Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Beschluss, 10. Apr. 2015 - 18a L 453/15.A

ECLI:ECLI:DE:VGGE:2015:0410.18A.L453.15A.00
10.04.2015

Tenor

Der Antrag,

die aufschiebende Wirkung der Klage 18a K 1140/15.A gegen die im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. Februar 2015 in Ziffer 2. enthaltene Abschiebungsanordnung nach Ungarn anzuordnen,

hat keinen Erfolg.


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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 80


(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a). (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur 1. bei der

Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG | § 40 Ermessen


Ist die Behörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.

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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 26. Feb. 2014 - A 3 S 698/13

bei uns veröffentlicht am 26.02.2014

Tenor Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 30. Juni 2011 - A 1 K 3583/09 - geändert. Die Klagen werden abgewiesen.Die Kläger tragen die Kosten des - gerichtskostenfreien - Verfahrens in beiden Rechtszü

Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 25. Okt. 2012 - 10 B 16/12

bei uns veröffentlicht am 25.10.2012

Tenor Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 6. März 2012 wird zurückgewiesen.
20 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Beschluss, 10. Apr. 2015 - 18a L 453/15.A.

Verwaltungsgericht Ansbach Urteil, 16. Apr. 2015 - AN 4 K 14.30119

bei uns veröffentlicht am 16.04.2015

Tenor 1. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 24. Januar 2014 wird aufgehoben. 2. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Tatbestand

Verwaltungsgericht Würzburg Beschluss, 18. Mai 2015 - W 6 S 15.50104

bei uns veröffentlicht am 18.05.2015

Tenor I. Der Antrag wird abgelehnt. II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe I. 1. Die Antragsteller zu 1) und 2) (geboren .

Verwaltungsgericht Regensburg Urteil, 19. Mai 2015 - RO 4 K 14.50346

bei uns veröffentlicht am 19.05.2015

Tenor I. Der Bescheid vom 8. Dezember 2014 wird aufgehoben. II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Tatbestand Gegenstand des Verfahrens ist ein B

Verwaltungsgericht München Urteil, 03. Juli 2015 - M 23 K 14.30505

bei uns veröffentlicht am 03.07.2015

Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Tatbestand Der Kläger ist eigenen Angaben

