Gericht

Verwaltungsgericht Augsburg

Tenor

I. Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass im Fall des Klägers die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft i.S.v. § 3 AsylG vorliegen. Der Bescheid des Bundesamts für ... vom 11. November 2016 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1. Der Kläger ist nach eigenen Angaben am ... 1982 geboren und pakistanischer Staatsangehöriger. Er stellte am 1. Oktober 2014 einen förmlichen Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland, nachdem er sich bereits am 16. September 2014 in ... als Asylsuchender gemeldet hatte.

Bei einer Erstbefragung durch die Regierung von ... am 26. September 2014 (Sprache: Urdu) gab der Kläger u.a. an, dass er verheiratet sei und zur Ahmadiyya gehöre. Er sei am ... 1982 im Dorf ... (Distrikt, Provinz ...) geboren. Dort habe er bis zur Ausreise mit seiner Familie gelebt. Der Vater sei am 28. Mai 2005 verstorben, die Mutter befinde sich in .... Seinen pakistanischen Personalausweis habe er am 1. September 2014 auf dem Weg von seinem Heimatdorf nach ... verloren. Er habe am 20. März 2008 in ... geheiratet (Ehefrau: „...“, geb, ...1988), am 17. Dezember 2013 sei ein Sohn geboren worden („...“). Die aktuell erneut schwangere Ehefrau und der Sohn befänden sich in .... In Pakistan habe er zehn Jahre die Schule besucht, danach sei er Landwirt auf eigenen Feldern (Reis, Weizen) gewesen. Er habe Pakistan dann von ... aus mit dem Flugzeug (Abflug: ...) verlassen und sei nach ... gereist (Ankunft: ...). Die für die Einreise verwandten Personaldokumente habe der Schleuser am Zielflughafen wieder an sich genommen. In Deutschland habe er einen Onkel, ein anderer Onkel wohne in ....

Im Rahmen einer Erstbefragung bei Bundesamt für ... (Bundesamt) am 1. Oktober 2014 (Sprache: Urdu) gab der Kläger u.a. an, dass er am ... 2008 in ... geheiratet habe; die Ehefrau („...“, geb. ... 1988) befinde sich aktuell zusammen mit dem Sohn („...“, geb. ... 2013) in .... Er habe Pakistan am 9. September 2014 verlassen und sei mit dem Flugzeug nach ... gereist (Zwischenlandung in ...).

Am 3. März 2015 wurde dem Bundesamt eine Mitgliedsbescheinigung der Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland KdöR vom 27. Februar 2015 vorgelegt. Hierin wurde bescheinigt, dass der Kläger seit Geburt Mitglied der Ahmadiyya Muslim Jamaat sei.

Am 6. September 2016 wurde der Kläger beim Bundesamt zu seinem Verfolgungsschicksal persönlich angehört (Sprache: Urdu). Hierbei gab der Kläger u.a. an, dass er zur Volksgruppe der Punjabi gehöre, er gehöre zur Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya. Sein pakistanischer Ausweis sei ihm vom Schleuser am Flughafen in ... abgenommen worden. Er habe in Pakistan zuletzt im Dorf ... (..., Provinz ...) gelebt. Sein Vater sei bereits verstorben, die Mutter lebe in ... (...; Distrikt ...). In Pakistan habe er zudem noch zwei Brüder, sechs Schwestern sowie die Ehefrau mit zwei Kindern. In England lebe ein Onkel, einer der Brüder lebe seit drei Jahren in .... In Pakistan habe er die Schule zehn Jahre besucht (mit Abschluss); danach habe er in der eigenen Landwirtschaft gearbeitet. Er habe Pakistan am 9. September 2014 verlassen. Er sei von ... mit dem Flugzeug nach ... gereist (Einreise: ...; Zwischenlandung in ...). Hintergrund der Ausreise aus Pakistan sei gewesen, dass er Mitglied der Ahmadiyya sei. In seinem Heimatdorf hätten Fundamentalisten oft Gottesdienste abgehalten, auf denen gegen Ahmadis gehetzt worden sei, dass sie keine Muslime, sondern Ungläubige seien. Die Fundamentalisten hätten gepredigt, dass Ahmadis getötet werden dürfen. Am 15. Juli 2014 habe es im Heimatdorf des Klägers eine Versammlung der Gruppe Khatm-e-Nabuwwat gegeben, wo erneut gegen Ahmadis gehetzt worden sei. Am 20. Juli 2014 sei der Kläger dann bei der Feldarbeit von fünf Männern geschlagen worden. Zwei Männer seien aus seinem Heimatdorf gewesen, die anderen habe er nicht gekannt. Als ein Auto von der Grenzpolizei vorbeigekommen sei, seien die Angreifer geflüchtet. Sie hätten jedoch noch gedroht, den Kläger beim nächsten Mal zu töten. Er habe Angst um sein Leben gehabt und sich daher versteckt. Seine Ehefrau sei mit dem Kind nach ... geflohen. Er habe dorthin jedoch nicht gehen können, da junge Männer dort massiv bedroht würden. Am 27. Juli 2014 seien auch in einem Nachbarort (...) die Häuser der Ahmadis in Brand gesetzt worden, es habe mehrere Tote gegeben, ohne dass die Polizei etwas dagegen unternommen habe. Er habe daher aus Angst um seine Sicherheit Pakistan verlassen. Ahmadis würden überall in Pakistan gezielt von Fundamentalisten verfolgt. In Deutschland gehe er jede Woche zum Freitagsgebet in die Moschee, einmal im Jahr fahre er in die Moschee zur Jahresversammlung. Er arbeite auch ehrenamtlich in der Gemeinde und leiste seinen monatlichen Gemeindebeitrag (ca. EUR 100,-; Belege vorgelegt). Abschließend gab das Bundesamt dem Kläger Gelegenheit, Tatsachen vorzutragen, die bei einer Entscheidung zur Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots als schutzwürdige Belange zu berücksichtigen wären. Hierzu trug der Kläger nichts vor.

2. Das Bundesamt lehnte sodann den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter (Nr. 2) und den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) mit Bescheid vom 11. November 2016 – dem Kläger zugestellt per Postzustellungsurkunde am 15. November 2016 – ab. Weiter stellte es fest, dass der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt werde (Nr. 3) und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Nr. 4). Die Abschiebung nach Pakistan wurde angedroht, sollte keine Ausreise innerhalb von 30 Tagen erfolgen (Nr. 5). Zudem wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).

Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass § 3 AsylG nicht einschlägig sei. Der Kläger könne sich nicht auf eine Gruppenverfolgung der Ahmadiyya in Pakistan berufen. Insoweit fehle es trotz im Einzelfall vorhandener Repressionen von staatlicher und nicht-staatlicher Seite an der erforderlichen Verfolgungsdichte bei etwa drei bis vier Millionen Ahmadis in Pakistan. Hierzu sei dem Lagebericht des Auswärtigen Amts zu entnehmen, dass der weitaus größte Teil der Ahmadis friedlich mit den muslimischen Nachbarn zusammen lebe. Auch der individuelle Vortrag des Klägers stelle keine Verfolgung i.S.v. § 3 AsylG dar, da keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung i.S.v. § 3a AsylG erkennbar sei. Die vom Kläger geschilderten Bedrohungen bzw. Diskriminierungen stellten keine Verletzung seiner grundlegenden Menschenrechte dar; auch sei nicht ersichtlich, dass der Kläger in seiner Religionsfreiheit bzw. -ausübung relevant eingeschränkt worden sei. Überdies hätte der Kläger gegen kriminelle Übergriffe Dritter den Schutz der staatlichen Behörden in Pakistan in Anspruch nehmen können. Unabhängig davon sei der Kläger jedenfalls auf inländische Fluchtalternativen in den pakistanischen Großstädten zu verweisen (§ 3e AsylG); für Ahmadis biete insbesondere Rabwah – ihr religiöses Zentrum – erheblichen Schutz vor Repressionen, da sie dort weitgehend unter sich seien. Dort könne der Kläger auch seinen Lebensunterhalt bestreiten; nicht zuletzt lebten in Pakistan noch zahlreiche Familienmitglieder. § 4 AsylG und § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG seien ebenfalls nicht einschlägig.

3. Hiergegen hat der Kläger am 21. November 2016 Klage erhoben. Er beantragt,

den Bescheid des Bundesamts für ... vom 11. November 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass in der Person des Klägers die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG vorliegen, hilfsweise festzustellen, dass dem Kläger subsidiärer Schutz nach § 4 AsylG zuzuerkennen ist und dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Pakistans vorliegen.

Die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft aus § 3 AsylG seien im Fall des Klägers gegeben. Nach übereinstimmender Auffassung der Oberverwaltungsgerichte bestehe in Pakistan bereits aufgrund der speziell gegen Ahmadis gerichteten (Straf-)Gesetzgebung und der sich hieraus ergebenden Einschränkung der Religionsausübung für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen Ahmadi, zu dessen Glaubensausübung auch die Religionsausübung in der Öffentlichkeit gehört, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer an die Religion anknüpfenden (Gruppen-)Verfolgung i.S.v. § 3 AsylG (vgl. VGH BW, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13 – juris; U.v. 20.5.2008 – A 10 S 3032/07 – juris; SächsOVG, U.v. 18.9.2014 – A 1 A 348/13 – juris; OVG NW, U.v. 14.12.2010 – 19 A 2999/06.A – juris). Diese obergerichtliche Rechtsprechung, die auch im Lichte der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Religionsfreiheit (EuGH, U.v. 5.9.2012 – Rs. C-71/11 u.a. – juris; BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris) zu sehen sei, habe sich in den Jahren 2015 und 2016 auf Ebene der Verwaltungsgerichte verfestigt. Hierbei sei auch zu bedenken, dass der pakistanische Staat die regelmäßigen Übergriffe und Diskriminierungen nicht-staatlicher Akteure gegen Ahmadis – bis hin zu Ermordungen – tatenlos hinnehme. Beim Kläger handele es sich um eine religiös geprägte Persönlichkeit, der seinen Glaubenspflichten durch regelmäßiges Beten, die Beachtung der Fastenzeit sowie Engagement und Einsatz für die Ahmadiyya-Gemeinde nachkomme. So habe der Kläger am symbolischen Baumpflanzen mit Vertretern der Stadtverwaltung ... am 23. November 2016 teilgenommen, die zur friedlichen Koexistenz der Religionen und Kulturen beitragen solle. Weiterhin habe der Kläger vielfach an Aktivitäten des Informierens und Werbens für den Ahmadiyya-Glauben teilgenommen (sog. Tabligh, u.a. in Innenstädten). Überdies habe er 2015, 2016 und 2017 an den Großveranstaltungen Jalsa Salana (Jahresversammlung mit mehr als 30.000 Teilnehmern) sowie Salana Ijtema (regionale Veranstaltungen) teilgenommen. Zudem habe er bei der Vorbereitung und Durchführung dieser Veranstaltungen als Helfer (Moawan) mitgewirkt, er sei für die Sicherheit und Büroarbeit zuständig gewesen. Zudem habe der Kläger an den Aktivitäten des Sozialdienstes (Waqar-e-Amal) teilgenommen; hier sei insbesondere die jährliche Reinigungsaktion am 1. Januar zu nennen. Auch erfülle der Kläger seine Beitragspflichten gegenüber der Ahmadiyya-Gemeinde. Der Kläger nehme auch an internen Wettbewerben der Ahmadiyya-Gemeinde teil (u.a. Sport, Halten freier Reden, Rezitieren des Koran) und habe insoweit verschiedene Preise und Urkunden gewonnen. Schließlich habe der Kläger am 2. Juni 2015 den Kalifen – das religiöse Oberhaupt der Ahmadiyya – getroffen; er unterhalte auch einen Briefwechsel mit diesem. Das nachhaltige Engagement des Klägers für die Ahmadiyya werde auch durch eine qualifizierte Mitgliedsbescheinigung vom 12. Mai 2017 gestützt.

Ausweislich der vorgelegten Mitgliedsbescheinigung der Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland KdöR vom 12. Mai 2017 sei der Kläger gemäß dem Bericht der Zentrale in Pakistan seit Geburt Mitglied der dortigen Ahmadiyya-Gemeinde und habe guten Kontakt zu ihr gepflegt. Er habe in Pakistan in der lokalen Jugendorganisation die Funktion des zweiten Gruppenleiters bekleidet, zudem sei er für die Finanzen zuständig gewesen; in seiner lokalen Gemeinde sei er zudem Sekretär für Allgemeine Angelegenheiten gewesen. Zudem habe er mit Hingabe am Sicherheitsdienst in der Moschee mitgewirkt. In Deutschland nehme der Kläger regelmäßig an Gebeten in der Moschee sowie an den lokalen und zentralen Gemeindeveranstaltungen teil. Er entrichte seine Mitgliedsbeiträge ordnungsgemäß. Darüber hinaus helfe der Kläger in seiner örtlichen Gemeinde bei ehrenamtlichen Aufgaben wie der Mithilfe bei Informationsständen sowie bei sozialen und karitativen Aktivitäten aus. Zusammenfassend sei sein Verhalten der Gemeinde gegenüber zufriedenstellend.

Ferner legte die Klägerseite dem Gericht die Helfer-Abzeichen des Klägers bei den Jalsa Salana-Veranstaltungen 2015, 2016 und 2017 vor. Überdies wurden Lichtbilder vorgelegt, die den Kläger als Teilnehmer und Helfer bei den Jalsa Salana-Veranstaltungen 2015, 2016 und 2017 sowie auf verschiedenen Regionalveranstaltungen im Jahr 2017, als Mitwirkender bei Informationsständen in Innenstädten (14.10.2016, 18.2.2017, 10.6.2017) sowie bei der jährlichen Putzaktion (1.1.2016, 1.1.2017) zeigen sollen. Ebenfalls wurden Briefe auf Urdu vorgelegt, die den Briefwechsel des Klägers mit dem Kalifen belegen sollen (v. 10.8.2015, 6.10.2015, 24.11.2015, 2.2.2016, 22.3.2016, 12.7.2016 und 21.3.2017). Auch wurden exemplarisch monatliche Beitragsquittungen für die Ahmadiyya-Gemeinde Deutschland und die Ahmadiyya-Jugendorganisation vorgelegt. Ferner wurde eine Urkunde von einem Ahmadiyya-Wettbewerb im Bereich ... („Ziafet“) im Jahr 2017 vorgelegt. Überdies wurde ein Lichtbild des Treffens des Klägers mit dem Kalifen sowie ein Lichtbild der Baumpflanzaktion mit der Stadtverwaltung ... vorgelegt.

4. Am 13. Dezember 2016 bzw. 24. Januar 2017 legte das Bundesamt die Behördenakte vor. Ein Antrag wurde nicht gestellt.

5. Die zunächst dort erhobene Klage wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts ... vom 28. November 2016 (Az. ...) an das Verwaltungsgericht Augsburg verwiesen. Mit Beschluss des Gerichts vom 19. September 2017 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen. Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übersandte das Gericht eine Liste derjenigen Auskünfte und Stellungnahmen, die es bei seiner Entscheidung verwerte.

6. Die beigezogene Verwaltungsakte und die Gerichtsakte waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Gründe

Das Gericht konnte im vorliegenden Fall über die Klage entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung vom 13. November 2017 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurde bei der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 VwGO).

Die Klage hat Erfolg.

1. Der Kläger hat zum nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft i.S.v. § 3 AsylG113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

a) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559 – Genfer Flüchtlingskonvention – GFK) darf ein Ausländer gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist.

Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich

1. aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe,

2. außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,

a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder

b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

Einem Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG, der nicht den Ausschlusstatbeständen nach § 3 Abs. 2 und 3 AsylG oder nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG unterfällt, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt (§ 3 Abs. 4 AsylG).

Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, des Art. 1 A GFK und der Qualifikationsrichtlinie (QRL) gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG; Art. 9 Abs. 1 lit. a QRL), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG; Art. 9 Abs. 1 lit. b QRL).

Zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 3b AsylG) und den in den § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG; Art. 9 Abs. 3 QRL).

Nach Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Dabei ist nicht jeder Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, der gegen Art. 10 Abs. 1 der Grundrechtscharta (GR-Charta) verstößt, bereits eine Verfolgungshandlung i.S.d. Qualifikationsrichtlinie. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit vorliegt, der Art. 10 Abs. 1 GR-Charta verletzt und als Verfolgungshandlung zu qualifizieren ist, sind eine Reihe objektiver wie auch subjektiver Gesichtspunkte zu berücksichtigen (EuGH, U.v. 5.9.2012 – Rs. C-71/11, C-99/11 – NVwZ 2012, 1612/1614; BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – NVwZ 2013, 936/939 – juris Rn. 28).

Objektive Gesichtspunkte sind dabei insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter, wie Leib und Leben. Subjektiv ist zu berücksichtigen, ob die religiöse Handlung, die die Verfolgung auslöst, für den Einzelnen zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Maßgeblich ist, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – NVwZ 2013, 936/939 – juris Rn. 29). Zu den Handlungen, die eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit i.S.v. Art. 9 Abs. 1 QRL darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit, den Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in die Freiheit, den Glauben öffentlich zu leben (EuGH, U.v. 5.9.2012 – Rs. C-71/11, C-99/11 – NVwZ 2012, 1612/1614; BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – NVwZ 2013, 936/938 – juris Rn. 24). Ein hinreichend schwerer Eingriff setzt dabei nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach der Rückkehr in sein Heimatland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr einer Verfolgung aussetzt. Auch der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung kann die Qualität einer Verfolgung erreichen (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – NVwZ 2013, 936/939 – juris Rn. 26).

Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG; Art. 10 Abs. 2 QRL).

Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist, gilt einheitlich der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“). Dieser gilt für Anerkennung und Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft gleichermaßen und entspricht demjenigen der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – juris Rn. 20/23).

Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 32).

Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL in Form einer widerlegbaren Vermutung ist im Asylerstverfahren zu beachten, wenn der Antragsteller frühere Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgung als Anhaltspunkt für die Begründetheit seiner Furcht geltend macht, dass sich die Verfolgung im Falle der Rückkehr in das Heimatland wiederholen werde. Die solchen früheren Handlungen oder Bedrohungen nach Art. 4 Abs. 4 QRL zukommende Beweiskraft ist von den zuständigen Behörden unter der sich aus Art. 9 Abs. 3 QRL ergebenden Voraussetzung zu berücksichtigen, dass diese Handlungen oder Bedrohungen eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen, den der Betreffende für seinen Antrag auf Schutz geltend macht (vgl. zum Ganzen: BVerwG, B.v. 6.7.2012 – 10 B 18/12 – juris Rn. 5 unter Bezugnahme auf EuGH, U.v. 2.3.2010 – Rs. C-175/08 u.a. – juris Rn. 93; BVerwG, U.v. 5.5.2009 – 10 C 21/08 – juris Rn. 25).

Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3e Abs. 1 AsylG i.V.m. Art. 8 QRL nicht zuerkannt, wenn er (Nr. 1) in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und (Nr. 2) sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

b) Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze sind im Fall des Klägers die Voraussetzungen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft i.S.v. § 3 Abs. 1 AsylG gegeben.

Das Gericht geht davon aus, dass dem Kläger als Angehörigen der Ahmadiyya, für den die Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit ein zentrales persönliches Anliegen und Teil seiner religiösen Identität ist, bei einer Rückkehr nach Pakistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit Verfolgung i.S.v. § 3 Abs. 1 AsylG droht.

aa) Die islamische Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya wird von muslimischen Geistlichen in Pakistan nicht als muslimisch anerkannt. Durch Änderung der Verfassung 1974 wurde diese Lehrmeinung Verfassungsgrundsatz. Seit den 1950er Jahren kam es in Pakistan immer wieder zu Ausschreitungen gegen Mitglieder der Religionsgemeinschaft, die von radikalislamistischen Gruppen geschürt wurden. Es gibt keine verlässlichen Angaben zur zahlenmäßigen Stärke der Ahmadi-Gemeinschaft in Pakistan. Die letzten offiziell genannten Zahlen bezüglich der Ahmadiyya in Pakistan entstammen den „UNHCR Eligibility Guidelines for assessing the international protection needs of members of religious minorities from Pakistan“ vom 14. Mai 2012. Diese beziehen sich zunächst auf den Zensus von 1998, wonach die Ahmadis 0,22 v.H. der Bevölkerung ausmachen. Nach vorsichtigen Schätzungen lebten zum Zeitpunkt des UNHCR-Berichts etwa 600.000 Ahmadis in Pakistan, während – laut Bericht – andere Quellen von bis zu vier Millionen sprechen (siehe zum Ganzen: Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 20.10.2017, S. 13 f.).

Das spirituelle Zentrum der Ahmadis ist Rabwah, das von der Regierung Nawaz Sharif offiziell in Chenab Nagar umbenannt wurde. 95 v.H. seiner Einwohner sind Ahmadis. Der weitaus größte Teil der Ahmadis lebt friedlich mit den muslimischen Nachbarn zusammen; berichtet wird aber weiterhin über Fälle von Repressionen Dritter gegen Ahmadis (siehe zum Ganzen: Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 20.10.2017, S. 14).

Die Ahmadis werden durch eine speziell gegen sie gerichtete Gesetzgebung diskriminiert: Ihnen wird zwar vom Gesetz der Status einer religiösen Minderheit eingeräumt, gleichzeitig ist es ihnen aber ausdrücklich verboten, sich als Muslime zu bezeichnen oder auszugeben. Dieses Verbot für Nicht-Muslime ist im Pakistanischen Strafgesetzbuch (§ 298 c PPC) niedergelegt und mit einer Strafandrohung von maximal drei Jahren Freiheitsstrafe sanktioniert (siehe zum Ganzen: Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 20.10.2017, S. 14).

Es besteht allerdings immer die Gefahr, dass – ähnlich wie bei christlichen Minderheiten – ein gegen Ahmadis gerichtetes Verfahren um den Vorwurf der Blasphemie nach § 295 c PPC erweitert wird. In der Berufungsinstanz erfolgt häufig eine Abänderung des Strafvorwurfs (z.B. Entweihung des Korans, § 295 b PPC), so dass die für Blasphemie zwingend vorgesehene Todesstrafe in eine lebenslange Freiheitsstrafe (die auf 25 Jahre begrenzt ist) umgewandelt wird. Die Strafverfahren gegen Ahmadis werden in der Regel von islamistischen Gruppierungen der Khatm-e-Nabuwwat („Siegel der Prophetenschaft“) in Gang gebracht. Ähnlich wie gegenüber Christen wird die Blasphemie-Gesetzgebung dazu benutzt, die Angehörigen dieser Minderheit aus den verschiedensten Motiven unter Druck zu setzen, die nur zum Teil einen religiösen Hintergrund haben. Oft geht es um Streitigkeiten zwischen Nachbarn oder Geschäftsleuten und vor allem um Auseinandersetzungen um Grundbesitz. Als einzige religiöse Minderheit werden Ahmadiyya-Angehörige auf einer gesonderten Wählerliste geführt. Ahmadis sind derzeit nicht im Parlament vertreten, weil sie sich selbst als Muslime verstehen und deshalb nicht für die Listenplätze der Parteien für nichtmuslimische Minderheiten kandidieren (siehe zum Ganzen: Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 20.10.2017, S. 14).

Die Diskriminierung der religiösen Minderheit der Ahmadis durch das Verhalten der sunnitischen Mehrheitsbevölkerung setzte sich 2016 fort. Vereinzelt kommen auch Maßnahmen staatlicher Stellen vor, wie z.B. die Durchsuchung des Hauptbüros der Ahmadis in Pakistan. Auch wurden Ahmadis Opfer von radikal-sunnitischem Terrorismus. So bekannte sich im März 2017 die Terrorgruppe Lashkar-e-Jhangvi zum Mord an Malik Saleem Latif, einem Ahmadi-Führer im Punjab (siehe zum Ganzen: Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 20.10.2017, S. 6).

Das Gericht geht zwar aufgrund der aktuellen Erkenntnislage davon aus, dass allein die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya und die Betätigung des Glaubens durch das Gebet in Gebetshäusern noch nicht die Gefahr einer flüchtlingsrelevanten Verfolgung nach sich zieht (Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 20.10.2017, S. 13 f.; vgl. zur Situation der Ahmadi in Pakistan ausführlich VGH BW, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13 – juris Rn. 59 ff.). Etwas anderes gilt jedoch für diejenigen Ahmadi, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und ihr Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen. Für diese Personen besteht in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen würden (VGH BW, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13 – juris Rn. 116). Sie haben mit einem erheblichen Risiko für Leib und Leben durch die Gefahr einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten oder gravierenden Übergriffen privater Akteure zu rechnen (VG Gießen, U.v. 11.7.2013 – 5 K 1316/12.GI.A – juris Rn. 24 unter Verweis auf VGH BW, U.v. 12.6.2013, – A 11 S 757/13 – juris; siehe zum Ganzen VG Augsburg, U.v. 27.1.2014 – Au 6 K 13.30418 – juris Rn. 16).

bb) Beim Kläger handelt es sich nach Überzeugung des Gerichts um einen seinem Glauben eng verbundenen Angehörigen der Ahmadiyya, für den die Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit ein zentrales persönliches Anliegen und Teil seiner religiösen Identität ist.

Bei der Feststellung der religiösen Identität als innerer Tatsache kann nur im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen geschlossen werden. Allein der Umstand, dass der Betroffene seinen Glauben in seinem Herkunftsland nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, ist nicht entscheidend, soweit es hierfür nachvollziehbare Gründe gibt. Ergibt jedoch die Prüfung, dass der Betroffene seinen Glauben auch in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in seinem Herkunftsland der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 22/12 – NVwZ 2013, 936/939, Rn. 26; siehe zum Ganzen VG Augsburg, U.v. 27.1.2014 – Au 6 K 13.30418 – juris Rn. 17).

Erforderlich ist letztlich eine Gesamtwürdigung der religiösen Persönlichkeit des Betroffenen anhand aller vorliegenden Gesichtspunkte. Bloße Kenntnisse über die Glaubensinhalte der Ahmadiyya, eine Mitgliedsbescheinigung der Ahmadiyya Deutschland, regelmäßige Moschee-Besuche oder die Teilnahme an jährlichen Großveranstaltungen der Ahmadiyya oder an sonstigen Aktionen der Ahmadiyya (mit den üblichen Helferdiensten) lassen daher für sich genommen nicht bereits auf eine individuelle Glaubensüberzeugung und ein nach außen wirkendes Glaubensvermittlungsbedürfnis schließen. Erforderlich ist vielmehr ein Bedürfnis, aus dem ahmadischen Glauben heraus bekennend zu leben und auch andere Menschen an dieser Haltung teilhaben zu lassen. In diesem Sinne muss es sich beim Betroffenen um einen aus der Allgemeinheit der Ahmadis hervorstechenden Gläubigen handeln, dessen Glauben sich öffentlich manifestiert. Ob dies der Fall ist, ist eine Frage, die das Gericht im Kern im Rahmen der informatorischen Befragung des Betroffenen in der mündlichen Verhandlung zu klären hat (vgl. zum Ganzen: VG Bayreuth, U.v. 26.3.2015 – B 3 K 14.30365 – juris Rn. 40 f.).

Hiervon ausgehend ist das Gericht vorliegend im Wege einer Gesamtwürdigung zu der Überzeugung gelangt, dass die Praktizierung seines Glaubens in der Öffentlichkeit und das Werben für seinen Glauben ein zentrales Element der religiösen Identität des Klägers und für ihn unverzichtbar ist (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 22/12 – NVwZ 2013, 936/939 Rn. 25).

In der mündlichen Verhandlung vom 13. November 2017 hat der Kläger insoweit zunächst seine umfassenden Kenntnisse zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya unter Beweis gestellt. Sodann hat er anschaulich beschrieben, wie er seinen Glauben in Pakistan gelebt hat. So hat er über den Ahmadiyya-Fernsehkanal (via Satellit) jeden Freitag die Ansprachen des Kalifen im Zusammenhang mit dem Freitagsgebet gehört. Er hat fünfmal täglich gebetet und auch ein- bis zweimal täglich im Koran gelesen. In der lokalen Ahmadiyya-Gemeinde ist er als Sekretär für Sicherheitsangelegenheiten tätig gewesen. Ausgehend hiervon hat er auch selbst Sicherheitsdienst im lokalen Gebetszentrum geleistet, was aufgrund der schwierigen Situation der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya in Pakistan nachvollziehbar auch mit Angst verbunden gewesen ist. Der Kläger hat plausibel ausgeführt, dass es ihm aufgrund der Verbote in Pakistan nicht möglich gewesen ist, dort den Gebetsruf öffentlich auszuführen oder an einer Jahresversammlung (Jalsa Salana) teilzunehmen. Ebenfalls ist es ihm nicht möglich gewesen, in Pakistan mit Andersgläubigen in Kontakt zu treten, um für meinen Glauben zu werben. In der mündlichen Verhandlung vom 13. November 2017 hat der Kläger ferner ausgeführt, dass er in Deutschland nunmehr auch seine Verbundenheit zu seinem Glauben durch die Teilnahme an der Jalsa Salana ausdrücken kann. Daneben geht er auch regelmäßig zum Freitagsgebet in die Moschee in ... und nimmt an den monatlichen Treffen der Gemeinde teil. Des Weiteren hilft er bei Flyer-Aktionen in den Innenstädten, die in etwa ein- bis zweimal monatlich stattfinden oder nimmt an der jährlichen Neujahrsputzaktion der Ahmadiyya teil. Er hat bei einer Jalsa Salana auch erstmals das Oberhaupt des Glaubens – den Kalifen – persönlichen erleben können, dies hat der Kläger glaubhaft als unbeschreibliches Gefühl bezeichnet. Zusammenfassend hat der Kläger am Ende glaubhaft ausgeführt, dass seine Religion in seinem Leben alles für ihn ist.

Die obigen Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung erachtet das Gericht vor dem Hintergrund der vorgelegten Dokumente und Lichtbilder – insbesondere der Bescheinigungen der Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland vom 27. Februar 2015 (Blatt 52 der Verwaltungsakte) und vom 12. Mai 2017 (Blatt 46 der Gerichtsakte) als nachvollziehbar und glaubhaft. Demnach ist der Kläger gebürtiges Mitglied der Ahmadiyya-Gemeinde in Pakistan und hat dort guten Kontakt zu ihr gepflegt. Er hat in Pakistan in der lokalen Jugendorganisation die Funktion des zweiten Gruppenleiters bekleidet, zudem war er für die Finanzen zuständig gewesen; in seiner lokalen Gemeinde war er zudem Sekretär für Allgemeine Angelegenheiten gewesen. Zudem hat er mit Hingabe am Sicherheitsdienst in der Moschee mitgewirkt. In Deutschland nimmt der Kläger regelmäßig an Gebeten in der Moschee sowie an den lokalen und zentralen Gemeindeveranstaltungen teil. Er entrichtet seine Mitgliedsbeiträge ordnungsgemäß. Darüber hinaus hilft der Kläger in seiner örtlichen Gemeinde bei ehrenamtlichen Aufgaben wie der Mithilfe bei Informationsständen sowie bei sozialen und karitativen Aktivitäten aus. Zusammenfassend ist sein Verhalten der Gemeinde gegenüber zufriedenstellend.

Auch die im gerichtlichen Verfahren vorgelegten zahlreichen Lichtbilder (u.a. zur mehrfachen Teilnahme an der Jalsa Salana und den jährlichen Putzaktionen) stützen die in der mündlichen Verhandlung gewonnene Überzeugung des Gerichts von der religiösen Persönlichkeit des Klägers. Ebenfalls dem Gericht vorgelegt hat der Kläger ein Lichtbild, das ihn mit dem derzeitigen Kalifen der Ahmadiyya zeigt, sowie einen Schriftverkehr aus den Jahren 2015 – 2017 (nur in Urdu), der seine Korrespondenz mit dem Kalifen bzw. dessen Büro belegen soll. Ferner wurden Bescheinigungen über die ordnungsgemäße Zahlung der Mitgliedsbeiträge durch den Kläger vorgelegt.

Nach dem in der mündlichen Verhandlung vom 13. November 2017 gewonnenen persönlichen Gesamteindruck geht das Gericht somit davon aus, dass auch und gerade das öffentliche Leben seines Glaubens für den Kläger ein zentrales Element seines Glaubens ist. In diesem Zusammenhang war für das Gericht nicht zuletzt der Umstand maßgeblich, dass sich der Kläger auch bereits in Pakistan als Beauftragter für Sicherheitsangelegenheiten in der lokalen Ahmadi-Gemeinde für seinen Glauben in einer Weise exponiert hat, die durchaus nicht risikolos für ihn gewesen ist, da gerade der Sicherheitsdienst in ahmadischen Gebetszentren in Pakistan stets mit Zusammenstößen mit Gegnern der Ahmadis – etwa gewaltbereiten Vertretern von Organisationen wie Khatm-e-Nabuwwat – verbunden sein kann. Der Kläger hat in diesem Zusammenhang auch glaubhaft dargelegt, dass er sich in Pakistan öffentlich gerne noch mehr für seinen Glauben engagiert hätte, dies aber durch das repressive Klima dort unmöglich gewesen ist.

cc) Auch eine inländische Fluchtalternative i.S.v. § 3e AsylG in Rabwah besteht für ihrem Glauben innerlich verbundene Ahmadis, zu deren verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und ggf. auch zu werben oder zu missionieren, nicht.

(1) Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er (1.) in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und (2.) sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (vgl. Art. 8 Abs. 1 QRL). Somit darf ein Ausländer nur dann auf ein verfolgungsfreies Gebiet seines Heimatstaates als inländische Fluchtalternative verwiesen werden, wenn er dieses tatsächlich in zumutbarer Weise erreichen kann (vgl. BVerwG, U.v. 29.5.2008 – 10 C 11/07 – juris Rn. 19). Ob die Voraussetzungen des § 3e Abs. 1 AsylG vorliegen, ist im Falle einer Vorverfolgung unter Berücksichtigung der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 QRL zu ermitteln; die Vermutung einer auch künftigen Verfolgung kann als widerlegt erachtet werden, soweit in einem Landesteil bei tatrichterlicher Würdigung des Vorbringens des Ausländers und der maßgeblichen Erkenntnismittel keine begründete Furcht vor Verfolgung besteht (vgl. BVerwG, U.v. 24.11.2009 – 10 C 20/08 – juris Rn. 15 f.). Am Ort des internen Schutzes muss unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände des Betroffenen die Existenzgrundlage derart gesichert sein, dass vom Ausländer vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält; dieser Zumutbarkeitsmaßstab geht über das Fehlen einer i.R.v. § 60 Abs. 5 AufenthG bzw. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG analog beachtlichen existenziellen Notlage hinaus und erfordert eine Einzelfallprüfung (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 20; BayVGH, B.v. 5.8.2014 – 13a ZB 14.30188 – juris Rn. 6).

Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach § 3e Abs. 1 AsylG erfüllt, sind nach § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 QRL zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen; zu diesem Zweck sind gemäß § 3e Abs. 2 Satz 2 AsylG genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen – wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) – einzuholen (vgl. Art. 8 Abs. 2 QRL).

(2) Zur Situation in Rabwah liegen folgende Erkenntnisse vor:

Das Zentrum der Ahmadiyya-Gemeinschaft in Pakistan ist seit 1948 Rabwah (Provinz Punjab). Die Stadt hat etwa 70.000 Einwohner, davon sind etwa 95 v.H. Ahmadis. Sie ist ca. 8 km von der historischen Stadt Chiniot entfernt und liegt auf halbem Weg zwischen Faisalabad (48 km) und Sargodha (59 km). Rabwah hat eine Fläche von ca. 24 km². Der offizielle Name der Stadt wurde 1998 durch das Parlament der Provinz Punjab – gegen den Willen der Ahmadis – in „Chenab Nagar“ geändert (vgl. zum Ganzen: Auswärtiges Amt, Lagebericht Pakistan v. 30.5.2016, S. 14; Lagebericht v. 20.10.2017, S. 14; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017 S. 28 f., abrufbar unter http://www...org/pdfid/5857ed0e4.pdf; EASO, Länderüberblick Pakistan, August 2015, S. 90, abrufbar unter https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/ PLib/BZ0415498DEN1.pdf; Asian Human Rights Commission / UN International Human Rights Committee, On the rising persecution of the Ahmadiyya Muslim Community, 2015, S. 74, abrufbar unter http://stopthepersecution.org/mwg-internal/de5fs23hu73ds/progress?id =ljAtEV2_3SETxMQQfzRcJj Yr3V01EPNohD0SN2eFwgE,& dl; UK Home Office, Country Information and Guidance – Pakistan: Ahmadis, Mai 2016, S. 11; Immigration and Refugee Board of Canada, Responses to Information Requests v. 11.1.2017 – PAK105713.E, abrufbar unter http://www...gc.ca/Eng/ResRec/RirRdi/Pages/index.aspx?doc=456858& pls=1).

Der Lagebericht Pakistan des Auswärtigen Amtes vom 30. Mai 2016 gibt an, dass Ahmadis ein Umzug nach Rabwah, ihrem religiösen Zentrum, einen erheblichen Schutz vor Repressionen biete, weil sie dort weitgehend unter sich seien, auch wenn sie dort für ihre Gegner sichtbar seien. Auch bestehe die Möglichkeit, in den Schutz der größeren Städte zu fliehen, falls es sich nicht um Personen handele, die bereits überregional bekannt geworden sind. Dies werde auch von Vertretern unabhängiger pakistanischer Menschenrechtsorganisationen als Ausweichmöglichkeit gesehen (siehe zum Ganzen: Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 30.5.2016, S. 21; so auch Lagebericht v. 20.10.2017, S. 20).

Zu einer möglichen inländischen Fluchtalternative für Ahmadis führen die Asian Human Rights Commission (AHRC) und das UN International Human Rights Committee (IHRC) in einem gemeinsamen Bericht aus dem Jahr 2015 aus, dass es in Rabwah zwar kurzfristig einen gewissen Schutz aufgrund der großen Zahl der anwesenden Ahmadis geben möge; jedoch manifestiere sich die allgegenwärtige Bedrohung sodann in Rabwah mit noch größerer Wucht. Grund hierfür sei, dass sich die Gegner der Religionsgemeinschaft vollständig der Tatsachse bewusst seien, dass es eine Konzentration von Ahmadis in Rabwah gebe und sie daher ihren Fokus gezielt auf die Stadt richteten. Dementsprechend träfen sich jedes Jahr tausende Anhänger der Organisation Khatm-e-Nabuwwat aus ganz Pakistan in Rabwah; lautstarke Demonstrationen, die die lokale Bevölkerung einschüchterten, fänden drei- bis viermal jährlich statt. Jedes Jahr würden in Rabwah mindestens drei lautstarke Anti-Ahmadi-Konferenzen abgehalten, zu denen Gegner der Religionsgemeinschaft mit Bussen aus anderen pakistanischen Orten nach Rabwah gebracht würden. Die Oktober-Konferenzen würden von bis zu 9.000 – 10.000 lärmenden Personen besucht, die über Lautsprecher Anti-Ahmadi-Slogans riefen, während die Mitglieder der Religionsgemeinschaft sich in ihren Häusern verbarrikadierten. Im Gegensatz hierzu sei es der Ahmadiyya-Religionsgemeinschaft verboten, Versammlungen jeglicher Art abzuhalten (einschließlich Sportveranstaltungen) oder öffentliche Verlautbarungssysteme jeglicher Art zu benutzen. Daher fühlten sich ahmadische Flüchtlinge, die in Rabwah aufgrund der großen Zahl der Ahmadis dort Zuflucht suchen, dort nicht sicherer als in anderen Teilen Pakistans. Rabwah mache den Eindruck einer Enklave, bei der jeder Eingang zur Stadt durch Wachposten kontrolliert werde, die sorgfältig überprüften, welchen Zweck der Aufenthalt jeder die Stadt betretenden Person hat. 100 v.H. der lokalen Polizeikräfte und Stadträte seien zudem nicht-Ahmadis. Die Stadt werde durch die muslimische Minderheitskolonie, in der zahlreiche islamische Seminare – sog. Madrassas – errichtet worden sind, gehemmt. Gleichzeitig sei die 8 km entfernte Nachbarstadt Chiniot ein Zentrum der Anti-Ahmadi-Aktivitäten; Mullah Ilyas Chinioti – ein bekannter Anti-Ahmadi-Aktivist – habe dort seinen Sitz. Nach alledem sei es klar, dass die leidenschaftlichen Gegner der Ahmadis ihre Aufmerksamkeit als erstes auf Rabwah als den wahrscheinlichsten Ort richteten, an dem sie ihrer Wut freien Lauf lassen könnten. Es sei daher wahrscheinlich, dass Rabwah Ahmadis lediglich ein kurzlebiges und unzutreffendes Gefühl von Sicherheit biete, insbesondere da weder die Sicherheitskräfte noch die Politiker ein Interesse daran hätten, die Ahmadi-Bevölkerung zu schützen. Letzteres werde etwa durch den Umstand belegt, dass in der Vergangenheit bereits gegen die gesamte Bevölkerung von Rabwah ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei (siehe zum Ganzen: Asian Human Rights Commission / UN International Human Rights Committee, On the rising persecution of the Ahmadiyya Muslim Community, 2015, S. 74, abrufbar unter http://stopthepersecution. org/mwg-internal/de5fs23hu73ds/progress?id= ljAtEV2_3SETxMQQfzRcJjYr3 V01EPNohD0SN2eFwgE,& dl).

Das Innenministerium des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland führt zu einer möglichen inländischen Fluchtalternative für Ahmadis in Pakistan in einem Bericht aus dem Mai 2016 aus, dass im Lichte der landesweiten Geltung der Anti-Ahmadi-Gesetze einer Person, die aufrichtig und offen ihren ahmadischen Glauben – entgegen des pakistanischen Strafgesetzbuches – ausüben möchte, grundsätzlich keine inländische Fluchtalternative – auch nicht in Rabwah – zur Verfügung stehe. Zwar würden manche Ahmadis Rabwah als sicheren Ort betrachten, der ein höheres Maß an Sicherheit und Freiheit als andere Gebiete Pakistans biete; jedoch sei das tägliche Leben durch ein allgegenwärtiges Gefühl der Bedrohung gekennzeichnet. Ahmadis in Rabwah könnten ebenfalls Ziel von Bedrohungen ihrer Gegner werden, die ihre Aufmerksamkeit gerade wegen der großen Zahl von Ahmadis dort auf das Stadtgebiet richteten. Versammlungen der Ahmadiyya in lokalen Moscheen fänden unter dem Schutz von bewaffneten Sicherheitspersonen statt; eine Versammlung mit mehr als 30 Personen sei im Stadtgebiet verboten. Ort und Zeit der Ahmadiyya-Veranstaltungen würden nicht angekündigt und die Jahrzehnte alte Tradition von landesweiten Ahmadiyya-Veranstaltungen in Rabwah sei seit dem Angriff auf die Ahmadiyya-Moscheen in Lahore im Jahr 2010 komplett eingestellt worden. Naturgemäß seien die Aktivitäten der Ahmadiyya-Moscheen ebenfalls eingeschränkt, das Freitagsgebet werde nur noch von Männern besucht, während früher auch eine große Zahl von Frauen hieran teilgenommen habe (siehe zum Ganzen: UK Home Office, Country Information and Guidance - Pakistan: Ahmadis, Mai 2016, S. 8, 14 f.; abrufbar unter www...uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/566234/Pakistan-_Ahmadis.pdf).

Das European Asylum Support Office (EASO) führt in seinem Länderbericht Pakistan aus dem August 2015 aus, dass sich die Ahmadi-Bevölkerung in Rabwah aufgrund ihrer zahlenmäßigen Dominanz zwar relativ sicher fühlen könne. Es bestünden jedoch auch dort Bedrohungen, da die Gegner wüssten, dass in Rabwah sehr viele Ahmadis leben, und sie die Stadt gezielt ins Visier nähmen. Alljährlich fänden mehrere Anti-Ahmadiyya-Veranstaltungen in Rabwah statt, zu denen Gegner aus anderen Teilen des Landes in die Stadt transportiert würden. Über Lautsprecher verbreiteten diese Gegner gegen die Ahmadiyya gerichtete Slogans, derweilen sich die Ahmadis in ihren Häusern verbarrikadierten (siehe zum Ganzen: EASO, Länderüberblick Pakistan, August 2015, S. 90; https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/ BZ0415498DEN1.pdf).

Den Erkenntnismitteln sind folgende vorliegend relevante Vorfälle in Rabwah in jüngster Zeit zu entnehmen:

Am 26. Mai 2014 sei ein US-amerikanischer Mediziner und Ahmadi, der in Pakistan Teil einer humanitären Mission war, in Rabwah getötet worden. Er sei von zwei unbekannten Männern auf Motorrädern getötet worden, während er die Gräber seiner Verwandten auf einem örtlichen Friedhof besucht habe (siehe zum Ganzen: UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017 S. 36, abrufbar unter http://www...org/pdfid/5857ed0e4.pdf).

Am Samstag, den 3. Januar 2015 habe ein bekannter Gegner der Ahmadis, Hassan Muawiah, der ein häufiger Anzeigeerstatter gegen Ahmadis sei, zwei Bücher der Ahmadiyya zum Anlass der Behauptung genommen, dass blasphemische Literatur in einem Geschäft in Gol Bazar (Rabwah) verkauft würde. Hassan Muawiah sei von zwei muslimischen Geistlichen begleitet worden und habe in der Anwesenheit von 15 Polizeibeamten, die zu dem Geschäft gekommen seien, abfällig über Ahmadis gesprochen und versucht, Hass gegen sie zu entfachen. Hassan Muawiah habe den Geschäftsinhaber – Herrn Shakoor Bhai bzw. Abdul Shakoor – und Ahmadis insgesamt der Herstellung blasphemischer Literatur beschuldigt. Die Polizei habe den Geschäftsinhaber sodann zur Öffnung seines Geschäfts gezwungen und 20 Bücher zum Ahmadiyya-Glauben beschlagnahmt (siehe zum Ganzen: Asian Human Rights Commission / UN International Human Rights Committee, On the rising persecution of the Ahmadiyya Muslim Community, 2015, S. 74 f., abrufbar unter http://stopthepersecution.org/mwg-internal/de5fs23hu73ds/progress?id= ljAtEV2_3SETxMQQfzRcJjYr3V01EPNohD0SN2eFwgE,& dl; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017 S. 33, abrufbar unter http://www...org/pdfid/5857ed0e4.pdf).

Sodann sei der genannte Eigentümer des Ahmadiyya-Buchgeschäfts in Rabwah im Dezember 2015 inhaftiert und sowohl nach § 298C PPC als auch nach § 8 des Anti-Terrorismus-Gesetzes (ATA) angeklagt worden. Im Januar 2016 sei er schließlich wegen Verbreitung des ahmadischen Glaubens durch den Verkauf des Korans und von Ahmadiyya-Publikationen zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren wegen Blasphemie sowie zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren wegen Terrorismus verurteilt worden; gegen das Urteil sei Berufung eingelegt worden. Derzeit befindet sich der Betroffene jedoch weiterhin in Haft, da das High Court in Lahore seinen Anhörungstermin mehrfach verschoben hat (siehe zum Ganzen: UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017 S. 21, 33, abrufbar unter http://www...org/pdfid/ 5857ed0e4.pdf; U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2017, Pakistan, S. 4, abrufbar unter, http://www...gov/sites/ default/files/Pakistan.2017.pdf; Immigration and Refugee Board of Canada, Responses to Information Requests v. 11.01.2017 – PAK105713.E, abrufbar unter http://www...gc.ca/Eng/ResRec/RirRdi/Pages/index.aspx?doc= 456858& pls=1; U.S. Commission on International Religious Freedom, schriftliche Aussage vor dem Ausschuss für Aufsicht und Regierungsreform des US-Repräsentantenhauses, 11.10.2017, S. 21, abrufbar unter https://oversight. house.gov/wp-content/uploads/2017/10/Arriaga-USCIRF-Statement-Intl-Religious-Freedom-10-11.pdf; U.S. Commission on International Religious Freedom, Selected Blasphemy Cases, September 2017, S. 13, abrufbar unter www...gov/sites/default/files/ Selected%20Blasphemy%20Cases%20-%20September%202017.pdf).

Im Januar 2016 sei ein 26-jähriger, in der Gemeinde aktiver Ahmadi in Rabwah von bewaffneten Männern angeschossen worden, er sei später im Krankenhaus gestorben. Die Hintergründe der Tat seien zum Zeitpunkt der Tat jedoch noch unklar gewesen (siehe zum Ganzen: UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017 S. 35, abrufbar unter http://www...org/pdfid/5857ed0e4.pdf; UK Home Office, Country Information and Guidance - Pakistan: Ahmadis, Mai 2016, S. 24, abrufbar unter www...uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/566234/Pakistan-_Ahmadis.pdf).

Am 5. Dezember 2016 sei in Rabwah das Gebäude von „Tehrik-e-Jadid“, einer in Rabwah produzierten Monatszeitschrift der Ahmadiyya, durch Sicherheitskräfte des Punjab’s Counter Terrorism Department (CTD) durchsucht worden. Die Polizei habe hierbei auch Personen geschlagen. Die Druckerpressen für „Tehrik-e-Jadid“ und „Al Fazl“ (der täglich erscheinenden Zeitung der Ahmadiyya) seien stillgelegt worden. Vier Ahmadis seien inhaftiert und Strafverfahren gegen insgesamt neun Personen wegen Veröffentlichung verbotener ahmadischer Literatur entgegen § 298B PPC und § 298C PPC seien eingeleitet worden. Es gebe Erkenntnisse, dass die inhaftierten Personen im Polizeigewahrsam gefoltert worden seien. Zudem seien die ahmadischen Publikationen zwar im Dezember 2014 in Pakistan durch die Regierung verboten worden; im Mai 2015 habe ein Gericht in Lahore hiergegen jedoch eine einstweilige Anordnung erlassen, die polizeilich jedoch offenbar ignoriert worden sei. Zwei der festgenommenen Personen – Herr Idrees Ahmad und Herr Saba-ul-Zafar – seien am 31. Mai 2017 jeweils zu einer Haftstrafe von drei Jahren und einer Geldstrafe von 50.000 Rupien verurteilt worden (siehe zum Ganzen: UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017 S. 33, abrufbar unter http://www...org/pdfid/5857ed0e4.pdf; U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2017, Pakistan, S. 4, abrufbar unter http://www...gov/sites/default/files/Pakistan.2017.pdf; Immigration and Refugee Board of Canada, Responses to Information Requests v. 11.01.2017 – PAK105713.E, abrufbar unter http://www...gc.ca/Eng/ ResRec/RirRdi/Pages/index.aspx?doc=456858& pls=1; U.S. Commission on International Religious Freedom, Selected Blasphemy Cases, September 2017, S. 9, abrufbar unter www../sites/default/files/Selected%20 Blasphemy%20Cases%20-%20September%202017.pdf).

Die oben genannte Durchsuchung des Hauptbüros der Ahmadis in Pakistan in Rabwah im Dezember 2016 wird auch im neuen Lagebericht des Auswärtigen Amtes erwähnt (Lagebericht v. 20.10.2017, S. 6).

(3) Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze und Erkenntnismittel stellt die Stadt Rabwah für einen seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, zu dessen verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und ggf. auch zu werben oder zu missionieren, keine inländische Fluchtalternative i.S.v. § 3e AsylG dar, wo er in zumutbarer Weise und ungefährdet seinen Glauben öffentlich leben kann (so im Ergebnis auch: VGH BW, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13 – juris Rn. 121; SächsOVG, U.v. 18.9.2014 – A 1 A 348/13 – juris Rn. 50; OVG NW, U.v. 14.12.2010 – 19 A 2999/06.A – juris Rn. 124-128; VG Bayreuth, U.v. 14.3.2017 – B 5 K 16.30291 – juris Rn. 28; VG Ansbach, U.v. 10.3.2017 – AN 11 K 16.31151 – juris Rn. 26; VG München, U.v. 18.5.2016 – M 23 K 14.31133 – juris Rn. 39; a.A. VG Augsburg, U.v. 10.3.2016 – Au 3 K 16.30051 – juris Rn. 16).

Soweit es die dem pakistanischen Staat unmittelbar zuzurechnenden Eingriffe betrifft, sind die (straf-)rechtlichen Rahmenbedingungen landesweit – auch in Rabwah – die gleichen. Ausweislich der oben zitierten Erkenntnismittel werden die Blasphemie-Strafgesetze (§§ 295, 298 PPC) gegen in Rabwah öffentlich in Zusammenhang mit ihrem Glauben in Erscheinung tretende Ahmadis auch tatsächlich vollzogen. Zur maßgeblichen tatsächlichen Verfolgungspraxis der Strafgesetze (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 28) in Rabwah seien exemplarisch nur die wiedergegebenen Verurteilungen des ahmadischen Buchhändlers aus dem Januar 2016 sowie der Mitarbeiter des ahmadischen Verlagshauses aus dem Mai 2017 genannt. Diese dokumentierten Fälle belegen nachdrücklich, dass – gerade im Wiederholungsfall – Ahmadis, die ihren Glauben öffentlich ausüben, auch in Rabwah mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit der Einleitung strafrechtlicher Ermittlungsverfahren nach den §§ 295, 298 PPC und mit entsprechenden Verurteilungen zu rechnen haben. Der Umstand, dass nur relativ wenige Fälle der Strafverfolgung nach den §§ 295, 298 PPC in Rabwah dokumentiert sind, ist mit der permanenten Bedrohungs- oder Einschüchterungslage auch in Rabwah zu erklären, die zu einem weitgehenden Verzicht der öffentlichen Glaubensausübung bei der großen Mehrheit der ahmadischen Bevölkerung geführt hat. In diesem Sinne ist das Gericht auch nicht davon überzeugt, dass ihren Glauben – ggf. wiederholt – in der Öffentlichkeit praktizierende Ahmadis in Rabwah vor tätlichen Übergriffen – etwa seitens der gewaltbereiten Organisation Kathm-e-Nabuwwat – hinreichend sicher sind. Ahmadis sind in Rabwah zwar weitgehend unter sich, anderseits jedoch für ihre Gegner sehr sichtbar. Die Polizei und die Sicherheitskräfte in Rabwah sind selbst keine Ahmadis und haben daher kein Interesse, die ahmadische Bevölkerung vor Übergriffen zu schützen. Insoweit sei ergänzend auf die in den Erkenntnismitteln genannten Gewalttaten verwiesen, wenngleich die Motivlage im Einzelfall unklar sein mag. Abschließend ist auch nicht ersichtlich, dass alle landesweit lebenden Ahmadis in Rabwah eine den Anforderungen des § 3e AsylG genügende wirtschaftliche Existenz finden könnten (vgl. zum Ganzen: VGH BW, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13 – juris Rn. 121; SächsOVG, U.v. 18.9.2014 – A 1 A 348/13 – juris Rn. 50; OVG NW, U.v. 14.12.2010 – 19 A 2999/06.A – juris Rn. 124-128; VG Bayreuth, U.v. 14.3.2017 – B 5 K 16.30291 – juris Rn. 28).

Auch die allgemein in pakistanischen Großstädten gegebene Anonymität bietet einem Ahmadi dann keinen ausreichenden Schutz, wenn er seinen Glauben öffentlich lebt (vgl. OVG NW, U.v. 14.12.2010 – 19 A 2999/06.A – juris Rn. 124-128).

dd) Nach alledem ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft i.S.v. § 3 AsylG im Hinblick darauf zuzuerkennen, dass von ihm bei einer Rückkehr nach Pakistan nicht verlangt werden kann, sich lediglich auf die Religionsausübung im Geheimen bzw. innerhalb seiner Gemeinde zu beschränken, da für ihn gerade die Ausübung ihrer Religion in der Öffentlichkeit und der Versuch, anderen Menschen ihren Glauben zu vermitteln, zentraler Bestandteil seines Glaubens sind und hieran die in Pakistan drohenden Verfolgungshandlungen anknüpfen (vgl. zum Ganzen VG Augsburg, U.v. 27.1.2014 – Au 6 K 13.30418 – juris Rn. 18).

2. Da dem Kläger somit die Flüchtlingseigenschaft i.S.v. § 3 AsylG zuzuerkennen ist, war der gegenständliche Bescheid des Bundesamts aufzuheben, soweit er dem entgegensteht. Diese Aufhebung umfasst insbesondere die in Nr. 5 des Bescheids gemäß §§ 34, 38 AsylG erlassene Abschiebungsandrohung, deren Grundlage entfallen ist. Über den hilfsweise gestellten Antrag auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG und die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG war nicht mehr zu entscheiden, da die Klage bereits im Hauptantrag erfolgreich war.

3. Nach alledem war der Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.

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Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 21. Nov. 2017 - Au 2 K 17.30246 zitiert 19 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 4 Subsidiärer Schutz


(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt: 1. die Verhängung oder Vollstreckung der To

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 11 Einreise- und Aufenthaltsverbot


(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen n

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3 Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft


(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich1.aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 83b Gerichtskosten, Gegenstandswert


Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 102


(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende di

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 34 Abschiebungsandrohung


(1) Das Bundesamt erlässt nach den §§ 59 und 60 Absatz 10 des Aufenthaltsgesetzes eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn 1. der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird,2. dem Ausländer nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wir

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3a Verfolgungshandlungen


(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen n

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3e Interner Schutz


(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er 1. in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und2. sicher und legal in diesen Landesteil r

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3b Verfolgungsgründe


(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen: 1. der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;2. der Begrif

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3d Akteure, die Schutz bieten können


(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden 1. vom Staat oder2. von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,sofern sie willens und in d

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 38 Ausreisefrist bei sonstiger Ablehnung und bei Rücknahme des Asylantrags


(1) In den sonstigen Fällen, in denen das Bundesamt den Ausländer nicht als Asylberechtigten anerkennt, beträgt die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist 30 Tage. Im Falle der Klageerhebung endet die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Ab

Strafgesetzbuch - StGB | § 298 Wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Ausschreibungen


(1) Wer bei einer Ausschreibung über Waren oder Dienstleistungen ein Angebot abgibt, das auf einer rechtswidrigen Absprache beruht, die darauf abzielt, den Veranstalter zur Annahme eines bestimmten Angebots zu veranlassen, wird mit Freiheitsstrafe bi

Referenzen - Urteile

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Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 21. Nov. 2017 - Au 2 K 17.30246 zitiert oder wird zitiert von 11 Urteil(en).

