Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 26. Feb. 2014 - A 3 S 698/13

bei uns veröffentlicht am26.02.2014

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 30. Juni 2011 - A 1 K 3583/09 - geändert. Die Klagen werden abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des - gerichtskostenfreien - Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Kläger begehren ihre Anerkennung als Asylberechtigte.
Die am 11.3.1973 geborene Klägerin 1 und ihre vier zwischen 1994 und 2004 geborenen Kinder, die Kläger 2 bis 5, sind nach ihren Angaben russische Staatsangehörige. Sie reisten am 24.4.2009 über Polen in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten am 23.6.2009 ihre Anerkennung als Asylberechtigte.
Aufgrund eines Vergleichs der Fingerabdrücke der Kläger stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) fest, dass die Kläger bereits zuvor am 27.3.2009 in Polen einen Asylantrag gestellt hatten. Auf ein deshalb am 17.6.2009 gestelltes Übernahmeersuchen erklärten die polnischen Behörden mit Schreiben vom 18.6.2009 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge der Kläger gemäß Art. 16 Abs. 1 Dublin II-VO.
Mit Schreiben vom 1.9.2009 beantragte der Verfahrensbevollmächtigte der Kläger, das Asylverfahren in Deutschland durchzuführen, da die Klägerin 1 unter einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie unter Depressionen leide und deshalb auf die Unterstützung von Familienangehörigen angewiesen sei. In Köln lebten mehrere Verwandte, darunter der Bruder der Klägerin, der durch Bescheid vom 24.4.2003 als „politischer Flüchtling“ anerkannt worden sei. Mit Schreiben vom 14.9.2009 legte der Verfahrensbevollmächtigte der Kläger ferner eine fachärztliche Stellungnahme vor, aus der sich mit hinreichender Deutlichkeit ergebe, dass die Klägerin 1 dringend der Unterstützung durch nahe Familienangehörige bedürfe. In dem Schreiben wurde ferner mitgeteilt, dass die in Köln lebende Mutter der Klägerin ebenfalls als „politischer Flüchtling“ im Bundesgebiet anerkannt worden sei.
Mit Bescheid vom 8.9.2009 erklärte das Bundesamt die Asylanträge der Kläger für unzulässig und ordnete die Abschiebung der Kläger nach Polen an. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Asylanträge seien gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, da Polen aufgrund der dort bereits gestellten Asylanträge für deren Bearbeitung zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich.
Im November 2009 wurden die Kläger nach Polen überstellt, am 3.12.2009 wurde ihnen der Bescheid vom 8.9.2009 zugestellt.
Die Kläger haben am 9.12.2009 beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben und beantragt, den Bescheid des Bundesamts vom 8.9.2009 aufzuheben. Zur Begründung ließen sie vortragen, die Klägerin 1 leide unter einer posttraumatischen Belastungsstörung als Folge einer in ihrem Heimatland erlittenen politischen Verfolgung und sei deswegen von Mai bis Juni (in Deutschland) stationär behandelt worden. Sie sei aus diesem Grund in besonderem Maße auf die Unterstützung ihrer Mutter, die als „politischer Flüchtling“ in Deutschland lebe, sowie auf die Unterstützung anderer Familienangehörigen angewiesen. Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO sehe in einem solchen Fall die Abweichung von den Zuständigkeitskriterien aus humanitären Gründen vor. Bei den Familienangehörigen der Kläger handele es sich zwar nicht um „Familienangehörige“ im Sinne des Art. 2 Buchst. i) Dublin II-VO. Der Anwendungsbereich des Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO sei jedoch nicht auf die Kernfamilie beschränkt, sondern beziehe sich auf alle Familienangehörigen im Sinne des Art. 8 EMRK. Auf Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO sowie auf die Möglichkeit des Selbsteintritts gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO könnten die Kläger sich berufen. Die Kläger hätten zumindest Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Ausübung des Selbsteintrittsrechts.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Mit Urteil vom 30.6.2011 hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben und den Bescheid des Bundesamts vom 8.9.2009 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, der angegriffene Bescheid sei rechtswidrig und verletzte daher die Kläger in ihren Rechten. Nach § 27a AsylVfG sei ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sei. Eine nach Art. 16 Dublin II-VO gegebene Zuständigkeit reiche indessen allein nicht aus, um den Asylantrag unzulässig zu machen. Vielmehr sei auch zu prüfen, ob humanitäre Gründe im Sinne des Art. 15 dieser Verordnung vorlägen und daher das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 dieser Verordnung auszuüben sein könnte, wobei nach § 77 Abs. 1 AsylVfG auf die Sachlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen sei. Im Fall der Kläger lägen humanitäre Gründe nach Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO vor, aufgrund deren die Beklagte das Selbsteintrittsrecht auszuüben habe. Nach dieser Bestimmung entschieden die Mitgliedstaaten in Fällen, in denen die betroffene Person wegen einer schweren Krankheit auf die Unterstützung der anderen Person angewiesen sei, im Regelfall, den Asylbewerber und den anderen Familienangehörigen, der sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalte, nicht zu trennen bzw. sie zusammenführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden habe. Die Klägerin 1 leide, wie sich zuletzt aus der Bescheinigung der Medizinischen Station der polnischen Ausländerbehörde vom 16.6.2010 ergebe, an einer schweren Krankheit, nämlich an einem depressiven Syndrom mit Konversionskomponente, wegen dem sie in ständiger psychiatrischen Behandlung sei. Aus dieser Bescheinigung ergebe sich auch, dass die Klägerin 1 insbesondere der Unterstützung ihrer hier als Flüchtling anerkannten Mutter bedürfe, da dort ausgeführt werde, dass sich das „Funktionieren“ bessern würde, wenn die Klägerin 1 im Kreis ihrer Nächsten leben könnte. Auch die weitere tatbestandliche Voraussetzung, dass die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden haben müsse, sei gegeben. Denn damit sei allein gemeint, dass das entsprechende Verwandtschaftsverhältnis bereits bestanden haben müsse, was hier unzweifelhaft zu bejahen sei. Für eine Atypik sei nichts ersichtlich oder dargetan. Eine Trennung der Kläger 2 bis 5 von der Klägerin 1 verbiete sich in Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG.
10 
Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts richtet sich die vom Senat mit Beschluss vom 25.3.2013 zugelassene Berufung der Beklagten. Zu deren Begründung macht die Beklagte geltend, aus der Dublin II-Verordnung ergäben sich keine subjektiven Rechte des Asylbewerbers. Ein Recht auf Durchführung des Asylverfahrens in einem bestimmten Land bestehe daher nicht.
11 
Die Beklagte beantragt,
12 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 30.6.2011 - A 1 K 3583/09 - zu ändern und die Klagen abzuweisen.
13 
Die Kläger beantragen,
14 
die Berufung zurückzuweisen.
15 
Sie verteidigen das angefochtene Urteil.
16 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akten des Verwaltungsgerichts sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
17 
Der Senat konnte gemäß § 102 Abs. 2 VwGO trotz des Ausbleibens der Kläger sowie eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung über die Sache verhandeln und entscheiden. Die Beteiligten sind ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden.
18 
Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Klagen zu Unrecht stattgegeben. Der angefochtene Bescheid, mit dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Asylanträge der Kläger als unzulässig abgelehnt und ihre Abschiebung nach Polen angeordnet hat, ist rechtmäßig und verletzt die Kläger daher nicht in ihren Rechten.
19 
Die Entscheidung über die Asylanträge der Kläger stützt sich auf § 27a AsylVfG. Nach dieser - durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 in das Asylverfahrensgesetz eingefügten - Bestimmung ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Nach § 31 Abs. 6 AsylVfG wird dem Ausländer in der Entscheidung mitgeteilt, welcher andere Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Soll der Ausländer in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt ferner gemäß § 34a Abs. 1 AsylVfG die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
20 
Die angefochtene Entscheidung des Bundesamts ist danach nicht zu beanstanden. Der für die Durchführung der Asylverfahren der Kläger zuständige Staat ist nicht die Bundesrepublik Deutschland, sondern die Republik Polen.
21 
1. Die Frage, welcher Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Durchführung der Asylverfahren der Kläger zuständig ist, bestimmt sich nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.2.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (im Folgenden: Dublin II-VO). Die Dublin II-Verordnung ist zwar zum 19.7.2013 aufgehoben und durch die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 (im Folgenden: Dublin III-VO) ersetzt worden. Die Dublin III-Verordnung findet jedoch gemäß ihrem Art. 49 Abs. 2 Satz 1 nur auf Asylanträge Anwendung, die ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten gestellt werden. Für vor diesem Datum gestellte Asylanträge erfolgt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gemäß Art. 49 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO auch weiterhin nach den Kriterien der Dublin II-Verordnung.
22 
2. Der nach den Kriterien der Dublin II-Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist die Republik Polen.
23 
Für den Fall, dass auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den in Art. 18 Abs. 3 Dublin II-VO genannten Verzeichnissen festgestellt wird, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, ist gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Da die Kläger unstreitig über Polen eingereist sind und dort auch vor ihrer Weiterreise nach Deutschland Anträge auf Asyl gestellt hatten, ist nach dieser Vorschrift die Republik Polen für die Prüfung der Asylanträge der Kläger zuständig.
24 
Der Umstand, dass die Mutter und der Bruder der Klägerin 1 in Deutschland leben und beide als Asylberechtigte anerkannt worden sind, ändert daran nichts. Hat der Asylbewerber einen Familienangehörigen, dem das Recht auf Aufenthalt in einem Mitgliedstaat in seiner Eigenschaft als Flüchtling gewährt wurde, so ist zwar gemäß Art. 7 Dublin II-VO dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig, sofern die betroffenen Personen dies wünschen. Nach Art. 2 Buchst. i) Dublin II-VO sind „Familienangehörige“ im Sinne dieser Vorschrift aber nur der Ehegatte (oder unter bestimmten Voraussetzungen der nicht verheiratete Partner), die minderjährigen Kinder, sofern diese ledig und unterhaltsberechtigt sind, sowie bei unverheirateten minderjährigen Antragstellern der Vater, die Mutter oder der Vormund des Antragstellers. Die Mutter und der Bruder der Klägerin 1 gelten somit nicht als „Familienangehörige“ der Kläger im Sinne des Art. 7 Dublin II-VO.
25 
Der zur Prüfung des Asylantrags zuständige Mitgliedstaat ist nach Art. 16 Abs. 1 Dublin II-VO gehalten, einen Asylbewerber, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, aufzunehmen (Buchst. a) und die Prüfung des Asylantrags abzuschließen (Buchst. b). Auf das mit Schreiben vom 17.6.2009 gestellte (Wieder-)Aufnahmegesuch haben dementsprechend die polnischen Behörden mit Schreiben vom 18.6.2009 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge der Kläger erklärt.