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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 30. Juni 2011 - A 1 K 3583/09 - geändert. Die Klagen werden abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des - gerichtskostenfreien - Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Kläger begehren ihre Anerkennung als Asylberechtigte.
Die am 11.3.1973 geborene Klägerin 1 und ihre vier zwischen 1994 und 2004 geborenen Kinder, die Kläger 2 bis 5, sind nach ihren Angaben russische Staatsangehörige. Sie reisten am 24.4.2009 über Polen in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten am 23.6.2009 ihre Anerkennung als Asylberechtigte.
Aufgrund eines Vergleichs der Fingerabdrücke der Kläger stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) fest, dass die Kläger bereits zuvor am 27.3.2009 in Polen einen Asylantrag gestellt hatten. Auf ein deshalb am 17.6.2009 gestelltes Übernahmeersuchen erklärten die polnischen Behörden mit Schreiben vom 18.6.2009 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge der Kläger gemäß Art. 16 Abs. 1 Dublin II-VO.
Mit Schreiben vom 1.9.2009 beantragte der Verfahrensbevollmächtigte der Kläger, das Asylverfahren in Deutschland durchzuführen, da die Klägerin 1 unter einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie unter Depressionen leide und deshalb auf die Unterstützung von Familienangehörigen angewiesen sei. In Köln lebten mehrere Verwandte, darunter der Bruder der Klägerin, der durch Bescheid vom 24.4.2003 als „politischer Flüchtling“ anerkannt worden sei. Mit Schreiben vom 14.9.2009 legte der Verfahrensbevollmächtigte der Kläger ferner eine fachärztliche Stellungnahme vor, aus der sich mit hinreichender Deutlichkeit ergebe, dass die Klägerin 1 dringend der Unterstützung durch nahe Familienangehörige bedürfe. In dem Schreiben wurde ferner mitgeteilt, dass die in Köln lebende Mutter der Klägerin ebenfalls als „politischer Flüchtling“ im Bundesgebiet anerkannt worden sei.
Mit Bescheid vom 8.9.2009 erklärte das Bundesamt die Asylanträge der Kläger für unzulässig und ordnete die Abschiebung der Kläger nach Polen an. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Asylanträge seien gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, da Polen aufgrund der dort bereits gestellten Asylanträge für deren Bearbeitung zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich.
Im November 2009 wurden die Kläger nach Polen überstellt, am 3.12.2009 wurde ihnen der Bescheid vom 8.9.2009 zugestellt.
Die Kläger haben am 9.12.2009 beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben und beantragt, den Bescheid des Bundesamts vom 8.9.2009 aufzuheben. Zur Begründung ließen sie vortragen, die Klägerin 1 leide unter einer posttraumatischen Belastungsstörung als Folge einer in ihrem Heimatland erlittenen politischen Verfolgung und sei deswegen von Mai bis Juni (in Deutschland) stationär behandelt worden. Sie sei aus diesem Grund in besonderem Maße auf die Unterstützung ihrer Mutter, die als „politischer Flüchtling“ in Deutschland lebe, sowie auf die Unterstützung anderer Familienangehörigen angewiesen. Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO sehe in einem solchen Fall die Abweichung von den Zuständigkeitskriterien aus humanitären Gründen vor. Bei den Familienangehörigen der Kläger handele es sich zwar nicht um „Familienangehörige“ im Sinne des Art. 2 Buchst. i) Dublin II-VO. Der Anwendungsbereich des Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO sei jedoch nicht auf die Kernfamilie beschränkt, sondern beziehe sich auf alle Familienangehörigen im Sinne des Art. 8 EMRK. Auf Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO sowie auf die Möglichkeit des Selbsteintritts gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO könnten die Kläger sich berufen. Die Kläger hätten zumindest Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Ausübung des Selbsteintrittsrechts.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Mit Urteil vom 30.6.2011 hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben und den Bescheid des Bundesamts vom 8.9.2009 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, der angegriffene Bescheid sei rechtswidrig und verletzte daher die Kläger in ihren Rechten. Nach § 27a AsylVfG sei ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sei. Eine nach Art. 16 Dublin II-VO gegebene Zuständigkeit reiche indessen allein nicht aus, um den Asylantrag unzulässig zu machen. Vielmehr sei auch zu prüfen, ob humanitäre Gründe im Sinne des Art. 15 dieser Verordnung vorlägen und daher das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 dieser Verordnung auszuüben sein könnte, wobei nach § 77 Abs. 1 AsylVfG auf die Sachlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen sei. Im Fall der Kläger lägen humanitäre Gründe nach Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO vor, aufgrund deren die Beklagte das Selbsteintrittsrecht auszuüben habe. Nach dieser Bestimmung entschieden die Mitgliedstaaten in Fällen, in denen die betroffene Person wegen einer schweren Krankheit auf die Unterstützung der anderen Person angewiesen sei, im Regelfall, den Asylbewerber und den anderen Familienangehörigen, der sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalte, nicht zu trennen bzw. sie zusammenführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden habe. Die Klägerin 1 leide, wie sich zuletzt aus der Bescheinigung der Medizinischen Station der polnischen Ausländerbehörde vom 16.6.2010 ergebe, an einer schweren Krankheit, nämlich an einem depressiven Syndrom mit Konversionskomponente, wegen dem sie in ständiger psychiatrischen Behandlung sei. Aus dieser Bescheinigung ergebe sich auch, dass die Klägerin 1 insbesondere der Unterstützung ihrer hier als Flüchtling anerkannten Mutter bedürfe, da dort ausgeführt werde, dass sich das „Funktionieren“ bessern würde, wenn die Klägerin 1 im Kreis ihrer Nächsten leben könnte. Auch die weitere tatbestandliche Voraussetzung, dass die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden haben müsse, sei gegeben. Denn damit sei allein gemeint, dass das entsprechende Verwandtschaftsverhältnis bereits bestanden haben müsse, was hier unzweifelhaft zu bejahen sei. Für eine Atypik sei nichts ersichtlich oder dargetan. Eine Trennung der Kläger 2 bis 5 von der Klägerin 1 verbiete sich in Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG.
10 
Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts richtet sich die vom Senat mit Beschluss vom 25.3.2013 zugelassene Berufung der Beklagten. Zu deren Begründung macht die Beklagte geltend, aus der Dublin II-Verordnung ergäben sich keine subjektiven Rechte des Asylbewerbers. Ein Recht auf Durchführung des Asylverfahrens in einem bestimmten Land bestehe daher nicht.
11 
Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 30.6.2011 - A 1 K 3583/09 - zu ändern und die Klagen abzuweisen.
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Die Kläger beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
15 
Sie verteidigen das angefochtene Urteil.
16 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akten des Verwaltungsgerichts sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
17 
Der Senat konnte gemäß § 102 Abs. 2 VwGO trotz des Ausbleibens der Kläger sowie eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung über die Sache verhandeln und entscheiden. Die Beteiligten sind ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden.
18 
Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Klagen zu Unrecht stattgegeben. Der angefochtene Bescheid, mit dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Asylanträge der Kläger als unzulässig abgelehnt und ihre Abschiebung nach Polen angeordnet hat, ist rechtmäßig und verletzt die Kläger daher nicht in ihren Rechten.
19 
Die Entscheidung über die Asylanträge der Kläger stützt sich auf § 27a AsylVfG. Nach dieser - durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 in das Asylverfahrensgesetz eingefügten - Bestimmung ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Nach § 31 Abs. 6 AsylVfG wird dem Ausländer in der Entscheidung mitgeteilt, welcher andere Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Soll der Ausländer in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt ferner gemäß § 34a Abs. 1 AsylVfG die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
20 
Die angefochtene Entscheidung des Bundesamts ist danach nicht zu beanstanden. Der für die Durchführung der Asylverfahren der Kläger zuständige Staat ist nicht die Bundesrepublik Deutschland, sondern die Republik Polen.
21 
1. Die Frage, welcher Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Durchführung der Asylverfahren der Kläger zuständig ist, bestimmt sich nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.2.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (im Folgenden: Dublin II-VO). Die Dublin II-Verordnung ist zwar zum 19.7.2013 aufgehoben und durch die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 (im Folgenden: Dublin III-VO) ersetzt worden. Die Dublin III-Verordnung findet jedoch gemäß ihrem Art. 49 Abs. 2 Satz 1 nur auf Asylanträge Anwendung, die ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten gestellt werden. Für vor diesem Datum gestellte Asylanträge erfolgt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gemäß Art. 49 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO auch weiterhin nach den Kriterien der Dublin II-Verordnung.
22 
2. Der nach den Kriterien der Dublin II-Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist die Republik Polen.
23 
Für den Fall, dass auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den in Art. 18 Abs. 3 Dublin II-VO genannten Verzeichnissen festgestellt wird, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, ist gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Da die Kläger unstreitig über Polen eingereist sind und dort auch vor ihrer Weiterreise nach Deutschland Anträge auf Asyl gestellt hatten, ist nach dieser Vorschrift die Republik Polen für die Prüfung der Asylanträge der Kläger zuständig.
24 
Der Umstand, dass die Mutter und der Bruder der Klägerin 1 in Deutschland leben und beide als Asylberechtigte anerkannt worden sind, ändert daran nichts. Hat der Asylbewerber einen Familienangehörigen, dem das Recht auf Aufenthalt in einem Mitgliedstaat in seiner Eigenschaft als Flüchtling gewährt wurde, so ist zwar gemäß Art. 7 Dublin II-VO dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig, sofern die betroffenen Personen dies wünschen. Nach Art. 2 Buchst. i) Dublin II-VO sind „Familienangehörige“ im Sinne dieser Vorschrift aber nur der Ehegatte (oder unter bestimmten Voraussetzungen der nicht verheiratete Partner), die minderjährigen Kinder, sofern diese ledig und unterhaltsberechtigt sind, sowie bei unverheirateten minderjährigen Antragstellern der Vater, die Mutter oder der Vormund des Antragstellers. Die Mutter und der Bruder der Klägerin 1 gelten somit nicht als „Familienangehörige“ der Kläger im Sinne des Art. 7 Dublin II-VO.
25 
Der zur Prüfung des Asylantrags zuständige Mitgliedstaat ist nach Art. 16 Abs. 1 Dublin II-VO gehalten, einen Asylbewerber, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, aufzunehmen (Buchst. a) und die Prüfung des Asylantrags abzuschließen (Buchst. b). Auf das mit Schreiben vom 17.6.2009 gestellte (Wieder-)Aufnahmegesuch haben dementsprechend die polnischen Behörden mit Schreiben vom 18.6.2009 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge der Kläger erklärt.