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Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 10. März 2016 - Au 3 K 16.30051

bei uns veröffentlicht am 10.03.2016

Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Tatbestand Der im Jahr 1994 geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger und gehört der Ahmadiyya-Glaubensge

Verwaltungsgericht Bayreuth Urteil, 26. März 2015 - B 3 K 14.30365

bei uns veröffentlicht am 26.03.2015

Tenor 1. Die Beklagte wird unter Aufhebung der Ziffern 1, 3, 4 und 5 des Bescheides vom 16.10.2014 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG zuzuerkennen. 2. Die Beklagte trägt die Kosten des gerichts

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 05. Aug. 2014 - 13a ZB 14.30188

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Tenor I. Der Antrag wird abgelehnt. II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung g

Verwaltungsgericht Bayreuth Urteil, 14. März 2017 - B 5 K 16.30291

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Tenor 1. Die Beklagte wird unter Aufhebung der Ziffern 1, 3, 4, 5, und 6 des Bescheides des Bundesamtes für ... vom 10. Februar 2016 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen. 2. Die Beklagt

Verwaltungsgericht Ansbach Urteil, 10. März 2017 - AN 11 K 16.31151

bei uns veröffentlicht am 10.03.2017

Tenor 1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Tatbestand Die Klägerin begehrt im Wege einer Verpflichtungsklage die Verpflichtung

Verwaltungsgericht München Urteil, 18. Mai 2016 - M 23 K 14.31133

bei uns veröffentlicht am 18.05.2016

Tenor I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 14. Oktober 2014 wird in den Nummer 1, 3, 4 und 5 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft i. S. d. § 3 Abs. 1 AsylG

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 12. Juni 2013 - A 11 S 757/13

bei uns veröffentlicht am 12.06.2013

Tenor Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Juli 2010 - A 4 K 1179/10 - wird zurückgewiesen.Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens.Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbe

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 31. Jan. 2013 - 10 C 15/12

bei uns veröffentlicht am 31.01.2013

Tatbestand 1 Der Kläger erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm in Afghanistan drohender Gefahren. 2

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 01. Juni 2011 - 10 C 25/10

bei uns veröffentlicht am 01.06.2011

Tatbestand 1 Der Kläger, ein 1960 geborener algerischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 20. Mai 2008 - A 10 S 3032/07

bei uns veröffentlicht am 20.05.2008

Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 28. September 2007 – A 6 K 258/07 – wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
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Verwaltungsgericht München Urteil, 18. Okt. 2018 - M 10 K 17.30895

bei uns veröffentlicht am 18.10.2018

Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Tatbestand Der Kläger wendet sich gegen den ablehnenden Asylbescheid der Beklagten. Der Kläger, ein pakistan

Referenzen

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Juli 2010 - A 4 K 1179/10 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger erstrebt im Wege des Asylfolgeverfahrens die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG.
Der 1979 geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger und gehört der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya an; er stammt aus einem Dorf im pakistanischen Teil des Punjab.
Zum Nachweis seiner Glaubenszugehörigkeit hat er Bescheinigungen der Ahmadiyya Muslim Jamaat Frankfurt vom 02.10.2000, 28.10.2010 sowie vom 06.12.2011 vorgelegt.
Nach seinen eigenen Angaben reiste er am 23.07.2000 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 24.07.2000 einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung im Asylerstverfahren durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 04.08.2000 brachte er im Wesentlichen vor, er gehöre von Geburt an der Religionsgemeinschaft der Ahmadis an und habe deshalb Verfolgungsmaßnahmen erlitten. So sei er beim Besuch der Moschee geschlagen worden. Gleiches sei ihm beim Tragen von religiösen Abzeichen widerfahren. Eines Nachts im Mai des Jahres 2000 sei er beim Bewachen von Getreide durch Diebe zusammengeschlagen worden. Am nächsten Tag habe sein Vater zusammen mit Freunden die Diebe zur Rede gestellt, worüber diese sehr erbost gewesen seien und gedroht hätten, ihn zu töten. Die Familie habe deshalb beschlossen, dass er sein Heimatland verlassen solle.
Mit Bescheid vom 15.09.2000 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Zugleich wurde dem Kläger die Abschiebung nach Pakistan angedroht. Der Kläger erhob hiergegen Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart, die mit Urteil vom 22.05.2001 (A 8 K 12809/00) abgewiesen wurde. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, es fehle an einem glaubhaften individuellen Verfolgungsschicksal des Klägers. Im Übrigen könne bei der gegenwärtigen Erkenntnislage eine Gruppenverfolgung von Ahmadis in Pakistan nicht angenommen werden. Das Urteil wurde durch Nichtzulassung der Berufung mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 09.10.2001 (A 6 S 688/01) rechtskräftig.
In den Jahren 2001 bis 2005 stellte der Kläger insgesamt fünf erfolglose Folgeanträge.
Am 08.12.2008 stellte der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten einen weiteren Asylfolgeantrag und trug zur Begründung vor: Durch die Richtlinie 2004/83/EG habe sich die Rechtslage zu seinen Gunsten nachträglich verändert. Nunmehr sei von einer Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan auszugehen. Art. 10 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2004/83/EG - Qualifikationsrichtlinie (QRL) - präzisiere den Verfolgungsgrund der Religion dahingehend, dass nunmehr auch Glaubensausübungen im öffentlichen Bereich mit umfasst seien. Damit sei unter anderem auch das aktive Missionieren vom Schutzbereich umfasst. Die bisherige Rechtsprechung zum religiösen Existenzminimum könne vor dem veränderten europarechtlichen Hintergrund nicht mehr aufrechterhalten werden. Der Kläger werde von diesen Einschränkungen vor allem der öffentlichen Religionsausübungsmöglichkeiten in Pakistan persönlich betroffen, da er eine religiös geprägte Persönlichkeit sei. So bete der Kläger regelmäßig und besuche die Moschee; er sehe es als seine religiöse Pflicht an, sich zu seinem Glauben zu bekennen und für diesen bei Andersgläubigen aktiv zu werben. Auch bekleide er Ämter innerhalb der religiösen Gemeinde. Im Übrigen habe sich die Verfolgungssituation der Ahmadis in Pakistan erheblich verschärft. Er habe erstmalig Anfang November 2008 von zwei Glaubensgenossen erfahren, dass diese aufgrund von Europarecht durch das Verwaltungsgericht Karlsruhe als Flüchtlinge anerkannt worden seien; er habe sich deshalb am 01.12.2008 an seinen nunmehrigen Prozessbevollmächtigten gewandt.
Mit Bescheid vom 30.03.2010 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Ziffer 1) und auf Abänderung des Bescheids vom 15.09.2000 hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (Ziffer 2) ab.
Am 31.03.2010 erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart mit dem Ziel einer Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie der Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Zur Begründung nahm er im Wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen im Verwaltungsverfahren Bezug. Ergänzend trug er zur aktuellen Lage der Ahmadis in Pakistan vor. Im Übrigen führte er aus, er selbst sei eine religiös geprägte Persönlichkeit und seinem Glauben eng verbunden. Er bete regelmäßig, besuche die Moschee und nehme an den Gemeindeveranstaltungen teil. Insbesondere habe er auch eine Aufgabe innerhalb der Gemeinde, er sei als sog. „Ziafat“ tätig und als solcher für die Organisation der Essenszubereitung bei Gemeindeveranstaltungen zuständig.
10 
Mit Urteil vom 09.07.2010 - A 4 K 1179/10 - verpflichtete das Verwaltungsgericht Stuttgart die Beklagte, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, und hob die Ziffern 1 und 2 des Bescheids des Bundesamtes vom 30.03.2010 auf, soweit sie dem entgegenstehen. Zur Begründung wies das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteile vom 20.11.2007   - A 10 S 70/06 - und vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07) hin. Der Kläger sei von den Restriktionen, die nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in den genannten Urteilen für die öffentliche Glaubensausübung von Ahmadis in Pakistan zu verzeichnen seien, selbst betroffen. Aufgrund der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dieser Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft sei. Das Gericht habe in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass der Kläger eng mit seinem Glauben verbunden sei, diesen in der Vergangenheit regelmäßig ausgeübt habe und dies auch gegenwärtig in einer Weise tue, dass er im Fall einer Rückkehr von der vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg beschriebenen Situation selbst betroffen werde. So habe der Kläger nachvollziehbar geschildert, dass und wie er seinen Glauben hier in Deutschland lebe; er sei aktives Mitglied seiner jetzigen religiösen Gemeinde. Über die geschilderte gemeindeinterne Betätigung hinaus habe der Kläger dargelegt, auch an öffentlichkeitswirksamen überörtlichen Veranstaltungen der Ahmadis teilgenommen zu haben. Nach der Überzeugung des Gerichts sei es ihm ein inneres Bedürfnis, mit anderen über seinen Glauben zu sprechen und für diesen aktiv zu werben.
11 
Am 02.08.2010 beantragte die Beklagte die Zulassung der Berufung.
12 
Mit Beschluss vom 10.01.2011 wurde die Berufung ohne Beschränkung zugelassen.
13 
Am 01.02.2011 begründete die Beklagte die Berufung unter Stellung eines förmlichen Antrags und führte dabei im Wesentlichen aus: Es bestünden bereits erhebliche Zweifel, ob die formellen Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfüllt seien. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bestehe auch in der Sache kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG. Das Verwaltungsgericht folge in fehlerhafter Weise der vom Gerichtshof in seinem Urteil vom 20.05.2008 vertretenen Auffassung, dass sich der Schutzbereich der Religionsausübungsfreiheit unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie wesentlich erweitert habe. An dieser vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Rechtsprechung des Senats könne im Hinblick auf eine neuere Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.03.2009 (10 C 51.07) nicht uneingeschränkt festgehalten werden. In rechtsfehlerhafter Weise habe das Verwaltungsgericht auch die Ziffer 2 des Bescheids vom 30.03.2010 aufgehoben, mit der das Bundesamt die Abänderung des nach altem Recht ergangenen Bescheids vom 15.09.2000 bezüglich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG abgelehnt habe. Die knappe und nicht näher nachvollziehbare Begründung des Urteils deute darauf hin, dass das Verwaltungsgericht den Regelungsgehalt des § 31 Abs. 3 AsylVfG verkenne. Die Voraussetzungen für derartige Abschiebungsverbote lägen im Übrigen nicht vor.
14 
Der Kläger wurde in der mündlichen Verhandlung vom 13.12.2011 informatorisch angehört; insoweit wird auf die Niederschrift verwiesen.
15 
Durch Urteil vom 13.12.2011 (A 10 S 69/11) wurde die Berufung mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor wie folgt gefasst wurde: „Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen. Ziffer 1 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 30.03.2010 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.“ Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG lägen vor. Mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007 am 28.08.2007 sei eine relevante Änderung der Rechtslage i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VwVfG eingetreten (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.12.2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289; Urteil des Senats vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris). Auch sei die Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG mit der Antragstellung am 05.12.2008 gewahrt worden.
16 
Das Gericht gehe im Anschluss an seine Urteile vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07) sowie vom 27.09.2010 (A 10 S 689/08) davon aus, dass sich die maßgebliche Rechtslage bei Anwendung der Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie sowohl hinsichtlich des hier in Rede stehenden Schutzbereichs der Religionsausübungsfreiheit als auch des Prognosemaßstabs für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit geändert habe.
17 
Wie im Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07 - a.a.O.) näher dargelegt, gehe die Vorschrift des Art. 10 Abs. 1 lit. b) QRL nach ihrem eindeutigen Wortlaut über den Schutz hinaus, der nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Art. 16a Abs. 1 GG unter dem Aspekt der religiösen Verfolgungsgründe eingeräumt worden sei, jedenfalls wenn nicht die Gefahr eines Eingriffs in Leib, Leben oder Freiheit aufgrund einer bereits vor Ausreise aus dem Heimatland ausgeübten religiösen Betätigung in Rede stehe (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 - BVerwGE 133, 221). Zur Glaubensfreiheit gehöre somit nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensinhalten und Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln. Teil der Religionsausübung seien nicht nur alle kultischen Handlungen und die Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche, wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozessionen etc., sondern auch religiöse Erziehung, Feiern und alle Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens in der Öffentlichkeit. Umfasst würden schließlich auch das Recht, den Glauben werbend zu verbreiten und andere von ihm zu überzeugen. Die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes setze darüber hinaus voraus, dass eine relevante Verfolgungshandlung des maßgeblichen Verfolgers (vgl. hierzu Art. 6 f. QRL) festgestellt werde, die allein oder in der Gesamtheit mit anderen Verfolgungshandlungen eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts ausmache (vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und b QRL). Erst an dieser Stelle erweise sich im jeweils konkreten Einzelfall, sofern auch die nach Art. 9 Abs. 3 QRL erforderliche Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund festgestellt werden könne, ob der oder die Betreffende die Flüchtlingseigenschaft besitze.
18 
Auf der Grundlage der Feststellungen in den Urteilen vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07) und vom 27.09.2010 (A 10 S 689/08) und deren Fortschreibung bis zur mündlichen Verhandlung drohe einem bekennenden Ahmadi, der zu seinem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehe und seinen Glauben in Pakistan öffentlich betätigen wolle, eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts und damit eine flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL.
19 
Das Gericht habe, insbesondere auch aufgrund der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten informatorischen Anhörung des Klägers, die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden sei und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziere, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Nach dem in der informatorischen Befragung gewonnen Gesamteindruck halte das Gericht die Angaben des Klägers zu seiner Glaubensausübung in Pakistan für uneingeschränkt glaubhaft. Im übrigen habe der Kläger im Rahmen der informatorischen Befragung überzeugend ausgeführt, ein religiös geprägtes Leben in Pakistan geführt zu haben, auch wenn er keine herausgehobene Funktion oder ein Amt in seiner Gemeinde bekleidet habe. Er habe jedoch glaubhaft dargelegt, so oft als möglich, mindestens jedoch dreimal am Tag, das Gebet in der Moschee der Ahmadis verrichtet zu haben. Dies spreche im vorliegenden Fall bereits deshalb für einen engen Glaubensbezug, weil das Aufsuchen der Moschee aufgrund der Berufstätigkeit des Klägers in der Landwirtschaft und der Entfernung der Felder zu der Moschee mit einem erheblichen Aufwand verbunden gewesen sei. Darüber hinaus habe der Kläger glaubhaft geschildert, bei Bedarf in seiner religiösen Gemeinde untergeordnete Tätigkeiten, etwa Reinigungsdienste, ausgeübt zu haben. Auch wenn es sich dabei wohl nicht um eine religiöse Betätigung gehandelt haben dürfte, die über die übliche Glaubensausübung in Pakistan hinausgehe, spreche sie doch für eine enge und verpflichtende Verbundenheit zu dem Glauben der Ahmadiyyas. Was die Angaben des Klägers zu seiner Religionsausübung im Bundesgebiet angehe, seien diese nach dem gewonnenen Eindruck glaubhaft. Das Gericht glaube dem Kläger uneingeschränkt, dass er sich seit seiner Einreise im Jahre 2000 jeweils in der zuständigen Gemeinde der Ahmadis betätige, regelmäßig zum Gebet in die Moschee gehe und verschiedene untergeordnete Tätigkeiten ausübe. So habe der Kläger etwa überzeugend und glaubhaft geschildert, wie er sich unmittelbar nach seiner Einreise zu der Ahmadi-Gemeinde nach XXX begeben und sich dort in vielfältiger Weise sozial und kulturell engagiert habe. Insbesondere habe der Kläger in der Gemeinde XXX nicht nur die in der Heimat bereits geleisteten Hilfsdienste fortgesetzt, sondern sich nunmehr auch öffentlichkeitswirksam religiös betätigt. So habe er sich bereits in XXX monatlich an einem Bücherstand vor dem Bahnhof beteiligt und Andersgläubige in missionarischer Absicht angesprochen. Gerade diese missionarischen Aktivitäten stellten ein wesentliches, wenn auch nicht zwingend erforderliches Indiz für die Annahme einer verpflichtenden Verbundenheit mit dem Glauben der Ahmadis dar. Nach seinem Umzug nach XXX habe der Kläger vor allem auch diese missionarischen Aktivitäten fortgesetzt und intensiviert. Der Senat glaube dem Kläger, im Jahre 2010 einen Landsmann zum ahmadischen Glauben bekehrt zu haben. In diesem Zusammenhang habe der Kläger weiterhin glaubhaft ausgeführt, ihm wohlgesonnene Landsleute regelmäßig zum Besuch seiner eigenen Moschee in missionarischer Absicht eingeladen zu haben. Dies zeige, dass es dem Kläger in Übereinstimmung mit den Glaubensgrundsätzen der Ahmadis ein inneres Anliegen sei, eigene Landsleute von seinem Glauben zu überzeugen. Darüber hinaus nehme der Kläger regelmäßig an überregionalen öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen seiner Glaubensgemeinschaft teil. Auch habe er nachvollziehbar geschildert, in seiner Familie ein streng glaubensgebundenes Leben zu führen und sich insbesondere für die religiöse Erziehung seiner kleinen Tochter einzusetzen. Diesem Eindruck stehe auch nicht entgegen, dass der Kläger lediglich über ein eingeschränktes theologisches Wissen verfüge. Nach der Überzeugung des Gerichts handele es sich bei dem Kläger um einen „einfachen“ Ahmadi, der seinem Glauben jedoch verpflichtend verbunden sei und diesen insbesondere auch öffentlichkeitswirksam, vor allem durch Entfaltung missionarischer Aktivitäten, leben wolle. Damit gehöre der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stünden und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen seien.
20 
Da dem Kläger nach dem oben Gesagten die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen sei, bedürfe es keiner Entscheidung über die hilfsweise begehrte Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht Ziffer 2 des versagenden Bescheides des Bundesamtes vom 30.03.2010 aufgehoben; insoweit sei der Tenor wie erfolgt neu zu fassen.
21 
Das Urteil wurde der Beklagten am 17.01.2012 zugestellt.
22 
Am 16.02.2012 legte die Beklagte die zugelassene Revision ein und begründete diese am 16.03.2012.
23 
Mit Beschluss vom 12.05.2012 setzte das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.12.2010 aus. Nachdem der Europäische Gerichtshof die Vorlagefragen durch Urteil vom 05.09.2012 (C-71/11 u.a.) beantwortet hatte, wurde das Verfahren fortgesetzt.
24 
Durch Urteil vom 20.02.2013 (10 C 23.12) hob das Bundesverwaltungsgericht das Urteil vom 13.12.2011 auf und wies den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurück. Nicht mit Bundesrecht vereinbar sei die vom Berufungsgericht gestellte Verfolgungsprognose. Der Verwaltungsgerichtshof habe das Ergebnis, dass die beschriebenen Verfolgungsgefahren für bekennende Ahmadis bestünden, die ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollten, nicht auf der Grundlage einer nachvollziehbaren Gefahrenprognose entwickelt. Nicht zu beanstanden sei der Ausgangspunkt, dass sich der Kläger nicht mit Erfolg auf eine begründete Furcht vor Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer augenblicklich bestehenden Gruppenverfolgung berufen könne. Das Urteil lasse jedoch nicht erkennen, aufgrund welcher Tatsachen und nach welchem Prognosemaßstab es dann die hinreichende Verfolgungsbetroffenheit für bekennende Ahmadis bejahe, die ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollten. Hänge die Verfolgungsgefahr von einem willensgesteuerten Verhalten ab - hier: der Praktizierung des Glaubens in der Öffentlichkeit -, sei für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben genau in dieser Weise praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Das sei in dem angefochtenen Urteil nicht erfolgt. Das Berufungsgericht habe weder - wie geboten - die Zahl der ihren Glauben entgegen den genannten Verboten öffentlich praktizierenden Ahmadis jedenfalls annäherungsweise bestimmt noch festgestellt, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe träfen. Nur wenn eine wertende Betrachtung ergebe, dass für die Gruppe der ihren Glauben öffentlich praktizierenden Ahmadis in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko bestehe, könne daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die vom Berufungsgericht als verfolgungsbetroffen gewertete Gesamtgruppe der Ahmadis, zu deren religiösem Selbstverständnis die Praktizierung des Glaubens in der Öffentlichkeit gehöre, einem beachtlichen Verfolgungsrisiko ausgesetzt sei.
25 
Der Kläger und die Beklagte haben sich durch Schriftsätze jeweils vom 08.05.2013 sowie vom 29.05.2013 zum Revisionsurteil sowie zu der vom Senat aufgeworfenen Frage nach weiteren Ermittlungsansätzen für die Erstellung der Verfolgungsprognose geäußert. Hierauf wird im Einzelnen verwiesen.
26 
Auf Anregung des Prozessbevollmächtigten des Klägers hat der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ Frankfurt unter dem 06.06.2013 eine Stellungnahme vorgelegt u.a. zu Einzelheiten des Berichts- und Dokumentationssystem zu Übergriffen gegen Ahmadis in Pakistan, das der von der Londoner Organisation betriebenen Website „thepersecution.org“ zugrunde liegt.
27 
Die Beklagte beantragt,
28 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Juli 2010 - A 4 K 1179/10 - zu ändern, soweit die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausgesprochen sowie die Ziffer 1 des Bescheids vom 30. März 2010 aufgehoben wurde, soweit er dem entgegensteht, und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
29 
Der Kläger beantragt,
30 
die Berufung zurückzuweisen.
31 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung erneut informatorisch angehört; wegen der dabei gemachten Angaben wird auf die Anlage zur Niederschrift verwiesen.
32 
Auf die den Beteiligten mit der Ladung übersandte Erkenntnisquellenliste wird verwiesen.
33 
Dem Senat liegen die Asylverfahrensakten des Bundesamts (7 Bd), die Ausländerakten (3 Bd), die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart sowie die Akten des 10. Senats hinsichtlich des streitgegenständlichen Folgeverfahrens vor.

Entscheidungsgründe

 
34 
I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch die Verpflichtung der Beklagten auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie die ergänzende Aufhebung der dem entgegenstehenden Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 30.03.2010. Denn im Berufungsurteil vom 13.12.2011 wurde, wenn auch nicht ausdrücklich im Tenor, die Klage hinsichtlich der Ziffer 2 des Bescheids abgewiesen (vgl. insbesondere auch UA S. 35 unten). Da die Beklagte auch nur in diesem Umfang durch das Urteil beschwert war, muss davon ausgegangen werden, dass sie nur insoweit die zugelassene Revision eingelegt hat, mit der Folge, dass auch die Aufhebung des Urteils vom 13.12.2011 durch das Bundesverwaltungsgericht nur diesen Teil betreffen kann. Die Beteiligten sehen dies nicht anders.
35 
II. Dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und 3 VwVfG vorliegen, wurde im Urteil vom 13.12.2011 im Einzelnen dargelegt. Hierauf kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden.
36 
III. Grundlage für das Begehren des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.
37 
Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 20.02.2013, mit dem der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde, in maßstäblicher Hinsicht folgendes ausgeführt:
38 
„2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 2011/95/EU (zuvor: Richtlinie 2004/83/EG) - im Folgenden: Richtlinie - geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen .
39 
Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie ergänzend anzuwenden. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist. Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen des Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie und den Verfolgungshandlungen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie bestehen.
40 
2.2 Das Berufungsgericht hat die vom Kläger als Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft (Ahmadi) geltend gemachte Verfolgungsgefahr zutreffend als Furcht vor einem Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung gewertet (UA S. 13). Denn Ahmadis droht in Pakistan die Gefahr einer Inhaftierung und Bestrafung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht schon wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft als solcher. Die Verwirklichung der Gefahr hängt vielmehr von dem willensgesteuerten Verhalten des einzelnen Glaubensangehörigen ab: der Ausübung seiner Religion mit Wirkung in die Öffentlichkeit. In solchen Fällen besteht der unmittelbar drohende Eingriff in einer Verletzung der Freiheit, die eigene Religion entsprechend den geltenden Glaubensregeln und dem religiösen Selbstverständnis des Gläubigen zu praktizieren, weil der Glaubensangehörige seine Entscheidung für oder gegen die öffentliche Religionsausübung nur unter dem Druck der ihm drohenden Verfolgungsgefahr treffen kann. Er liegt hingegen nicht in der Verletzung der erst im Fall der Praktizierung bedrohten Rechtsgüter (z.B. Leib, Leben, persönliche Freiheit). Etwas anderes gilt dann, wenn der Betroffene seinen Glauben im Herkunftsland bereits praktiziert hat und ihm schon deshalb - unabhängig von einer willensgesteuerten Entscheidung über sein Verhalten in der Zukunft - unmittelbar die Gefahr z.B. einer Inhaftierung und Bestrafung droht. Eine derartige Vorverfolgung hat das Berufungsgericht hier jedoch nicht festgestellt .
41 
2.3 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat auf Vorlage des Senats durch Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe in die Religionsfreiheit als Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden können .
42 
2.3.1 Der Gerichtshof sieht in dem in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) verankerten Recht auf Religionsfreiheit ein grundlegendes Menschenrecht, das eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft darstellt und Art. 9 EMRK entspricht. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten (EuGH a.a.O. Rn. 57). Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in das durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta garantierte Recht auf Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dar (Rn. 58). Zunächst muss es sich um eine Verletzung dieser Freiheit handeln, die nicht durch gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Grundrechtsausübung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GR-Charta gedeckt ist. Weiterhin muss eine schwerwiegende Rechtsverletzung vorliegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt (Rn. 59). Das setzt nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie voraus, dass die Eingriffshandlungen einer Verletzung der grundlegenden Menschenrechte gleichkommen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf (Rn. 61) .
43 
2.3.2 Zu den Handlungen, die nach der Rechtsprechung des EuGH eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Der Gerichtshof hält es mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie nicht für vereinbar, die Beachtlichkeit einer Verletzungshandlung danach zu beurteilen, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift (Rn. 62 f.). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an der vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung für den Flüchtlingsschutz (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 <19 ff.>) nicht mehr fest. Folglich ist bei der Bestimmung der Handlungen, die aufgrund ihrer Schwere verbunden mit der ihrer Folgen für den Betroffenen als Verfolgung gelten können, nicht darauf abzustellen, in welche Komponente der Religionsfreiheit eingegriffen wird, sondern auf die Art der ausgeübten Repressionen und ihre Folgen für den Betroffenen (Rn. 65 mit Verweis auf Rn. 52 der Schlussanträge des Generalanwalts) .
44 
Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (Rn. 67). Der Gerichtshof verwendet in der verbindlichen deutschen Sprachfassung des Urteils (vgl. Art. 41 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012, ABI L 265/1 vom 29. September 2012) zwar nur den Begriff „verfolgt", ohne dies ausdrücklich auf eine strafrechtliche Verfolgung zu beziehen. Es wäre jedoch zirkulär, den Begriff der „asylerheblichen Verfolgung" durch „Verfolgung" zu definieren. Dafür spricht zudem ein Vergleich der deutschen mit der französischen, englischen und italienischen Fassung des Urteils. In allen drei zum Vergleich herangezogenen Sprachfassungen ist von strafrechtlicher Verfolgung die Rede. Darüber hinaus ist auch die im Fall der Religionsausübung drohende Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben sowie der (physischen) Freiheit hinreichend schwerwiegend, um die Verletzung der Religionsfreiheit als Verfolgungshandlung zu bewerten .
45 
2.3.3 Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Das ergibt sich insbesondere aus der Aussage des Gerichtshofs in Rn. 69, dass schon das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie und somit eine Verfolgung darstellen kann, wenn der Verstoß dagegen die tatsächliche Gefahr der dort genannten Sanktionen und Konsequenzen heraufbeschwört. Kann Verfolgung somit schon in dem Verbot als solchem liegen, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen (z.B. in Leben oder Freiheit) letztlich nicht an .
46 
Diesem Verständnis der Entscheidung, das den Flüchtlingsschutz gegenüber der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorverlagert, steht nicht entgegen, dass der Gerichtshof in seinen Ausführungen auf die Gefahr abstellt, die dem Ausländer bei „Ausübung dieser Freiheit" (Rn. 67 und 72) bzw. der „religiösen Betätigung" (Rn. 73, 78 und 79 f.) droht. Denn damit nimmt dieser lediglich den Wortlaut der entsprechenden Vorlagefragen 2a und 3 des Senats auf, ohne dass darin eine notwendige Voraussetzung für die Flüchtlingsanerkennung liegt. Könnte nicht schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen, blieben Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten (so auch Lübbe, ZAR 2012, 433 <437>). Diese Erstreckung auch auf einen erzwungenen Verzicht entspricht dem Verständnis des britischen Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) in seinem Grundsatzurteil vom 14. November 2012 - MN and others [2012] UKUT 00389(IAC) Rn. 79) betreffend die religiöse Verfolgung von Ahmadis in Pakistan und dem Urteil des Supreme Court of the United Kingdom betreffend die Verfolgung wegen Homosexualität vom 7. Juli 2010 (HJ v. Secretary of State for the Home Department [2010] UKSC 31 Rn. 82). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an seiner vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 a.a.O. <23>) nicht mehr fest .
47 
2.3.4 Nach der Rechtsprechung des EuGH hängt die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu erfüllen, von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (Rn. 70). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.2). Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (so auch Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen vom 19. April 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11, Rn. 82) .
48 
Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit sieht der Gerichtshof den Umstand an, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (Rn. 70). Denn der Schutzbereich der Religion erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet (Rn. 71). Dabei bestätigt der EuGH die Auffassung des Senats, dass es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers ankommt, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270 Rn. 43). Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist .
49 
Der vom EuGH entwickelte Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nach dem Verständnis des Senats nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste (vgl. zu den strengeren Maßstäben der Rechtsprechung zur Gewissensnot von Kriegsdienstverweigerern: Urteil vom 1. Februar 1982 - BVerwG 6 C 126.80 - BVerwGE 64, 369 <371> m.w.N.). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (so schon Beschluss vom 9. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 43) .
50 
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Bei Ahmadis aus Pakistan ist zunächst festzustellen, ob und seit wann sie der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehören. Hierbei dürfte sich die Einholung einer Auskunft der Zentrale der Glaubensgemeinschaft in Deutschland anbieten, die ihrerseits auf die Erkenntnisse des Welt-Headquarters in London - insbesondere zur religiösen Betätigung des Betroffenen in Pakistan - zurückgreifen kann (so auch das britische Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14. November 2012 a.a.O. Leitsatz 5). Nähere Feststellungen über die religiöse Betätigung eines Ausländers vor seiner Ausreise verringern auch das Risiko einer objektiv unzutreffenden Zuordnung zu einer Glaubensgemeinschaft (s.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. November 2012, S. 14). Zusätzlich kommt die Befragung eines Vertreters der lokalen deutschen Ahmadi-Gemeinde in Betracht, der der Asylbewerber angehört. Schließlich erscheint im gerichtlichen Verfahren eine ausführliche Anhörung des Betroffenen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in aller Regel unverzichtbar. Wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger seinen Glauben in Pakistan nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, sind die Gründe hierfür aufzuklären. Denn der Verzicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung im Herkunftsland kennzeichnet die religiöse Identität eines Gläubigen dann nicht, wenn er aus begründeter Furcht vor Verfolgung erfolgte. Ergibt die Prüfung, dass der Kläger seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechender Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen .
51 
2.3.5 Das Verbot einer öffentlichen religiösen Betätigung als solches kann aber nur dann als hinreichend schwere Verletzung der Religionsfreiheit und damit als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden, wenn der Asylbewerber - über die soeben genannten objektiven und subjektiven Gesichtspunkte hinaus - bei Ausübung der verbotenen öffentlichkeitswirksamen Glaubensausübung in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Das bedeutet, dass die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen müssen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (Richtlinie 2011/95/EU: Art. 2 Buchst. d) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 22). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. Urteile vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.> und vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 24). Im vorliegenden Fall kommt es darauf an, ob der Kläger berechtigterweise befürchten muss, dass ihm aufgrund einer öffentlichen religiösen Betätigung in Pakistan, die zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schweren Rechtsgutverletzung droht, insbesondere die Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.4) .
52 
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht für pakistanische Staatsangehörige in ihrem Heimatland allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft noch keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr (UA S. 32). Eine solche droht nur „bekennenden Ahmadis", die „ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollen" (UA S. 33). Das Berufungsgericht hält zur Feststellung der Verfolgungswahrscheinlichkeit die für eine Gruppenverfolgung geltenden Maßstäbe insoweit mit Recht nicht für vollumfänglich übertragbar, als eine Vergleichsbetrachtung der Zahl der stattgefundenen Verfolgungsakte zur Gesamtzahl aller Ahmadis in Pakistan (etwa 4 Millionen) oder der bekennenden Ahmadis (500 000 bis 600 000) die unter Umständen hohe Zahl der Glaubensangehörigen unberücksichtigt ließe, die aus Furcht vor Verfolgung auf ein öffentliches Praktizieren ihrer Religion verzichten. Hängt die Verfolgungsgefahr aber von dem willensgesteuerten Verhalten des Einzelnen - der verbotenen Ausübung des Glaubens in der Öffentlichkeit - ab, ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben trotz der Verbote in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Dabei ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass die Ausübung religiöser Riten in einer Gebetsstätte der Ahmadis bereits als öffentliche Betätigung gewertet und strafrechtlich sanktioniert wird. Die Zahl der ihren Glauben in strafrechtlich verbotener Weise praktizierenden Ahmadis ist - bei allen damit verbundenen, auch dem Senat bekannten Schwierigkeiten - jedenfalls annäherungsweise zu bestimmen. In einem weiteren Schritt ist sodann festzustellen, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe treffen. Dabei ist insbesondere zu ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ahmadi inhaftiert und bestraft wird, der entgegen den Vorschriften des Pakistan Penal Code bei seiner Glaubensausübung religiöse Begriffe und Riten des Islam benutzt, seinen Glauben öffentlich bekennt oder für ihn wirbt. Bei der Relationsbetrachtung, die die Zahl der ihren Glauben verbotswidrig in der Öffentlichkeit praktizierenden Ahmadis mit der Zahl der tatsächlichen Verfolgungsakte in Beziehung setzt, ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine wertende Betrachtung handelt, die auch eventuell bestehende Unsicherheiten und Unwägbarkeiten der staatlichen Strafverfolgungspraxis mit einzubeziehen hat. Besteht aufgrund einer solchen Prognose für die - möglicherweise zahlenmäßig nicht große - Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe der Ahmadis, für die diese öffentlichkeitswirksamen Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist .
53 
2.4 Bei Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind alle Akte zu berücksichtigen, denen der Antragsteller ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden droht, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten können (vgl. Urteil des EuGH vom 5. September 2012 a.a.O. Rn. 68). Liegt keine Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vor, ist weiter zu prüfen, ob sich eine solche aus einer Gesamtbetrachtung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ergibt. Buchstabe a erfasst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Nach Buchstabe b kann auch eine Kumulation unterschiedlicher Maßnahmen die Qualität einer Verletzungshandlung haben, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Buchstabe a. Die Maßnahmen im Sinne von Buchstabe b können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen .
54 
In Buchstabe a beruht die Schwere der Eingriffshandlungen auf ihrer Art oder Wiederholung („nature or repetition"). Während die „Art" der Handlung ein qualitatives Kriterium beschreibt, enthält der Begriff der „Wiederholung" eine quantitative Dimension (so auch Hailbronner/Alt, in: Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1072 Rn. 30). Der Gerichtshof geht in seinem Urteil vom 5. September 2012 (Rn. 69) davon aus, dass das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen kann. Der Qualifizierung als „ein" Verbot steht nicht entgegen, dass dieses in mehreren Strafvorschriften des Pakistan Penal Code mit unterschiedlichen Straftatbeständen normiert ist. Das Verbot kann von so schwerwiegender „Art" sein, dass es für sich allein die tatbestandliche Voraussetzung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfüllt. Andere Maßnahmen können hingegen unter Umständen nur aufgrund ihrer Wiederholung vergleichbar gravierend wirken wie ein generelles Verbot .
55 
Setzt die Erfüllung des Tatbestandes von Buchstabe a mithin eine bestimmte gravierende Eingriffshandlung oder die Wiederholung gleichartiger Handlungen voraus, ermöglicht die Tatbestandsalternative des Buchstabe b in einer erweiterten Perspektive die Berücksichtigung einer Kumulation unterschiedlicher Eingriffshandlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie aufgeführt sind. Die Kumulationsbetrachtung entspricht auch dem Verständnis des UNHCR vom Verfolgungsbegriff in Art. 1 A Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rn. 53). In die nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie erforderliche Gesamtbetrachtung können insbesondere verschiedenartige Diskriminierungen gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft einbezogen werden, z.B. beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen (vgl. UNHCR Richtlinie vom 28. April 2004 zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung, HCR/GIP/04/06 Rn. 17). Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Buchstabe a entspricht .
56 
Daher sind bei der Prüfung einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie zunächst alle in Betracht kommenden Eingriffshandlungen in den Blick zu nehmen, und zwar Menschenrechtsverletzungen wie sonstige schwerwiegende Repressalien, Diskriminierungen, Nachteile und Beeinträchtigungen. In dieser Prüfungsphase dürfen Handlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie genannt werden, nicht vorschnell deshalb ausgeschlossen werden, weil sie nur eine Diskriminierung, aber keine Menschenrechtsverletzung darstellen (ähnlich Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz - Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, Kapitel 4 § 13 Rn. 18). Zunächst ist aber zu prüfen, ob die Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vorliegt. Ist das nicht der Fall, ist weiter zu prüfen, ob die Summe der nach Buchstabe b zu berücksichtigenden Eingriffe zu einer ähnlich schweren Rechtsverletzung beim Betroffenen führt wie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie. Ohne eine fallbezogene Konkretisierung des Maßstabs für eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie kann die bewertende Beurteilung nach Buchstabe b, ob der einzelne Asylbewerber unterschiedlichen Maßnahmen in einer so gravierenden Kumulation ausgesetzt ist, dass seine Betroffenheit mit der in Buchstabe a vergleichbar ist, nicht gelingen. Stellt das Gericht hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der „Betroffenheit in ähnlicher Weise" keine Vergleichsbetrachtung mit den von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfassten Verfolgungshandlungen an, liegt darin ein Verstoß gegen Bundesrecht“ .
57 
IV. Ausgehend hiervon besteht zwar kein Grund zu der Annahme, dass bereits aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya unterschiedslos die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter dem Aspekt einer Gruppenverfolgung vorliegen. Etwas anderes ergibt sich jedoch für die bekennenden Ahmadis, die es nach ihrem Glaubensverständnis für sich als identitätsbestimmend ansehen, ihren Glauben – auch werbend – in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. hierzu im Folgenden und auch noch unten 2 e); vgl. schon VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.05.2008 - A 11 S 3032/07 - juris; vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris).
58 
1. a) Zum Hintergrund der heutigen Situation der Ahmadis in Pakistan hatte der HessVGH bereits im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A - juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
59 
„Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
60 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
61 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bay. VGH am 22.01.1985, S. 7).
62 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
63 
b) Auch die aktuell verfügbaren Zahlen zur Größe der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern bzw. diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.02.2008, Ziff. 19.41 und vom 07.12.2012, Ziff. 19.98, das von 291.000 bis 600.000 bekennenden Ahmadis ausgeht). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 02.11.2012, S. 13) wiederum nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien. Der vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 im Verfahren A 12 K 2890/12 vernommene Raja Muhammad Yousaf Khan, der Mitarbeiter des „Ahmadiyya Muslim Jamaat e.V., Frankfurt“ ist, hat ausgesagt, dass der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ von etwa 400.000 bekennenden Ahmadis in Pakistan ausgeht, die er als solche Personen beschreibt, die regelmäßig Kontakt zu den lokalen Gemeinden haben, wobei sich aus der Niederschrift keine genauer nachvollziehbaren Hinweise ablesen lassen, wie diese Zahl ermittelt bzw. hergeleitet wurde. Der Umstand, dass in den anlässlich der jüngst abgehaltenen Wahl erstellten Wählerverzeichnissen (sog. „Nada-Dateien“) nur rund 200.000 wahlberechtigte Ahmadis geführt werden, stellt die Zahl von 400.000 nicht grundsätzlich infrage, weil Ahmadis seit Jahren schon die Wahlen selbst boykottieren (vgl. unten Ziffer 2 a). Der Senat kann nicht davon ausgehen, dass alle etwa 400.000 „bekennenden Ahmadis“ auch solche sind, für die das Leben ihres Glaubens in der Öffentlichkeit und ggf. das Werben für den Glauben identitätsbestimmend und daher unverzichtbar sind (vgl. zur Eingrenzung der Gruppe noch unten 2 e), was allerdings nach der – auch offiziellen – Lehre der Ahmadiyya-Bewegung von zentraler Bedeutung ist (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16). Denn der bloße regelmäßige Kontakt zur lokalen Gemeinde ist hierfür sicher unzureichend, zumal, wie noch auszuführen sein wird, das gemeinsame Gebet jedenfalls in kleineren Gebetshäusern in der Regel faktisch möglich ist, selbst wenn es auch hier vermutlich immer wieder Übergriffe und Einschränkungen bzw. staatliche Verfolgungsmaßnahmen gibt. Nach dem International Religious Freedom Report Pakistan des United States Department of State für das Jahr 2011 (S. 2) waren allerdings überhaupt keine verlässlichen Daten über die Anzahl der Ahmadis, die sich aktiv an religiösen Ritualen oder Gottesdiensten beteiligen, verfügbar oder von den amerikanischen Stellen zu ermitteln, was dann gleichermaßen für diejenigen gelten muss, die aktiv den Glauben vertretend und praktizierend in der Öffentlichkeit auftreten. Vergleichbares gilt im Übrigen – angesichts der Größe des Landes für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar – für die Ermittlung verlässlicher Daten zur Frage der Häufigkeit von Übergriffen auf Ahmadis in Pakistan von Seiten privater Akteure (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2011 Ziff. 19.162). Zwar werden von den im Inland- und Ausland ansässigen Organisationen der Ahmadiyya-Gemeinschaft regelmäßig (monatliche und jährliche) Zusammenstellungen über – v.a. von nicht staatlichen Akteuren ausgehende – Übergriffe auf Ahmadis herausgegeben und ins Internet gestellt (www.thepersecution.org/), es ist aber auch nach dem Vortrag der Beteiligten für den Senat kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass diese auf einem lückenlosen und landesweit vernetzten Berichtssystem beruhen und daher auch nur annäherungsweise vollständig sein könnten, was die Stellungnahme des „Ahmadiyya Muslim Jammaat“ vom 06.06.2013 bestätigt. Abgesehen davon ist auch nicht gesichert, dass die Betroffenen ausschließlich oder jedenfalls überwiegend solche Ahmadis sind, die ihrem Glauben in einer Weise innerlich verpflichtet sind, dass sie diesen bekennend und ggf. werbend bzw. sogar missionierend in die Öffentlichkeit tragen bzw. tragen wollen. Eine Durchsicht der Zusammenstellung für Januar bis Dezember 2011 ergab, dass eindeutige Aussagen nur für einen Teil der beschriebenen Vorfälle gemacht werden können.
64 
Der Senat sieht vor diesem Hintergrund keinen erfolgsversprechenden Ermittlungsansatz, um die so beschriebene Teilmenge (Ahmadis, für die das öffentlich Bekennen und ggf. Werben für den Glauben identitätsbestimmend ist) aus der Teilmenge der „bekennenden Ahmadis“ der Größe nach präziser festzustellen, zumal dann in diesem Zusammenhang landesweit auch sehr subjektiven Voraussetzungen und Merkmalen, d.h. inneren Tatsachen nachgegangen werden müsste. Es ist namentlich nicht erkennbar, dass in Pakistan die Zahl dieser Personen überhaupt statistisch erfasst wird, bzw. dass es eine Stelle geben könnte, die über solches Zahlenmaterial verfügt. Die Ausführungen von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart machen hinreichend deutlich, dass nicht einmal die offiziellen Vertreter der Ahmadis in Westeuropa in diesem Zusammenhang über belastbare Zahlen hinsichtlich dieser Personengruppe verfügen, was nach dessen Ausführungen letztlich darin begründet ist, dass aus Furcht vor Verfolgung heute praktisch kein Ahmadi mehr in der Öffentlichkeit seinen Glauben lebt und für diesen wirbt. Dabei hatte Herr Khan nicht ausgeschlossen, dass auf individueller Ebene in einem privaten Gespräch noch für den Glauben geworben würde, wie oft dies heute noch geschehe, lasse sich – zu Recht – nicht seriös beziffern, da es niemanden gebe, der hierüber Aufzeichnungen mache, die Fälle auswerte und dann zähle. Auch das vom Upper Tribunal - Immigration and Asylum Chamber in seinem Urteil „MN and others“ (Pakistan CG <2012> UKUT 00389) vom 14.11.2012 verwertete Zahlenmaterial führt hier letztlich nicht weiter, weil dieses sich nicht direkt auf die Zahl des hier festzustellenden Personenkreises und dessen Größe bezieht. Das Bundesamt wie auch der Kläger haben keine Wege aufgezeigt, wie verlässliches und nicht nur spekulatives Zahlenmaterial zu erlangen sein könnte. Der Senat sieht sich – ungeachtet der völkerrechtlichen Hindernisse – auch im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nicht gehalten, ein Institut mit einer repräsentativen Untersuchung in Pakistan oder einer erstmals dort durchzuführenden statischen Erhebung zu betrauen, abgesehen davon, dass der Senat keine Anhaltspunkte dafür hat, dass eine verlässliche Untersuchung in Pakistan überhaupt in angemessener Zeit geleistet werden kann. Umso weniger lassen sich verlässliche Zahlen darüber ermitteln, wie viele Ahmadis aus der Teilmenge der Ahmadis, für die das öffentliche Bekennen oder sogar Werben identitätsbestimmend ist, trotz aller Verbote, Strafverfolgungsmaßnahmen und gewichtigen Übergriffe privater Akteure gleichwohl ihren Glauben öffentlich leben und für ihn öffentlich eintreten oder gar werben (vgl. zur der vom Bundesverwaltungsgericht in Rdn. 33 geforderten Relationsbetrachtung im Einzelnen noch unten 2c).
65 
2. Die Lage der Ahmadis in Pakistan wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
66 
a) Der Islam wurde in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist zwar von Verfassung wegen garantiert (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 2 f.). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit qualifiziert und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. wer auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
67 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren und nur solche Personen auf diesen Listen wählen können. Um hingegen ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4; U.S. State Department, Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 38; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.104 ff.; Rashid, Pakistan’s failed Commitment: How Pakistan’s institutionalised Persecution of the Ahmadiyya Muslim Community violates the international Convenant on civil and political Rights, S. 25). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA, Lagebericht vom 02.11.2012, S. 13).
68 
b) Seit 1984 bzw. 1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und die gewissermaßen der Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung dienen.
69 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143):
70 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
71 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ameerui Mumineen’, ‚Khalifar-ul-Mimineem’, ’Shaabi’ oder ‚Razi-Allah-Anho’ bezeichnet oder anredet;
72 
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ummul-Mumineen’ bezeichnet oder anredet;
73 
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ahle-bait’ bezeichnet oder anredet;
74 
d) sein Gotteshaus als ‚Masjid’ bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
75 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als ‚Azan’ bezeichnet oder den ‚Azan’ so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
76 
Sec. 298 C lautet:
77 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
78 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
79 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
80 
Der Vollständigkeit halber sollen in diesem Zusammenhang noch erwähnt werden (vgl. auch Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.32):
81 
- Sec. 298 A (Gebrauch abschätziger bzw. herabsetzender Bemerkungen in Bezug auf heilige Personen; Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, Geldstrafe oder beides);
82 
- Sec. 295 (Beleidigung oder Schändung von Orten der Verehrung mit dem Zweck bzw. Ziel, eine Religion jeder Art herabzusetzen, Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahre, Geldstrafe oder beides);
83 
- Sec. 295 A (Vorsätzliche und böswillige Handlungen mit dem Zweck die religiösen Gefühle jeden Standes zu verletzen durch Beleidigung der Religion oder des Glaubens, Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren, Geldstrafe oder beides) und
84 
- Sec. 295 B (Beleidigung bzw. Verächtlichmachung des Heiligen Korans, lebenslange Freiheitsstrafe).
85 
Alle genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch schon ausführlich HessVGH, Urteil vom 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris, Rdn. 92 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.1992 - 2 BvR 1263/92 - juris, m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; vom 25.01.1995 - 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere dort auch noch zur mittlerweile irrelevanten Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen in weiten Teilen diskriminierende, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR (vgl. auch Art. 52 Abs. 1 GRCh) zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c) RL 2004/83/EG (identisch mit RL 2011/95/EU) erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, Urteil vom 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960, Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/), wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Soweit man einzelne Bestimmungen im Ansatz noch als zulässige Begrenzung der Religionsfreiheit ansehen wollte (etwa Sec. 298 C letzte Variante), fehlt allerdings schon jede tatbestandliche Eingrenzung, vielmehr wird mit ihrer begrifflichen Weite ein Einfallstor für Willkür eröffnet (vgl. hierzu noch unten d). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und weshalb zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind (so noch BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts), weshalb auch offen bleiben kann, ob unter dem Regime der Qualifikationsrichtlinie eine derart weitgehende Beschränkung der Religionsfreiheit für die Betroffenen, wie sie das Bundesverfassungsgericht für das Asylgrundrecht noch für richtig gehalten hat, hinzunehmen und unionsrechtskonform wäre. Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten vermittelnden Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen gerade nicht von ihnen ausgehen (vgl. hierzu auch Rashid, Pakistan’s Failed Commitment, S. 32), sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie mittlerweile auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan vom 10.09.2007, S. 6 und 10 und nunmehr Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.12, 19.27, 19.44, 19.121, 19.127 und 19.145). Von einer legitimen Begrenzung der religiösen Betätigung von Ahmadis kann auch deshalb keine Rede sein, weil der pakistanische Staat keine effektiven legislativen und exekutiven Maßnahmen ergreift, um dem aggressiven Wirken entgegenzutreten und den Minderheiten – als Kehrseite möglicher ihnen auferlegter maßvoller Beschränkungen – einen wirklich geschützten Freiraum für ihr Wirken bereitstellt (vgl. zur Weite der Vorschriften und ihrer grenzenlosen Auslegung bzw. Anwendung unten d).
86 
c) Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung nach Sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, wurden nach dem Bericht „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (Annex II), den auch das Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14.11.2012 als relevant angesehen hat (dort Rdn. 30, Fn. 6), im Zeitraum April 1984 bis 31.12.2011 offiziell insgesamt 3.820 „Police Cases“ gegen Ahmadis registriert, davon 299 wegen „Blasphemie“, zuzüglich über 60.000 Verfahren (wegen Sec. 298 C) gegen den sich am 28. Mai 2008 ausdrücklich aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Begründung des Khalifentums öffentlich zu den Ahmadis bekennenden Teil der Bevölkerung von Rabwah (jetzt Chenab Nagar oder Tschinab Nagar; vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006), die 2009 noch anhängig gewesen waren (Home Office Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.136; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorités religieuses, 31.08.2009, S. 9), mittlerweile aber eingestellt wurden (vgl. Khan an das VG Stuttgart vom 09.05.2013). Bereits im Jahre 1989 waren schon einmal Verfahren gegen alle Ahmadis von Rabwah wegen des Vorwurfs nach Sec. 298 C eingeleitet worden, die im Jahre 2006 noch anhängig waren (vgl. hierzu Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 10 f. und 35), aber vermutlich auch eingestellt wurden; diese nach dem genannten Bericht nicht genauer bezifferten Verfahren müssen daher im Grundsatz noch bei der Zahl von Ermittlungsverfahren berücksichtigt werden. Auch wenn diese augenscheinlich nicht konsequent oder nur gegenüber Einzelnen betrieben werden, so ist doch aus der Tatsache, dass sie erst nach einigen Jahre förmlich eingestellt und immerhin im Abstand von 10 Jahren zweimal eingeleitet wurden, nur der Schluss zu ziehen, dass sie instrumentalisiert wurden, um die Betroffenen massiv einzuschüchtern. Aus diesem Grund können diese Verfahren bei der vorzunehmenden wertenden Gesamtbetrachtung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Allerdings dürfen sie nicht mathematisch exakt in eine quantitative Bewertung eingerechnet werden, weil es in der Regel jedenfalls zu keinen Anklagen gekommen ist und andernfalls ein unzutreffendes Bild von der Wirklichkeit ergäbe.
87 
Das Home Office (Ziff. 19.49) spricht für den Zeitraum 1986 bis 2006 allein von 695 Verfahren spezifisch wegen Blasphemie (sec. 295 C), in denen es auch zu Anklagen gekommen ist, darunter 239 Ahmadis; insgesamt wurden im Zeitraum 1984 bis 2004 über 5.000 Anklagen gegen Ahmadis mit einem religiösen Hintergrund erhoben. Im Juni 2011 waren mindestens 14 Verfahren gegen Ahmadis anhängig gewesen, in denen (nicht rechtskräftig) die Todesstrafe verhängt worden war (Ziff. 19.39). Nach vermutlich anderen Quellen sind von 1984 bzw. 1987 bis 2011 1.117 Personen wegen Blasphemie angeklagt worden (Ziff. 19.50). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären (Ziff. 19.134 ff.). Weitere aussagekräftige Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Die Beklagte hat solche auch nicht mitgeteilt bzw. aufgezeigt, wie noch verlässliche Informationen zu erlangen sein könnten.
88 
Bei Rashid (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 und 28 f.) finden sich folgende Zahlen: Seit 1984 wurden 764 Ahmadis angeklagt, weil sie die Kalima gezeigt bzw. gelesen hatten, 38 wurden wegen der Verwendung des Gebetsrufs angeklagt; 434 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich als Muslim bezeichnet hatten, 161 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich islamischer Terminologie in der Öffentlichkeit bedient hatten; 93 Anklagen bezogen sich auf das Verrichten von Gebeten in der Öffentlichkeit und 719 Anklagen wurden wegen öffentlichen Predigens und Werbens für den Glauben erhoben. Auch bei Rashid werden die Verfahren gegen 60.000 Ahmadis aus Rabwah erwähnt. Insbesondere erwähnt Rashid, dass allein im Jahre 2009 mindestens 74 Ahmadis eines Deliktes nach Sec. 295 C Penal Code beschuldigt worden seien.
89 
Mit Blick auf die grundsätzlich vom Bundesverwaltungsgericht geforderte Relationsbetrachtung (Rdn. 33) ist in diesem Zusammenhang allerdings zu bemerken, dass nicht alle vorgenannten Verfahren notwendigerweise und uneingeschränkt Glaubensbetätigungen betreffen müssen, die gerade in der Öffentlichkeit stattfinden. Diese Annahme liegt deshalb nahe, weil etwa falsche Verdächtigungen und Anschuldigungen (vgl. hierzu auch unten d) auch andere Hintergründe und Vorwürfe zum Inhalt haben können. Diese Zahlen sind daher von ihrer Struktur wenig geeignet, als Grundlage der Relationsbetrachtung zu dienen. Der Senat sieht aber auch hier keinen konkreten erfolgversprechenden Ermittlungsansatz, wie der Anteil verlässlich festzustellen sein sollte, der spezifisch Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit betrifft, und zum anderen, um wie viele Personen es sich dabei gehandelt haben könnte, für die ein öffentlichkeitswirksames Agieren zum identitätsbestimmenden und unverzichtbaren Merkmal des eigenen Glaubensverständnisses zählt.
90 
d) Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz, oftmals nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt auch darauf beruht, dass sie häufig durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 14; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.59 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 15 ff., und 2012, S. 17 ff.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2). In der Regel werden die eines Verstoßes gegen die Blasphemiebestimmungen Beschuldigten bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.53; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing The International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, 14.05.2012, S. 6). Dieser Umstand ist vor allem auch deshalb so gravierend, weil Folter auf Polizeistationen und in Haft an der Tagesordnung ist (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 23; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 6; Asia Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 21 ff.). Die Haftbedingungen werden als teilweise sogar lebensbedrohend bezeichnet (vgl. SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 4 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, S. 9). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt. Die Bestimmung der Sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von Sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten im Sinne von Sec. 295 C (vgl. hierzu im Einzelnen schon HessVGH, U. v. 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris - Tz. 46 und 69). Generell werden alle genannten Vorschriften wegen ihrer begrifflichen Unbestimmtheit bzw. der schwammigen Formulierungen weit und zulasten der Ahmadis ausgelegt und angewendet. Sie sind daher ein (offenes) Einfallstor für blanke Willkür. So kommt es etwa zu Anklagen gegen Eltern, wenn sie ihre Kinder Mohammed nennen (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.103; vgl. auch Ziffer 19.139).
91 
Die Strafvorschriften werden dabei nicht selten auch gezielt genutzt, um – auch aus eigensüchtigen Motiven – Ahmadis mit falschen Anschuldigungen unter Druck zu setzen und zu terrorisieren (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.57 f.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 15). Die Anzeigeerstatter laufen dabei keine Gefahr, wegen falscher Anschuldigung verfolgt zu werden. Eine Anzeige kann zudem erhebliche Konsequenzen für die Betroffenen und ihre Familien haben. So wurden zwischen 1986 bis 2010 34 Personen, die nach den Blasphemiegesetzen angeklagt worden waren, von privaten Akteuren umgebracht; im Jahre 2010 wurden allein vier Personen (zwei Christen und zwei Muslime) getötet (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47); auch die Familien werden in Drohungen und Einschüchterungen einbezogen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47 und 19.52; AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12). In diesem Zusammenhang ist etwa die radikal-islamische Gruppierung „Khatm-e-Nabuwwat“ („Siegel der Prophetenschaft“) zu erwähnen, die u.a. mit diesen Mitteln gezielt und völlig ungestraft gegen Ahmadis vorgeht (vgl. auch AA, Lagebericht 02.11.2012, S. 14; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 13 ff.; vgl. zu der Organisation noch im Folgenden unter Ziff. 2.g). Zwar hat die Gruppierung in der Vergangenheit etwa gegenüber der „Parliamentary Human Rights Group“ (vgl. S. 8 f.) den Versuch unternommen, ihr Verhältnis zu den Ahmadis und ihre Vorgehensweise diesen gegenüber als wesentlich offener und zurückhaltender darzustellen. Bereits zum damaligen Zeitpunkt hatte dem aber etwa der Präsident von amnesty international Pakistan deutlich widersprochen (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8). Durch die neueren Entwicklungen sind diese Aussagen der Gruppierung ohnehin eindeutig überholt bzw. widerlegt (vgl. unten Ziffer 2 g; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013).
92 
Die Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen die Blasphemiebestimmungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte hinziehen und zu keinem Ende gebracht werden, was einschneidende Folgen für die Betroffenen hat, selbst wenn sie sich in Freiheit befinden. Denn sie müssen sich in der Regel alle 15 bis 30 Tage bei der ermittelnden Polizeistation, die sich oftmals nicht an ihrem Wohnort befindet, melden, auch wenn das Verfahren gar nicht konkret gefördert wird (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 12 f.).
93 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen (vgl. Sec. 295 und 295 A), in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn religiöse Gefühle der Ahmadis und anderer religiöser Minderheiten durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 3; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.33).
94 
Der Versuch einer Reform der Blasphemiegesetze ist vollständig gescheitert, insbesondere im Kontext der Ermordung des Gouverneurs von Punjab und des Minsters für Minderheiten im Jahre 2011 (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.76; UNHCHR, Guidelines, S.11 f.; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2011, March 2012, S. 82 und 89 f.; vgl. auch Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 29 f., mit Hinweisen auf öffentliche Äußerungen des pakistanischen Ministers Babar Awan sowie des Premierministers Gilani aus Anlass der Verurteilung der christlichen Frau Asia Bibi). Eine Änderung zum Positiven ist auch mit Rücksicht auf das Ergebnis der Präsidentenwahlen im Mai diesen Jahres, die der Vorsitzende der Muslimliga Nawaz Sharif gewonnen hat, nicht zu erwarten.
95 
Eine im Jahre 2004 eingeführte Reformmaßnahme, wonach nur höhere Offiziere die Ermittlungen führen dürfen, hat nach übereinstimmender Einschätzung keine Verbesserungen gebracht (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12; UNHCR, Guidelines, S. 15).
96 
In den verwerteten Dokumenten wird auch von einem völligen Scheitern und Versagen der Strafjustiz und der Strafverfolgungsorgane gesprochen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.42 f.; UNHCR, Guidelines, S. 6; Parlamentary Human Rights Group (PHRG), Report of PHRG Fact Finding Mission To Pakistan, 24.09.2010, S. 9 f.).
97 
Zwar wurde im September 2008 eine Kommission für Angelegenheiten der Minderheiten installiert (vgl. UNHCR, „Guidelines“, S. 4). Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass diese irgendwelche substantiellen Verbesserungen gebracht hat (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.29; vgl. hierzu auch Upper Tribunal Urteil vom 14.11.2012, S. 15; vgl. auch U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, S. 121 f., wonach zwar von einigen positiven Schritten in jüngster Zeit berichtet wird, die die pakistanische Regierung an höchster Stelle unternommen haben soll, von wirkungsvollen Ergebnissen, insbesondere für das tägliche Leben landesweit, spricht der Report jedoch nicht; es liegt dem Senat auch keine andere Quelle vor, die diesbezüglich verwertbare Informationen enthielte).
98 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen und seine faktische Umsetzung in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte, was exemplarisch durch die in den Jahren 1998 und 2008 gegen alle Einwohner eingeleiteten Verfahren deutlich wird (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.132 ff.). Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten Ziff. 3.b).
99 
e) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf denen öffentlich gebetet wird (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 4, und von 2011, S. 14; U.S. State Department: Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 30; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.143; Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 32). Das gilt insbesondere für die nach ihrem gelebten Glaubensverständnis essentielle jährliche Versammlung („Jalsa Salana“), die letztmals 1983 stattfinden konnte und an der damals 200.000 Gläubige teilnahmen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Jalsa_Salana).
100 
Allerdings wird es Ahmadis nicht von vornherein unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies sicherlich oftmals der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben wird (vgl. schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan von 2011, S. 4), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen (vgl. auch Upper Tribunal, Urteil vom 14.11.2012, S. 18). Möglich ist dieses aber nur noch in kleineren Gebetshäusern, die einen eingeschränkten Bezug zur Öffentlichkeit haben (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Angeben von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart, wonach an Stelle der früheren, 18.000 bis 19.000 Gläubige fassenden Moschee in Rabwah mittlerweile viele kleine Gebetshäuser entstanden sind; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Gefahrlos ist dieses aber auch nicht. Denn die gemeinsame Ausübung des Glaubens wird immer wieder dadurch behindert bzw. unmöglich gemacht, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird oder solche auch von staatlichen Organen zerstört werden (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.132, 19.141 ff., 154; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4 und 13 ff.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3), während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können; Gebetshäuser oder Versammlungsstätten werden immer wieder von Extremisten überfallen (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan,10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.). Gleichwohl geht der Senat in Ermangelung gegenteiliger aussagekräftiger Informationen davon aus, dass Angehörige der Ahmadiyya, die nur derartige Glaubensbetätigungen an den Tag legen und für sich als verbindlich betrachten, damit noch kein „real risk“ eingehen, (von wem auch immer) verfolgt zu werden. Die vom Kläger benannten Fälle, in denen in diesem Jahr auch Verfahren wegen einer Versammlung in (kleineren) Gebetshäusern eingeleitet wurden, stellen diese Annahme nicht grundsätzlich infrage. Anhaltspunkte für die gegenteilige Annahme lassen sich insbesondere auch nicht der Aussage von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 entnehmen (vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Insbesondere ergibt sich aus der Aussage nicht, dass auch diese Personen ihre Aktivitäten vollständig eingestellt haben und etwa die Ahmadi-Gemeinden in Pakistan gewissermaßen nur noch auf dem Papier existieren würden. Im Gegenteil: Allen verwerteten Erkenntnismitteln wie auch den Angaben von Herrn Khan liegt nach Überzeugung des Senats – wenn auch mehr oder weniger unausgesprochen – zugrunde, dass es noch ein, wenn auch eingeschränktes, lokales Gemeindeleben gibt. Treffen in großem Stil zu in erheblichem Maße identitätsstiftenden gemeinsamen Gebeten in ihren großen Moscheen, die die Ahmadis jedoch nicht so nennen dürfen, finden hingegen nicht mehr statt (vgl. die Aussage von Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013). Allerdings ist der Umstand, dass heute auch das gemeinsame Gebet abseits der großen Öffentlichkeit immer wieder behindert und gestört wird bzw. Auslöser für Strafverfahren und Übergriffe privater Akteure sein kann, für die gerichtlicherseits vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 34 ff.) gleichwohl nicht irrelevant, da sie die Lage auch der bekennenden, ihren Glauben in die Öffentlichkeit tragenden Ahmadis mit prägen.
101 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel, andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 7). In diesem Zusammenhang ist aber hervorzuheben, dass sich die Ahmadis als „predigende Religion” verstehen, zu deren sittlichen Verpflichtung es rechnet, den Glauben zu verbreiten und zu verkünden (vgl. Report of the Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16).
102 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 14).
103 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten von Ahmadis im weitesten Sinn werden regelmäßig beschlagnahmt und verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus noch Verbreitung (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 3 und 4 und von 2011, S. 7 und 13 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 30 ff.; vgl. zur Zeitung „Alfzal“ auch Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 37, mit einer Kopie der Verbotsverfügung des Innenministers von Pakistan vom 08.05.2006 und S. 49 f.).
104 
Die Ahmadyyia Gemeinde ist die einzige Gruppe, der ihre im Jahre 1972 verstaatlichten Bildungseinrichtungen (seit 1996) nicht zurückgegeben wurden (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 13 f.)
105 
f) Nur der Vollständigkeit halber soll zur Abrundung des Gesamteindrucks noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden: Die frühere (überdurchschnittliche) Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen ständig (vgl. AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148 f. und 19.164; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report for 2011, S. 5 und 15 f.; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 10; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65, vom 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148, 19.149, 19.164; Immigration and Refugee Board of Canada, S. 3).
106 
g) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligem Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen bewusst untätig zugesehen und sie geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Country Reports on Human Rights Practices Pakistan, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 9 f.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und 4). Dabei wurden in jüngster Vergangenheit auch gezielt Häuser und Geschäfte von Ahmadis niedergebrannt (Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 4). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah. Diese bereits für frühere Zeiträume beschriebene Situation hat sich mittlerweile erheblich verschärft. Es wird übereinstimmend ein vorherrschendes Klima von privaten Akteuren verursachter Gewalt beschrieben, wobei die Gewaltakte bzw. die Aufrufe hierzu regelmäßig sowohl in ordnungsrechtlicher wie erst recht in strafrechtlicher Hinsicht für die Urheber folgenlos bleiben. Es werden regelmäßig regelrechte Hasskampagnen, insbesondere auch Versammlungen und Kundgebungen durchgeführt, auf denen gegen die Ahmadis gehetzt wird und die Besucher aufgewiegelt werden (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.127 f., und sehr ausführlich und anschaulich „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“, S. 2 ff.). Die Wirkungsmächtigkeit der Aktivitäten der maßgeblichen Organisationen sowie einer Vielzahl radikaler Mullahs beruht zu einem guten Teil auf dem Umstand, dass weite Teile der Bevölkerung ungebildet, wenn nicht gar des Schreibens und Lesens nicht mächtig und daher leicht beeinflussbar sind und vor allem das glauben, was sie in den Moscheen hören (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6).
107 
Effektiver Schutz ist regelmäßig nicht zu erlangen (vgl. etwa UNHCR, Guidelines, S. 22; Parliamantary Human Rights Group (PHRG), Fact Finding Mission To Pakistan, S. 3; vgl. beispielhaft zur offensichtlich fehlenden Bereitschaft, den erforderlichen Schutz zu gewähren Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 19, 24 f. und 33 f.). Besonders tut sich in diesem Zusammenhang die Organisation „Khatm-e-Nabuwwat“ hervor (vgl. ausführlich hierzu Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.112 bis 19.119; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8 f.), aber auch die Taliban werden als Urheber benannt (vgl. Rahsid, Pakistan’s failed Commitment, S. 31 ff.). Exemplarisch ist ein Vorfall vom 28.05.2010 anzuführen, bei dem Extremisten der „Khatm-e-Nabuwwat“ anlässlich des Freitagsgebets in Lahore gut koordinierte Angreifer vor zwei Ahmadi-Moscheen „Kill-all“-Rufe skandieren und schließlich die Moscheen stürmen ließen; am Ende wurden 85 Ahmadis getötet und 150 weitere verletzt (Ziff. 19.125; vgl. zum Angriff auf eine Moschee in Rawalpindi am 02.02.2012, Ziff. 19.154). Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass die Organisation mit einem Schwerpunkt auch in Rabwah tätig wird (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.114 f.).
108 
Insgesamt vermittelt die Zusammenstellung des Home Office (Ziff. 19.112 bis 19.147) ein gutes und informatives, aber auch äußerst bedrückendes Bild. Seit 1974 wurden fast 300 Ahmadis allein wegen ihres Glaubens von nicht staatlichen Akteuren getötet. Im Jahre 2010 waren es allein 99. Wie schon erwähnt (vgl. oben IV 1), sind aber verlässliche und aussagekräftige Zahlen nicht zu ermitteln (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.162). Im Hinblick auf die anzustellende Relationsbetrachtung (vgl. hierzu unten Ziffer 3 a) ist bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass im Zusammenhang mit der Benennung der Zahlen nicht zum Ausdruck gebracht wird, wie hoch der Anteil der Betroffenen ist, der die Glaubensbestätigung in der Öffentlichkeit als einen identitätsbestimmenden Teil ihres Glaubens betrachtet. Eine Durchsicht der Zusammenstellung „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (S. 23 ff.) zeigt dies nur zu deutlich; teilweise lässt sich nicht bestimmen, ob der oder die Betreffende dieses Merkmal erfüllt oder nicht. Über das Ausmaß (nur) schwerer nicht tödlich endender Eingriffe in die körperliche Integrität liegen überhaupt keine verlässlichen Zahlen vor (vgl. auch Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Diese Eingriffe und ihr Ausmaß sind aber für die Beurteilung bzw. Qualifizierung des Bedrohungspotentials gleichfalls von erheblicher Relevanz, da sie – neben den staatlichen Verboten und strafrechtlichen Sanktionen - ebenfalls von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung sein können, ob jemand seinen Glauben aktiv in die Öffentlichkeit trägt oder dieses unterlässt.
109 
Nicht speziell in Bezug auf Ahmadis berichtet Rashid zu Todesfällen aufgrund religiös motivierter Gewalt: 2007 seien es über 1.500 gewesen, im Jahre 2008 2.155, im Jahre 2009 über 2.300. Im Jahre 2010 sei die Zahl zwar auf 1.796 zurückgegangen, um dann aber im Jahre 2011 wiederum auf mindestens 2.545 Fälle zu steigen (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 f., dort auch zu Zahlen von Todesopfern unter den Minderheiten der Christen und Hindus; vgl. auch Asian Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 8, wonach in den letzten drei Jahren über 800 Shia Muslime (Schiiten) durch religiöse Gewalt getötet worden seien, ohne dass staatliche Organe irgendwelche glaubwürdigen Gegenmaßnahmen ergriffen hätten; vgl. hierzu auch U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 2012, S. 124). Die sanktionslosen Gewaltexzesse gehen sogar so weit, dass etwa im Juni 2006 ein ganzer von Ahmadis bewohnter Teil eines Dorfes (Jhando Sahi) niedergemacht und zerstört wurde, ohne dass dieses Konsequenzen nach sich gezogen hätte (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 18 und 45 ff.). Andere Quellen sprechen davon, dass nachweisbar 210 Ahmadis wegen ihres Glaubens getötet worden seien; zudem weiß man hiernach von 254 entsprechenden Mordversuchen zu berichten (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.131). In diesen Zahlen dürften die Opfer des Anschlags vom 28.05.2010 in Lahore (siehe oben) allerdings noch nicht enthalten sein.
110 
Dieses Bild der Schutzlosigkeit der Ahmadis wird ergänzt durch die seit 2011 zunehmenden Berichte von Schändungen von Ahmadi-Gräbern im gesamten Punjab (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.156). Zudem schwenken in jüngerer Zeit die Medien, nicht nur das staatliche Fernsehen, sondern auch die traditionell eigentlich eher liberale englischsprachige Presse auf die Anti-Ahmadi-Rhetorik ein. Dies hat zur Folge, dass sich die Auffassung, Ahmadis folgten einer Irrlehre und seien keine Muslime bzw. Apostaten, in der Mehrheitsbevölkerung allgemein durchzusetzen und zum Allgemeingut zu werden beginnt, was zu einer weiteren Verschärfung der allgegenwärtigen Diskriminierungen der Ahmadis führt (Ziff. 19.150). Die Parliamentary Human Rights Group prognostiziert, dass Pakistan – nicht zuletzt auch mit Rücksicht auf seinen Umgang mit den Ahmadis - dabei sei, zu einem „failed state“ zu verkommen (vgl. S. 3). Nach Überzeugung des Senats sind die Ahmadis mittlerweile in eine Situation geraten, in der sie mit guten Gründen im traditionellen mittelalterlichen Sinn als „vogelfrei“ bezeichnet werden können. Dies gilt im Ausgangspunkt für alle „bekennenden“ Ahmadis, auch wenn sie ihren Glauben nicht bekennend und für ihn werbend bewusst in die Öffentlichkeit tragen (wollen). Für den Senat bestehen aber, wie bereits eingangs ausgeführt, keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass für jeden Angehörigen dieser Gruppe bereits ein „reales Risiko“ besteht.
111 
Typisch für das Klima der Gewalt ist etwa eine Äußerung des früheren Ministers für Religionsangelegenheiten Amir Liaquat Hussain, die dieser ungestraft im Jahre 2008 in einer beliebten Fernsehshow gemacht hatte, wonach es sowohl notwendig sei, aber auch dem Islam entspreche, alle Ahmadis zu töten (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 23). Im Dezember 2010 konnte ein einflussreicher Kleriker, Yousef Qureshi, 6.000 US Dollar für die Ermordung der Christin Asia Bibi ausloben, ohne dass dieses irgendwelche Konsequenzen für ihn hatte. Nach der Ermordung des Gouverneurs der Provinz Punjab, der sich für eine Reform der Blasphemiegesetze stark gemacht hatte, am 03.01.2011, wurde dessen Tod richtiggehend gefeiert. Dabei konnten ungestraft 500 Kleriker öffentlich verkünden, dass dessen Tod ein Sieg für das gesamte Land sei (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 30).
112 
Von der Parlamantary Human Rights Group wird – gut nachvollziehbar – bereits bezogen auf das Jahr 2006 die Lage so eingeschätzt, dass der gesamte Prozess der Regierung nicht mehr umkehrbar entglitten ist und sie gewissermaßen die Geister, die sie rief, nicht mehr in los wird (vgl. Januar 2007, S. 8).
113 
3. a) Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) schon im Jahre 2005 und somit vor der mittlerweile stattgefundenen und weiter stattfindenden Verschärfung der Lage in der Weise zusammenfassend charakterisiert worden war, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellte und stellt nunmehr umso mehr für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen identitätsbestimmender Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL dar. Der Präsident von amnesty international Pakistan wurde dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführe, dass es niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.; vgl. aber zur gleichfalls prekären, durch Marginalisierung und Armut geprägten und sich zunehmend verschlechternden Lage der Christen U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, 121 ff., 125 f.; UNHCR, Guidelines, S. 25 ff.)
114 
Von zentraler Bedeutung für die Einschätzung der Lage der Ahmadis durch den Senat ist dabei das gegen sie gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot, sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis in vielfältiger Weise insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b) QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen weiteren Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c) QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn namentlich jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung oder sonstiger Leib und Leben gefährdender Übergriffe möglich sind. Diese Verbote sind auch eine wesentliche ideologische Absicherung und Grundlage für das zunehmend aggressiv werdende Handeln privater Akteure gegenüber Mitgliedern der Religionsgemeinschaft der Ahmadis. Die Blasphemiegesetze werden von Human Rights Watch Asia als ein wesentlicher Nährboden für die zunehmende extremistische und religiös begründete Gewalt beschrieben und bewertet (so Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 16 f.; vgl. auch ders. S. 9 mit dem Hinweis, dass eine weitere Ursache der Gewalt jedenfalls gegenüber den Ahmadis darin zu erblicken sei, dass es diese konsequent und einschränkungslos ablehnen, den Islam mit Gewalt zu verbreiten; vgl. auch Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6 und 9 die zusätzlich darauf hinweist, dass in der muslimischen Mehrheitsbevölkerung die Ansicht weit verbreitet ist, die Ahmadiyya Bewegung sei ein Produkt der britischen Kolonisatoren, um die Muslime zu spalten). Die Kehrseite von alledem ist dann, dass auch der solchermaßen erzwungene Verzicht auf öffentlichkeitsbezogenes Glaubensleben bei dem hier in den Blick zu nehmenden Personenkreis eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt, die für sich betrachtet bereits die maßgebliche Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt und die selbst auf Eingriffshandlungen zurückzuführen ist, die ihrer Art und Wiederholung nach keine gleichartigen Eingriffshandlungen ausmachen (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL; vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 37). Denn bezogen auf das jeweilige betroffene Subjekt ist gewissermaßen in erster Linie das Ergebnis bzw. der Erfolg relevant, nämlich den Glauben nicht mehr öffentlichkeitswirksam in zumutbarer Weise auszuüben oder ausüben zu können. Eine Unterscheidung zwischen einem durch staatliche Maßnahmen induzierten Verzicht (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a) QRL) und einem solchen, der auf das Handeln nicht staatlicher Akteure zurückgeht ist (vgl. dann Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL), ist dabei nicht möglich und wäre völlig lebensfremd. Sie würde namentlich an der Realität in Pakistan vorbeigehen. Die Beweggründe für einen bekennenden Ahmadi, entgegen seinem verpflichtenden Glaubensverständnis den Glauben gleichwohl nicht in die Öffentlichkeit zu tragen, können und werden notwendigerweise nicht eindimensional sein.
115 
Bei diesem Ausgangspunkt kann für die bei einem – wie hier – unverfolgt ausgereisten Ahmadi, der glaubhaft erklärt hat, er werde im Falle der Rückkehr aus Furcht seinen Glauben nicht öffentlich bekennen bzw. für ihn werben, anzustellende Verfolgungsprognose nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung bezogen auf den hier zu betrachtenden Personenkreis rechtfertigen würden. Geht man von deutlich mehr als 60.000 eingeleiteten Strafverfahren (zuzüglich der im Jahre 1989 gegen die Bewohner Rabwahs eingeleiteten Verfahren, deren Zahl nicht bekannt ist) in einem Zeitraum von knapp dreißig Jahren aus, so darf allerdings nicht unterstellt werden, dass jedes dieser Verfahren schon mit einem relevanten Verfolgungseingriff verbunden war (vgl. hierzu auch oben 2 c). Daher erscheint auf den ersten Blick dann eine darunter liegende Zahl eher zu gering und nicht geeignet zu sein, eine ausreichende Verfolgungswahrscheinlichkeit zu begründen. Hiermit kann es aber nicht sein Bewenden haben. Hinzugezählt werden müssen, wie bereits erwähnt, nämlich die vielfältigen und unzweifelhaft zahlreichen, strafrechtlich bzw. ordnungsrechtlich nicht geahndeten Verfolgungsakte privater Akteure, die das tägliche Leben eines gläubigen und in der Öffentlichkeit bekennenden Ahmadi unmittelbar in sicherheitsrelevanter Weise berühren, wenn nicht gar prägen und in dieses eingreifen, wobei allerdings, wie bereits ausgeführt, die Eingriffe seriös und belastbar nicht quantifiziert werden können. Entgegen dem in Rdn. 33 des Revisionsurteils vermittelten Eindruck kann bei der Relationsbeurteilung auch nicht allein darauf abgestellt werden, in wie viel Fällen Strafverfahren eingeleitet und durchgeführt wurden bzw. werden. Denn das erzwungene Schweigen der hier interessierenden Personengruppe, das den relevanten Verfolgungseingriff darstellen kann, beruht, wie bereits ausgeführt, auch, wenn nicht gar überwiegend, auf den gewalttätigen, Leib und Leben gefährdenden bzw. sogar verletzenden Handlungen privater Akteure, die ungehindert und ungestraft vorgehen können und die damit nach Art. 6 lit. c) QRL flüchtlingsrechtlich relevant sind. Wollte man diesen Faktor unberücksichtigt lassen, würde ein völlig falsches Bild von der Situation der Ahmadis und deren Motivationslage gewonnen. Der Senat sieht sich nicht durch § 144 Abs. 6 VwGO gehindert, im Kontext der Relationsbetrachtung eine (unerlässliche) Ergänzung um diesen Gesichtspunkt vorzunehmen, weil er – nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Ausführungen unter Rdn. 25 des Revisionsurteils - nicht zu erkennen vermag, dass die Vorgaben des Revisionsurteils an dieser Stelle abschließenden Charakter haben. Wenn das Bundesverwaltungsgericht dort davon spricht, dass die vom Europäischen Gerichtshof angesprochene Verfolgung eine strafrechtlich relevante sein müsse, so wird diese Interpretation zwar vom Kläger infrage gestellt, gleichwohl sprechen aus der Sicht des Senats die besseren Gründe für die Sichtweise des Bundesverwaltungsgerichts. Zwar führt dieses dann dazu, dass die Verfolgungshandlungen der strafrechtlichen Verfolgung wie auch der Bestrafung nur solche sein können, die von staatlichen Akteuren ausgehen. Dieses gilt jedoch nicht in gleicher Weise für die unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung, die ohne weiteres auch nicht staatlichen Akteuren zugeordnet werden kann. Leibes- und lebensbedrohende Übergriffe privater Akteure auf einen Andersgläubigen sind aber zwanglos als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu begreifen.
116 
Aus allen vorliegenden Informationen kann nach Überzeugung des Senats auch der hinreichend verlässliche Schluss gezogen werden, dass für diejenigen Ahmadis, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und das Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen, in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko besteht, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen (würden). Denn bei dieser wertenden Betrachtung ist auch das erhebliche Risiko für Leib und Leben - insbesondere einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten bzw. gravierenden Übergriffen privater Akteure - zu berücksichtigen, sodass an den Nachweis der Verfolgungswahrscheinlichkeit keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen. Es entspricht der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung auch schon dann vorliegen kann, wenn aufgrund einer „quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für die Realisierung eines Verfolgungseingriffs besteht. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise eher nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er sein Heimatstaat verlassen soll oder in dieses zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber - wie im Falle der Ahmadi in Pakistan - jahrelange Haft, Folter oder gar Todesstrafe oder Tod oder schwere Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit seitens Dritter riskiert (BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162; vgl. nunmehr auch Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - Rdn. 32). Handelt es sich demnach um einen aktiv bekennenden Ahmadi, für den die öffentliche Glaubensbetätigung zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, muss landesweit von einem realen Verfolgungsrisiko ausgegangen werden.
117 
Selbst wenn man realistischer Weise nicht der Einschätzung des vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 12.03.2013 vernommenen Herr Khan folgt, dass es etwa 400.000 bekennende Ahmadis in Pakistan gebe und im Wesentlichen alle aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen auf eine öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigung verzichten und nicht etwa teilweise auch aus Opportunität, weil sie letztlich doch nicht so eng dem Glauben verbunden sind bzw. weil für sie der spezifische Öffentlichkeitsbezug nicht Teil ihres bestimmenden religiösen Selbstverständnisses ist, so kann doch nicht von der Hand gewiesen werden, dass es angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten, lebens- und leibesbedrohenden Übergriffe extremistischer Gruppen für viele gläubige Ahmadis der gesunde Menschenverstand nahelegen, wenn nicht gar gebieten wird, öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für viele Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Gemeinschaft der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit sei nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks. Diese seit nunmehr weit über nahezu 30 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und -bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Eine verlässliche Zahl derer, die aus Furcht vor staatlichen und/oder privaten Eingriffen auf eine Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit verzichten, ist in diesem Zusammenhang naturgemäß nicht zu ermitteln, da hierüber keine Aufzeichnungen gemacht und Statistiken geführt werden und es sich regelmäßig auch um innere Meinungsbildungsprozesse handeln wird.
118 
Allerdings sieht sich der Senat nicht in der Lage, eine besondere und zusätzliche Relationsbetrachtung (vgl. Rdn. 33 des Revisionsurteils), die der Absicherung der Einschätzung und zur Plausibilisierung des Verfolgungsrisikos dienen soll, in quantitativer Hinsicht vollständig anzustellen. Wie bereits ausgeführt, lässt sich der in diesem Zusammenhang einzusetzende Faktor der Zahl derjenigen Ahmadi, die trotz aller Verbote, Strafandrohungen, Strafverfahren, verhängter Strafen sowie Leib oder Leben gefährdender Angriffe privater Akteure weiter öffentlichkeitswirksam agieren, nicht annähernd zuverlässig ermitteln, woran die Relationsbetrachtung bereits scheitern muss, wobei ergänzend anzumerken ist, dass nach den einleuchtenden Ausführungen von Herrn Khan gegenüber dem VG Stuttgart alles dafür spricht, dass es eine relevante Anzahl überhaupt nicht mehr gibt. Diese faktischen Grenzen der Ermittlungsmöglichkeiten dürfen allerdings nicht zwangsläufig zu Lasten der Schutzsuchenden und Schutzbedürftigen gehen. Wenn sich aus anderen Erkenntnisquellen plausible Schlussfolgerungen ziehen lassen, die noch hinreichend verlässlich sind, gebietet es im Interesse eines wirksamen und menschenrechtsfreundlichen Flüchtlingsschutzes der unionsrechtliche Grundsatz des „effet utile“, damit sein Bewenden haben zu lassen.
119 
Der Senat verwertet allerdings die von Herrn Khan beim Verwaltungsgericht Stuttgart gemachten Angaben, wonach grundsätzlich jeder Ahmadi, der heute auf öffentlichen Plätzen für seinen Glauben werben würde, damit zu rechnen hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar erhebliche Nachteile zu erleiden (wie Gewaltanwendung staatlicher Organe oder privater Akteure, Strafverfahren und strafrechtliche Sanktionen), weshalb derartiges faktisch kaum mehr stattfindet. Da diese Einschätzung nach den oben gemachten Feststellungen ohne weiteres plausibel ist, sieht der Senat keinen Anlass an deren Zuverlässigkeit zu zweifeln, auch wenn Herr Khan, der als Flüchtling anerkannt ist, sicherlich insoweit gewissermaßen „Partei“ ist, als er selber Ahmadi und unmittelbar den Institutionen der Glaubensgemeinschaft der Ahmadis in Deutschland verbunden ist. Nimmt man noch den von Herrn Khan geschilderten Gesichtspunkt hinzu, dass heute praktisch kein Ahmadi mehr in den großen Moscheen bzw. Gebetshäusern erscheint, um in Gemeinschaft mit anderen am öffentlichen Gebet teilzunehmen, sei es aus Furcht vor staatlichen Eingriffen, sei es (noch wahrscheinlicher) vor privaten Akteuren, so muss nach Überzeugung des Senats von einer (ausreichend) hohen Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, dass ein Ahmadi, der sich nicht um Verbote etc. kümmert und gleichwohl in der Öffentlichkeit agiert, Opfer erheblicher Ein- und Übergriffe werden wird, und deshalb der Verzicht auf ein öffentlichkeitswirksames Glaubensbekenntnis in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Verboten und dem Verhalten privater feindlicher Akteure steht und maßgeblich hierauf beruht.
120 
Selbst wenn man der Auffassung sein wollte, dass der auf die dargestellte Art und Weise verursachte Verzicht auf jede öffentliche Glaubensbetätigung allein noch nicht die Qualität eines relevanten Verfolgungseingriffs hat, so ergibt sich ein solcher jedenfalls aus einer wertenden Zusammenschau dieses Aspekts mit den oben beschriebenen vielfältigen Diskriminierungen und Einschränkungen, die für sich betrachtet entweder noch keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit im konkreten Einzelfall begründen bzw. nicht die erforderliche Schwere aufweisen mögen. Wegen dieser letztlich maßgeblichen Gesamtschau liegt dann in jedem Fall eine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL vor.
121 
b) Einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, zu dessen verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und ggfs. auch zu werben oder zu missionieren, steht kein interner Schutz im Sinne des Art. 8 QRL offen, d.h. es gibt keinen Landesteil, in dem er in zumutbarer Weise und ungefährdet seinen Glauben öffentlich leben kann. Was die dem pakistanischen Staat unmittelbar zuzurechnenden Eingriffe betrifft, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen landesweit die gleichen. Gerade der Umstand, dass 1989 und 2008 Strafverfahren gegen alle Ahmadis in Rabwah eingeleitet worden waren, belegt dieses eindringlich. Was die Aktionen privater Akteure betrifft, geht die Einschätzung der Parliamentary Human Rights Group - PHRG - (Report of the PHRG Fact Finding Mission to Pakistan vom 24.10.2010, S. 2) und der von ihr angehörten Gewährspersonen dahin, dass eine ausreichende Sicherheit auch nicht in Rabwah besteht. Der Präsident von amnesty international von Pakistan wird dahin gehend zitiert, dass Ahmadis nirgends sicher seien, auch nicht in Rabwah, denn die Polizei würde auch den erforderlichen Schutz dort nicht gewähren, was er plausibel damit erklärt, dass die bereits erwähnte Gruppierung Khatm-e Nabuwwat einen Schwerpunkt ihrer Betätigung in Rabwah hat, wenn er auch nicht gänzlich in Abrede stellt, dass das Sicherheitsniveau dort etwas höher sei, besser wäre hier allerdings davon zu sprechen, dass das Unsicherheitsniveau etwas niedriger ist (vgl. zu alledem Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.145 ff.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 20 ff. mit vielen Einzelaspekten). Die Situation wird – in erster Linie in Bezug auf nicht staatliche Akteure – auch so beschrieben, dass die Bedrohung von Ort zu Ort unterschiedlich ist und von Jahr zu Jahr wechselt (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.151). Ganz abgesehen davon ist für den Senat nicht ersichtlich, dass alle landesweit lebenden Ahmadis in Rabwah eine den Anforderungen des Art. 8 QRL genügende wirtschaftliche Existenz finden könnten (vgl. UNHCR, Guidelines, S. 43, und ausführlich zur wirtschaftlichen Situation in Rabwah Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 7 und 24 ff.).
122 
4. Gläubige Ahmadis hingegen, die nicht zu der oben beschriebenen Gruppe rechnen, weil für sie der Aspekt des aktiven Bekenntnisses in der Öffentlichkeit keine besondere Bedeutung hat, können hiernach nur dann von einem Verfolgungseingriff aufgrund einer kumulativen Betrachtungsweise nach Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL betroffen sein, wenn nach den Verhältnissen in Pakistan diese Betroffenheit sich generell aufgrund sonstiger Diskriminierungen als eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellen würde. Von einer generellen Betroffenheit aller Mitglieder der Teilmenge der gläubigen, ihren Glauben auch (ohne direkten Öffentlichkeitsbezug) praktizierenden Ahmadi kann, was die die oben angesprochenen Diskriminierungen im Bildungswesen und beruflicher Art betrifft, noch nicht gesprochen werden. Hier kann sich allein im Einzelfall aus einer Gesamtschau eine ausreichende Schwere der Verletzung ergeben. Allerdings besteht eine generelle Betroffenheit insoweit, als sie sich nicht einmal als Moslems bezeichnen dürfen und die Finalität des Propheten Mohamed anerkennen müssen, was dann mittelbar eine gleichberechtigte Teilhabe an den staatsbürgerlichen Rechten, wie dem Wahlrecht unmöglich macht. Da jedoch die eigentlich Glaubensbetätigung auch außerhalb des eigentlichen „forum internum“ – vorbehaltlich weiterer künftiger Verschärfungen insbesondere von Seiten privater Akteure – noch möglich ist, ohne dass dieses mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erheblichen Beeinträchtigungen führt, liegt nach Auffassung des Senats, obwohl diese Betätigungen keineswegs risikofrei sind, noch keine auf diese bezogene schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach der vom Europäischen Gerichtshof in seiner Rechtsprechung verbindlich entwickelten Auslegung des Art. 9 Abs. 1 QRL vor.
123 
Etwas anderes gilt selbstverständlich auch dann, wenn ein solcher Ahmadi unmittelbar und konkret von einem staatlichen Verfolgungsakt betroffen ist, der an seine religiöse Überzeugung anknüpft (vgl. Art. 10 Abs. 2 QRL), der mit einem Eingriff in Leib, Leben oder Freiheit (im engeren Sinn) verbunden ist; ebenso dann, wenn ein derartiger Eingriff von nicht staatlichen Akteuren ausgeht und die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 QRL nicht vorliegen, wovon aber nach vom Senat getroffenen Feststellungen (vgl. oben 2 g) auszugehen ist.
124 
V. Der Senat ist gleichfalls überzeugt, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Er kann zunächst auf die Ausführungen im Urteil vom 13.12.2011 verweisen. An dieser Einschätzung ist auch nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung festzuhalten. Er hat – wenn auch mit einfachen Worten – dem Senat die Überzeugung vermittelt, dass das öffentliche und auch werbende Bekenntnis für seinen Glauben für ihn selbst von großer Bedeutung ist, er tatsächlich danach lebt und es ihn erheblich belasten würde, wenn er dieses aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen unterlassen müsste.
125 
Damit gehört der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehen und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen sind.
126 
VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.
127 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.

