkehrer bereits durch seine Weiterreise in die Bundesrepublik belegt, dass er sich nach seiner erkennungsdienstlichen Behandlung/Erfassung in Ungarn dem ungarischen Asylverfahren entzogen hat und offensichtlich nicht dort verbleiben wollte.
56Der Bericht von UNHCR Deutschland – offenbar an das VG Düsseldorf – vom 25. November 2014,
57abrufbar unter http://www.ecoi.net,
58ergibt nichts anderes. Darin stellt UNHCR Deutschland heraus, dass der UNHCR (international) die Veränderungen im ungarischen Asylsystem ab dem Jahr 2014 begrüßt und Dublin-Rückkehrer von staatlicher wie auch nichtstaatlicher Seite unterstützt werden, zumal es in Ungarn ein neu aufgelegtes Unterstützungsprogramm gibt. UNHCR (international) befürchtet für Personen, die den subsidiären oder internationalen Schutz erhalten haben, dass diese nicht an den ansonsten eingetretenen Verbesserungen für Schutz suchende Drittstaatsangehörige teilhaben. Die zusammengetragenen kritischen Berichte erfassen zudem oft einen Zeitraum vor dem Jahr 2014, namentlich die Jahre 2012 und 2013, die auch der EGMR beurteilt hat, ohne eine beachtliche Gefahr einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung von Asylantragstellern festgestellt zu haben.
59Die der Kammer ebenfalls vorliegenden beiden, weitgehend deutschsprachigen Stellungnahmen von Pro Asyl bzw. bordermonitoring.eu an das VG Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 bzw. an das VG München vom 30. Oktober 2014,
60abrufbar unter: http://bordermonitoring.eu/2014/11/stellungnahmen-von-bordermonitoring-eu-zur-situation-in-ungarn/, bzw. http://bordermonitoring.eu/files/2014/11/antwort-vg-muenchen.pdf,
61die in Zusammenarbeit mit dem Ungarischen Helsinki Komitee (HHC) erarbeitet wurden, ergeben für die Antragsteller ebenfalls nichts Günstiges. Darin werden nämlich die bereits zuvor dargestellten Umstände zur Anwendung der Asylhaft weitestgehend bestätigt, ohne greifbar eine Verschlechterung aufzuzeigen.
62Schließlich sind auch keine Anhaltspunkte für systemische Mängel wegen drohender Obdachlosigkeit von Schutz suchenden Drittstaatsangehörigen in Ungarn greifbar,
63vgl. dazu insgesamt mit genauerer Darlegung: VG Düssel-dorf, Beschluss vom 2. September 2014 – 6 L 1235/14.A – juris Rn. 82 ff.,
64die an die zumindest seinerzeit sehr weitgehend verbreitete Obdachlosigkeit unter dem griechischen Asylsystem hin zu einer behördlichen Gleichgültigkeit
65vgl. dazu: EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 M.S.S. ./. Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09, Rn. 253 ff., 263 = NVwZ 2011 S. 413 ff.; BVerwG, Beschluss vom 25. Ok-tober 2012 – 10 B 16/12 – InfAuslR 2013, S. 45 f. = juris Rn. 9,
66heranreicht. Es ist nämlich bisher, d.h. im gesamten vergangenen Jahr 2014 gerade kein Fall bekannt, in dem einem Asylantragsteller – etwa wegen Überbesetzung der Unterbringungseinrichtungen – in Ungarn kein Obdach gewährt worden ist.
67Vgl. aida, Asylum Information Database, Country Report Hungary, Stand 17. Februar 2015, S. 43; und bereits National Country Report Hungary, Stand 30. April 2014, S. 40.
68Dass in Abwesenheit des Antragstellers eine sachliche Entscheidung über seinen in Ungarn gestellten Asylantrag ergangen wäre, ist nicht ersichtlich. Vielmehr haben die ungarischen Behörden in ihrem Schreiben vom 13. Februar 2015 mitgeteilt, dass das Asylverfahren eingestellt worden ist. Diese Einstellung ohne Entscheidung in der Sache entspricht der regelmäßigen Praxis in Fällen, in denen der betreffende Asylsuchende untergetaucht ist.
69Vgl. zu dieser Möglichkeit § 52 Abs. 2a des ungarischen Asylverfahrensgesetzes sowie Hungarian Helsinki Committee, Information note on asylum-seekers in detention and in Dublin procedures in hungary, Mai 2014, S. 20; zum Vorstehenden insgesamt: VG Düsseldorf, Beschluss vom 2. September 2014 – 6 L 1235/14.A –, Juris Rn. 53 ff.