26 
3. Das Verwaltungsgericht ist der Meinung, eine nach Art. 16 Dublin II-VO gegebene Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union reiche nicht aus, um einen Asylantrag im Sinne des § 27a AsylVfG unzulässig zu machen. Vielmehr sei auch zu prüfen, ob humanitäre Gründe im Sinne des Art. 15 Dublin II-VO vorlägen und daher das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO auszuüben sein könnte, wobei nach § 77 Abs. 1 AsylVfG auf die Sachlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen sei. Im Fall der Kläger lägen humanitäre Gründe nach Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO vor, aufgrund deren die Beklagte das Selbsteintrittsrecht auszuüben habe. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
27 
a) Nach Art. 15 Abs. 1 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, Familienmitglieder und andere abhängige Familienangehörige zusammenführen, auch wenn er dafür nach den Kriterien dieser Verordnung nicht zuständig ist. In diesem Fall prüft jener Mitgliedstaat auf Ersuchen eines anderen Mitgliedstaats den Asylantrag der betroffenen Person. Die betroffenen Personen müssen dem zustimmen. Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO bestimmt ferner, dass in Fällen, in denen die betroffene Person wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, einer schweren Krankheit, einer ernsthaften Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung der anderen Person angewiesen ist, die Mitgliedstaaten im Regelfall entscheiden, den Asylbewerber und den anderen Familienangehörigen, der sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhält, nicht zu trennen bzw. sie zusammenführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat. Unabhängig von diesen Regelungen kann nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO jeder Mitgliedsstaat einen bei ihm eingereichten Asylantrag prüfen (sogenanntes Selbsteintrittsrecht) mit der Folge, dass er dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat wird und die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen übernimmt.
28 
b) Die Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 6.11.2012 - C-245/11 - NVwZ-RR 2013, 69) ein nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin II-Verordnung nicht für die Prüfung eines Asylantrags zuständiger Mitgliedstaat zuständig wird, sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.
29 
Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO ist im Zusammenhang mit der allgemeineren Regelung in Art. 15 Abs. 1 Dublin II-VO zu sehen. Art. 15 Abs.1 Dublin II-VO ist eine fakultative Bestimmung, die den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen bei der Entscheidung einräumt, ob sie aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, Familienmitglieder und andere abhängige Familienangehörige „zusammenführen“. Durch Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO wird dieses Ermessen in der Weise eingeschränkt, dass die Mitgliedstaaten, wenn die dort genannten Voraussetzungen vorliegen, den Asylbewerber und den anderen Familienangehörigen „im Regelfall … nicht … trennen“. Der Anwendung dieser Vorschrift im Fall der Kläger steht nicht entgegen, dass sowohl die Mutter der Klägerin 1 als auch deren Bruder keine „Familienangehörigen“ im Sinne des Art. 2 Buchst. i) Dublin II-VO sind, da beide unter den in Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO verwendeten Begriff „anderer Familienangehöriger“ fallen, der in Anbetracht der humanitären Zielsetzung der Regelung sowie im Hinblick auf die verschiedenen und zum Teil voneinander abweichenden Sprachfassungen dieser Vorschrift dahin zu verstehen ist, dass er außer den „Familienangehörigen“ im Sinne des Art. 2 Buchst. i) Dublin II-VO auch andere Familienmitglieder umfasst (EuGH, Urt. v. 6.11.2012, a.a.O.; im Ergebnis ebenso OVG Niedersachsen, Urt. v. 4.7.2012 - 2 LB 163/10 - Juris; Hailbronner, Ausländerrecht, § 27a AsylVfG, Rn. 68 f; Funke-Kaiser in: GK-AsylVfG, § 27a Rn. 158, 165 ff; Marx, AsylVfG, 7. Aufl., § 27a Rn. 55). Der Umstand, dass die Mutter und der Bruder der Klägerin 1 bereits seit 2000 bzw. 2001 in Deutschland leben, während die Klägerin 1 und ihre Kinder ihr Heimatland erst 2009 verlassen haben, ist ebenfalls unschädlich, da Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO nur verlangt, dass die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat.
30 
Der Senat vermag jedoch nicht zu erkennen, dass die Klägerin 1 wegen ihrer psychischen Erkrankung auf die Unterstützung ihrer in Deutschland lebenden Verwandten im Sinne dieser Vorschrift „angewiesen“ ist. Dass eine solche Unterstützung nützlich oder förderlich ist, reicht dafür nicht aus. In dem bei den Akten des Bundesamts befindlichen Entlassungsbericht des Psychiatrischen Zentrums Nordbaden vom 19.6.2009 wird der Klägerin 1 eine Posttraumatischen Belastungsstörung sowie eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome bescheinigt. Der Facharzt für Psychiatrie K... spricht in seinem Bericht vom 9.9.2009 von einer schweren depressiven Störung mit Angstzuständen bei posttraumatischer Belastungsstörung, wegen der die Klägerin dringend einer intensiven und regelmäßigen psychiatrischen Behandlung mit Psychopharmaka bedürfe. In dem von der Klägerin 1 während des erstinstanzlichen Verfahrens vorgelegten Schreiben einer polnischen Psychologin vom 29.1.2010 heißt es, die Klägerin 1 leide an einem depressiven Syndrom mit Konversionskomponente. Wegen ihrer Lebenssituation (alleinerziehende Mutter mit vier Kindern) und ihres Gesundheitszustands benötige sie die Hilfe ihrer Mutter. Der Nachweis, dass die Klägerin 1 (gerade) wegen ihrer Erkrankung auf diese Hilfe im Sinne des Art. 15 Abs. 2 Dublin-II-VO „angewiesen“ ist, ist damit nicht geführt.
31 
c) Das sich aus Art. 15 Abs. 1 sowie Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO ergebende Recht der Bundesrepublik Deutschland, die bei ihr eingereichten Asylanträge der Kläger aus humanitären Gründen zu prüfen, bleibt von dem Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO unberührt. Rechte der Kläger werden jedoch von diesen Vorschriften nicht begründet. Die Kläger können sich daher nicht darauf berufen, die Beklagte habe das ihr im Rahmen dieser Vorschriften zustehende Ermessen nicht oder fehlerhaft ausgeübt.
32 
aa) Art. 15 Abs. 1 sowie Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO sollen die „Prärogativen“ der Mitgliedstaaten wahren, das Recht auf Asylgewährung unabhängig von dem Mitgliedstaat auszuüben, der nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien für die Prüfung eines Antrags zuständig ist. Da es sich dabei um fakultative Bestimmungen handelt, räumen sie den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen ein (EuGH, Urt. v. 6.11.2012, a.a.O.; Urt. v. 10.12.2013 - C-394/12 - NVwZ 2014, 208). In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob aus diesen Vorschriften ein subjektives Recht des Asylbewerbers auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts oder wenigstens ein Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung abgeleitet werden kann (dafür: VG Gießen, Urt. v. 25.4.2008 - 2 L 201/08 - InfAuslR 2008, 327; Funke-Kaiser, a.a.O., § 27a AsylVfG Rn. 123 ff./134; Marx, a.a.O., § 27a AsylVfG Rn. 13; a. M. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 6.8.2013 - 12 S 675/13 - Juris; VG Berlin, Beschl. v. 7.10.2013 - 33 L 403.13 A - Juris; Hailbronner, a.a.O., § 27a AsylVfG Rn. 62). Durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 10.12.2013 - C-394/12 - (a.a.O.) ist diese Frage nunmehr in dem Sinne geklärt, dass ein Asylbewerber grundsätzlich keinen Anspruch gegen einen Mitgliedstaat der Europäischen Union hat, dass dieser von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch macht. Nach dem Urteil hat das jedenfalls für den hier gegebenen Fall zu gelten, dass ein Mitgliedstaat der Aufnahme des Asylbewerbers nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 Dublin II -VO niedergelegten Kriteriums zugestimmt hat.
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Zur Begründung weist der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil zunächst darauf hin, dass die für Asylanträge geltenden Regelungen in weitem Umfang auf Unionsebene harmonisiert worden seien, so insbesondere jüngst durch die Richtlinien 2011/95 und 2013/32. Der von einem Asylbewerber gestellte Antrag werde daher weitgehend nach den gleichen Regelungen geprüft, welcher Mitgliedstaat auch immer für seine Prüfung nach der Dublin II-Verordnung zuständig sei. Zu den Regelungen in Art. 3 Abs. 2 und Art. 15 Abs. 1 Dublin II-VO heißt es weiter, dass diese Vorschriften den Mitgliedstaaten aus den bereits genannten Gründen ein weites Ermessen einräumten. Im dem Urteil wird ferner betont, aus den Erwägungsgründen 3 und 4 der Dublin II-Verordnung gehe hervor, dass die Schaffung einer klaren und praktikablen Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats einer der Hauptzwecke der Verordnung sei, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden. Der Gerichtshof der Europäischen Union schließt hieraus, dass in einem Fall, in dem ein anderer Mitgliedstaat als der Mitgliedstaat der ersten Einreise der Aufnahme des Asylbewerbers nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO zugestimmt habe, der Asylbewerber der Heranziehung dieses Kriteriums (d.h. das Kriterium der ersten Einreise) nur damit entgegentreten könne, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend mache, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellten, dass er tatsächlich Gefahr laufe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Europäischen Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden. Dem schließt sich der Senat an.
34 
bb) Die Kläger könnten danach gegen den angefochtenen Bescheid nur einwenden, dass es in Polen systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber mit der im Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union genannten Folge für ihre eigene Person gebe. Ein solcher Einwand wird von den Kläger jedoch nicht erhoben. Die Frage, ob es in Polen systemische Mängel in dem genannten Sinn gibt, wird im Übrigen, soweit ersichtlich, allgemein verneint (vgl. u. a. VG Kassel, Beschl. v. 26.8.2013 - 9 L 984/13.KS.A - Juris; VG Schleswig, Beschl. v. 27.8.2013 - 1 B 43/13 - Juris; VG Lüneburg, Urt. v. 10.10.2013 - 2 B 47.13 - Juris; VG Düsseldorf, Urt. v. 19.11.2013 - 25 L 2154/13.A - Juris).
35 
4. Offen bleiben kann, ob ein Asylbewerber seiner Überstellung in den für die Prüfung seines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat weitere die Verhältnisse in diesem Staat betreffende Gründe entgegen halten kann.
36 
So stellt sich die Frage, ob auch das Drohen einer Verletzung von Art. 3 der Europäischen Grundrechtscharta im Einzelfall eine Ausnahme von der innereuropäischen Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht, zu begründen vermag. Diese Frage braucht jedoch im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht entschieden zu werden, da den Klägern keine Verletzung ihres durch diese Vorschrift gewährleisteten Rechts auf körperliche und geistige Unversehrtheit droht. Anhaltspunkte dafür, dass die psychische Erkrankung der Klägerin 1 in Polen nicht behandelt werden kann, sind nicht zu erkennen. Dies wird auch von den Klägern nicht behauptet.
37 
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO und § 83b AsylVfG.
38 
Die in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Gründe