Gründe

 
34 
I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch die Verpflichtung der Beklagten auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie die ergänzende Aufhebung der dem entgegenstehenden Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 30.03.2010. Denn im Berufungsurteil vom 13.12.2011 wurde, wenn auch nicht ausdrücklich im Tenor, die Klage hinsichtlich der Ziffer 2 des Bescheids abgewiesen (vgl. insbesondere auch UA S. 35 unten). Da die Beklagte auch nur in diesem Umfang durch das Urteil beschwert war, muss davon ausgegangen werden, dass sie nur insoweit die zugelassene Revision eingelegt hat, mit der Folge, dass auch die Aufhebung des Urteils vom 13.12.2011 durch das Bundesverwaltungsgericht nur diesen Teil betreffen kann. Die Beteiligten sehen dies nicht anders.
35 
II. Dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und 3 VwVfG vorliegen, wurde im Urteil vom 13.12.2011 im Einzelnen dargelegt. Hierauf kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden.
36 
III. Grundlage für das Begehren des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.
37 
Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 20.02.2013, mit dem der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde, in maßstäblicher Hinsicht folgendes ausgeführt:
38 
„2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 2011/95/EU (zuvor: Richtlinie 2004/83/EG) - im Folgenden: Richtlinie - geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen .
39 
Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie ergänzend anzuwenden. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist. Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen des Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie und den Verfolgungshandlungen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie bestehen.
40 
2.2 Das Berufungsgericht hat die vom Kläger als Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft (Ahmadi) geltend gemachte Verfolgungsgefahr zutreffend als Furcht vor einem Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung gewertet (UA S. 13). Denn Ahmadis droht in Pakistan die Gefahr einer Inhaftierung und Bestrafung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht schon wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft als solcher. Die Verwirklichung der Gefahr hängt vielmehr von dem willensgesteuerten Verhalten des einzelnen Glaubensangehörigen ab: der Ausübung seiner Religion mit Wirkung in die Öffentlichkeit. In solchen Fällen besteht der unmittelbar drohende Eingriff in einer Verletzung der Freiheit, die eigene Religion entsprechend den geltenden Glaubensregeln und dem religiösen Selbstverständnis des Gläubigen zu praktizieren, weil der Glaubensangehörige seine Entscheidung für oder gegen die öffentliche Religionsausübung nur unter dem Druck der ihm drohenden Verfolgungsgefahr treffen kann. Er liegt hingegen nicht in der Verletzung der erst im Fall der Praktizierung bedrohten Rechtsgüter (z.B. Leib, Leben, persönliche Freiheit). Etwas anderes gilt dann, wenn der Betroffene seinen Glauben im Herkunftsland bereits praktiziert hat und ihm schon deshalb - unabhängig von einer willensgesteuerten Entscheidung über sein Verhalten in der Zukunft - unmittelbar die Gefahr z.B. einer Inhaftierung und Bestrafung droht. Eine derartige Vorverfolgung hat das Berufungsgericht hier jedoch nicht festgestellt .
41 
2.3 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat auf Vorlage des Senats durch Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe in die Religionsfreiheit als Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden können .
42 
2.3.1 Der Gerichtshof sieht in dem in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) verankerten Recht auf Religionsfreiheit ein grundlegendes Menschenrecht, das eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft darstellt und Art. 9 EMRK entspricht. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten (EuGH a.a.O. Rn. 57). Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in das durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta garantierte Recht auf Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dar (Rn. 58). Zunächst muss es sich um eine Verletzung dieser Freiheit handeln, die nicht durch gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Grundrechtsausübung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GR-Charta gedeckt ist. Weiterhin muss eine schwerwiegende Rechtsverletzung vorliegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt (Rn. 59). Das setzt nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie voraus, dass die Eingriffshandlungen einer Verletzung der grundlegenden Menschenrechte gleichkommen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf (Rn. 61) .
43 
2.3.2 Zu den Handlungen, die nach der Rechtsprechung des EuGH eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Der Gerichtshof hält es mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie nicht für vereinbar, die Beachtlichkeit einer Verletzungshandlung danach zu beurteilen, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift (Rn. 62 f.). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an der vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung für den Flüchtlingsschutz (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 <19 ff.>) nicht mehr fest. Folglich ist bei der Bestimmung der Handlungen, die aufgrund ihrer Schwere verbunden mit der ihrer Folgen für den Betroffenen als Verfolgung gelten können, nicht darauf abzustellen, in welche Komponente der Religionsfreiheit eingegriffen wird, sondern auf die Art der ausgeübten Repressionen und ihre Folgen für den Betroffenen (Rn. 65 mit Verweis auf Rn. 52 der Schlussanträge des Generalanwalts) .
44 
Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (Rn. 67). Der Gerichtshof verwendet in der verbindlichen deutschen Sprachfassung des Urteils (vgl. Art. 41 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012, ABI L 265/1 vom 29. September 2012) zwar nur den Begriff „verfolgt", ohne dies ausdrücklich auf eine strafrechtliche Verfolgung zu beziehen. Es wäre jedoch zirkulär, den Begriff der „asylerheblichen Verfolgung" durch „Verfolgung" zu definieren. Dafür spricht zudem ein Vergleich der deutschen mit der französischen, englischen und italienischen Fassung des Urteils. In allen drei zum Vergleich herangezogenen Sprachfassungen ist von strafrechtlicher Verfolgung die Rede. Darüber hinaus ist auch die im Fall der Religionsausübung drohende Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben sowie der (physischen) Freiheit hinreichend schwerwiegend, um die Verletzung der Religionsfreiheit als Verfolgungshandlung zu bewerten .
45 
2.3.3 Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Das ergibt sich insbesondere aus der Aussage des Gerichtshofs in Rn. 69, dass schon das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie und somit eine Verfolgung darstellen kann, wenn der Verstoß dagegen die tatsächliche Gefahr der dort genannten Sanktionen und Konsequenzen heraufbeschwört. Kann Verfolgung somit schon in dem Verbot als solchem liegen, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen (z.B. in Leben oder Freiheit) letztlich nicht an .
46 
Diesem Verständnis der Entscheidung, das den Flüchtlingsschutz gegenüber der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorverlagert, steht nicht entgegen, dass der Gerichtshof in seinen Ausführungen auf die Gefahr abstellt, die dem Ausländer bei „Ausübung dieser Freiheit" (Rn. 67 und 72) bzw. der „religiösen Betätigung" (Rn. 73, 78 und 79 f.) droht. Denn damit nimmt dieser lediglich den Wortlaut der entsprechenden Vorlagefragen 2a und 3 des Senats auf, ohne dass darin eine notwendige Voraussetzung für die Flüchtlingsanerkennung liegt. Könnte nicht schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen, blieben Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten (so auch Lübbe, ZAR 2012, 433 <437>). Diese Erstreckung auch auf einen erzwungenen Verzicht entspricht dem Verständnis des britischen Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) in seinem Grundsatzurteil vom 14. November 2012 - MN and others [2012] UKUT 00389(IAC) Rn. 79) betreffend die religiöse Verfolgung von Ahmadis in Pakistan und dem Urteil des Supreme Court of the United Kingdom betreffend die Verfolgung wegen Homosexualität vom 7. Juli 2010 (HJ v. Secretary of State for the Home Department [2010] UKSC 31 Rn. 82). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an seiner vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 a.a.O. <23>) nicht mehr fest .
47 
2.3.4 Nach der Rechtsprechung des EuGH hängt die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu erfüllen, von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (Rn. 70). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.2). Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (so auch Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen vom 19. April 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11, Rn. 82) .
48 
Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit sieht der Gerichtshof den Umstand an, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (Rn. 70). Denn der Schutzbereich der Religion erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet (Rn. 71). Dabei bestätigt der EuGH die Auffassung des Senats, dass es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers ankommt, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270 Rn. 43). Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist .
49 
Der vom EuGH entwickelte Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nach dem Verständnis des Senats nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste (vgl. zu den strengeren Maßstäben der Rechtsprechung zur Gewissensnot von Kriegsdienstverweigerern: Urteil vom 1. Februar 1982 - BVerwG 6 C 126.80 - BVerwGE 64, 369 <371> m.w.N.). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (so schon Beschluss vom 9. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 43) .
50 
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Bei Ahmadis aus Pakistan ist zunächst festzustellen, ob und seit wann sie der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehören. Hierbei dürfte sich die Einholung einer Auskunft der Zentrale der Glaubensgemeinschaft in Deutschland anbieten, die ihrerseits auf die Erkenntnisse des Welt-Headquarters in London - insbesondere zur religiösen Betätigung des Betroffenen in Pakistan - zurückgreifen kann (so auch das britische Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14. November 2012 a.a.O. Leitsatz 5). Nähere Feststellungen über die religiöse Betätigung eines Ausländers vor seiner Ausreise verringern auch das Risiko einer objektiv unzutreffenden Zuordnung zu einer Glaubensgemeinschaft (s.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. November 2012, S. 14). Zusätzlich kommt die Befragung eines Vertreters der lokalen deutschen Ahmadi-Gemeinde in Betracht, der der Asylbewerber angehört. Schließlich erscheint im gerichtlichen Verfahren eine ausführliche Anhörung des Betroffenen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in aller Regel unverzichtbar. Wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger seinen Glauben in Pakistan nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, sind die Gründe hierfür aufzuklären. Denn der Verzicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung im Herkunftsland kennzeichnet die religiöse Identität eines Gläubigen dann nicht, wenn er aus begründeter Furcht vor Verfolgung erfolgte. Ergibt die Prüfung, dass der Kläger seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechender Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen .
51 
2.3.5 Das Verbot einer öffentlichen religiösen Betätigung als solches kann aber nur dann als hinreichend schwere Verletzung der Religionsfreiheit und damit als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden, wenn der Asylbewerber - über die soeben genannten objektiven und subjektiven Gesichtspunkte hinaus - bei Ausübung der verbotenen öffentlichkeitswirksamen Glaubensausübung in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Das bedeutet, dass die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen müssen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (Richtlinie 2011/95/EU: Art. 2 Buchst. d) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 22). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. Urteile vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.> und vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 24). Im vorliegenden Fall kommt es darauf an, ob der Kläger berechtigterweise befürchten muss, dass ihm aufgrund einer öffentlichen religiösen Betätigung in Pakistan, die zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schweren Rechtsgutverletzung droht, insbesondere die Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.4) .
52 
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht für pakistanische Staatsangehörige in ihrem Heimatland allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft noch keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr (UA S. 32). Eine solche droht nur „bekennenden Ahmadis", die „ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollen" (UA S. 33). Das Berufungsgericht hält zur Feststellung der Verfolgungswahrscheinlichkeit die für eine Gruppenverfolgung geltenden Maßstäbe insoweit mit Recht nicht für vollumfänglich übertragbar, als eine Vergleichsbetrachtung der Zahl der stattgefundenen Verfolgungsakte zur Gesamtzahl aller Ahmadis in Pakistan (etwa 4 Millionen) oder der bekennenden Ahmadis (500 000 bis 600 000) die unter Umständen hohe Zahl der Glaubensangehörigen unberücksichtigt ließe, die aus Furcht vor Verfolgung auf ein öffentliches Praktizieren ihrer Religion verzichten. Hängt die Verfolgungsgefahr aber von dem willensgesteuerten Verhalten des Einzelnen - der verbotenen Ausübung des Glaubens in der Öffentlichkeit - ab, ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben trotz der Verbote in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Dabei ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass die Ausübung religiöser Riten in einer Gebetsstätte der Ahmadis bereits als öffentliche Betätigung gewertet und strafrechtlich sanktioniert wird. Die Zahl der ihren Glauben in strafrechtlich verbotener Weise praktizierenden Ahmadis ist - bei allen damit verbundenen, auch dem Senat bekannten Schwierigkeiten - jedenfalls annäherungsweise zu bestimmen. In einem weiteren Schritt ist sodann festzustellen, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe treffen. Dabei ist insbesondere zu ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ahmadi inhaftiert und bestraft wird, der entgegen den Vorschriften des Pakistan Penal Code bei seiner Glaubensausübung religiöse Begriffe und Riten des Islam benutzt, seinen Glauben öffentlich bekennt oder für ihn wirbt. Bei der Relationsbetrachtung, die die Zahl der ihren Glauben verbotswidrig in der Öffentlichkeit praktizierenden Ahmadis mit der Zahl der tatsächlichen Verfolgungsakte in Beziehung setzt, ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine wertende Betrachtung handelt, die auch eventuell bestehende Unsicherheiten und Unwägbarkeiten der staatlichen Strafverfolgungspraxis mit einzubeziehen hat. Besteht aufgrund einer solchen Prognose für die - möglicherweise zahlenmäßig nicht große - Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe der Ahmadis, für die diese öffentlichkeitswirksamen Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist .
53 
2.4 Bei Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind alle Akte zu berücksichtigen, denen der Antragsteller ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden droht, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten können (vgl. Urteil des EuGH vom 5. September 2012 a.a.O. Rn. 68). Liegt keine Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vor, ist weiter zu prüfen, ob sich eine solche aus einer Gesamtbetrachtung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ergibt. Buchstabe a erfasst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Nach Buchstabe b kann auch eine Kumulation unterschiedlicher Maßnahmen die Qualität einer Verletzungshandlung haben, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Buchstabe a. Die Maßnahmen im Sinne von Buchstabe b können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen .
54 
In Buchstabe a beruht die Schwere der Eingriffshandlungen auf ihrer Art oder Wiederholung („nature or repetition"). Während die „Art" der Handlung ein qualitatives Kriterium beschreibt, enthält der Begriff der „Wiederholung" eine quantitative Dimension (so auch Hailbronner/Alt, in: Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1072 Rn. 30). Der Gerichtshof geht in seinem Urteil vom 5. September 2012 (Rn. 69) davon aus, dass das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen kann. Der Qualifizierung als „ein" Verbot steht nicht entgegen, dass dieses in mehreren Strafvorschriften des Pakistan Penal Code mit unterschiedlichen Straftatbeständen normiert ist. Das Verbot kann von so schwerwiegender „Art" sein, dass es für sich allein die tatbestandliche Voraussetzung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfüllt. Andere Maßnahmen können hingegen unter Umständen nur aufgrund ihrer Wiederholung vergleichbar gravierend wirken wie ein generelles Verbot .
55 
Setzt die Erfüllung des Tatbestandes von Buchstabe a mithin eine bestimmte gravierende Eingriffshandlung oder die Wiederholung gleichartiger Handlungen voraus, ermöglicht die Tatbestandsalternative des Buchstabe b in einer erweiterten Perspektive die Berücksichtigung einer Kumulation unterschiedlicher Eingriffshandlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie aufgeführt sind. Die Kumulationsbetrachtung entspricht auch dem Verständnis des UNHCR vom Verfolgungsbegriff in Art. 1 A Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rn. 53). In die nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie erforderliche Gesamtbetrachtung können insbesondere verschiedenartige Diskriminierungen gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft einbezogen werden, z.B. beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen (vgl. UNHCR Richtlinie vom 28. April 2004 zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung, HCR/GIP/04/06 Rn. 17). Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Buchstabe a entspricht .
56 
Daher sind bei der Prüfung einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie zunächst alle in Betracht kommenden Eingriffshandlungen in den Blick zu nehmen, und zwar Menschenrechtsverletzungen wie sonstige schwerwiegende Repressalien, Diskriminierungen, Nachteile und Beeinträchtigungen. In dieser Prüfungsphase dürfen Handlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie genannt werden, nicht vorschnell deshalb ausgeschlossen werden, weil sie nur eine Diskriminierung, aber keine Menschenrechtsverletzung darstellen (ähnlich Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz - Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, Kapitel 4 § 13 Rn. 18). Zunächst ist aber zu prüfen, ob die Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vorliegt. Ist das nicht der Fall, ist weiter zu prüfen, ob die Summe der nach Buchstabe b zu berücksichtigenden Eingriffe zu einer ähnlich schweren Rechtsverletzung beim Betroffenen führt wie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie. Ohne eine fallbezogene Konkretisierung des Maßstabs für eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie kann die bewertende Beurteilung nach Buchstabe b, ob der einzelne Asylbewerber unterschiedlichen Maßnahmen in einer so gravierenden Kumulation ausgesetzt ist, dass seine Betroffenheit mit der in Buchstabe a vergleichbar ist, nicht gelingen. Stellt das Gericht hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der „Betroffenheit in ähnlicher Weise" keine Vergleichsbetrachtung mit den von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfassten Verfolgungshandlungen an, liegt darin ein Verstoß gegen Bundesrecht“ .
57 
IV. Ausgehend hiervon besteht zwar kein Grund zu der Annahme, dass bereits aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya unterschiedslos die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter dem Aspekt einer Gruppenverfolgung vorliegen. Etwas anderes ergibt sich jedoch für die bekennenden Ahmadis, die es nach ihrem Glaubensverständnis für sich als identitätsbestimmend ansehen, ihren Glauben – auch werbend – in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. hierzu im Folgenden und auch noch unten 2 e); vgl. schon VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.05.2008 - A 11 S 3032/07 - juris; vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris).
58 
1. a) Zum Hintergrund der heutigen Situation der Ahmadis in Pakistan hatte der HessVGH bereits im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A - juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
59 
„Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
60 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
61 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bay. VGH am 22.01.1985, S. 7).
62 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
63 
b) Auch die aktuell verfügbaren Zahlen zur Größe der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern bzw. diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.02.2008, Ziff. 19.41 und vom 07.12.2012, Ziff. 19.98, das von 291.000 bis 600.000 bekennenden Ahmadis ausgeht). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 02.11.2012, S. 13) wiederum nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien. Der vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 im Verfahren A 12 K 2890/12 vernommene Raja Muhammad Yousaf Khan, der Mitarbeiter des „Ahmadiyya Muslim Jamaat e.V., Frankfurt“ ist, hat ausgesagt, dass der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ von etwa 400.000 bekennenden Ahmadis in Pakistan ausgeht, die er als solche Personen beschreibt, die regelmäßig Kontakt zu den lokalen Gemeinden haben, wobei sich aus der Niederschrift keine genauer nachvollziehbaren Hinweise ablesen lassen, wie diese Zahl ermittelt bzw. hergeleitet wurde. Der Umstand, dass in den anlässlich der jüngst abgehaltenen Wahl erstellten Wählerverzeichnissen (sog. „Nada-Dateien“) nur rund 200.000 wahlberechtigte Ahmadis geführt werden, stellt die Zahl von 400.000 nicht grundsätzlich infrage, weil Ahmadis seit Jahren schon die Wahlen selbst boykottieren (vgl. unten Ziffer 2 a). Der Senat kann nicht davon ausgehen, dass alle etwa 400.000 „bekennenden Ahmadis“ auch solche sind, für die das Leben ihres Glaubens in der Öffentlichkeit und ggf. das Werben für den Glauben identitätsbestimmend und daher unverzichtbar sind (vgl. zur Eingrenzung der Gruppe noch unten 2 e), was allerdings nach der – auch offiziellen – Lehre der Ahmadiyya-Bewegung von zentraler Bedeutung ist (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16). Denn der bloße regelmäßige Kontakt zur lokalen Gemeinde ist hierfür sicher unzureichend, zumal, wie noch auszuführen sein wird, das gemeinsame Gebet jedenfalls in kleineren Gebetshäusern in der Regel faktisch möglich ist, selbst wenn es auch hier vermutlich immer wieder Übergriffe und Einschränkungen bzw. staatliche Verfolgungsmaßnahmen gibt. Nach dem International Religious Freedom Report Pakistan des United States Department of State für das Jahr 2011 (S. 2) waren allerdings überhaupt keine verlässlichen Daten über die Anzahl der Ahmadis, die sich aktiv an religiösen Ritualen oder Gottesdiensten beteiligen, verfügbar oder von den amerikanischen Stellen zu ermitteln, was dann gleichermaßen für diejenigen gelten muss, die aktiv den Glauben vertretend und praktizierend in der Öffentlichkeit auftreten. Vergleichbares gilt im Übrigen – angesichts der Größe des Landes für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar – für die Ermittlung verlässlicher Daten zur Frage der Häufigkeit von Übergriffen auf Ahmadis in Pakistan von Seiten privater Akteure (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2011 Ziff. 19.162). Zwar werden von den im Inland- und Ausland ansässigen Organisationen der Ahmadiyya-Gemeinschaft regelmäßig (monatliche und jährliche) Zusammenstellungen über – v.a. von nicht staatlichen Akteuren ausgehende – Übergriffe auf Ahmadis herausgegeben und ins Internet gestellt (www.thepersecution.org/), es ist aber auch nach dem Vortrag der Beteiligten für den Senat kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass diese auf einem lückenlosen und landesweit vernetzten Berichtssystem beruhen und daher auch nur annäherungsweise vollständig sein könnten, was die Stellungnahme des „Ahmadiyya Muslim Jammaat“ vom 06.06.2013 bestätigt. Abgesehen davon ist auch nicht gesichert, dass die Betroffenen ausschließlich oder jedenfalls überwiegend solche Ahmadis sind, die ihrem Glauben in einer Weise innerlich verpflichtet sind, dass sie diesen bekennend und ggf. werbend bzw. sogar missionierend in die Öffentlichkeit tragen bzw. tragen wollen. Eine Durchsicht der Zusammenstellung für Januar bis Dezember 2011 ergab, dass eindeutige Aussagen nur für einen Teil der beschriebenen Vorfälle gemacht werden können.
64 
Der Senat sieht vor diesem Hintergrund keinen erfolgsversprechenden Ermittlungsansatz, um die so beschriebene Teilmenge (Ahmadis, für die das öffentlich Bekennen und ggf. Werben für den Glauben identitätsbestimmend ist) aus der Teilmenge der „bekennenden Ahmadis“ der Größe nach präziser festzustellen, zumal dann in diesem Zusammenhang landesweit auch sehr subjektiven Voraussetzungen und Merkmalen, d.h. inneren Tatsachen nachgegangen werden müsste. Es ist namentlich nicht erkennbar, dass in Pakistan die Zahl dieser Personen überhaupt statistisch erfasst wird, bzw. dass es eine Stelle geben könnte, die über solches Zahlenmaterial verfügt. Die Ausführungen von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart machen hinreichend deutlich, dass nicht einmal die offiziellen Vertreter der Ahmadis in Westeuropa in diesem Zusammenhang über belastbare Zahlen hinsichtlich dieser Personengruppe verfügen, was nach dessen Ausführungen letztlich darin begründet ist, dass aus Furcht vor Verfolgung heute praktisch kein Ahmadi mehr in der Öffentlichkeit seinen Glauben lebt und für diesen wirbt. Dabei hatte Herr Khan nicht ausgeschlossen, dass auf individueller Ebene in einem privaten Gespräch noch für den Glauben geworben würde, wie oft dies heute noch geschehe, lasse sich – zu Recht – nicht seriös beziffern, da es niemanden gebe, der hierüber Aufzeichnungen mache, die Fälle auswerte und dann zähle. Auch das vom Upper Tribunal - Immigration and Asylum Chamber in seinem Urteil „MN and others“ (Pakistan CG <2012> UKUT 00389) vom 14.11.2012 verwertete Zahlenmaterial führt hier letztlich nicht weiter, weil dieses sich nicht direkt auf die Zahl des hier festzustellenden Personenkreises und dessen Größe bezieht. Das Bundesamt wie auch der Kläger haben keine Wege aufgezeigt, wie verlässliches und nicht nur spekulatives Zahlenmaterial zu erlangen sein könnte. Der Senat sieht sich – ungeachtet der völkerrechtlichen Hindernisse – auch im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nicht gehalten, ein Institut mit einer repräsentativen Untersuchung in Pakistan oder einer erstmals dort durchzuführenden statischen Erhebung zu betrauen, abgesehen davon, dass der Senat keine Anhaltspunkte dafür hat, dass eine verlässliche Untersuchung in Pakistan überhaupt in angemessener Zeit geleistet werden kann. Umso weniger lassen sich verlässliche Zahlen darüber ermitteln, wie viele Ahmadis aus der Teilmenge der Ahmadis, für die das öffentliche Bekennen oder sogar Werben identitätsbestimmend ist, trotz aller Verbote, Strafverfolgungsmaßnahmen und gewichtigen Übergriffe privater Akteure gleichwohl ihren Glauben öffentlich leben und für ihn öffentlich eintreten oder gar werben (vgl. zur der vom Bundesverwaltungsgericht in Rdn. 33 geforderten Relationsbetrachtung im Einzelnen noch unten 2c).
65 
2. Die Lage der Ahmadis in Pakistan wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
66 
a) Der Islam wurde in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist zwar von Verfassung wegen garantiert (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 2 f.). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit qualifiziert und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. wer auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
67 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren und nur solche Personen auf diesen Listen wählen können. Um hingegen ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4; U.S. State Department, Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 38; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.104 ff.; Rashid, Pakistan’s failed Commitment: How Pakistan’s institutionalised Persecution of the Ahmadiyya Muslim Community violates the international Convenant on civil and political Rights, S. 25). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA, Lagebericht vom 02.11.2012, S. 13).
68 
b) Seit 1984 bzw. 1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und die gewissermaßen der Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung dienen.
69 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143):
70 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
71 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ameerui Mumineen’, ‚Khalifar-ul-Mimineem’, ’Shaabi’ oder ‚Razi-Allah-Anho’ bezeichnet oder anredet;
72 
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ummul-Mumineen’ bezeichnet oder anredet;
73 
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ahle-bait’ bezeichnet oder anredet;
74 
d) sein Gotteshaus als ‚Masjid’ bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
75 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als ‚Azan’ bezeichnet oder den ‚Azan’ so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
76 
Sec. 298 C lautet:
77 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
78 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
79 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
80 
Der Vollständigkeit halber sollen in diesem Zusammenhang noch erwähnt werden (vgl. auch Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.32):
81 
- Sec. 298 A (Gebrauch abschätziger bzw. herabsetzender Bemerkungen in Bezug auf heilige Personen; Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, Geldstrafe oder beides);
82 
- Sec. 295 (Beleidigung oder Schändung von Orten der Verehrung mit dem Zweck bzw. Ziel, eine Religion jeder Art herabzusetzen, Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahre, Geldstrafe oder beides);
83 
- Sec. 295 A (Vorsätzliche und böswillige Handlungen mit dem Zweck die religiösen Gefühle jeden Standes zu verletzen durch Beleidigung der Religion oder des Glaubens, Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren, Geldstrafe oder beides) und
84 
- Sec. 295 B (Beleidigung bzw. Verächtlichmachung des Heiligen Korans, lebenslange Freiheitsstrafe).
85 
Alle genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch schon ausführlich HessVGH, Urteil vom 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris, Rdn. 92 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.1992 - 2 BvR 1263/92 - juris, m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; vom 25.01.1995 - 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere dort auch noch zur mittlerweile irrelevanten Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen in weiten Teilen diskriminierende, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR (vgl. auch Art. 52 Abs. 1 GRCh) zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c) RL 2004/83/EG (identisch mit RL 2011/95/EU) erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, Urteil vom 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960, Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/), wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Soweit man einzelne Bestimmungen im Ansatz noch als zulässige Begrenzung der Religionsfreiheit ansehen wollte (etwa Sec. 298 C letzte Variante), fehlt allerdings schon jede tatbestandliche Eingrenzung, vielmehr wird mit ihrer begrifflichen Weite ein Einfallstor für Willkür eröffnet (vgl. hierzu noch unten d). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und weshalb zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind (so noch BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts), weshalb auch offen bleiben kann, ob unter dem Regime der Qualifikationsrichtlinie eine derart weitgehende Beschränkung der Religionsfreiheit für die Betroffenen, wie sie das Bundesverfassungsgericht für das Asylgrundrecht noch für richtig gehalten hat, hinzunehmen und unionsrechtskonform wäre. Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten vermittelnden Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen gerade nicht von ihnen ausgehen (vgl. hierzu auch Rashid, Pakistan’s Failed Commitment, S. 32), sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie mittlerweile auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan vom 10.09.2007, S. 6 und 10 und nunmehr Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.12, 19.27, 19.44, 19.121, 19.127 und 19.145). Von einer legitimen Begrenzung der religiösen Betätigung von Ahmadis kann auch deshalb keine Rede sein, weil der pakistanische Staat keine effektiven legislativen und exekutiven Maßnahmen ergreift, um dem aggressiven Wirken entgegenzutreten und den Minderheiten – als Kehrseite möglicher ihnen auferlegter maßvoller Beschränkungen – einen wirklich geschützten Freiraum für ihr Wirken bereitstellt (vgl. zur Weite der Vorschriften und ihrer grenzenlosen Auslegung bzw. Anwendung unten d).
86 
c) Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung nach Sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, wurden nach dem Bericht „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (Annex II), den auch das Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14.11.2012 als relevant angesehen hat (dort Rdn. 30, Fn. 6), im Zeitraum April 1984 bis 31.12.2011 offiziell insgesamt 3.820 „Police Cases“ gegen Ahmadis registriert, davon 299 wegen „Blasphemie“, zuzüglich über 60.000 Verfahren (wegen Sec. 298 C) gegen den sich am 28. Mai 2008 ausdrücklich aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Begründung des Khalifentums öffentlich zu den Ahmadis bekennenden Teil der Bevölkerung von Rabwah (jetzt Chenab Nagar oder Tschinab Nagar; vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006), die 2009 noch anhängig gewesen waren (Home Office Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.136; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorités religieuses, 31.08.2009, S. 9), mittlerweile aber eingestellt wurden (vgl. Khan an das VG Stuttgart vom 09.05.2013). Bereits im Jahre 1989 waren schon einmal Verfahren gegen alle Ahmadis von Rabwah wegen des Vorwurfs nach Sec. 298 C eingeleitet worden, die im Jahre 2006 noch anhängig waren (vgl. hierzu Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 10 f. und 35), aber vermutlich auch eingestellt wurden; diese nach dem genannten Bericht nicht genauer bezifferten Verfahren müssen daher im Grundsatz noch bei der Zahl von Ermittlungsverfahren berücksichtigt werden. Auch wenn diese augenscheinlich nicht konsequent oder nur gegenüber Einzelnen betrieben werden, so ist doch aus der Tatsache, dass sie erst nach einigen Jahre förmlich eingestellt und immerhin im Abstand von 10 Jahren zweimal eingeleitet wurden, nur der Schluss zu ziehen, dass sie instrumentalisiert wurden, um die Betroffenen massiv einzuschüchtern. Aus diesem Grund können diese Verfahren bei der vorzunehmenden wertenden Gesamtbetrachtung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Allerdings dürfen sie nicht mathematisch exakt in eine quantitative Bewertung eingerechnet werden, weil es in der Regel jedenfalls zu keinen Anklagen gekommen ist und andernfalls ein unzutreffendes Bild von der Wirklichkeit ergäbe.
87 
Das Home Office (Ziff. 19.49) spricht für den Zeitraum 1986 bis 2006 allein von 695 Verfahren spezifisch wegen Blasphemie (sec. 295 C), in denen es auch zu Anklagen gekommen ist, darunter 239 Ahmadis; insgesamt wurden im Zeitraum 1984 bis 2004 über 5.000 Anklagen gegen Ahmadis mit einem religiösen Hintergrund erhoben. Im Juni 2011 waren mindestens 14 Verfahren gegen Ahmadis anhängig gewesen, in denen (nicht rechtskräftig) die Todesstrafe verhängt worden war (Ziff. 19.39). Nach vermutlich anderen Quellen sind von 1984 bzw. 1987 bis 2011 1.117 Personen wegen Blasphemie angeklagt worden (Ziff. 19.50). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären (Ziff. 19.134 ff.). Weitere aussagekräftige Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Die Beklagte hat solche auch nicht mitgeteilt bzw. aufgezeigt, wie noch verlässliche Informationen zu erlangen sein könnten.
88 
Bei Rashid (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 und 28 f.) finden sich folgende Zahlen: Seit 1984 wurden 764 Ahmadis angeklagt, weil sie die Kalima gezeigt bzw. gelesen hatten, 38 wurden wegen der Verwendung des Gebetsrufs angeklagt; 434 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich als Muslim bezeichnet hatten, 161 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich islamischer Terminologie in der Öffentlichkeit bedient hatten; 93 Anklagen bezogen sich auf das Verrichten von Gebeten in der Öffentlichkeit und 719 Anklagen wurden wegen öffentlichen Predigens und Werbens für den Glauben erhoben. Auch bei Rashid werden die Verfahren gegen 60.000 Ahmadis aus Rabwah erwähnt. Insbesondere erwähnt Rashid, dass allein im Jahre 2009 mindestens 74 Ahmadis eines Deliktes nach Sec. 295 C Penal Code beschuldigt worden seien.
89 
Mit Blick auf die grundsätzlich vom Bundesverwaltungsgericht geforderte Relationsbetrachtung (Rdn. 33) ist in diesem Zusammenhang allerdings zu bemerken, dass nicht alle vorgenannten Verfahren notwendigerweise und uneingeschränkt Glaubensbetätigungen betreffen müssen, die gerade in der Öffentlichkeit stattfinden. Diese Annahme liegt deshalb nahe, weil etwa falsche Verdächtigungen und Anschuldigungen (vgl. hierzu auch unten d) auch andere Hintergründe und Vorwürfe zum Inhalt haben können. Diese Zahlen sind daher von ihrer Struktur wenig geeignet, als Grundlage der Relationsbetrachtung zu dienen. Der Senat sieht aber auch hier keinen konkreten erfolgversprechenden Ermittlungsansatz, wie der Anteil verlässlich festzustellen sein sollte, der spezifisch Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit betrifft, und zum anderen, um wie viele Personen es sich dabei gehandelt haben könnte, für die ein öffentlichkeitswirksames Agieren zum identitätsbestimmenden und unverzichtbaren Merkmal des eigenen Glaubensverständnisses zählt.
90 
d) Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz, oftmals nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt auch darauf beruht, dass sie häufig durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 14; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.59 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 15 ff., und 2012, S. 17 ff.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2). In der Regel werden die eines Verstoßes gegen die Blasphemiebestimmungen Beschuldigten bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.53; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing The International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, 14.05.2012, S. 6). Dieser Umstand ist vor allem auch deshalb so gravierend, weil Folter auf Polizeistationen und in Haft an der Tagesordnung ist (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 23; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 6; Asia Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 21 ff.). Die Haftbedingungen werden als teilweise sogar lebensbedrohend bezeichnet (vgl. SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 4 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, S. 9). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt. Die Bestimmung der Sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von Sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten im Sinne von Sec. 295 C (vgl. hierzu im Einzelnen schon HessVGH, U. v. 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris - Tz. 46 und 69). Generell werden alle genannten Vorschriften wegen ihrer begrifflichen Unbestimmtheit bzw. der schwammigen Formulierungen weit und zulasten der Ahmadis ausgelegt und angewendet. Sie sind daher ein (offenes) Einfallstor für blanke Willkür. So kommt es etwa zu Anklagen gegen Eltern, wenn sie ihre Kinder Mohammed nennen (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.103; vgl. auch Ziffer 19.139).
91 
Die Strafvorschriften werden dabei nicht selten auch gezielt genutzt, um – auch aus eigensüchtigen Motiven – Ahmadis mit falschen Anschuldigungen unter Druck zu setzen und zu terrorisieren (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.57 f.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 15). Die Anzeigeerstatter laufen dabei keine Gefahr, wegen falscher Anschuldigung verfolgt zu werden. Eine Anzeige kann zudem erhebliche Konsequenzen für die Betroffenen und ihre Familien haben. So wurden zwischen 1986 bis 2010 34 Personen, die nach den Blasphemiegesetzen angeklagt worden waren, von privaten Akteuren umgebracht; im Jahre 2010 wurden allein vier Personen (zwei Christen und zwei Muslime) getötet (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47); auch die Familien werden in Drohungen und Einschüchterungen einbezogen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47 und 19.52; AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12). In diesem Zusammenhang ist etwa die radikal-islamische Gruppierung „Khatm-e-Nabuwwat“ („Siegel der Prophetenschaft“) zu erwähnen, die u.a. mit diesen Mitteln gezielt und völlig ungestraft gegen Ahmadis vorgeht (vgl. auch AA, Lagebericht 02.11.2012, S. 14; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 13 ff.; vgl. zu der Organisation noch im Folgenden unter Ziff. 2.g). Zwar hat die Gruppierung in der Vergangenheit etwa gegenüber der „Parliamentary Human Rights Group“ (vgl. S. 8 f.) den Versuch unternommen, ihr Verhältnis zu den Ahmadis und ihre Vorgehensweise diesen gegenüber als wesentlich offener und zurückhaltender darzustellen. Bereits zum damaligen Zeitpunkt hatte dem aber etwa der Präsident von amnesty international Pakistan deutlich widersprochen (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8). Durch die neueren Entwicklungen sind diese Aussagen der Gruppierung ohnehin eindeutig überholt bzw. widerlegt (vgl. unten Ziffer 2 g; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013).
92 
Die Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen die Blasphemiebestimmungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte hinziehen und zu keinem Ende gebracht werden, was einschneidende Folgen für die Betroffenen hat, selbst wenn sie sich in Freiheit befinden. Denn sie müssen sich in der Regel alle 15 bis 30 Tage bei der ermittelnden Polizeistation, die sich oftmals nicht an ihrem Wohnort befindet, melden, auch wenn das Verfahren gar nicht konkret gefördert wird (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 12 f.).
93 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen (vgl. Sec. 295 und 295 A), in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn religiöse Gefühle der Ahmadis und anderer religiöser Minderheiten durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 3; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.33).
94 
Der Versuch einer Reform der Blasphemiegesetze ist vollständig gescheitert, insbesondere im Kontext der Ermordung des Gouverneurs von Punjab und des Minsters für Minderheiten im Jahre 2011 (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.76; UNHCHR, Guidelines, S.11 f.; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2011, March 2012, S. 82 und 89 f.; vgl. auch Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 29 f., mit Hinweisen auf öffentliche Äußerungen des pakistanischen Ministers Babar Awan sowie des Premierministers Gilani aus Anlass der Verurteilung der christlichen Frau Asia Bibi). Eine Änderung zum Positiven ist auch mit Rücksicht auf das Ergebnis der Präsidentenwahlen im Mai diesen Jahres, die der Vorsitzende der Muslimliga Nawaz Sharif gewonnen hat, nicht zu erwarten.
95 
Eine im Jahre 2004 eingeführte Reformmaßnahme, wonach nur höhere Offiziere die Ermittlungen führen dürfen, hat nach übereinstimmender Einschätzung keine Verbesserungen gebracht (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12; UNHCR, Guidelines, S. 15).
96 
In den verwerteten Dokumenten wird auch von einem völligen Scheitern und Versagen der Strafjustiz und der Strafverfolgungsorgane gesprochen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.42 f.; UNHCR, Guidelines, S. 6; Parlamentary Human Rights Group (PHRG), Report of PHRG Fact Finding Mission To Pakistan, 24.09.2010, S. 9 f.).
97 
Zwar wurde im September 2008 eine Kommission für Angelegenheiten der Minderheiten installiert (vgl. UNHCR, „Guidelines“, S. 4). Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass diese irgendwelche substantiellen Verbesserungen gebracht hat (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.29; vgl. hierzu auch Upper Tribunal Urteil vom 14.11.2012, S. 15; vgl. auch U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, S. 121 f., wonach zwar von einigen positiven Schritten in jüngster Zeit berichtet wird, die die pakistanische Regierung an höchster Stelle unternommen haben soll, von wirkungsvollen Ergebnissen, insbesondere für das tägliche Leben landesweit, spricht der Report jedoch nicht; es liegt dem Senat auch keine andere Quelle vor, die diesbezüglich verwertbare Informationen enthielte).
98 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen und seine faktische Umsetzung in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte, was exemplarisch durch die in den Jahren 1998 und 2008 gegen alle Einwohner eingeleiteten Verfahren deutlich wird (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.132 ff.). Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten Ziff. 3.b).
99 
e) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf denen öffentlich gebetet wird (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 4, und von 2011, S. 14; U.S. State Department: Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 30; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.143; Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 32). Das gilt insbesondere für die nach ihrem gelebten Glaubensverständnis essentielle jährliche Versammlung („Jalsa Salana“), die letztmals 1983 stattfinden konnte und an der damals 200.000 Gläubige teilnahmen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Jalsa_Salana).
100 
Allerdings wird es Ahmadis nicht von vornherein unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies sicherlich oftmals der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben wird (vgl. schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan von 2011, S. 4), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen (vgl. auch Upper Tribunal, Urteil vom 14.11.2012, S. 18). Möglich ist dieses aber nur noch in kleineren Gebetshäusern, die einen eingeschränkten Bezug zur Öffentlichkeit haben (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Angeben von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart, wonach an Stelle der früheren, 18.000 bis 19.000 Gläubige fassenden Moschee in Rabwah mittlerweile viele kleine Gebetshäuser entstanden sind; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Gefahrlos ist dieses aber auch nicht. Denn die gemeinsame Ausübung des Glaubens wird immer wieder dadurch behindert bzw. unmöglich gemacht, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird oder solche auch von staatlichen Organen zerstört werden (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.132, 19.141 ff., 154; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4 und 13 ff.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3), während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können; Gebetshäuser oder Versammlungsstätten werden immer wieder von Extremisten überfallen (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan,10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.). Gleichwohl geht der Senat in Ermangelung gegenteiliger aussagekräftiger Informationen davon aus, dass Angehörige der Ahmadiyya, die nur derartige Glaubensbetätigungen an den Tag legen und für sich als verbindlich betrachten, damit noch kein „real risk“ eingehen, (von wem auch immer) verfolgt zu werden. Die vom Kläger benannten Fälle, in denen in diesem Jahr auch Verfahren wegen einer Versammlung in (kleineren) Gebetshäusern eingeleitet wurden, stellen diese Annahme nicht grundsätzlich infrage. Anhaltspunkte für die gegenteilige Annahme lassen sich insbesondere auch nicht der Aussage von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 entnehmen (vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Insbesondere ergibt sich aus der Aussage nicht, dass auch diese Personen ihre Aktivitäten vollständig eingestellt haben und etwa die Ahmadi-Gemeinden in Pakistan gewissermaßen nur noch auf dem Papier existieren würden. Im Gegenteil: Allen verwerteten Erkenntnismitteln wie auch den Angaben von Herrn Khan liegt nach Überzeugung des Senats – wenn auch mehr oder weniger unausgesprochen – zugrunde, dass es noch ein, wenn auch eingeschränktes, lokales Gemeindeleben gibt. Treffen in großem Stil zu in erheblichem Maße identitätsstiftenden gemeinsamen Gebeten in ihren großen Moscheen, die die Ahmadis jedoch nicht so nennen dürfen, finden hingegen nicht mehr statt (vgl. die Aussage von Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013). Allerdings ist der Umstand, dass heute auch das gemeinsame Gebet abseits der großen Öffentlichkeit immer wieder behindert und gestört wird bzw. Auslöser für Strafverfahren und Übergriffe privater Akteure sein kann, für die gerichtlicherseits vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 34 ff.) gleichwohl nicht irrelevant, da sie die Lage auch der bekennenden, ihren Glauben in die Öffentlichkeit tragenden Ahmadis mit prägen.
101 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel, andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 7). In diesem Zusammenhang ist aber hervorzuheben, dass sich die Ahmadis als „predigende Religion” verstehen, zu deren sittlichen Verpflichtung es rechnet, den Glauben zu verbreiten und zu verkünden (vgl. Report of the Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16).
102 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 14).
103 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten von Ahmadis im weitesten Sinn werden regelmäßig beschlagnahmt und verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus noch Verbreitung (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 3 und 4 und von 2011, S. 7 und 13 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 30 ff.; vgl. zur Zeitung „Alfzal“ auch Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 37, mit einer Kopie der Verbotsverfügung des Innenministers von Pakistan vom 08.05.2006 und S. 49 f.).
104 
Die Ahmadyyia Gemeinde ist die einzige Gruppe, der ihre im Jahre 1972 verstaatlichten Bildungseinrichtungen (seit 1996) nicht zurückgegeben wurden (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 13 f.)
105 
f) Nur der Vollständigkeit halber soll zur Abrundung des Gesamteindrucks noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden: Die frühere (überdurchschnittliche) Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen ständig (vgl. AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148 f. und 19.164; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report for 2011, S. 5 und 15 f.; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 10; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65, vom 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148, 19.149, 19.164; Immigration and Refugee Board of Canada, S. 3).
106 
g) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligem Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen bewusst untätig zugesehen und sie geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Country Reports on Human Rights Practices Pakistan, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 9 f.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und 4). Dabei wurden in jüngster Vergangenheit auch gezielt Häuser und Geschäfte von Ahmadis niedergebrannt (Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 4). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah. Diese bereits für frühere Zeiträume beschriebene Situation hat sich mittlerweile erheblich verschärft. Es wird übereinstimmend ein vorherrschendes Klima von privaten Akteuren verursachter Gewalt beschrieben, wobei die Gewaltakte bzw. die Aufrufe hierzu regelmäßig sowohl in ordnungsrechtlicher wie erst recht in strafrechtlicher Hinsicht für die Urheber folgenlos bleiben. Es werden regelmäßig regelrechte Hasskampagnen, insbesondere auch Versammlungen und Kundgebungen durchgeführt, auf denen gegen die Ahmadis gehetzt wird und die Besucher aufgewiegelt werden (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.127 f., und sehr ausführlich und anschaulich „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“, S. 2 ff.). Die Wirkungsmächtigkeit der Aktivitäten der maßgeblichen Organisationen sowie einer Vielzahl radikaler Mullahs beruht zu einem guten Teil auf dem Umstand, dass weite Teile der Bevölkerung ungebildet, wenn nicht gar des Schreibens und Lesens nicht mächtig und daher leicht beeinflussbar sind und vor allem das glauben, was sie in den Moscheen hören (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6).
107 
Effektiver Schutz ist regelmäßig nicht zu erlangen (vgl. etwa UNHCR, Guidelines, S. 22; Parliamantary Human Rights Group (PHRG), Fact Finding Mission To Pakistan, S. 3; vgl. beispielhaft zur offensichtlich fehlenden Bereitschaft, den erforderlichen Schutz zu gewähren Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 19, 24 f. und 33 f.). Besonders tut sich in diesem Zusammenhang die Organisation „Khatm-e-Nabuwwat“ hervor (vgl. ausführlich hierzu Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.112 bis 19.119; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8 f.), aber auch die Taliban werden als Urheber benannt (vgl. Rahsid, Pakistan’s failed Commitment, S. 31 ff.). Exemplarisch ist ein Vorfall vom 28.05.2010 anzuführen, bei dem Extremisten der „Khatm-e-Nabuwwat“ anlässlich des Freitagsgebets in Lahore gut koordinierte Angreifer vor zwei Ahmadi-Moscheen „Kill-all“-Rufe skandieren und schließlich die Moscheen stürmen ließen; am Ende wurden 85 Ahmadis getötet und 150 weitere verletzt (Ziff. 19.125; vgl. zum Angriff auf eine Moschee in Rawalpindi am 02.02.2012, Ziff. 19.154). Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass die Organisation mit einem Schwerpunkt auch in Rabwah tätig wird (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.114 f.).
108 
Insgesamt vermittelt die Zusammenstellung des Home Office (Ziff. 19.112 bis 19.147) ein gutes und informatives, aber auch äußerst bedrückendes Bild. Seit 1974 wurden fast 300 Ahmadis allein wegen ihres Glaubens von nicht staatlichen Akteuren getötet. Im Jahre 2010 waren es allein 99. Wie schon erwähnt (vgl. oben IV 1), sind aber verlässliche und aussagekräftige Zahlen nicht zu ermitteln (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.162). Im Hinblick auf die anzustellende Relationsbetrachtung (vgl. hierzu unten Ziffer 3 a) ist bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass im Zusammenhang mit der Benennung der Zahlen nicht zum Ausdruck gebracht wird, wie hoch der Anteil der Betroffenen ist, der die Glaubensbestätigung in der Öffentlichkeit als einen identitätsbestimmenden Teil ihres Glaubens betrachtet. Eine Durchsicht der Zusammenstellung „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (S. 23 ff.) zeigt dies nur zu deutlich; teilweise lässt sich nicht bestimmen, ob der oder die Betreffende dieses Merkmal erfüllt oder nicht. Über das Ausmaß (nur) schwerer nicht tödlich endender Eingriffe in die körperliche Integrität liegen überhaupt keine verlässlichen Zahlen vor (vgl. auch Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Diese Eingriffe und ihr Ausmaß sind aber für die Beurteilung bzw. Qualifizierung des Bedrohungspotentials gleichfalls von erheblicher Relevanz, da sie – neben den staatlichen Verboten und strafrechtlichen Sanktionen - ebenfalls von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung sein können, ob jemand seinen Glauben aktiv in die Öffentlichkeit trägt oder dieses unterlässt.
109 
Nicht speziell in Bezug auf Ahmadis berichtet Rashid zu Todesfällen aufgrund religiös motivierter Gewalt: 2007 seien es über 1.500 gewesen, im Jahre 2008 2.155, im Jahre 2009 über 2.300. Im Jahre 2010 sei die Zahl zwar auf 1.796 zurückgegangen, um dann aber im Jahre 2011 wiederum auf mindestens 2.545 Fälle zu steigen (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 f., dort auch zu Zahlen von Todesopfern unter den Minderheiten der Christen und Hindus; vgl. auch Asian Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 8, wonach in den letzten drei Jahren über 800 Shia Muslime (Schiiten) durch religiöse Gewalt getötet worden seien, ohne dass staatliche Organe irgendwelche glaubwürdigen Gegenmaßnahmen ergriffen hätten; vgl. hierzu auch U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 2012, S. 124). Die sanktionslosen Gewaltexzesse gehen sogar so weit, dass etwa im Juni 2006 ein ganzer von Ahmadis bewohnter Teil eines Dorfes (Jhando Sahi) niedergemacht und zerstört wurde, ohne dass dieses Konsequenzen nach sich gezogen hätte (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 18 und 45 ff.). Andere Quellen sprechen davon, dass nachweisbar 210 Ahmadis wegen ihres Glaubens getötet worden seien; zudem weiß man hiernach von 254 entsprechenden Mordversuchen zu berichten (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.131). In diesen Zahlen dürften die Opfer des Anschlags vom 28.05.2010 in Lahore (siehe oben) allerdings noch nicht enthalten sein.
110 
Dieses Bild der Schutzlosigkeit der Ahmadis wird ergänzt durch die seit 2011 zunehmenden Berichte von Schändungen von Ahmadi-Gräbern im gesamten Punjab (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.156). Zudem schwenken in jüngerer Zeit die Medien, nicht nur das staatliche Fernsehen, sondern auch die traditionell eigentlich eher liberale englischsprachige Presse auf die Anti-Ahmadi-Rhetorik ein. Dies hat zur Folge, dass sich die Auffassung, Ahmadis folgten einer Irrlehre und seien keine Muslime bzw. Apostaten, in der Mehrheitsbevölkerung allgemein durchzusetzen und zum Allgemeingut zu werden beginnt, was zu einer weiteren Verschärfung der allgegenwärtigen Diskriminierungen der Ahmadis führt (Ziff. 19.150). Die Parliamentary Human Rights Group prognostiziert, dass Pakistan – nicht zuletzt auch mit Rücksicht auf seinen Umgang mit den Ahmadis - dabei sei, zu einem „failed state“ zu verkommen (vgl. S. 3). Nach Überzeugung des Senats sind die Ahmadis mittlerweile in eine Situation geraten, in der sie mit guten Gründen im traditionellen mittelalterlichen Sinn als „vogelfrei“ bezeichnet werden können. Dies gilt im Ausgangspunkt für alle „bekennenden“ Ahmadis, auch wenn sie ihren Glauben nicht bekennend und für ihn werbend bewusst in die Öffentlichkeit tragen (wollen). Für den Senat bestehen aber, wie bereits eingangs ausgeführt, keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass für jeden Angehörigen dieser Gruppe bereits ein „reales Risiko“ besteht.
111 
Typisch für das Klima der Gewalt ist etwa eine Äußerung des früheren Ministers für Religionsangelegenheiten Amir Liaquat Hussain, die dieser ungestraft im Jahre 2008 in einer beliebten Fernsehshow gemacht hatte, wonach es sowohl notwendig sei, aber auch dem Islam entspreche, alle Ahmadis zu töten (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 23). Im Dezember 2010 konnte ein einflussreicher Kleriker, Yousef Qureshi, 6.000 US Dollar für die Ermordung der Christin Asia Bibi ausloben, ohne dass dieses irgendwelche Konsequenzen für ihn hatte. Nach der Ermordung des Gouverneurs der Provinz Punjab, der sich für eine Reform der Blasphemiegesetze stark gemacht hatte, am 03.01.2011, wurde dessen Tod richtiggehend gefeiert. Dabei konnten ungestraft 500 Kleriker öffentlich verkünden, dass dessen Tod ein Sieg für das gesamte Land sei (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 30).
112 
Von der Parlamantary Human Rights Group wird – gut nachvollziehbar – bereits bezogen auf das Jahr 2006 die Lage so eingeschätzt, dass der gesamte Prozess der Regierung nicht mehr umkehrbar entglitten ist und sie gewissermaßen die Geister, die sie rief, nicht mehr in los wird (vgl. Januar 2007, S. 8).
113 
3. a) Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) schon im Jahre 2005 und somit vor der mittlerweile stattgefundenen und weiter stattfindenden Verschärfung der Lage in der Weise zusammenfassend charakterisiert worden war, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellte und stellt nunmehr umso mehr für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen identitätsbestimmender Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL dar. Der Präsident von amnesty international Pakistan wurde dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführe, dass es niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.; vgl. aber zur gleichfalls prekären, durch Marginalisierung und Armut geprägten und sich zunehmend verschlechternden Lage der Christen U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, 121 ff., 125 f.; UNHCR, Guidelines, S. 25 ff.)
114 
Von zentraler Bedeutung für die Einschätzung der Lage der Ahmadis durch den Senat ist dabei das gegen sie gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot, sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis in vielfältiger Weise insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b) QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen weiteren Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c) QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn namentlich jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung oder sonstiger Leib und Leben gefährdender Übergriffe möglich sind. Diese Verbote sind auch eine wesentliche ideologische Absicherung und Grundlage für das zunehmend aggressiv werdende Handeln privater Akteure gegenüber Mitgliedern der Religionsgemeinschaft der Ahmadis. Die Blasphemiegesetze werden von Human Rights Watch Asia als ein wesentlicher Nährboden für die zunehmende extremistische und religiös begründete Gewalt beschrieben und bewertet (so Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 16 f.; vgl. auch ders. S. 9 mit dem Hinweis, dass eine weitere Ursache der Gewalt jedenfalls gegenüber den Ahmadis darin zu erblicken sei, dass es diese konsequent und einschränkungslos ablehnen, den Islam mit Gewalt zu verbreiten; vgl. auch Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6 und 9 die zusätzlich darauf hinweist, dass in der muslimischen Mehrheitsbevölkerung die Ansicht weit verbreitet ist, die Ahmadiyya Bewegung sei ein Produkt der britischen Kolonisatoren, um die Muslime zu spalten). Die Kehrseite von alledem ist dann, dass auch der solchermaßen erzwungene Verzicht auf öffentlichkeitsbezogenes Glaubensleben bei dem hier in den Blick zu nehmenden Personenkreis eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt, die für sich betrachtet bereits die maßgebliche Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt und die selbst auf Eingriffshandlungen zurückzuführen ist, die ihrer Art und Wiederholung nach keine gleichartigen Eingriffshandlungen ausmachen (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL; vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 37). Denn bezogen auf das jeweilige betroffene Subjekt ist gewissermaßen in erster Linie das Ergebnis bzw. der Erfolg relevant, nämlich den Glauben nicht mehr öffentlichkeitswirksam in zumutbarer Weise auszuüben oder ausüben zu können. Eine Unterscheidung zwischen einem durch staatliche Maßnahmen induzierten Verzicht (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a) QRL) und einem solchen, der auf das Handeln nicht staatlicher Akteure zurückgeht ist (vgl. dann Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL), ist dabei nicht möglich und wäre völlig lebensfremd. Sie würde namentlich an der Realität in Pakistan vorbeigehen. Die Beweggründe für einen bekennenden Ahmadi, entgegen seinem verpflichtenden Glaubensverständnis den Glauben gleichwohl nicht in die Öffentlichkeit zu tragen, können und werden notwendigerweise nicht eindimensional sein.
115 
Bei diesem Ausgangspunkt kann für die bei einem – wie hier – unverfolgt ausgereisten Ahmadi, der glaubhaft erklärt hat, er werde im Falle der Rückkehr aus Furcht seinen Glauben nicht öffentlich bekennen bzw. für ihn werben, anzustellende Verfolgungsprognose nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung bezogen auf den hier zu betrachtenden Personenkreis rechtfertigen würden. Geht man von deutlich mehr als 60.000 eingeleiteten Strafverfahren (zuzüglich der im Jahre 1989 gegen die Bewohner Rabwahs eingeleiteten Verfahren, deren Zahl nicht bekannt ist) in einem Zeitraum von knapp dreißig Jahren aus, so darf allerdings nicht unterstellt werden, dass jedes dieser Verfahren schon mit einem relevanten Verfolgungseingriff verbunden war (vgl. hierzu auch oben 2 c). Daher erscheint auf den ersten Blick dann eine darunter liegende Zahl eher zu gering und nicht geeignet zu sein, eine ausreichende Verfolgungswahrscheinlichkeit zu begründen. Hiermit kann es aber nicht sein Bewenden haben. Hinzugezählt werden müssen, wie bereits erwähnt, nämlich die vielfältigen und unzweifelhaft zahlreichen, strafrechtlich bzw. ordnungsrechtlich nicht geahndeten Verfolgungsakte privater Akteure, die das tägliche Leben eines gläubigen und in der Öffentlichkeit bekennenden Ahmadi unmittelbar in sicherheitsrelevanter Weise berühren, wenn nicht gar prägen und in dieses eingreifen, wobei allerdings, wie bereits ausgeführt, die Eingriffe seriös und belastbar nicht quantifiziert werden können. Entgegen dem in Rdn. 33 des Revisionsurteils vermittelten Eindruck kann bei der Relationsbeurteilung auch nicht allein darauf abgestellt werden, in wie viel Fällen Strafverfahren eingeleitet und durchgeführt wurden bzw. werden. Denn das erzwungene Schweigen der hier interessierenden Personengruppe, das den relevanten Verfolgungseingriff darstellen kann, beruht, wie bereits ausgeführt, auch, wenn nicht gar überwiegend, auf den gewalttätigen, Leib und Leben gefährdenden bzw. sogar verletzenden Handlungen privater Akteure, die ungehindert und ungestraft vorgehen können und die damit nach Art. 6 lit. c) QRL flüchtlingsrechtlich relevant sind. Wollte man diesen Faktor unberücksichtigt lassen, würde ein völlig falsches Bild von der Situation der Ahmadis und deren Motivationslage gewonnen. Der Senat sieht sich nicht durch § 144 Abs. 6 VwGO gehindert, im Kontext der Relationsbetrachtung eine (unerlässliche) Ergänzung um diesen Gesichtspunkt vorzunehmen, weil er – nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Ausführungen unter Rdn. 25 des Revisionsurteils - nicht zu erkennen vermag, dass die Vorgaben des Revisionsurteils an dieser Stelle abschließenden Charakter haben. Wenn das Bundesverwaltungsgericht dort davon spricht, dass die vom Europäischen Gerichtshof angesprochene Verfolgung eine strafrechtlich relevante sein müsse, so wird diese Interpretation zwar vom Kläger infrage gestellt, gleichwohl sprechen aus der Sicht des Senats die besseren Gründe für die Sichtweise des Bundesverwaltungsgerichts. Zwar führt dieses dann dazu, dass die Verfolgungshandlungen der strafrechtlichen Verfolgung wie auch der Bestrafung nur solche sein können, die von staatlichen Akteuren ausgehen. Dieses gilt jedoch nicht in gleicher Weise für die unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung, die ohne weiteres auch nicht staatlichen Akteuren zugeordnet werden kann. Leibes- und lebensbedrohende Übergriffe privater Akteure auf einen Andersgläubigen sind aber zwanglos als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu begreifen.
116 
Aus allen vorliegenden Informationen kann nach Überzeugung des Senats auch der hinreichend verlässliche Schluss gezogen werden, dass für diejenigen Ahmadis, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und das Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen, in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko besteht, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen (würden). Denn bei dieser wertenden Betrachtung ist auch das erhebliche Risiko für Leib und Leben - insbesondere einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten bzw. gravierenden Übergriffen privater Akteure - zu berücksichtigen, sodass an den Nachweis der Verfolgungswahrscheinlichkeit keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen. Es entspricht der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung auch schon dann vorliegen kann, wenn aufgrund einer „quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für die Realisierung eines Verfolgungseingriffs besteht. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise eher nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er sein Heimatstaat verlassen soll oder in dieses zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber - wie im Falle der Ahmadi in Pakistan - jahrelange Haft, Folter oder gar Todesstrafe oder Tod oder schwere Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit seitens Dritter riskiert (BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162; vgl. nunmehr auch Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - Rdn. 32). Handelt es sich demnach um einen aktiv bekennenden Ahmadi, für den die öffentliche Glaubensbetätigung zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, muss landesweit von einem realen Verfolgungsrisiko ausgegangen werden.
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Selbst wenn man realistischer Weise nicht der Einschätzung des vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 12.03.2013 vernommenen Herr Khan folgt, dass es etwa 400.000 bekennende Ahmadis in Pakistan gebe und im Wesentlichen alle aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen auf eine öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigung verzichten und nicht etwa teilweise auch aus Opportunität, weil sie letztlich doch nicht so eng dem Glauben verbunden sind bzw. weil für sie der spezifische Öffentlichkeitsbezug nicht Teil ihres bestimmenden religiösen Selbstverständnisses ist, so kann doch nicht von der Hand gewiesen werden, dass es angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten, lebens- und leibesbedrohenden Übergriffe extremistischer Gruppen für viele gläubige Ahmadis der gesunde Menschenverstand nahelegen, wenn nicht gar gebieten wird, öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für viele Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Gemeinschaft der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit sei nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks. Diese seit nunmehr weit über nahezu 30 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und -bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Eine verlässliche Zahl derer, die aus Furcht vor staatlichen und/oder privaten Eingriffen auf eine Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit verzichten, ist in diesem Zusammenhang naturgemäß nicht zu ermitteln, da hierüber keine Aufzeichnungen gemacht und Statistiken geführt werden und es sich regelmäßig auch um innere Meinungsbildungsprozesse handeln wird.
118 
Allerdings sieht sich der Senat nicht in der Lage, eine besondere und zusätzliche Relationsbetrachtung (vgl. Rdn. 33 des Revisionsurteils), die der Absicherung der Einschätzung und zur Plausibilisierung des Verfolgungsrisikos dienen soll, in quantitativer Hinsicht vollständig anzustellen. Wie bereits ausgeführt, lässt sich der in diesem Zusammenhang einzusetzende Faktor der Zahl derjenigen Ahmadi, die trotz aller Verbote, Strafandrohungen, Strafverfahren, verhängter Strafen sowie Leib oder Leben gefährdender Angriffe privater Akteure weiter öffentlichkeitswirksam agieren, nicht annähernd zuverlässig ermitteln, woran die Relationsbetrachtung bereits scheitern muss, wobei ergänzend anzumerken ist, dass nach den einleuchtenden Ausführungen von Herrn Khan gegenüber dem VG Stuttgart alles dafür spricht, dass es eine relevante Anzahl überhaupt nicht mehr gibt. Diese faktischen Grenzen der Ermittlungsmöglichkeiten dürfen allerdings nicht zwangsläufig zu Lasten der Schutzsuchenden und Schutzbedürftigen gehen. Wenn sich aus anderen Erkenntnisquellen plausible Schlussfolgerungen ziehen lassen, die noch hinreichend verlässlich sind, gebietet es im Interesse eines wirksamen und menschenrechtsfreundlichen Flüchtlingsschutzes der unionsrechtliche Grundsatz des „effet utile“, damit sein Bewenden haben zu lassen.
119 
Der Senat verwertet allerdings die von Herrn Khan beim Verwaltungsgericht Stuttgart gemachten Angaben, wonach grundsätzlich jeder Ahmadi, der heute auf öffentlichen Plätzen für seinen Glauben werben würde, damit zu rechnen hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar erhebliche Nachteile zu erleiden (wie Gewaltanwendung staatlicher Organe oder privater Akteure, Strafverfahren und strafrechtliche Sanktionen), weshalb derartiges faktisch kaum mehr stattfindet. Da diese Einschätzung nach den oben gemachten Feststellungen ohne weiteres plausibel ist, sieht der Senat keinen Anlass an deren Zuverlässigkeit zu zweifeln, auch wenn Herr Khan, der als Flüchtling anerkannt ist, sicherlich insoweit gewissermaßen „Partei“ ist, als er selber Ahmadi und unmittelbar den Institutionen der Glaubensgemeinschaft der Ahmadis in Deutschland verbunden ist. Nimmt man noch den von Herrn Khan geschilderten Gesichtspunkt hinzu, dass heute praktisch kein Ahmadi mehr in den großen Moscheen bzw. Gebetshäusern erscheint, um in Gemeinschaft mit anderen am öffentlichen Gebet teilzunehmen, sei es aus Furcht vor staatlichen Eingriffen, sei es (noch wahrscheinlicher) vor privaten Akteuren, so muss nach Überzeugung des Senats von einer (ausreichend) hohen Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, dass ein Ahmadi, der sich nicht um Verbote etc. kümmert und gleichwohl in der Öffentlichkeit agiert, Opfer erheblicher Ein- und Übergriffe werden wird, und deshalb der Verzicht auf ein öffentlichkeitswirksames Glaubensbekenntnis in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Verboten und dem Verhalten privater feindlicher Akteure steht und maßgeblich hierauf beruht.
120 
Selbst wenn man der Auffassung sein wollte, dass der auf die dargestellte Art und Weise verursachte Verzicht auf jede öffentliche Glaubensbetätigung allein noch nicht die Qualität eines relevanten Verfolgungseingriffs hat, so ergibt sich ein solcher jedenfalls aus einer wertenden Zusammenschau dieses Aspekts mit den oben beschriebenen vielfältigen Diskriminierungen und Einschränkungen, die für sich betrachtet entweder noch keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit im konkreten Einzelfall begründen bzw. nicht die erforderliche Schwere aufweisen mögen. Wegen dieser letztlich maßgeblichen Gesamtschau liegt dann in jedem Fall eine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL vor.
121 
b) Einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, zu dessen verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und ggfs. auch zu werben oder zu missionieren, steht kein interner Schutz im Sinne des Art. 8 QRL offen, d.h. es gibt keinen Landesteil, in dem er in zumutbarer Weise und ungefährdet seinen Glauben öffentlich leben kann. Was die dem pakistanischen Staat unmittelbar zuzurechnenden Eingriffe betrifft, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen landesweit die gleichen. Gerade der Umstand, dass 1989 und 2008 Strafverfahren gegen alle Ahmadis in Rabwah eingeleitet worden waren, belegt dieses eindringlich. Was die Aktionen privater Akteure betrifft, geht die Einschätzung der Parliamentary Human Rights Group - PHRG - (Report of the PHRG Fact Finding Mission to Pakistan vom 24.10.2010, S. 2) und der von ihr angehörten Gewährspersonen dahin, dass eine ausreichende Sicherheit auch nicht in Rabwah besteht. Der Präsident von amnesty international von Pakistan wird dahin gehend zitiert, dass Ahmadis nirgends sicher seien, auch nicht in Rabwah, denn die Polizei würde auch den erforderlichen Schutz dort nicht gewähren, was er plausibel damit erklärt, dass die bereits erwähnte Gruppierung Khatm-e Nabuwwat einen Schwerpunkt ihrer Betätigung in Rabwah hat, wenn er auch nicht gänzlich in Abrede stellt, dass das Sicherheitsniveau dort etwas höher sei, besser wäre hier allerdings davon zu sprechen, dass das Unsicherheitsniveau etwas niedriger ist (vgl. zu alledem Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.145 ff.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 20 ff. mit vielen Einzelaspekten). Die Situation wird – in erster Linie in Bezug auf nicht staatliche Akteure – auch so beschrieben, dass die Bedrohung von Ort zu Ort unterschiedlich ist und von Jahr zu Jahr wechselt (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.151). Ganz abgesehen davon ist für den Senat nicht ersichtlich, dass alle landesweit lebenden Ahmadis in Rabwah eine den Anforderungen des Art. 8 QRL genügende wirtschaftliche Existenz finden könnten (vgl. UNHCR, Guidelines, S. 43, und ausführlich zur wirtschaftlichen Situation in Rabwah Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 7 und 24 ff.).
122 
4. Gläubige Ahmadis hingegen, die nicht zu der oben beschriebenen Gruppe rechnen, weil für sie der Aspekt des aktiven Bekenntnisses in der Öffentlichkeit keine besondere Bedeutung hat, können hiernach nur dann von einem Verfolgungseingriff aufgrund einer kumulativen Betrachtungsweise nach Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL betroffen sein, wenn nach den Verhältnissen in Pakistan diese Betroffenheit sich generell aufgrund sonstiger Diskriminierungen als eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellen würde. Von einer generellen Betroffenheit aller Mitglieder der Teilmenge der gläubigen, ihren Glauben auch (ohne direkten Öffentlichkeitsbezug) praktizierenden Ahmadi kann, was die die oben angesprochenen Diskriminierungen im Bildungswesen und beruflicher Art betrifft, noch nicht gesprochen werden. Hier kann sich allein im Einzelfall aus einer Gesamtschau eine ausreichende Schwere der Verletzung ergeben. Allerdings besteht eine generelle Betroffenheit insoweit, als sie sich nicht einmal als Moslems bezeichnen dürfen und die Finalität des Propheten Mohamed anerkennen müssen, was dann mittelbar eine gleichberechtigte Teilhabe an den staatsbürgerlichen Rechten, wie dem Wahlrecht unmöglich macht. Da jedoch die eigentlich Glaubensbetätigung auch außerhalb des eigentlichen „forum internum“ – vorbehaltlich weiterer künftiger Verschärfungen insbesondere von Seiten privater Akteure – noch möglich ist, ohne dass dieses mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erheblichen Beeinträchtigungen führt, liegt nach Auffassung des Senats, obwohl diese Betätigungen keineswegs risikofrei sind, noch keine auf diese bezogene schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach der vom Europäischen Gerichtshof in seiner Rechtsprechung verbindlich entwickelten Auslegung des Art. 9 Abs. 1 QRL vor.
123 
Etwas anderes gilt selbstverständlich auch dann, wenn ein solcher Ahmadi unmittelbar und konkret von einem staatlichen Verfolgungsakt betroffen ist, der an seine religiöse Überzeugung anknüpft (vgl. Art. 10 Abs. 2 QRL), der mit einem Eingriff in Leib, Leben oder Freiheit (im engeren Sinn) verbunden ist; ebenso dann, wenn ein derartiger Eingriff von nicht staatlichen Akteuren ausgeht und die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 QRL nicht vorliegen, wovon aber nach vom Senat getroffenen Feststellungen (vgl. oben 2 g) auszugehen ist.
124 
V. Der Senat ist gleichfalls überzeugt, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Er kann zunächst auf die Ausführungen im Urteil vom 13.12.2011 verweisen. An dieser Einschätzung ist auch nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung festzuhalten. Er hat – wenn auch mit einfachen Worten – dem Senat die Überzeugung vermittelt, dass das öffentliche und auch werbende Bekenntnis für seinen Glauben für ihn selbst von großer Bedeutung ist, er tatsächlich danach lebt und es ihn erheblich belasten würde, wenn er dieses aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen unterlassen müsste.
125 
Damit gehört der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehen und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen sind.
126 
VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.
127 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 28. September 2007 – A 6 K 258/07 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der im Jahre 1977 geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger. Er ist Angehöriger der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya. Er hat im Verwaltungsverfahren zum Nachweis eine Bescheinigung der Ahmadiyya Muslim Jamaat Frankfurt vom 10.07.1998 vorgelegt.
Nach seinen Angaben reiste er am 26.04.1998 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 08.05.1998 einen Asylantrag. Zur Begründung seines Asylbegehrens trug er im Wesentlichen vor: Er sei von Geburt an Ahmadi. Seine Familie sei die einzige Ahmadi-Familie im Dorf gewesen. Sie seien daran gehindert worden, ihre Religion auszuüben. Er sei des Öfteren von sunnitischen Priestern und deren Anhängern beschimpft worden. Ein öffentliches Beten sei wegen der Gefahr einer Inhaftierung zu gefährlich gewesen. Die Familie sei regelrecht ausgegrenzt gewesen. Etwa 10 bis 15 Tage vor seiner Ausreise sei er bei einer Auseinandersetzung von zwei sunnitischen Priestern und zwei Anhängern dieser Priester angegriffen worden. Er sei auf dem Heimweg von den Feldern gewesen und sei von diesen Personen angehalten worden. Man habe ihn beschimpft und aufgefordert, seinen Glauben aufzugeben. Auf seine Weigerung hin habe er zunächst Ohrfeigen erhalten, später habe man ihn mit Füßen traktiert. Er habe diesen Vorfall der Polizei gemeldet. Die Polizei habe aber jegliche Hilfe abgelehnt mit der Begründung, Ahmadis hätten keinen Anspruch auf polizeiliche Unterstützung. Etwa 10 Tage nach diesem Vorfall sei zwischen 22.00 Uhr und 23.00 Uhr das Haus beschossen worden. Verletzte habe es keine gegeben. Er sei durch die Schüsse aufgeweckt worden und habe erkennen können, dass es sich bei den Tätern um Anhänger dieser sunnitischen Priester gehandelt habe. Wegen dieses Überfalls hätten ihn seine Eltern aufgefordert, die Heimat zu verlassen. Er habe noch weitere Geschwister, nämlich eine jüngere Schwester und einen jüngeren Bruder. Diese seien von den Eltern nicht aufgefordert worden, das Land zu verlassen, und zwar deshalb, weil beide noch relativ jung gewesen seien und nur Leute in seinem Alter Verfolgung zu erleiden hätten. Im Falle der Rückkehr werde er wahrscheinlich von den sunnitischen Priestern bzw. ihren Anhängern getötet werden.
Mit Bescheid vom 19.06.1998 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Abs. 1 AuslG und auch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen. Zugleich wurde dem Kläger die Abschiebung nach Pakistan angedroht.
Der Kläger erhob daraufhin Klage zum Verwaltungsgericht Sigmaringen. Nachdem der Kläger im Laufe des Jahres 1999 längere Zeit unbekannten Aufenthalts war, stellte das Verwaltungsgericht Sigmaringen nach erfolgloser Betreibensaufforderung durch Beschluss vom 01.02.2000 (A 9 K 10011/00) das Verfahren ein.
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 08.01.2007 - beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eingegangen am 11.01.2007 - stellte der Kläger einen Folgeantrag und trug zur Begründung vor: Durch die Richtlinie 2004/83/EG habe sich die Rechtslage zu seinen Gunsten verändert. Nunmehr sei von einer Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan auszugehen. Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG - Qualifikationsrichtlinie (QRL) - präzisiere den Verfolgungsgrund der Religion dahingehend, dass nunmehr auch Glaubensausübungen im öffentlichen Bereich mitumfasst seien. Damit sei u.a. auch das aktive Missionieren vom Schutzbereich umfasst. Die bisherige Rechtsprechung zum religiösen Existenzminimum könne nicht aufrechterhalten werden.
Mit Bescheid vom 16.05.2007 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und auf Abänderung des Bescheids vom 19.06.1998 hinsichtlich der Feststellung zu § 53 AuslG ab.
Am 23.05.2007 hat der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Sigmaringen erhoben mit dem Ziel einer Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie weiter der Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Zur Begründung hat er im Wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen Bezug genommen. Die Beklagte ist der Klage aus den Gründen des angegriffenen Bescheids entgegengetreten.
Durch Urteil vom 28.09.2007 - A 6 K 258/07 - hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Eine staatliche oder nichtstaatliche Gruppenverfolgung von Ahmadis in Pakistan könne derzeit nicht angenommen werden und drohe auch nicht in absehbarer Zukunft. Das Gericht folge insoweit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg und der obergerichtlichen Rechtsprechung. Insoweit habe sich an der Sachlage bis zum heutigen Zeitpunkt nichts Relevantes geändert. Auch das Inkrafttreten des § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG i. d. F. des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union rechtfertige keine abweichende Beurteilung der Sachlage aus Rechtsgründen. Die Neubestimmung des Flüchtlingsbegriffs in Anwendung der Genfer Konvention führe nicht zur Annahme einer Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan. Weder die Qualifikationsrichtlinie noch die Genfer Flüchtlingskonvention forderten inhaltlich eine wesentlich andere Betrachtungsweise, insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob nach Inkrafttreten der neuen Rechtslage die bisherige Rechtsprechung zum „forum internum“ und zur Gewährleistung des asylrechtlich erforderlichen sog. religiösen Existenzminimums weiter fortbestehen könne und inwieweit dies Folgen für die Annahme einer Gruppenverfolgung von Ahmadis habe. Jedenfalls erreichten die im Hinblick auf Ahmadis in Pakistan dokumentierten Verfolgungsfälle, selbst wenn man den Kreis der einbeziehenden Referenzfälle erweitere, weiterhin nicht die zur Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte. Nach Art. 9 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie könnten nur schwerwiegende Verletzungen der Menschenrechte die Flüchtlingseigenschaft begründen. Deshalb seien nicht sämtliche Beeinträchtigungen der Religionsfreiheit bei der Auswahl der zu berücksichtigenden Referenzfälle einzubeziehen. Unter Beachtung der Rechtsanwendungspraxis in Pakistan sei weiter darauf abzustellen, welche Referenzfälle zu Gefahren für Leib, Leben oder die physische Freiheit führten. Was die Frage der öffentlichen Religionsausübung betreffe, sei darauf hinzuweisen, dass den Ahmadis eine öffentliche Religionsausübung nicht völlig unmöglich sei. Das Auswärtige Amt weise im Lagebericht vom 18.05.2007 insoweit beispielhaft darauf hin, dass es Gotteshäuser gebe, in denen Ahmadis trotz der bestehenden Strafvorschriften öffentlich ihren Glauben ausüben könnten. Ahmadis sei es auch nicht untersagt, sich öffentlich zum Quadianismus oder Ahmadiismus als ihrer Religion zu bekennen.
Das Urteil wurde dem Kläger am 24.10.2007 zugestellt.
10 
Am 24.11.2007 hat der Kläger die Zulassung der Berufung beantragt.
11 
Mit Beschluss vom 11.12.2007 - dem Kläger am 24.12.2007 zugestellt - hat der Senat die Berufung zugelassen, soweit der Kläger die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt. Im Übrigen blieb der Antrag bezogen auf die Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG ohne Erfolg.
12 
Am 23.01.2008 hat der Kläger die Berufung unter Stellung eines förmlichen Antrags und unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Zulassungsantrag begründet.
13 
In der Begründung wird im Einzelnen ausgeführt: Als Verfolgung i. S. des Art. 9 Abs. 2 Abs. 1 Buchst. a QRL gälten nunmehr Handlungen, die sich nach ihrer Art oder Wiederholung als eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellten. Als Verfolgung seien aber nach Buchst. b auch Maßnahmen anzusehen, die so gravierend seien, dass eine Person auf eine ähnliche Weise wie nach Buchst. a betroffen sei. Die Religionsfreiheit sei ein Menschenrecht im Sinne dieser Vorschrift, was sich insbesondere aus Art. 18 Abs. 1 und 27 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte sowie aus Art. 9 Abs. 1 EMRK ergebe. Vor diesem Hintergrund sei ein Rückgriff auf die Rechsprechung zum Begriff der politischen Verfolgung im Sinne des Art. 16a GG nicht zulässig. Einschränkungen der Religionsfreiheit dürften nur unter Beachtung des Art. 18 Abs. 3 des internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte sowie Art. 9 Abs. 2 EMRK vorgenommen werden. Die hiernach erforderlichen Gesetze müssten allgemeiner Natur sein, d.h. für alle Staatsbürger, egal welcher religiösen Ausrichtung sie angehörten, gelten. Bezogen auf die Ahmadis in Pakistan bedeute dies, dass sämtliche gegen die Ahmadis gerichteten Strafgesetze offensichtlich nicht diesen Anforderungen genügten. Bereits diese Regelungen seien für sich genommen daher geeignet, als schwerwiegende Verletzung eines Menschenrechts zu gelten. Mit einzubeziehen seien aber auch die staatlichen Regelungen, wonach Ahmadis, um einen Nationalpass ausgestellt zu bekommen, ihre Glaubensgrundsätze dadurch verleugnen müssten, dass sie sich schriftlich auf einem Sonderformular als Nicht-Moslems bezeichnen müssten. Weiter seien die diskriminierenden Regelungen des Wahlrechts zu berücksichtigen, die es Ahmadis seit längerem unmöglich machten, sich auf normalen Wahllisten als Kandidat aufstellen zu lassen oder die normalen Kandidaten zu wählen, was bewirke, dass Ahmadis an den Parlamentswahlen nicht mehr teilnähmen und daher im Parlament nicht mehr vertreten seien. Es werde insoweit auf den sog. Präsidentenerlass Nr. 15 vom 17.06.2002 zur Ergänzung des Erlasses über die allgemeinen Wahlen 2002 verwiesen. Nach dieser Regelung bleibe der Status von Ahmadis unverändert, nach Ziff. 7c der Regelung müssten aber Personen, die sich als Wähler registrieren lassen wollten, für den Fall, dass Einspruch eingelegt werde, innerhalb von 15 Tagen bei der Aufsichtsbehörde erscheinen und ein Formular mit einer Erklärung über die Finalität des Propheten unterzeichnen. Falls der Betreffende sich weigere, werde er als Nicht-Muslim betrachtet und sein Name werde aus dem allgemeinen Wahlverzeichnis gestrichen und der Zusatzliste für Nicht-Muslime zugeteilt. Damit werde sowohl das aktive wie auch das passive Wahlrecht deutlich eingeschränkt. Weiter müssten auch die Regelungen bei der Registrierung von Geburten in Betracht gezogen werden, weil bei den öffentlichen Registrierungsstellen die Religion des Kindes bzw. der Eltern angegeben werden müsse. Ahmadis müssten dort „Ahmadi“ angeben und dürften nicht entsprechend ihrem Selbstverständnis „Moslem“ eintragen lassen. Dies führe in Pakistan faktisch zu einer stigmatisierenden Ausgrenzung. Weiter seien die faktischen Beeinträchtigungen im Schul-, Hochschul- und Ausbildungsbereich sowie die Benachteiligungen bei der Einstellung bzw. Beförderung im öffentlichen Dienst zu berücksichtigen. In Bezug auf das Bildungswesen sei darauf zu verweisen, dass die Studenten auf den Antragsformularen ihre Religionszugehörigkeit angeben müssten. Bezeichneten die Ahmadis sich auf diesem Formular als Moslem riskierten sie eine Freiheitsstrafe. Bezeichneten sie sich als Ahmadi müssten sie damit rechnen, dass ihnen der Zugang verwehrt werde. Würden sie dennoch zugelassen, dürften sie in der Regel nicht am Pflichtfach „Islamyyat“ teilnehmen, was zur Benachteiligung beim Schulabschluss führe. Weiter sei zu verweisen auf die weit verbreiteten Entweihungen der ahmadischen Grab- und Gebetsstätten, der Ausschluss von der Beerdigung auf den meisten Friedhöfen, die Beschränkung der Rede- und Versammlungsfreiheit sowie die Beschränkungen im Bereich der Publizistik. Betrachte man dieses Bündel von diskriminierenden und ausgrenzenden Maßnahmen unterschiedlichen Charakters einerseits sowie andererseits die Tatsache, dass bei einer Gesamtzahl von ca. 2 bis 4 Millionen Ahmadis in Pakistan nur noch ca. 500.000 sog. bekennende Ahmadis lebten, so liege es nahe, dass die weit überwiegende Anzahl der Ahmadis sich nur deshalb nicht traue, sich in der Öffentlichkeit zu ihrem Glauben zu bekennen, um dem auf ihnen lastenden Ausgrenzungsdruck zu entgehen, wobei auch die Existenz und der Vollzug der religiösen Strafgesetze berücksichtigt werden müsse. Auch die Anzahl der tätlichen Angriffe von privaten Dritten in Bezug auf religiöses Verhalten der Ahmadis müsse einbezogen werden.
14 
Was die Einhaltung der Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG betreffen, so sei er erstmals am 04.01.2007 anlässlich einer Vorsprache im Büro seines Prozessbevollmächtigten von diesem über die rechtlichen Änderungen informiert worden. Entgegen mancher Vermutungen habe die Ahmadiyya-Gemeinde ihre Mitglieder nicht über die Qualifikationsrichtlinie unterrichtet.
15 
Der Kläger beantragt,
16 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 28.09.2007 - A 6 K 2558/07 - zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 16.05.2007 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
17 
Die Beklagte beantragt,
18 
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
19 
§ 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 10 Abs. 1 Buchst. b QRL führe zu keiner grundsätzlich abweichenden Bewertung. Ob Eingriffe in die Religion hinreichend schwerwiegende Rechtsgutsverletzungen darstellten, bestimme sich nach Art. 9 QRL. Einschränkungen der religiösen Betätigung als solche stellten nur dann hinreichend schwerwiegende Eingriffe dar, wenn die Religionsausübung gänzlich unterbunden werde oder sie zu einer Beeinträchtigung eines unabdingbaren Teils des religiösen Selbstverständnisses des Gläubigen führen würde und daher ein Verzicht nicht zugemutet werden könne. Der Folgeantrag sei am 11.01.2007 eingegangen.
20 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung ergänzend angehört.
21 
Auf Frage, ob in seinem Wohnort M. noch andere Ahmadis lebten: Nein.
22 
Auf Frage, ob er Kontakte zu anderen Ahmadis in Deutschland habe: Am Anfang als er nach Deutschland gekommen sei, habe er Kontakte gehabt.
23 
Auf Frage, zu wem und wohin er solche Kontakte gehabt habe: Nach Weingarten, dort lebten Ahmadis.
24 
Auf Frage, ob er somit jetzt keinen Kontakt mehr habe: Vor 2 bis 3 Monaten sei er dort gewesen, er habe keine Erlaubnis, den Kreis zu verlassen.
25 
Auf Frage, ob er damals eine Genehmigung gehabt habe: Damals sei sein Gerichtstermin gewesen, er habe das miteinander verbunden.
26 
Auf Vorhalt, dass der Termin beim Verwaltungsgericht Sigmaringen im September letzten Jahres gewesen sei: Damals sei er auch in Weingarten gewesen.
27 
Auf Frage, warum er nach Weingarten gegangen sei: Um ein bisschen Kontakt zu halten.
28 
Auf Frage, was er damals konkret gemacht habe: Das Freitagsgebet.
29 
Auf wiederholte Frage, wie lange er dort gewesen sei: Er sei 1 Stunde oder auch 1 ½ Stunden oder auch 2 Stunden dort gewesen sei:
30 
Auf Frage, ob er vor 2 oder 3 Monaten eine Genehmigung der Ausländerbehörde gehabt habe: Ja, ihm sei eine Genehmigung erteilt worden.
31 
Auf Frage, ob er in den 8 Jahren, die er nunmehr in M. wohne, früher schon einmal in Weingarten gewesen sei: Ja, 3 oder 4 Mal.
32 
Auf Frage, ob dies mit Genehmigung der Ausländerbehörde geschehen sei: Ja, immer mit Genehmigung.
33 
Auf Frage, was der Glaube für ihn bedeute und wie er ihn konkret ausübe bzw. praktiziere: Die Gemeinde sei eine sehr wichtige Sache für ihn, deshalb habe er auch sein Heimatland verlassen.
34 
Auf nochmalige Frage und Bitte, Konkretes zu berichten: Beten, keine Sachen machen, die die Religion verbiete.
35 
Auf nochmalige Frage, was der Glaube konkret für sein Leben bedeute: Das Gebet zeige dem Menschen, was richtig sei.
36 
Auf Frage, wie oft er bete: Er bete nicht fünf Mal am Tag, mal 2 Mal, auch 3 Mal.
37 
Auf Frage, was ihn hindere, den Gebetspflichten nachzukommen: Mal ein Termin, mal ein wichtiger Besuch.
38 
Auf Frage, was für Termine er meine: Mal ein Arzttermin, ein Termin bei der Ausländerbehörde.
39 
Auf Frage, wie oft er auf die Ausländerbehörde gehe: Ein Mal im Monat oder auch alle drei Monate.
40 
Auf Frage, warum er ausgereist sei: Er könne sich nicht so genau erinnern. Aber in ihrem Dorf sei nur ein Ahmadi-Haus gewesen. Es habe ständig Probleme gegeben. Sie hätten immer wieder verschiedene Fragen gestellt. Die Lehrer hätten sie nicht gemocht. 2 oder 3 Mal habe es mündliche Auseinandersetzungen mit den Mullahs gegeben. Im Jahre 1998 sei er auf dem Weg nach Hause gewesen. Er sei geschlagen worden. Einmal sei nachts ihr Haus angegriffen worden. Aus Angst sei er zu einem Freund gegangen, dessen Onkel habe dann bei der Ausreise geholfen.
41 
Auf Frage, was seinen Glauben von dem der Mehrheit der Muslime in Pakistan unterscheide: Was wir glauben, glauben die andern nicht, und was wir nicht glauben, glauben die andern.
42 
Auf nochmalige Frage nach konkreten Einzelheiten: Wir glauben an Quadiani.
43 
Auf wiederholte Frage: Es bestehen große Unterschiede. Wir glauben, dass der Messias schon gekommen ist.
44 
Auf Frage: Seine Eltern seien fromme Menschen gewesen, sie hätten 5 Mal gebetet.
45 
Auf Frage nach weiteren Einzelheiten: Eine Moschee habe es im Dorf nicht gegeben. Der Vater sei in ein Nachbardorf gegangen, um dort in der Moschee zu beten. Er habe ihn begleitet.
46 
Auf Frage: Der Vater sei immer freitags in das Dorf gegangen.
47 
Auf Frage, wie alt er gewesen sei: 10 bis 11 Jahre bis zu seiner Ausreise.
48 
Auf Frage, ob sie auf dem Weg dorthin Probleme gehabt hätten bzw. belästigt worden seien: In der Moschee seien nur Ahmadis gewesen.
49 
Auf Frage, ob sie also nicht behelligt worden seien: Sie hätten keinen Gebetsruf machen dürfen.
50 
Auf Frage des Prozessbevollmächtigten, ob er sich vorstellen könne, seinen Glauben zu ändern: Nein, seine Religion sei ihm wichtig, er wisse nicht, warum er sie wechseln solle.
51 
Auf dessen Frage, dass seine Heirat mit einer Christin ein Grund sein könne und er vielleicht deshalb dem Glauben wechseln wolle: Er habe seine Religion, sie habe ihre Religion.
52 
Auf dessen Frage, warum es so wichtig sei, dass der Quadiani ein Prophet sei: So stehe es im Koran, dass der Messias komme, deshalb glaubten sie daran.
53 
Auf dessen Frage, ob er etwas von ihm gelesen habe: Das sei schon lange her.
54 
Auf dessen Frage, um welches Buch es sich gehandelt habe: Er könne sich nicht so genau mehr erinnern, es sei nicht in Deutschland, sondern in Pakistan gewesen.
55 
Auf dessen Frage, ob er den Koran lese: Er könne dies nicht richtig, weil er nicht arabisch verstehe, aber in einer Übersetzung lese er.
56 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
57 
Dem Senat liegen die Verwaltungsakten des Bundesamtes sowie die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart jeweils das Erst- und Folgeverfahren betreffend vor.