26 
3. Das Verwaltungsgericht ist der Meinung, eine nach Art. 16 Dublin II-VO gegebene Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union reiche nicht aus, um einen Asylantrag im Sinne des § 27a AsylVfG unzulässig zu machen. Vielmehr sei auch zu prüfen, ob humanitäre Gründe im Sinne des Art. 15 Dublin II-VO vorlägen und daher das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO auszuüben sein könnte, wobei nach § 77 Abs. 1 AsylVfG auf die Sachlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen sei. Im Fall der Kläger lägen humanitäre Gründe nach Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO vor, aufgrund deren die Beklagte das Selbsteintrittsrecht auszuüben habe. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
27 
a) Nach Art. 15 Abs. 1 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, Familienmitglieder und andere abhängige Familienangehörige zusammenführen, auch wenn er dafür nach den Kriterien dieser Verordnung nicht zuständig ist. In diesem Fall prüft jener Mitgliedstaat auf Ersuchen eines anderen Mitgliedstaats den Asylantrag der betroffenen Person. Die betroffenen Personen müssen dem zustimmen. Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO bestimmt ferner, dass in Fällen, in denen die betroffene Person wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, einer schweren Krankheit, einer ernsthaften Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung der anderen Person angewiesen ist, die Mitgliedstaaten im Regelfall entscheiden, den Asylbewerber und den anderen Familienangehörigen, der sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhält, nicht zu trennen bzw. sie zusammenführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat. Unabhängig von diesen Regelungen kann nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO jeder Mitgliedsstaat einen bei ihm eingereichten Asylantrag prüfen (sogenanntes Selbsteintrittsrecht) mit der Folge, dass er dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat wird und die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen übernimmt.
28 
b) Die Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 6.11.2012 - C-245/11 - NVwZ-RR 2013, 69) ein nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin II-Verordnung nicht für die Prüfung eines Asylantrags zuständiger Mitgliedstaat zuständig wird, sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.
29 
Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO ist im Zusammenhang mit der allgemeineren Regelung in Art. 15 Abs. 1 Dublin II-VO zu sehen. Art. 15 Abs.1 Dublin II-VO ist eine fakultative Bestimmung, die den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen bei der Entscheidung einräumt, ob sie aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, Familienmitglieder und andere abhängige Familienangehörige „zusammenführen“. Durch Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO wird dieses Ermessen in der Weise eingeschränkt, dass die Mitgliedstaaten, wenn die dort genannten Voraussetzungen vorliegen, den Asylbewerber und den anderen Familienangehörigen „im Regelfall … nicht … trennen“. Der Anwendung dieser Vorschrift im Fall der Kläger steht nicht entgegen, dass sowohl die Mutter der Klägerin 1 als auch deren Bruder keine „Familienangehörigen“ im Sinne des Art. 2 Buchst. i) Dublin II-VO sind, da beide unter den in Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO verwendeten Begriff „anderer Familienangehöriger“ fallen, der in Anbetracht der humanitären Zielsetzung der Regelung sowie im Hinblick auf die verschiedenen und zum Teil voneinander abweichenden Sprachfassungen dieser Vorschrift dahin zu verstehen ist, dass er außer den „Familienangehörigen“ im Sinne des Art. 2 Buchst. i) Dublin II-VO auch andere Familienmitglieder umfasst (EuGH, Urt. v. 6.11.2012, a.a.O.; im Ergebnis ebenso OVG Niedersachsen, Urt. v. 4.7.2012 - 2 LB 163/10 - Juris; Hailbronner, Ausländerrecht, § 27a AsylVfG, Rn. 68 f; Funke-Kaiser in: GK-AsylVfG, § 27a Rn. 158, 165 ff; Marx, AsylVfG, 7. Aufl., § 27a Rn. 55). Der Umstand, dass die Mutter und der Bruder der Klägerin 1 bereits seit 2000 bzw. 2001 in Deutschland leben, während die Klägerin 1 und ihre Kinder ihr Heimatland erst 2009 verlassen haben, ist ebenfalls unschädlich, da Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO nur verlangt, dass die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat.
30 
Der Senat vermag jedoch nicht zu erkennen, dass die Klägerin 1 wegen ihrer psychischen Erkrankung auf die Unterstützung ihrer in Deutschland lebenden Verwandten im Sinne dieser Vorschrift „angewiesen“ ist. Dass eine solche Unterstützung nützlich oder förderlich ist, reicht dafür nicht aus. In dem bei den Akten des Bundesamts befindlichen Entlassungsbericht des Psychiatrischen Zentrums Nordbaden vom 19.6.2009 wird der Klägerin 1 eine Posttraumatischen Belastungsstörung sowie eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome bescheinigt. Der Facharzt für Psychiatrie K... spricht in seinem Bericht vom 9.9.2009 von einer schweren depressiven Störung mit Angstzuständen bei posttraumatischer Belastungsstörung, wegen der die Klägerin dringend einer intensiven und regelmäßigen psychiatrischen Behandlung mit Psychopharmaka bedürfe. In dem von der Klägerin 1 während des erstinstanzlichen Verfahrens vorgelegten Schreiben einer polnischen Psychologin vom 29.1.2010 heißt es, die Klägerin 1 leide an einem depressiven Syndrom mit Konversionskomponente. Wegen ihrer Lebenssituation (alleinerziehende Mutter mit vier Kindern) und ihres Gesundheitszustands benötige sie die Hilfe ihrer Mutter. Der Nachweis, dass die Klägerin 1 (gerade) wegen ihrer Erkrankung auf diese Hilfe im Sinne des Art. 15 Abs. 2 Dublin-II-VO „angewiesen“ ist, ist damit nicht geführt.
31 
c) Das sich aus Art. 15 Abs. 1 sowie Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO ergebende Recht der Bundesrepublik Deutschland, die bei ihr eingereichten Asylanträge der Kläger aus humanitären Gründen zu prüfen, bleibt von dem Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO unberührt. Rechte der Kläger werden jedoch von diesen Vorschriften nicht begründet. Die Kläger können sich daher nicht darauf berufen, die Beklagte habe das ihr im Rahmen dieser Vorschriften zustehende Ermessen nicht oder fehlerhaft ausgeübt.
32 
aa) Art. 15 Abs. 1 sowie Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO sollen die „Prärogativen“ der Mitgliedstaaten wahren, das Recht auf Asylgewährung unabhängig von dem Mitgliedstaat auszuüben, der nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien für die Prüfung eines Antrags zuständig ist. Da es sich dabei um fakultative Bestimmungen handelt, räumen sie den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen ein (EuGH, Urt. v. 6.11.2012, a.a.O.; Urt. v. 10.12.2013 - C-394/12 - NVwZ 2014, 208). In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob aus diesen Vorschriften ein subjektives Recht des Asylbewerbers auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts oder wenigstens ein Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung abgeleitet werden kann (dafür: VG Gießen, Urt. v. 25.4.2008 - 2 L 201/08 - InfAuslR 2008, 327; Funke-Kaiser, a.a.O., § 27a AsylVfG Rn. 123 ff./134; Marx, a.a.O., § 27a AsylVfG Rn. 13; a. M. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 6.8.2013 - 12 S 675/13 - Juris; VG Berlin, Beschl. v. 7.10.2013 - 33 L 403.13 A - Juris; Hailbronner, a.a.O., § 27a AsylVfG Rn. 62). Durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 10.12.2013 - C-394/12 - (a.a.O.) ist diese Frage nunmehr in dem Sinne geklärt, dass ein Asylbewerber grundsätzlich keinen Anspruch gegen einen Mitgliedstaat der Europäischen Union hat, dass dieser von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch macht. Nach dem Urteil hat das jedenfalls für den hier gegebenen Fall zu gelten, dass ein Mitgliedstaat der Aufnahme des Asylbewerbers nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 Dublin II -VO niedergelegten Kriteriums zugestimmt hat.
33 
Zur Begründung weist der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil zunächst darauf hin, dass die für Asylanträge geltenden Regelungen in weitem Umfang auf Unionsebene harmonisiert worden seien, so insbesondere jüngst durch die Richtlinien 2011/95 und 2013/32. Der von einem Asylbewerber gestellte Antrag werde daher weitgehend nach den gleichen Regelungen geprüft, welcher Mitgliedstaat auch immer für seine Prüfung nach der Dublin II-Verordnung zuständig sei. Zu den Regelungen in Art. 3 Abs. 2 und Art. 15 Abs. 1 Dublin II-VO heißt es weiter, dass diese Vorschriften den Mitgliedstaaten aus den bereits genannten Gründen ein weites Ermessen einräumten. Im dem Urteil wird ferner betont, aus den Erwägungsgründen 3 und 4 der Dublin II-Verordnung gehe hervor, dass die Schaffung einer klaren und praktikablen Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats einer der Hauptzwecke der Verordnung sei, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden. Der Gerichtshof der Europäischen Union schließt hieraus, dass in einem Fall, in dem ein anderer Mitgliedstaat als der Mitgliedstaat der ersten Einreise der Aufnahme des Asylbewerbers nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO zugestimmt habe, der Asylbewerber der Heranziehung dieses Kriteriums (d.h. das Kriterium der ersten Einreise) nur damit entgegentreten könne, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend mache, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellten, dass er tatsächlich Gefahr laufe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Europäischen Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden. Dem schließt sich der Senat an.
34 
bb) Die Kläger könnten danach gegen den angefochtenen Bescheid nur einwenden, dass es in Polen systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber mit der im Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union genannten Folge für ihre eigene Person gebe. Ein solcher Einwand wird von den Kläger jedoch nicht erhoben. Die Frage, ob es in Polen systemische Mängel in dem genannten Sinn gibt, wird im Übrigen, soweit ersichtlich, allgemein verneint (vgl. u. a. VG Kassel, Beschl. v. 26.8.2013 - 9 L 984/13.KS.A - Juris; VG Schleswig, Beschl. v. 27.8.2013 - 1 B 43/13 - Juris; VG Lüneburg, Urt. v. 10.10.2013 - 2 B 47.13 - Juris; VG Düsseldorf, Urt. v. 19.11.2013 - 25 L 2154/13.A - Juris).
35 
4. Offen bleiben kann, ob ein Asylbewerber seiner Überstellung in den für die Prüfung seines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat weitere die Verhältnisse in diesem Staat betreffende Gründe entgegen halten kann.
36 
So stellt sich die Frage, ob auch das Drohen einer Verletzung von Art. 3 der Europäischen Grundrechtscharta im Einzelfall eine Ausnahme von der innereuropäischen Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht, zu begründen vermag. Diese Frage braucht jedoch im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht entschieden zu werden, da den Klägern keine Verletzung ihres durch diese Vorschrift gewährleisteten Rechts auf körperliche und geistige Unversehrtheit droht. Anhaltspunkte dafür, dass die psychische Erkrankung der Klägerin 1 in Polen nicht behandelt werden kann, sind nicht zu erkennen. Dies wird auch von den Klägern nicht behauptet.
37 
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO und § 83b AsylVfG.
38 
Die in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Gründe