 
17 
Der Senat konnte gemäß § 102 Abs. 2 VwGO trotz des Ausbleibens der Kläger sowie eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung über die Sache verhandeln und entscheiden. Die Beteiligten sind ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden.
18 
Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Klagen zu Unrecht stattgegeben. Der angefochtene Bescheid, mit dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Asylanträge der Kläger als unzulässig abgelehnt und ihre Abschiebung nach Polen angeordnet hat, ist rechtmäßig und verletzt die Kläger daher nicht in ihren Rechten.
19 
Die Entscheidung über die Asylanträge der Kläger stützt sich auf § 27a AsylVfG. Nach dieser - durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 in das Asylverfahrensgesetz eingefügten - Bestimmung ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Nach § 31 Abs. 6 AsylVfG wird dem Ausländer in der Entscheidung mitgeteilt, welcher andere Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Soll der Ausländer in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt ferner gemäß § 34a Abs. 1 AsylVfG die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
20 
Die angefochtene Entscheidung des Bundesamts ist danach nicht zu beanstanden. Der für die Durchführung der Asylverfahren der Kläger zuständige Staat ist nicht die Bundesrepublik Deutschland, sondern die Republik Polen.
21 
1. Die Frage, welcher Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Durchführung der Asylverfahren der Kläger zuständig ist, bestimmt sich nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.2.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (im Folgenden: Dublin II-VO). Die Dublin II-Verordnung ist zwar zum 19.7.2013 aufgehoben und durch die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 (im Folgenden: Dublin III-VO) ersetzt worden. Die Dublin III-Verordnung findet jedoch gemäß ihrem Art. 49 Abs. 2 Satz 1 nur auf Asylanträge Anwendung, die ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten gestellt werden. Für vor diesem Datum gestellte Asylanträge erfolgt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gemäß Art. 49 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO auch weiterhin nach den Kriterien der Dublin II-Verordnung.
22 
2. Der nach den Kriterien der Dublin II-Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist die Republik Polen.
23 
Für den Fall, dass auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den in Art. 18 Abs. 3 Dublin II-VO genannten Verzeichnissen festgestellt wird, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, ist gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Da die Kläger unstreitig über Polen eingereist sind und dort auch vor ihrer Weiterreise nach Deutschland Anträge auf Asyl gestellt hatten, ist nach dieser Vorschrift die Republik Polen für die Prüfung der Asylanträge der Kläger zuständig.
24 
Der Umstand, dass die Mutter und der Bruder der Klägerin 1 in Deutschland leben und beide als Asylberechtigte anerkannt worden sind, ändert daran nichts. Hat der Asylbewerber einen Familienangehörigen, dem das Recht auf Aufenthalt in einem Mitgliedstaat in seiner Eigenschaft als Flüchtling gewährt wurde, so ist zwar gemäß Art. 7 Dublin II-VO dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig, sofern die betroffenen Personen dies wünschen. Nach Art. 2 Buchst. i) Dublin II-VO sind „Familienangehörige“ im Sinne dieser Vorschrift aber nur der Ehegatte (oder unter bestimmten Voraussetzungen der nicht verheiratete Partner), die minderjährigen Kinder, sofern diese ledig und unterhaltsberechtigt sind, sowie bei unverheirateten minderjährigen Antragstellern der Vater, die Mutter oder der Vormund des Antragstellers. Die Mutter und der Bruder der Klägerin 1 gelten somit nicht als „Familienangehörige“ der Kläger im Sinne des Art. 7 Dublin II-VO.
25 
Der zur Prüfung des Asylantrags zuständige Mitgliedstaat ist nach Art. 16 Abs. 1 Dublin II-VO gehalten, einen Asylbewerber, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, aufzunehmen (Buchst. a) und die Prüfung des Asylantrags abzuschließen (Buchst. b). Auf das mit Schreiben vom 17.6.2009 gestellte (Wieder-)Aufnahmegesuch haben dementsprechend die polnischen Behörden mit Schreiben vom 18.6.2009 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge der Kläger erklärt.
26 
3. Das Verwaltungsgericht ist der Meinung, eine nach Art. 16 Dublin II-VO gegebene Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union reiche nicht aus, um einen Asylantrag im Sinne des § 27a AsylVfG unzulässig zu machen. Vielmehr sei auch zu prüfen, ob humanitäre Gründe im Sinne des Art. 15 Dublin II-VO vorlägen und daher das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO auszuüben sein könnte, wobei nach § 77 Abs. 1 AsylVfG auf die Sachlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen sei. Im Fall der Kläger lägen humanitäre Gründe nach Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO vor, aufgrund deren die Beklagte das Selbsteintrittsrecht auszuüben habe. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
27 
a) Nach Art. 15 Abs. 1 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, Familienmitglieder und andere abhängige Familienangehörige zusammenführen, auch wenn er dafür nach den Kriterien dieser Verordnung nicht zuständig ist. In diesem Fall prüft jener Mitgliedstaat auf Ersuchen eines anderen Mitgliedstaats den Asylantrag der betroffenen Person. Die betroffenen Personen müssen dem zustimmen. Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO bestimmt ferner, dass in Fällen, in denen die betroffene Person wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, einer schweren Krankheit, einer ernsthaften Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung der anderen Person angewiesen ist, die Mitgliedstaaten im Regelfall entscheiden, den Asylbewerber und den anderen Familienangehörigen, der sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhält, nicht zu trennen bzw. sie zusammenführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat. Unabhängig von diesen Regelungen kann nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO jeder Mitgliedsstaat einen bei ihm eingereichten Asylantrag prüfen (sogenanntes Selbsteintrittsrecht) mit der Folge, dass er dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat wird und die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen übernimmt.
28 
b) Die Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 6.11.2012 - C-245/11 - NVwZ-RR 2013, 69) ein nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin II-Verordnung nicht für die Prüfung eines Asylantrags zuständiger Mitgliedstaat zuständig wird, sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.
29 
Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO ist im Zusammenhang mit der allgemeineren Regelung in Art. 15 Abs. 1 Dublin II-VO zu sehen. Art. 15 Abs.1 Dublin II-VO ist eine fakultative Bestimmung, die den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen bei der Entscheidung einräumt, ob sie aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, Familienmitglieder und andere abhängige Familienangehörige „zusammenführen“. Durch Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO wird dieses Ermessen in der Weise eingeschränkt, dass die Mitgliedstaaten, wenn die dort genannten Voraussetzungen vorliegen, den Asylbewerber und den anderen Familienangehörigen „im Regelfall … nicht … trennen“. Der Anwendung dieser Vorschrift im Fall der Kläger steht nicht entgegen, dass sowohl die Mutter der Klägerin 1 als auch deren Bruder keine „Familienangehörigen“ im Sinne des Art. 2 Buchst. i) Dublin II-VO sind, da beide unter den in Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO verwendeten Begriff „anderer Familienangehöriger“ fallen, der in Anbetracht der humanitären Zielsetzung der Regelung sowie im Hinblick auf die verschiedenen und zum Teil voneinander abweichenden Sprachfassungen dieser Vorschrift dahin zu verstehen ist, dass er außer den „Familienangehörigen“ im Sinne des Art. 2 Buchst. i) Dublin II-VO auch andere Familienmitglieder umfasst (EuGH, Urt. v. 6.11.2012, a.a.O.; im Ergebnis ebenso OVG Niedersachsen, Urt. v. 4.7.2012 - 2 LB 163/10 - Juris; Hailbronner, Ausländerrecht, § 27a AsylVfG, Rn. 68 f; Funke-Kaiser in: GK-AsylVfG, § 27a Rn. 158, 165 ff; Marx, AsylVfG, 7. Aufl., § 27a Rn. 55). Der Umstand, dass die Mutter und der Bruder der Klägerin 1 bereits seit 2000 bzw. 2001 in Deutschland leben, während die Klägerin 1 und ihre Kinder ihr Heimatland erst 2009 verlassen haben, ist ebenfalls unschädlich, da Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO nur verlangt, dass die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat.