Entscheidungsgründe

 
58 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) hat keinen Erfolg. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen (§ 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG).
59 
Der Kläger ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) kein Flüchtling im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 2 lit. c der zu dessen Auslegung heranzuziehenden Richtlinie 2004/83/EG vom 29.04.2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie - QRL). In diesem Zusammenhang kann der Senat auch offen lassen, ob § 60 Abs. 1 AufenthG die Qualifikationsrichtlinie vollständig und ordnungsgemäß umsetzt. Denn mit Ablauf der Umsetzungsfrist zum 10.10.2006 (vgl. Art. 38 Abs. 1 QRL) ist diese ohnehin in weitem Umfang unmittelbar anzuwenden.
I.
60 
Der Senat geht davon aus, dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gem. § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen.
61 
1. Entgegen der von der Beklagten im Bescheid vom 16.05.2007 vertretenen Auffassung ist allerdings mit Rücksicht auf die Qualifikationsrichtlinie in Bezug auf die Beurteilung der heutigen Lage der Ahmadis in Pakistan eine relevante Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs.1 2. Alt. VwVfG eingetreten. Das Bundesamt geht zu Unrecht davon aus, dass dies nur dann der Fall ist, wenn die Änderung auch unmittelbar zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen muss, was sich daraus ergibt, dass es eine Vollprüfung am Maßstab der Richtlinie vorgenommen, das Vorliegen deren Voraussetzungen verneint, aber gleichwohl kein weiteres Asylverfahren durchgeführt hat. Generell ist jedoch eine abschließende Prüfung der Erheblichkeit der Änderung (nicht anders als im Falle der Änderung der Sachlage oder des neuen Beweismittels) auf einer zweiten Stufe erst dem weiteren Asylverfahren vorbehalten, sofern eine günstige Entscheidung aufgrund der geänderten Rechtslage jedenfalls möglich erscheint (vgl. GK-AsylVfG, § 71 Rdn. 136, 153, 188), was hier jedoch der Fall ist.
62 
Was die unanfechtbare negative Entscheidung des Erstverfahrens und die dort gewürdigten individuelle Vorfluchtgründe betrifft, ist jedoch eine erneute Überprüfung und Neubewertung im weiteren Asylverfahren nicht eröffnet. Denn es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Qualifikationsrichtlinie sich Geltung auch für alle die Sachverhalte beimisst, über die zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens oder bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist unanfechtbar entschieden war. Andernfalls müsste eine unüberschaubare Zahl von Verfahren in der gesamten Gemeinschaft einer erneuten Überprüfung und ggf. Revision unterzogen werden. Etwas anderes wird man nur dann anzunehmen haben, wenn der Sachverhalt noch über den Zeitpunkt der Unanfechtbarkeit bis in die Gegenwart hineinreicht, also heute noch aktuell ist. Dann wird dieser Sachverhalt einer neuen rechtlichen Prüfung am Maßstab der Qualifikationsrichtlinie zu unterziehen sein. Die vom Kläger im Erstverfahren vorgetragenen Übergriffe nicht-staatlicher Akteure, so sie denn überhaupt glaubhaft dargestellt worden sein sollten, was vom Bundesamt nicht im Einzelnen hinterfragt worden war, weil es von einer Schutzfähigkeit und Schutzbereitschaft des pakistanischen Staats ausgegangen war, lagen jedoch zum Zeitpunkt der Folgeantragstellung mindestens 9 Jahre zurück und hatten ihren Entstehungsgrund in den örtlichen Verhältnissen des Heimatortes, in den zurückzukehren der erwachsene Kläger nach so langer Abwesenheit nicht gezwungen ist. Dass aber heute landesweit eine so hohe Zahl von Übergriffen stattfinden könnte, dass jeder Angehörige der Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya nach Maßgabe des Prüfprogramms des Art. 4 Abs. 3 QRL begründete Furcht vor Verfolgung haben müsste, wird, wie in der Vergangenheit, auch in den verwerteten Erkenntnismitteln nicht im Ansatz zum Ausdruck gebracht. Abgesehen davon ist der Senat aufgrund der völlig vagen Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu diesem gesamten Komplex auch nicht davon überzeugt, dass die behaupteten Ereignisse so geschehen sind und den Kläger zur Flucht veranlasst haben könnten (vgl. hierzu im Einzelnen unter VI).
63 
2. Der Senat geht auch davon aus, dass der Kläger die Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG eingehalten hat. Nachdem die hier maßgebliche Änderung der Rechtslage (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VwVfG) mit Ablauf des 10.10.2006 (Ablauf der Umsetzungsfrist der Qualifikationsrichtlinie und Eintritt deren unmittelbarer Anwendbarkeit; vgl. Art. 38 Abs. 1 QRL) eingetreten ist, wäre die Antragsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG nur dann am 10.01.2007 – und damit vor Eingang des Antrags beim Bundesamt am 11.01.2007 – abgelaufen gewesen, wenn der Kläger oder ein Bevollmächtigter (vgl. zur Zurechnung NiedersOVG, B.v. 18.11.1998 - 11 L 4371/98 - juris; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 51 Rdn. 47; vgl. auch BGH, B.v. 30.03.1993 - X ZR 51/92 - NJW 1993, 1596; U.v. 16.12.1959 - IV ZR 206/59 - NJW 1960, 818; Thomas/Putzo, ZPO, 28. Aufl., § 586 Rdn. 2 jeweils zu § 586 Abs. 2 ZPO) bereits am 10.10.2006 positive Kenntnis von der Rechtsänderung gehabt hätten. Dass dies bei dem jetzigen Prozessbevollmächtigten der Fall war, kann sicherlich angenommen werden (vgl. Senatsurteil vom 20.11.2007 - A 10 S 679/05). Selbst wenn beim früheren Bevollmächtigten des Klägers eine vergleichbare Kenntnis vorgelegen hätte, so wäre eine Zurechnung aber nur dann möglich, wenn er zu diesem Zeitpunkt ein Mandat gehabt hätte. Dafür bestehen jedoch keine Anhaltspunkte. Das im früheren Verfahren erteilte Mandat war mit dessen rechtskräftigen Abschluss beendet gewesen sein. Für das vorliegende Verfahren wurden das Mandat aber erst Anfang Januar 2007 erteilt und die Vollmacht am 08.01.2007 unterzeichnet. Was die eigene Kenntnis des Klägers betrifft, so wurde vorgetragen, er habe am 04.01.2007 mit seiner jetzigen Ehefrau im Büro des Prozessbevollmächtigten vorgesprochen und erst durch diesen Kenntnis vom den rechtlichen Änderungen erlangt, und es insbesondere nicht zutreffe, dass der Umstand, dass sich infolge der Qualifikationsrichtlinie die Rechtslage geändert habe bzw. ändern werde, bereits früher allgemein bekannt gewesen sei. Auch die Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung hat keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er bereits vorher zuverlässige Kenntnis von den Neuregelungen der Qualifikationsrichtlinie gehabt haben könnte.
64 
3. Da das Erstverfahren nicht durch ein Gerichtsurteil rechtskräftig abgeschlossen worden war, wäre das Bundesamt allerdings nicht gehindert gewesen, auch erneut in der Sache zu entscheiden, auch wenn die Voraussetzungen des § 71 AsylVfG i.V.m. § 51 VwVfG nicht vorlagen, und – im Falle einer erneut negativen Entscheidung - damit ggf. eine erneute gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit zu eröffnen (vgl. BVerwG, U. v. 15.12.1987 – 9 C 285/86 – NVwZ 1988, 737). Eine neue Entscheidung zu den Vorfluchtgründen hat das Bundesamt jedoch gerade nicht getroffen. Es hat nach dem Tenor eindeutig die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens abgelehnt, somit auch keinen Zweitbescheid erlassen. Dem steht nicht entgegen, dass es in den Gründen seiner Entscheidung die allgemeine Situation der Ahmadis heute am Maßstab der Qualifikationsrichtlinie beurteilt und zudem ausgeführt hat, dass auch heute in Bezug auf Übergriffe nicht-staatlicher Akteure nicht von der erforderlichen Verfolgungsdichte ausgegangen werden könne, womit nur zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass auch keine Änderung der Sachlage im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. VwVfG vorliegt.
II.
65 
Nach Auffassung des Senats sprechen gewichtige Gesichtspunkte für folgendes Verständnis der hier maßgeblichen Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie
66 
1. Art. 10 QRL definiert in Anknüpfung an Art. 2 lit. c QRL die flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungsgründe. Im vorliegenden Zusammenhang ist Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL maßgeblich. Hiernach umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme beziehungsweise Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.
67 
Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL gewährleistet für den Einzelnen einen sehr weitgehenden Schutz, wenn er sowohl die Entscheidung, aus innerer Überzeugung religiös zu leben, wie auch die Entscheidung, aufgrund religiösen Desinteresses jegliche religiöse Betätigung zu unterlassen, schützt und dem Einzelnen zubilligt, dass er sich zu seiner religiösen Grundentscheidung auch nach außen bekennen darf, insbesondere auch die Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen erfasst wird. Die Vorschrift geht damit ihrem eindeutigen Wortlaut nach über den Schutz hinaus, der nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Art. 16a Abs. 1 GG unter dem Aspekt der religiösen Verfolgungsgründe eingeräumt wurde (vgl. grundlegend BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <158>; BVerwG, U.v. 25.01.1995 - 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82).
68 
Damit zeichnet der supranationale Normgeber auch für den Bereich des vergemeinschafteten Flüchtlingsschutzes die universelle menschenrechtliche Anerkennung gerade auch der öffentlichen Glaubensausübung bzw. -betätigung nach und bekennt sich zu dieser (vgl. auch die 10. Begründungserwägung, in der sich die Gemeinschaft zur Achtung der Grundrechte bekennt). So gewährleistet Art. 18 des Internationalen Paktes vom 19.12.1966 über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) die private und die öffentliche Glaubenspraxis, das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, die Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen, und die Freiheit, seine Religion oder eine Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Beachtung religiöser Bräuche, Ausübung und Unterricht zu bekunden. Des Weiteren wird die Ausübung der Religionsfreiheit auch in der Öffentlichkeit durch Art. 9 EMRK gewährleistet, wenn hiernach die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen, geschützt wird. Schließlich ist auch auf Art. 1 der Erklärung Nr. 36/55 der Generalversammlung der Vereinten Nationen über die Beseitigung aller Formen von Intoleranz und Diskriminierung aufgrund der Religion und der Überzeugung vom 25.11.1981 hinzuweisen, in der gleichfalls zum Ausdruck kommt, dass das Recht auch auf öffentliche Religionsausübung und religiöse Praxis als fundamentales Menschenrecht allgemein anerkannt ist.
69 
Zur Glaubensfreiheit gehört somit nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensinhalten und Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln. Teil der Religionsausübung sind nicht nur alle kultischen Handlungen und die Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche, wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozessionen, Zeigen von Kirchenfahnen, Glockengeläute, der öffentliche Ruf zum Gebet, sondern auch religiöse Erziehung, Feiern und alle Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens. Umfasst wird schließlich auch das Recht, den Glauben werbend zu verbreiten und andere von diesem zu überzeugen (in diesem Sinne auch BayVGH, U.v. 23.10.2007 – 14 B 06.30315 – InfAuslR 2008, 101; vgl. zum Schutzbereich des Art. 18 IPbpR Nowack, UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativprotokoll, 1989, Art. 18 Rdn. 25; vgl. zu den verschiedenen Formen öffentlicher religiöser Praktiken auch Marx, Handbuch für die Flüchtlingsanerkennung, § 17 Rdn. 12).
70 
Ist hiernach der Schutzbereich der Religion weit zu verstehen, so bietet die Vorschrift keinen Anhalt für ein von vornherein einengendes Verständnis, wonach nicht jede Form der öffentlichen Glaubensbetätigung geschützt sei, sondern nur die aus dem jeweiligen religiösen Verständnis glaubensprägenden beziehungsweise unverzichtbar gebotenen und existentiellen Betätigungen gemeint sein könnten. Dies folgt insbesondere nicht aus dem den Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL abschließenden Satzteil „…die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.“ Das Gegenteil folgt schon aus der Weite des Begriffs „sich auf eine religiöse Überzeugung stützen“, der - insoweit nahe liegend - verlangt, dass die jeweils zu beurteilende Betätigung auf einer religiösen Überzeugung beruhen muss bzw. auf diese zurückgeführt werden kann, ohne aber zwingenden Charakter derart haben zu müssen, dass der oder die Betreffende im Falle des Unterlassens Gewissensnot erleiden oder sündig werden würde. Die Frage nach dem Gewicht und der Bedeutung eines Unterlassens stellt sich erst bei der Beurteilung der Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 QRL (vgl. unten 2). Darüber hinaus ist zu bedenken, dass Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL ausdrücklich etwa auch die Nichtteilnahme an religiösen Riten schützt, somit die Entscheidung, sich religiöser Betätigungen gerade zu enthalten, indem Handlungen, die die Religion als Verhaltensweise zu bestimmten Anlässen vorgibt, gerade unterlassen werden (in diesem Sinne auch SaarlOVG, U.v. 26.06.2007 - 1 A 222/07 - juris).
71 
Allerdings sind die vorgenannten menschenrechtlichen Gewährleistungen nicht schrankenlos eingeräumt. Sowohl Art. 18 IPbpR als auch Art. 9 EMRK differenzieren zwischen der grundsätzlich nicht beschränkbaren Freiheit, eine Religion eigener Wahl zu haben oder anzunehmen einerseits, sowie der Beschränkbarkeit der freien Religionsausübung (d.h. des Bekenntnisses) andererseits. Nach Art. 18 Abs. 3 IPbpR (wie auch vergleichbar nach Art. 9 Abs. 2 EMRK) darf die religiöse Betätigung Einzelner oder der Gemeinschaft allerdings nur zum Schutz der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, der Gesundheit, der Sittlichkeit und der Grundrechte und Grundfreiheiten anderer verboten oder reglementiert werden, sofern dieses gesetzlich vorgesehen und zur Erreichung der genannten Zwecke notwendig ist und v.a. das einschränkende Gesetz einen angemessenen und verhältnismäßigen Ausgleich herbeiführt. Den jeweiligen Staaten wird dabei aber regelmäßig ein nicht unerheblicher Beurteilungsspielraum zugebilligt (vgl. ausführlich zu den Schrankenvorbehalten Nowack, UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativprotokoll, 1989, Art. 18 Rdn. 31 ff; UNHCR, „Richtlinien zum Internationalen Schutz, Anträge auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung“, Ziffer 15 f.; vgl. auch Grabenwarter, EMRK, 3. Aufl., S. 246 ff.; Meyer-Ladewig, EMRK, 2. Aufl., Art. 9 Rdn. 8 m.w.N.). Dabei muss das verbietende bzw. einschränkende Gesetz allgemeiner Natur sein, d.h. es muss für alle Staatsbürger - welcher religiösen Ausrichtung sie auch angehören mögen - gleichermaßen Geltung beanspruchen, darf daher nicht auf bestimmte religiöse Gruppen zielen und ausschließlich für diese Einschränkungen vorsehen (vgl. Marx, Handbuch für die Flüchtlingsanerkennung, § 17 Rdn. 23). Dieser Aspekt findet seinen Niederschlag auch in den Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie selbst, wenn diese zur Definition der verfolgungsrelevanten Verfolgungshandlung in Art. 9 Abs. 2 lit. b, c, d und f maßgeblich auf das Kriterium der Diskriminierung abstellt. Vor diesem Hintergrund werden einschränkende Maßnahme, die nicht den genannten Schrankenvorbehalten genügen, insbesondere nicht dem Postulat des allgemeinen Gesetzes genügen, in der Regel indiziell auf eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung hindeuten.
72 
Ausgehend hiervon können diese universal anerkannten Grenzen der Religionsausübungsfreiheit auch zur Konkretisierung des Art. 10 lit. b QRL und seiner Grenzen sinngemäß herangezogen werden.
73 
2. Die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes setzt darüber hinaus voraus, dass eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgungshandlung des maßgeblichen Verfolgers (vgl. hierzu Art. 6 f. QRL) festgestellt wird, die allein oder in der Gesamtheit mit anderen Verfolgungshandlungen eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts ausmacht (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a oder b QRL), wobei in Art. 9 Abs. 2 QRL beispielhaft verschiedene in Betracht zu ziehende Verfolgungshandlungen benannt werden. Erst an dieser Stelle erweist sich im jeweils konkreten Einzelfall, sofern auch die nach Art. 9 Abs. 3 QRL erforderliche Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund festgestellt werden kann, ob der oder die Betreffende die Flüchtlingseigenschaft besitzt.
74 
Der in Art. 9 Abs. 2 QRL entfaltete beispielhafte Katalog (insbesondere lit. b und d) möglicher Verfolgungshandlungen macht deutlich, dass eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nicht nur dann gegeben ist, wenn durch die Verfolgungshandlung – von Eingriffen in Leib oder Leben abgesehen – in die physische Bewegungsfreiheit eingegriffen wird und der in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG verwendete Begriff der Freiheit nicht in diesem engen Sinne verstanden werden kann.
75 
Auch wenn hiernach formal betrachtet gewissermaßen eine „bloße“ oder „einfache“ Beeinträchtigung eines Menschenrechts nicht schutzbegründend sein kann, so darf andererseits, wie dargelegt, nicht aus dem Auge verloren werden, dass Art. 10 Abs. 1 lit. a QRL Ausdruck einer Anerkennung bzw. eines Bekenntnisses zu dem grundlegenden Menschenrecht einer gerade auch öffentlichen Glaubensbetätigung ist. Deshalb wäre es nach Auffassung des Senats verfehlt, von einer flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungshandlung nur dann auszugehen, wenn die bisher im asylrechtlichen Kontext relevanten Kriterien eines asylerheblichen Eingriffs in das religiöse Existenzminimum erfüllt sind mit der Folge, dass sich durch die Qualifikationsrichtlinie im Ergebnis keine Änderung der Rechtslage ergeben hätte. Bei dieser Sichtweise würde sich die gemeinschaftsrechtliche Anerkennung dieses Menschenrechts für das Gebiet des Asyl- und Flüchtlingsrechts in der Rechtswirklichkeit nicht durchsetzen und bliebe wirkungs- und folgenlos. Der gemeinschaftsrechtliche Auslegungsgrundsatz des „éffet utile“ gebietet aber, Normen des Gemeinschaftsrechts und somit auch Richtlinien so auszulegen, dass ihre praktische Wirksamkeit gewährleistet ist (vgl. Pechstein/Drechsler, in: Reisenhuber, Europäische Methodenlehre, Handbuch für Ausbildung und Praxis, 2006, S. 160, Rn. 69 f.).
76 
Daraus folgt, dass jedenfalls Beschneidungen bzw. Verbote öffentlicher Glaubensbetätigungen bzw. Praktiken, die nach dem Verständnis der jeweiligen Religion bzw. Weltanschauung, aber auch nach dem – nicht notwendigerweise völlig identischen - glaubhaft dargelegten Verständnisses des einzelnen Flüchtlings von grundlegender Bedeutung sind, zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen können, sofern sie nicht in völkerrechtskonformer Ausübung der jeweiligen Schrankenregelungen erfolgen. Insbesondere kann hiernach den Betroffenen nicht angesonnen werden, diese zu unterlassen, um keine entsprechend vorgesehenen Sanktionen herauszufordern. Die Beschränkung auf lediglich grundlegende Betätigungen bzw. Äußerungen hat – gewissermaßen als Kehrseite - ihren Grund darin, dass, wie ausgeführt, nicht jede Beeinträchtigung des Menschenrechts die Qualität einer flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungshandlung erlangt, sondern nur eine solche schwerwiegender Art (a.A. wohl Marx, Handbuch für die Flüchtlingsanerkennung, § 17 Rdn. 28 f.).
77 
3. Zur Beantwortung der Frage, welcher Prognosemaßstab für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit nach der Qualifikationsrichtlinie anzuwenden ist, ist zunächst auf Art. 4 Abs. 3 QRL hinzuweisen, der – bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung (vgl. lit. a) – eine strikt einzelfallbezogene Betrachtung vorgibt. Einzelfallbezogenheit schließt allerdings nicht aus, dass der darlegungs- und beweiserleichternde Gesichtspunkt der Gruppenverfolgung weiterhin Relevanz bzw. Berechtigung hat (vgl. BVerfG, B.v. 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 - BVerfGE 54, 341 <358 f.>; B.v. 21.01.1991 - 2 BvR 902/85 - BVerfGE 83, 216 <233>; Kammerb. v. 02.02.1996 - 2 BvR 1576/94 - NVwZ-Beil. 1996, 25; vgl. auch zum Sonderfall eines staatlichen Verfolgungsprogramms BVerwG, U. 05.07.1994 – 9 C 158.94 – BVerwGE 96, 200 <203>). Denn selbstverständlich kann auch nach der Qualifikationsrichtlinie vom Schicksal von Personen, die in einer in wesentlichen Punkten vergleichbaren Situation bereits Verfolgung erlitten haben, bei unverändert gebliebener Sachlage auch prognoserechtlich auf das (künftige) Schicksal anderer Personen geschlossen werden.
78 
Soweit nach der bisherigen Rechtsprechung für die Beurteilung der Frage, ob einem Flüchtling nach den Maßstäben des § 60 Abs. 1 AufenthG Schutz zu gewähren ist, unterschiedliche Maßstäbe anzulegen waren, je nach dem, ob dieser seinen Heimatstaat auf der Flucht vor bereits eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist (vgl. BVerfG, B.v. 10.07.1989 – 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315 <344 ff.>), trifft die Qualifikationsrichtlinie eine entsprechende Unterscheidung zwar ebenfalls.
79 
Nach den bisher richterrechtlich entwickelten Maßgaben durfte aber ein (landesweit) vorverfolgt ausgereister Flüchtling grundsätzlich nur dann in sein Heimatland zurückgeschickt werden, wenn er dort hinreichend sicher vor erneuter politischer Verfolgung war (sog. herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab), wobei hinreichende Sicherheit in diesem Zusammenhang bedeutete, dass aufgrund der bereits einmal erlittenen Verfolgung hohe Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Ausschlusses erneuter Verfolgung zu stellen waren. Es musste mehr als überwiegend wahrscheinlich sein, dass keine erneute Verfolgung droht, ohne dass allerdings ein mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellter Ausschluss zu verlangen gewesen wäre. Demgegenüber konnte ein unverfolgt Ausgereister bei zu berücksichtigenden objektiven Nachfluchtgründen auf sein Heimatland verwiesen werden, wenn ihm dort nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung drohte, was anzunehmen war, wenn er in absehbarer Zeit dort nicht mit Verfolgungsmaßnahmen ernsthaft zu rechnen hatte (vgl. BVerfG, B.v. 10.07.1989 – 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315 <344 ff.>; vgl. zusammenfassend BVerwG, U.v. 18.02,1997 - 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97).
80 
Auch die Qualifikationsrichtlinie nimmt bei der anzustellenden Verfolgungsprognose eine Differenzierung vor, indem sie in Art. 4 Abs. 4, auf den § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ausdrücklich Bezug nimmt, ausführt, dass die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Im Übrigen aber verbleibt es bei der Prüfung, ob der Flüchtling zum Zeitpunkt der Entscheidung bei Rückkehr in sein Heimatland erwartbar Verfolgungsmaßnahmen oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erleiden wird oder hiervon unmittelbar bedroht ist. Insoweit kann auch auf die Begriffsbestimmung des Art. 2 lit. c QRL zurückgegriffen werden, wonach "Flüchtling" im Sinne der Qualifikationsrichtlinie einen Drittstaatsangehörigen bezeichnet, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will. Der letztgenannte Maßstab entspricht dabei dem in der Rechtsprechung entwickelten Maßstab der "beachtlichen Wahrscheinlichkeit" in Anlehnung an die britische Rechtsprechung des "real risk", wobei auch ein Verfolgungsrisiko von unter 50% als beachtlich wahrscheinliches Risiko angesehen werden kann (vgl. BVerwG, U. v. 05.11.1991 – 9 C 118.90 – NVwZ 1992, 582 m.w.N.).
81 
Der von der Rechtsprechung entwickelte Maßstab der "hinreichenden Sicherheit" bei vorverfolgt ausgereisten Flüchtlingen wird somit durch die in Art. 4 Abs. 4 QRL enthaltene Rückausnahme modifiziert. Bei der Auslegung des Art. 4 Abs. 4 QRL können zwar die in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien der "hinreichenden Sicherheit vor Verfolgung" mit herangezogen werden, da auch der Richtliniengeber davon ausgeht, dass der bereits einmal verfolgte Flüchtling einen erhöhten Schutzstandard genießt, stellt doch die Vorverfolgung einen ernsthaften Hinweis auf eine auch bei Rückkehr zu befürchtende Verfolgung dar, es sei denn es greift die Rückausnahme des Art. 4 Abs. 4 a.E. QRL. Allerdings werden die unterschiedlichen Maßstäbe bzw. Ansätze in der praktischen Anwendung sicherlich häufig keine unterschiedlichen Ergebnisse zur Folge haben (weitergehend BayVGH, U. v. 31.08.2007 - 11 B 02.31774 – juris, der auch in Anwendung der Qualifikationsrichtlinie von den bisher entwickelten Prognosemaßstäben ausgeht).
III.
82 
Nicht anders als im Falle des Asylgrundrechts (vgl. BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <160>) - gilt auch im vorliegenden Kontext, dass eine pauschale und rein formale Betrachtung aller Angehörigen einer Religionsgemeinschaft nicht sachgerecht sein kann und daher ausscheiden muss. Es leuchtet unmittelbar ein, dass nach Maßgabe der jeweiligen religiösen Bindungen des einzelnen Asylsuchenden und abhängig von den Verhältnissen im Herkunftsland die Betroffenheit in dem Menschenrecht und daher dessen Beeinträchtigung überhaupt, jedenfalls aber deren Schwere völlig unterschiedliches Gewicht haben können, weshalb insoweit auch keine Frage grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen ist (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
IV.
83 
Nach Auswertung der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismittel stellt sich vermutlich die Lage der Ahmadis in Pakistan für den Senat, wie folgt, dar:
84 
1. Zur Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya und ihrer Entstehung hat der HessVGH im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A – juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
85 
„.Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
86 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubens-gemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
87 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bayer. VGH am 22.01.1985, S. 7).
88 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
89 
Auch die aktuellen Zahlen sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern und diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.41). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 18.05.2007, S. 16) nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien.
90 
2. Die Lage der Ahmadis wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
91 
a) Der Islam wird in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist allerdings von Verfassungs wegen garantiert (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit bezeichnet und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
92 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren können und nur solche wählen können. Um ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.34 ff.). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16).
93 
b) Seit 1984 bzw.1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und diese gewissermaßen zur Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung in den Blick nehmen.
94 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <146>):
95 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
96 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als 'Ameerui Mumineen', ‚Khalifar-ul-Mimineem’, 'Shaabi' oder ‚Razi-Allah-Anho’ bezeichnet oder anredet;
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ummul-Mumineen’ bezeichnet oder anredet;
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ahle-bait’ bezeichnet oder anredet;
d) sein Gotteshaus als 'Masjid' bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
97 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als 'Azan' bezeichnet oder den 'Azan' so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
98 
Sec. 298 C lautet:
99 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
100 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
101 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
102 
Die genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch ausführlich HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 92 ff.; vgl. auch BVerfG, Kammerb. v. 21.12.1992 – 2 BvR 1263/92 - juris m.w.N.; BVerwG, U.v. 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; v. 25.01.1995 – 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere auch zur Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen diskriminierenden, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c QRL erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, U.v. 24.02.1998 – 140/1996/759/958-960 – Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/ -, wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, „die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind“ (so BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts). Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden hier einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen nicht von ihnen ausgehen, sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6 und 10; vgl. auch HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 34).
103 
Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung von sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, sollen etwa 2000 Strafverfahren gegen Ahmadis eingeleitet worden sein (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56; vgl. aber auch Ziffer 19.55 mit etwas niedrigeren Zahlen von ausdrücklich und im Einzelnen von der Glaubensgemeinschaft selbst dokumentierten Fällen); allein im Jahre 2006 soll es zu 21 Anklagen gegen Ahmadis gekommen sein (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 15, das im Übrigen ausdrücklich die steigende Tendenz als besorgniserregend qualifiziert, vgl. dort S. 5; vgl. auch Freedom House 2007, mit dem Hinweis auf eine Zunahme in den jüngsten Jahren; vgl. auch zu ähnlichen Zahlen Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.51; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 123 ff., wonach seit 1988 von 647 Fällen allein in den Medien berichtet worden sei). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären. Weitere Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz häufig nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt darauf beruht, dass sie zum Teil durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA a.a.O., S. 17; U.S. Department of State, Pakistan, Country Reports on Human Rights Practices, 11.03.2008, S. 9 f.). In der Regel werden die Betroffenen bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (U.S. Department of State, a.a.O., S. 10). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt (vgl. U.S. Department of State, a.a.O., S. 16 f.). Die Bestimmung der sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten (vgl. hierzu im Einzelnen HessVGH, U. v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 46 und 69).
104 
Was die Strafbestimmungen der sec. 298 B und C betrifft, sollen gegenwärtig etwa 1000 Verfahren anhängig sein (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; vgl. auch zu Zahlen der insgesamt durchgeführten Verfahren Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.55 f.), wobei hier die Angeklagten sich zumeist auf freiem Fuß befinden (vgl. zu den Hintergründen und Motiven für die Einleitung von Verfahren auch AA a.a.O., S. 17; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.57).
105 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen, in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn deren Gefühle durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2).
106 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte. Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten d).
107 
c) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf den öffentlich gebetet wird (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.53). Hingegen wird es Ahmadis nicht generell unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies durch die Öffentlichkeit wahrgenommen werden kann und wird (AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen. Allerdings wird die gemeinsame Ausübung des Glaubens immer wieder dadurch behindert, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird, während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können, sowie Gebetshäuser oder Versammlungsstätten immer wieder von Extremisten überfallen werden (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.).
108 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4).
109 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4).
110 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten im weitesten Sinn sind verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus größere Verbreitung (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 3 und 4).
111 
d) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligen Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen untätig zugesehen und diese geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Pakistan, Country Reports on Human Rights Practices, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah, jetzt Chenab Nagar (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006). Zu in den 70-er Jahre vorgefallenen pogromartigen Ausschreitungen vergleichbaren Aktionen ist es jedoch nicht mehr gekommen.
112 
e) Nur der Vollständigkeit halber soll noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden, der allerdings das vom Senat für richtig gehaltene Ergebnis nicht entscheidend beeinflusst, sondern allenfalls zur Abrundung des Bildes beiträgt und geeignet ist: Die frühere überdurchschnittliche Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.62; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 114; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 3 und 16 f.). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65).
113 
3. Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) im Januar 2005 in der Weise zusammenfassend charakterisiert wurde, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellt für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung jedenfalls im Sinne einer kumulierenden Betrachtung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 lit. b QRL darstellen. Der Präsident von amnesty international Pakistan wird dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführt, dass es – anders als bei Christen – niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.)
114 
Von zentraler Bedeutung für diese Schlussfolgerung des Senats ist dabei das gegen die Ahmadis gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung möglich sind.
115 
Bei diesem Ausgangspunkt kann nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung rechtfertigen würden. Denn es kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten Übergriffe extremistischer Gruppen es der gesunde Menschenverstand nahe legen, wenn nicht gar gebieten wird, alle öffentlichkeitswirksamen Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Diese seit nunmehr weit über 20 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und –bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die bereits eingangs festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Insoweit muss die absolute Zahl der Strafverfahren und ihr Verhältnis zu der Zahl der gläubigen Ahmadis daher isoliert betrachtet notwendigerweise ein unzutreffendes Bild abgeben. Würden die gläubigen Ahmadis ihr selbstverständliches Menschenrecht aktiv wahrnehmen, so müssten sie bei realistischer Betrachtungsweise mit erheblichen und nach Art und Zahl zunehmenden Reaktionen von staatlicher Seite bzw. auch von Dritten rechnen. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für die Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, dass das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks ist.
V.
116 
Dafür, dass generell jeder pakistanischer Staatsangehöriger allein wegen seiner bloßen Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft hingegen Verfolgung zu gewärtigen hätte, bestehen nach den obigen Ausführungen unter II 2 und den dort verwerteten Erkenntnismitteln keine hinreichenden Anhaltspunkte. Soweit eine innere und verpflichtende Verbundenheit nicht festgestellt werden kann, sind die Betreffenden, selbst wenn man die vorgenannten rechtlichen und tatsächlichen Vorgaben zur Auslegung der Qualifikationsrichtlinie und deren Anwendung auf die Lage der Ahmadis in Pakistan (vgl. II. und IV.) zu ihren Gunsten unterstellt, nicht in dem erforderlichen Maße von den im Einzelnen festgestellten Verfolgungshandlungen betroffen. Insbesondere stellt es nach Überzeugung des Senats keine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung dar, wenn dieser Personenkreis sich in der Öffentlichkeit nicht als Muslim bezeichnen kann und darf. Insoweit stellt sich die Sachlage nicht anders dar, als sie bislang der gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs und der anderer Oberverwaltungsgerichte zu dem Aspekt der asylerheblichen Gruppenverfolgung entsprach (vgl. VGH Baden-Württemberg, B.v. 24.11.2000 – A 6 S 672/99 – juris; HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris; OVG Mecklenburg-Vorpommern, B.v. 29.06.1005 – 2 L 208/01 – juris; OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 21.07.2004 – 19 A 2599/04.A – juris m.w.N.; OVG Saarland, B.v. 15.03.2002 – 9 Q 59/01 m.w.N. – juris; BayVGH, U.v. 24.07.1995 – 21 B 91.30329 – juris; NiedersOVG, U.v. 29.02.1996 – 12 L 6696/95 – juris; ThürOVG, U.v. 30.09.1998 – 3 KO 864/98 – juris; HambOVG, B.v. 02.03.1999 – OVG Bf 13/95 – juris). Hieran ist auch nach dem aktuellen Erkenntnisstand festzuhalten. Die vom Senat verwerteten aktuellen Erkenntnismittel zeichnen, v.a. was den hier in erster Linie in den Blick zu nehmenden Aspekt der Verfolgungsdichte betrifft, kein grundlegend anderes Bild als dies bislang der Fall war. Nachdem nach wie vor die Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya in Pakistan selbst davon ausgeht, dass sie insgesamt etwa vier Millionen Angehörige zählt, darunter etwa 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder (vgl. AA Lagebericht vom 30.05.2007, S. 16), sieht der Senat gegenwärtig keine ausreichende Grundlage dafür, dass die aktuelle Zahl in einem so signifikanten Maße darunter liegen könnte, dass eine vollständige Neubewertung des Bedrohungsszenarios erfolgen müsste.
VI.
117 
Der Senat konnte, insbesondere aufgrund der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten Anhörung des Klägers, nicht die erforderliche Überzeugung gewinnen, dass er seinem Glauben überhaupt eng verbunden ist, diesen auch in der Vergangenheit regelmäßig ausgeübt hat und auch gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Falle einer Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation betroffen wäre.
118 
Dies ergibt sich aus folgendem: Wäre der Kläger seinem Glauben wirklich innerlich verbunden, so ist es für den Senat nicht verständlich, dass er in den acht Jahren, die er sich nunmehr in M. aufhält, allenfalls fünf oder sechs Mal in Weingarten war, um sich dort mit anderen Angehörigen der dortigen Ahmadiyya-Gemeinde zu treffen, zumal vor dem Hintergrund, dass er an seinem Wohnort der einzige Ahmadi ist. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die Ausländerbehörde insoweit offenbar keinerlei Schwierigkeiten gemacht hatte. Abgesehen davon hat der Senat auch nicht ausgeräumte Zweifel, ob die behaupteten Besuche in Weingarten überhaupt, jedenfalls in dieser Zahl stattgefunden haben. Befragt nach der Dauer des letzten Aufenthalts in Weingarten vor immerhin nur 2 oder 3 Monaten, konnte der Kläger unverständlicherweise zunächst überhaupt keine näheren Angaben machen und lachte nur völlig unvermittelt. Vielmehr musste der Senat mehrfach nachfragen und erhielt schließlich eine völlig vage Zeitangabe. Der Senat nimmt dem Kläger nicht ab, dass er sich nach so kurzer Zeit nicht genauer an die Dauer seines Aufenthalts in Weingarten erinnern kann. Seine Angaben dazu, wie er seine Gebetspflichten erfüllt, lassen gleichfalls nicht auf eine enge Bindung an den Glauben schließen. Wenn bereits ein Besuch, auch wenn er bedeutend sein sollte, dazu führt, dass er seinen diesbezüglichen Pflichten nicht nachkommt, so lässt dies auf eine gewisse Beliebigkeit schließen, zumal sich der Kläger ohnehin nicht sehr strikt an diese Pflichten gebunden fühlt, wenn er es als typisch darstellt, nur 2 oder 3 Mal am Tag zu beten. Schließlich waren seine Angaben zu den maßgeblichen Glaubensinhalten und deren Bedeutung für sein Leben in hohem Maße undifferenziert, wenn nicht gar oberflächlich, wenn er etwa auf die Frage nach den wesentlichen Unterschieden zum Glauben der Mehrheit der Muslime zunächst nur ausführen konnte, dass das, was sie glaubten, die anderen nicht glaubten, und das, was sie nicht glaubten, die anderen glaubten, und es erst mehrerer weiterer Fragen bedurfte, um den Kläger zu der völlig vagen Aussage zu veranlassen, dass sie an den Quadiani glaubten und dass der Messias schon gekommen sei. Aus alledem vermochte der Senat nicht die Überzeugung zu gewinnen, dass der Kläger in einer wirklich engen und verpflichtenden Beziehung zum Glauben der Ahmadis steht und es insbesondere als für sich verpflichtend ansieht, in irgendeiner Weise auch für diesen Glauben öffentlich einzutreten.
VII.
119 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylVfG.
120 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (vgl. § 132 Abs. 2 VwGO).