 
17 
Der Senat konnte gemäß § 102 Abs. 2 VwGO trotz des Ausbleibens der Kläger sowie eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung über die Sache verhandeln und entscheiden. Die Beteiligten sind ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden.
18 
Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Klagen zu Unrecht stattgegeben. Der angefochtene Bescheid, mit dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Asylanträge der Kläger als unzulässig abgelehnt und ihre Abschiebung nach Polen angeordnet hat, ist rechtmäßig und verletzt die Kläger daher nicht in ihren Rechten.
19 
Die Entscheidung über die Asylanträge der Kläger stützt sich auf § 27a AsylVfG. Nach dieser - durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 in das Asylverfahrensgesetz eingefügten - Bestimmung ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Nach § 31 Abs. 6 AsylVfG wird dem Ausländer in der Entscheidung mitgeteilt, welcher andere Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Soll der Ausländer in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt ferner gemäß § 34a Abs. 1 AsylVfG die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
20 
Die angefochtene Entscheidung des Bundesamts ist danach nicht zu beanstanden. Der für die Durchführung der Asylverfahren der Kläger zuständige Staat ist nicht die Bundesrepublik Deutschland, sondern die Republik Polen.
21 
1. Die Frage, welcher Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Durchführung der Asylverfahren der Kläger zuständig ist, bestimmt sich nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.2.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (im Folgenden: Dublin II-VO). Die Dublin II-Verordnung ist zwar zum 19.7.2013 aufgehoben und durch die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 (im Folgenden: Dublin III-VO) ersetzt worden. Die Dublin III-Verordnung findet jedoch gemäß ihrem Art. 49 Abs. 2 Satz 1 nur auf Asylanträge Anwendung, die ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten gestellt werden. Für vor diesem Datum gestellte Asylanträge erfolgt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gemäß Art. 49 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO auch weiterhin nach den Kriterien der Dublin II-Verordnung.
22 
2. Der nach den Kriterien der Dublin II-Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist die Republik Polen.
23 
Für den Fall, dass auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den in Art. 18 Abs. 3 Dublin II-VO genannten Verzeichnissen festgestellt wird, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, ist gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Da die Kläger unstreitig über Polen eingereist sind und dort auch vor ihrer Weiterreise nach Deutschland Anträge auf Asyl gestellt hatten, ist nach dieser Vorschrift die Republik Polen für die Prüfung der Asylanträge der Kläger zuständig.
24 
Der Umstand, dass die Mutter und der Bruder der Klägerin 1 in Deutschland leben und beide als Asylberechtigte anerkannt worden sind, ändert daran nichts. Hat der Asylbewerber einen Familienangehörigen, dem das Recht auf Aufenthalt in einem Mitgliedstaat in seiner Eigenschaft als Flüchtling gewährt wurde, so ist zwar gemäß Art. 7 Dublin II-VO dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig, sofern die betroffenen Personen dies wünschen. Nach Art. 2 Buchst. i) Dublin II-VO sind „Familienangehörige“ im Sinne dieser Vorschrift aber nur der Ehegatte (oder unter bestimmten Voraussetzungen der nicht verheiratete Partner), die minderjährigen Kinder, sofern diese ledig und unterhaltsberechtigt sind, sowie bei unverheirateten minderjährigen Antragstellern der Vater, die Mutter oder der Vormund des Antragstellers. Die Mutter und der Bruder der Klägerin 1 gelten somit nicht als „Familienangehörige“ der Kläger im Sinne des Art. 7 Dublin II-VO.
25 
Der zur Prüfung des Asylantrags zuständige Mitgliedstaat ist nach Art. 16 Abs. 1 Dublin II-VO gehalten, einen Asylbewerber, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, aufzunehmen (Buchst. a) und die Prüfung des Asylantrags abzuschließen (Buchst. b). Auf das mit Schreiben vom 17.6.2009 gestellte (Wieder-)Aufnahmegesuch haben dementsprechend die polnischen Behörden mit Schreiben vom 18.6.2009 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge der Kläger erklärt.
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3. Das Verwaltungsgericht ist der Meinung, eine nach Art. 16 Dublin II-VO gegebene Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union reiche nicht aus, um einen Asylantrag im Sinne des § 27a AsylVfG unzulässig zu machen. Vielmehr sei auch zu prüfen, ob humanitäre Gründe im Sinne des Art. 15 Dublin II-VO vorlägen und daher das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO auszuüben sein könnte, wobei nach § 77 Abs. 1 AsylVfG auf die Sachlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen sei. Im Fall der Kläger lägen humanitäre Gründe nach Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO vor, aufgrund deren die Beklagte das Selbsteintrittsrecht auszuüben habe. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
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a) Nach Art. 15 Abs. 1 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, Familienmitglieder und andere abhängige Familienangehörige zusammenführen, auch wenn er dafür nach den Kriterien dieser Verordnung nicht zuständig ist. In diesem Fall prüft jener Mitgliedstaat auf Ersuchen eines anderen Mitgliedstaats den Asylantrag der betroffenen Person. Die betroffenen Personen müssen dem zustimmen. Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO bestimmt ferner, dass in Fällen, in denen die betroffene Person wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, einer schweren Krankheit, einer ernsthaften Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung der anderen Person angewiesen ist, die Mitgliedstaaten im Regelfall entscheiden, den Asylbewerber und den anderen Familienangehörigen, der sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhält, nicht zu trennen bzw. sie zusammenführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat. Unabhängig von diesen Regelungen kann nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO jeder Mitgliedsstaat einen bei ihm eingereichten Asylantrag prüfen (sogenanntes Selbsteintrittsrecht) mit der Folge, dass er dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat wird und die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen übernimmt.
28 
b) Die Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 6.11.2012 - C-245/11 - NVwZ-RR 2013, 69) ein nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin II-Verordnung nicht für die Prüfung eines Asylantrags zuständiger Mitgliedstaat zuständig wird, sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.
29 
Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO ist im Zusammenhang mit der allgemeineren Regelung in Art. 15 Abs. 1 Dublin II-VO zu sehen. Art. 15 Abs.1 Dublin II-VO ist eine fakultative Bestimmung, die den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen bei der Entscheidung einräumt, ob sie aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, Familienmitglieder und andere abhängige Familienangehörige „zusammenführen“. Durch Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO wird dieses Ermessen in der Weise eingeschränkt, dass die Mitgliedstaaten, wenn die dort genannten Voraussetzungen vorliegen, den Asylbewerber und den anderen Familienangehörigen „im Regelfall … nicht … trennen“. Der Anwendung dieser Vorschrift im Fall der Kläger steht nicht entgegen, dass sowohl die Mutter der Klägerin 1 als auch deren Bruder keine „Familienangehörigen“ im Sinne des Art. 2 Buchst. i) Dublin II-VO sind, da beide unter den in Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO verwendeten Begriff „anderer Familienangehöriger“ fallen, der in Anbetracht der humanitären Zielsetzung der Regelung sowie im Hinblick auf die verschiedenen und zum Teil voneinander abweichenden Sprachfassungen dieser Vorschrift dahin zu verstehen ist, dass er außer den „Familienangehörigen“ im Sinne des Art. 2 Buchst. i) Dublin II-VO auch andere Familienmitglieder umfasst (EuGH, Urt. v. 6.11.2012, a.a.O.; im Ergebnis ebenso OVG Niedersachsen, Urt. v. 4.7.2012 - 2 LB 163/10 - Juris; Hailbronner, Ausländerrecht, § 27a AsylVfG, Rn. 68 f; Funke-Kaiser in: GK-AsylVfG, § 27a Rn. 158, 165 ff; Marx, AsylVfG, 7. Aufl., § 27a Rn. 55). Der Umstand, dass die Mutter und der Bruder der Klägerin 1 bereits seit 2000 bzw. 2001 in Deutschland leben, während die Klägerin 1 und ihre Kinder ihr Heimatland erst 2009 verlassen haben, ist ebenfalls unschädlich, da Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO nur verlangt, dass die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat.
30 
Der Senat vermag jedoch nicht zu erkennen, dass die Klägerin 1 wegen ihrer psychischen Erkrankung auf die Unterstützung ihrer in Deutschland lebenden Verwandten im Sinne dieser Vorschrift „angewiesen“ ist. Dass eine solche Unterstützung nützlich oder förderlich ist, reicht dafür nicht aus. In dem bei den Akten des Bundesamts befindlichen Entlassungsbericht des Psychiatrischen Zentrums Nordbaden vom 19.6.2009 wird der Klägerin 1 eine Posttraumatischen Belastungsstörung sowie eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome bescheinigt. Der Facharzt für Psychiatrie K... spricht in seinem Bericht vom 9.9.2009 von einer schweren depressiven Störung mit Angstzuständen bei posttraumatischer Belastungsstörung, wegen der die Klägerin dringend einer intensiven und regelmäßigen psychiatrischen Behandlung mit Psychopharmaka bedürfe. In dem von der Klägerin 1 während des erstinstanzlichen Verfahrens vorgelegten Schreiben einer polnischen Psychologin vom 29.1.2010 heißt es, die Klägerin 1 leide an einem depressiven Syndrom mit Konversionskomponente. Wegen ihrer Lebenssituation (alleinerziehende Mutter mit vier Kindern) und ihres Gesundheitszustands benötige sie die Hilfe ihrer Mutter. Der Nachweis, dass die Klägerin 1 (gerade) wegen ihrer Erkrankung auf diese Hilfe im Sinne des Art. 15 Abs. 2 Dublin-II-VO „angewiesen“ ist, ist damit nicht geführt.
31 
c) Das sich aus Art. 15 Abs. 1 sowie Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO ergebende Recht der Bundesrepublik Deutschland, die bei ihr eingereichten Asylanträge der Kläger aus humanitären Gründen zu prüfen, bleibt von dem Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 2 Dublin II-VO unberührt. Rechte der Kläger werden jedoch von diesen Vorschriften nicht begründet. Die Kläger können sich daher nicht darauf berufen, die Beklagte habe das ihr im Rahmen dieser Vorschriften zustehende Ermessen nicht oder fehlerhaft ausgeübt.
32 
aa) Art. 15 Abs. 1 sowie Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO sollen die „Prärogativen“ der Mitgliedstaaten wahren, das Recht auf Asylgewährung unabhängig von dem Mitgliedstaat auszuüben, der nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien für die Prüfung eines Antrags zuständig ist. Da es sich dabei um fakultative Bestimmungen handelt, räumen sie den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen ein (EuGH, Urt. v. 6.11.2012, a.a.O.; Urt. v. 10.12.2013 - C-394/12 - NVwZ 2014, 208). In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob aus diesen Vorschriften ein subjektives Recht des Asylbewerbers auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts oder wenigstens ein Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung abgeleitet werden kann (dafür: VG Gießen, Urt. v. 25.4.2008 - 2 L 201/08 - InfAuslR 2008, 327; Funke-Kaiser, a.a.O., § 27a AsylVfG Rn. 123 ff./134; Marx, a.a.O., § 27a AsylVfG Rn. 13; a. M. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 6.8.2013 - 12 S 675/13 - Juris; VG Berlin, Beschl. v. 7.10.2013 - 33 L 403.13 A - Juris; Hailbronner, a.a.O., § 27a AsylVfG Rn. 62). Durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 10.12.2013 - C-394/12 - (a.a.O.) ist diese Frage nunmehr in dem Sinne geklärt, dass ein Asylbewerber grundsätzlich keinen Anspruch gegen einen Mitgliedstaat der Europäischen Union hat, dass dieser von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch macht. Nach dem Urteil hat das jedenfalls für den hier gegebenen Fall zu gelten, dass ein Mitgliedstaat der Aufnahme des Asylbewerbers nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 Dublin II -VO niedergelegten Kriteriums zugestimmt hat.
33 
Zur Begründung weist der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil zunächst darauf hin, dass die für Asylanträge geltenden Regelungen in weitem Umfang auf Unionsebene harmonisiert worden seien, so insbesondere jüngst durch die Richtlinien 2011/95 und 2013/32. Der von einem Asylbewerber gestellte Antrag werde daher weitgehend nach den gleichen Regelungen geprüft, welcher Mitgliedstaat auch immer für seine Prüfung nach der Dublin II-Verordnung zuständig sei. Zu den Regelungen in Art. 3 Abs. 2 und Art. 15 Abs. 1 Dublin II-VO heißt es weiter, dass diese Vorschriften den Mitgliedstaaten aus den bereits genannten Gründen ein weites Ermessen einräumten. Im dem Urteil wird ferner betont, aus den Erwägungsgründen 3 und 4 der Dublin II-Verordnung gehe hervor, dass die Schaffung einer klaren und praktikablen Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats einer der Hauptzwecke der Verordnung sei, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden. Der Gerichtshof der Europäischen Union schließt hieraus, dass in einem Fall, in dem ein anderer Mitgliedstaat als der Mitgliedstaat der ersten Einreise der Aufnahme des Asylbewerbers nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO zugestimmt habe, der Asylbewerber der Heranziehung dieses Kriteriums (d.h. das Kriterium der ersten Einreise) nur damit entgegentreten könne, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend mache, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellten, dass er tatsächlich Gefahr laufe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Europäischen Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden. Dem schließt sich der Senat an.
34 
bb) Die Kläger könnten danach gegen den angefochtenen Bescheid nur einwenden, dass es in Polen systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber mit der im Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union genannten Folge für ihre eigene Person gebe. Ein solcher Einwand wird von den Kläger jedoch nicht erhoben. Die Frage, ob es in Polen systemische Mängel in dem genannten Sinn gibt, wird im Übrigen, soweit ersichtlich, allgemein verneint (vgl. u. a. VG Kassel, Beschl. v. 26.8.2013 - 9 L 984/13.KS.A - Juris; VG Schleswig, Beschl. v. 27.8.2013 - 1 B 43/13 - Juris; VG Lüneburg, Urt. v. 10.10.2013 - 2 B 47.13 - Juris; VG Düsseldorf, Urt. v. 19.11.2013 - 25 L 2154/13.A - Juris).
35 
4. Offen bleiben kann, ob ein Asylbewerber seiner Überstellung in den für die Prüfung seines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat weitere die Verhältnisse in diesem Staat betreffende Gründe entgegen halten kann.
36 
So stellt sich die Frage, ob auch das Drohen einer Verletzung von Art. 3 der Europäischen Grundrechtscharta im Einzelfall eine Ausnahme von der innereuropäischen Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht, zu begründen vermag. Diese Frage braucht jedoch im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht entschieden zu werden, da den Klägern keine Verletzung ihres durch diese Vorschrift gewährleisteten Rechts auf körperliche und geistige Unversehrtheit droht. Anhaltspunkte dafür, dass die psychische Erkrankung der Klägerin 1 in Polen nicht behandelt werden kann, sind nicht zu erkennen. Dies wird auch von den Klägern nicht behauptet.
37 
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO und § 83b AsylVfG.
38 
Die in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulas

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(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende di

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Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht Beschluss, 27. Aug. 2013 - 1 B 43/13

bei uns veröffentlicht am 27.08.2013

Tenor Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 14.06.2013 wird bis zum 17.10.2013 angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens werden der Antragsgegnerin zu 1/10 und d
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Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 23. März 2015 - Au 4 K 14.50156

bei uns veröffentlicht am 23.03.2015

Tenor I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 27. Mai 2014 (Gesch-Z.: ...) wird in Ziffer 2 aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. II. Die Parteien tragen die Kosten des Verfahrens je zur H

Verwaltungsgericht Ansbach Beschluss, 19. Juni 2015 - AN 14 S 15.50134

bei uns veröffentlicht am 19.06.2015

Tenor 1. Der Antrag wird abgelehnt. 2. Die Kosten des gerichtsfreien Verfahrens trägt der Antragsteller. Gründe I. Der Antragsteller, geboren am ..., ist ukrainischer Staatsangehöriger. Er reiste am 15. Aug

Verwaltungsgericht Ansbach Urteil, 16. Jan. 2015 - AN 14 K 14.50166

bei uns veröffentlicht am 16.01.2015

Tenor 1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. Oktober 2014 wird aufgehoben. 2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben. 3. Die Entscheidung ist hinsichtlich d

Verwaltungsgericht Augsburg Gerichtsbescheid, 25. Aug. 2015 - Au 4 K 14.50176

bei uns veröffentlicht am 25.08.2015

Gründe Bayerisches Verwaltungsgericht Augsburg Au 4 K 14.50176 Im Namen des Volkes Gerichtsbescheid vom 25. August 2015 4. Kammer Sachgebiets-Nr. 710 Hauptpunkte: - Asyl (Herkunftsland: Sierra Leon

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(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 14.06.2013 wird bis zum 17.10.2013 angeordnet.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens werden der Antragsgegnerin zu 1/10 und den Antragstellern zu 9/10 auferlegt.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

1

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der am 14.08.2013 zum Az. 1 A 172/13 erhobenen Klage hat wegen eines befristet vorliegenden, von der Antragsgegnerin zu prüfenden und zu berücksichtigenden inländischen Vollstreckungshindernisses in dem sich aus dem Beschlusstenor ergebenden Umfang Erfolg. Eine Rücküberstellung der Antragsteller nach Polen kann wegen der nach ärztlicher Bescheinigung am 19.09.2013 bevorstehenden Niederkunft der Antragstellerin zu 2) bis zu einem Zeitpunkt von 4 Wochen nach der Entbindung nicht vollzogen werden.