30 
Der Senat vermag jedoch nicht zu erkennen, dass die Klägerin 1 wegen ihrer psychischen Erkrankung auf die Unterstützung ihrer in Deutschland lebenden Verwandten im Sinne dieser Vorschrift „angewiesen“ ist. Dass eine solche Unterstützung nützlich oder förderlich ist, reicht dafür nicht aus. In dem bei den Akten des Bundesamts befindlichen Entlassungsbericht des Psychiatrischen Zentrums Nordbaden vom 19.6.2009 wird der Klägerin 1 eine Posttraumatischen Belastungsstörung sowie eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome bescheinigt. Der Facharzt für Psychiatrie K... spricht in seinem Bericht vom 9.9.2009 von einer schweren depressiven Störung mit Angstzuständen bei posttraumatischer Belastungsstörung, wegen der die Klägerin dringend einer intensiven und regelmäßigen psychiatrischen Behandlung mit Psychopharmaka bedürfe. In dem von der Klägerin 1 während des erstinstanzlichen Verfahrens vorgelegten Schreiben einer polnischen Psychologin vom 29.1.2010 heißt es, die Klägerin 1 leide an einem depressiven Syndrom mit Konversionskomponente. Wegen ihrer Lebenssituation (alleinerziehende Mutter mit vier Kindern) und ihres Gesundheitszustands benötige sie die Hilfe ihrer Mutter. Der Nachweis, dass die Klägerin 1 (gerade) wegen ihrer Erkrankung auf diese Hilfe im Sinne des Art. 15 Abs. 2 Dublin-II-VO „angewiesen“ ist, ist damit nicht geführt.
31 
c) Das sich aus Art. 15 Abs. 1 sowie Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO ergebende Recht der Bundesrepublik Deutschland, die bei ihr eingereichten Asylanträge der Kläger aus humanitären Gründen zu prüfen, bleibt von dem Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO unberührt. Rechte der Kläger werden jedoch von diesen Vorschriften nicht begründet. Die Kläger können sich daher nicht darauf berufen, die Beklagte habe das ihr im Rahmen dieser Vorschriften zustehende Ermessen nicht oder fehlerhaft ausgeübt.
32 
aa) Art. 15 Abs. 1 sowie Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO sollen die „Prärogativen“ der Mitgliedstaaten wahren, das Recht auf Asylgewährung unabhängig von dem Mitgliedstaat auszuüben, der nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien für die Prüfung eines Antrags zuständig ist. Da es sich dabei um fakultative Bestimmungen handelt, räumen sie den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen ein (EuGH, Urt. v. 6.11.2012, a.a.O.; Urt. v. 10.12.2013 - C-394/12 - NVwZ 2014, 208). In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob aus diesen Vorschriften ein subjektives Recht des Asylbewerbers auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts oder wenigstens ein Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung abgeleitet werden kann (dafür: VG Gießen, Urt. v. 25.4.2008 - 2 L 201/08 - InfAuslR 2008, 327; Funke-Kaiser, a.a.O., § 27a AsylVfG Rn. 123 ff./134; Marx, a.a.O., § 27a AsylVfG Rn. 13; a. M. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 6.8.2013 - 12 S 675/13 - Juris; VG Berlin, Beschl. v. 7.10.2013 - 33 L 403.13 A - Juris; Hailbronner, a.a.O., § 27a AsylVfG Rn. 62). Durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 10.12.2013 - C-394/12 - (a.a.O.) ist diese Frage nunmehr in dem Sinne geklärt, dass ein Asylbewerber grundsätzlich keinen Anspruch gegen einen Mitgliedstaat der Europäischen Union hat, dass dieser von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch macht. Nach dem Urteil hat das jedenfalls für den hier gegebenen Fall zu gelten, dass ein Mitgliedstaat der Aufnahme des Asylbewerbers nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 Dublin II -VO niedergelegten Kriteriums zugestimmt hat.
33 
Zur Begründung weist der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil zunächst darauf hin, dass die für Asylanträge geltenden Regelungen in weitem Umfang auf Unionsebene harmonisiert worden seien, so insbesondere jüngst durch die Richtlinien 2011/95 und 2013/32. Der von einem Asylbewerber gestellte Antrag werde daher weitgehend nach den gleichen Regelungen geprüft, welcher Mitgliedstaat auch immer für seine Prüfung nach der Dublin II-Verordnung zuständig sei. Zu den Regelungen in Art. 3 Abs. 2 und Art. 15 Abs. 1 Dublin II-VO heißt es weiter, dass diese Vorschriften den Mitgliedstaaten aus den bereits genannten Gründen ein weites Ermessen einräumten. Im dem Urteil wird ferner betont, aus den Erwägungsgründen 3 und 4 der Dublin II-Verordnung gehe hervor, dass die Schaffung einer klaren und praktikablen Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats einer der Hauptzwecke der Verordnung sei, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden. Der Gerichtshof der Europäischen Union schließt hieraus, dass in einem Fall, in dem ein anderer Mitgliedstaat als der Mitgliedstaat der ersten Einreise der Aufnahme des Asylbewerbers nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO zugestimmt habe, der Asylbewerber der Heranziehung dieses Kriteriums (d.h. das Kriterium der ersten Einreise) nur damit entgegentreten könne, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend mache, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellten, dass er tatsächlich Gefahr laufe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Europäischen Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden. Dem schließt sich der Senat an.
34 
bb) Die Kläger könnten danach gegen den angefochtenen Bescheid nur einwenden, dass es in Polen systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber mit der im Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union genannten Folge für ihre eigene Person gebe. Ein solcher Einwand wird von den Kläger jedoch nicht erhoben. Die Frage, ob es in Polen systemische Mängel in dem genannten Sinn gibt, wird im Übrigen, soweit ersichtlich, allgemein verneint (vgl. u. a. VG Kassel, Beschl. v. 26.8.2013 - 9 L 984/13.KS.A - Juris; VG Schleswig, Beschl. v. 27.8.2013 - 1 B 43/13 - Juris; VG Lüneburg, Urt. v. 10.10.2013 - 2 B 47.13 - Juris; VG Düsseldorf, Urt. v. 19.11.2013 - 25 L 2154/13.A - Juris).
35 
4. Offen bleiben kann, ob ein Asylbewerber seiner Überstellung in den für die Prüfung seines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat weitere die Verhältnisse in diesem Staat betreffende Gründe entgegen halten kann.
36 
So stellt sich die Frage, ob auch das Drohen einer Verletzung von Art. 3 der Europäischen Grundrechtscharta im Einzelfall eine Ausnahme von der innereuropäischen Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht, zu begründen vermag. Diese Frage braucht jedoch im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht entschieden zu werden, da den Klägern keine Verletzung ihres durch diese Vorschrift gewährleisteten Rechts auf körperliche und geistige Unversehrtheit droht. Anhaltspunkte dafür, dass die psychische Erkrankung der Klägerin 1 in Polen nicht behandelt werden kann, sind nicht zu erkennen. Dies wird auch von den Klägern nicht behauptet.
37 
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO und § 83b AsylVfG.
38 
Die in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Ist die Behörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 6. März 2012 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde des Klägers bleibt ohne Erfolg.