Gründe

 
58 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) hat keinen Erfolg. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen (§ 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG).
59 
Der Kläger ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) kein Flüchtling im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 2 lit. c der zu dessen Auslegung heranzuziehenden Richtlinie 2004/83/EG vom 29.04.2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie - QRL). In diesem Zusammenhang kann der Senat auch offen lassen, ob § 60 Abs. 1 AufenthG die Qualifikationsrichtlinie vollständig und ordnungsgemäß umsetzt. Denn mit Ablauf der Umsetzungsfrist zum 10.10.2006 (vgl. Art. 38 Abs. 1 QRL) ist diese ohnehin in weitem Umfang unmittelbar anzuwenden.
I.
60 
Der Senat geht davon aus, dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gem. § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen.
61 
1. Entgegen der von der Beklagten im Bescheid vom 16.05.2007 vertretenen Auffassung ist allerdings mit Rücksicht auf die Qualifikationsrichtlinie in Bezug auf die Beurteilung der heutigen Lage der Ahmadis in Pakistan eine relevante Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs.1 2. Alt. VwVfG eingetreten. Das Bundesamt geht zu Unrecht davon aus, dass dies nur dann der Fall ist, wenn die Änderung auch unmittelbar zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen muss, was sich daraus ergibt, dass es eine Vollprüfung am Maßstab der Richtlinie vorgenommen, das Vorliegen deren Voraussetzungen verneint, aber gleichwohl kein weiteres Asylverfahren durchgeführt hat. Generell ist jedoch eine abschließende Prüfung der Erheblichkeit der Änderung (nicht anders als im Falle der Änderung der Sachlage oder des neuen Beweismittels) auf einer zweiten Stufe erst dem weiteren Asylverfahren vorbehalten, sofern eine günstige Entscheidung aufgrund der geänderten Rechtslage jedenfalls möglich erscheint (vgl. GK-AsylVfG, § 71 Rdn. 136, 153, 188), was hier jedoch der Fall ist.
62 
Was die unanfechtbare negative Entscheidung des Erstverfahrens und die dort gewürdigten individuelle Vorfluchtgründe betrifft, ist jedoch eine erneute Überprüfung und Neubewertung im weiteren Asylverfahren nicht eröffnet. Denn es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Qualifikationsrichtlinie sich Geltung auch für alle die Sachverhalte beimisst, über die zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens oder bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist unanfechtbar entschieden war. Andernfalls müsste eine unüberschaubare Zahl von Verfahren in der gesamten Gemeinschaft einer erneuten Überprüfung und ggf. Revision unterzogen werden. Etwas anderes wird man nur dann anzunehmen haben, wenn der Sachverhalt noch über den Zeitpunkt der Unanfechtbarkeit bis in die Gegenwart hineinreicht, also heute noch aktuell ist. Dann wird dieser Sachverhalt einer neuen rechtlichen Prüfung am Maßstab der Qualifikationsrichtlinie zu unterziehen sein. Die vom Kläger im Erstverfahren vorgetragenen Übergriffe nicht-staatlicher Akteure, so sie denn überhaupt glaubhaft dargestellt worden sein sollten, was vom Bundesamt nicht im Einzelnen hinterfragt worden war, weil es von einer Schutzfähigkeit und Schutzbereitschaft des pakistanischen Staats ausgegangen war, lagen jedoch zum Zeitpunkt der Folgeantragstellung mindestens 9 Jahre zurück und hatten ihren Entstehungsgrund in den örtlichen Verhältnissen des Heimatortes, in den zurückzukehren der erwachsene Kläger nach so langer Abwesenheit nicht gezwungen ist. Dass aber heute landesweit eine so hohe Zahl von Übergriffen stattfinden könnte, dass jeder Angehörige der Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya nach Maßgabe des Prüfprogramms des Art. 4 Abs. 3 QRL begründete Furcht vor Verfolgung haben müsste, wird, wie in der Vergangenheit, auch in den verwerteten Erkenntnismitteln nicht im Ansatz zum Ausdruck gebracht. Abgesehen davon ist der Senat aufgrund der völlig vagen Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu diesem gesamten Komplex auch nicht davon überzeugt, dass die behaupteten Ereignisse so geschehen sind und den Kläger zur Flucht veranlasst haben könnten (vgl. hierzu im Einzelnen unter VI).
63 
2. Der Senat geht auch davon aus, dass der Kläger die Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG eingehalten hat. Nachdem die hier maßgebliche Änderung der Rechtslage (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VwVfG) mit Ablauf des 10.10.2006 (Ablauf der Umsetzungsfrist der Qualifikationsrichtlinie und Eintritt deren unmittelbarer Anwendbarkeit; vgl. Art. 38 Abs. 1 QRL) eingetreten ist, wäre die Antragsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG nur dann am 10.01.2007 – und damit vor Eingang des Antrags beim Bundesamt am 11.01.2007 – abgelaufen gewesen, wenn der Kläger oder ein Bevollmächtigter (vgl. zur Zurechnung NiedersOVG, B.v. 18.11.1998 - 11 L 4371/98 - juris; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 51 Rdn. 47; vgl. auch BGH, B.v. 30.03.1993 - X ZR 51/92 - NJW 1993, 1596; U.v. 16.12.1959 - IV ZR 206/59 - NJW 1960, 818; Thomas/Putzo, ZPO, 28. Aufl., § 586 Rdn. 2 jeweils zu § 586 Abs. 2 ZPO) bereits am 10.10.2006 positive Kenntnis von der Rechtsänderung gehabt hätten. Dass dies bei dem jetzigen Prozessbevollmächtigten der Fall war, kann sicherlich angenommen werden (vgl. Senatsurteil vom 20.11.2007 - A 10 S 679/05). Selbst wenn beim früheren Bevollmächtigten des Klägers eine vergleichbare Kenntnis vorgelegen hätte, so wäre eine Zurechnung aber nur dann möglich, wenn er zu diesem Zeitpunkt ein Mandat gehabt hätte. Dafür bestehen jedoch keine Anhaltspunkte. Das im früheren Verfahren erteilte Mandat war mit dessen rechtskräftigen Abschluss beendet gewesen sein. Für das vorliegende Verfahren wurden das Mandat aber erst Anfang Januar 2007 erteilt und die Vollmacht am 08.01.2007 unterzeichnet. Was die eigene Kenntnis des Klägers betrifft, so wurde vorgetragen, er habe am 04.01.2007 mit seiner jetzigen Ehefrau im Büro des Prozessbevollmächtigten vorgesprochen und erst durch diesen Kenntnis vom den rechtlichen Änderungen erlangt, und es insbesondere nicht zutreffe, dass der Umstand, dass sich infolge der Qualifikationsrichtlinie die Rechtslage geändert habe bzw. ändern werde, bereits früher allgemein bekannt gewesen sei. Auch die Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung hat keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er bereits vorher zuverlässige Kenntnis von den Neuregelungen der Qualifikationsrichtlinie gehabt haben könnte.
64 
3. Da das Erstverfahren nicht durch ein Gerichtsurteil rechtskräftig abgeschlossen worden war, wäre das Bundesamt allerdings nicht gehindert gewesen, auch erneut in der Sache zu entscheiden, auch wenn die Voraussetzungen des § 71 AsylVfG i.V.m. § 51 VwVfG nicht vorlagen, und – im Falle einer erneut negativen Entscheidung - damit ggf. eine erneute gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit zu eröffnen (vgl. BVerwG, U. v. 15.12.1987 – 9 C 285/86 – NVwZ 1988, 737). Eine neue Entscheidung zu den Vorfluchtgründen hat das Bundesamt jedoch gerade nicht getroffen. Es hat nach dem Tenor eindeutig die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens abgelehnt, somit auch keinen Zweitbescheid erlassen. Dem steht nicht entgegen, dass es in den Gründen seiner Entscheidung die allgemeine Situation der Ahmadis heute am Maßstab der Qualifikationsrichtlinie beurteilt und zudem ausgeführt hat, dass auch heute in Bezug auf Übergriffe nicht-staatlicher Akteure nicht von der erforderlichen Verfolgungsdichte ausgegangen werden könne, womit nur zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass auch keine Änderung der Sachlage im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. VwVfG vorliegt.
II.
65 
Nach Auffassung des Senats sprechen gewichtige Gesichtspunkte für folgendes Verständnis der hier maßgeblichen Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie
66 
1. Art. 10 QRL definiert in Anknüpfung an Art. 2 lit. c QRL die flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungsgründe. Im vorliegenden Zusammenhang ist Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL maßgeblich. Hiernach umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme beziehungsweise Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.
67 
Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL gewährleistet für den Einzelnen einen sehr weitgehenden Schutz, wenn er sowohl die Entscheidung, aus innerer Überzeugung religiös zu leben, wie auch die Entscheidung, aufgrund religiösen Desinteresses jegliche religiöse Betätigung zu unterlassen, schützt und dem Einzelnen zubilligt, dass er sich zu seiner religiösen Grundentscheidung auch nach außen bekennen darf, insbesondere auch die Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen erfasst wird. Die Vorschrift geht damit ihrem eindeutigen Wortlaut nach über den Schutz hinaus, der nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Art. 16a Abs. 1 GG unter dem Aspekt der religiösen Verfolgungsgründe eingeräumt wurde (vgl. grundlegend BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <158>; BVerwG, U.v. 25.01.1995 - 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82).
68 
Damit zeichnet der supranationale Normgeber auch für den Bereich des vergemeinschafteten Flüchtlingsschutzes die universelle menschenrechtliche Anerkennung gerade auch der öffentlichen Glaubensausübung bzw. -betätigung nach und bekennt sich zu dieser (vgl. auch die 10. Begründungserwägung, in der sich die Gemeinschaft zur Achtung der Grundrechte bekennt). So gewährleistet Art. 18 des Internationalen Paktes vom 19.12.1966 über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) die private und die öffentliche Glaubenspraxis, das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, die Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen, und die Freiheit, seine Religion oder eine Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Beachtung religiöser Bräuche, Ausübung und Unterricht zu bekunden. Des Weiteren wird die Ausübung der Religionsfreiheit auch in der Öffentlichkeit durch Art. 9 EMRK gewährleistet, wenn hiernach die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen, geschützt wird. Schließlich ist auch auf Art. 1 der Erklärung Nr. 36/55 der Generalversammlung der Vereinten Nationen über die Beseitigung aller Formen von Intoleranz und Diskriminierung aufgrund der Religion und der Überzeugung vom 25.11.1981 hinzuweisen, in der gleichfalls zum Ausdruck kommt, dass das Recht auch auf öffentliche Religionsausübung und religiöse Praxis als fundamentales Menschenrecht allgemein anerkannt ist.
69 
Zur Glaubensfreiheit gehört somit nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensinhalten und Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln. Teil der Religionsausübung sind nicht nur alle kultischen Handlungen und die Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche, wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozessionen, Zeigen von Kirchenfahnen, Glockengeläute, der öffentliche Ruf zum Gebet, sondern auch religiöse Erziehung, Feiern und alle Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens. Umfasst wird schließlich auch das Recht, den Glauben werbend zu verbreiten und andere von diesem zu überzeugen (in diesem Sinne auch BayVGH, U.v. 23.10.2007 – 14 B 06.30315 – InfAuslR 2008, 101; vgl. zum Schutzbereich des Art. 18 IPbpR Nowack, UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativprotokoll, 1989, Art. 18 Rdn. 25; vgl. zu den verschiedenen Formen öffentlicher religiöser Praktiken auch Marx, Handbuch für die Flüchtlingsanerkennung, § 17 Rdn. 12).
70 
Ist hiernach der Schutzbereich der Religion weit zu verstehen, so bietet die Vorschrift keinen Anhalt für ein von vornherein einengendes Verständnis, wonach nicht jede Form der öffentlichen Glaubensbetätigung geschützt sei, sondern nur die aus dem jeweiligen religiösen Verständnis glaubensprägenden beziehungsweise unverzichtbar gebotenen und existentiellen Betätigungen gemeint sein könnten. Dies folgt insbesondere nicht aus dem den Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL abschließenden Satzteil „…die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.“ Das Gegenteil folgt schon aus der Weite des Begriffs „sich auf eine religiöse Überzeugung stützen“, der - insoweit nahe liegend - verlangt, dass die jeweils zu beurteilende Betätigung auf einer religiösen Überzeugung beruhen muss bzw. auf diese zurückgeführt werden kann, ohne aber zwingenden Charakter derart haben zu müssen, dass der oder die Betreffende im Falle des Unterlassens Gewissensnot erleiden oder sündig werden würde. Die Frage nach dem Gewicht und der Bedeutung eines Unterlassens stellt sich erst bei der Beurteilung der Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 QRL (vgl. unten 2). Darüber hinaus ist zu bedenken, dass Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL ausdrücklich etwa auch die Nichtteilnahme an religiösen Riten schützt, somit die Entscheidung, sich religiöser Betätigungen gerade zu enthalten, indem Handlungen, die die Religion als Verhaltensweise zu bestimmten Anlässen vorgibt, gerade unterlassen werden (in diesem Sinne auch SaarlOVG, U.v. 26.06.2007 - 1 A 222/07 - juris).
71 
Allerdings sind die vorgenannten menschenrechtlichen Gewährleistungen nicht schrankenlos eingeräumt. Sowohl Art. 18 IPbpR als auch Art. 9 EMRK differenzieren zwischen der grundsätzlich nicht beschränkbaren Freiheit, eine Religion eigener Wahl zu haben oder anzunehmen einerseits, sowie der Beschränkbarkeit der freien Religionsausübung (d.h. des Bekenntnisses) andererseits. Nach Art. 18 Abs. 3 IPbpR (wie auch vergleichbar nach Art. 9 Abs. 2 EMRK) darf die religiöse Betätigung Einzelner oder der Gemeinschaft allerdings nur zum Schutz der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, der Gesundheit, der Sittlichkeit und der Grundrechte und Grundfreiheiten anderer verboten oder reglementiert werden, sofern dieses gesetzlich vorgesehen und zur Erreichung der genannten Zwecke notwendig ist und v.a. das einschränkende Gesetz einen angemessenen und verhältnismäßigen Ausgleich herbeiführt. Den jeweiligen Staaten wird dabei aber regelmäßig ein nicht unerheblicher Beurteilungsspielraum zugebilligt (vgl. ausführlich zu den Schrankenvorbehalten Nowack, UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativprotokoll, 1989, Art. 18 Rdn. 31 ff; UNHCR, „Richtlinien zum Internationalen Schutz, Anträge auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung“, Ziffer 15 f.; vgl. auch Grabenwarter, EMRK, 3. Aufl., S. 246 ff.; Meyer-Ladewig, EMRK, 2. Aufl., Art. 9 Rdn. 8 m.w.N.). Dabei muss das verbietende bzw. einschränkende Gesetz allgemeiner Natur sein, d.h. es muss für alle Staatsbürger - welcher religiösen Ausrichtung sie auch angehören mögen - gleichermaßen Geltung beanspruchen, darf daher nicht auf bestimmte religiöse Gruppen zielen und ausschließlich für diese Einschränkungen vorsehen (vgl. Marx, Handbuch für die Flüchtlingsanerkennung, § 17 Rdn. 23). Dieser Aspekt findet seinen Niederschlag auch in den Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie selbst, wenn diese zur Definition der verfolgungsrelevanten Verfolgungshandlung in Art. 9 Abs. 2 lit. b, c, d und f maßgeblich auf das Kriterium der Diskriminierung abstellt. Vor diesem Hintergrund werden einschränkende Maßnahme, die nicht den genannten Schrankenvorbehalten genügen, insbesondere nicht dem Postulat des allgemeinen Gesetzes genügen, in der Regel indiziell auf eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung hindeuten.
72 
Ausgehend hiervon können diese universal anerkannten Grenzen der Religionsausübungsfreiheit auch zur Konkretisierung des Art. 10 lit. b QRL und seiner Grenzen sinngemäß herangezogen werden.
73 
2. Die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes setzt darüber hinaus voraus, dass eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgungshandlung des maßgeblichen Verfolgers (vgl. hierzu Art. 6 f. QRL) festgestellt wird, die allein oder in der Gesamtheit mit anderen Verfolgungshandlungen eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts ausmacht (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a oder b QRL), wobei in Art. 9 Abs. 2 QRL beispielhaft verschiedene in Betracht zu ziehende Verfolgungshandlungen benannt werden. Erst an dieser Stelle erweist sich im jeweils konkreten Einzelfall, sofern auch die nach Art. 9 Abs. 3 QRL erforderliche Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund festgestellt werden kann, ob der oder die Betreffende die Flüchtlingseigenschaft besitzt.
74 
Der in Art. 9 Abs. 2 QRL entfaltete beispielhafte Katalog (insbesondere lit. b und d) möglicher Verfolgungshandlungen macht deutlich, dass eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nicht nur dann gegeben ist, wenn durch die Verfolgungshandlung – von Eingriffen in Leib oder Leben abgesehen – in die physische Bewegungsfreiheit eingegriffen wird und der in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG verwendete Begriff der Freiheit nicht in diesem engen Sinne verstanden werden kann.
75 
Auch wenn hiernach formal betrachtet gewissermaßen eine „bloße“ oder „einfache“ Beeinträchtigung eines Menschenrechts nicht schutzbegründend sein kann, so darf andererseits, wie dargelegt, nicht aus dem Auge verloren werden, dass Art. 10 Abs. 1 lit. a QRL Ausdruck einer Anerkennung bzw. eines Bekenntnisses zu dem grundlegenden Menschenrecht einer gerade auch öffentlichen Glaubensbetätigung ist. Deshalb wäre es nach Auffassung des Senats verfehlt, von einer flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungshandlung nur dann auszugehen, wenn die bisher im asylrechtlichen Kontext relevanten Kriterien eines asylerheblichen Eingriffs in das religiöse Existenzminimum erfüllt sind mit der Folge, dass sich durch die Qualifikationsrichtlinie im Ergebnis keine Änderung der Rechtslage ergeben hätte. Bei dieser Sichtweise würde sich die gemeinschaftsrechtliche Anerkennung dieses Menschenrechts für das Gebiet des Asyl- und Flüchtlingsrechts in der Rechtswirklichkeit nicht durchsetzen und bliebe wirkungs- und folgenlos. Der gemeinschaftsrechtliche Auslegungsgrundsatz des „éffet utile“ gebietet aber, Normen des Gemeinschaftsrechts und somit auch Richtlinien so auszulegen, dass ihre praktische Wirksamkeit gewährleistet ist (vgl. Pechstein/Drechsler, in: Reisenhuber, Europäische Methodenlehre, Handbuch für Ausbildung und Praxis, 2006, S. 160, Rn. 69 f.).
76 
Daraus folgt, dass jedenfalls Beschneidungen bzw. Verbote öffentlicher Glaubensbetätigungen bzw. Praktiken, die nach dem Verständnis der jeweiligen Religion bzw. Weltanschauung, aber auch nach dem – nicht notwendigerweise völlig identischen - glaubhaft dargelegten Verständnisses des einzelnen Flüchtlings von grundlegender Bedeutung sind, zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen können, sofern sie nicht in völkerrechtskonformer Ausübung der jeweiligen Schrankenregelungen erfolgen. Insbesondere kann hiernach den Betroffenen nicht angesonnen werden, diese zu unterlassen, um keine entsprechend vorgesehenen Sanktionen herauszufordern. Die Beschränkung auf lediglich grundlegende Betätigungen bzw. Äußerungen hat – gewissermaßen als Kehrseite - ihren Grund darin, dass, wie ausgeführt, nicht jede Beeinträchtigung des Menschenrechts die Qualität einer flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungshandlung erlangt, sondern nur eine solche schwerwiegender Art (a.A. wohl Marx, Handbuch für die Flüchtlingsanerkennung, § 17 Rdn. 28 f.).
77 
3. Zur Beantwortung der Frage, welcher Prognosemaßstab für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit nach der Qualifikationsrichtlinie anzuwenden ist, ist zunächst auf Art. 4 Abs. 3 QRL hinzuweisen, der – bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung (vgl. lit. a) – eine strikt einzelfallbezogene Betrachtung vorgibt. Einzelfallbezogenheit schließt allerdings nicht aus, dass der darlegungs- und beweiserleichternde Gesichtspunkt der Gruppenverfolgung weiterhin Relevanz bzw. Berechtigung hat (vgl. BVerfG, B.v. 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 - BVerfGE 54, 341 <358 f.>; B.v. 21.01.1991 - 2 BvR 902/85 - BVerfGE 83, 216 <233>; Kammerb. v. 02.02.1996 - 2 BvR 1576/94 - NVwZ-Beil. 1996, 25; vgl. auch zum Sonderfall eines staatlichen Verfolgungsprogramms BVerwG, U. 05.07.1994 – 9 C 158.94 – BVerwGE 96, 200 <203>). Denn selbstverständlich kann auch nach der Qualifikationsrichtlinie vom Schicksal von Personen, die in einer in wesentlichen Punkten vergleichbaren Situation bereits Verfolgung erlitten haben, bei unverändert gebliebener Sachlage auch prognoserechtlich auf das (künftige) Schicksal anderer Personen geschlossen werden.
78 
Soweit nach der bisherigen Rechtsprechung für die Beurteilung der Frage, ob einem Flüchtling nach den Maßstäben des § 60 Abs. 1 AufenthG Schutz zu gewähren ist, unterschiedliche Maßstäbe anzulegen waren, je nach dem, ob dieser seinen Heimatstaat auf der Flucht vor bereits eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist (vgl. BVerfG, B.v. 10.07.1989 – 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315 <344 ff.>), trifft die Qualifikationsrichtlinie eine entsprechende Unterscheidung zwar ebenfalls.
79 
Nach den bisher richterrechtlich entwickelten Maßgaben durfte aber ein (landesweit) vorverfolgt ausgereister Flüchtling grundsätzlich nur dann in sein Heimatland zurückgeschickt werden, wenn er dort hinreichend sicher vor erneuter politischer Verfolgung war (sog. herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab), wobei hinreichende Sicherheit in diesem Zusammenhang bedeutete, dass aufgrund der bereits einmal erlittenen Verfolgung hohe Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Ausschlusses erneuter Verfolgung zu stellen waren. Es musste mehr als überwiegend wahrscheinlich sein, dass keine erneute Verfolgung droht, ohne dass allerdings ein mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellter Ausschluss zu verlangen gewesen wäre. Demgegenüber konnte ein unverfolgt Ausgereister bei zu berücksichtigenden objektiven Nachfluchtgründen auf sein Heimatland verwiesen werden, wenn ihm dort nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung drohte, was anzunehmen war, wenn er in absehbarer Zeit dort nicht mit Verfolgungsmaßnahmen ernsthaft zu rechnen hatte (vgl. BVerfG, B.v. 10.07.1989 – 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315 <344 ff.>; vgl. zusammenfassend BVerwG, U.v. 18.02,1997 - 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97).
80 
Auch die Qualifikationsrichtlinie nimmt bei der anzustellenden Verfolgungsprognose eine Differenzierung vor, indem sie in Art. 4 Abs. 4, auf den § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ausdrücklich Bezug nimmt, ausführt, dass die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Im Übrigen aber verbleibt es bei der Prüfung, ob der Flüchtling zum Zeitpunkt der Entscheidung bei Rückkehr in sein Heimatland erwartbar Verfolgungsmaßnahmen oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erleiden wird oder hiervon unmittelbar bedroht ist. Insoweit kann auch auf die Begriffsbestimmung des Art. 2 lit. c QRL zurückgegriffen werden, wonach "Flüchtling" im Sinne der Qualifikationsrichtlinie einen Drittstaatsangehörigen bezeichnet, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will. Der letztgenannte Maßstab entspricht dabei dem in der Rechtsprechung entwickelten Maßstab der "beachtlichen Wahrscheinlichkeit" in Anlehnung an die britische Rechtsprechung des "real risk", wobei auch ein Verfolgungsrisiko von unter 50% als beachtlich wahrscheinliches Risiko angesehen werden kann (vgl. BVerwG, U. v. 05.11.1991 – 9 C 118.90 – NVwZ 1992, 582 m.w.N.).
81 
Der von der Rechtsprechung entwickelte Maßstab der "hinreichenden Sicherheit" bei vorverfolgt ausgereisten Flüchtlingen wird somit durch die in Art. 4 Abs. 4 QRL enthaltene Rückausnahme modifiziert. Bei der Auslegung des Art. 4 Abs. 4 QRL können zwar die in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien der "hinreichenden Sicherheit vor Verfolgung" mit herangezogen werden, da auch der Richtliniengeber davon ausgeht, dass der bereits einmal verfolgte Flüchtling einen erhöhten Schutzstandard genießt, stellt doch die Vorverfolgung einen ernsthaften Hinweis auf eine auch bei Rückkehr zu befürchtende Verfolgung dar, es sei denn es greift die Rückausnahme des Art. 4 Abs. 4 a.E. QRL. Allerdings werden die unterschiedlichen Maßstäbe bzw. Ansätze in der praktischen Anwendung sicherlich häufig keine unterschiedlichen Ergebnisse zur Folge haben (weitergehend BayVGH, U. v. 31.08.2007 - 11 B 02.31774 – juris, der auch in Anwendung der Qualifikationsrichtlinie von den bisher entwickelten Prognosemaßstäben ausgeht).
III.
82 
Nicht anders als im Falle des Asylgrundrechts (vgl. BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <160>) - gilt auch im vorliegenden Kontext, dass eine pauschale und rein formale Betrachtung aller Angehörigen einer Religionsgemeinschaft nicht sachgerecht sein kann und daher ausscheiden muss. Es leuchtet unmittelbar ein, dass nach Maßgabe der jeweiligen religiösen Bindungen des einzelnen Asylsuchenden und abhängig von den Verhältnissen im Herkunftsland die Betroffenheit in dem Menschenrecht und daher dessen Beeinträchtigung überhaupt, jedenfalls aber deren Schwere völlig unterschiedliches Gewicht haben können, weshalb insoweit auch keine Frage grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen ist (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
IV.
83 
Nach Auswertung der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismittel stellt sich vermutlich die Lage der Ahmadis in Pakistan für den Senat, wie folgt, dar:
84 
1. Zur Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya und ihrer Entstehung hat der HessVGH im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A – juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
85 
„.Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
86 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubens-gemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
87 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bayer. VGH am 22.01.1985, S. 7).
88 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
89 
Auch die aktuellen Zahlen sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern und diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.41). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 18.05.2007, S. 16) nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien.
90 
2. Die Lage der Ahmadis wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
91 
a) Der Islam wird in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist allerdings von Verfassungs wegen garantiert (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit bezeichnet und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
92 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren können und nur solche wählen können. Um ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.34 ff.). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16).
93 
b) Seit 1984 bzw.1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und diese gewissermaßen zur Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung in den Blick nehmen.
94 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <146>):
95 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
96 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als 'Ameerui Mumineen', ‚Khalifar-ul-Mimineem’, 'Shaabi' oder ‚Razi-Allah-Anho’ bezeichnet oder anredet;
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ummul-Mumineen’ bezeichnet oder anredet;
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ahle-bait’ bezeichnet oder anredet;
d) sein Gotteshaus als 'Masjid' bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
97 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als 'Azan' bezeichnet oder den 'Azan' so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
98 
Sec. 298 C lautet:
99 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
100 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
101 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
102 
Die genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch ausführlich HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 92 ff.; vgl. auch BVerfG, Kammerb. v. 21.12.1992 – 2 BvR 1263/92 - juris m.w.N.; BVerwG, U.v. 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; v. 25.01.1995 – 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere auch zur Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen diskriminierenden, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c QRL erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, U.v. 24.02.1998 – 140/1996/759/958-960 – Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/ -, wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, „die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind“ (so BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts). Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden hier einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen nicht von ihnen ausgehen, sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6 und 10; vgl. auch HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 34).
103 
Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung von sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, sollen etwa 2000 Strafverfahren gegen Ahmadis eingeleitet worden sein (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56; vgl. aber auch Ziffer 19.55 mit etwas niedrigeren Zahlen von ausdrücklich und im Einzelnen von der Glaubensgemeinschaft selbst dokumentierten Fällen); allein im Jahre 2006 soll es zu 21 Anklagen gegen Ahmadis gekommen sein (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 15, das im Übrigen ausdrücklich die steigende Tendenz als besorgniserregend qualifiziert, vgl. dort S. 5; vgl. auch Freedom House 2007, mit dem Hinweis auf eine Zunahme in den jüngsten Jahren; vgl. auch zu ähnlichen Zahlen Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.51; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 123 ff., wonach seit 1988 von 647 Fällen allein in den Medien berichtet worden sei). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären. Weitere Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz häufig nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt darauf beruht, dass sie zum Teil durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA a.a.O., S. 17; U.S. Department of State, Pakistan, Country Reports on Human Rights Practices, 11.03.2008, S. 9 f.). In der Regel werden die Betroffenen bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (U.S. Department of State, a.a.O., S. 10). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt (vgl. U.S. Department of State, a.a.O., S. 16 f.). Die Bestimmung der sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten (vgl. hierzu im Einzelnen HessVGH, U. v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 46 und 69).
104 
Was die Strafbestimmungen der sec. 298 B und C betrifft, sollen gegenwärtig etwa 1000 Verfahren anhängig sein (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; vgl. auch zu Zahlen der insgesamt durchgeführten Verfahren Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.55 f.), wobei hier die Angeklagten sich zumeist auf freiem Fuß befinden (vgl. zu den Hintergründen und Motiven für die Einleitung von Verfahren auch AA a.a.O., S. 17; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.57).
105 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen, in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn deren Gefühle durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2).
106 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte. Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten d).
107 
c) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf den öffentlich gebetet wird (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.53). Hingegen wird es Ahmadis nicht generell unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies durch die Öffentlichkeit wahrgenommen werden kann und wird (AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen. Allerdings wird die gemeinsame Ausübung des Glaubens immer wieder dadurch behindert, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird, während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können, sowie Gebetshäuser oder Versammlungsstätten immer wieder von Extremisten überfallen werden (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.).
108 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4).
109 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4).
110 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten im weitesten Sinn sind verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus größere Verbreitung (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 3 und 4).
111 
d) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligen Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen untätig zugesehen und diese geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Pakistan, Country Reports on Human Rights Practices, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah, jetzt Chenab Nagar (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006). Zu in den 70-er Jahre vorgefallenen pogromartigen Ausschreitungen vergleichbaren Aktionen ist es jedoch nicht mehr gekommen.
112 
e) Nur der Vollständigkeit halber soll noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden, der allerdings das vom Senat für richtig gehaltene Ergebnis nicht entscheidend beeinflusst, sondern allenfalls zur Abrundung des Bildes beiträgt und geeignet ist: Die frühere überdurchschnittliche Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.62; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 114; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 3 und 16 f.). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65).
113 
3. Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) im Januar 2005 in der Weise zusammenfassend charakterisiert wurde, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellt für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung jedenfalls im Sinne einer kumulierenden Betrachtung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 lit. b QRL darstellen. Der Präsident von amnesty international Pakistan wird dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführt, dass es – anders als bei Christen – niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.)
114 
Von zentraler Bedeutung für diese Schlussfolgerung des Senats ist dabei das gegen die Ahmadis gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung möglich sind.
115 
Bei diesem Ausgangspunkt kann nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung rechtfertigen würden. Denn es kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten Übergriffe extremistischer Gruppen es der gesunde Menschenverstand nahe legen, wenn nicht gar gebieten wird, alle öffentlichkeitswirksamen Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Diese seit nunmehr weit über 20 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und –bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die bereits eingangs festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Insoweit muss die absolute Zahl der Strafverfahren und ihr Verhältnis zu der Zahl der gläubigen Ahmadis daher isoliert betrachtet notwendigerweise ein unzutreffendes Bild abgeben. Würden die gläubigen Ahmadis ihr selbstverständliches Menschenrecht aktiv wahrnehmen, so müssten sie bei realistischer Betrachtungsweise mit erheblichen und nach Art und Zahl zunehmenden Reaktionen von staatlicher Seite bzw. auch von Dritten rechnen. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für die Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, dass das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks ist.
V.
116 
Dafür, dass generell jeder pakistanischer Staatsangehöriger allein wegen seiner bloßen Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft hingegen Verfolgung zu gewärtigen hätte, bestehen nach den obigen Ausführungen unter II 2 und den dort verwerteten Erkenntnismitteln keine hinreichenden Anhaltspunkte. Soweit eine innere und verpflichtende Verbundenheit nicht festgestellt werden kann, sind die Betreffenden, selbst wenn man die vorgenannten rechtlichen und tatsächlichen Vorgaben zur Auslegung der Qualifikationsrichtlinie und deren Anwendung auf die Lage der Ahmadis in Pakistan (vgl. II. und IV.) zu ihren Gunsten unterstellt, nicht in dem erforderlichen Maße von den im Einzelnen festgestellten Verfolgungshandlungen betroffen. Insbesondere stellt es nach Überzeugung des Senats keine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung dar, wenn dieser Personenkreis sich in der Öffentlichkeit nicht als Muslim bezeichnen kann und darf. Insoweit stellt sich die Sachlage nicht anders dar, als sie bislang der gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs und der anderer Oberverwaltungsgerichte zu dem Aspekt der asylerheblichen Gruppenverfolgung entsprach (vgl. VGH Baden-Württemberg, B.v. 24.11.2000 – A 6 S 672/99 – juris; HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris; OVG Mecklenburg-Vorpommern, B.v. 29.06.1005 – 2 L 208/01 – juris; OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 21.07.2004 – 19 A 2599/04.A – juris m.w.N.; OVG Saarland, B.v. 15.03.2002 – 9 Q 59/01 m.w.N. – juris; BayVGH, U.v. 24.07.1995 – 21 B 91.30329 – juris; NiedersOVG, U.v. 29.02.1996 – 12 L 6696/95 – juris; ThürOVG, U.v. 30.09.1998 – 3 KO 864/98 – juris; HambOVG, B.v. 02.03.1999 – OVG Bf 13/95 – juris). Hieran ist auch nach dem aktuellen Erkenntnisstand festzuhalten. Die vom Senat verwerteten aktuellen Erkenntnismittel zeichnen, v.a. was den hier in erster Linie in den Blick zu nehmenden Aspekt der Verfolgungsdichte betrifft, kein grundlegend anderes Bild als dies bislang der Fall war. Nachdem nach wie vor die Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya in Pakistan selbst davon ausgeht, dass sie insgesamt etwa vier Millionen Angehörige zählt, darunter etwa 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder (vgl. AA Lagebericht vom 30.05.2007, S. 16), sieht der Senat gegenwärtig keine ausreichende Grundlage dafür, dass die aktuelle Zahl in einem so signifikanten Maße darunter liegen könnte, dass eine vollständige Neubewertung des Bedrohungsszenarios erfolgen müsste.
VI.
117 
Der Senat konnte, insbesondere aufgrund der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten Anhörung des Klägers, nicht die erforderliche Überzeugung gewinnen, dass er seinem Glauben überhaupt eng verbunden ist, diesen auch in der Vergangenheit regelmäßig ausgeübt hat und auch gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Falle einer Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation betroffen wäre.
118 
Dies ergibt sich aus folgendem: Wäre der Kläger seinem Glauben wirklich innerlich verbunden, so ist es für den Senat nicht verständlich, dass er in den acht Jahren, die er sich nunmehr in M. aufhält, allenfalls fünf oder sechs Mal in Weingarten war, um sich dort mit anderen Angehörigen der dortigen Ahmadiyya-Gemeinde zu treffen, zumal vor dem Hintergrund, dass er an seinem Wohnort der einzige Ahmadi ist. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die Ausländerbehörde insoweit offenbar keinerlei Schwierigkeiten gemacht hatte. Abgesehen davon hat der Senat auch nicht ausgeräumte Zweifel, ob die behaupteten Besuche in Weingarten überhaupt, jedenfalls in dieser Zahl stattgefunden haben. Befragt nach der Dauer des letzten Aufenthalts in Weingarten vor immerhin nur 2 oder 3 Monaten, konnte der Kläger unverständlicherweise zunächst überhaupt keine näheren Angaben machen und lachte nur völlig unvermittelt. Vielmehr musste der Senat mehrfach nachfragen und erhielt schließlich eine völlig vage Zeitangabe. Der Senat nimmt dem Kläger nicht ab, dass er sich nach so kurzer Zeit nicht genauer an die Dauer seines Aufenthalts in Weingarten erinnern kann. Seine Angaben dazu, wie er seine Gebetspflichten erfüllt, lassen gleichfalls nicht auf eine enge Bindung an den Glauben schließen. Wenn bereits ein Besuch, auch wenn er bedeutend sein sollte, dazu führt, dass er seinen diesbezüglichen Pflichten nicht nachkommt, so lässt dies auf eine gewisse Beliebigkeit schließen, zumal sich der Kläger ohnehin nicht sehr strikt an diese Pflichten gebunden fühlt, wenn er es als typisch darstellt, nur 2 oder 3 Mal am Tag zu beten. Schließlich waren seine Angaben zu den maßgeblichen Glaubensinhalten und deren Bedeutung für sein Leben in hohem Maße undifferenziert, wenn nicht gar oberflächlich, wenn er etwa auf die Frage nach den wesentlichen Unterschieden zum Glauben der Mehrheit der Muslime zunächst nur ausführen konnte, dass das, was sie glaubten, die anderen nicht glaubten, und das, was sie nicht glaubten, die anderen glaubten, und es erst mehrerer weiterer Fragen bedurfte, um den Kläger zu der völlig vagen Aussage zu veranlassen, dass sie an den Quadiani glaubten und dass der Messias schon gekommen sei. Aus alledem vermochte der Senat nicht die Überzeugung zu gewinnen, dass der Kläger in einer wirklich engen und verpflichtenden Beziehung zum Glauben der Ahmadis steht und es insbesondere als für sich verpflichtend ansieht, in irgendeiner Weise auch für diesen Glauben öffentlich einzutreten.
VII.
119 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylVfG.
120 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (vgl. § 132 Abs. 2 VwGO).

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein 1960 geborener algerischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung.

2

Er stellte im Oktober 1992 einen Asylantrag. Nachdem er unbekannt verzogen war, lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge - jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) - den Antrag mit Bescheid vom 8. November 1993 als offensichtlich unbegründet ab. Einen weiteren Asylantrag unter einem Aliasnamen lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 24. September 1993 ab.

3

Im November 1994 wurde der Kläger von den französischen Behörden wegen des Verdachts der Vorbereitung terroristischer Aktionen in Algerien festgenommen. Das Tribunal de Grande Instance de Paris verurteilte ihn am 22. Januar 1999 u.a. wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu einer Gefängnisstrafe von acht Jahren.

4

Nachdem der Kläger im März 2001 aus französischer Haft entlassen worden war, stellte er im Juli 2001 in Deutschland einen Asylfolgeantrag, den er auf die überregionale Berichterstattung über den Strafprozess in Frankreich und die daraus resultierende Verfolgungsgefahr in Algerien stützte. Er gab an, nie für eine terroristische Vereinigung aktiv gewesen zu sein; der Prozess in Frankreich sei eine Farce gewesen. Mit Bescheid vom 15. Oktober 2002 lehnte das Bundesamt die Anerkennung als Asylberechtigter ab, stellte jedoch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich Algeriens fest. Angesichts der Berichterstattung über den Strafprozess müsse davon ausgegangen werden, dass der algerische Auslandsgeheimdienst den Prozess beobachtet habe und der Kläger in das Blickfeld algerischer Behörden geraten sei. Bei einer Rückkehr nach Algerien bestehe deshalb die beachtliche Gefahr von Folter und Haft.

5

Mit Bescheid vom 1. Juni 2005 nahm das Bundesamt den Anerkennungsbescheid vom 15. Oktober 2002 mit Wirkung für die Zukunft zurück. Die Feststellung sei von Anfang an fehlerhaft gewesen, da das Vorliegen der Ausnahmetatbestände in § 51 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 und Satz 2 Alt. 3 AuslG verkannt worden sei. Angesichts der rechtskräftigen Verurteilung in Frankreich stehe fest, dass der Kläger eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle. Das Verwaltungsgericht hat den Rücknahmebescheid mit rechtskräftigem Urteil vom 27. Oktober 2006 aufgehoben, da das Bundesamt die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG versäumt habe.

6

Mit Schreiben vom 10. Juli 2007 leitete das Bundesamt ein Widerrufsverfahren ein, in dessen Verlauf der Kläger bestritt, dass sich die Verhältnisse in Algerien entscheidungserheblich geändert hätten. Mit Bescheid vom 21. Dezember 2007 widerrief das Bundesamt die mit Bescheid vom 15. Oktober 2002 getroffene Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG. Darüber hinaus stellte es fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Durch die im September 2005 per Referendum angenommene "Charta für Frieden und nationale Aussöhnung" sowie die zu deren Umsetzung erlassenen Vorschriften habe Algerien weitgehende Straferlasse für Mitglieder islamistischer Terrorgruppen eingeführt. Die Amnestieregelungen würden konsequent und großzügig umgesetzt und fänden auch nach Ablauf des vorgesehenen Stichtags weiter Anwendung. Der Kläger habe daher im Falle seiner Rückkehr nach Algerien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politisch motivierte Verfolgung zu befürchten.

7

Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid durch Urteil vom 20. Mai 2008 aufgehoben, da dem Widerruf bereits die Rechtskraft des Urteils vom 27. Oktober 2006 entgegenstehe. Der angefochtene Widerruf erweise sich im Ergebnis als eine die Rücknahme vom 1. Juni 2005 ersetzende Entscheidung.

8

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 15. Dezember 2009 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zwar stehe die Rechtskraft des die Rücknahme aufhebenden Urteils dem Widerruf nicht entgegen, denn die Streitgegenstände dieser beiden Verwaltungsakte seien nicht identisch. Dennoch erweise sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis als richtig, da die Voraussetzungen für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung nicht vorlägen. Dieser sei gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nur möglich, wenn der Betroffene wegen zwischenzeitlicher Veränderungen im Heimatstaat vor künftiger Verfolgung hinreichend sicher sei. Das sei beim Kläger nicht der Fall. Er falle nicht unter die Stichtagsregelung der Amnestieregelung; ob die Anwendungspraxis auch den Fall des Klägers erfasse, sei unsicher. Angesichts der weiterhin bestehenden Repressionsstrukturen seien ausreichende Anhaltspunkte für eine allgemeine Liberalisierung in Algerien nicht vorhanden.

9

Zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte, das Berufungsgericht sei zu Unrecht von dem abgesenkten Wahrscheinlichkeitsmaßstab ausgegangen. Unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie würde selbst ein Vorverfolgter nur durch die widerlegbare Verfolgungsvermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie privilegiert. Auch nach der Rechtsprechung des EuGH sei beim Widerruf eines nicht Vorverfolgten der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen.

10

Der Kläger verteidigt das Berufungsurteil aus den Gründen der Ausgangsentscheidung. Darüber hinaus macht er geltend, dass einem anerkannten Flüchtling aufgrund seines Aufenthalts in der Bundesrepublik und des Vertrauens auf seinen gefestigten Status ein größerer Schutz zu gewähren sei als einem Asylbewerber bei der Entscheidung über seine Anerkennung.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet, denn das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Zwar hat das Berufungsgericht den Widerrufsbescheid zu Recht sachlich geprüft und nicht bereits wegen des aus der Rechtskraft folgenden Wiederholungsverbots aufgehoben (1.). Es hat aber der Verfolgungsprognose, die es bei Prüfung der Voraussetzungen für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung gestellt hat, einen unzutreffenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugrunde gelegt (2.). Mangels der für eine abschließende Entscheidung notwendigen tatsächlichen Feststellungen kann der Senat in der Sache weder in positiver noch in negativer Hinsicht selbst entscheiden. Die Sache ist daher an den Verwaltungsgerichtshof zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

12

1. Dem Erlass des streitgegenständlichen Widerrufsbescheids steht nicht entgegen, dass die zuvor verfügte Rücknahme der Flüchtlingsanerkennung im Vorprozess rechtskräftig aufgehoben worden ist. Nach § 121 Nr. 1 VwGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Soweit der personelle und sachliche Umfang der Rechtskraft reicht, ist die im Vorprozess unterlegene Behörde bei unveränderter Sach- und Rechtslage daran gehindert, einen neuen Verwaltungsakt aus den vom Gericht missbilligten Gründen zu erlassen (vgl. Urteile vom 8. Dezember 1992 - BVerwG 1 C 12.92 - BVerwGE 91, 256 <257 f.> = Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 63 und vom 28. Januar 2010 - BVerwG 4 C 6.08 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 99). Das Wiederholungsverbot erfasst aber nur inhaltsgleiche Verwaltungsakte, d.h. die Regelung desselben Sachverhalts durch Anordnung der gleichen Rechtsfolge (Urteil vom 30. August 1962 - BVerwG 1 C 161.58 - BVerwGE 14, 359 <362> = Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 4 und Beschluss vom 15. März 1968 - BVerwG 7 C 183.65 - BVerwGE 29, 210 <213 f.>).

13

In Anwendung dieser Kriterien erweisen sich Rücknahme einer Flüchtlingsanerkennung wegen Nichtbeachtung zwingender Ausschlussgründe und deren Widerruf wegen Wegfalls der sie begründenden Umstände nicht als inhaltsgleich. Zwar erfolgte die Rücknahme im Fall des Klägers nur mit Wirkung für die Zukunft, so dass die beiden Verwaltungsakte auf dieselbe Rechtsfolge gerichtet waren (vgl. aus einer anderen Perspektive Urteil vom 24. November 1998 - BVerwG 9 C 53.97 - BVerwGE 108, 30 <35>). Aber die den beiden Aufhebungsakten zugrunde liegenden rechtlichen Voraussetzungen und die hierbei zu berücksichtigenden Tatsachen unterscheiden sich: Während die Rücknahme auf einer anderen rechtlichen Beurteilung eines vergangenen Sachverhalts beruht, stützt sich der Widerruf nach § 73 Abs. 1 AsylVfG auf eine nach der Anerkennung eingetretene Sachverhaltsänderung. Daher greift das Wiederholungsverbot im vorliegenden Fall nicht.

14

2. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des angefochtenen Widerrufs ist § 73 AsylVfG in der seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - am 28. August 2007 geltenden Fassung (Bekanntmachung der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 2. September 2008, BGBl I S. 1798). Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.

15

Mit § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG hat der Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und f der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24) über das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Wegfall der die Anerkennung begründenden Umstände umgesetzt. Daher sind die Widerrufsvoraussetzungen in § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG unionsrechtskonform im Sinne der entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie auszulegen, die sich ihrerseits an Art. 1 C Nr. 5 und 6 der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - orientieren. Dies gilt auch für Fälle, in denen die zugrunde liegenden Schutzanträge - wie hier - vor dem Inkrafttreten der Richtlinie gestellt worden sind (vgl. Urteil vom 24. Februar 2011 - BVerwG 10 C 3.10 - juris Rn. 9; zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen).

16

Der angefochtene Bescheid erweist sich nicht deshalb als rechtswidrig, weil das Bundesamt bei seiner Widerrufsentscheidung kein Ermessen ausgeübt hat. Durch die klarstellende Neuregelung in § 73 Abs. 7 AsylVfG ist geklärt, dass in den Fällen, in denen - wie vorliegend - die Entscheidung über die Flüchtlingsanerkennung vor dem 1. Januar 2005 unanfechtbar geworden ist, die Prüfung nach § 73 Abs. 2a Satz 1 AsylVfG spätestens bis zum 31. Dezember 2008 zu erfolgen hat. Damit hat der Gesetzgeber eine Übergangsregelung für vor dem 1. Januar 2005 unanfechtbar gewordene Altanerkennungen getroffen und festgelegt, bis wann diese auf einen Widerruf oder eine Rücknahme zu überprüfen sind. Daraus folgt, dass es vor einer solchen Prüfung und Verneinung der Widerrufs- und Rücknahmevoraussetzungen in dem seit dem 1. Januar 2005 vorgeschriebenen Verfahren (Negativentscheidung) keiner Ermessensentscheidung bedarf (Urteil vom 25. November 2008 - BVerwG 10 C 53.07 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 31 Rn. 13 ff.).

17

Das Berufungsurteil ist aber hinsichtlich der materiellen Widerrufsvoraussetzungen und speziell mit Blick auf den der Verfolgungsprognose zugrunde gelegten Wahrscheinlichkeitsmaßstab nicht mit § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG zu vereinbaren, der im Lichte der Richtlinie 2004/83/EG auszulegen ist. Nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie ist ein Drittstaatsangehöriger nicht mehr Flüchtling, wenn er nach Wegfall der Umstände, aufgrund derer er als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Bei der Prüfung dieses Erlöschensgrundes haben die Mitgliedstaaten zu untersuchen, ob die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend ist, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann (Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie). Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie regelt die Beweislastverteilung dahingehend, dass der Mitgliedstaat - unbeschadet der Pflicht des Flüchtlings, gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie alle maßgeblichen Tatsachen offenzulegen und alle maßgeblichen, ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen vorzulegen - in jedem Einzelfall nachweist, dass die betreffende Person nicht länger Flüchtling ist oder es nie gewesen ist.

18

a) Diese unionsrechtlichen Vorgaben hat der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 2. März 2010 (Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a. - NVwZ 2010, 505) dahingehend konkretisiert, dass der in Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie angesprochene "Schutz des Landes" sich nur auf den bis dahin fehlenden Schutz vor den in der Richtlinie aufgeführten Verfolgungshandlungen bezieht (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 67, 76, 78 f.). Dazu hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass sich die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft wegen Veränderungen im Herkunftsland grundsätzlich spiegelbildlich zur Anerkennung verhält. Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG sieht - ebenso wie Art. 1 C Nr. 5 GFK - vor, dass die Flüchtlingseigenschaft erlischt, wenn die Umstände, aufgrund derer sie zuerkannt wurde, weggefallen sind, wenn also die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht mehr vorliegen (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 65). Nach Art. 2 Buchst. c der Richtlinie ist Flüchtling, wer sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, außerhalb des Landes seiner Staatsangehörigkeit befindet, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Ändern sich die der Anerkennung zugrunde liegenden Umstände und erscheint die ursprüngliche Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG deshalb nicht mehr als begründet, kann der Betreffende es nicht mehr ablehnen, den Schutz seines Herkunftslands in Anspruch zu nehmen (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 66), soweit er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor "Verfolgung" im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie haben muss (ebd. Rn. 76). Die Umstände, die zur Zuerkennung oder umgekehrt zum Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft führen, stehen sich mithin in symmetrischer Weise gegenüber (so EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 68).

19

Mit Blick auf die Maßstäbe für das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft gemäß Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und Abs. 2 der Richtlinie hat der Gerichtshof ausgeführt, dass die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend sein muss, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 72). Dafür muss feststehen, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung führten, beseitigt sind und diese Beseitigung als dauerhaft angesehen werden kann (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 73).

20

aa) Eine erhebliche Veränderung der verfolgungsbegründenden Umstände setzt voraus, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland mit Blick auf die Faktoren, aus denen die zur Flüchtlingsanerkennung führende Verfolgungsgefahr hergeleitet worden ist, deutlich und wesentlich geändert haben. In der vergleichenden Betrachtung der Umstände im Zeitpunkt der Flüchtlingsanerkennung und der für den Widerruf gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Sachlage muss sich durch neue Tatsachen eine signifikant und entscheidungserheblich veränderte Grundlage für die Verfolgungsprognose ergeben. Die Neubeurteilung einer im Kern unveränderten Sachlage reicht nicht aus, denn reiner Zeitablauf bewirkt für sich genommen keine Sachlagenänderung. Allerdings sind wegen der Zeit- und Faktizitätsbedingtheit einer asylrechtlichen Gefahrenprognose Fallkonstellationen denkbar, in denen der Ablauf einer längeren Zeitspanne ohne besondere Ereignisse im Verfolgerstaat im Zusammenhang mit anderen Faktoren eine vergleichsweise höhere Bedeutung als in anderen Rechtsgebieten zukommt (vgl. Urteile vom 19. September 2000 - BVerwG 9 C 12.00 - BVerwGE 112, 80 <84> und vom 18. September 2001 - BVerwG 1 C 7.01 - BVerwGE 115, 118 <124 f.>).

21

Wegen der Symmetrie der Maßstäbe für die Anerkennung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft kann seit Umsetzung der in Art. 11 und Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen unionsrechtlichen Vorgaben an der bisherigen, unterschiedliche Prognosemaßstäbe heranziehenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 73 AsylVfG nicht festgehalten werden. Danach setzte der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung voraus, dass sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist (Urteile vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 277 <281> und vom 12. Juni 2007 - BVerwG 10 C 24.07 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 28 Rn. 18; so auch das Berufungsgericht in der angefochtenen Entscheidung). Dieser gegenüber der beachtlichen Wahrscheinlichkeit abgesenkte Maßstab ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht für Fälle der Vorverfolgung entwickelt worden. Er wurde dann auf den Flüchtlingsschutz übertragen und hat schließlich Eingang in die Widerrufsvoraussetzungen gefunden, soweit nicht eine gänzlich neue oder andersartige Verfolgung geltend gemacht wird, die in keinem inneren Zusammenhang mehr mit der früheren steht (Urteil vom 18. Juli 2006 - BVerwG 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243 Rn. 26).

22

Dieses materiellrechtliche Konzept unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe für die Verfolgungsprognose ist der Richtlinie 2004/83/EG fremd. Sie verfolgt vielmehr bei einheitlichem Prognosemaßstab für die Begründung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft einen beweisrechtlichen Ansatz, wie er bei der Nachweispflicht der Mitgliedstaaten nach Art. 14 Abs. 2 und der tatsächlichen Verfolgungsvermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie zum Ausdruck kommt (Urteile vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 20 ff. und vom 7. September 2010 - BVerwG 10 C 11.09 - juris Rn. 15). Das ergibt sich neben dem Wortlaut der zuletzt genannten Vorschrift auch aus der Entstehungsgeschichte, denn die Bundesrepublik Deutschland konnte sich mit ihrem Vorschlag, zwischen den unterschiedlichen Prognosemaßstäben der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und der hinreichenden Sicherheit zu differenzieren, nicht durchsetzen (vgl. die Beratungsergebnisse der Gruppe "Asyl" vom 25. September 2002, Ratsdokument 12199/02 S. 8 f.). Demzufolge gilt unionsrechtlich beim Flüchtlingsschutz für die Verfolgungsprognose ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung erlitten hat. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal "... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Er stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab ("real risk"; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - NVwZ 2008, 1330 ); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (Urteil vom 18. April 1996 - BVerwG 9 C 77.95 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; Beschluss vom 7. Februar 2008 - BVerwG 10 C 33.07 - ZAR 2008, 192 ; Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 22).

23

Aus der konstruktiven Spiegelbildlichkeit von Anerkennungs- und Erlöschensprüfung, in der die gleiche Frage des Vorliegens einer begründeten Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 9 i.V.m. Art. 10 der Richtlinie zu beurteilen ist, ergibt sich, dass sich der Maßstab der Erheblichkeit für die Veränderung der Umstände danach bestimmt, ob noch eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung besteht (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 84 ff., 98 f.). Die Richtlinie kennt nur diesen einen Wahrscheinlichkeitsmaßstab zur Beurteilung der Verfolgungsgefahr unabhängig davon, in welchem Stadium - Zuerkennen oder Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft - diese geprüft wird. Es spricht viel dafür, dass die Mitgliedstaaten hiervon in Widerrufsverfahren nicht nach Art. 3 der Richtlinie zugunsten des Betroffenen abweichen können. Denn die zwingenden Erlöschensgründe dürften zu den Kernregelungen zählen, die in allen Mitgliedstaaten einheitlich auszulegen sind, um das von der Richtlinie 2004/83/EG geschaffene System nicht zu beeinträchtigen (vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 2010 - Rs. C-57/09 und C-101/09, B und D - NVwZ 2011, 285 Rn. 120 zu den Ausschlussgründen). Das kann aber hier dahinstehen, da keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass der deutsche Gesetzgeber mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 bei der Flüchtlingsanerkennung an den oben dargelegten unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstäben des nationalen Rechts festhalten wollte. Vielmehr belegt der neu eingefügte § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG, demzufolge für die Feststellung einer Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG u.a. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ergänzend anzuwenden ist, dass der Gesetzgeber sich den beweisrechtlichen Ansatz der Richtlinie zu eigen gemacht hat.

24

bb) Des Weiteren darf die Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG nicht nur vorübergehender Natur sein. Vielmehr muss festgestellt werden, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründen und zur Flüchtlingsanerkennung geführt haben, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 72 ff.). Für den nach Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie dem Mitgliedstaat obliegenden Nachweis, dass eine Person nicht länger Flüchtling ist, reicht nicht aus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt kurzzeitig keine begründete Furcht vor Verfolgung (mehr) besteht. Die erforderliche dauerhafte Veränderung verlangt dem Mitgliedstaat vielmehr den Nachweis der tatsächlichen Grundlagen für die Prognose ab, dass sich die Veränderung der Umstände als stabil erweist, d.h. dass der Wegfall der verfolgungsbegründenden Faktoren auf absehbare Zeit anhält. Der Senat hat in einem Fall, in dem ein verfolgendes Regime gestürzt worden ist (Irak), bereits entschieden, dass eine Veränderung in der Regel nur dann als dauerhaft angesehen werden kann, wenn im Herkunftsland ein Staat oder ein sonstiger Schutzakteur im Sinne des Art. 7 der Richtlinie 2004/83/EG vorhanden ist, der geeignete Schritte eingeleitet hat, um die der Anerkennung zugrunde liegende Verfolgung zu verhindern (Urteil vom 24. Februar 2011 a.a.O. Rn. 17). Denn der Widerruf der Flüchtlingseigenschaft ist nur gerechtfertigt, wenn dem Betroffenen im Herkunftsstaat nachhaltiger Schutz geboten wird, nicht (erneut) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu werden. So wie die Wahrscheinlichkeitsbeurteilung im Rahmen der Verfolgungsprognose eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung aus der Sicht eines vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen nicht zuletzt unter Einbeziehung der Schwere des befürchteten Eingriffs verlangt und damit dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit Rechnung trägt (Urteil vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.>; Beschluss vom 7. Februar 2008 a.a.O. juris Rn. 37), gilt dies auch für das Kriterium der Dauerhaftigkeit. Je größer das Risiko einer auch unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit verbleibenden Verfolgung ist, desto nachhaltiger muss die Stabilität der Veränderung der Verhältnisse sein und prognostiziert werden können. Sind - wie hier - Veränderungen innerhalb eines fortbestehenden Regimes zu beurteilen, die zum Wegfall der Flüchtlingseigenschaft führen sollen, sind an deren Dauerhaftigkeit ebenfalls hohe Anforderungen zu stellen. Unionsrecht gebietet, dass die Beurteilung der Größe der Gefahr von Verfolgung mit Wachsamkeit und Vorsicht vorzunehmen ist, da Fragen der Integrität der menschlichen Person und der individuellen Freiheiten betroffen sind, die zu den Grundwerten der Europäischen Union gehören (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 90). Eine Garantie der Kontinuität veränderter politischer Verhältnisse auf unabsehbare Zeit kann indes nicht verlangt werden.

25

b) Das Berufungsgericht hat vorliegend bei seiner Verfolgungsprognose den Maßstab der hinreichenden Sicherheit zugrunde gelegt. Damit hat es § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG verletzt; auf dieser Verletzung beruht die Berufungsentscheidung. Da das Berufungsgericht seine tatsächlichen Feststellungen unter einem - wie dargelegt - rechtlich unzutreffenden Maßstab getroffen hat, ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Denn es ist Aufgabe des Berufungsgerichts als Tatsacheninstanz, die Verhältnisse im Herkunftsland auf der Grundlage einer Gesamtschau zu würdigen und mit Blick auf die Umstände, die der Flüchtlingsanerkennung des Betroffenen zugrunde lagen, eine Gefahrenprognose unter Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte zu erstellen.

(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.

(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden

1.
vom Staat oder
2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten.

(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Wer bei einer Ausschreibung über Waren oder Dienstleistungen ein Angebot abgibt, das auf einer rechtswidrigen Absprache beruht, die darauf abzielt, den Veranstalter zur Annahme eines bestimmten Angebots zu veranlassen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Ausschreibung im Sinne des Absatzes 1 steht die freihändige Vergabe eines Auftrages nach vorausgegangenem Teilnahmewettbewerb gleich.