2

Im Übrigen ist der Antrag unzulässig.

3

Der Zulässigkeit des Antrages auf vorläufigen Rechtsschutz im Übrigen steht die Vorschrift des § 34 a Abs. 2 AsylVfG entgegen. Nach dieser Vorschrift darf die Abschiebung nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden, wenn der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26 a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27 a AsylVfG) abgeschoben werden soll und das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat anordnet.

4

Eine unmittelbare Anwendbarkeit der am 19.07.2013 in Kraft getretenen VO (EU) Nr.604/2013 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26.Juni 2013 („Dublin-III-VO“) auf den vorliegend in Rede stehenden Schutzantrag erfolgt gemäß Art. 49 UA 2 der Dublin-III-VO nicht, da die VO (EU) 604/2013 danach erst auf Anträge auf internationalen Schutz anwendbar ist, die ab dem 1.Tag des 6.Monats nach ihrem Inkrafttreten gestellt werden.

5

Die Vorschrift des § 34 a Abs. 2 AsylVfG ist im Hinblick auf die Ausdehnung ihres Anwendungsbereiches auf die Fälle des § 27 a AsylVfG durch Art. 3 des Gesetzes zur Umsetzung Aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. Januar 2007 (BGBl. I S. 1970), die auf den unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 19 Abs. 2 Satz 4 der weiterhin zum jetzigen Zeitpunkt für diesen gestellten Schutzantrag anwendbaren (Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin II-VO) beruht, in den Fällen bundesverfassungskonform einschränkend auszulegen, wenn in dem als Zielstaat der Abschiebung vorgesehenen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union die flüchtlingsrechtlichen Gewährleistungen und die Verfahrenspraxis nicht an die zu fordernden und bei Schaffung der Regelungen vorausgesetzten unions- bzw. völkerrechtlichen wesentlichen Standards heranreichen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08. September 2009 - 2 BvQ 56/09 - NVwZ 2009, 1281; VG Köln, Beschluss vom 10. Januar 2011 - 20 L 1920/10.A - VG Minden, Beschluss vom 07. Dezember 2010 - 3 L 625/10.A; VG Düsseldorf, Beschluss vom 07. Januar 2011 - 21 L 2285/10.A -).

6

Gemessen an diesen Maßstäben erweist sich der einstweilige Rechtsschutzantrag - soweit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung bis zur Rechtskraft des Klagverfahrens begehrt wird, als unzulässig; vorliegend unterliegt die Rücküberstellung der Antragsteller nach Polen als dem nach § 27 a AsylVfG zuständigem Staat grundsätzlich keinen rechtlichen Bedenken im oben dargestellten Sinn. Eine verfassungskonforme Reduktion des Anwendungsbereichs des § 34 a Abs. 2 AsylVfG ist vorliegend nicht geboten.

7

Die Zuständigkeit Polens ergibt sich aus Art. 13 i.V.m. Art. 16 Abs.1 c) der Dublin-II-VO. Ausweislich des Akteninhalts haben die Antragsteller in Polen ein Schutzgesuch angebracht und sind im Eurodac-System entsprechend gespeichert worden. Polen hat sich mit Nachricht vom 31.05.2013 zur Übernahme nach dem Dublin-Regime (Art. 16 Abs. 1 Buchstabe c) Dublin-II-VO) bereiterklärt. Die Eurodac-Treffer-Nummer beginnt mit der Ziffer 1. Nach der Art. 2 Abs. 3 der Verordnung Nr. 407/2002 EG zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen über die Einrichtung von Eurodac werden die Daten von Asylbewerbern mit der Ziffer 1 gekennzeichnet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Definition des Asylbewerbers an der Definition des „Antrages auf internationalen Schutz“ in Art. 2 lit. g) der Richtlinie 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) auszurichten ist, wonach das Ersuchen eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen um Schutz durch einen Mitgliedstaat, einen solchen Antrag darstellt, wenn davon ausgegangen werden kann, dass der Antragsteller die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Gewährung des subsidiären Schutzstatus anstrebt, und wenn er nicht ausdrücklich um eine andere, gesondert zu beantragende Form des Schutzes außerhalb des Anwendungsbereiches der Richtlinie ersucht. Danach ist nach Aktenlage von einem entsprechenden Schutzgesuch der Antragsteller in Polen auszugehen.

8

§ 34 a Abs. 2 AsylVfG liegt die Annahme zugrunde, dass die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention in allen Mitgliedstaaten der EU sichergestellt ist. Eine Durchbrechung des Ausschlusses vorläufigen Rechtsschutzes kommt nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass ein Asylbewerber von einem Sonderfall betroffen ist, der von dem „Konzept der normativen Vergewisserung“ bzw. dem „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“ nicht erfasst wird. Von einem solchen Ausnahmefall kann nur dann ausgegangen werden, wenn es ernstzunehmende, durch Tatsachen gestützte Gründe dafür gibt, dass in dem Mitgliedstaat, in den abgeschoben werden soll, in verfahrensrechtlicher oder materieller Hinsicht nach aktuellen Erkenntnissen kein hinreichender Schutz gewährt wird. Dies ist dann der Fall, wenn sich der Mitgliedstaat von den nach dem erwähnten Konzept als generell eingehalten vermuteten Verpflichtungen gelöst hat, d.h. die allgemein europaweit vereinbarten Mindeststandards aufgrund von innerstaatlichen systemischen Mängeln des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen nicht mehr gewährleistet bzw. gewährleisten kann. Hierzu ist erforderlich, dass das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber systemische, dem ersuchenden Mitgliedstaat nicht unbekannte Mängel aufweisen, die für den Asylbewerber die tatsächliche Gefahr begründen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung in dem ersuchten Mitgliedstaat ausgesetzt zu sein.

9

Ein solcher Ausnahmefall ist zu dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung hinsichtlich der Verhältnisse in Polen nicht erkennbar. Systemische Mängel im Asylverfahren in Polen lassen sich den vorliegenden Erkenntnisquellen nicht entnehmen. Berichte des UNHCR, von amnesty international oder anderen Menschenrechtsorganisationen über unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen von Flüchtlingen in Polen liegen nicht vor.

10

Das Gericht legt seiner Bewertung dabei folgende Auskunftslage zugrunde:

11

- UNHCR, Where is my home, Homelessness and Access to Housing among Asylum-seekers, refugees and Persons with International Protection, 2013

12

http://www.unhcr-centraleurope.org/pdf/where-we-work/poland/where-is-my-home- poland.html

13

- Helsinki Foundation for Human Rights u. a., Migration Is Not a Crime, Report on the Monitoring of Guarded Centres for Foreigners, 2013

14

http://interwencjaprawna.pl/wp-content/uploads/migration-is-not-a-crime.pdf

15

- USA, State Departement, Poland Human Rights Report, 2012

16

http://www.state.gov/documents/organization/204536.pdf

17

- Gesellschaft für bedrohte Völker, Die Situation tschetschenischer Flüchtlinge in Polen, Januar 2011 http://www.gfbv.de/show_file.php?type=inhaltsDok&property=download&id=2158

18

- Der Schlepper, Flüchtlinge im Verschiebebahnhof EU, Sonderheft April 2008,

19

http://www.frsh.de/fileadmin/schlepper/schl_dubII/schl_dublin_online.pdf

20

- Amnesty International, Jahresbericht Polen 2013

21

http://www.amnesty.de/jahresbericht/2013/polen

22

- Evangelische Landeskirche Baden, Berichte zur 14. Europäischen Asylrechtstagung in Warschau:

23

- Department for Refugee Procedures, Office for Foreigners, POLISH ASYLUM PROCEDURE

24

http://www.ekiba.de/download/Polish_Asylum_Procedure.pdf

25

- Jacek Chlebny, judge of the Supreme Administrative Court, Judicial protection of asylum seekers in Poland

26

http://www.ekiba.de/download/Asylsystem-II-Administrative-Court-MrChlebny.pdf

27

Aus den vorstehenden Auskünften ergibt sich zusammengefasst Folgendes:

28

In Polen wird durch den „act of 13th of june 2003 on granting protection to foreigners“ das Recht, die Bedingungen und das Verfahren auf Erlangung von Asyl und Flüchtlingsschutz geregelt und gewährleistet. Die gesetzlichen Regelungen garantieren den Zugang, die Durchführung und den Rechtsschutz für Flüchtlinge. Neben dem Flüchtlingsstatus und Asyl besteht die Möglichkeit der Erlangung subsidiären Schutzes sowie eines geduldeten Aufenthalts (tolerated stay). Neben dem Standardverfahren, welches eine Verfahrensdauer von 6 Monaten und eine Rechtsmittelmöglichkeit gegen die Entscheidung innerhalb von 14 Tagen vorsieht, gibt es eine „fast procedure“ bei offensichtlich unbegründeten Anträgen, bei der eine Verfahrensdauer von 30 Tagen vorgesehen ist und bei der gegen ablehnende Entscheidungen 5 Tage für Rechtsmittel vorgesehen sind. Des Weiteren ist ein spezielles Verfahren für Gewaltopfer, unbegleitete Minderjährige und behinderte Personen vorgesehen. Gerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Entscheidungen des „refugee board“ bestehen bei einem der 14 bezirklichen Verwaltungsgerichte (voivodship administrative court) und gegen dessen Entscheidung beim Obersten Verwaltungsgericht in Warschau (supreme administrative court) (vgl. zum Vorstehenden: Department for Refugee Procedures, Office for Foreigners, Polish Asylum Procedure).