2

1. Die Beschwerde wirft die Grundsatzfrage auf,

"ob eine Abschiebung in eine schlechte Gesamtsituation, die unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein dürfte, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK darstellt und damit ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 2 AufenthG auslöst."

3

Dazu trägt sie vor, der Verwaltungsgerichtshof habe diese Frage in der angefochtenen Entscheidung verneint. Denn er sei davon ausgegangen, dass eine Verletzung von Art. 3 EMRK nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht zu ziehen sei. Eine solche Situation habe das Berufungsgericht nicht festgestellt und dazu auf seine Ausführungen zu § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG verwiesen. Gleichzeitig sei es jedoch im Rahmen der Prüfung dieser Vorschriften der Auffassung, dass aufgrund der schlechten Gesamtsituation in Kabul eine Rückkehr für gesunde, alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein dürfte. Dies begegne grundsätzlichen Bedenken, denn es werde nicht deutlich, welche Konsequenz die zuletzt genannte Auffassung im Hinblick auf Art. 3 EMRK habe. Einen Menschen sehenden Auges einer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbare Hungersituation auszusetzen, könne nur als unmenschlich und erniedrigend betrachtet werden. Zudem sei es wegen der Selbständigkeit der Abschiebungsverbote nicht zulässig, das Fehlen einer extremen Ausnahmesituation i.S.v. Art. 3 EMRK mit der Verneinung einer Extremsituation gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG zu begründen. Schließlich bedürfe die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland hinsichtlich Art. 3 EMRK nichts anderes ergebe, revisionsgerichtlicher Überprüfung. Dieses und das weitere Vorbringen der Beschwerde rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

4

1.1 Die Beschwerde knüpft die aufgeworfene Grundsatzfrage an folgende Ausführungen des Berufungsgerichts, die sich an dessen Würdigung anschließen, dass in Kabul keine Lage vorliegt, die eine Extremgefahr begründet (UA S. 25):

"Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG."

5

Diese Wertung trägt das Ergebnis des Berufungsurteils weder hinsichtlich der Ablehnung des unionsrechtlichen noch des nationalen Abschiebungsschutzes. Mit ihr bringt das Berufungsgericht vielmehr seine Haltung zum Ausdruck, dass die "Hürden" des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme einer extremen Gefahrenlage zu hoch seien und lässt in der Sache sein Bedauern erkennen, dass die oberste Landesbehörde für Afghanistan keinen generellen Abschiebestopp aus humanitären Gründen gemäß § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG angeordnet hat und das Gericht diese politische Entscheidung - unterhalb der hier nicht erreichten Grenze verfassungsrechtlich gebotenen Abschiebungsschutzes - nicht zu ersetzen vermag. Diese nicht entscheidungserhebliche und zudem eher außerrechtlich-moralische Bewertung des Handelns der Exekutive führt nicht auf grundsätzlich bedeutsame Rechtsfragen i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

6

1.2 Wollte man dem Vorbringen zu § 60 Abs. 2 AufenthG die - von der Beschwerde allerdings nicht explizit formulierte - Frage entnehmen, ob sich der Maßstab für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK bei Abschiebungen in Staaten mit schwierigen Lebensbedingungen seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/06) nach den darin "für alle Menschen gleich geltenden Mindeststandards einer Behandlung" bestimmt, würde auch diese Frage aus mehreren Gründen nicht die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO rechtfertigen.