(3) Nach Absatz 1, auch in Verbindung mit Absatz 2, wird nicht bestraft, wer freiwillig verhindert, daß der Veranstalter das Angebot annimmt oder dieser seine Leistung erbringt. Wird ohne Zutun des Täters das Angebot nicht angenommen oder die Leistung des Veranstalters nicht erbracht, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Annahme des Angebots oder das Erbringen der Leistung zu verhindern.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Juli 2010 - A 4 K 1179/10 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger erstrebt im Wege des Asylfolgeverfahrens die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG.
Der 1979 geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger und gehört der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya an; er stammt aus einem Dorf im pakistanischen Teil des Punjab.
Zum Nachweis seiner Glaubenszugehörigkeit hat er Bescheinigungen der Ahmadiyya Muslim Jamaat Frankfurt vom 02.10.2000, 28.10.2010 sowie vom 06.12.2011 vorgelegt.
Nach seinen eigenen Angaben reiste er am 23.07.2000 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 24.07.2000 einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung im Asylerstverfahren durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 04.08.2000 brachte er im Wesentlichen vor, er gehöre von Geburt an der Religionsgemeinschaft der Ahmadis an und habe deshalb Verfolgungsmaßnahmen erlitten. So sei er beim Besuch der Moschee geschlagen worden. Gleiches sei ihm beim Tragen von religiösen Abzeichen widerfahren. Eines Nachts im Mai des Jahres 2000 sei er beim Bewachen von Getreide durch Diebe zusammengeschlagen worden. Am nächsten Tag habe sein Vater zusammen mit Freunden die Diebe zur Rede gestellt, worüber diese sehr erbost gewesen seien und gedroht hätten, ihn zu töten. Die Familie habe deshalb beschlossen, dass er sein Heimatland verlassen solle.
Mit Bescheid vom 15.09.2000 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Zugleich wurde dem Kläger die Abschiebung nach Pakistan angedroht. Der Kläger erhob hiergegen Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart, die mit Urteil vom 22.05.2001 (A 8 K 12809/00) abgewiesen wurde. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, es fehle an einem glaubhaften individuellen Verfolgungsschicksal des Klägers. Im Übrigen könne bei der gegenwärtigen Erkenntnislage eine Gruppenverfolgung von Ahmadis in Pakistan nicht angenommen werden. Das Urteil wurde durch Nichtzulassung der Berufung mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 09.10.2001 (A 6 S 688/01) rechtskräftig.
In den Jahren 2001 bis 2005 stellte der Kläger insgesamt fünf erfolglose Folgeanträge.
Am 08.12.2008 stellte der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten einen weiteren Asylfolgeantrag und trug zur Begründung vor: Durch die Richtlinie 2004/83/EG habe sich die Rechtslage zu seinen Gunsten nachträglich verändert. Nunmehr sei von einer Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan auszugehen. Art. 10 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2004/83/EG - Qualifikationsrichtlinie (QRL) - präzisiere den Verfolgungsgrund der Religion dahingehend, dass nunmehr auch Glaubensausübungen im öffentlichen Bereich mit umfasst seien. Damit sei unter anderem auch das aktive Missionieren vom Schutzbereich umfasst. Die bisherige Rechtsprechung zum religiösen Existenzminimum könne vor dem veränderten europarechtlichen Hintergrund nicht mehr aufrechterhalten werden. Der Kläger werde von diesen Einschränkungen vor allem der öffentlichen Religionsausübungsmöglichkeiten in Pakistan persönlich betroffen, da er eine religiös geprägte Persönlichkeit sei. So bete der Kläger regelmäßig und besuche die Moschee; er sehe es als seine religiöse Pflicht an, sich zu seinem Glauben zu bekennen und für diesen bei Andersgläubigen aktiv zu werben. Auch bekleide er Ämter innerhalb der religiösen Gemeinde. Im Übrigen habe sich die Verfolgungssituation der Ahmadis in Pakistan erheblich verschärft. Er habe erstmalig Anfang November 2008 von zwei Glaubensgenossen erfahren, dass diese aufgrund von Europarecht durch das Verwaltungsgericht Karlsruhe als Flüchtlinge anerkannt worden seien; er habe sich deshalb am 01.12.2008 an seinen nunmehrigen Prozessbevollmächtigten gewandt.
Mit Bescheid vom 30.03.2010 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Ziffer 1) und auf Abänderung des Bescheids vom 15.09.2000 hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (Ziffer 2) ab.
Am 31.03.2010 erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart mit dem Ziel einer Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie der Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Zur Begründung nahm er im Wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen im Verwaltungsverfahren Bezug. Ergänzend trug er zur aktuellen Lage der Ahmadis in Pakistan vor. Im Übrigen führte er aus, er selbst sei eine religiös geprägte Persönlichkeit und seinem Glauben eng verbunden. Er bete regelmäßig, besuche die Moschee und nehme an den Gemeindeveranstaltungen teil. Insbesondere habe er auch eine Aufgabe innerhalb der Gemeinde, er sei als sog. „Ziafat“ tätig und als solcher für die Organisation der Essenszubereitung bei Gemeindeveranstaltungen zuständig.
10 
Mit Urteil vom 09.07.2010 - A 4 K 1179/10 - verpflichtete das Verwaltungsgericht Stuttgart die Beklagte, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, und hob die Ziffern 1 und 2 des Bescheids des Bundesamtes vom 30.03.2010 auf, soweit sie dem entgegenstehen. Zur Begründung wies das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteile vom 20.11.2007   - A 10 S 70/06 - und vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07) hin. Der Kläger sei von den Restriktionen, die nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in den genannten Urteilen für die öffentliche Glaubensausübung von Ahmadis in Pakistan zu verzeichnen seien, selbst betroffen. Aufgrund der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dieser Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft sei. Das Gericht habe in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass der Kläger eng mit seinem Glauben verbunden sei, diesen in der Vergangenheit regelmäßig ausgeübt habe und dies auch gegenwärtig in einer Weise tue, dass er im Fall einer Rückkehr von der vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg beschriebenen Situation selbst betroffen werde. So habe der Kläger nachvollziehbar geschildert, dass und wie er seinen Glauben hier in Deutschland lebe; er sei aktives Mitglied seiner jetzigen religiösen Gemeinde. Über die geschilderte gemeindeinterne Betätigung hinaus habe der Kläger dargelegt, auch an öffentlichkeitswirksamen überörtlichen Veranstaltungen der Ahmadis teilgenommen zu haben. Nach der Überzeugung des Gerichts sei es ihm ein inneres Bedürfnis, mit anderen über seinen Glauben zu sprechen und für diesen aktiv zu werben.
11 
Am 02.08.2010 beantragte die Beklagte die Zulassung der Berufung.
12 
Mit Beschluss vom 10.01.2011 wurde die Berufung ohne Beschränkung zugelassen.
13 
Am 01.02.2011 begründete die Beklagte die Berufung unter Stellung eines förmlichen Antrags und führte dabei im Wesentlichen aus: Es bestünden bereits erhebliche Zweifel, ob die formellen Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfüllt seien. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bestehe auch in der Sache kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG. Das Verwaltungsgericht folge in fehlerhafter Weise der vom Gerichtshof in seinem Urteil vom 20.05.2008 vertretenen Auffassung, dass sich der Schutzbereich der Religionsausübungsfreiheit unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie wesentlich erweitert habe. An dieser vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Rechtsprechung des Senats könne im Hinblick auf eine neuere Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.03.2009 (10 C 51.07) nicht uneingeschränkt festgehalten werden. In rechtsfehlerhafter Weise habe das Verwaltungsgericht auch die Ziffer 2 des Bescheids vom 30.03.2010 aufgehoben, mit der das Bundesamt die Abänderung des nach altem Recht ergangenen Bescheids vom 15.09.2000 bezüglich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG abgelehnt habe. Die knappe und nicht näher nachvollziehbare Begründung des Urteils deute darauf hin, dass das Verwaltungsgericht den Regelungsgehalt des § 31 Abs. 3 AsylVfG verkenne. Die Voraussetzungen für derartige Abschiebungsverbote lägen im Übrigen nicht vor.
14 
Der Kläger wurde in der mündlichen Verhandlung vom 13.12.2011 informatorisch angehört; insoweit wird auf die Niederschrift verwiesen.
15 
Durch Urteil vom 13.12.2011 (A 10 S 69/11) wurde die Berufung mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor wie folgt gefasst wurde: „Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen. Ziffer 1 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 30.03.2010 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.“ Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG lägen vor. Mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007 am 28.08.2007 sei eine relevante Änderung der Rechtslage i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VwVfG eingetreten (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.12.2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289; Urteil des Senats vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris). Auch sei die Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG mit der Antragstellung am 05.12.2008 gewahrt worden.
16 
Das Gericht gehe im Anschluss an seine Urteile vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07) sowie vom 27.09.2010 (A 10 S 689/08) davon aus, dass sich die maßgebliche Rechtslage bei Anwendung der Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie sowohl hinsichtlich des hier in Rede stehenden Schutzbereichs der Religionsausübungsfreiheit als auch des Prognosemaßstabs für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit geändert habe.
17 
Wie im Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07 - a.a.O.) näher dargelegt, gehe die Vorschrift des Art. 10 Abs. 1 lit. b) QRL nach ihrem eindeutigen Wortlaut über den Schutz hinaus, der nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Art. 16a Abs. 1 GG unter dem Aspekt der religiösen Verfolgungsgründe eingeräumt worden sei, jedenfalls wenn nicht die Gefahr eines Eingriffs in Leib, Leben oder Freiheit aufgrund einer bereits vor Ausreise aus dem Heimatland ausgeübten religiösen Betätigung in Rede stehe (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 - BVerwGE 133, 221). Zur Glaubensfreiheit gehöre somit nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensinhalten und Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln. Teil der Religionsausübung seien nicht nur alle kultischen Handlungen und die Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche, wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozessionen etc., sondern auch religiöse Erziehung, Feiern und alle Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens in der Öffentlichkeit. Umfasst würden schließlich auch das Recht, den Glauben werbend zu verbreiten und andere von ihm zu überzeugen. Die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes setze darüber hinaus voraus, dass eine relevante Verfolgungshandlung des maßgeblichen Verfolgers (vgl. hierzu Art. 6 f. QRL) festgestellt werde, die allein oder in der Gesamtheit mit anderen Verfolgungshandlungen eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts ausmache (vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und b QRL). Erst an dieser Stelle erweise sich im jeweils konkreten Einzelfall, sofern auch die nach Art. 9 Abs. 3 QRL erforderliche Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund festgestellt werden könne, ob der oder die Betreffende die Flüchtlingseigenschaft besitze.
18 
Auf der Grundlage der Feststellungen in den Urteilen vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07) und vom 27.09.2010 (A 10 S 689/08) und deren Fortschreibung bis zur mündlichen Verhandlung drohe einem bekennenden Ahmadi, der zu seinem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehe und seinen Glauben in Pakistan öffentlich betätigen wolle, eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts und damit eine flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL.
19 
Das Gericht habe, insbesondere auch aufgrund der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten informatorischen Anhörung des Klägers, die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden sei und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziere, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Nach dem in der informatorischen Befragung gewonnen Gesamteindruck halte das Gericht die Angaben des Klägers zu seiner Glaubensausübung in Pakistan für uneingeschränkt glaubhaft. Im übrigen habe der Kläger im Rahmen der informatorischen Befragung überzeugend ausgeführt, ein religiös geprägtes Leben in Pakistan geführt zu haben, auch wenn er keine herausgehobene Funktion oder ein Amt in seiner Gemeinde bekleidet habe. Er habe jedoch glaubhaft dargelegt, so oft als möglich, mindestens jedoch dreimal am Tag, das Gebet in der Moschee der Ahmadis verrichtet zu haben. Dies spreche im vorliegenden Fall bereits deshalb für einen engen Glaubensbezug, weil das Aufsuchen der Moschee aufgrund der Berufstätigkeit des Klägers in der Landwirtschaft und der Entfernung der Felder zu der Moschee mit einem erheblichen Aufwand verbunden gewesen sei. Darüber hinaus habe der Kläger glaubhaft geschildert, bei Bedarf in seiner religiösen Gemeinde untergeordnete Tätigkeiten, etwa Reinigungsdienste, ausgeübt zu haben. Auch wenn es sich dabei wohl nicht um eine religiöse Betätigung gehandelt haben dürfte, die über die übliche Glaubensausübung in Pakistan hinausgehe, spreche sie doch für eine enge und verpflichtende Verbundenheit zu dem Glauben der Ahmadiyyas. Was die Angaben des Klägers zu seiner Religionsausübung im Bundesgebiet angehe, seien diese nach dem gewonnenen Eindruck glaubhaft. Das Gericht glaube dem Kläger uneingeschränkt, dass er sich seit seiner Einreise im Jahre 2000 jeweils in der zuständigen Gemeinde der Ahmadis betätige, regelmäßig zum Gebet in die Moschee gehe und verschiedene untergeordnete Tätigkeiten ausübe. So habe der Kläger etwa überzeugend und glaubhaft geschildert, wie er sich unmittelbar nach seiner Einreise zu der Ahmadi-Gemeinde nach XXX begeben und sich dort in vielfältiger Weise sozial und kulturell engagiert habe. Insbesondere habe der Kläger in der Gemeinde XXX nicht nur die in der Heimat bereits geleisteten Hilfsdienste fortgesetzt, sondern sich nunmehr auch öffentlichkeitswirksam religiös betätigt. So habe er sich bereits in XXX monatlich an einem Bücherstand vor dem Bahnhof beteiligt und Andersgläubige in missionarischer Absicht angesprochen. Gerade diese missionarischen Aktivitäten stellten ein wesentliches, wenn auch nicht zwingend erforderliches Indiz für die Annahme einer verpflichtenden Verbundenheit mit dem Glauben der Ahmadis dar. Nach seinem Umzug nach XXX habe der Kläger vor allem auch diese missionarischen Aktivitäten fortgesetzt und intensiviert. Der Senat glaube dem Kläger, im Jahre 2010 einen Landsmann zum ahmadischen Glauben bekehrt zu haben. In diesem Zusammenhang habe der Kläger weiterhin glaubhaft ausgeführt, ihm wohlgesonnene Landsleute regelmäßig zum Besuch seiner eigenen Moschee in missionarischer Absicht eingeladen zu haben. Dies zeige, dass es dem Kläger in Übereinstimmung mit den Glaubensgrundsätzen der Ahmadis ein inneres Anliegen sei, eigene Landsleute von seinem Glauben zu überzeugen. Darüber hinaus nehme der Kläger regelmäßig an überregionalen öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen seiner Glaubensgemeinschaft teil. Auch habe er nachvollziehbar geschildert, in seiner Familie ein streng glaubensgebundenes Leben zu führen und sich insbesondere für die religiöse Erziehung seiner kleinen Tochter einzusetzen. Diesem Eindruck stehe auch nicht entgegen, dass der Kläger lediglich über ein eingeschränktes theologisches Wissen verfüge. Nach der Überzeugung des Gerichts handele es sich bei dem Kläger um einen „einfachen“ Ahmadi, der seinem Glauben jedoch verpflichtend verbunden sei und diesen insbesondere auch öffentlichkeitswirksam, vor allem durch Entfaltung missionarischer Aktivitäten, leben wolle. Damit gehöre der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stünden und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen seien.
20 
Da dem Kläger nach dem oben Gesagten die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen sei, bedürfe es keiner Entscheidung über die hilfsweise begehrte Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht Ziffer 2 des versagenden Bescheides des Bundesamtes vom 30.03.2010 aufgehoben; insoweit sei der Tenor wie erfolgt neu zu fassen.
21 
Das Urteil wurde der Beklagten am 17.01.2012 zugestellt.
22 
Am 16.02.2012 legte die Beklagte die zugelassene Revision ein und begründete diese am 16.03.2012.
23 
Mit Beschluss vom 12.05.2012 setzte das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.12.2010 aus. Nachdem der Europäische Gerichtshof die Vorlagefragen durch Urteil vom 05.09.2012 (C-71/11 u.a.) beantwortet hatte, wurde das Verfahren fortgesetzt.
24 
Durch Urteil vom 20.02.2013 (10 C 23.12) hob das Bundesverwaltungsgericht das Urteil vom 13.12.2011 auf und wies den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurück. Nicht mit Bundesrecht vereinbar sei die vom Berufungsgericht gestellte Verfolgungsprognose. Der Verwaltungsgerichtshof habe das Ergebnis, dass die beschriebenen Verfolgungsgefahren für bekennende Ahmadis bestünden, die ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollten, nicht auf der Grundlage einer nachvollziehbaren Gefahrenprognose entwickelt. Nicht zu beanstanden sei der Ausgangspunkt, dass sich der Kläger nicht mit Erfolg auf eine begründete Furcht vor Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer augenblicklich bestehenden Gruppenverfolgung berufen könne. Das Urteil lasse jedoch nicht erkennen, aufgrund welcher Tatsachen und nach welchem Prognosemaßstab es dann die hinreichende Verfolgungsbetroffenheit für bekennende Ahmadis bejahe, die ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollten. Hänge die Verfolgungsgefahr von einem willensgesteuerten Verhalten ab - hier: der Praktizierung des Glaubens in der Öffentlichkeit -, sei für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben genau in dieser Weise praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Das sei in dem angefochtenen Urteil nicht erfolgt. Das Berufungsgericht habe weder - wie geboten - die Zahl der ihren Glauben entgegen den genannten Verboten öffentlich praktizierenden Ahmadis jedenfalls annäherungsweise bestimmt noch festgestellt, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe träfen. Nur wenn eine wertende Betrachtung ergebe, dass für die Gruppe der ihren Glauben öffentlich praktizierenden Ahmadis in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko bestehe, könne daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die vom Berufungsgericht als verfolgungsbetroffen gewertete Gesamtgruppe der Ahmadis, zu deren religiösem Selbstverständnis die Praktizierung des Glaubens in der Öffentlichkeit gehöre, einem beachtlichen Verfolgungsrisiko ausgesetzt sei.
25 
Der Kläger und die Beklagte haben sich durch Schriftsätze jeweils vom 08.05.2013 sowie vom 29.05.2013 zum Revisionsurteil sowie zu der vom Senat aufgeworfenen Frage nach weiteren Ermittlungsansätzen für die Erstellung der Verfolgungsprognose geäußert. Hierauf wird im Einzelnen verwiesen.
26 
Auf Anregung des Prozessbevollmächtigten des Klägers hat der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ Frankfurt unter dem 06.06.2013 eine Stellungnahme vorgelegt u.a. zu Einzelheiten des Berichts- und Dokumentationssystem zu Übergriffen gegen Ahmadis in Pakistan, das der von der Londoner Organisation betriebenen Website „thepersecution.org“ zugrunde liegt.
27 
Die Beklagte beantragt,
28 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Juli 2010 - A 4 K 1179/10 - zu ändern, soweit die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausgesprochen sowie die Ziffer 1 des Bescheids vom 30. März 2010 aufgehoben wurde, soweit er dem entgegensteht, und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
29 
Der Kläger beantragt,
30 
die Berufung zurückzuweisen.
31 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung erneut informatorisch angehört; wegen der dabei gemachten Angaben wird auf die Anlage zur Niederschrift verwiesen.
32 
Auf die den Beteiligten mit der Ladung übersandte Erkenntnisquellenliste wird verwiesen.
33 
Dem Senat liegen die Asylverfahrensakten des Bundesamts (7 Bd), die Ausländerakten (3 Bd), die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart sowie die Akten des 10. Senats hinsichtlich des streitgegenständlichen Folgeverfahrens vor.

Entscheidungsgründe

 
34 
I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch die Verpflichtung der Beklagten auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie die ergänzende Aufhebung der dem entgegenstehenden Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 30.03.2010. Denn im Berufungsurteil vom 13.12.2011 wurde, wenn auch nicht ausdrücklich im Tenor, die Klage hinsichtlich der Ziffer 2 des Bescheids abgewiesen (vgl. insbesondere auch UA S. 35 unten). Da die Beklagte auch nur in diesem Umfang durch das Urteil beschwert war, muss davon ausgegangen werden, dass sie nur insoweit die zugelassene Revision eingelegt hat, mit der Folge, dass auch die Aufhebung des Urteils vom 13.12.2011 durch das Bundesverwaltungsgericht nur diesen Teil betreffen kann. Die Beteiligten sehen dies nicht anders.
35 
II. Dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und 3 VwVfG vorliegen, wurde im Urteil vom 13.12.2011 im Einzelnen dargelegt. Hierauf kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden.
36 
III. Grundlage für das Begehren des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.
37 
Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 20.02.2013, mit dem der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde, in maßstäblicher Hinsicht folgendes ausgeführt:
38 
„2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 2011/95/EU (zuvor: Richtlinie 2004/83/EG) - im Folgenden: Richtlinie - geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen .
39 
Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie ergänzend anzuwenden. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist. Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen des Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie und den Verfolgungshandlungen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie bestehen.
40 
2.2 Das Berufungsgericht hat die vom Kläger als Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft (Ahmadi) geltend gemachte Verfolgungsgefahr zutreffend als Furcht vor einem Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung gewertet (UA S. 13). Denn Ahmadis droht in Pakistan die Gefahr einer Inhaftierung und Bestrafung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht schon wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft als solcher. Die Verwirklichung der Gefahr hängt vielmehr von dem willensgesteuerten Verhalten des einzelnen Glaubensangehörigen ab: der Ausübung seiner Religion mit Wirkung in die Öffentlichkeit. In solchen Fällen besteht der unmittelbar drohende Eingriff in einer Verletzung der Freiheit, die eigene Religion entsprechend den geltenden Glaubensregeln und dem religiösen Selbstverständnis des Gläubigen zu praktizieren, weil der Glaubensangehörige seine Entscheidung für oder gegen die öffentliche Religionsausübung nur unter dem Druck der ihm drohenden Verfolgungsgefahr treffen kann. Er liegt hingegen nicht in der Verletzung der erst im Fall der Praktizierung bedrohten Rechtsgüter (z.B. Leib, Leben, persönliche Freiheit). Etwas anderes gilt dann, wenn der Betroffene seinen Glauben im Herkunftsland bereits praktiziert hat und ihm schon deshalb - unabhängig von einer willensgesteuerten Entscheidung über sein Verhalten in der Zukunft - unmittelbar die Gefahr z.B. einer Inhaftierung und Bestrafung droht. Eine derartige Vorverfolgung hat das Berufungsgericht hier jedoch nicht festgestellt .
41 
2.3 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat auf Vorlage des Senats durch Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe in die Religionsfreiheit als Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden können .
42 
2.3.1 Der Gerichtshof sieht in dem in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) verankerten Recht auf Religionsfreiheit ein grundlegendes Menschenrecht, das eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft darstellt und Art. 9 EMRK entspricht. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten (EuGH a.a.O. Rn. 57). Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in das durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta garantierte Recht auf Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dar (Rn. 58). Zunächst muss es sich um eine Verletzung dieser Freiheit handeln, die nicht durch gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Grundrechtsausübung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GR-Charta gedeckt ist. Weiterhin muss eine schwerwiegende Rechtsverletzung vorliegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt (Rn. 59). Das setzt nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie voraus, dass die Eingriffshandlungen einer Verletzung der grundlegenden Menschenrechte gleichkommen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf (Rn. 61) .
43 
2.3.2 Zu den Handlungen, die nach der Rechtsprechung des EuGH eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Der Gerichtshof hält es mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie nicht für vereinbar, die Beachtlichkeit einer Verletzungshandlung danach zu beurteilen, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift (Rn. 62 f.). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an der vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung für den Flüchtlingsschutz (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 <19 ff.>) nicht mehr fest. Folglich ist bei der Bestimmung der Handlungen, die aufgrund ihrer Schwere verbunden mit der ihrer Folgen für den Betroffenen als Verfolgung gelten können, nicht darauf abzustellen, in welche Komponente der Religionsfreiheit eingegriffen wird, sondern auf die Art der ausgeübten Repressionen und ihre Folgen für den Betroffenen (Rn. 65 mit Verweis auf Rn. 52 der Schlussanträge des Generalanwalts) .
44 
Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (Rn. 67). Der Gerichtshof verwendet in der verbindlichen deutschen Sprachfassung des Urteils (vgl. Art. 41 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012, ABI L 265/1 vom 29. September 2012) zwar nur den Begriff „verfolgt", ohne dies ausdrücklich auf eine strafrechtliche Verfolgung zu beziehen. Es wäre jedoch zirkulär, den Begriff der „asylerheblichen Verfolgung" durch „Verfolgung" zu definieren. Dafür spricht zudem ein Vergleich der deutschen mit der französischen, englischen und italienischen Fassung des Urteils. In allen drei zum Vergleich herangezogenen Sprachfassungen ist von strafrechtlicher Verfolgung die Rede. Darüber hinaus ist auch die im Fall der Religionsausübung drohende Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben sowie der (physischen) Freiheit hinreichend schwerwiegend, um die Verletzung der Religionsfreiheit als Verfolgungshandlung zu bewerten .
45 
2.3.3 Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Das ergibt sich insbesondere aus der Aussage des Gerichtshofs in Rn. 69, dass schon das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie und somit eine Verfolgung darstellen kann, wenn der Verstoß dagegen die tatsächliche Gefahr der dort genannten Sanktionen und Konsequenzen heraufbeschwört. Kann Verfolgung somit schon in dem Verbot als solchem liegen, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen (z.B. in Leben oder Freiheit) letztlich nicht an .
46 
Diesem Verständnis der Entscheidung, das den Flüchtlingsschutz gegenüber der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorverlagert, steht nicht entgegen, dass der Gerichtshof in seinen Ausführungen auf die Gefahr abstellt, die dem Ausländer bei „Ausübung dieser Freiheit" (Rn. 67 und 72) bzw. der „religiösen Betätigung" (Rn. 73, 78 und 79 f.) droht. Denn damit nimmt dieser lediglich den Wortlaut der entsprechenden Vorlagefragen 2a und 3 des Senats auf, ohne dass darin eine notwendige Voraussetzung für die Flüchtlingsanerkennung liegt. Könnte nicht schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen, blieben Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten (so auch Lübbe, ZAR 2012, 433 <437>). Diese Erstreckung auch auf einen erzwungenen Verzicht entspricht dem Verständnis des britischen Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) in seinem Grundsatzurteil vom 14. November 2012 - MN and others [2012] UKUT 00389(IAC) Rn. 79) betreffend die religiöse Verfolgung von Ahmadis in Pakistan und dem Urteil des Supreme Court of the United Kingdom betreffend die Verfolgung wegen Homosexualität vom 7. Juli 2010 (HJ v. Secretary of State for the Home Department [2010] UKSC 31 Rn. 82). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an seiner vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 a.a.O. <23>) nicht mehr fest .
47 
2.3.4 Nach der Rechtsprechung des EuGH hängt die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu erfüllen, von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (Rn. 70). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.2). Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (so auch Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen vom 19. April 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11, Rn. 82) .
48 
Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit sieht der Gerichtshof den Umstand an, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (Rn. 70). Denn der Schutzbereich der Religion erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet (Rn. 71). Dabei bestätigt der EuGH die Auffassung des Senats, dass es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers ankommt, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270 Rn. 43). Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist .
49 
Der vom EuGH entwickelte Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nach dem Verständnis des Senats nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste (vgl. zu den strengeren Maßstäben der Rechtsprechung zur Gewissensnot von Kriegsdienstverweigerern: Urteil vom 1. Februar 1982 - BVerwG 6 C 126.80 - BVerwGE 64, 369 <371> m.w.N.). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (so schon Beschluss vom 9. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 43) .
50 
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Bei Ahmadis aus Pakistan ist zunächst festzustellen, ob und seit wann sie der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehören. Hierbei dürfte sich die Einholung einer Auskunft der Zentrale der Glaubensgemeinschaft in Deutschland anbieten, die ihrerseits auf die Erkenntnisse des Welt-Headquarters in London - insbesondere zur religiösen Betätigung des Betroffenen in Pakistan - zurückgreifen kann (so auch das britische Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14. November 2012 a.a.O. Leitsatz 5). Nähere Feststellungen über die religiöse Betätigung eines Ausländers vor seiner Ausreise verringern auch das Risiko einer objektiv unzutreffenden Zuordnung zu einer Glaubensgemeinschaft (s.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. November 2012, S. 14). Zusätzlich kommt die Befragung eines Vertreters der lokalen deutschen Ahmadi-Gemeinde in Betracht, der der Asylbewerber angehört. Schließlich erscheint im gerichtlichen Verfahren eine ausführliche Anhörung des Betroffenen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in aller Regel unverzichtbar. Wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger seinen Glauben in Pakistan nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, sind die Gründe hierfür aufzuklären. Denn der Verzicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung im Herkunftsland kennzeichnet die religiöse Identität eines Gläubigen dann nicht, wenn er aus begründeter Furcht vor Verfolgung erfolgte. Ergibt die Prüfung, dass der Kläger seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechender Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen .
51 
2.3.5 Das Verbot einer öffentlichen religiösen Betätigung als solches kann aber nur dann als hinreichend schwere Verletzung der Religionsfreiheit und damit als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden, wenn der Asylbewerber - über die soeben genannten objektiven und subjektiven Gesichtspunkte hinaus - bei Ausübung der verbotenen öffentlichkeitswirksamen Glaubensausübung in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Das bedeutet, dass die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen müssen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (Richtlinie 2011/95/EU: Art. 2 Buchst. d) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 22). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. Urteile vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.> und vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 24). Im vorliegenden Fall kommt es darauf an, ob der Kläger berechtigterweise befürchten muss, dass ihm aufgrund einer öffentlichen religiösen Betätigung in Pakistan, die zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schweren Rechtsgutverletzung droht, insbesondere die Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.4) .
52 
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht für pakistanische Staatsangehörige in ihrem Heimatland allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft noch keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr (UA S. 32). Eine solche droht nur „bekennenden Ahmadis", die „ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollen" (UA S. 33). Das Berufungsgericht hält zur Feststellung der Verfolgungswahrscheinlichkeit die für eine Gruppenverfolgung geltenden Maßstäbe insoweit mit Recht nicht für vollumfänglich übertragbar, als eine Vergleichsbetrachtung der Zahl der stattgefundenen Verfolgungsakte zur Gesamtzahl aller Ahmadis in Pakistan (etwa 4 Millionen) oder der bekennenden Ahmadis (500 000 bis 600 000) die unter Umständen hohe Zahl der Glaubensangehörigen unberücksichtigt ließe, die aus Furcht vor Verfolgung auf ein öffentliches Praktizieren ihrer Religion verzichten. Hängt die Verfolgungsgefahr aber von dem willensgesteuerten Verhalten des Einzelnen - der verbotenen Ausübung des Glaubens in der Öffentlichkeit - ab, ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben trotz der Verbote in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Dabei ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass die Ausübung religiöser Riten in einer Gebetsstätte der Ahmadis bereits als öffentliche Betätigung gewertet und strafrechtlich sanktioniert wird. Die Zahl der ihren Glauben in strafrechtlich verbotener Weise praktizierenden Ahmadis ist - bei allen damit verbundenen, auch dem Senat bekannten Schwierigkeiten - jedenfalls annäherungsweise zu bestimmen. In einem weiteren Schritt ist sodann festzustellen, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe treffen. Dabei ist insbesondere zu ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ahmadi inhaftiert und bestraft wird, der entgegen den Vorschriften des Pakistan Penal Code bei seiner Glaubensausübung religiöse Begriffe und Riten des Islam benutzt, seinen Glauben öffentlich bekennt oder für ihn wirbt. Bei der Relationsbetrachtung, die die Zahl der ihren Glauben verbotswidrig in der Öffentlichkeit praktizierenden Ahmadis mit der Zahl der tatsächlichen Verfolgungsakte in Beziehung setzt, ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine wertende Betrachtung handelt, die auch eventuell bestehende Unsicherheiten und Unwägbarkeiten der staatlichen Strafverfolgungspraxis mit einzubeziehen hat. Besteht aufgrund einer solchen Prognose für die - möglicherweise zahlenmäßig nicht große - Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe der Ahmadis, für die diese öffentlichkeitswirksamen Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist .
53 
2.4 Bei Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind alle Akte zu berücksichtigen, denen der Antragsteller ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden droht, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten können (vgl. Urteil des EuGH vom 5. September 2012 a.a.O. Rn. 68). Liegt keine Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vor, ist weiter zu prüfen, ob sich eine solche aus einer Gesamtbetrachtung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ergibt. Buchstabe a erfasst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Nach Buchstabe b kann auch eine Kumulation unterschiedlicher Maßnahmen die Qualität einer Verletzungshandlung haben, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Buchstabe a. Die Maßnahmen im Sinne von Buchstabe b können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen .
54 
In Buchstabe a beruht die Schwere der Eingriffshandlungen auf ihrer Art oder Wiederholung („nature or repetition"). Während die „Art" der Handlung ein qualitatives Kriterium beschreibt, enthält der Begriff der „Wiederholung" eine quantitative Dimension (so auch Hailbronner/Alt, in: Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1072 Rn. 30). Der Gerichtshof geht in seinem Urteil vom 5. September 2012 (Rn. 69) davon aus, dass das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen kann. Der Qualifizierung als „ein" Verbot steht nicht entgegen, dass dieses in mehreren Strafvorschriften des Pakistan Penal Code mit unterschiedlichen Straftatbeständen normiert ist. Das Verbot kann von so schwerwiegender „Art" sein, dass es für sich allein die tatbestandliche Voraussetzung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfüllt. Andere Maßnahmen können hingegen unter Umständen nur aufgrund ihrer Wiederholung vergleichbar gravierend wirken wie ein generelles Verbot .
55 
Setzt die Erfüllung des Tatbestandes von Buchstabe a mithin eine bestimmte gravierende Eingriffshandlung oder die Wiederholung gleichartiger Handlungen voraus, ermöglicht die Tatbestandsalternative des Buchstabe b in einer erweiterten Perspektive die Berücksichtigung einer Kumulation unterschiedlicher Eingriffshandlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie aufgeführt sind. Die Kumulationsbetrachtung entspricht auch dem Verständnis des UNHCR vom Verfolgungsbegriff in Art. 1 A Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rn. 53). In die nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie erforderliche Gesamtbetrachtung können insbesondere verschiedenartige Diskriminierungen gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft einbezogen werden, z.B. beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen (vgl. UNHCR Richtlinie vom 28. April 2004 zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung, HCR/GIP/04/06 Rn. 17). Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Buchstabe a entspricht .
56 
Daher sind bei der Prüfung einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie zunächst alle in Betracht kommenden Eingriffshandlungen in den Blick zu nehmen, und zwar Menschenrechtsverletzungen wie sonstige schwerwiegende Repressalien, Diskriminierungen, Nachteile und Beeinträchtigungen. In dieser Prüfungsphase dürfen Handlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie genannt werden, nicht vorschnell deshalb ausgeschlossen werden, weil sie nur eine Diskriminierung, aber keine Menschenrechtsverletzung darstellen (ähnlich Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz - Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, Kapitel 4 § 13 Rn. 18). Zunächst ist aber zu prüfen, ob die Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vorliegt. Ist das nicht der Fall, ist weiter zu prüfen, ob die Summe der nach Buchstabe b zu berücksichtigenden Eingriffe zu einer ähnlich schweren Rechtsverletzung beim Betroffenen führt wie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie. Ohne eine fallbezogene Konkretisierung des Maßstabs für eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie kann die bewertende Beurteilung nach Buchstabe b, ob der einzelne Asylbewerber unterschiedlichen Maßnahmen in einer so gravierenden Kumulation ausgesetzt ist, dass seine Betroffenheit mit der in Buchstabe a vergleichbar ist, nicht gelingen. Stellt das Gericht hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der „Betroffenheit in ähnlicher Weise" keine Vergleichsbetrachtung mit den von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfassten Verfolgungshandlungen an, liegt darin ein Verstoß gegen Bundesrecht“ .
57 
IV. Ausgehend hiervon besteht zwar kein Grund zu der Annahme, dass bereits aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya unterschiedslos die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter dem Aspekt einer Gruppenverfolgung vorliegen. Etwas anderes ergibt sich jedoch für die bekennenden Ahmadis, die es nach ihrem Glaubensverständnis für sich als identitätsbestimmend ansehen, ihren Glauben – auch werbend – in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. hierzu im Folgenden und auch noch unten 2 e); vgl. schon VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.05.2008 - A 11 S 3032/07 - juris; vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris).
58 
1. a) Zum Hintergrund der heutigen Situation der Ahmadis in Pakistan hatte der HessVGH bereits im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A - juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
59 
„Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
60 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
61 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bay. VGH am 22.01.1985, S. 7).
62 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
63 
b) Auch die aktuell verfügbaren Zahlen zur Größe der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern bzw. diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.02.2008, Ziff. 19.41 und vom 07.12.2012, Ziff. 19.98, das von 291.000 bis 600.000 bekennenden Ahmadis ausgeht). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 02.11.2012, S. 13) wiederum nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien. Der vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 im Verfahren A 12 K 2890/12 vernommene Raja Muhammad Yousaf Khan, der Mitarbeiter des „Ahmadiyya Muslim Jamaat e.V., Frankfurt“ ist, hat ausgesagt, dass der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ von etwa 400.000 bekennenden Ahmadis in Pakistan ausgeht, die er als solche Personen beschreibt, die regelmäßig Kontakt zu den lokalen Gemeinden haben, wobei sich aus der Niederschrift keine genauer nachvollziehbaren Hinweise ablesen lassen, wie diese Zahl ermittelt bzw. hergeleitet wurde. Der Umstand, dass in den anlässlich der jüngst abgehaltenen Wahl erstellten Wählerverzeichnissen (sog. „Nada-Dateien“) nur rund 200.000 wahlberechtigte Ahmadis geführt werden, stellt die Zahl von 400.000 nicht grundsätzlich infrage, weil Ahmadis seit Jahren schon die Wahlen selbst boykottieren (vgl. unten Ziffer 2 a). Der Senat kann nicht davon ausgehen, dass alle etwa 400.000 „bekennenden Ahmadis“ auch solche sind, für die das Leben ihres Glaubens in der Öffentlichkeit und ggf. das Werben für den Glauben identitätsbestimmend und daher unverzichtbar sind (vgl. zur Eingrenzung der Gruppe noch unten 2 e), was allerdings nach der – auch offiziellen – Lehre der Ahmadiyya-Bewegung von zentraler Bedeutung ist (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16). Denn der bloße regelmäßige Kontakt zur lokalen Gemeinde ist hierfür sicher unzureichend, zumal, wie noch auszuführen sein wird, das gemeinsame Gebet jedenfalls in kleineren Gebetshäusern in der Regel faktisch möglich ist, selbst wenn es auch hier vermutlich immer wieder Übergriffe und Einschränkungen bzw. staatliche Verfolgungsmaßnahmen gibt. Nach dem International Religious Freedom Report Pakistan des United States Department of State für das Jahr 2011 (S. 2) waren allerdings überhaupt keine verlässlichen Daten über die Anzahl der Ahmadis, die sich aktiv an religiösen Ritualen oder Gottesdiensten beteiligen, verfügbar oder von den amerikanischen Stellen zu ermitteln, was dann gleichermaßen für diejenigen gelten muss, die aktiv den Glauben vertretend und praktizierend in der Öffentlichkeit auftreten. Vergleichbares gilt im Übrigen – angesichts der Größe des Landes für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar – für die Ermittlung verlässlicher Daten zur Frage der Häufigkeit von Übergriffen auf Ahmadis in Pakistan von Seiten privater Akteure (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2011 Ziff. 19.162). Zwar werden von den im Inland- und Ausland ansässigen Organisationen der Ahmadiyya-Gemeinschaft regelmäßig (monatliche und jährliche) Zusammenstellungen über – v.a. von nicht staatlichen Akteuren ausgehende – Übergriffe auf Ahmadis herausgegeben und ins Internet gestellt (www.thepersecution.org/), es ist aber auch nach dem Vortrag der Beteiligten für den Senat kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass diese auf einem lückenlosen und landesweit vernetzten Berichtssystem beruhen und daher auch nur annäherungsweise vollständig sein könnten, was die Stellungnahme des „Ahmadiyya Muslim Jammaat“ vom 06.06.2013 bestätigt. Abgesehen davon ist auch nicht gesichert, dass die Betroffenen ausschließlich oder jedenfalls überwiegend solche Ahmadis sind, die ihrem Glauben in einer Weise innerlich verpflichtet sind, dass sie diesen bekennend und ggf. werbend bzw. sogar missionierend in die Öffentlichkeit tragen bzw. tragen wollen. Eine Durchsicht der Zusammenstellung für Januar bis Dezember 2011 ergab, dass eindeutige Aussagen nur für einen Teil der beschriebenen Vorfälle gemacht werden können.
64 
Der Senat sieht vor diesem Hintergrund keinen erfolgsversprechenden Ermittlungsansatz, um die so beschriebene Teilmenge (Ahmadis, für die das öffentlich Bekennen und ggf. Werben für den Glauben identitätsbestimmend ist) aus der Teilmenge der „bekennenden Ahmadis“ der Größe nach präziser festzustellen, zumal dann in diesem Zusammenhang landesweit auch sehr subjektiven Voraussetzungen und Merkmalen, d.h. inneren Tatsachen nachgegangen werden müsste. Es ist namentlich nicht erkennbar, dass in Pakistan die Zahl dieser Personen überhaupt statistisch erfasst wird, bzw. dass es eine Stelle geben könnte, die über solches Zahlenmaterial verfügt. Die Ausführungen von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart machen hinreichend deutlich, dass nicht einmal die offiziellen Vertreter der Ahmadis in Westeuropa in diesem Zusammenhang über belastbare Zahlen hinsichtlich dieser Personengruppe verfügen, was nach dessen Ausführungen letztlich darin begründet ist, dass aus Furcht vor Verfolgung heute praktisch kein Ahmadi mehr in der Öffentlichkeit seinen Glauben lebt und für diesen wirbt. Dabei hatte Herr Khan nicht ausgeschlossen, dass auf individueller Ebene in einem privaten Gespräch noch für den Glauben geworben würde, wie oft dies heute noch geschehe, lasse sich – zu Recht – nicht seriös beziffern, da es niemanden gebe, der hierüber Aufzeichnungen mache, die Fälle auswerte und dann zähle. Auch das vom Upper Tribunal - Immigration and Asylum Chamber in seinem Urteil „MN and others“ (Pakistan CG <2012> UKUT 00389) vom 14.11.2012 verwertete Zahlenmaterial führt hier letztlich nicht weiter, weil dieses sich nicht direkt auf die Zahl des hier festzustellenden Personenkreises und dessen Größe bezieht. Das Bundesamt wie auch der Kläger haben keine Wege aufgezeigt, wie verlässliches und nicht nur spekulatives Zahlenmaterial zu erlangen sein könnte. Der Senat sieht sich – ungeachtet der völkerrechtlichen Hindernisse – auch im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nicht gehalten, ein Institut mit einer repräsentativen Untersuchung in Pakistan oder einer erstmals dort durchzuführenden statischen Erhebung zu betrauen, abgesehen davon, dass der Senat keine Anhaltspunkte dafür hat, dass eine verlässliche Untersuchung in Pakistan überhaupt in angemessener Zeit geleistet werden kann. Umso weniger lassen sich verlässliche Zahlen darüber ermitteln, wie viele Ahmadis aus der Teilmenge der Ahmadis, für die das öffentliche Bekennen oder sogar Werben identitätsbestimmend ist, trotz aller Verbote, Strafverfolgungsmaßnahmen und gewichtigen Übergriffe privater Akteure gleichwohl ihren Glauben öffentlich leben und für ihn öffentlich eintreten oder gar werben (vgl. zur der vom Bundesverwaltungsgericht in Rdn. 33 geforderten Relationsbetrachtung im Einzelnen noch unten 2c).
65 
2. Die Lage der Ahmadis in Pakistan wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
66 
a) Der Islam wurde in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist zwar von Verfassung wegen garantiert (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 2 f.). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit qualifiziert und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. wer auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
67 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren und nur solche Personen auf diesen Listen wählen können. Um hingegen ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4; U.S. State Department, Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 38; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.104 ff.; Rashid, Pakistan’s failed Commitment: How Pakistan’s institutionalised Persecution of the Ahmadiyya Muslim Community violates the international Convenant on civil and political Rights, S. 25). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA, Lagebericht vom 02.11.2012, S. 13).
68 
b) Seit 1984 bzw. 1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und die gewissermaßen der Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung dienen.
69 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143):
70 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
71 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ameerui Mumineen’, ‚Khalifar-ul-Mimineem’, ’Shaabi’ oder ‚Razi-Allah-Anho’ bezeichnet oder anredet;
72 
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ummul-Mumineen’ bezeichnet oder anredet;
73 
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ahle-bait’ bezeichnet oder anredet;
74 
d) sein Gotteshaus als ‚Masjid’ bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
75 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als ‚Azan’ bezeichnet oder den ‚Azan’ so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
76 
Sec. 298 C lautet:
77 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
78 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
79 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
80 
Der Vollständigkeit halber sollen in diesem Zusammenhang noch erwähnt werden (vgl. auch Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.32):
81 
- Sec. 298 A (Gebrauch abschätziger bzw. herabsetzender Bemerkungen in Bezug auf heilige Personen; Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, Geldstrafe oder beides);
82 
- Sec. 295 (Beleidigung oder Schändung von Orten der Verehrung mit dem Zweck bzw. Ziel, eine Religion jeder Art herabzusetzen, Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahre, Geldstrafe oder beides);
83 
- Sec. 295 A (Vorsätzliche und böswillige Handlungen mit dem Zweck die religiösen Gefühle jeden Standes zu verletzen durch Beleidigung der Religion oder des Glaubens, Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren, Geldstrafe oder beides) und
84 
- Sec. 295 B (Beleidigung bzw. Verächtlichmachung des Heiligen Korans, lebenslange Freiheitsstrafe).
85 
Alle genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch schon ausführlich HessVGH, Urteil vom 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris, Rdn. 92 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.1992 - 2 BvR 1263/92 - juris, m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; vom 25.01.1995 - 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere dort auch noch zur mittlerweile irrelevanten Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen in weiten Teilen diskriminierende, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR (vgl. auch Art. 52 Abs. 1 GRCh) zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c) RL 2004/83/EG (identisch mit RL 2011/95/EU) erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, Urteil vom 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960, Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/), wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Soweit man einzelne Bestimmungen im Ansatz noch als zulässige Begrenzung der Religionsfreiheit ansehen wollte (etwa Sec. 298 C letzte Variante), fehlt allerdings schon jede tatbestandliche Eingrenzung, vielmehr wird mit ihrer begrifflichen Weite ein Einfallstor für Willkür eröffnet (vgl. hierzu noch unten d). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und weshalb zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind (so noch BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts), weshalb auch offen bleiben kann, ob unter dem Regime der Qualifikationsrichtlinie eine derart weitgehende Beschränkung der Religionsfreiheit für die Betroffenen, wie sie das Bundesverfassungsgericht für das Asylgrundrecht noch für richtig gehalten hat, hinzunehmen und unionsrechtskonform wäre. Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten vermittelnden Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen gerade nicht von ihnen ausgehen (vgl. hierzu auch Rashid, Pakistan’s Failed Commitment, S. 32), sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie mittlerweile auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan vom 10.09.2007, S. 6 und 10 und nunmehr Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.12, 19.27, 19.44, 19.121, 19.127 und 19.145). Von einer legitimen Begrenzung der religiösen Betätigung von Ahmadis kann auch deshalb keine Rede sein, weil der pakistanische Staat keine effektiven legislativen und exekutiven Maßnahmen ergreift, um dem aggressiven Wirken entgegenzutreten und den Minderheiten – als Kehrseite möglicher ihnen auferlegter maßvoller Beschränkungen – einen wirklich geschützten Freiraum für ihr Wirken bereitstellt (vgl. zur Weite der Vorschriften und ihrer grenzenlosen Auslegung bzw. Anwendung unten d).
86 
c) Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung nach Sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, wurden nach dem Bericht „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (Annex II), den auch das Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14.11.2012 als relevant angesehen hat (dort Rdn. 30, Fn. 6), im Zeitraum April 1984 bis 31.12.2011 offiziell insgesamt 3.820 „Police Cases“ gegen Ahmadis registriert, davon 299 wegen „Blasphemie“, zuzüglich über 60.000 Verfahren (wegen Sec. 298 C) gegen den sich am 28. Mai 2008 ausdrücklich aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Begründung des Khalifentums öffentlich zu den Ahmadis bekennenden Teil der Bevölkerung von Rabwah (jetzt Chenab Nagar oder Tschinab Nagar; vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006), die 2009 noch anhängig gewesen waren (Home Office Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.136; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorités religieuses, 31.08.2009, S. 9), mittlerweile aber eingestellt wurden (vgl. Khan an das VG Stuttgart vom 09.05.2013). Bereits im Jahre 1989 waren schon einmal Verfahren gegen alle Ahmadis von Rabwah wegen des Vorwurfs nach Sec. 298 C eingeleitet worden, die im Jahre 2006 noch anhängig waren (vgl. hierzu Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 10 f. und 35), aber vermutlich auch eingestellt wurden; diese nach dem genannten Bericht nicht genauer bezifferten Verfahren müssen daher im Grundsatz noch bei der Zahl von Ermittlungsverfahren berücksichtigt werden. Auch wenn diese augenscheinlich nicht konsequent oder nur gegenüber Einzelnen betrieben werden, so ist doch aus der Tatsache, dass sie erst nach einigen Jahre förmlich eingestellt und immerhin im Abstand von 10 Jahren zweimal eingeleitet wurden, nur der Schluss zu ziehen, dass sie instrumentalisiert wurden, um die Betroffenen massiv einzuschüchtern. Aus diesem Grund können diese Verfahren bei der vorzunehmenden wertenden Gesamtbetrachtung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Allerdings dürfen sie nicht mathematisch exakt in eine quantitative Bewertung eingerechnet werden, weil es in der Regel jedenfalls zu keinen Anklagen gekommen ist und andernfalls ein unzutreffendes Bild von der Wirklichkeit ergäbe.
87 
Das Home Office (Ziff. 19.49) spricht für den Zeitraum 1986 bis 2006 allein von 695 Verfahren spezifisch wegen Blasphemie (sec. 295 C), in denen es auch zu Anklagen gekommen ist, darunter 239 Ahmadis; insgesamt wurden im Zeitraum 1984 bis 2004 über 5.000 Anklagen gegen Ahmadis mit einem religiösen Hintergrund erhoben. Im Juni 2011 waren mindestens 14 Verfahren gegen Ahmadis anhängig gewesen, in denen (nicht rechtskräftig) die Todesstrafe verhängt worden war (Ziff. 19.39). Nach vermutlich anderen Quellen sind von 1984 bzw. 1987 bis 2011 1.117 Personen wegen Blasphemie angeklagt worden (Ziff. 19.50). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären (Ziff. 19.134 ff.). Weitere aussagekräftige Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Die Beklagte hat solche auch nicht mitgeteilt bzw. aufgezeigt, wie noch verlässliche Informationen zu erlangen sein könnten.
88 
Bei Rashid (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 und 28 f.) finden sich folgende Zahlen: Seit 1984 wurden 764 Ahmadis angeklagt, weil sie die Kalima gezeigt bzw. gelesen hatten, 38 wurden wegen der Verwendung des Gebetsrufs angeklagt; 434 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich als Muslim bezeichnet hatten, 161 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich islamischer Terminologie in der Öffentlichkeit bedient hatten; 93 Anklagen bezogen sich auf das Verrichten von Gebeten in der Öffentlichkeit und 719 Anklagen wurden wegen öffentlichen Predigens und Werbens für den Glauben erhoben. Auch bei Rashid werden die Verfahren gegen 60.000 Ahmadis aus Rabwah erwähnt. Insbesondere erwähnt Rashid, dass allein im Jahre 2009 mindestens 74 Ahmadis eines Deliktes nach Sec. 295 C Penal Code beschuldigt worden seien.
89 
Mit Blick auf die grundsätzlich vom Bundesverwaltungsgericht geforderte Relationsbetrachtung (Rdn. 33) ist in diesem Zusammenhang allerdings zu bemerken, dass nicht alle vorgenannten Verfahren notwendigerweise und uneingeschränkt Glaubensbetätigungen betreffen müssen, die gerade in der Öffentlichkeit stattfinden. Diese Annahme liegt deshalb nahe, weil etwa falsche Verdächtigungen und Anschuldigungen (vgl. hierzu auch unten d) auch andere Hintergründe und Vorwürfe zum Inhalt haben können. Diese Zahlen sind daher von ihrer Struktur wenig geeignet, als Grundlage der Relationsbetrachtung zu dienen. Der Senat sieht aber auch hier keinen konkreten erfolgversprechenden Ermittlungsansatz, wie der Anteil verlässlich festzustellen sein sollte, der spezifisch Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit betrifft, und zum anderen, um wie viele Personen es sich dabei gehandelt haben könnte, für die ein öffentlichkeitswirksames Agieren zum identitätsbestimmenden und unverzichtbaren Merkmal des eigenen Glaubensverständnisses zählt.
90 
d) Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz, oftmals nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt auch darauf beruht, dass sie häufig durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 14; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.59 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 15 ff., und 2012, S. 17 ff.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2). In der Regel werden die eines Verstoßes gegen die Blasphemiebestimmungen Beschuldigten bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.53; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing The International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, 14.05.2012, S. 6). Dieser Umstand ist vor allem auch deshalb so gravierend, weil Folter auf Polizeistationen und in Haft an der Tagesordnung ist (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 23; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 6; Asia Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 21 ff.). Die Haftbedingungen werden als teilweise sogar lebensbedrohend bezeichnet (vgl. SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 4 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, S. 9). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt. Die Bestimmung der Sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von Sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten im Sinne von Sec. 295 C (vgl. hierzu im Einzelnen schon HessVGH, U. v. 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris - Tz. 46 und 69). Generell werden alle genannten Vorschriften wegen ihrer begrifflichen Unbestimmtheit bzw. der schwammigen Formulierungen weit und zulasten der Ahmadis ausgelegt und angewendet. Sie sind daher ein (offenes) Einfallstor für blanke Willkür. So kommt es etwa zu Anklagen gegen Eltern, wenn sie ihre Kinder Mohammed nennen (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.103; vgl. auch Ziffer 19.139).
91 
Die Strafvorschriften werden dabei nicht selten auch gezielt genutzt, um – auch aus eigensüchtigen Motiven – Ahmadis mit falschen Anschuldigungen unter Druck zu setzen und zu terrorisieren (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.57 f.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 15). Die Anzeigeerstatter laufen dabei keine Gefahr, wegen falscher Anschuldigung verfolgt zu werden. Eine Anzeige kann zudem erhebliche Konsequenzen für die Betroffenen und ihre Familien haben. So wurden zwischen 1986 bis 2010 34 Personen, die nach den Blasphemiegesetzen angeklagt worden waren, von privaten Akteuren umgebracht; im Jahre 2010 wurden allein vier Personen (zwei Christen und zwei Muslime) getötet (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47); auch die Familien werden in Drohungen und Einschüchterungen einbezogen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47 und 19.52; AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12). In diesem Zusammenhang ist etwa die radikal-islamische Gruppierung „Khatm-e-Nabuwwat“ („Siegel der Prophetenschaft“) zu erwähnen, die u.a. mit diesen Mitteln gezielt und völlig ungestraft gegen Ahmadis vorgeht (vgl. auch AA, Lagebericht 02.11.2012, S. 14; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 13 ff.; vgl. zu der Organisation noch im Folgenden unter Ziff. 2.g). Zwar hat die Gruppierung in der Vergangenheit etwa gegenüber der „Parliamentary Human Rights Group“ (vgl. S. 8 f.) den Versuch unternommen, ihr Verhältnis zu den Ahmadis und ihre Vorgehensweise diesen gegenüber als wesentlich offener und zurückhaltender darzustellen. Bereits zum damaligen Zeitpunkt hatte dem aber etwa der Präsident von amnesty international Pakistan deutlich widersprochen (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8). Durch die neueren Entwicklungen sind diese Aussagen der Gruppierung ohnehin eindeutig überholt bzw. widerlegt (vgl. unten Ziffer 2 g; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013).
92 
Die Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen die Blasphemiebestimmungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte hinziehen und zu keinem Ende gebracht werden, was einschneidende Folgen für die Betroffenen hat, selbst wenn sie sich in Freiheit befinden. Denn sie müssen sich in der Regel alle 15 bis 30 Tage bei der ermittelnden Polizeistation, die sich oftmals nicht an ihrem Wohnort befindet, melden, auch wenn das Verfahren gar nicht konkret gefördert wird (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 12 f.).
93 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen (vgl. Sec. 295 und 295 A), in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn religiöse Gefühle der Ahmadis und anderer religiöser Minderheiten durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 3; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.33).
94 
Der Versuch einer Reform der Blasphemiegesetze ist vollständig gescheitert, insbesondere im Kontext der Ermordung des Gouverneurs von Punjab und des Minsters für Minderheiten im Jahre 2011 (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.76; UNHCHR, Guidelines, S.11 f.; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2011, March 2012, S. 82 und 89 f.; vgl. auch Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 29 f., mit Hinweisen auf öffentliche Äußerungen des pakistanischen Ministers Babar Awan sowie des Premierministers Gilani aus Anlass der Verurteilung der christlichen Frau Asia Bibi). Eine Änderung zum Positiven ist auch mit Rücksicht auf das Ergebnis der Präsidentenwahlen im Mai diesen Jahres, die der Vorsitzende der Muslimliga Nawaz Sharif gewonnen hat, nicht zu erwarten.
95 
Eine im Jahre 2004 eingeführte Reformmaßnahme, wonach nur höhere Offiziere die Ermittlungen führen dürfen, hat nach übereinstimmender Einschätzung keine Verbesserungen gebracht (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12; UNHCR, Guidelines, S. 15).
96 
In den verwerteten Dokumenten wird auch von einem völligen Scheitern und Versagen der Strafjustiz und der Strafverfolgungsorgane gesprochen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.42 f.; UNHCR, Guidelines, S. 6; Parlamentary Human Rights Group (PHRG), Report of PHRG Fact Finding Mission To Pakistan, 24.09.2010, S. 9 f.).
97 
Zwar wurde im September 2008 eine Kommission für Angelegenheiten der Minderheiten installiert (vgl. UNHCR, „Guidelines“, S. 4). Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass diese irgendwelche substantiellen Verbesserungen gebracht hat (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.29; vgl. hierzu auch Upper Tribunal Urteil vom 14.11.2012, S. 15; vgl. auch U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, S. 121 f., wonach zwar von einigen positiven Schritten in jüngster Zeit berichtet wird, die die pakistanische Regierung an höchster Stelle unternommen haben soll, von wirkungsvollen Ergebnissen, insbesondere für das tägliche Leben landesweit, spricht der Report jedoch nicht; es liegt dem Senat auch keine andere Quelle vor, die diesbezüglich verwertbare Informationen enthielte).
98 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen und seine faktische Umsetzung in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte, was exemplarisch durch die in den Jahren 1998 und 2008 gegen alle Einwohner eingeleiteten Verfahren deutlich wird (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.132 ff.). Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten Ziff. 3.b).
99 
e) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf denen öffentlich gebetet wird (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 4, und von 2011, S. 14; U.S. State Department: Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 30; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.143; Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 32). Das gilt insbesondere für die nach ihrem gelebten Glaubensverständnis essentielle jährliche Versammlung („Jalsa Salana“), die letztmals 1983 stattfinden konnte und an der damals 200.000 Gläubige teilnahmen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Jalsa_Salana).
100 
Allerdings wird es Ahmadis nicht von vornherein unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies sicherlich oftmals der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben wird (vgl. schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan von 2011, S. 4), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen (vgl. auch Upper Tribunal, Urteil vom 14.11.2012, S. 18). Möglich ist dieses aber nur noch in kleineren Gebetshäusern, die einen eingeschränkten Bezug zur Öffentlichkeit haben (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Angeben von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart, wonach an Stelle der früheren, 18.000 bis 19.000 Gläubige fassenden Moschee in Rabwah mittlerweile viele kleine Gebetshäuser entstanden sind; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Gefahrlos ist dieses aber auch nicht. Denn die gemeinsame Ausübung des Glaubens wird immer wieder dadurch behindert bzw. unmöglich gemacht, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird oder solche auch von staatlichen Organen zerstört werden (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.132, 19.141 ff., 154; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4 und 13 ff.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3), während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können; Gebetshäuser oder Versammlungsstätten werden immer wieder von Extremisten überfallen (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan,10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.). Gleichwohl geht der Senat in Ermangelung gegenteiliger aussagekräftiger Informationen davon aus, dass Angehörige der Ahmadiyya, die nur derartige Glaubensbetätigungen an den Tag legen und für sich als verbindlich betrachten, damit noch kein „real risk“ eingehen, (von wem auch immer) verfolgt zu werden. Die vom Kläger benannten Fälle, in denen in diesem Jahr auch Verfahren wegen einer Versammlung in (kleineren) Gebetshäusern eingeleitet wurden, stellen diese Annahme nicht grundsätzlich infrage. Anhaltspunkte für die gegenteilige Annahme lassen sich insbesondere auch nicht der Aussage von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 entnehmen (vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Insbesondere ergibt sich aus der Aussage nicht, dass auch diese Personen ihre Aktivitäten vollständig eingestellt haben und etwa die Ahmadi-Gemeinden in Pakistan gewissermaßen nur noch auf dem Papier existieren würden. Im Gegenteil: Allen verwerteten Erkenntnismitteln wie auch den Angaben von Herrn Khan liegt nach Überzeugung des Senats – wenn auch mehr oder weniger unausgesprochen – zugrunde, dass es noch ein, wenn auch eingeschränktes, lokales Gemeindeleben gibt. Treffen in großem Stil zu in erheblichem Maße identitätsstiftenden gemeinsamen Gebeten in ihren großen Moscheen, die die Ahmadis jedoch nicht so nennen dürfen, finden hingegen nicht mehr statt (vgl. die Aussage von Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013). Allerdings ist der Umstand, dass heute auch das gemeinsame Gebet abseits der großen Öffentlichkeit immer wieder behindert und gestört wird bzw. Auslöser für Strafverfahren und Übergriffe privater Akteure sein kann, für die gerichtlicherseits vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 34 ff.) gleichwohl nicht irrelevant, da sie die Lage auch der bekennenden, ihren Glauben in die Öffentlichkeit tragenden Ahmadis mit prägen.
101 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel, andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 7). In diesem Zusammenhang ist aber hervorzuheben, dass sich die Ahmadis als „predigende Religion” verstehen, zu deren sittlichen Verpflichtung es rechnet, den Glauben zu verbreiten und zu verkünden (vgl. Report of the Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16).
102 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 14).
103 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten von Ahmadis im weitesten Sinn werden regelmäßig beschlagnahmt und verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus noch Verbreitung (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 3 und 4 und von 2011, S. 7 und 13 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 30 ff.; vgl. zur Zeitung „Alfzal“ auch Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 37, mit einer Kopie der Verbotsverfügung des Innenministers von Pakistan vom 08.05.2006 und S. 49 f.).
104 
Die Ahmadyyia Gemeinde ist die einzige Gruppe, der ihre im Jahre 1972 verstaatlichten Bildungseinrichtungen (seit 1996) nicht zurückgegeben wurden (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 13 f.)
105 
f) Nur der Vollständigkeit halber soll zur Abrundung des Gesamteindrucks noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden: Die frühere (überdurchschnittliche) Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen ständig (vgl. AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148 f. und 19.164; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report for 2011, S. 5 und 15 f.; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 10; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65, vom 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148, 19.149, 19.164; Immigration and Refugee Board of Canada, S. 3).
106 
g) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligem Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen bewusst untätig zugesehen und sie geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Country Reports on Human Rights Practices Pakistan, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 9 f.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und 4). Dabei wurden in jüngster Vergangenheit auch gezielt Häuser und Geschäfte von Ahmadis niedergebrannt (Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 4). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah. Diese bereits für frühere Zeiträume beschriebene Situation hat sich mittlerweile erheblich verschärft. Es wird übereinstimmend ein vorherrschendes Klima von privaten Akteuren verursachter Gewalt beschrieben, wobei die Gewaltakte bzw. die Aufrufe hierzu regelmäßig sowohl in ordnungsrechtlicher wie erst recht in strafrechtlicher Hinsicht für die Urheber folgenlos bleiben. Es werden regelmäßig regelrechte Hasskampagnen, insbesondere auch Versammlungen und Kundgebungen durchgeführt, auf denen gegen die Ahmadis gehetzt wird und die Besucher aufgewiegelt werden (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.127 f., und sehr ausführlich und anschaulich „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“, S. 2 ff.). Die Wirkungsmächtigkeit der Aktivitäten der maßgeblichen Organisationen sowie einer Vielzahl radikaler Mullahs beruht zu einem guten Teil auf dem Umstand, dass weite Teile der Bevölkerung ungebildet, wenn nicht gar des Schreibens und Lesens nicht mächtig und daher leicht beeinflussbar sind und vor allem das glauben, was sie in den Moscheen hören (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6).
107 
Effektiver Schutz ist regelmäßig nicht zu erlangen (vgl. etwa UNHCR, Guidelines, S. 22; Parliamantary Human Rights Group (PHRG), Fact Finding Mission To Pakistan, S. 3; vgl. beispielhaft zur offensichtlich fehlenden Bereitschaft, den erforderlichen Schutz zu gewähren Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 19, 24 f. und 33 f.). Besonders tut sich in diesem Zusammenhang die Organisation „Khatm-e-Nabuwwat“ hervor (vgl. ausführlich hierzu Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.112 bis 19.119; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8 f.), aber auch die Taliban werden als Urheber benannt (vgl. Rahsid, Pakistan’s failed Commitment, S. 31 ff.). Exemplarisch ist ein Vorfall vom 28.05.2010 anzuführen, bei dem Extremisten der „Khatm-e-Nabuwwat“ anlässlich des Freitagsgebets in Lahore gut koordinierte Angreifer vor zwei Ahmadi-Moscheen „Kill-all“-Rufe skandieren und schließlich die Moscheen stürmen ließen; am Ende wurden 85 Ahmadis getötet und 150 weitere verletzt (Ziff. 19.125; vgl. zum Angriff auf eine Moschee in Rawalpindi am 02.02.2012, Ziff. 19.154). Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass die Organisation mit einem Schwerpunkt auch in Rabwah tätig wird (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.114 f.).
108 
Insgesamt vermittelt die Zusammenstellung des Home Office (Ziff. 19.112 bis 19.147) ein gutes und informatives, aber auch äußerst bedrückendes Bild. Seit 1974 wurden fast 300 Ahmadis allein wegen ihres Glaubens von nicht staatlichen Akteuren getötet. Im Jahre 2010 waren es allein 99. Wie schon erwähnt (vgl. oben IV 1), sind aber verlässliche und aussagekräftige Zahlen nicht zu ermitteln (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.162). Im Hinblick auf die anzustellende Relationsbetrachtung (vgl. hierzu unten Ziffer 3 a) ist bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass im Zusammenhang mit der Benennung der Zahlen nicht zum Ausdruck gebracht wird, wie hoch der Anteil der Betroffenen ist, der die Glaubensbestätigung in der Öffentlichkeit als einen identitätsbestimmenden Teil ihres Glaubens betrachtet. Eine Durchsicht der Zusammenstellung „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (S. 23 ff.) zeigt dies nur zu deutlich; teilweise lässt sich nicht bestimmen, ob der oder die Betreffende dieses Merkmal erfüllt oder nicht. Über das Ausmaß (nur) schwerer nicht tödlich endender Eingriffe in die körperliche Integrität liegen überhaupt keine verlässlichen Zahlen vor (vgl. auch Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Diese Eingriffe und ihr Ausmaß sind aber für die Beurteilung bzw. Qualifizierung des Bedrohungspotentials gleichfalls von erheblicher Relevanz, da sie – neben den staatlichen Verboten und strafrechtlichen Sanktionen - ebenfalls von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung sein können, ob jemand seinen Glauben aktiv in die Öffentlichkeit trägt oder dieses unterlässt.
109 
Nicht speziell in Bezug auf Ahmadis berichtet Rashid zu Todesfällen aufgrund religiös motivierter Gewalt: 2007 seien es über 1.500 gewesen, im Jahre 2008 2.155, im Jahre 2009 über 2.300. Im Jahre 2010 sei die Zahl zwar auf 1.796 zurückgegangen, um dann aber im Jahre 2011 wiederum auf mindestens 2.545 Fälle zu steigen (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 f., dort auch zu Zahlen von Todesopfern unter den Minderheiten der Christen und Hindus; vgl. auch Asian Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 8, wonach in den letzten drei Jahren über 800 Shia Muslime (Schiiten) durch religiöse Gewalt getötet worden seien, ohne dass staatliche Organe irgendwelche glaubwürdigen Gegenmaßnahmen ergriffen hätten; vgl. hierzu auch U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 2012, S. 124). Die sanktionslosen Gewaltexzesse gehen sogar so weit, dass etwa im Juni 2006 ein ganzer von Ahmadis bewohnter Teil eines Dorfes (Jhando Sahi) niedergemacht und zerstört wurde, ohne dass dieses Konsequenzen nach sich gezogen hätte (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 18 und 45 ff.). Andere Quellen sprechen davon, dass nachweisbar 210 Ahmadis wegen ihres Glaubens getötet worden seien; zudem weiß man hiernach von 254 entsprechenden Mordversuchen zu berichten (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.131). In diesen Zahlen dürften die Opfer des Anschlags vom 28.05.2010 in Lahore (siehe oben) allerdings noch nicht enthalten sein.
110 
Dieses Bild der Schutzlosigkeit der Ahmadis wird ergänzt durch die seit 2011 zunehmenden Berichte von Schändungen von Ahmadi-Gräbern im gesamten Punjab (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.156). Zudem schwenken in jüngerer Zeit die Medien, nicht nur das staatliche Fernsehen, sondern auch die traditionell eigentlich eher liberale englischsprachige Presse auf die Anti-Ahmadi-Rhetorik ein. Dies hat zur Folge, dass sich die Auffassung, Ahmadis folgten einer Irrlehre und seien keine Muslime bzw. Apostaten, in der Mehrheitsbevölkerung allgemein durchzusetzen und zum Allgemeingut zu werden beginnt, was zu einer weiteren Verschärfung der allgegenwärtigen Diskriminierungen der Ahmadis führt (Ziff. 19.150). Die Parliamentary Human Rights Group prognostiziert, dass Pakistan – nicht zuletzt auch mit Rücksicht auf seinen Umgang mit den Ahmadis - dabei sei, zu einem „failed state“ zu verkommen (vgl. S. 3). Nach Überzeugung des Senats sind die Ahmadis mittlerweile in eine Situation geraten, in der sie mit guten Gründen im traditionellen mittelalterlichen Sinn als „vogelfrei“ bezeichnet werden können. Dies gilt im Ausgangspunkt für alle „bekennenden“ Ahmadis, auch wenn sie ihren Glauben nicht bekennend und für ihn werbend bewusst in die Öffentlichkeit tragen (wollen). Für den Senat bestehen aber, wie bereits eingangs ausgeführt, keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass für jeden Angehörigen dieser Gruppe bereits ein „reales Risiko“ besteht.
111 
Typisch für das Klima der Gewalt ist etwa eine Äußerung des früheren Ministers für Religionsangelegenheiten Amir Liaquat Hussain, die dieser ungestraft im Jahre 2008 in einer beliebten Fernsehshow gemacht hatte, wonach es sowohl notwendig sei, aber auch dem Islam entspreche, alle Ahmadis zu töten (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 23). Im Dezember 2010 konnte ein einflussreicher Kleriker, Yousef Qureshi, 6.000 US Dollar für die Ermordung der Christin Asia Bibi ausloben, ohne dass dieses irgendwelche Konsequenzen für ihn hatte. Nach der Ermordung des Gouverneurs der Provinz Punjab, der sich für eine Reform der Blasphemiegesetze stark gemacht hatte, am 03.01.2011, wurde dessen Tod richtiggehend gefeiert. Dabei konnten ungestraft 500 Kleriker öffentlich verkünden, dass dessen Tod ein Sieg für das gesamte Land sei (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 30).
112 
Von der Parlamantary Human Rights Group wird – gut nachvollziehbar – bereits bezogen auf das Jahr 2006 die Lage so eingeschätzt, dass der gesamte Prozess der Regierung nicht mehr umkehrbar entglitten ist und sie gewissermaßen die Geister, die sie rief, nicht mehr in los wird (vgl. Januar 2007, S. 8).
113 
3. a) Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) schon im Jahre 2005 und somit vor der mittlerweile stattgefundenen und weiter stattfindenden Verschärfung der Lage in der Weise zusammenfassend charakterisiert worden war, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellte und stellt nunmehr umso mehr für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen identitätsbestimmender Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL dar. Der Präsident von amnesty international Pakistan wurde dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführe, dass es niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.; vgl. aber zur gleichfalls prekären, durch Marginalisierung und Armut geprägten und sich zunehmend verschlechternden Lage der Christen U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, 121 ff., 125 f.; UNHCR, Guidelines, S. 25 ff.)
114 
Von zentraler Bedeutung für die Einschätzung der Lage der Ahmadis durch den Senat ist dabei das gegen sie gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot, sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis in vielfältiger Weise insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b) QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen weiteren Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c) QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn namentlich jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung oder sonstiger Leib und Leben gefährdender Übergriffe möglich sind. Diese Verbote sind auch eine wesentliche ideologische Absicherung und Grundlage für das zunehmend aggressiv werdende Handeln privater Akteure gegenüber Mitgliedern der Religionsgemeinschaft der Ahmadis. Die Blasphemiegesetze werden von Human Rights Watch Asia als ein wesentlicher Nährboden für die zunehmende extremistische und religiös begründete Gewalt beschrieben und bewertet (so Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 16 f.; vgl. auch ders. S. 9 mit dem Hinweis, dass eine weitere Ursache der Gewalt jedenfalls gegenüber den Ahmadis darin zu erblicken sei, dass es diese konsequent und einschränkungslos ablehnen, den Islam mit Gewalt zu verbreiten; vgl. auch Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6 und 9 die zusätzlich darauf hinweist, dass in der muslimischen Mehrheitsbevölkerung die Ansicht weit verbreitet ist, die Ahmadiyya Bewegung sei ein Produkt der britischen Kolonisatoren, um die Muslime zu spalten). Die Kehrseite von alledem ist dann, dass auch der solchermaßen erzwungene Verzicht auf öffentlichkeitsbezogenes Glaubensleben bei dem hier in den Blick zu nehmenden Personenkreis eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt, die für sich betrachtet bereits die maßgebliche Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt und die selbst auf Eingriffshandlungen zurückzuführen ist, die ihrer Art und Wiederholung nach keine gleichartigen Eingriffshandlungen ausmachen (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL; vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 37). Denn bezogen auf das jeweilige betroffene Subjekt ist gewissermaßen in erster Linie das Ergebnis bzw. der Erfolg relevant, nämlich den Glauben nicht mehr öffentlichkeitswirksam in zumutbarer Weise auszuüben oder ausüben zu können. Eine Unterscheidung zwischen einem durch staatliche Maßnahmen induzierten Verzicht (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a) QRL) und einem solchen, der auf das Handeln nicht staatlicher Akteure zurückgeht ist (vgl. dann Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL), ist dabei nicht möglich und wäre völlig lebensfremd. Sie würde namentlich an der Realität in Pakistan vorbeigehen. Die Beweggründe für einen bekennenden Ahmadi, entgegen seinem verpflichtenden Glaubensverständnis den Glauben gleichwohl nicht in die Öffentlichkeit zu tragen, können und werden notwendigerweise nicht eindimensional sein.
115 
Bei diesem Ausgangspunkt kann für die bei einem – wie hier – unverfolgt ausgereisten Ahmadi, der glaubhaft erklärt hat, er werde im Falle der Rückkehr aus Furcht seinen Glauben nicht öffentlich bekennen bzw. für ihn werben, anzustellende Verfolgungsprognose nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung bezogen auf den hier zu betrachtenden Personenkreis rechtfertigen würden. Geht man von deutlich mehr als 60.000 eingeleiteten Strafverfahren (zuzüglich der im Jahre 1989 gegen die Bewohner Rabwahs eingeleiteten Verfahren, deren Zahl nicht bekannt ist) in einem Zeitraum von knapp dreißig Jahren aus, so darf allerdings nicht unterstellt werden, dass jedes dieser Verfahren schon mit einem relevanten Verfolgungseingriff verbunden war (vgl. hierzu auch oben 2 c). Daher erscheint auf den ersten Blick dann eine darunter liegende Zahl eher zu gering und nicht geeignet zu sein, eine ausreichende Verfolgungswahrscheinlichkeit zu begründen. Hiermit kann es aber nicht sein Bewenden haben. Hinzugezählt werden müssen, wie bereits erwähnt, nämlich die vielfältigen und unzweifelhaft zahlreichen, strafrechtlich bzw. ordnungsrechtlich nicht geahndeten Verfolgungsakte privater Akteure, die das tägliche Leben eines gläubigen und in der Öffentlichkeit bekennenden Ahmadi unmittelbar in sicherheitsrelevanter Weise berühren, wenn nicht gar prägen und in dieses eingreifen, wobei allerdings, wie bereits ausgeführt, die Eingriffe seriös und belastbar nicht quantifiziert werden können. Entgegen dem in Rdn. 33 des Revisionsurteils vermittelten Eindruck kann bei der Relationsbeurteilung auch nicht allein darauf abgestellt werden, in wie viel Fällen Strafverfahren eingeleitet und durchgeführt wurden bzw. werden. Denn das erzwungene Schweigen der hier interessierenden Personengruppe, das den relevanten Verfolgungseingriff darstellen kann, beruht, wie bereits ausgeführt, auch, wenn nicht gar überwiegend, auf den gewalttätigen, Leib und Leben gefährdenden bzw. sogar verletzenden Handlungen privater Akteure, die ungehindert und ungestraft vorgehen können und die damit nach Art. 6 lit. c) QRL flüchtlingsrechtlich relevant sind. Wollte man diesen Faktor unberücksichtigt lassen, würde ein völlig falsches Bild von der Situation der Ahmadis und deren Motivationslage gewonnen. Der Senat sieht sich nicht durch § 144 Abs. 6 VwGO gehindert, im Kontext der Relationsbetrachtung eine (unerlässliche) Ergänzung um diesen Gesichtspunkt vorzunehmen, weil er – nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Ausführungen unter Rdn. 25 des Revisionsurteils - nicht zu erkennen vermag, dass die Vorgaben des Revisionsurteils an dieser Stelle abschließenden Charakter haben. Wenn das Bundesverwaltungsgericht dort davon spricht, dass die vom Europäischen Gerichtshof angesprochene Verfolgung eine strafrechtlich relevante sein müsse, so wird diese Interpretation zwar vom Kläger infrage gestellt, gleichwohl sprechen aus der Sicht des Senats die besseren Gründe für die Sichtweise des Bundesverwaltungsgerichts. Zwar führt dieses dann dazu, dass die Verfolgungshandlungen der strafrechtlichen Verfolgung wie auch der Bestrafung nur solche sein können, die von staatlichen Akteuren ausgehen. Dieses gilt jedoch nicht in gleicher Weise für die unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung, die ohne weiteres auch nicht staatlichen Akteuren zugeordnet werden kann. Leibes- und lebensbedrohende Übergriffe privater Akteure auf einen Andersgläubigen sind aber zwanglos als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu begreifen.
116 
Aus allen vorliegenden Informationen kann nach Überzeugung des Senats auch der hinreichend verlässliche Schluss gezogen werden, dass für diejenigen Ahmadis, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und das Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen, in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko besteht, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen (würden). Denn bei dieser wertenden Betrachtung ist auch das erhebliche Risiko für Leib und Leben - insbesondere einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten bzw. gravierenden Übergriffen privater Akteure - zu berücksichtigen, sodass an den Nachweis der Verfolgungswahrscheinlichkeit keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen. Es entspricht der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung auch schon dann vorliegen kann, wenn aufgrund einer „quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für die Realisierung eines Verfolgungseingriffs besteht. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise eher nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er sein Heimatstaat verlassen soll oder in dieses zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber - wie im Falle der Ahmadi in Pakistan - jahrelange Haft, Folter oder gar Todesstrafe oder Tod oder schwere Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit seitens Dritter riskiert (BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162; vgl. nunmehr auch Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - Rdn. 32). Handelt es sich demnach um einen aktiv bekennenden Ahmadi, für den die öffentliche Glaubensbetätigung zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, muss landesweit von einem realen Verfolgungsrisiko ausgegangen werden.
117 
Selbst wenn man realistischer Weise nicht der Einschätzung des vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 12.03.2013 vernommenen Herr Khan folgt, dass es etwa 400.000 bekennende Ahmadis in Pakistan gebe und im Wesentlichen alle aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen auf eine öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigung verzichten und nicht etwa teilweise auch aus Opportunität, weil sie letztlich doch nicht so eng dem Glauben verbunden sind bzw. weil für sie der spezifische Öffentlichkeitsbezug nicht Teil ihres bestimmenden religiösen Selbstverständnisses ist, so kann doch nicht von der Hand gewiesen werden, dass es angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten, lebens- und leibesbedrohenden Übergriffe extremistischer Gruppen für viele gläubige Ahmadis der gesunde Menschenverstand nahelegen, wenn nicht gar gebieten wird, öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für viele Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Gemeinschaft der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit sei nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks. Diese seit nunmehr weit über nahezu 30 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und -bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Eine verlässliche Zahl derer, die aus Furcht vor staatlichen und/oder privaten Eingriffen auf eine Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit verzichten, ist in diesem Zusammenhang naturgemäß nicht zu ermitteln, da hierüber keine Aufzeichnungen gemacht und Statistiken geführt werden und es sich regelmäßig auch um innere Meinungsbildungsprozesse handeln wird.
118 
Allerdings sieht sich der Senat nicht in der Lage, eine besondere und zusätzliche Relationsbetrachtung (vgl. Rdn. 33 des Revisionsurteils), die der Absicherung der Einschätzung und zur Plausibilisierung des Verfolgungsrisikos dienen soll, in quantitativer Hinsicht vollständig anzustellen. Wie bereits ausgeführt, lässt sich der in diesem Zusammenhang einzusetzende Faktor der Zahl derjenigen Ahmadi, die trotz aller Verbote, Strafandrohungen, Strafverfahren, verhängter Strafen sowie Leib oder Leben gefährdender Angriffe privater Akteure weiter öffentlichkeitswirksam agieren, nicht annähernd zuverlässig ermitteln, woran die Relationsbetrachtung bereits scheitern muss, wobei ergänzend anzumerken ist, dass nach den einleuchtenden Ausführungen von Herrn Khan gegenüber dem VG Stuttgart alles dafür spricht, dass es eine relevante Anzahl überhaupt nicht mehr gibt. Diese faktischen Grenzen der Ermittlungsmöglichkeiten dürfen allerdings nicht zwangsläufig zu Lasten der Schutzsuchenden und Schutzbedürftigen gehen. Wenn sich aus anderen Erkenntnisquellen plausible Schlussfolgerungen ziehen lassen, die noch hinreichend verlässlich sind, gebietet es im Interesse eines wirksamen und menschenrechtsfreundlichen Flüchtlingsschutzes der unionsrechtliche Grundsatz des „effet utile“, damit sein Bewenden haben zu lassen.
119 
Der Senat verwertet allerdings die von Herrn Khan beim Verwaltungsgericht Stuttgart gemachten Angaben, wonach grundsätzlich jeder Ahmadi, der heute auf öffentlichen Plätzen für seinen Glauben werben würde, damit zu rechnen hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar erhebliche Nachteile zu erleiden (wie Gewaltanwendung staatlicher Organe oder privater Akteure, Strafverfahren und strafrechtliche Sanktionen), weshalb derartiges faktisch kaum mehr stattfindet. Da diese Einschätzung nach den oben gemachten Feststellungen ohne weiteres plausibel ist, sieht der Senat keinen Anlass an deren Zuverlässigkeit zu zweifeln, auch wenn Herr Khan, der als Flüchtling anerkannt ist, sicherlich insoweit gewissermaßen „Partei“ ist, als er selber Ahmadi und unmittelbar den Institutionen der Glaubensgemeinschaft der Ahmadis in Deutschland verbunden ist. Nimmt man noch den von Herrn Khan geschilderten Gesichtspunkt hinzu, dass heute praktisch kein Ahmadi mehr in den großen Moscheen bzw. Gebetshäusern erscheint, um in Gemeinschaft mit anderen am öffentlichen Gebet teilzunehmen, sei es aus Furcht vor staatlichen Eingriffen, sei es (noch wahrscheinlicher) vor privaten Akteuren, so muss nach Überzeugung des Senats von einer (ausreichend) hohen Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, dass ein Ahmadi, der sich nicht um Verbote etc. kümmert und gleichwohl in der Öffentlichkeit agiert, Opfer erheblicher Ein- und Übergriffe werden wird, und deshalb der Verzicht auf ein öffentlichkeitswirksames Glaubensbekenntnis in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Verboten und dem Verhalten privater feindlicher Akteure steht und maßgeblich hierauf beruht.
120 
Selbst wenn man der Auffassung sein wollte, dass der auf die dargestellte Art und Weise verursachte Verzicht auf jede öffentliche Glaubensbetätigung allein noch nicht die Qualität eines relevanten Verfolgungseingriffs hat, so ergibt sich ein solcher jedenfalls aus einer wertenden Zusammenschau dieses Aspekts mit den oben beschriebenen vielfältigen Diskriminierungen und Einschränkungen, die für sich betrachtet entweder noch keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit im konkreten Einzelfall begründen bzw. nicht die erforderliche Schwere aufweisen mögen. Wegen dieser letztlich maßgeblichen Gesamtschau liegt dann in jedem Fall eine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL vor.
121 
b) Einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, zu dessen verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und ggfs. auch zu werben oder zu missionieren, steht kein interner Schutz im Sinne des Art. 8 QRL offen, d.h. es gibt keinen Landesteil, in dem er in zumutbarer Weise und ungefährdet seinen Glauben öffentlich leben kann. Was die dem pakistanischen Staat unmittelbar zuzurechnenden Eingriffe betrifft, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen landesweit die gleichen. Gerade der Umstand, dass 1989 und 2008 Strafverfahren gegen alle Ahmadis in Rabwah eingeleitet worden waren, belegt dieses eindringlich. Was die Aktionen privater Akteure betrifft, geht die Einschätzung der Parliamentary Human Rights Group - PHRG - (Report of the PHRG Fact Finding Mission to Pakistan vom 24.10.2010, S. 2) und der von ihr angehörten Gewährspersonen dahin, dass eine ausreichende Sicherheit auch nicht in Rabwah besteht. Der Präsident von amnesty international von Pakistan wird dahin gehend zitiert, dass Ahmadis nirgends sicher seien, auch nicht in Rabwah, denn die Polizei würde auch den erforderlichen Schutz dort nicht gewähren, was er plausibel damit erklärt, dass die bereits erwähnte Gruppierung Khatm-e Nabuwwat einen Schwerpunkt ihrer Betätigung in Rabwah hat, wenn er auch nicht gänzlich in Abrede stellt, dass das Sicherheitsniveau dort etwas höher sei, besser wäre hier allerdings davon zu sprechen, dass das Unsicherheitsniveau etwas niedriger ist (vgl. zu alledem Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.145 ff.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 20 ff. mit vielen Einzelaspekten). Die Situation wird – in erster Linie in Bezug auf nicht staatliche Akteure – auch so beschrieben, dass die Bedrohung von Ort zu Ort unterschiedlich ist und von Jahr zu Jahr wechselt (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.151). Ganz abgesehen davon ist für den Senat nicht ersichtlich, dass alle landesweit lebenden Ahmadis in Rabwah eine den Anforderungen des Art. 8 QRL genügende wirtschaftliche Existenz finden könnten (vgl. UNHCR, Guidelines, S. 43, und ausführlich zur wirtschaftlichen Situation in Rabwah Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 7 und 24 ff.).
122 
4. Gläubige Ahmadis hingegen, die nicht zu der oben beschriebenen Gruppe rechnen, weil für sie der Aspekt des aktiven Bekenntnisses in der Öffentlichkeit keine besondere Bedeutung hat, können hiernach nur dann von einem Verfolgungseingriff aufgrund einer kumulativen Betrachtungsweise nach Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL betroffen sein, wenn nach den Verhältnissen in Pakistan diese Betroffenheit sich generell aufgrund sonstiger Diskriminierungen als eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellen würde. Von einer generellen Betroffenheit aller Mitglieder der Teilmenge der gläubigen, ihren Glauben auch (ohne direkten Öffentlichkeitsbezug) praktizierenden Ahmadi kann, was die die oben angesprochenen Diskriminierungen im Bildungswesen und beruflicher Art betrifft, noch nicht gesprochen werden. Hier kann sich allein im Einzelfall aus einer Gesamtschau eine ausreichende Schwere der Verletzung ergeben. Allerdings besteht eine generelle Betroffenheit insoweit, als sie sich nicht einmal als Moslems bezeichnen dürfen und die Finalität des Propheten Mohamed anerkennen müssen, was dann mittelbar eine gleichberechtigte Teilhabe an den staatsbürgerlichen Rechten, wie dem Wahlrecht unmöglich macht. Da jedoch die eigentlich Glaubensbetätigung auch außerhalb des eigentlichen „forum internum“ – vorbehaltlich weiterer künftiger Verschärfungen insbesondere von Seiten privater Akteure – noch möglich ist, ohne dass dieses mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erheblichen Beeinträchtigungen führt, liegt nach Auffassung des Senats, obwohl diese Betätigungen keineswegs risikofrei sind, noch keine auf diese bezogene schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach der vom Europäischen Gerichtshof in seiner Rechtsprechung verbindlich entwickelten Auslegung des Art. 9 Abs. 1 QRL vor.
123 
Etwas anderes gilt selbstverständlich auch dann, wenn ein solcher Ahmadi unmittelbar und konkret von einem staatlichen Verfolgungsakt betroffen ist, der an seine religiöse Überzeugung anknüpft (vgl. Art. 10 Abs. 2 QRL), der mit einem Eingriff in Leib, Leben oder Freiheit (im engeren Sinn) verbunden ist; ebenso dann, wenn ein derartiger Eingriff von nicht staatlichen Akteuren ausgeht und die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 QRL nicht vorliegen, wovon aber nach vom Senat getroffenen Feststellungen (vgl. oben 2 g) auszugehen ist.
124 
V. Der Senat ist gleichfalls überzeugt, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Er kann zunächst auf die Ausführungen im Urteil vom 13.12.2011 verweisen. An dieser Einschätzung ist auch nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung festzuhalten. Er hat – wenn auch mit einfachen Worten – dem Senat die Überzeugung vermittelt, dass das öffentliche und auch werbende Bekenntnis für seinen Glauben für ihn selbst von großer Bedeutung ist, er tatsächlich danach lebt und es ihn erheblich belasten würde, wenn er dieses aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen unterlassen müsste.
125 
Damit gehört der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehen und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen sind.
126 
VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.
127 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.