29

Anhaltspunkte für systemische Mängel in der rechtlichen Ausgestaltung des Asyl-und Flüchtlingsschutzverfahrens lassen sich weder Stellungnahmen des UNHCR noch Berichten von amnesty international entnehmen, die sich mit der diesbezüglichen Situation in Polen beschäftigen (ai Report 2013, Polen; UNHCR, where is my home.

30

Während des Antragsverfahrens werden Schutzsuchende in einem der vom „Office for foreigners“ betriebenen 11 offenen Aufnahmezentren oder außerhalb eines Zentrums untergebracht. Der Belegungsgrad der Aufnahmezentren beträgt derzeit 97% (Departement for refugees, aaO). Daneben gibt es 5 sogenannte Gewahrsamszentren und 14 Abschiebeinrichtungen. Die Unterbringung dort betrifft abgelehnte Asylbewerber/Schutzsuchende sowie illegal Einreisende und erfolgt auf Grund eines richterlichen Beschlusses (US State Departement, Poland 2012, Human Rights Report, section 1.d)

31

Unbegleiteten Minderjährigen, die nach Polen einreisen, wird staatliche Unterstützung dabei gewährt, Familienangehörige in anderen Mitgliedsstaaten ausfindig zu machen. Im Oktober 2012 erklärte Polen seine Absicht, die Inhaftierung unbegleiteter Minderjähriger unter 13 Jahren zu verbieten (ai, Jahresbericht).

32

Hinsichtlich der Unterbringungssituation führt der Bericht „Migration is not a crime“ aus, dass die Zentren offiziell für die Unterbringung von Ausländern umgebaut, zum Teil umfänglich renoviert wurden und sich in einem guten Zustand befinden. Soweit etwa durch die Bewohner Beschwerden über das Essen erhoben wurden, war beabsichtigt, die Catering-Firma im Dezember 2012 durch eine andere zu ersetzen.

33

Die Informationen über die Möglichkeit, medizinische und psychologische Betreuung zu erhalten, werden nach dem Bericht den Ausländern in den Regeln über ihren Verbleib sowohl schriftlich als auch mündlich mitgeteilt. In den Unterkünften besteht das Recht, Besuche zu empfangen und Ausländer können dort mit Nicht-Regierungsorganisationen in Kontakt treten. Ausländer erhalten in allen Zentren medizinische Hilfe, wobei der Zugang in den Zentren unterschiedlich gewährleistet ist. Die dort erwähnten sprachlichen Barrieren sind indes auch in der Bundesrepublik Deutschland an der Tagesordnung.

34

Der Bericht führt weiter aus, dass Opfer von Übergriffen innerhalb der Gemeinschaftsunterkünfte sich an die Polizei wenden können und berichtet auch von einem exemplarischen Fall, in dem die Polizei von einem Opfer von Gewalt eine Strafanzeige aufgenommen hat.

35

Soweit sich einem Bericht des UNHCR vom 10.06.2013 zufolge in Polen 10 % der Personen, die einen internationalen Schutzstatus erhalten haben, in einer Situation „extremer Obdachlosigkeit“ befänden, betrifft dies nicht das Asylverfahren selbst, sondern die Verhältnisse nach dessen Abschluss. Abgesehen davon verstößt es nicht gegen Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union oder Art. 3 EMRK, wenn anerkannte Flüchtlinge sich ebenso wie polnische Staatsangehörige selbst um eine Unterkunft kümmern müssen (VG Saarland, Beschluss vom 24.06.2013, 6 L 839/13, juris).

36

Diese Erkenntnisgrundlagen lassen für das Gericht keine systemischen Mängel in Asylverfahren in Polen erkennen. Im Einzelfall bestehende Mängel (etwa in einer für verbesserungsfähig erachteten ärztlich Betreuung) führen nicht bereits zu einer Situation der Behandlung von Flüchtlingen in Polen, die Anlass geben könnte, von systemischen Mängeln im polnischen Asylverfahren zu sprechen.

37

(wie hier: VG Schleswig, Beschluss vom 29.07.2013, 7 B 35/13; VG Saarlouis, Beschluss vom 24.06.2013, 6 L 839/13; VG Potsdam, Urteil vom 04.06.2013, VG 6 K 732/13.A - juris-; VG Ansbach, Beschluss vom 20.03.2012, AN 10 E 11.30140 - juris -; VG Saarland, Beschluss vom 24.06.2013, 6 L 839/13 - juris -; VG Weimar, Beschluss vom 12.06.2013, 7 E 20129/13; a.A. VG Karlsruhe, Beschluss vom 09.07.2013, A 1 K 1566/13; VG Meiningen, Beschluss vom 26.04.2013, 8 E 20075/13 Me.).

38

Von der Antragsgegnerin auch im Rahmen einer Entscheidung über den Asylantrag nach §§ 27a, 34a AsylVfG zu prüfende inländische Vollstreckungshindernisse wie etwa eine aktuelle Reiseunfähigkeit, die einer Abschiebung in den Drittstaat entgegenstünden, sind nur für den im Beschlusstenor genannten Zeitraum dargelegt und zu berücksichtigen.

39

Ein tatsächliches oder rechtliches inlandsbezogenes Abschiebungshindernis gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG - das hier allein in Betracht kommt - ist vor dem Hintergrund des grundrechtlichen Schutzes von Leben und körperlicher Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) dann anzunehmen, wenn die Gesundheit eines abzuschiebenden Ausländers so angegriffen ist, dass das ernsthafte Risiko besteht, dass sein Gesundheitszustand unmittelbar durch den Abschiebungsvorgang wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert wird, sofern nicht einzelfallbezogen effektive Schutzmaßnahmen durch die Ausländerbehörde ergriffen werden.

40

Ausweislich der ärztlichen Bescheinigung ist die Antragstellerin zu 2) schwanger, der voraussichtliche Entbindungstermin ist am 19.09.2013. Eine Rücküberstellung nach Polen, auch wenn sie auf dem Landweg erfolgt, ist jedenfalls bis zu einem Zeitpunkt von 4 Wochen nach der Geburt des Kindes zum Schutz der Gesundheit der Antragstellerin zu 2) und des Neugeborenen nicht zu vollziehen. Eine weitere Einschränkung der Reisefähigkeit ist indes nicht erkennbar. Medizinische, ggf. durch amtsärztliches Attest nachzuweisende Tatsachen, die den rechtlichen Begriff der Reiseunfähigkeit im Sinne eines weitergehenden inländischen Vollstreckungshindernisses zu begründen vermögen, liegen nicht vor.

41

Das Vorbringen im Hinblick auf den Antragsteller zu 1), er befinde sich wegen einer Rückenerkrankung in ärztlicher Behandlung, die hier in Deutschland fortgeführt werden müsse, vermag ebenfalls die Annahme einer aktuellen Reiseunfähigkeit als inländisches Vollstreckungshindernis nicht zu begründen. Ein in Bezug auf Polen als dem Zielstaat der Abschiebung begründetes Abschiebeverbot wegen etwaiger vollständig fehlender medizinischer Versorgung liegt ebenfalls nicht vor; die medizinische Versorgung ist - wie oben dargelegt - während des Asylverfahrens in Polen in ausreichendem Maße gewährleistet. Auf die Verhältnisse im Heimatland des Antragstellers - auf die in der ärztlichen Bescheinigung verwiesen wird - kommt es insoweit nicht an.

42

Auf das Vorliegen hiesiger nationaler Abschiebeverbote nach § 60 Abs.7 S.1 AufenthG können sich die Antragsteller nämlich nicht berufen.

43

Selbst wenn das Unionsrecht auch den zuständigen Mitgliedstaat für Ersuchen um subsidiären Schutz umfasst, wie dies in der „Dublin III“ – Verordnung vorgesehen ist, kann sich eine unionsrechtliche Zuständigkeitsregelung nur auf den unionsrechtlich geregelten subsidiären Schutz beziehen und nicht auf jenen, der aufgrund nationalen Rechts gewährt wird (VG Frankfurt, Urteil vom 12.1.2.2012, 1 K 2973/12.F.A, juris).

44

Indes ergeht eine Entscheidung über zielstaatsbezogene Abschiebeverbote nach § 60 Abs.2-7 AufenthG durch die Antragsgegnerin gemäß § 31 Abs.1,3 AsylVfG nur im Rahmen beachtlicher oder unbeachtlicher, nicht jedoch - wie hier gegeben -unzulässiger Asylanträge.

45

Die isolierte Berufung auf zielstaatsbezogene nationale Abschiebeverbote scheidet damit in den Fällen aus, in denen die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedsstaates für die Durchführung des Asylverfahrens nach der Dublin-II Verordnung feststeht und dieser - wie hier in Bezug auf Polen festzustellen - ein den europäischen Rechtsakten entsprechendes Flüchtlingsschutzverfahren und den Zugang hierzu gewährleistet.

46

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO.