7

1.2.1 Zum einen lässt sich der die Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG prägenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entnehmen, dass mit dem Urteil der Großen Kammer im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/09, M.S.S. - NVwZ 2011, 413) keine grundlegende, der revisionsgerichtlichen Klärung bedürftige Änderung der Maßstäbe bei der Ableitung von Abschiebungsverboten aus Art. 3 EMRK verbunden ist.

8

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht in seiner Rechtsprechung davon aus, dass die Staaten - unbeschadet ihrer vertraglichen Verpflichtungen einschließlich derer aus der Konvention selbst - das Recht haben, die Einreise fremder Staatsbürger in ihr Hoheitsgebiet zu regeln (EGMR, Urteile vom 28. Mai 1985 - Nr. 15/1983/71/107-109, Abdulaziz u. a. - NJW 1986, 3007 Rn. 67; vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner - NVwZ 2007, 1279 Rn. 54 und vom 28. Juni 2012 - Nr. 14499/09, A.A. u.a. - Rn. 71). Die Abschiebung durch einen Konventionsstaat kann aber dessen Verantwortlichkeit nach der Konvention begründen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. In einem solchen Fall ergibt sich aus Art. 3 EMRK die Verpflichtung, die Person nicht in dieses Land abzuschieben (stRspr, EGMR, Urteile vom 7. Juli 1989 - Nr. 14038/88, Soering - NJW 1990, 2183 Rn. 90 f. und vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - NVwZ 2008, 1330 Rn. 125). Allerdings können Ausländer kein Recht aus der Konvention auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach dieser Rechtsprechung allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (EGMR, Urteil vom 27. Mai 2008 - Nr. 26565/05, N. - NVwZ 2008, 1334 Rn. 42). So hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein Abschiebungsverbot aus Art. 3 EMRK zugunsten eines im fortgeschrittenen, tödlichen und unheilbaren Stadiums an Aids Erkrankten angenommen, weil die Abschiebung seinen Tod beschleunigen würde, er keine angemessene Behandlung erreichen könne und kein Beweis für irgendeine mögliche moralische oder soziale Unterstützung im Zielstaat zu erbringen sei (EGMR, Urteil vom 2. Mai 1997 - Nr. 146/1996/767/964, D. – NVwZ 1998, 161 Rn. 52 f.). Zusammenfassend führt der Gerichtshof zur Herleitung eines Abschiebungsverbots aus Art. 3 EMRK aufgrund von Krankheiten aus, dass angesichts der grundlegenden Bedeutung von Art. 3 EMRK im System der Konvention zwar eine gewisse Flexibilität notwendig sei, um eine Ausweisung (expulsion) in besonderen Ausnahmefällen zu verhindern. Doch verpflichte Art. 3 EMRK die Staaten nicht, Fortschritte in der Medizin sowie Unterschiede in sozialen und wirtschaftlichen Standards durch freie und unbegrenzte Versorgung von Ausländern ohne Bleiberecht zu beseitigen (EGMR, Urteil vom 27. Mai 2008 - Nr. 26565/05, N. - NVwZ 2008, 1334 Rn. 44).

9

Diese gefestigte Rechtsprechung ist durch das Urteil der Großen Kammer im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 a.a.O.) nicht grundsätzlich revidiert worden. Das Urteil verhält sich - entgegen der Auffassung der Beschwerde - erkennbar nicht zu den "für alle Menschen gleich geltenden Mindeststandards einer Behandlung". Zwar hat der Gerichtshof eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch das Königreich Belgien als abschiebenden Staat angenommen, weil der betroffene Asylantragsteller mit seiner Überstellung an Griechenland einer Situation äußerster materieller Armut ausgeliefert worden sei, was den belgischen Behörden bewusst gewesen sei (EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 a.a.O. Rn. 252, 263 f., 366 f.). Jedoch erstreckt diese Entscheidung den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ausdrücklich nicht allgemein auf soziale Leistungsrechte; der Gerichtshof betont vielmehr die Fortgeltung seiner insoweit sehr zurückhaltenden Rechtsprechung (EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 a.a.O. Rn. 249 m.w.N.). Vielmehr betrifft die Entscheidung den Schutz der Menschenwürde von Personen, die - in einem ihnen vollständig fremden Umfeld - vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig sind und behördlicher Gleichgültigkeit gegenüberstehen, obwohl sie sich in ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befinden (EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 a.a.O. Rn. 253). Als eine hier in Betracht zu ziehende Personengruppe führt das Urteil die Gruppe der Asylsuchenden an, die es als besonders verletzlich und schutzbedürftig qualifiziert (EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 a.a.O. Rn. 251, 259). Dass damit keine generelle Erstreckung dieser Rechtsprechung auf zu gewährleistende Standards im Heimatstaat des Betroffenen einhergeht, ergibt sich im Übrigen auch aus nachfolgenden Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, Urteile vom 28. Juni 2011 - Nr. 8319/07, Sufi u. Elmi - NVwZ 2012, 681 Rn. 282 f. und vom 15. Mai 2012 - Nr. 16567/10, Nacic u.a. - Rn. 49 u. 54).

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1.2.2 Zum anderen war diese Frage für das Berufungsgericht nicht entscheidungserheblich. Denn es hat sich der tatsächlichen Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs angeschlossen, dass zu erwarten sei, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten "ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten" (UA S. 24 f.). Damit ergäbe sich selbst bei Zugrundelegung der in der Entscheidung M.S.S. für einen anderen Anwendungsfall entwickelten Maßstäbe kein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK.

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2. Auch die weitere aufgeworfene Grundsatzfrage,

"ob bei der Prüfung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegt, im Rahmen der Gesamtwürdigung nicht nur die medizinische Versorgungslage, sondern auch weitere Umstände, wie z.B. die allgemeine Versorgungssituation zu berücksichtigen ist",

vermag der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen. Entgegen der von ihr vertretenen Auffassung ist die erforderliche Gesamtwürdigung u.a. der medizinischen Versorgungslage keine Voraussetzung für das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (vgl. dazu Urteil vom 24. Juni 2008 – BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 19 ff.). Sie ist vielmehr Teil der Prüfung, ob dem Betroffenen - wenn ein Konflikt dieser Qualität und dieses Ausmaßes besteht - mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit ein nach Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG relevanter Schaden droht. Demzufolge erweist sich die Frage, welche weiteren Umstände bei der Gesamtwürdigung der Gefahrbeurteilung zu berücksichtigen sind, nach den tatsächlichen Feststellungen und der tatrichterlichen Würdigung des Berufungsgerichts zur Lage in Kabul schon nicht als entscheidungserheblich.