Gründe

 
34 
I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch die Verpflichtung der Beklagten auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie die ergänzende Aufhebung der dem entgegenstehenden Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 30.03.2010. Denn im Berufungsurteil vom 13.12.2011 wurde, wenn auch nicht ausdrücklich im Tenor, die Klage hinsichtlich der Ziffer 2 des Bescheids abgewiesen (vgl. insbesondere auch UA S. 35 unten). Da die Beklagte auch nur in diesem Umfang durch das Urteil beschwert war, muss davon ausgegangen werden, dass sie nur insoweit die zugelassene Revision eingelegt hat, mit der Folge, dass auch die Aufhebung des Urteils vom 13.12.2011 durch das Bundesverwaltungsgericht nur diesen Teil betreffen kann. Die Beteiligten sehen dies nicht anders.
35 
II. Dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und 3 VwVfG vorliegen, wurde im Urteil vom 13.12.2011 im Einzelnen dargelegt. Hierauf kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden.
36 
III. Grundlage für das Begehren des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.
37 
Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 20.02.2013, mit dem der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde, in maßstäblicher Hinsicht folgendes ausgeführt:
38 
„2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 2011/95/EU (zuvor: Richtlinie 2004/83/EG) - im Folgenden: Richtlinie - geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen .
39 
Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie ergänzend anzuwenden. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist. Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen des Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie und den Verfolgungshandlungen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie bestehen.
40 
2.2 Das Berufungsgericht hat die vom Kläger als Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft (Ahmadi) geltend gemachte Verfolgungsgefahr zutreffend als Furcht vor einem Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung gewertet (UA S. 13). Denn Ahmadis droht in Pakistan die Gefahr einer Inhaftierung und Bestrafung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht schon wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft als solcher. Die Verwirklichung der Gefahr hängt vielmehr von dem willensgesteuerten Verhalten des einzelnen Glaubensangehörigen ab: der Ausübung seiner Religion mit Wirkung in die Öffentlichkeit. In solchen Fällen besteht der unmittelbar drohende Eingriff in einer Verletzung der Freiheit, die eigene Religion entsprechend den geltenden Glaubensregeln und dem religiösen Selbstverständnis des Gläubigen zu praktizieren, weil der Glaubensangehörige seine Entscheidung für oder gegen die öffentliche Religionsausübung nur unter dem Druck der ihm drohenden Verfolgungsgefahr treffen kann. Er liegt hingegen nicht in der Verletzung der erst im Fall der Praktizierung bedrohten Rechtsgüter (z.B. Leib, Leben, persönliche Freiheit). Etwas anderes gilt dann, wenn der Betroffene seinen Glauben im Herkunftsland bereits praktiziert hat und ihm schon deshalb - unabhängig von einer willensgesteuerten Entscheidung über sein Verhalten in der Zukunft - unmittelbar die Gefahr z.B. einer Inhaftierung und Bestrafung droht. Eine derartige Vorverfolgung hat das Berufungsgericht hier jedoch nicht festgestellt .
41 
2.3 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat auf Vorlage des Senats durch Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe in die Religionsfreiheit als Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden können .
42 
2.3.1 Der Gerichtshof sieht in dem in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) verankerten Recht auf Religionsfreiheit ein grundlegendes Menschenrecht, das eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft darstellt und Art. 9 EMRK entspricht. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten (EuGH a.a.O. Rn. 57). Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in das durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta garantierte Recht auf Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dar (Rn. 58). Zunächst muss es sich um eine Verletzung dieser Freiheit handeln, die nicht durch gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Grundrechtsausübung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GR-Charta gedeckt ist. Weiterhin muss eine schwerwiegende Rechtsverletzung vorliegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt (Rn. 59). Das setzt nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie voraus, dass die Eingriffshandlungen einer Verletzung der grundlegenden Menschenrechte gleichkommen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf (Rn. 61) .
43 
2.3.2 Zu den Handlungen, die nach der Rechtsprechung des EuGH eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Der Gerichtshof hält es mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie nicht für vereinbar, die Beachtlichkeit einer Verletzungshandlung danach zu beurteilen, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift (Rn. 62 f.). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an der vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung für den Flüchtlingsschutz (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 <19 ff.>) nicht mehr fest. Folglich ist bei der Bestimmung der Handlungen, die aufgrund ihrer Schwere verbunden mit der ihrer Folgen für den Betroffenen als Verfolgung gelten können, nicht darauf abzustellen, in welche Komponente der Religionsfreiheit eingegriffen wird, sondern auf die Art der ausgeübten Repressionen und ihre Folgen für den Betroffenen (Rn. 65 mit Verweis auf Rn. 52 der Schlussanträge des Generalanwalts) .
44 
Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (Rn. 67). Der Gerichtshof verwendet in der verbindlichen deutschen Sprachfassung des Urteils (vgl. Art. 41 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012, ABI L 265/1 vom 29. September 2012) zwar nur den Begriff „verfolgt", ohne dies ausdrücklich auf eine strafrechtliche Verfolgung zu beziehen. Es wäre jedoch zirkulär, den Begriff der „asylerheblichen Verfolgung" durch „Verfolgung" zu definieren. Dafür spricht zudem ein Vergleich der deutschen mit der französischen, englischen und italienischen Fassung des Urteils. In allen drei zum Vergleich herangezogenen Sprachfassungen ist von strafrechtlicher Verfolgung die Rede. Darüber hinaus ist auch die im Fall der Religionsausübung drohende Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben sowie der (physischen) Freiheit hinreichend schwerwiegend, um die Verletzung der Religionsfreiheit als Verfolgungshandlung zu bewerten .
45 
2.3.3 Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Das ergibt sich insbesondere aus der Aussage des Gerichtshofs in Rn. 69, dass schon das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie und somit eine Verfolgung darstellen kann, wenn der Verstoß dagegen die tatsächliche Gefahr der dort genannten Sanktionen und Konsequenzen heraufbeschwört. Kann Verfolgung somit schon in dem Verbot als solchem liegen, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen (z.B. in Leben oder Freiheit) letztlich nicht an .
46 
Diesem Verständnis der Entscheidung, das den Flüchtlingsschutz gegenüber der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorverlagert, steht nicht entgegen, dass der Gerichtshof in seinen Ausführungen auf die Gefahr abstellt, die dem Ausländer bei „Ausübung dieser Freiheit" (Rn. 67 und 72) bzw. der „religiösen Betätigung" (Rn. 73, 78 und 79 f.) droht. Denn damit nimmt dieser lediglich den Wortlaut der entsprechenden Vorlagefragen 2a und 3 des Senats auf, ohne dass darin eine notwendige Voraussetzung für die Flüchtlingsanerkennung liegt. Könnte nicht schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen, blieben Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten (so auch Lübbe, ZAR 2012, 433 <437>). Diese Erstreckung auch auf einen erzwungenen Verzicht entspricht dem Verständnis des britischen Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) in seinem Grundsatzurteil vom 14. November 2012 - MN and others [2012] UKUT 00389(IAC) Rn. 79) betreffend die religiöse Verfolgung von Ahmadis in Pakistan und dem Urteil des Supreme Court of the United Kingdom betreffend die Verfolgung wegen Homosexualität vom 7. Juli 2010 (HJ v. Secretary of State for the Home Department [2010] UKSC 31 Rn. 82). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an seiner vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 a.a.O. <23>) nicht mehr fest .
47 
2.3.4 Nach der Rechtsprechung des EuGH hängt die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu erfüllen, von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (Rn. 70). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.2). Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (so auch Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen vom 19. April 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11, Rn. 82) .
48 
Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit sieht der Gerichtshof den Umstand an, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (Rn. 70). Denn der Schutzbereich der Religion erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet (Rn. 71). Dabei bestätigt der EuGH die Auffassung des Senats, dass es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers ankommt, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270 Rn. 43). Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist .
49 
Der vom EuGH entwickelte Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nach dem Verständnis des Senats nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste (vgl. zu den strengeren Maßstäben der Rechtsprechung zur Gewissensnot von Kriegsdienstverweigerern: Urteil vom 1. Februar 1982 - BVerwG 6 C 126.80 - BVerwGE 64, 369 <371> m.w.N.). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (so schon Beschluss vom 9. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 43) .
50 
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Bei Ahmadis aus Pakistan ist zunächst festzustellen, ob und seit wann sie der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehören. Hierbei dürfte sich die Einholung einer Auskunft der Zentrale der Glaubensgemeinschaft in Deutschland anbieten, die ihrerseits auf die Erkenntnisse des Welt-Headquarters in London - insbesondere zur religiösen Betätigung des Betroffenen in Pakistan - zurückgreifen kann (so auch das britische Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14. November 2012 a.a.O. Leitsatz 5). Nähere Feststellungen über die religiöse Betätigung eines Ausländers vor seiner Ausreise verringern auch das Risiko einer objektiv unzutreffenden Zuordnung zu einer Glaubensgemeinschaft (s.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. November 2012, S. 14). Zusätzlich kommt die Befragung eines Vertreters der lokalen deutschen Ahmadi-Gemeinde in Betracht, der der Asylbewerber angehört. Schließlich erscheint im gerichtlichen Verfahren eine ausführliche Anhörung des Betroffenen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in aller Regel unverzichtbar. Wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger seinen Glauben in Pakistan nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, sind die Gründe hierfür aufzuklären. Denn der Verzicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung im Herkunftsland kennzeichnet die religiöse Identität eines Gläubigen dann nicht, wenn er aus begründeter Furcht vor Verfolgung erfolgte. Ergibt die Prüfung, dass der Kläger seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechender Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen .
51 
2.3.5 Das Verbot einer öffentlichen religiösen Betätigung als solches kann aber nur dann als hinreichend schwere Verletzung der Religionsfreiheit und damit als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden, wenn der Asylbewerber - über die soeben genannten objektiven und subjektiven Gesichtspunkte hinaus - bei Ausübung der verbotenen öffentlichkeitswirksamen Glaubensausübung in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Das bedeutet, dass die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen müssen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (Richtlinie 2011/95/EU: Art. 2 Buchst. d) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 22). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. Urteile vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.> und vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 24). Im vorliegenden Fall kommt es darauf an, ob der Kläger berechtigterweise befürchten muss, dass ihm aufgrund einer öffentlichen religiösen Betätigung in Pakistan, die zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schweren Rechtsgutverletzung droht, insbesondere die Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.4) .
52 
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht für pakistanische Staatsangehörige in ihrem Heimatland allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft noch keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr (UA S. 32). Eine solche droht nur „bekennenden Ahmadis", die „ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollen" (UA S. 33). Das Berufungsgericht hält zur Feststellung der Verfolgungswahrscheinlichkeit die für eine Gruppenverfolgung geltenden Maßstäbe insoweit mit Recht nicht für vollumfänglich übertragbar, als eine Vergleichsbetrachtung der Zahl der stattgefundenen Verfolgungsakte zur Gesamtzahl aller Ahmadis in Pakistan (etwa 4 Millionen) oder der bekennenden Ahmadis (500 000 bis 600 000) die unter Umständen hohe Zahl der Glaubensangehörigen unberücksichtigt ließe, die aus Furcht vor Verfolgung auf ein öffentliches Praktizieren ihrer Religion verzichten. Hängt die Verfolgungsgefahr aber von dem willensgesteuerten Verhalten des Einzelnen - der verbotenen Ausübung des Glaubens in der Öffentlichkeit - ab, ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben trotz der Verbote in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Dabei ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass die Ausübung religiöser Riten in einer Gebetsstätte der Ahmadis bereits als öffentliche Betätigung gewertet und strafrechtlich sanktioniert wird. Die Zahl der ihren Glauben in strafrechtlich verbotener Weise praktizierenden Ahmadis ist - bei allen damit verbundenen, auch dem Senat bekannten Schwierigkeiten - jedenfalls annäherungsweise zu bestimmen. In einem weiteren Schritt ist sodann festzustellen, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe treffen. Dabei ist insbesondere zu ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ahmadi inhaftiert und bestraft wird, der entgegen den Vorschriften des Pakistan Penal Code bei seiner Glaubensausübung religiöse Begriffe und Riten des Islam benutzt, seinen Glauben öffentlich bekennt oder für ihn wirbt. Bei der Relationsbetrachtung, die die Zahl der ihren Glauben verbotswidrig in der Öffentlichkeit praktizierenden Ahmadis mit der Zahl der tatsächlichen Verfolgungsakte in Beziehung setzt, ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine wertende Betrachtung handelt, die auch eventuell bestehende Unsicherheiten und Unwägbarkeiten der staatlichen Strafverfolgungspraxis mit einzubeziehen hat. Besteht aufgrund einer solchen Prognose für die - möglicherweise zahlenmäßig nicht große - Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe der Ahmadis, für die diese öffentlichkeitswirksamen Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist .
53 
2.4 Bei Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind alle Akte zu berücksichtigen, denen der Antragsteller ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden droht, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten können (vgl. Urteil des EuGH vom 5. September 2012 a.a.O. Rn. 68). Liegt keine Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vor, ist weiter zu prüfen, ob sich eine solche aus einer Gesamtbetrachtung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ergibt. Buchstabe a erfasst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Nach Buchstabe b kann auch eine Kumulation unterschiedlicher Maßnahmen die Qualität einer Verletzungshandlung haben, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Buchstabe a. Die Maßnahmen im Sinne von Buchstabe b können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen .
54 
In Buchstabe a beruht die Schwere der Eingriffshandlungen auf ihrer Art oder Wiederholung („nature or repetition"). Während die „Art" der Handlung ein qualitatives Kriterium beschreibt, enthält der Begriff der „Wiederholung" eine quantitative Dimension (so auch Hailbronner/Alt, in: Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1072 Rn. 30). Der Gerichtshof geht in seinem Urteil vom 5. September 2012 (Rn. 69) davon aus, dass das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen kann. Der Qualifizierung als „ein" Verbot steht nicht entgegen, dass dieses in mehreren Strafvorschriften des Pakistan Penal Code mit unterschiedlichen Straftatbeständen normiert ist. Das Verbot kann von so schwerwiegender „Art" sein, dass es für sich allein die tatbestandliche Voraussetzung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfüllt. Andere Maßnahmen können hingegen unter Umständen nur aufgrund ihrer Wiederholung vergleichbar gravierend wirken wie ein generelles Verbot .
55 
Setzt die Erfüllung des Tatbestandes von Buchstabe a mithin eine bestimmte gravierende Eingriffshandlung oder die Wiederholung gleichartiger Handlungen voraus, ermöglicht die Tatbestandsalternative des Buchstabe b in einer erweiterten Perspektive die Berücksichtigung einer Kumulation unterschiedlicher Eingriffshandlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie aufgeführt sind. Die Kumulationsbetrachtung entspricht auch dem Verständnis des UNHCR vom Verfolgungsbegriff in Art. 1 A Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rn. 53). In die nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie erforderliche Gesamtbetrachtung können insbesondere verschiedenartige Diskriminierungen gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft einbezogen werden, z.B. beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen (vgl. UNHCR Richtlinie vom 28. April 2004 zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung, HCR/GIP/04/06 Rn. 17). Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Buchstabe a entspricht .
56 
Daher sind bei der Prüfung einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie zunächst alle in Betracht kommenden Eingriffshandlungen in den Blick zu nehmen, und zwar Menschenrechtsverletzungen wie sonstige schwerwiegende Repressalien, Diskriminierungen, Nachteile und Beeinträchtigungen. In dieser Prüfungsphase dürfen Handlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie genannt werden, nicht vorschnell deshalb ausgeschlossen werden, weil sie nur eine Diskriminierung, aber keine Menschenrechtsverletzung darstellen (ähnlich Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz - Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, Kapitel 4 § 13 Rn. 18). Zunächst ist aber zu prüfen, ob die Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vorliegt. Ist das nicht der Fall, ist weiter zu prüfen, ob die Summe der nach Buchstabe b zu berücksichtigenden Eingriffe zu einer ähnlich schweren Rechtsverletzung beim Betroffenen führt wie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie. Ohne eine fallbezogene Konkretisierung des Maßstabs für eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie kann die bewertende Beurteilung nach Buchstabe b, ob der einzelne Asylbewerber unterschiedlichen Maßnahmen in einer so gravierenden Kumulation ausgesetzt ist, dass seine Betroffenheit mit der in Buchstabe a vergleichbar ist, nicht gelingen. Stellt das Gericht hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der „Betroffenheit in ähnlicher Weise" keine Vergleichsbetrachtung mit den von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfassten Verfolgungshandlungen an, liegt darin ein Verstoß gegen Bundesrecht“ .
57 
IV. Ausgehend hiervon besteht zwar kein Grund zu der Annahme, dass bereits aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya unterschiedslos die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter dem Aspekt einer Gruppenverfolgung vorliegen. Etwas anderes ergibt sich jedoch für die bekennenden Ahmadis, die es nach ihrem Glaubensverständnis für sich als identitätsbestimmend ansehen, ihren Glauben – auch werbend – in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. hierzu im Folgenden und auch noch unten 2 e); vgl. schon VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.05.2008 - A 11 S 3032/07 - juris; vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris).
58 
1. a) Zum Hintergrund der heutigen Situation der Ahmadis in Pakistan hatte der HessVGH bereits im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A - juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
59 
„Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
60 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
61 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bay. VGH am 22.01.1985, S. 7).
62 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
63 
b) Auch die aktuell verfügbaren Zahlen zur Größe der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern bzw. diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.02.2008, Ziff. 19.41 und vom 07.12.2012, Ziff. 19.98, das von 291.000 bis 600.000 bekennenden Ahmadis ausgeht). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 02.11.2012, S. 13) wiederum nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien. Der vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 im Verfahren A 12 K 2890/12 vernommene Raja Muhammad Yousaf Khan, der Mitarbeiter des „Ahmadiyya Muslim Jamaat e.V., Frankfurt“ ist, hat ausgesagt, dass der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ von etwa 400.000 bekennenden Ahmadis in Pakistan ausgeht, die er als solche Personen beschreibt, die regelmäßig Kontakt zu den lokalen Gemeinden haben, wobei sich aus der Niederschrift keine genauer nachvollziehbaren Hinweise ablesen lassen, wie diese Zahl ermittelt bzw. hergeleitet wurde. Der Umstand, dass in den anlässlich der jüngst abgehaltenen Wahl erstellten Wählerverzeichnissen (sog. „Nada-Dateien“) nur rund 200.000 wahlberechtigte Ahmadis geführt werden, stellt die Zahl von 400.000 nicht grundsätzlich infrage, weil Ahmadis seit Jahren schon die Wahlen selbst boykottieren (vgl. unten Ziffer 2 a). Der Senat kann nicht davon ausgehen, dass alle etwa 400.000 „bekennenden Ahmadis“ auch solche sind, für die das Leben ihres Glaubens in der Öffentlichkeit und ggf. das Werben für den Glauben identitätsbestimmend und daher unverzichtbar sind (vgl. zur Eingrenzung der Gruppe noch unten 2 e), was allerdings nach der – auch offiziellen – Lehre der Ahmadiyya-Bewegung von zentraler Bedeutung ist (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16). Denn der bloße regelmäßige Kontakt zur lokalen Gemeinde ist hierfür sicher unzureichend, zumal, wie noch auszuführen sein wird, das gemeinsame Gebet jedenfalls in kleineren Gebetshäusern in der Regel faktisch möglich ist, selbst wenn es auch hier vermutlich immer wieder Übergriffe und Einschränkungen bzw. staatliche Verfolgungsmaßnahmen gibt. Nach dem International Religious Freedom Report Pakistan des United States Department of State für das Jahr 2011 (S. 2) waren allerdings überhaupt keine verlässlichen Daten über die Anzahl der Ahmadis, die sich aktiv an religiösen Ritualen oder Gottesdiensten beteiligen, verfügbar oder von den amerikanischen Stellen zu ermitteln, was dann gleichermaßen für diejenigen gelten muss, die aktiv den Glauben vertretend und praktizierend in der Öffentlichkeit auftreten. Vergleichbares gilt im Übrigen – angesichts der Größe des Landes für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar – für die Ermittlung verlässlicher Daten zur Frage der Häufigkeit von Übergriffen auf Ahmadis in Pakistan von Seiten privater Akteure (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2011 Ziff. 19.162). Zwar werden von den im Inland- und Ausland ansässigen Organisationen der Ahmadiyya-Gemeinschaft regelmäßig (monatliche und jährliche) Zusammenstellungen über – v.a. von nicht staatlichen Akteuren ausgehende – Übergriffe auf Ahmadis herausgegeben und ins Internet gestellt (www.thepersecution.org/), es ist aber auch nach dem Vortrag der Beteiligten für den Senat kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass diese auf einem lückenlosen und landesweit vernetzten Berichtssystem beruhen und daher auch nur annäherungsweise vollständig sein könnten, was die Stellungnahme des „Ahmadiyya Muslim Jammaat“ vom 06.06.2013 bestätigt. Abgesehen davon ist auch nicht gesichert, dass die Betroffenen ausschließlich oder jedenfalls überwiegend solche Ahmadis sind, die ihrem Glauben in einer Weise innerlich verpflichtet sind, dass sie diesen bekennend und ggf. werbend bzw. sogar missionierend in die Öffentlichkeit tragen bzw. tragen wollen. Eine Durchsicht der Zusammenstellung für Januar bis Dezember 2011 ergab, dass eindeutige Aussagen nur für einen Teil der beschriebenen Vorfälle gemacht werden können.
64 
Der Senat sieht vor diesem Hintergrund keinen erfolgsversprechenden Ermittlungsansatz, um die so beschriebene Teilmenge (Ahmadis, für die das öffentlich Bekennen und ggf. Werben für den Glauben identitätsbestimmend ist) aus der Teilmenge der „bekennenden Ahmadis“ der Größe nach präziser festzustellen, zumal dann in diesem Zusammenhang landesweit auch sehr subjektiven Voraussetzungen und Merkmalen, d.h. inneren Tatsachen nachgegangen werden müsste. Es ist namentlich nicht erkennbar, dass in Pakistan die Zahl dieser Personen überhaupt statistisch erfasst wird, bzw. dass es eine Stelle geben könnte, die über solches Zahlenmaterial verfügt. Die Ausführungen von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart machen hinreichend deutlich, dass nicht einmal die offiziellen Vertreter der Ahmadis in Westeuropa in diesem Zusammenhang über belastbare Zahlen hinsichtlich dieser Personengruppe verfügen, was nach dessen Ausführungen letztlich darin begründet ist, dass aus Furcht vor Verfolgung heute praktisch kein Ahmadi mehr in der Öffentlichkeit seinen Glauben lebt und für diesen wirbt. Dabei hatte Herr Khan nicht ausgeschlossen, dass auf individueller Ebene in einem privaten Gespräch noch für den Glauben geworben würde, wie oft dies heute noch geschehe, lasse sich – zu Recht – nicht seriös beziffern, da es niemanden gebe, der hierüber Aufzeichnungen mache, die Fälle auswerte und dann zähle. Auch das vom Upper Tribunal - Immigration and Asylum Chamber in seinem Urteil „MN and others“ (Pakistan CG <2012> UKUT 00389) vom 14.11.2012 verwertete Zahlenmaterial führt hier letztlich nicht weiter, weil dieses sich nicht direkt auf die Zahl des hier festzustellenden Personenkreises und dessen Größe bezieht. Das Bundesamt wie auch der Kläger haben keine Wege aufgezeigt, wie verlässliches und nicht nur spekulatives Zahlenmaterial zu erlangen sein könnte. Der Senat sieht sich – ungeachtet der völkerrechtlichen Hindernisse – auch im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nicht gehalten, ein Institut mit einer repräsentativen Untersuchung in Pakistan oder einer erstmals dort durchzuführenden statischen Erhebung zu betrauen, abgesehen davon, dass der Senat keine Anhaltspunkte dafür hat, dass eine verlässliche Untersuchung in Pakistan überhaupt in angemessener Zeit geleistet werden kann. Umso weniger lassen sich verlässliche Zahlen darüber ermitteln, wie viele Ahmadis aus der Teilmenge der Ahmadis, für die das öffentliche Bekennen oder sogar Werben identitätsbestimmend ist, trotz aller Verbote, Strafverfolgungsmaßnahmen und gewichtigen Übergriffe privater Akteure gleichwohl ihren Glauben öffentlich leben und für ihn öffentlich eintreten oder gar werben (vgl. zur der vom Bundesverwaltungsgericht in Rdn. 33 geforderten Relationsbetrachtung im Einzelnen noch unten 2c).
65 
2. Die Lage der Ahmadis in Pakistan wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
66 
a) Der Islam wurde in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist zwar von Verfassung wegen garantiert (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 2 f.). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit qualifiziert und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. wer auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
67 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren und nur solche Personen auf diesen Listen wählen können. Um hingegen ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4; U.S. State Department, Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 38; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.104 ff.; Rashid, Pakistan’s failed Commitment: How Pakistan’s institutionalised Persecution of the Ahmadiyya Muslim Community violates the international Convenant on civil and political Rights, S. 25). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA, Lagebericht vom 02.11.2012, S. 13).
68 
b) Seit 1984 bzw. 1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und die gewissermaßen der Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung dienen.
69 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143):
70 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
71 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ameerui Mumineen’, ‚Khalifar-ul-Mimineem’, ’Shaabi’ oder ‚Razi-Allah-Anho’ bezeichnet oder anredet;
72 
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ummul-Mumineen’ bezeichnet oder anredet;
73 
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ahle-bait’ bezeichnet oder anredet;
74 
d) sein Gotteshaus als ‚Masjid’ bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
75 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als ‚Azan’ bezeichnet oder den ‚Azan’ so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
76 
Sec. 298 C lautet:
77 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
78 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
79 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
80 
Der Vollständigkeit halber sollen in diesem Zusammenhang noch erwähnt werden (vgl. auch Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.32):
81 
- Sec. 298 A (Gebrauch abschätziger bzw. herabsetzender Bemerkungen in Bezug auf heilige Personen; Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, Geldstrafe oder beides);
82 
- Sec. 295 (Beleidigung oder Schändung von Orten der Verehrung mit dem Zweck bzw. Ziel, eine Religion jeder Art herabzusetzen, Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahre, Geldstrafe oder beides);
83 
- Sec. 295 A (Vorsätzliche und böswillige Handlungen mit dem Zweck die religiösen Gefühle jeden Standes zu verletzen durch Beleidigung der Religion oder des Glaubens, Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren, Geldstrafe oder beides) und
84 
- Sec. 295 B (Beleidigung bzw. Verächtlichmachung des Heiligen Korans, lebenslange Freiheitsstrafe).
85 
Alle genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch schon ausführlich HessVGH, Urteil vom 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris, Rdn. 92 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.1992 - 2 BvR 1263/92 - juris, m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; vom 25.01.1995 - 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere dort auch noch zur mittlerweile irrelevanten Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen in weiten Teilen diskriminierende, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR (vgl. auch Art. 52 Abs. 1 GRCh) zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c) RL 2004/83/EG (identisch mit RL 2011/95/EU) erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, Urteil vom 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960, Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/), wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Soweit man einzelne Bestimmungen im Ansatz noch als zulässige Begrenzung der Religionsfreiheit ansehen wollte (etwa Sec. 298 C letzte Variante), fehlt allerdings schon jede tatbestandliche Eingrenzung, vielmehr wird mit ihrer begrifflichen Weite ein Einfallstor für Willkür eröffnet (vgl. hierzu noch unten d). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und weshalb zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind (so noch BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts), weshalb auch offen bleiben kann, ob unter dem Regime der Qualifikationsrichtlinie eine derart weitgehende Beschränkung der Religionsfreiheit für die Betroffenen, wie sie das Bundesverfassungsgericht für das Asylgrundrecht noch für richtig gehalten hat, hinzunehmen und unionsrechtskonform wäre. Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten vermittelnden Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen gerade nicht von ihnen ausgehen (vgl. hierzu auch Rashid, Pakistan’s Failed Commitment, S. 32), sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie mittlerweile auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan vom 10.09.2007, S. 6 und 10 und nunmehr Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.12, 19.27, 19.44, 19.121, 19.127 und 19.145). Von einer legitimen Begrenzung der religiösen Betätigung von Ahmadis kann auch deshalb keine Rede sein, weil der pakistanische Staat keine effektiven legislativen und exekutiven Maßnahmen ergreift, um dem aggressiven Wirken entgegenzutreten und den Minderheiten – als Kehrseite möglicher ihnen auferlegter maßvoller Beschränkungen – einen wirklich geschützten Freiraum für ihr Wirken bereitstellt (vgl. zur Weite der Vorschriften und ihrer grenzenlosen Auslegung bzw. Anwendung unten d).
86 
c) Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung nach Sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, wurden nach dem Bericht „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (Annex II), den auch das Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14.11.2012 als relevant angesehen hat (dort Rdn. 30, Fn. 6), im Zeitraum April 1984 bis 31.12.2011 offiziell insgesamt 3.820 „Police Cases“ gegen Ahmadis registriert, davon 299 wegen „Blasphemie“, zuzüglich über 60.000 Verfahren (wegen Sec. 298 C) gegen den sich am 28. Mai 2008 ausdrücklich aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Begründung des Khalifentums öffentlich zu den Ahmadis bekennenden Teil der Bevölkerung von Rabwah (jetzt Chenab Nagar oder Tschinab Nagar; vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006), die 2009 noch anhängig gewesen waren (Home Office Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.136; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorités religieuses, 31.08.2009, S. 9), mittlerweile aber eingestellt wurden (vgl. Khan an das VG Stuttgart vom 09.05.2013). Bereits im Jahre 1989 waren schon einmal Verfahren gegen alle Ahmadis von Rabwah wegen des Vorwurfs nach Sec. 298 C eingeleitet worden, die im Jahre 2006 noch anhängig waren (vgl. hierzu Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 10 f. und 35), aber vermutlich auch eingestellt wurden; diese nach dem genannten Bericht nicht genauer bezifferten Verfahren müssen daher im Grundsatz noch bei der Zahl von Ermittlungsverfahren berücksichtigt werden. Auch wenn diese augenscheinlich nicht konsequent oder nur gegenüber Einzelnen betrieben werden, so ist doch aus der Tatsache, dass sie erst nach einigen Jahre förmlich eingestellt und immerhin im Abstand von 10 Jahren zweimal eingeleitet wurden, nur der Schluss zu ziehen, dass sie instrumentalisiert wurden, um die Betroffenen massiv einzuschüchtern. Aus diesem Grund können diese Verfahren bei der vorzunehmenden wertenden Gesamtbetrachtung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Allerdings dürfen sie nicht mathematisch exakt in eine quantitative Bewertung eingerechnet werden, weil es in der Regel jedenfalls zu keinen Anklagen gekommen ist und andernfalls ein unzutreffendes Bild von der Wirklichkeit ergäbe.
87 
Das Home Office (Ziff. 19.49) spricht für den Zeitraum 1986 bis 2006 allein von 695 Verfahren spezifisch wegen Blasphemie (sec. 295 C), in denen es auch zu Anklagen gekommen ist, darunter 239 Ahmadis; insgesamt wurden im Zeitraum 1984 bis 2004 über 5.000 Anklagen gegen Ahmadis mit einem religiösen Hintergrund erhoben. Im Juni 2011 waren mindestens 14 Verfahren gegen Ahmadis anhängig gewesen, in denen (nicht rechtskräftig) die Todesstrafe verhängt worden war (Ziff. 19.39). Nach vermutlich anderen Quellen sind von 1984 bzw. 1987 bis 2011 1.117 Personen wegen Blasphemie angeklagt worden (Ziff. 19.50). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären (Ziff. 19.134 ff.). Weitere aussagekräftige Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Die Beklagte hat solche auch nicht mitgeteilt bzw. aufgezeigt, wie noch verlässliche Informationen zu erlangen sein könnten.
88 
Bei Rashid (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 und 28 f.) finden sich folgende Zahlen: Seit 1984 wurden 764 Ahmadis angeklagt, weil sie die Kalima gezeigt bzw. gelesen hatten, 38 wurden wegen der Verwendung des Gebetsrufs angeklagt; 434 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich als Muslim bezeichnet hatten, 161 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich islamischer Terminologie in der Öffentlichkeit bedient hatten; 93 Anklagen bezogen sich auf das Verrichten von Gebeten in der Öffentlichkeit und 719 Anklagen wurden wegen öffentlichen Predigens und Werbens für den Glauben erhoben. Auch bei Rashid werden die Verfahren gegen 60.000 Ahmadis aus Rabwah erwähnt. Insbesondere erwähnt Rashid, dass allein im Jahre 2009 mindestens 74 Ahmadis eines Deliktes nach Sec. 295 C Penal Code beschuldigt worden seien.
89 
Mit Blick auf die grundsätzlich vom Bundesverwaltungsgericht geforderte Relationsbetrachtung (Rdn. 33) ist in diesem Zusammenhang allerdings zu bemerken, dass nicht alle vorgenannten Verfahren notwendigerweise und uneingeschränkt Glaubensbetätigungen betreffen müssen, die gerade in der Öffentlichkeit stattfinden. Diese Annahme liegt deshalb nahe, weil etwa falsche Verdächtigungen und Anschuldigungen (vgl. hierzu auch unten d) auch andere Hintergründe und Vorwürfe zum Inhalt haben können. Diese Zahlen sind daher von ihrer Struktur wenig geeignet, als Grundlage der Relationsbetrachtung zu dienen. Der Senat sieht aber auch hier keinen konkreten erfolgversprechenden Ermittlungsansatz, wie der Anteil verlässlich festzustellen sein sollte, der spezifisch Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit betrifft, und zum anderen, um wie viele Personen es sich dabei gehandelt haben könnte, für die ein öffentlichkeitswirksames Agieren zum identitätsbestimmenden und unverzichtbaren Merkmal des eigenen Glaubensverständnisses zählt.
90 
d) Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz, oftmals nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt auch darauf beruht, dass sie häufig durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 14; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.59 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 15 ff., und 2012, S. 17 ff.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2). In der Regel werden die eines Verstoßes gegen die Blasphemiebestimmungen Beschuldigten bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.53; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing The International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, 14.05.2012, S. 6). Dieser Umstand ist vor allem auch deshalb so gravierend, weil Folter auf Polizeistationen und in Haft an der Tagesordnung ist (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 23; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 6; Asia Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 21 ff.). Die Haftbedingungen werden als teilweise sogar lebensbedrohend bezeichnet (vgl. SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 4 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, S. 9). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt. Die Bestimmung der Sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von Sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten im Sinne von Sec. 295 C (vgl. hierzu im Einzelnen schon HessVGH, U. v. 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris - Tz. 46 und 69). Generell werden alle genannten Vorschriften wegen ihrer begrifflichen Unbestimmtheit bzw. der schwammigen Formulierungen weit und zulasten der Ahmadis ausgelegt und angewendet. Sie sind daher ein (offenes) Einfallstor für blanke Willkür. So kommt es etwa zu Anklagen gegen Eltern, wenn sie ihre Kinder Mohammed nennen (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.103; vgl. auch Ziffer 19.139).
91 
Die Strafvorschriften werden dabei nicht selten auch gezielt genutzt, um – auch aus eigensüchtigen Motiven – Ahmadis mit falschen Anschuldigungen unter Druck zu setzen und zu terrorisieren (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.57 f.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 15). Die Anzeigeerstatter laufen dabei keine Gefahr, wegen falscher Anschuldigung verfolgt zu werden. Eine Anzeige kann zudem erhebliche Konsequenzen für die Betroffenen und ihre Familien haben. So wurden zwischen 1986 bis 2010 34 Personen, die nach den Blasphemiegesetzen angeklagt worden waren, von privaten Akteuren umgebracht; im Jahre 2010 wurden allein vier Personen (zwei Christen und zwei Muslime) getötet (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47); auch die Familien werden in Drohungen und Einschüchterungen einbezogen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47 und 19.52; AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12). In diesem Zusammenhang ist etwa die radikal-islamische Gruppierung „Khatm-e-Nabuwwat“ („Siegel der Prophetenschaft“) zu erwähnen, die u.a. mit diesen Mitteln gezielt und völlig ungestraft gegen Ahmadis vorgeht (vgl. auch AA, Lagebericht 02.11.2012, S. 14; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 13 ff.; vgl. zu der Organisation noch im Folgenden unter Ziff. 2.g). Zwar hat die Gruppierung in der Vergangenheit etwa gegenüber der „Parliamentary Human Rights Group“ (vgl. S. 8 f.) den Versuch unternommen, ihr Verhältnis zu den Ahmadis und ihre Vorgehensweise diesen gegenüber als wesentlich offener und zurückhaltender darzustellen. Bereits zum damaligen Zeitpunkt hatte dem aber etwa der Präsident von amnesty international Pakistan deutlich widersprochen (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8). Durch die neueren Entwicklungen sind diese Aussagen der Gruppierung ohnehin eindeutig überholt bzw. widerlegt (vgl. unten Ziffer 2 g; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013).
92 
Die Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen die Blasphemiebestimmungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte hinziehen und zu keinem Ende gebracht werden, was einschneidende Folgen für die Betroffenen hat, selbst wenn sie sich in Freiheit befinden. Denn sie müssen sich in der Regel alle 15 bis 30 Tage bei der ermittelnden Polizeistation, die sich oftmals nicht an ihrem Wohnort befindet, melden, auch wenn das Verfahren gar nicht konkret gefördert wird (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 12 f.).
93 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen (vgl. Sec. 295 und 295 A), in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn religiöse Gefühle der Ahmadis und anderer religiöser Minderheiten durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 3; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.33).
94 
Der Versuch einer Reform der Blasphemiegesetze ist vollständig gescheitert, insbesondere im Kontext der Ermordung des Gouverneurs von Punjab und des Minsters für Minderheiten im Jahre 2011 (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.76; UNHCHR, Guidelines, S.11 f.; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2011, March 2012, S. 82 und 89 f.; vgl. auch Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 29 f., mit Hinweisen auf öffentliche Äußerungen des pakistanischen Ministers Babar Awan sowie des Premierministers Gilani aus Anlass der Verurteilung der christlichen Frau Asia Bibi). Eine Änderung zum Positiven ist auch mit Rücksicht auf das Ergebnis der Präsidentenwahlen im Mai diesen Jahres, die der Vorsitzende der Muslimliga Nawaz Sharif gewonnen hat, nicht zu erwarten.
95 
Eine im Jahre 2004 eingeführte Reformmaßnahme, wonach nur höhere Offiziere die Ermittlungen führen dürfen, hat nach übereinstimmender Einschätzung keine Verbesserungen gebracht (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12; UNHCR, Guidelines, S. 15).
96 
In den verwerteten Dokumenten wird auch von einem völligen Scheitern und Versagen der Strafjustiz und der Strafverfolgungsorgane gesprochen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.42 f.; UNHCR, Guidelines, S. 6; Parlamentary Human Rights Group (PHRG), Report of PHRG Fact Finding Mission To Pakistan, 24.09.2010, S. 9 f.).
97 
Zwar wurde im September 2008 eine Kommission für Angelegenheiten der Minderheiten installiert (vgl. UNHCR, „Guidelines“, S. 4). Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass diese irgendwelche substantiellen Verbesserungen gebracht hat (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.29; vgl. hierzu auch Upper Tribunal Urteil vom 14.11.2012, S. 15; vgl. auch U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, S. 121 f., wonach zwar von einigen positiven Schritten in jüngster Zeit berichtet wird, die die pakistanische Regierung an höchster Stelle unternommen haben soll, von wirkungsvollen Ergebnissen, insbesondere für das tägliche Leben landesweit, spricht der Report jedoch nicht; es liegt dem Senat auch keine andere Quelle vor, die diesbezüglich verwertbare Informationen enthielte).
98 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen und seine faktische Umsetzung in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte, was exemplarisch durch die in den Jahren 1998 und 2008 gegen alle Einwohner eingeleiteten Verfahren deutlich wird (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.132 ff.). Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten Ziff. 3.b).
99 
e) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf denen öffentlich gebetet wird (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 4, und von 2011, S. 14; U.S. State Department: Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 30; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.143; Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 32). Das gilt insbesondere für die nach ihrem gelebten Glaubensverständnis essentielle jährliche Versammlung („Jalsa Salana“), die letztmals 1983 stattfinden konnte und an der damals 200.000 Gläubige teilnahmen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Jalsa_Salana).
100 
Allerdings wird es Ahmadis nicht von vornherein unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies sicherlich oftmals der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben wird (vgl. schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan von 2011, S. 4), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen (vgl. auch Upper Tribunal, Urteil vom 14.11.2012, S. 18). Möglich ist dieses aber nur noch in kleineren Gebetshäusern, die einen eingeschränkten Bezug zur Öffentlichkeit haben (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Angeben von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart, wonach an Stelle der früheren, 18.000 bis 19.000 Gläubige fassenden Moschee in Rabwah mittlerweile viele kleine Gebetshäuser entstanden sind; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Gefahrlos ist dieses aber auch nicht. Denn die gemeinsame Ausübung des Glaubens wird immer wieder dadurch behindert bzw. unmöglich gemacht, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird oder solche auch von staatlichen Organen zerstört werden (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.132, 19.141 ff., 154; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4 und 13 ff.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3), während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können; Gebetshäuser oder Versammlungsstätten werden immer wieder von Extremisten überfallen (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan,10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.). Gleichwohl geht der Senat in Ermangelung gegenteiliger aussagekräftiger Informationen davon aus, dass Angehörige der Ahmadiyya, die nur derartige Glaubensbetätigungen an den Tag legen und für sich als verbindlich betrachten, damit noch kein „real risk“ eingehen, (von wem auch immer) verfolgt zu werden. Die vom Kläger benannten Fälle, in denen in diesem Jahr auch Verfahren wegen einer Versammlung in (kleineren) Gebetshäusern eingeleitet wurden, stellen diese Annahme nicht grundsätzlich infrage. Anhaltspunkte für die gegenteilige Annahme lassen sich insbesondere auch nicht der Aussage von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 entnehmen (vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Insbesondere ergibt sich aus der Aussage nicht, dass auch diese Personen ihre Aktivitäten vollständig eingestellt haben und etwa die Ahmadi-Gemeinden in Pakistan gewissermaßen nur noch auf dem Papier existieren würden. Im Gegenteil: Allen verwerteten Erkenntnismitteln wie auch den Angaben von Herrn Khan liegt nach Überzeugung des Senats – wenn auch mehr oder weniger unausgesprochen – zugrunde, dass es noch ein, wenn auch eingeschränktes, lokales Gemeindeleben gibt. Treffen in großem Stil zu in erheblichem Maße identitätsstiftenden gemeinsamen Gebeten in ihren großen Moscheen, die die Ahmadis jedoch nicht so nennen dürfen, finden hingegen nicht mehr statt (vgl. die Aussage von Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013). Allerdings ist der Umstand, dass heute auch das gemeinsame Gebet abseits der großen Öffentlichkeit immer wieder behindert und gestört wird bzw. Auslöser für Strafverfahren und Übergriffe privater Akteure sein kann, für die gerichtlicherseits vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 34 ff.) gleichwohl nicht irrelevant, da sie die Lage auch der bekennenden, ihren Glauben in die Öffentlichkeit tragenden Ahmadis mit prägen.
101 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel, andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 7). In diesem Zusammenhang ist aber hervorzuheben, dass sich die Ahmadis als „predigende Religion” verstehen, zu deren sittlichen Verpflichtung es rechnet, den Glauben zu verbreiten und zu verkünden (vgl. Report of the Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16).
102 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 14).
103 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten von Ahmadis im weitesten Sinn werden regelmäßig beschlagnahmt und verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus noch Verbreitung (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 3 und 4 und von 2011, S. 7 und 13 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 30 ff.; vgl. zur Zeitung „Alfzal“ auch Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 37, mit einer Kopie der Verbotsverfügung des Innenministers von Pakistan vom 08.05.2006 und S. 49 f.).
104 
Die Ahmadyyia Gemeinde ist die einzige Gruppe, der ihre im Jahre 1972 verstaatlichten Bildungseinrichtungen (seit 1996) nicht zurückgegeben wurden (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 13 f.)
105 
f) Nur der Vollständigkeit halber soll zur Abrundung des Gesamteindrucks noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden: Die frühere (überdurchschnittliche) Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen ständig (vgl. AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148 f. und 19.164; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report for 2011, S. 5 und 15 f.; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 10; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65, vom 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148, 19.149, 19.164; Immigration and Refugee Board of Canada, S. 3).
106 
g) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligem Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen bewusst untätig zugesehen und sie geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Country Reports on Human Rights Practices Pakistan, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 9 f.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und 4). Dabei wurden in jüngster Vergangenheit auch gezielt Häuser und Geschäfte von Ahmadis niedergebrannt (Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 4). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah. Diese bereits für frühere Zeiträume beschriebene Situation hat sich mittlerweile erheblich verschärft. Es wird übereinstimmend ein vorherrschendes Klima von privaten Akteuren verursachter Gewalt beschrieben, wobei die Gewaltakte bzw. die Aufrufe hierzu regelmäßig sowohl in ordnungsrechtlicher wie erst recht in strafrechtlicher Hinsicht für die Urheber folgenlos bleiben. Es werden regelmäßig regelrechte Hasskampagnen, insbesondere auch Versammlungen und Kundgebungen durchgeführt, auf denen gegen die Ahmadis gehetzt wird und die Besucher aufgewiegelt werden (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.127 f., und sehr ausführlich und anschaulich „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“, S. 2 ff.). Die Wirkungsmächtigkeit der Aktivitäten der maßgeblichen Organisationen sowie einer Vielzahl radikaler Mullahs beruht zu einem guten Teil auf dem Umstand, dass weite Teile der Bevölkerung ungebildet, wenn nicht gar des Schreibens und Lesens nicht mächtig und daher leicht beeinflussbar sind und vor allem das glauben, was sie in den Moscheen hören (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6).
107 
Effektiver Schutz ist regelmäßig nicht zu erlangen (vgl. etwa UNHCR, Guidelines, S. 22; Parliamantary Human Rights Group (PHRG), Fact Finding Mission To Pakistan, S. 3; vgl. beispielhaft zur offensichtlich fehlenden Bereitschaft, den erforderlichen Schutz zu gewähren Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 19, 24 f. und 33 f.). Besonders tut sich in diesem Zusammenhang die Organisation „Khatm-e-Nabuwwat“ hervor (vgl. ausführlich hierzu Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.112 bis 19.119; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8 f.), aber auch die Taliban werden als Urheber benannt (vgl. Rahsid, Pakistan’s failed Commitment, S. 31 ff.). Exemplarisch ist ein Vorfall vom 28.05.2010 anzuführen, bei dem Extremisten der „Khatm-e-Nabuwwat“ anlässlich des Freitagsgebets in Lahore gut koordinierte Angreifer vor zwei Ahmadi-Moscheen „Kill-all“-Rufe skandieren und schließlich die Moscheen stürmen ließen; am Ende wurden 85 Ahmadis getötet und 150 weitere verletzt (Ziff. 19.125; vgl. zum Angriff auf eine Moschee in Rawalpindi am 02.02.2012, Ziff. 19.154). Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass die Organisation mit einem Schwerpunkt auch in Rabwah tätig wird (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.114 f.).
108 
Insgesamt vermittelt die Zusammenstellung des Home Office (Ziff. 19.112 bis 19.147) ein gutes und informatives, aber auch äußerst bedrückendes Bild. Seit 1974 wurden fast 300 Ahmadis allein wegen ihres Glaubens von nicht staatlichen Akteuren getötet. Im Jahre 2010 waren es allein 99. Wie schon erwähnt (vgl. oben IV 1), sind aber verlässliche und aussagekräftige Zahlen nicht zu ermitteln (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.162). Im Hinblick auf die anzustellende Relationsbetrachtung (vgl. hierzu unten Ziffer 3 a) ist bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass im Zusammenhang mit der Benennung der Zahlen nicht zum Ausdruck gebracht wird, wie hoch der Anteil der Betroffenen ist, der die Glaubensbestätigung in der Öffentlichkeit als einen identitätsbestimmenden Teil ihres Glaubens betrachtet. Eine Durchsicht der Zusammenstellung „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (S. 23 ff.) zeigt dies nur zu deutlich; teilweise lässt sich nicht bestimmen, ob der oder die Betreffende dieses Merkmal erfüllt oder nicht. Über das Ausmaß (nur) schwerer nicht tödlich endender Eingriffe in die körperliche Integrität liegen überhaupt keine verlässlichen Zahlen vor (vgl. auch Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Diese Eingriffe und ihr Ausmaß sind aber für die Beurteilung bzw. Qualifizierung des Bedrohungspotentials gleichfalls von erheblicher Relevanz, da sie – neben den staatlichen Verboten und strafrechtlichen Sanktionen - ebenfalls von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung sein können, ob jemand seinen Glauben aktiv in die Öffentlichkeit trägt oder dieses unterlässt.
109 
Nicht speziell in Bezug auf Ahmadis berichtet Rashid zu Todesfällen aufgrund religiös motivierter Gewalt: 2007 seien es über 1.500 gewesen, im Jahre 2008 2.155, im Jahre 2009 über 2.300. Im Jahre 2010 sei die Zahl zwar auf 1.796 zurückgegangen, um dann aber im Jahre 2011 wiederum auf mindestens 2.545 Fälle zu steigen (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 f., dort auch zu Zahlen von Todesopfern unter den Minderheiten der Christen und Hindus; vgl. auch Asian Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 8, wonach in den letzten drei Jahren über 800 Shia Muslime (Schiiten) durch religiöse Gewalt getötet worden seien, ohne dass staatliche Organe irgendwelche glaubwürdigen Gegenmaßnahmen ergriffen hätten; vgl. hierzu auch U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 2012, S. 124). Die sanktionslosen Gewaltexzesse gehen sogar so weit, dass etwa im Juni 2006 ein ganzer von Ahmadis bewohnter Teil eines Dorfes (Jhando Sahi) niedergemacht und zerstört wurde, ohne dass dieses Konsequenzen nach sich gezogen hätte (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 18 und 45 ff.). Andere Quellen sprechen davon, dass nachweisbar 210 Ahmadis wegen ihres Glaubens getötet worden seien; zudem weiß man hiernach von 254 entsprechenden Mordversuchen zu berichten (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.131). In diesen Zahlen dürften die Opfer des Anschlags vom 28.05.2010 in Lahore (siehe oben) allerdings noch nicht enthalten sein.
110 
Dieses Bild der Schutzlosigkeit der Ahmadis wird ergänzt durch die seit 2011 zunehmenden Berichte von Schändungen von Ahmadi-Gräbern im gesamten Punjab (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.156). Zudem schwenken in jüngerer Zeit die Medien, nicht nur das staatliche Fernsehen, sondern auch die traditionell eigentlich eher liberale englischsprachige Presse auf die Anti-Ahmadi-Rhetorik ein. Dies hat zur Folge, dass sich die Auffassung, Ahmadis folgten einer Irrlehre und seien keine Muslime bzw. Apostaten, in der Mehrheitsbevölkerung allgemein durchzusetzen und zum Allgemeingut zu werden beginnt, was zu einer weiteren Verschärfung der allgegenwärtigen Diskriminierungen der Ahmadis führt (Ziff. 19.150). Die Parliamentary Human Rights Group prognostiziert, dass Pakistan – nicht zuletzt auch mit Rücksicht auf seinen Umgang mit den Ahmadis - dabei sei, zu einem „failed state“ zu verkommen (vgl. S. 3). Nach Überzeugung des Senats sind die Ahmadis mittlerweile in eine Situation geraten, in der sie mit guten Gründen im traditionellen mittelalterlichen Sinn als „vogelfrei“ bezeichnet werden können. Dies gilt im Ausgangspunkt für alle „bekennenden“ Ahmadis, auch wenn sie ihren Glauben nicht bekennend und für ihn werbend bewusst in die Öffentlichkeit tragen (wollen). Für den Senat bestehen aber, wie bereits eingangs ausgeführt, keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass für jeden Angehörigen dieser Gruppe bereits ein „reales Risiko“ besteht.
111 
Typisch für das Klima der Gewalt ist etwa eine Äußerung des früheren Ministers für Religionsangelegenheiten Amir Liaquat Hussain, die dieser ungestraft im Jahre 2008 in einer beliebten Fernsehshow gemacht hatte, wonach es sowohl notwendig sei, aber auch dem Islam entspreche, alle Ahmadis zu töten (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 23). Im Dezember 2010 konnte ein einflussreicher Kleriker, Yousef Qureshi, 6.000 US Dollar für die Ermordung der Christin Asia Bibi ausloben, ohne dass dieses irgendwelche Konsequenzen für ihn hatte. Nach der Ermordung des Gouverneurs der Provinz Punjab, der sich für eine Reform der Blasphemiegesetze stark gemacht hatte, am 03.01.2011, wurde dessen Tod richtiggehend gefeiert. Dabei konnten ungestraft 500 Kleriker öffentlich verkünden, dass dessen Tod ein Sieg für das gesamte Land sei (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 30).
112 
Von der Parlamantary Human Rights Group wird – gut nachvollziehbar – bereits bezogen auf das Jahr 2006 die Lage so eingeschätzt, dass der gesamte Prozess der Regierung nicht mehr umkehrbar entglitten ist und sie gewissermaßen die Geister, die sie rief, nicht mehr in los wird (vgl. Januar 2007, S. 8).
113 
3. a) Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) schon im Jahre 2005 und somit vor der mittlerweile stattgefundenen und weiter stattfindenden Verschärfung der Lage in der Weise zusammenfassend charakterisiert worden war, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellte und stellt nunmehr umso mehr für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen identitätsbestimmender Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL dar. Der Präsident von amnesty international Pakistan wurde dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführe, dass es niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.; vgl. aber zur gleichfalls prekären, durch Marginalisierung und Armut geprägten und sich zunehmend verschlechternden Lage der Christen U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, 121 ff., 125 f.; UNHCR, Guidelines, S. 25 ff.)
114 
Von zentraler Bedeutung für die Einschätzung der Lage der Ahmadis durch den Senat ist dabei das gegen sie gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot, sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis in vielfältiger Weise insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b) QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen weiteren Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c) QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn namentlich jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung oder sonstiger Leib und Leben gefährdender Übergriffe möglich sind. Diese Verbote sind auch eine wesentliche ideologische Absicherung und Grundlage für das zunehmend aggressiv werdende Handeln privater Akteure gegenüber Mitgliedern der Religionsgemeinschaft der Ahmadis. Die Blasphemiegesetze werden von Human Rights Watch Asia als ein wesentlicher Nährboden für die zunehmende extremistische und religiös begründete Gewalt beschrieben und bewertet (so Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 16 f.; vgl. auch ders. S. 9 mit dem Hinweis, dass eine weitere Ursache der Gewalt jedenfalls gegenüber den Ahmadis darin zu erblicken sei, dass es diese konsequent und einschränkungslos ablehnen, den Islam mit Gewalt zu verbreiten; vgl. auch Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6 und 9 die zusätzlich darauf hinweist, dass in der muslimischen Mehrheitsbevölkerung die Ansicht weit verbreitet ist, die Ahmadiyya Bewegung sei ein Produkt der britischen Kolonisatoren, um die Muslime zu spalten). Die Kehrseite von alledem ist dann, dass auch der solchermaßen erzwungene Verzicht auf öffentlichkeitsbezogenes Glaubensleben bei dem hier in den Blick zu nehmenden Personenkreis eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt, die für sich betrachtet bereits die maßgebliche Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt und die selbst auf Eingriffshandlungen zurückzuführen ist, die ihrer Art und Wiederholung nach keine gleichartigen Eingriffshandlungen ausmachen (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL; vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 37). Denn bezogen auf das jeweilige betroffene Subjekt ist gewissermaßen in erster Linie das Ergebnis bzw. der Erfolg relevant, nämlich den Glauben nicht mehr öffentlichkeitswirksam in zumutbarer Weise auszuüben oder ausüben zu können. Eine Unterscheidung zwischen einem durch staatliche Maßnahmen induzierten Verzicht (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a) QRL) und einem solchen, der auf das Handeln nicht staatlicher Akteure zurückgeht ist (vgl. dann Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL), ist dabei nicht möglich und wäre völlig lebensfremd. Sie würde namentlich an der Realität in Pakistan vorbeigehen. Die Beweggründe für einen bekennenden Ahmadi, entgegen seinem verpflichtenden Glaubensverständnis den Glauben gleichwohl nicht in die Öffentlichkeit zu tragen, können und werden notwendigerweise nicht eindimensional sein.
115 
Bei diesem Ausgangspunkt kann für die bei einem – wie hier – unverfolgt ausgereisten Ahmadi, der glaubhaft erklärt hat, er werde im Falle der Rückkehr aus Furcht seinen Glauben nicht öffentlich bekennen bzw. für ihn werben, anzustellende Verfolgungsprognose nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung bezogen auf den hier zu betrachtenden Personenkreis rechtfertigen würden. Geht man von deutlich mehr als 60.000 eingeleiteten Strafverfahren (zuzüglich der im Jahre 1989 gegen die Bewohner Rabwahs eingeleiteten Verfahren, deren Zahl nicht bekannt ist) in einem Zeitraum von knapp dreißig Jahren aus, so darf allerdings nicht unterstellt werden, dass jedes dieser Verfahren schon mit einem relevanten Verfolgungseingriff verbunden war (vgl. hierzu auch oben 2 c). Daher erscheint auf den ersten Blick dann eine darunter liegende Zahl eher zu gering und nicht geeignet zu sein, eine ausreichende Verfolgungswahrscheinlichkeit zu begründen. Hiermit kann es aber nicht sein Bewenden haben. Hinzugezählt werden müssen, wie bereits erwähnt, nämlich die vielfältigen und unzweifelhaft zahlreichen, strafrechtlich bzw. ordnungsrechtlich nicht geahndeten Verfolgungsakte privater Akteure, die das tägliche Leben eines gläubigen und in der Öffentlichkeit bekennenden Ahmadi unmittelbar in sicherheitsrelevanter Weise berühren, wenn nicht gar prägen und in dieses eingreifen, wobei allerdings, wie bereits ausgeführt, die Eingriffe seriös und belastbar nicht quantifiziert werden können. Entgegen dem in Rdn. 33 des Revisionsurteils vermittelten Eindruck kann bei der Relationsbeurteilung auch nicht allein darauf abgestellt werden, in wie viel Fällen Strafverfahren eingeleitet und durchgeführt wurden bzw. werden. Denn das erzwungene Schweigen der hier interessierenden Personengruppe, das den relevanten Verfolgungseingriff darstellen kann, beruht, wie bereits ausgeführt, auch, wenn nicht gar überwiegend, auf den gewalttätigen, Leib und Leben gefährdenden bzw. sogar verletzenden Handlungen privater Akteure, die ungehindert und ungestraft vorgehen können und die damit nach Art. 6 lit. c) QRL flüchtlingsrechtlich relevant sind. Wollte man diesen Faktor unberücksichtigt lassen, würde ein völlig falsches Bild von der Situation der Ahmadis und deren Motivationslage gewonnen. Der Senat sieht sich nicht durch § 144 Abs. 6 VwGO gehindert, im Kontext der Relationsbetrachtung eine (unerlässliche) Ergänzung um diesen Gesichtspunkt vorzunehmen, weil er – nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Ausführungen unter Rdn. 25 des Revisionsurteils - nicht zu erkennen vermag, dass die Vorgaben des Revisionsurteils an dieser Stelle abschließenden Charakter haben. Wenn das Bundesverwaltungsgericht dort davon spricht, dass die vom Europäischen Gerichtshof angesprochene Verfolgung eine strafrechtlich relevante sein müsse, so wird diese Interpretation zwar vom Kläger infrage gestellt, gleichwohl sprechen aus der Sicht des Senats die besseren Gründe für die Sichtweise des Bundesverwaltungsgerichts. Zwar führt dieses dann dazu, dass die Verfolgungshandlungen der strafrechtlichen Verfolgung wie auch der Bestrafung nur solche sein können, die von staatlichen Akteuren ausgehen. Dieses gilt jedoch nicht in gleicher Weise für die unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung, die ohne weiteres auch nicht staatlichen Akteuren zugeordnet werden kann. Leibes- und lebensbedrohende Übergriffe privater Akteure auf einen Andersgläubigen sind aber zwanglos als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu begreifen.
116 
Aus allen vorliegenden Informationen kann nach Überzeugung des Senats auch der hinreichend verlässliche Schluss gezogen werden, dass für diejenigen Ahmadis, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und das Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen, in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko besteht, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen (würden). Denn bei dieser wertenden Betrachtung ist auch das erhebliche Risiko für Leib und Leben - insbesondere einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten bzw. gravierenden Übergriffen privater Akteure - zu berücksichtigen, sodass an den Nachweis der Verfolgungswahrscheinlichkeit keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen. Es entspricht der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung auch schon dann vorliegen kann, wenn aufgrund einer „quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für die Realisierung eines Verfolgungseingriffs besteht. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise eher nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er sein Heimatstaat verlassen soll oder in dieses zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber - wie im Falle der Ahmadi in Pakistan - jahrelange Haft, Folter oder gar Todesstrafe oder Tod oder schwere Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit seitens Dritter riskiert (BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162; vgl. nunmehr auch Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - Rdn. 32). Handelt es sich demnach um einen aktiv bekennenden Ahmadi, für den die öffentliche Glaubensbetätigung zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, muss landesweit von einem realen Verfolgungsrisiko ausgegangen werden.
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Selbst wenn man realistischer Weise nicht der Einschätzung des vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 12.03.2013 vernommenen Herr Khan folgt, dass es etwa 400.000 bekennende Ahmadis in Pakistan gebe und im Wesentlichen alle aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen auf eine öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigung verzichten und nicht etwa teilweise auch aus Opportunität, weil sie letztlich doch nicht so eng dem Glauben verbunden sind bzw. weil für sie der spezifische Öffentlichkeitsbezug nicht Teil ihres bestimmenden religiösen Selbstverständnisses ist, so kann doch nicht von der Hand gewiesen werden, dass es angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten, lebens- und leibesbedrohenden Übergriffe extremistischer Gruppen für viele gläubige Ahmadis der gesunde Menschenverstand nahelegen, wenn nicht gar gebieten wird, öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für viele Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Gemeinschaft der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit sei nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks. Diese seit nunmehr weit über nahezu 30 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und -bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Eine verlässliche Zahl derer, die aus Furcht vor staatlichen und/oder privaten Eingriffen auf eine Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit verzichten, ist in diesem Zusammenhang naturgemäß nicht zu ermitteln, da hierüber keine Aufzeichnungen gemacht und Statistiken geführt werden und es sich regelmäßig auch um innere Meinungsbildungsprozesse handeln wird.
118 
Allerdings sieht sich der Senat nicht in der Lage, eine besondere und zusätzliche Relationsbetrachtung (vgl. Rdn. 33 des Revisionsurteils), die der Absicherung der Einschätzung und zur Plausibilisierung des Verfolgungsrisikos dienen soll, in quantitativer Hinsicht vollständig anzustellen. Wie bereits ausgeführt, lässt sich der in diesem Zusammenhang einzusetzende Faktor der Zahl derjenigen Ahmadi, die trotz aller Verbote, Strafandrohungen, Strafverfahren, verhängter Strafen sowie Leib oder Leben gefährdender Angriffe privater Akteure weiter öffentlichkeitswirksam agieren, nicht annähernd zuverlässig ermitteln, woran die Relationsbetrachtung bereits scheitern muss, wobei ergänzend anzumerken ist, dass nach den einleuchtenden Ausführungen von Herrn Khan gegenüber dem VG Stuttgart alles dafür spricht, dass es eine relevante Anzahl überhaupt nicht mehr gibt. Diese faktischen Grenzen der Ermittlungsmöglichkeiten dürfen allerdings nicht zwangsläufig zu Lasten der Schutzsuchenden und Schutzbedürftigen gehen. Wenn sich aus anderen Erkenntnisquellen plausible Schlussfolgerungen ziehen lassen, die noch hinreichend verlässlich sind, gebietet es im Interesse eines wirksamen und menschenrechtsfreundlichen Flüchtlingsschutzes der unionsrechtliche Grundsatz des „effet utile“, damit sein Bewenden haben zu lassen.
119 
Der Senat verwertet allerdings die von Herrn Khan beim Verwaltungsgericht Stuttgart gemachten Angaben, wonach grundsätzlich jeder Ahmadi, der heute auf öffentlichen Plätzen für seinen Glauben werben würde, damit zu rechnen hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar erhebliche Nachteile zu erleiden (wie Gewaltanwendung staatlicher Organe oder privater Akteure, Strafverfahren und strafrechtliche Sanktionen), weshalb derartiges faktisch kaum mehr stattfindet. Da diese Einschätzung nach den oben gemachten Feststellungen ohne weiteres plausibel ist, sieht der Senat keinen Anlass an deren Zuverlässigkeit zu zweifeln, auch wenn Herr Khan, der als Flüchtling anerkannt ist, sicherlich insoweit gewissermaßen „Partei“ ist, als er selber Ahmadi und unmittelbar den Institutionen der Glaubensgemeinschaft der Ahmadis in Deutschland verbunden ist. Nimmt man noch den von Herrn Khan geschilderten Gesichtspunkt hinzu, dass heute praktisch kein Ahmadi mehr in den großen Moscheen bzw. Gebetshäusern erscheint, um in Gemeinschaft mit anderen am öffentlichen Gebet teilzunehmen, sei es aus Furcht vor staatlichen Eingriffen, sei es (noch wahrscheinlicher) vor privaten Akteuren, so muss nach Überzeugung des Senats von einer (ausreichend) hohen Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, dass ein Ahmadi, der sich nicht um Verbote etc. kümmert und gleichwohl in der Öffentlichkeit agiert, Opfer erheblicher Ein- und Übergriffe werden wird, und deshalb der Verzicht auf ein öffentlichkeitswirksames Glaubensbekenntnis in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Verboten und dem Verhalten privater feindlicher Akteure steht und maßgeblich hierauf beruht.
120 
Selbst wenn man der Auffassung sein wollte, dass der auf die dargestellte Art und Weise verursachte Verzicht auf jede öffentliche Glaubensbetätigung allein noch nicht die Qualität eines relevanten Verfolgungseingriffs hat, so ergibt sich ein solcher jedenfalls aus einer wertenden Zusammenschau dieses Aspekts mit den oben beschriebenen vielfältigen Diskriminierungen und Einschränkungen, die für sich betrachtet entweder noch keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit im konkreten Einzelfall begründen bzw. nicht die erforderliche Schwere aufweisen mögen. Wegen dieser letztlich maßgeblichen Gesamtschau liegt dann in jedem Fall eine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL vor.
121 
b) Einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, zu dessen verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und ggfs. auch zu werben oder zu missionieren, steht kein interner Schutz im Sinne des Art. 8 QRL offen, d.h. es gibt keinen Landesteil, in dem er in zumutbarer Weise und ungefährdet seinen Glauben öffentlich leben kann. Was die dem pakistanischen Staat unmittelbar zuzurechnenden Eingriffe betrifft, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen landesweit die gleichen. Gerade der Umstand, dass 1989 und 2008 Strafverfahren gegen alle Ahmadis in Rabwah eingeleitet worden waren, belegt dieses eindringlich. Was die Aktionen privater Akteure betrifft, geht die Einschätzung der Parliamentary Human Rights Group - PHRG - (Report of the PHRG Fact Finding Mission to Pakistan vom 24.10.2010, S. 2) und der von ihr angehörten Gewährspersonen dahin, dass eine ausreichende Sicherheit auch nicht in Rabwah besteht. Der Präsident von amnesty international von Pakistan wird dahin gehend zitiert, dass Ahmadis nirgends sicher seien, auch nicht in Rabwah, denn die Polizei würde auch den erforderlichen Schutz dort nicht gewähren, was er plausibel damit erklärt, dass die bereits erwähnte Gruppierung Khatm-e Nabuwwat einen Schwerpunkt ihrer Betätigung in Rabwah hat, wenn er auch nicht gänzlich in Abrede stellt, dass das Sicherheitsniveau dort etwas höher sei, besser wäre hier allerdings davon zu sprechen, dass das Unsicherheitsniveau etwas niedriger ist (vgl. zu alledem Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.145 ff.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 20 ff. mit vielen Einzelaspekten). Die Situation wird – in erster Linie in Bezug auf nicht staatliche Akteure – auch so beschrieben, dass die Bedrohung von Ort zu Ort unterschiedlich ist und von Jahr zu Jahr wechselt (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.151). Ganz abgesehen davon ist für den Senat nicht ersichtlich, dass alle landesweit lebenden Ahmadis in Rabwah eine den Anforderungen des Art. 8 QRL genügende wirtschaftliche Existenz finden könnten (vgl. UNHCR, Guidelines, S. 43, und ausführlich zur wirtschaftlichen Situation in Rabwah Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 7 und 24 ff.).
122 
4. Gläubige Ahmadis hingegen, die nicht zu der oben beschriebenen Gruppe rechnen, weil für sie der Aspekt des aktiven Bekenntnisses in der Öffentlichkeit keine besondere Bedeutung hat, können hiernach nur dann von einem Verfolgungseingriff aufgrund einer kumulativen Betrachtungsweise nach Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL betroffen sein, wenn nach den Verhältnissen in Pakistan diese Betroffenheit sich generell aufgrund sonstiger Diskriminierungen als eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellen würde. Von einer generellen Betroffenheit aller Mitglieder der Teilmenge der gläubigen, ihren Glauben auch (ohne direkten Öffentlichkeitsbezug) praktizierenden Ahmadi kann, was die die oben angesprochenen Diskriminierungen im Bildungswesen und beruflicher Art betrifft, noch nicht gesprochen werden. Hier kann sich allein im Einzelfall aus einer Gesamtschau eine ausreichende Schwere der Verletzung ergeben. Allerdings besteht eine generelle Betroffenheit insoweit, als sie sich nicht einmal als Moslems bezeichnen dürfen und die Finalität des Propheten Mohamed anerkennen müssen, was dann mittelbar eine gleichberechtigte Teilhabe an den staatsbürgerlichen Rechten, wie dem Wahlrecht unmöglich macht. Da jedoch die eigentlich Glaubensbetätigung auch außerhalb des eigentlichen „forum internum“ – vorbehaltlich weiterer künftiger Verschärfungen insbesondere von Seiten privater Akteure – noch möglich ist, ohne dass dieses mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erheblichen Beeinträchtigungen führt, liegt nach Auffassung des Senats, obwohl diese Betätigungen keineswegs risikofrei sind, noch keine auf diese bezogene schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach der vom Europäischen Gerichtshof in seiner Rechtsprechung verbindlich entwickelten Auslegung des Art. 9 Abs. 1 QRL vor.
123 
Etwas anderes gilt selbstverständlich auch dann, wenn ein solcher Ahmadi unmittelbar und konkret von einem staatlichen Verfolgungsakt betroffen ist, der an seine religiöse Überzeugung anknüpft (vgl. Art. 10 Abs. 2 QRL), der mit einem Eingriff in Leib, Leben oder Freiheit (im engeren Sinn) verbunden ist; ebenso dann, wenn ein derartiger Eingriff von nicht staatlichen Akteuren ausgeht und die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 QRL nicht vorliegen, wovon aber nach vom Senat getroffenen Feststellungen (vgl. oben 2 g) auszugehen ist.
124 
V. Der Senat ist gleichfalls überzeugt, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Er kann zunächst auf die Ausführungen im Urteil vom 13.12.2011 verweisen. An dieser Einschätzung ist auch nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung festzuhalten. Er hat – wenn auch mit einfachen Worten – dem Senat die Überzeugung vermittelt, dass das öffentliche und auch werbende Bekenntnis für seinen Glauben für ihn selbst von großer Bedeutung ist, er tatsächlich danach lebt und es ihn erheblich belasten würde, wenn er dieses aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen unterlassen müsste.
125 
Damit gehört der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehen und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen sind.
126 
VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.
127 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung der Ziffern 1, 3, 4 und 5 des Bescheides vom 16.10.2014 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG zuzuerkennen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der am ... 1991 geborene Kläger ist Staatsangehöriger Pakistans. Er reiste eigenen Angaben zufolge am ... 2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am ... 2012 einen Asylantrag. Später legte er eine Bescheinigung der Ahmadiyya Muslim Jamaat e. V. vom ... 2013 vor, wonach er von Geburt an Mitglied der Ahmadiyya Muslim Jamaat ist.