70Selbst wenn der Antragsteller dieses Rechtsschutzverfahrens in Ungarn faktisch wie ein Antragsteller im Folgeverfahren behandelt werden würde – wofür keine Anhaltspunkte ersichtlich sind, da sich seine diesbezügliche Befürchtung offenkundig auf die frühere Praxis aus dem Jahr 2013 bezieht –, lassen die dem Gericht vorliegenden Erkenntnisse nicht stichhaltig darauf schließen, dass Asylbewerber im Rahmen eines Folgeverfahrens in Ungarn Lebensbedingungen ausgesetzt wären, die für sie – den beschriebenen Verhältnissen in Griechenland vergleichbar – auf unabsehbare Zeit eine Lage extremer materieller Armut befürchten ließe. Solche Asylsuchende, die in Ungarn einen Folgeantrag stellen, nachdem ihr erster Asylantrag wegen Unzulässigkeit oder offensichtlicher Unbegründetheit abgelehnt und das Verfahren eingestellt worden ist, oder bei denen eine bestandskräftige Ablehnung des Asylerstantrags getroffen oder das Asylerstverfahren eingestellt worden ist und die ungarischen Behörden oder das Gericht entschieden haben, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen,
71vgl. aida, Asylum Information Database, National Country Report Hungary, Stand: 30. April 2014, S. 30,
7298
73erhalten zwar nur in eingeschränktem Umfang Unterstützung durch den ungarischen Staat. In der Regel werden sie lediglich für einen Höchstzeitraum von zwei Monaten in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Das erkennende Gericht verkennt nicht, dass die Versorgungslage von Asylsuchenden während des Folgeverfahrens in Ungarn bestimmte Mängel aufweisen kann.
74Vgl. Hungarian Helsinki Committee, Information note on asylum-seekers in detention and in Dublin procedures in Hungary, Mai 2014, S. 21; aida, Asylum Information Data-base, National Country Report Hungary, Stand: 30. April 2014, S. 30.
75Jedoch ist nicht ersichtlich, dass der ungarische Staat Asylsuchende im Folgeverfahren generell über einen unabsehbar langen Zeitraum sich selbst überlässt und sie – ohne Aussicht auf Verbesserung ihrer Lage – im beschriebenen Sinne hoffnungsloser, extremer materieller Armut aussetzen würde.
76Soweit andere Verwaltungsgerichte die Frage der systemischen Defizite des ungarischen Asylsystems anders beurteilen als die erkennende Kammer, und zum Teil zu der Lage in Ungarn weiter bei zusätzlichen Auskunftsstellen Beweis erheben – etwa das VG Köln durch Beschluss vom 26. Januar 2015 – 2 K 6465/14.A –, ist die Kammer an solche abweichenden Beurteilungen nicht gebunden. Insbesondere begründet die Beweiserhebung eines anderen Gerichts nicht etwa die Annahme, die Erfolgsaussichten in der Hauptsache seien nunmehr offen. Gleiches gilt für den Umstand, dass der VGH Baden-Württemberg mit Beschluss vom 7. Januar 2015 – A 11 S 1567/14 – in einem Verfahren die Berufung zugelassen hat, um die Frage, ob das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn systemische Mängel aufweisen, grundsätzlich zu klären. Insoweit merkt der Einzelrichter im Übrigen an, dass mit der Entscheidung einem Berufungszulassungsantrag der dortigen Beklagten entsprochen worden ist.
77Ein der Abschiebung nach Ungarn entgegenstehendes inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, das im Rahmen einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylVfG ausnahmsweise von der Antragsgegnerin auch noch nach Erlass der Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen wäre,
78vgl. BVerfG, (Nichtannahme-)Beschluss vom 17. Sep-tember 2014 – 2 BvR 732/14 – AuAS 2014 S. 244 ff. = juris Rn. 11 f.; OVG NRW, Beschluss vom 30. August 2011 – 18 B 1060/11 – juris Rn. 4,
79ist ebenfalls nicht ersichtlich.
80Schließlich begegnet die rechtliche und tatsächliche Durchführbarkeit der Abschiebung des Antragstellers nach Ungarn keinen Bedenken. Die ungarischen Behörden haben der Rückführung mit Schreiben vom 13. Februar 2015 zugestimmt und lediglich eine Ankündigung mit einem Vorlauf von sieben Kalendertagen vor Ankunft des Antragstellers in Ungarn erbeten.
81Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
Ist die Behörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.