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3. Schließlich legt die Beschwerde nicht dar, dass die von ihr aufgeworfene Frage,

"ob im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG auch nach Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG alle Gefährdungen grundsätzlich irrelevant sind, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen", klärungsbedürftig ist. Dazu wäre es erforderlich gewesen darzutun, aus welchen Gründen die Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben aus der Richtlinie 2004/83/EG im Aufenthaltsgesetz nicht nur für den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz (§ 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG), sondern auch für das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG als Bestandteil des nationalen Abschiebungsschutzes von Belang sein könnte. Dazu verhält sich die Beschwerde jedoch nicht. Im Übrigen legt die Beschwerde nicht dar, inwieweit § 60 Abs. 5 AufenthG hier einen weitergehenden Schutz gewähren sollte als § 60 Abs. 2 AufenthG.

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4. Der von der Beschwerde geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dargelegt. Eine Divergenz i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt vor, wenn das Berufungsgericht in dem angefochtenen Urteil einen das Urteil tragenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, mit dem es einem Rechtssatz widerspricht, den eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Es genügt nicht, wenn das Berufungsgericht einen Rechtssatz im Einzelfall rechtsfehlerhaft anwendet oder daraus nicht die rechtlichen Folgerungen zieht, die etwa für die Sachverhalts- und Beweiswürdigung geboten sind (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 und vom 3. Juli 2007 - BVerwG 2 B 18.07 - Buchholz 235.1 § 69 BDG Nr. 1).

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4.1 Entgegen der Behauptung der Beschwerde hat der Senat in seinem Urteil vom 17. November 2011 - BVerwG 10 C 13.10 - (a.a.O.) keinen allgemeinen Rechtssatz aufgestellt,

"dass bei der Prüfung, ob ein bewaffneter innerstaatlicher Konflikt im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegt, eine wertende Gesamtschau vorzunehmen ist, zu

der jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage gehört (Leitsatz 2)."

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Wie bereits unter 2. ausgeführt, bezieht sich die von der Beschwerde angesprochene wertende Gesamtbetrachtung allein auf die Gefahrendichte, also die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, und nicht das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Daher greift auch die insoweit erhobene Verfahrensrüge einer Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nicht durch.

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4.2 Die behauptete Divergenz des Berufungsgerichts zu dem Urteil des Senats vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 4.09 - (BVerwGE 136, 360) ist nicht hinreichend dargelegt. Der Senat hat in der bezeichneten Entscheidung zwar in der Tat - wie von der Beschwerde geltend gemacht - entschieden, dass das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG nicht zwingend voraussetzt, dass die Konfliktparteien einen so hohen Organisationsgrad erreicht haben müssen, wie er für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 und für den Einsatz des Internationalen Roten Kreuzes erforderlich ist. Vielmehr kann es bei einer Gesamtwürdigung der Umstände auch genügen, dass die Konfliktparteien in der Lage sind, anhaltende und koordinierte Kampfhandlungen von solcher Intensität und Dauerhaftigkeit durchzuführen, dass die Zivilbevölkerung davon typischerweise in Mitleidenschaft gezogen wird (a.a.O. Rn. 23). Von diesem Rechtssatz ist das Berufungsgericht aber weder offen noch verdeckt abgewichen, wenn es bezogen auf Kabul als Heimatregion des Klägers das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts aufgrund seiner tatrichterlichen Würdigung verneint hat, dass die dortige Sicherheitslage - abgesehen von einigen spektakulären, auf prominente Ziele gerichteten Anschlägen - relativ einheitlich als stabil bewertet worden sei (UA S. 15 f.). Damit kommt es auf die Organisation der Konfliktparteien nicht an. Denn entgegen der Auffassung der Beschwerde bilden die Kriterien, die der Senat zur Qualität einer potentiellen Konfliktpartei entwickelt hat, keine hinreichende Voraussetzung für das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Die Beschwerde versucht im Gewande der Divergenzrüge, die tatsächliche Würdigung des Berufungsgerichts durch eine eigene Einschätzung der Lage infrage zu stellen; damit kann sie jedoch die Zulassung der Revision nicht erreichen.

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5. Die Beschwerde macht geltend, das Berufungsurteil sei nicht hinreichend mit Gründen versehen (§ 138 Nr. 6 VwGO), da es einerseits eine Verletzung von Art. 3 EMRK und Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG für den Fall einer Abschiebung nach Kabul verneine, andererseits eine solche Abschiebung selbst für gesunde, alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten für kaum zumutbar halte. Insoweit liege auch ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) vor. Diese Verfahrensrügen greifen nicht durch.

18

Nach § 138 Nr. 6 VwGO liegt ein absoluter Revisionsgrund - und damit zugleich ein Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO - vor, wenn die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist. Nicht mit Gründen versehen im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO ist eine Entscheidung nur, wenn die Entscheidungsgründe ihre doppelte Funktion nicht mehr zu erfüllen vermögen. Das ist nach der Rechtsprechung allerdings nicht nur dann der Fall, wenn dem Tenor der Entscheidung überhaupt keine Gründe beigegeben sind, sondern auch dann, wenn die Begründung völlig unverständlich und verworren ist, so dass sie in Wirklichkeit nicht erkennen lässt, welche Überlegungen für die Entscheidung maßgebend gewesen sind (vgl. Beschluss vom 3. April 1990 - BVerwG 9 CB 5.90 - Buchholz 310 § 117 VwGO Nr. 31). Der "grobe Formmangel" (vgl. Beschluss vom 13. Juni 1988 - BVerwG 4 C 4.88 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 80) liegt mit anderen Worten immer dann vor, wenn die Entscheidungsgründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder aus sonstigen Gründen derart unbrauchbar sind, dass sie unter keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet sind, den Urteilstenor zu tragen.

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Bei Anwendung dieser Grundsätze liegt der gerügte Verfahrensmangel nicht vor. Der durch § 138 Nr. 6 VwGO sanktionierte grobe Formmangel greift erst bei unverständlichen und verworrenen Entscheidungsgründen, nicht aber bereits bei inhaltlich grob falschen Ausführungen, die hier im Übrigen nicht zu erkennen sind. Die Beschwerde verkennt den Inhalt der von ihr in Bezug genommenen Passagen der Entscheidungsgründe. Bei den Zumutbarkeitserwägungen des Verwaltungsgerichtshofs handelt es sich allein um eine rechtlich nicht verankerte, eher moralische Bewertung einer möglichen Abschiebung (siehe oben 1.1). Auch der gerügte Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz ist nicht zu erkennen. Vielmehr rügt die Beschwerde im Gewande dieser Verfahrensrüge die inhaltliche Würdigung des Berufungsgerichts; damit vermag sie die Zulassung der Revision indes nicht zu erreichen.

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6. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

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7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.