47

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war ebenfalls abzulehnen, weil es dem Rechtsschutzbegehren der Antragsteller aus den ausgeführten Gründen hinsichtlich des weitergehenden Begehrens der Anordnung der aufschiebenden Wirkung bis zur Rechtskraft der Entscheidung im Klagverfahren an der erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussicht fehlt (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

48

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 14.06.2013 wird bis zum 17.10.2013 angeordnet.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens werden der Antragsgegnerin zu 1/10 und den Antragstellern zu 9/10 auferlegt.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

1

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der am 14.08.2013 zum Az. 1 A 172/13 erhobenen Klage hat wegen eines befristet vorliegenden, von der Antragsgegnerin zu prüfenden und zu berücksichtigenden inländischen Vollstreckungshindernisses in dem sich aus dem Beschlusstenor ergebenden Umfang Erfolg. Eine Rücküberstellung der Antragsteller nach Polen kann wegen der nach ärztlicher Bescheinigung am 19.09.2013 bevorstehenden Niederkunft der Antragstellerin zu 2) bis zu einem Zeitpunkt von 4 Wochen nach der Entbindung nicht vollzogen werden.

2

Im Übrigen ist der Antrag unzulässig.

3

Der Zulässigkeit des Antrages auf vorläufigen Rechtsschutz im Übrigen steht die Vorschrift des § 34 a Abs. 2 AsylVfG entgegen. Nach dieser Vorschrift darf die Abschiebung nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden, wenn der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26 a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27 a AsylVfG) abgeschoben werden soll und das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat anordnet.

4

Eine unmittelbare Anwendbarkeit der am 19.07.2013 in Kraft getretenen VO (EU) Nr.604/2013 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26.Juni 2013 („Dublin-III-VO“) auf den vorliegend in Rede stehenden Schutzantrag erfolgt gemäß Art. 49 UA 2 der Dublin-III-VO nicht, da die VO (EU) 604/2013 danach erst auf Anträge auf internationalen Schutz anwendbar ist, die ab dem 1.Tag des 6.Monats nach ihrem Inkrafttreten gestellt werden.

5

Die Vorschrift des § 34 a Abs. 2 AsylVfG ist im Hinblick auf die Ausdehnung ihres Anwendungsbereiches auf die Fälle des § 27 a AsylVfG durch Art. 3 des Gesetzes zur Umsetzung Aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. Januar 2007 (BGBl. I S. 1970), die auf den unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 19 Abs. 2 Satz 4 der weiterhin zum jetzigen Zeitpunkt für diesen gestellten Schutzantrag anwendbaren (Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin II-VO) beruht, in den Fällen bundesverfassungskonform einschränkend auszulegen, wenn in dem als Zielstaat der Abschiebung vorgesehenen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union die flüchtlingsrechtlichen Gewährleistungen und die Verfahrenspraxis nicht an die zu fordernden und bei Schaffung der Regelungen vorausgesetzten unions- bzw. völkerrechtlichen wesentlichen Standards heranreichen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08. September 2009 - 2 BvQ 56/09 - NVwZ 2009, 1281; VG Köln, Beschluss vom 10. Januar 2011 - 20 L 1920/10.A - VG Minden, Beschluss vom 07. Dezember 2010 - 3 L 625/10.A; VG Düsseldorf, Beschluss vom 07. Januar 2011 - 21 L 2285/10.A -).

6

Gemessen an diesen Maßstäben erweist sich der einstweilige Rechtsschutzantrag - soweit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung bis zur Rechtskraft des Klagverfahrens begehrt wird, als unzulässig; vorliegend unterliegt die Rücküberstellung der Antragsteller nach Polen als dem nach § 27 a AsylVfG zuständigem Staat grundsätzlich keinen rechtlichen Bedenken im oben dargestellten Sinn. Eine verfassungskonforme Reduktion des Anwendungsbereichs des § 34 a Abs. 2 AsylVfG ist vorliegend nicht geboten.

7

Die Zuständigkeit Polens ergibt sich aus Art. 13 i.V.m. Art. 16 Abs.1 c) der Dublin-II-VO. Ausweislich des Akteninhalts haben die Antragsteller in Polen ein Schutzgesuch angebracht und sind im Eurodac-System entsprechend gespeichert worden. Polen hat sich mit Nachricht vom 31.05.2013 zur Übernahme nach dem Dublin-Regime (Art. 16 Abs. 1 Buchstabe c) Dublin-II-VO) bereiterklärt. Die Eurodac-Treffer-Nummer beginnt mit der Ziffer 1. Nach der Art. 2 Abs. 3 der Verordnung Nr. 407/2002 EG zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen über die Einrichtung von Eurodac werden die Daten von Asylbewerbern mit der Ziffer 1 gekennzeichnet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Definition des Asylbewerbers an der Definition des „Antrages auf internationalen Schutz“ in Art. 2 lit. g) der Richtlinie 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) auszurichten ist, wonach das Ersuchen eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen um Schutz durch einen Mitgliedstaat, einen solchen Antrag darstellt, wenn davon ausgegangen werden kann, dass der Antragsteller die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Gewährung des subsidiären Schutzstatus anstrebt, und wenn er nicht ausdrücklich um eine andere, gesondert zu beantragende Form des Schutzes außerhalb des Anwendungsbereiches der Richtlinie ersucht. Danach ist nach Aktenlage von einem entsprechenden Schutzgesuch der Antragsteller in Polen auszugehen.

8

§ 34 a Abs. 2 AsylVfG liegt die Annahme zugrunde, dass die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention in allen Mitgliedstaaten der EU sichergestellt ist. Eine Durchbrechung des Ausschlusses vorläufigen Rechtsschutzes kommt nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass ein Asylbewerber von einem Sonderfall betroffen ist, der von dem „Konzept der normativen Vergewisserung“ bzw. dem „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“ nicht erfasst wird. Von einem solchen Ausnahmefall kann nur dann ausgegangen werden, wenn es ernstzunehmende, durch Tatsachen gestützte Gründe dafür gibt, dass in dem Mitgliedstaat, in den abgeschoben werden soll, in verfahrensrechtlicher oder materieller Hinsicht nach aktuellen Erkenntnissen kein hinreichender Schutz gewährt wird. Dies ist dann der Fall, wenn sich der Mitgliedstaat von den nach dem erwähnten Konzept als generell eingehalten vermuteten Verpflichtungen gelöst hat, d.h. die allgemein europaweit vereinbarten Mindeststandards aufgrund von innerstaatlichen systemischen Mängeln des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen nicht mehr gewährleistet bzw. gewährleisten kann. Hierzu ist erforderlich, dass das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber systemische, dem ersuchenden Mitgliedstaat nicht unbekannte Mängel aufweisen, die für den Asylbewerber die tatsächliche Gefahr begründen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung in dem ersuchten Mitgliedstaat ausgesetzt zu sein.

9

Ein solcher Ausnahmefall ist zu dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung hinsichtlich der Verhältnisse in Polen nicht erkennbar. Systemische Mängel im Asylverfahren in Polen lassen sich den vorliegenden Erkenntnisquellen nicht entnehmen. Berichte des UNHCR, von amnesty international oder anderen Menschenrechtsorganisationen über unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen von Flüchtlingen in Polen liegen nicht vor.

10

Das Gericht legt seiner Bewertung dabei folgende Auskunftslage zugrunde:

11

- UNHCR, Where is my home, Homelessness and Access to Housing among Asylum-seekers, refugees and Persons with International Protection, 2013

12

http://www.unhcr-centraleurope.org/pdf/where-we-work/poland/where-is-my-home- poland.html

13

- Helsinki Foundation for Human Rights u. a., Migration Is Not a Crime, Report on the Monitoring of Guarded Centres for Foreigners, 2013

14

http://interwencjaprawna.pl/wp-content/uploads/migration-is-not-a-crime.pdf

15

- USA, State Departement, Poland Human Rights Report, 2012

16

http://www.state.gov/documents/organization/204536.pdf

17

- Gesellschaft für bedrohte Völker, Die Situation tschetschenischer Flüchtlinge in Polen, Januar 2011 http://www.gfbv.de/show_file.php?type=inhaltsDok&property=download&id=2158

18

- Der Schlepper, Flüchtlinge im Verschiebebahnhof EU, Sonderheft April 2008,

19

http://www.frsh.de/fileadmin/schlepper/schl_dubII/schl_dublin_online.pdf

20

- Amnesty International, Jahresbericht Polen 2013

21

http://www.amnesty.de/jahresbericht/2013/polen

22

- Evangelische Landeskirche Baden, Berichte zur 14. Europäischen Asylrechtstagung in Warschau:

23

- Department for Refugee Procedures, Office for Foreigners, POLISH ASYLUM PROCEDURE

24

http://www.ekiba.de/download/Polish_Asylum_Procedure.pdf

25

- Jacek Chlebny, judge of the Supreme Administrative Court, Judicial protection of asylum seekers in Poland

26

http://www.ekiba.de/download/Asylsystem-II-Administrative-Court-MrChlebny.pdf

27

Aus den vorstehenden Auskünften ergibt sich zusammengefasst Folgendes:

28

In Polen wird durch den „act of 13th of june 2003 on granting protection to foreigners“ das Recht, die Bedingungen und das Verfahren auf Erlangung von Asyl und Flüchtlingsschutz geregelt und gewährleistet. Die gesetzlichen Regelungen garantieren den Zugang, die Durchführung und den Rechtsschutz für Flüchtlinge. Neben dem Flüchtlingsstatus und Asyl besteht die Möglichkeit der Erlangung subsidiären Schutzes sowie eines geduldeten Aufenthalts (tolerated stay). Neben dem Standardverfahren, welches eine Verfahrensdauer von 6 Monaten und eine Rechtsmittelmöglichkeit gegen die Entscheidung innerhalb von 14 Tagen vorsieht, gibt es eine „fast procedure“ bei offensichtlich unbegründeten Anträgen, bei der eine Verfahrensdauer von 30 Tagen vorgesehen ist und bei der gegen ablehnende Entscheidungen 5 Tage für Rechtsmittel vorgesehen sind. Des Weiteren ist ein spezielles Verfahren für Gewaltopfer, unbegleitete Minderjährige und behinderte Personen vorgesehen. Gerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Entscheidungen des „refugee board“ bestehen bei einem der 14 bezirklichen Verwaltungsgerichte (voivodship administrative court) und gegen dessen Entscheidung beim Obersten Verwaltungsgericht in Warschau (supreme administrative court) (vgl. zum Vorstehenden: Department for Refugee Procedures, Office for Foreigners, Polish Asylum Procedure).

29

Anhaltspunkte für systemische Mängel in der rechtlichen Ausgestaltung des Asyl-und Flüchtlingsschutzverfahrens lassen sich weder Stellungnahmen des UNHCR noch Berichten von amnesty international entnehmen, die sich mit der diesbezüglichen Situation in Polen beschäftigen (ai Report 2013, Polen; UNHCR, where is my home.

30

Während des Antragsverfahrens werden Schutzsuchende in einem der vom „Office for foreigners“ betriebenen 11 offenen Aufnahmezentren oder außerhalb eines Zentrums untergebracht. Der Belegungsgrad der Aufnahmezentren beträgt derzeit 97% (Departement for refugees, aaO). Daneben gibt es 5 sogenannte Gewahrsamszentren und 14 Abschiebeinrichtungen. Die Unterbringung dort betrifft abgelehnte Asylbewerber/Schutzsuchende sowie illegal Einreisende und erfolgt auf Grund eines richterlichen Beschlusses (US State Departement, Poland 2012, Human Rights Report, section 1.d)

31

Unbegleiteten Minderjährigen, die nach Polen einreisen, wird staatliche Unterstützung dabei gewährt, Familienangehörige in anderen Mitgliedsstaaten ausfindig zu machen. Im Oktober 2012 erklärte Polen seine Absicht, die Inhaftierung unbegleiteter Minderjähriger unter 13 Jahren zu verbieten (ai, Jahresbericht).

32

Hinsichtlich der Unterbringungssituation führt der Bericht „Migration is not a crime“ aus, dass die Zentren offiziell für die Unterbringung von Ausländern umgebaut, zum Teil umfänglich renoviert wurden und sich in einem guten Zustand befinden. Soweit etwa durch die Bewohner Beschwerden über das Essen erhoben wurden, war beabsichtigt, die Catering-Firma im Dezember 2012 durch eine andere zu ersetzen.

33

Die Informationen über die Möglichkeit, medizinische und psychologische Betreuung zu erhalten, werden nach dem Bericht den Ausländern in den Regeln über ihren Verbleib sowohl schriftlich als auch mündlich mitgeteilt. In den Unterkünften besteht das Recht, Besuche zu empfangen und Ausländer können dort mit Nicht-Regierungsorganisationen in Kontakt treten. Ausländer erhalten in allen Zentren medizinische Hilfe, wobei der Zugang in den Zentren unterschiedlich gewährleistet ist. Die dort erwähnten sprachlichen Barrieren sind indes auch in der Bundesrepublik Deutschland an der Tagesordnung.

34

Der Bericht führt weiter aus, dass Opfer von Übergriffen innerhalb der Gemeinschaftsunterkünfte sich an die Polizei wenden können und berichtet auch von einem exemplarischen Fall, in dem die Polizei von einem Opfer von Gewalt eine Strafanzeige aufgenommen hat.

35

Soweit sich einem Bericht des UNHCR vom 10.06.2013 zufolge in Polen 10 % der Personen, die einen internationalen Schutzstatus erhalten haben, in einer Situation „extremer Obdachlosigkeit“ befänden, betrifft dies nicht das Asylverfahren selbst, sondern die Verhältnisse nach dessen Abschluss. Abgesehen davon verstößt es nicht gegen Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union oder Art. 3 EMRK, wenn anerkannte Flüchtlinge sich ebenso wie polnische Staatsangehörige selbst um eine Unterkunft kümmern müssen (VG Saarland, Beschluss vom 24.06.2013, 6 L 839/13, juris).

36

Diese Erkenntnisgrundlagen lassen für das Gericht keine systemischen Mängel in Asylverfahren in Polen erkennen. Im Einzelfall bestehende Mängel (etwa in einer für verbesserungsfähig erachteten ärztlich Betreuung) führen nicht bereits zu einer Situation der Behandlung von Flüchtlingen in Polen, die Anlass geben könnte, von systemischen Mängeln im polnischen Asylverfahren zu sprechen.

37

(wie hier: VG Schleswig, Beschluss vom 29.07.2013, 7 B 35/13; VG Saarlouis, Beschluss vom 24.06.2013, 6 L 839/13; VG Potsdam, Urteil vom 04.06.2013, VG 6 K 732/13.A - juris-; VG Ansbach, Beschluss vom 20.03.2012, AN 10 E 11.30140 - juris -; VG Saarland, Beschluss vom 24.06.2013, 6 L 839/13 - juris -; VG Weimar, Beschluss vom 12.06.2013, 7 E 20129/13; a.A. VG Karlsruhe, Beschluss vom 09.07.2013, A 1 K 1566/13; VG Meiningen, Beschluss vom 26.04.2013, 8 E 20075/13 Me.).

38

Von der Antragsgegnerin auch im Rahmen einer Entscheidung über den Asylantrag nach §§ 27a, 34a AsylVfG zu prüfende inländische Vollstreckungshindernisse wie etwa eine aktuelle Reiseunfähigkeit, die einer Abschiebung in den Drittstaat entgegenstünden, sind nur für den im Beschlusstenor genannten Zeitraum dargelegt und zu berücksichtigen.

39

Ein tatsächliches oder rechtliches inlandsbezogenes Abschiebungshindernis gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG - das hier allein in Betracht kommt - ist vor dem Hintergrund des grundrechtlichen Schutzes von Leben und körperlicher Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) dann anzunehmen, wenn die Gesundheit eines abzuschiebenden Ausländers so angegriffen ist, dass das ernsthafte Risiko besteht, dass sein Gesundheitszustand unmittelbar durch den Abschiebungsvorgang wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert wird, sofern nicht einzelfallbezogen effektive Schutzmaßnahmen durch die Ausländerbehörde ergriffen werden.

40

Ausweislich der ärztlichen Bescheinigung ist die Antragstellerin zu 2) schwanger, der voraussichtliche Entbindungstermin ist am 19.09.2013. Eine Rücküberstellung nach Polen, auch wenn sie auf dem Landweg erfolgt, ist jedenfalls bis zu einem Zeitpunkt von 4 Wochen nach der Geburt des Kindes zum Schutz der Gesundheit der Antragstellerin zu 2) und des Neugeborenen nicht zu vollziehen. Eine weitere Einschränkung der Reisefähigkeit ist indes nicht erkennbar. Medizinische, ggf. durch amtsärztliches Attest nachzuweisende Tatsachen, die den rechtlichen Begriff der Reiseunfähigkeit im Sinne eines weitergehenden inländischen Vollstreckungshindernisses zu begründen vermögen, liegen nicht vor.

41

Das Vorbringen im Hinblick auf den Antragsteller zu 1), er befinde sich wegen einer Rückenerkrankung in ärztlicher Behandlung, die hier in Deutschland fortgeführt werden müsse, vermag ebenfalls die Annahme einer aktuellen Reiseunfähigkeit als inländisches Vollstreckungshindernis nicht zu begründen. Ein in Bezug auf Polen als dem Zielstaat der Abschiebung begründetes Abschiebeverbot wegen etwaiger vollständig fehlender medizinischer Versorgung liegt ebenfalls nicht vor; die medizinische Versorgung ist - wie oben dargelegt - während des Asylverfahrens in Polen in ausreichendem Maße gewährleistet. Auf die Verhältnisse im Heimatland des Antragstellers - auf die in der ärztlichen Bescheinigung verwiesen wird - kommt es insoweit nicht an.

42

Auf das Vorliegen hiesiger nationaler Abschiebeverbote nach § 60 Abs.7 S.1 AufenthG können sich die Antragsteller nämlich nicht berufen.

43

Selbst wenn das Unionsrecht auch den zuständigen Mitgliedstaat für Ersuchen um subsidiären Schutz umfasst, wie dies in der „Dublin III“ – Verordnung vorgesehen ist, kann sich eine unionsrechtliche Zuständigkeitsregelung nur auf den unionsrechtlich geregelten subsidiären Schutz beziehen und nicht auf jenen, der aufgrund nationalen Rechts gewährt wird (VG Frankfurt, Urteil vom 12.1.2.2012, 1 K 2973/12.F.A, juris).

44

Indes ergeht eine Entscheidung über zielstaatsbezogene Abschiebeverbote nach § 60 Abs.2-7 AufenthG durch die Antragsgegnerin gemäß § 31 Abs.1,3 AsylVfG nur im Rahmen beachtlicher oder unbeachtlicher, nicht jedoch - wie hier gegeben -unzulässiger Asylanträge.

45

Die isolierte Berufung auf zielstaatsbezogene nationale Abschiebeverbote scheidet damit in den Fällen aus, in denen die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedsstaates für die Durchführung des Asylverfahrens nach der Dublin-II Verordnung feststeht und dieser - wie hier in Bezug auf Polen festzustellen - ein den europäischen Rechtsakten entsprechendes Flüchtlingsschutzverfahren und den Zugang hierzu gewährleistet.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO.

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Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war ebenfalls abzulehnen, weil es dem Rechtsschutzbegehren der Antragsteller aus den ausgeführten Gründen hinsichtlich des weitergehenden Begehrens der Anordnung der aufschiebenden Wirkung bis zur Rechtskraft der Entscheidung im Klagverfahren an der erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussicht fehlt (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

48

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.