Bei seiner Anhörung am ... 2013 vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gab der Kläger an, er sei mit einem gefälschten Reisepass ausgereist. Sein Onkel habe den Kontakt zum Schleuser hergestellt. Bis zur Ausreise in Pakistan habe er sich überwiegend in seinem Heimatort ..., Bezirk ... aufgehalten. Er habe dort mit den Eltern, zwei Brüdern und einer Schwester gewohnt. 2 ½ Monate vor der Ausreise habe er den Heimatort verlassen und habe sich nach ... zum Großvater mütterlicherseits begeben. Am ...2012 habe er ... verlassen und sich zum Flughafen nach Lahore begeben, wo er am ...2012 um 10:00 Uhr abends abgeflogen sei. Bis 2007 habe er im Heimatort die Mittelschule bis zur 10. Klasse besucht und anschließend das College bis 2009. Dann habe er auf dem College Schwierigkeiten wegen seines Glaubens gehabt und habe nicht weiter studieren können. Er habe dann dem Vater im Buchladen geholfen und diese Tätigkeit bis etwa 2 ½ bis 3 Monate vor seiner Ausreise ausgeübt. Dann habe er nicht länger dort arbeiten können, da er Probleme bekommen habe. Die Reise habe mehr als 1,2 Mio. Rupien gekostet. Sein Onkel mütterlicherseits und ein Cousin mütterlicherseits, der in ... lebe, hätten ihn finanziell unterstützt.

Sein Leben sei in Gefahr, ihre Gemeinschaft habe in Pakistan Schwierigkeiten. Vor acht Monaten sei der Mullah gestorben und mit ihm hätten sie nicht viele Probleme gehabt. Dann sei ein neuer Mullah gekommen, der der Gruppe Khatme-e-Nabuwat angehöre und habe Hass gegen die Ahmadis in der Gegend dort verbreitet. Am ... habe es eine Konferenz mit zahlreichen Mullahs gegeben, den Vorsitz habe ein ... geführt, der in der Gegend der Vorsitzende der Khatme-e-Nabuwat gewesen sei. Über Lautsprecher habe er Hass gegen die Ahmadis verbreitet. Er habe verlangt, dass man die Ahmadis wirtschaftlich und moralisch boykottiere. Er habe gesagt, dass er eine Moschee mit Minaretten in ... so schnell wie möglich zerstören wolle. Er, der Kläger, habe Sicherheitsdienst vor der Moschee geleistet. Viele Leute haben daher gewusst, dass er ein Ahmadi sei. Eines Tages sei der Mullah zu ihm gekommen und habe gesagt, dass er den Glauben wechseln müsse, das sei an einem Sonntag gewesen, eine Woche nach dem ... sei der Mullah ins Geschäft gekommen. Einmal habe er mit dem Motorrad Richtung ... fahren wollen und da sei er angehalten worden. Der Mullah habe zu den Anhängern gesagt, man solle ihn schlagen und umbringen. Das sei im ... 2012 gewesen, ... Am ... seien die Hassprediger und die Polizei zur Moschee in ... gekommen und hätten sechs Minarette zerstört und in der Moschee Randale gemacht. Sie hätten von der Zentrale die Anweisung erhalten, die Moschee zu verlassen, deshalb sei ihm nichts passiert. Ein paar Tage später habe der ... eine Demonstration organisiert und die Anhänger hätten schwören müssen, den Ahmadis etwas Schlimmes anzutun. Zwei Tage später seien mehrere junge Leute zu ihnen nach Hause gekommen und hätten ihn nach draußen gezerrt, ihn zusammengeschlagen und beschimpft. Da ein Auto der Armee vorbeigekommen sei, hätten die Leute Angst bekommen und seien geflüchtet. Seine Familie habe ihm den Rat gegeben, ins Ausland zu gehen. Sein Rücken habe geblutet und ..., ein Mitglied der Gemeinschaft, habe ihn behandelt. Er habe zwei Spritzen bekommen und dann noch Tabletten genommen. Er habe eine Woche lang Tabletten einnehmen müssen. Er sei dann zunächst nach ... zur Tante väterlicherseits gegangen und dann nach ... Eines Tages sei auch der Bruder zusammengeschlagen worden, bei dieser Gelegenheit hätten sie sich nach ihm erkundigt. Das sei eine Woche gewesen, nachdem er vor dem Haus zusammengeschlagen worden sei. Zuletzt sei auch das Geschäft schlecht gelaufen, da die Mullahs den Leuten verboten hätten, bei ihnen einzukaufen. Es seien nur noch die Armeeangehörigen aus anderen Orten gekommen und die Christen. Die Geschwister lebten jetzt in ... Die Mutter sei zu ihrer Schwester gegangen, die in der Nähe von ... lebe. Der Vater sei noch im Heimatort geblieben, wolle aber bald weggehen. Er befürchte, sie würden ihn umbringen, die Anhänger von Khatm-e-Nabuwat seien in Pakistan überall vernetzt. In ... sei er nicht geblieben, weil es nicht so weit vom Heimatort entfernt sei. Er sei zunächst auch nach ... gegangen und sei dort ein paar Tage geblieben. In ... gebe es jedoch dieselben Probleme. Er sei dann nach ... gegangen und anschließend ausgereist. In ... sei er deshalb nicht geblieben, da es dort dieselben Probleme gebe. Der Bruder habe ebenfalls Probleme mit Khatm-e-Nabuwat gehabt. Er sei für das Geschäft der Familie immer auf dem Großmarkt einkaufen gegangen. Die Leute dort hätten erfahren, dass er ein Ahmadi sei. Ein Nachbar, der ebenfalls einen Buchladen gehabt habe, habe dort Hass verbreitet. Der Bruder sei irgendwann einmal auf der Straße angegriffen worden, das sei aber schon lange her. Auf Vorhalt, dass der Bruder angegeben habe, er sei im Buchladen angegriffen und das Geschäft sei bei dieser Gelegenheit zerstört worden, gab der Kläger an, er wisse nichts, er sei nicht dagewesen, als das im Geschäft passiert sei. Auf Vorhalt, dass der Bruder auch angegeben habe, dass, nachdem er im Geschäft angegriffen worden sei, niemand mehr im Geschäft gekauft habe, gab der Kläger an, die Ahmadi und Christen hätten bei ihnen eingekauft.

Solange er zu Hause gewesen sei, habe er in ... Sicherheitsdienst geleistet. Er habe auch an den Sitzungen der Gemeinschaft teilgenommen und gespendet. Sie hätten den Friedhof gekehrt und die Moschee saubergemacht.

In Deutschland habe er während der Fastenzeit Gebete verrichtet. Die Gemeindemitglieder hätten auch in ... und ... Flugblätter verteilt. Er sei auch dabei gewesen. Eine Woche vor der Jahresversammlung sei er nach ... gegangen und habe in der Nacht Sicherheitsdienst geleistet und dann auch bei der Verteilung der Verpflegung geholfen. Bei den Khuddam sei er auch für die Entziehung und Bildung zuständig. Auf Nachfrage, was ihn dazu qualifiziere, dass er bei den Khuddam für Erziehung und Bildung zuständig sei, antwortete der Kläger, nein, ich bin noch nicht zuständig, ich lerne noch.

In Pakistan habe er wegen des Hasses der Mullahs nie in Ruhe leben können. Seit er in Deutschland lebe, fühle er sich sehr wohl und habe hier religiöse Freiheit.

Mit Bescheid vom 16.10.2014, mit Postzustellungsurkunde am 22.10.2014 zugestellt, wurde die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, der Antrag auf Asylanerkennung wurde abgelehnt und auch der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen und dem Kläger wurde die Abschiebung nach Pakistan angedroht. Auf die Begründung des Bescheides vom 16.10.2014 wird verwiesen.

Mit Schriftsatz vom 27.10.2014, bei Gericht eingegangen am 28.10.2014, ließ der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth erheben mit folgendem Antrag:

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16.10.2014 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht, hilfsweise ihm subsidiären Schutz zu gewähren und weiter hilfsweise ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG festzustellen.

Nach der herrschenden Auffassung unter den Oberverwaltungsgerichten bestehe bereits aufgrund der speziell gegen die Ahmadis in Pakistan gerichteten Gesetzgebung und den sich daraus ergebenden Einschränkungen ihrer Religionsausübung für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen Ahmadi, zu dessen Glaubensüberzeugung auch die Religionsausübung in der Öffentlichkeit gehöre, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer an die Religion anknüpfenden Verfolgung.

Mit Schriftsatz vom 03.11.2014 beantragte die Beklagte,

die Klage abzuweisen.

Mit Schriftsatz vom 12.12.2014 machte d er Prozessbevollmächtigte des Klägers geltend, die Befragung der Klägerseite sei im Wesentlichen auf Erlebnisse und Ereignisse der Vergangenheit beschränkt gewesen, die nach den aktuellen Maßstäben nur noch nachrangig seien. Die meisten Verwaltungsgerichte fragten ihm Gerichtsverfahren nach diesen Vorgängen überhaupt nicht mehr. Im Fall der Ahmadi gelte nunmehr, dass die wesentliche Verfolgung im Eingriff in die Religionsausübungsfreiheit durch deren Unterdrückung durch spezielle Strafvorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuchs liegen könne. Das Bundesverwaltungsgericht habe in seiner Entscheidung vom 20.02.2013 einen umfangreichen und sehr konkreten Katalog bestimmter Befragungspunkte aufgestellt und vorgegeben. Insofern habe ein weitgehender Prüfungsausfall beim Bundesamt stattgefunden. Der Kläger mache geltend, dass es sich bei ihm um eine sehr religiös geprägte Persönlichkeit handele. Mit Schriftsatz vom 07.01.2015 wird weiter vorgetragen, dass es außer Frage stehe, dass der Kläger im Sinne eines gläubigen Ahmadis seine individuellen persönlichen Pflichten erfülle. Das betreffe das regelmäßige Beten, das Fasten, das regelmäßige Hören der Freitagsansprache und des Kalifen und schließlich auch das Entrichten der finanziellen Beiträge. Daneben betrachtet der Kläger allerdings sein Engagement als auch auf die Gemeinschaft bezogen, er nehme aktiv am Gemeinschaftsleben teil. Der Kläger habe eine Zusammenstellung von Bildern getätigt, die einen repräsentativen Überblick über sein Gesamtengagement erlaubten. Es existiere ein Lichtbild über ein Treffen bei dem Kalifen, dem Oberhaupt der Gemeinde. Der Kläger nehme an den Aktivitäten des örtlichen Sozialdienstes der Ahmadiyya-Gemeinde teil und auch an Aktionen der Information und Werbung für den Ahmadiyya-Glauben. Der Kläger unterhalte mit dem Kalifen bzw. seinem Sekretär einen Briefverkehr; einige Exemplare dieser Antwortschreiben seien beigefügt. Ganz besonders wichtig seien für den Kläger die Teilnahme an den bundesweiten Großveranstaltungen, insbesondere der Jalsa-Salana, sowie der Salana-Ijtema. Für den Kläger sei bei der Ahmadiyya Muslim Jamaat in Frankfurt eine einzelfallbezogene qualifizierte Auskunft angefordert worden, diese werde vorgelegt, sobald sie vorliege (siehe Beiakt II Klägerheftung).

Mit Schriftsatz vom 13.02.2015 teilte die Beklagte mit, der Vortrag und die Unterlagen erinnerten an eine Mehrzahl vergleichbarer Fälle. Zur Frage der religiösen Prägung und des mutmaßlichen Verhaltens nach unterstellter Rückkehr könnten keine Äußerungen erfolgen.

Mit Beschluss der Kammer vom 26.02.2015 wurde der Rechtsstreit der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.

Mit Schriftsatz vom 16.03.2015 legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers eine Auskunft der Ahmadiyya Muslim Jamaat vom ... 2015 vor und gab an, dadurch werde bestätigt, dass es sich beim Kläger um eine religiös geprägte Persönlichkeit handele. Der beigefügten Bestätigung vom ... 2015 ist zu entnehmen, dass der Kläger gebürtiges Mitglied der Gemeinde sei und in Pakistan gute Kontakte zu der Gemeinde gepflegt habe. Hier in Deutschland nehme der Kläger regelmäßig an den Gebeten sowie an den lokalen und zentralen Gemeindeveranstaltungen teil. Er entrichte seine Mitgliedsbeiträge ordnungsgemäß. Derzeit sei er als lokaler Sekretär für religiöse Erziehung und in der Jugendorganisation für Publikationen und Bildungsangelegenheiten zuständig. Darüber hinaus helfe er seiner örtlichen Gemeinde bei ehrenamtlichen Aufgaben nach Bedarf. Zusammenfassend sei sein Verhalten der Gemeinde gegenüber zufriedenstellend.

Auf den Schriftwechsel zwischen dem Gericht (Schreiben vom 17.03.2015) und dem Prozessbevollmächtigten des Klägers (Schriftsatz vom 24.03.2015) über die Bestätigungspraxis der Ahmadiyya Muslim Jamaat wird verwiesen.

Für den Ablauf der mündlichen Verhandlung wird die Sitzungsniederschrift in Bezug genommen.

Ergänzend wird auf die vorgelegte Behördenakte zu diesem Verfahren, die vorgelegte Behördenakte zum Bruder des Klägers (Bundesamtsaktenzeichen: ...), die vorgelegten Klägerheftungen und die Gerichtsakte in diesem Verfahren verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 16.10.2014 ist rechtswidrig, weil dem Kläger zu Unrecht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG versagt und ihm die Abschiebung nach Pakistan angedroht wurde. Insoweit hat der Kläger einen Anspruch auf eine entsprechende Verpflichtung der Beklagten durch das Gericht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Nach § 3 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 AsylVfG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3 c Nr. 1 AsylVfG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3 c Nr. 2 AsylVfG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3 d AsylVfG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3 c Nr. 3 AsylVfG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 d hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3 e Abs. 1 AsylVfG).

Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylVfG.

Die Vorfluchtgeschichte des Klägers ist nicht ganz widerspruchsfrei (etwa betreffend die Buchhandlung des Vaters/Bruders und ihre Schließung), was auch schon im angefochtenen Bescheid vom 16.10.2014 - insoweit zutreffend - ausgeführt wird.

Letztlich kann es aber dahinstehen, ob der Kläger vor seiner Ausreise aus Pakistan bereits Verfolgungsmaßnahmen erlitten hat oder von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war. Auf die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 EU-Flüchtlingsschutzrichtlinie (RL 2011/95/EU) kommt es nicht an, denn es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen rechnen muss, die an seine Religion anknüpfen. Diese beachtlich wahrscheinliche Gefährdung ergibt sich im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG i. V. m. Art. 9 Abs. 1b RL2011/95/EU aus einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen.

Bekennende Ahmadis sind einer aktuellen Gefahr der Verfolgung in ihrer Religionsfreiheit ausgesetzt, die sich aus einer landesweit geltenden, speziell gegen sie und gegen den Kern ihres Selbstverständnisses gerichteten Gesetzgebung des pakistanischen Staates ergibt. Jedenfalls die öffentliche Religionsausübung ist ihnen in Pakistan praktisch unmöglich.

Die Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad gegründet. Dieser beansprucht Messias, Mahdi, Prophet, die geistige Wiedergeburt Jesu, Mohameds, Vishnus, Krishnas, Buddhas und der Reformer am Anfang der tausendjährigen Endzeit zu sein, den wahren Islam zu vertreten und ihn durch seine Bewegung innerhalb von 300 Jahren zum Sieg über alle anderen Religionen und islamischen Konfessionen zu führen. In ihrer Dogmatik weicht die Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya von den sunnitischen und schiitischen Hauptrichtungen des Islam, vor allem in ihrer Prophetenlehre, ab, weil sie Mohamed nicht als letzten Propheten ansieht. Vor allem aufgrund der Infragestellung der Finalität des Prophetentums Mohameds, eines essentiellen Bestandteils des Glaubens anderer islamischer Gemeinschaften, sind die Ahmadis insbesondere aus der Sicht orthodoxer Muslime Apostaten, die ihr Leben verwirkt haben.

Aufgrund ihres Selbstverständnisses werden Ahmadis in Pakistan durch eine speziell gegen sie gerichtete Gesetzgebung diskriminiert. Diese und die sich daraus für sie ergebenden Einschränkungen ihrer Religionsausübung stellen für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen Ahmadi, zu dessen Glaubensüberzeugung auch die Religionsausübung in der Öffentlichkeit gehört, eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung jedenfalls im Sinne einer kumulierenden Betrachtung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 b QRL dar, denn sie richten sich gegen das Selbstverständnis der Ahmadis in seinem Kern und beeinträchtigen ihre Freiheit der Religionsausübung umfassend in allen Lebensbereichen. Der Islam wird in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erhoben. Durch eine Verfassungsänderung im Jahr 1974 wurden die Ahmadis ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit bezeichnet und geführt. Nach der pakistanischen Verfassung ist kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Propheten Mohamed glaubt oder andere Propheten als Mohamed anerkennt. Aus diesem verfassungsunmittelbaren Verbot, sich als Muslime zu begreifen und zu verstehen, ergeben sich für die Ahmadis in allen Lebensbereichen Einschränkungen und Verbote, die ihr religiöses Selbstverständnis im Kern treffen. Die Ahmadis sind nur um den Preis der Aufgabe oder Leugnung eines Kernelements ihrer Glaubensüberzeugung zur Ausübung des staatsbürgerlichen Rechts der allgemeinen und gleichen Teilnahme an Wahlen zugelassen. Sie können nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren und nur solche wählen. Um ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren und gewählt werden zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetentums Mohameds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert. Aufgrund besonderer gesetzlicher Strafandrohungen ergeben sich für die Ahmadis u. a. folgende Verbote: Es ist ihnen untersagt, zum Gebet aufzurufen, ihre Gebetshäuser Moschee zu nennen, öffentliche Versammlungen oder religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, für den Glauben zu werben, an der Pilgerfahrt nach Mekka teilzunehmen und Literatur oder andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalt zu verbreiten. Außerdem dürfen sie geläufige religiöse Sprechweisen nicht benutzen, weil dies den Eindruck erwecken könne, sie seien Muslime.

Die gegen das Selbstverständnis der Ahmadis in seinem Kern gerichtete Rechtslage und Rechtsanwendungspraxis in Pakistan ist nicht nur aus sich heraus einen schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit der Ahmadis, sondern auch deshalb eine dem pakistanischen Staat zuzurechnende schwerwiegende Menschenrechtsverletzung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylVfG, weil die Rechtslage und die Rechtsanwendungspraxis Übergriffe und Diskriminierungen auch nichtstaatlicher Akteure auf Ahmadis begünstigt. Derartige Übergriffe und Diskriminierungen nimmt der pakistanische Staat aktuell tatenlos hin.

Mullahs rufen in den Moscheen zum sozialen Boykott gegen Ahmadis auf und fordern jeden guten Muslim auf, diese zu verfolgen und umzubringen. Ahmadis werden durch untere Instanzen der Verwaltung sowie an Schulen, Hochschulen und bei der Einstellung und Beförderung im öffentlichen Dienst benachteiligt. Es kommt immer wieder vor, dass Ahmadis ihre Arbeitsstelle verlieren, sobald ihre Glaubenszugehörigkeit bekannt wird. Ermordungen und sonstige Übergriffe auf Ahmadis hat es immer gegeben. Nach Angaben der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft sind allein zwischen 1988 und 2006 insgesamt 171 ihrer Mitglieder ermordet worden. Diese Gefährdungen sind in den Folgejahren nicht weniger geworden.

Auch wenn es sich bei den Übergriffen und Diskriminierungen der Ahmadis letztlich um Einzelfälle handelt, ergibt sich daraus bei der nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG gebotenen kumulierenden Betrachtung mit dem sich aus den Rechtsvorschriften ergebenden Verbot, sich als Muslim zu verstehen und dieses Verständnis in der Öffentlichkeit zu tragen, aus dem sich alle weiteren (strafbewerten) Einschränkungen und Verfolgungsmaßnahmen herleiten, eine flüchtlingsrelevante schwerwiegende Menschenrechtsverletzung, die dem pakistanischen Staat zuzurechnen ist, weil er die Übergriffe und Diskriminierungen tatenlos hinnimmt.

Es kann deshalb nicht von der Hand gewiesen werden, dass es für die Ahmadis nahe liegt, wenn es sich nicht gar gebietet, alle öffentlichkeitswirksamen Glaubensbetätigungen zu unterlassen oder auf ein Minimum zu beschränken, weil sie bei realistischer Betrachtungsweise mit erheblichen Reaktionen des Staates oder von nicht staatlichen Akteuren rechnen müssen, wenn sie ihr Menschenrecht auf Religionsfreiheit aktiv wahrnehmen. Folge dieser schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung durch unmittelbaren Eingriff in die Religionsfreiheit aufgrund der rechtlichen, die Ahmadis ausgrenzenden Bestimmungen ist, dass die Verfolgungsgefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit jeden bekennenden Ahmadi in Pakistan trifft und es - anders als bei Eingreifen in das Leben und die körperliche Freiheit - nicht darauf ankommt, ob die einzelnen auf den Körper gerichteten Verfolgungsmaßnahmen wegen der Religion eine solche Verfolgungsdichte erreichen, die die Annahme einer für den einzelnen Schutzsuchenden eine Beweiserleichterung darstellende Gruppenverfolgung rechtfertigt, denn die menschenrechtswidrige systematische Einschränkung durch die rechtlichen Bestimmungen hat für die Religionsfreiheit der Ahmadis in der Lage, in der sie in Pakistan in einem Klima der allgemeinen Ausgrenzung und religiösen, moralischen und gesellschaftlichen Verachtung leben müssen, den Charakter eines - bereits umgesetzten - Verfolgungsprogramms, bei dessen Vorliegen es nicht der Feststellung der Verfolgungsdichte einzelner Verfolgungsschläge im Sinne des Konzepts der Gruppenverfolgung bedarf.

Eine Fluchtalternative in dem Sinn, dass es einen Ort gibt, in dem die Ahmadis keiner Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a AsylVfG aufgrund ihrer Religion ausgesetzt sind, gibt es schon deshalb nicht, weil die speziell gegen sie gerichtete pakistanische Gesetzgebung landesweit ohne Einschränkungen gilt. Unabhängig davon sind auch sonst keine gesicherten Ausweichmöglichkeiten gegeben. Nicht einmal Rabwah, das religiöse Zentrum der Ahmadis, bietet sicheren Schutz vor Repressionen, weil die Ahmadis dort zwar weitgehend unter sich, andererseits aber für ihre Gegner sehr sichtbar sind. Großstädte bieten den Ahmadis keinen ausreichenden Schutz, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben. Keine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung in Sinne des § 3a AsylVfG würde nur dann vorliegen, wenn die die Religionsausübung einschränkenden Maßnahmen den Schutzsuchenden nicht selbst in seiner religiös-personalen Identität beträfen, was der Fall wäre, wenn er seinen Glauben in der Heimat nicht praktizieren wird oder ihm sonst eine innere und verpflichtende Verbundenheit zur Religion fehlt. Einem Schutzsuchenden, der von Geburt an einer bestimmten Religionsgemeinschaft angehört und seinen Glauben in der Vergangenheit praktiziert hat, kann jedoch nicht ohne konkrete Anhaltspunkte unterstellt werden, dass er seinen Glauben im Heimatland nicht praktizieren wird (OVG Bautzen, U. v. 18.09.2014 - A1A348/13 -, VGH Baden-Württemberg, U. v. 12.06.2013, - A 11 S 757/13 -; OVG Münster, U. v. 14.12.2010, - 19 A 2999/06.A -, beide juris).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Kläger als gläubiger und praktizierender Ahmadi zu betrachten.

In der mündlichen Verhandlung konnte die Einzelrichterin den Eindruck gewinnen, dass der Kläger von seinem Glauben ganz selbstverständlich geprägt und das Glaubensleben ihm unverzichtbarer Bestandteil seines Alltags ist.

Zunächst zeigt sich beim Kläger nach außen hin das übliche Profil eines in die straffe Organisation des AMJ in Frankfurt gut eingebundenen Ahmadi mit örtlichen Funktionen und der Teilnahme an lokalen und zentralen Gemeindeveranstaltungen, etwa der Jalsa-Salana und der Salana-Jjtema (siehe Bestätigung des AMJ vom ... 2015). Insbesondere zu letzterem ist anzumerken, dass die Teilnahme an solch jährlichen Großveranstaltungen mit den üblichen Helferdiensten für sich genommen genauso wenig auf eine individuelle Glaubensüberzeugung und ein nach außen wirkendes Glaubensvermittlungsbedürfnis schließen lassen, wie etwa die Teilnahme an einem evangelischen Kirchentag oder einer Generalaudienz in Rom.

Die von seinem Ahmadi-Glauben geprägte Identität des Klägers wird jedoch insbesondere dann überzeugend spürbar, wenn er (auf Nachfrage) zentrale Glaubensinhalte schildert, - und zwar nicht nur ohne Zögern, sondern mit Leichtigkeit, Eifer und Freude (siehe Sitzungsniederschrift Seite 8). Der Kläger spult Glaubenswissen nicht einfach ab, sondern bringt seine Inhalte zur Geltung, was in der mündlichen Verhandlung auch in seiner Bereitschaft Ausdruck fand, mit einer nicht ganz einfachen prozessual/menschlichen Situation respektvoll und hilfreich umzugehen. Es ist ihm ersichtlich ein Bedürfnis, aus seinem Glauben heraus bekennend zu leben und auch andere Menschen an dieser Haltung teilhaben zu lassen. Von daher handelt es sich bei dem Kläger um einen aus der Allgemeinheit der Amadis hervorstechenden Gläubigen, der im Falle seiner Rückkehr nach Pakistan seinen Glauben öffentlich weiterhin ausüben und damit in die Gefahr religiöser Verfolgung geraten wird. Ein Unterlassen der Glaubensausübung in der Öffentlichkeit kann von ihm nicht verlangt werden (VGH Baden-Württemberg, a. a. O.).

Die Klage ist auch begründet, soweit (deklaratorisch) die Aufhebung der Ziffern 3 und 4 des angefochtenen Bescheides begehrt wurde, denn die Feststellung, dass der subsidiäre Schutzstatus und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, wird regelmäßig gegenstandslos, wenn die Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft Erfolg hat.

Die Androhung der Abschiebung nach Pakistan (Nr. 5 des Bescheides) ist aufzuheben, weil der Kläger dort Verfolgung zu erwarten hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylVfG).

(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.

(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden

1.
vom Staat oder
2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten.

(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.

(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tatbestand

1

Der Kläger erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm in Afghanistan drohender Gefahren.

2

Der 1986 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er stammt aus der Provinz Helmand (Afghanistan), ist schiitischen Glaubens und gehört dem Volk der Hazara an. Im Februar 2009 reiste er nach Deutschland ein. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - lehnte seinen Asylantrag mit Bescheid vom 17. März 2010 ab. Zugleich stellte es fest, dass weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen, und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Afghanistan an.

3

Nach Rücknahme der Klage auf Asylanerkennung hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG hinsichtlich Afghanistans verpflichtet und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 27. April 2012 die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dem Kläger stehe weder unionsrechtlicher noch nationaler Abschiebungsschutz zu. Hinsichtlich eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG gebe es keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung drohe. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG sei nicht erkennbar. Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor. Da in Afghanistan kein landesweiter bewaffneter Konflikt herrsche, komme eine individuelle Bedrohung nur in Betracht, wenn sich der Konflikt auf den tatsächlichen Zielort bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat erstrecke. Dies sei die Herkunftsregion des Ausländers, in der er zuletzt gelebt habe bzw. in die er typischerweise zurückkehren könne und voraussichtlich auch werde. Der Kläger habe glaubhaft vorgetragen, dass er in seiner Heimatregion Helmand keine aufnahmebereiten Bekannten oder Verwandten und keine Existenzgrundlage mehr habe. Zudem habe er Angst vor einer dort lebenden Privatperson, außerdem befürchte er Diskriminierungen, denen seine Volksgruppe in Helmand in besonderem Maße ausgesetzt sei. Wolle bzw. werde der Kläger keinesfalls nach Helmand zurückkehren, sei auf das derzeit einzig mögliche Abschiebungsziel Kabul abzustellen. Dort herrsche kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt mehr. Die Sicherheitslage werde in Kabul, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet.

4

Dem Kläger stehe hinsichtlich Afghanistans auch nicht der hilfsweise begehrte nationale Abschiebungsschutz zur Seite. Es sei nicht ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte. Einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen der allgemein schlechten Lebensverhältnisse in Afghanistan stehe § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG entgegen. Eine extreme Gefahrenlage, bei der aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG ausnahmsweise nicht greife, liege für Kabul nicht (mehr) vor. Vielmehr sei eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul zu erkennen, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder Anbindung an lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehe. Der Senat sehe keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Im Falle des Klägers seien auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten.

5

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 60 Abs. 2, 5 sowie 7 Satz 1 und 2 AufenthG. Außerdem macht er Verfahrensfehler geltend und regt zur weiteren Klärung des Gehalts der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 und 7 Satz 2 AufenthG eine Vorlage an den EuGH an.

6

Die Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.

7

Der Vertreter des Bundesinteresses hat sich am Verfahren beteiligt.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet. Das Berufungsurteil verletzt hinsichtlich des vom Kläger mit seinem Hauptantrag verfolgten Begehrens auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes Bundesrecht. Das Berufungsgericht hat bei der im Rahmen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gebotenen Prüfung, ob am tatsächlichen Zielort des Klägers bei einer Rückkehr nach Afghanistan ein bewaffneter Konflikt besteht, nicht auf die Herkunftsregion des Klägers, sondern auf die Verhältnisse in Kabul als dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel abgestellt. Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil nicht selbst abschließend über die Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes entscheiden kann, ist das Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

9

1. Gegenstand des Verfahrens ist neben dem unionsrechtlichen Abschiebungsschutz weiterhin auch der vom Kläger hilfsweise begehrte nationale Abschiebungsschutz. Dem steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht die Zulassung der Revision allein mit der grundsätzlichen Bedeutung einer auf den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz zugeschnittenen Frage begründet hat. Die Urteilsformel enthält keine Beschränkung der Zulassung auf den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz. Der Umfang der Zulassung ist daher unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Rechtsmittelklarheit durch Auslegung zu ermitteln. Danach ist hier von einer uneingeschränkten Zulassung auszugehen. Die vom Kläger im Berufungsverfahren gestellten (Haupt- und Hilfs-)Anträge betreffen zwar unterschiedliche Streitgegenstände. Diese sind aber eng miteinander verflochten, insbesondere stellt sich die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage des maßgeblichen Anknüpfungsortes nicht nur beim unionsrechtlichen, sondern auch beim nationalen Abschiebungsschutz. Für eine uneingeschränkte Zulassung der Revision spricht im Übrigen auch die dem Berufungsurteil beigefügte Rechtsmittelbelehrung, die sich lediglich auf das Rechtsmittel der Revision bezieht.

10

2. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens auf Gewährung von Abschiebungsschutz ist grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 10). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte. Maßgeblich ist daher für das Revisionsverfahren das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 86). Unionsrechtlich finden sowohl die Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - Qualifikations-Richtlinie - vom 29. April 2004 (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24) Anwendung als auch die - während des Berufungsverfahrens in Kraft getretene - Neufassung durch die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 337 vom 20. Dezember 2011 S. 9). Für die in der Neufassung inhaltlich geänderten Bestimmungen wurde den Mitgliedstaaten eine Umsetzungsfrist bis zum 21. Dezember 2013 eingeräumt (Art. 39 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU) und es bleibt bis zum Ablauf dieser Frist bei der Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG (vgl. Art. 41 Abs. 2 i.V.m. Art. 40 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU). Hinsichtlich der unverändert übernommenen Bestimmungen gilt die Neufassung hingegen schon jetzt (vgl. Art. 41 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU).

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3. Das Berufungsurteil verletzt in Bezug auf den vom Kläger primär begehrten unionsrechtlichen Abschiebungsschutz Bundesrecht. Die diesbezüglichen Vorgaben des Art. 15 der Richtlinie 2011/95/EU (früher: Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG) sind in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG - in überschießender Umsetzung - als absolute Abschiebungsverbote ausgestaltet und bilden einen eigenständigen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (Urteile vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 11 und vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 13 und 16).

12

3.1 Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG mit einer Begründung abgelehnt, die revisionsrechtlicher Prüfung nicht standhält. Nach dieser Vorschrift ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

13

Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieses - die Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU) umsetzenden - Abschiebungsverbots können auch dann erfüllt sein, wenn sich der bewaffnete Konflikt nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstreckt (Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 25). In diesem Fall ist Bezugspunkt für die Gefahrenprognose der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr. Das ist in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (Urteil vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 17 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07, Elgafaji - NVwZ 2009, 705 Rn. 40).

14

Das Berufungsgericht hat dies zutreffend zu Grunde gelegt. Es hat aber nicht geprüft, ob in der Herkunftsregion des Klägers ein bewaffneter Konflikt herrscht, sondern stattdessen auf die Verhältnisse in Kabul als dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel abgestellt, weil der Kläger keinesfalls nach Helmand zurückkehren wolle bzw. werde. Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 14. November 2012 (BVerwG 10 B 22.12 - juris Rn. 7) als geklärt gesehen hat, kommt es für die Frage, welche Region als Zielort der Rückkehr eines Ausländers anzusehen ist, aber weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Ein Abweichen von der Regel kann insbesondere nicht damit begründet werden, dass dem Ausländer in der Herkunftsregion die Gefahren drohen, vor denen ihm § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Schutz gewähren soll. Dies ergibt sich schon aus dem systematischen Zusammenhang der unionsrechtlichen Abschiebungsverbote mit den Bestimmungen über den internen Schutz (Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG; künftig: Art. 8 der Richtlinie 2011/95/EU). Kommt die Herkunftsregion als Zielort wegen der dem Ausländer dort drohenden Gefahr nicht in Betracht, kann er nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG auf eine andere Region des Landes verwiesen werden. Der Begriff des "tatsächlichen Zielortes der Rückkehr" ist daher kein rein empirischer Begriff, bei dem auf die tatsächlich wahrscheinlichste oder subjektiv gewollte Rückkehrregion abzustellen ist. Da es bei § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG um den Schutz vor den Gefahren eines - nicht notwendig landesweiten - bewaffneten Konflikts im Heimatstaat geht, kommt bei der Bestimmung des Ortes der (voraussichtlichen) tatsächlichen Rückkehr der Herkunft als Ordnungs- und Zuschreibungsmerkmal eine besondere Bedeutung zu. Ein Abweichen von der Herkunftsregion kann daher auch nicht damit begründet werden, dass der Ausländer infolge eines bewaffneten Konflikts den personalen Bezug zu seiner Herkunftsregion verloren hat, etwa weil Familienangehörige getötet worden sind oder diese Gebiete ebenfalls verlassen haben. Auch soweit die nachlassende subjektive Bindung zur Herkunftsregion durch Umstände begründet worden ist, die mittelbare Folgen des bewaffneten Konflikts sind (z.B. Beeinträchtigung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur, nachhaltige Verschlechterung der Versorgungslage), und es mangels Existenzgrundlage und Zukunftsperspektive eine nachvollziehbare Haltung ist, nicht in die Herkunftsregion zurückkehren zu wollen, behält diese für die schutzrechtliche Betrachtung grundsätzlich ihre Relevanz. Allerdings ist jedenfalls dann nicht (mehr) auf die Herkunftsregion abzustellen, wenn sich der Ausländer schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben. Durch eine solche freiwillige Ablösung verliert die Herkunftsregion ihre Bedeutung als Ordnungs- und Zurechnungsmerkmal und scheidet damit als Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose bei § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG aus.

15

Diese Ausdeutung des vom Gerichtshof der Europäischen Union - EuGH - (Urteil vom 17. Februar 2009 a.a.O. Rn. 40) verwandten Begriffs des tatsächlichen Zielorts der Rückkehr kann vorgenommen werden, ohne diesem die Rechtssache zur Vorabentscheidung vorzulegen. Der EuGH hat den Begriff in seinem Urteil vom 17. Februar 2009 zwar nicht abschließend definiert. Die hier entfaltete Auslegung trägt aber dem Zweck der Vorschriften über den internen Schutz Rechnung und folgt damit der Vorgabe des EuGH, die Auslegung nationalen Rechts so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen und auf diese Weise Art. 249 Abs. 3 EG (inzwischen: Art. 288 AEUV) nachzukommen (EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 a.a.O. Rn. 42).

16

Das Berufungsurteil verstößt nach den vorstehenden Grundsätzen gegen Bundesrecht, weil es für das Bestehen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nicht die Verhältnisse in der Herkunftsregion des Klägers in den Blick genommen, sondern auf die Lage in Kabul als dem voraussichtlichen Zielort einer Abschiebung abgestellt hat. Den Feststellungen des Berufungsgerichts ist aber nicht zu entnehmen, dass der Kläger sich vor seiner Ausreise dauerhaft in einer anderen Region als Helmand niedergelassen hat. Er ist zwar zunächst mit seiner Lebensgefährtin nach Kabul (und später in den Iran zu seiner Schwester) gegangen. Dies geschah nach seinen Angaben aber allein aus Angst vor dem Vater seiner Lebensgefährtin; zur Dauer und den näheren Umständen des Aufenthalts in Kabul enthält das Berufungsurteil keine Feststellungen. Die vom Berufungsgericht angeführten Erwägungen, warum der Kläger nicht nach Helmand zurückkehren wolle bzw. werde, lassen die Relevanz der Heimatregion für die Gefahrenprognose bei einem bewaffneten Konflikt nicht entfallen.

17

3.2 Das Berufungsurteil beruht auf diesem Fehler. Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine tatsächlichen Feststellungen zur Lage in der Provinz Helmand getroffen. Ob in dieser Region ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrscht und dem Kläger dort die in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG definierte Gefahr droht, kann daher revisionsgerichtlich weder festgestellt noch ausgeschlossen werden.

18

3.3 Die Entscheidung erweist sich hinsichtlich des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO) oder unrichtig, so dass der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden kann.

19

a) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG scheidet nicht schon deshalb aus, weil der Kläger - einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in seiner Herkunftsregion unterstellt - in Kabul internen Schutz finden könnte. Dies würde nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG voraussetzen, dass für den Kläger in Kabul nicht nur keine Gefahr besteht, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, sondern von ihm auch vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält.

20

Auch hierzu fehlen hinreichende tatrichterliche Feststellungen. Das Berufungsgericht hat in Bezug auf Kabul zwar festgestellt, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG nicht vorliegen, weil dort keine extreme Gefahrenlage herrsche und zu erwarten sei, dass Rückkehrer durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Nach Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG muss beim internen Schutz die Existenzgrundlage aber so weit gesichert sein, dass vom Ausländer vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält. Dieser Zumutbarkeitsmaßstab geht über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus; weiterhin offenbleiben kann, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen (vgl. Urteil vom 29. Mai 2008 - BVerwG 10 C 11.07 - BVerwGE 131, 186 Rn. 35).

21

b) Umgekehrt kann auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen auch nicht davon ausgegangen werden, dass das Berufungsurteil hinsichtlich des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes aus anderen Gründen unrichtig ist. Das Berufungsgericht hat vor allem im Ergebnis zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG verneint. Ein solches Abschiebungsverbot ergibt sich - entgegen der Auffassung der Revision - insbesondere nicht aus den allgemeinen humanitären Verhältnissen in Afghanistan.

22

Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Mit diesem Abschiebungsverbot wird Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU) umgesetzt. Die Europäische Kommission hat sich bei der Formulierung dieser Richtlinienbestimmung an Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685) - EMRK - orientiert und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - Bezug genommen (Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen vom 12. September 2001 KOM <2001> 510 endgültig S. 6, 30). Die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK ist bei der Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG auch über Art. 19 Abs. 2 der Grundrechte-Charta (ABl EU 2010 Nr. C 83, 389) - GR-Charta - zu berücksichtigen. Danach darf niemand in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn das ernsthafte Risiko der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht. Dies gilt nach Art. 51 Abs. 1 GR-Charta auch für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union. Nach den gemäß Art. 52 Abs. 7 GR-Charta bei ihrer Auslegung gebührend zu berücksichtigenden Erläuterungen (ABl EU 2007 Nr. C 303 S. 17 = EuGRZ 2008, 92) wird durch die Regelung in Art. 19 Abs. 2 GR-Charta die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK in Auslieferungs-, Ausweisungs- und Abschiebungsfällen übernommen (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 15 und 17).

23

Entgegen der Auffassung der Revision ist der neueren Rechtsprechung des EGMR nicht zu entnehmen, dass sich der Maßstab für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bei Abschiebungen in Staaten mit schwierigen Lebensbedingungen nach den "für alle Menschen gleich geltenden Mindeststandards einer Behandlung" bestimmt. Entsprechendes ergibt sich insbesondere nicht aus der Entscheidung des EGMR im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/06 - NVwZ 2011, 413). Bereits in seinem Beschluss vom 25. Oktober 2012 (BVerwG 10 B 16.12 - juris Rn. 8 f.) hat der Senat dargelegt, dass der EGMR davon ausgeht, dass die Staaten - unbeschadet ihrer vertraglichen Verpflichtungen einschließlich derer aus der Konvention selbst - das Recht haben, die Einreise fremder Staatsbürger in ihr Hoheitsgebiet zu regeln (EGMR, Urteile vom 28. Mai 1985 - Nr. 15/1983/71/107-109, Abdulaziz u. a./Vereinigtes Königreich - NJW 1986, 3007 Rn. 67; vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 54 und vom 28. Juni 2012 - Nr. 14499/09, A.A. u.a. - Rn. 71). Die Abschiebung durch einen Konventionsstaat kann aber dessen Verantwortlichkeit nach der Konvention begründen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. In einem solchen Fall ergibt sich aus Art. 3 EMRK die Verpflichtung, die Person nicht in dieses Land abzuschieben (stRspr, EGMR, Urteile vom 7. Juli 1989 - Nr. 1/1989/161/217, Soering/Vereinigtes Königreich - NJW 1990, 2183 Rn. 90 f. und vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi/Italien - NVwZ 2008, 1330 Rn. 125). Allerdings können Ausländer kein Recht aus der Konvention auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach dieser Rechtsprechung allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (EGMR, Urteil vom 27. Mai 2008 - Nr. 26565/05, N./Vereinigtes Königreich - NVwZ 2008, 1334 Rn. 42). So hat der EGMR ein Abschiebungsverbot aus Art. 3 EMRK zugunsten eines im fortgeschrittenen, tödlichen und unheilbaren Stadiums an Aids Erkrankten angenommen, weil die Abschiebung seinen Tod beschleunigen würde, er keine angemessene Behandlung erreichen könne und kein Beweis für irgendeine mögliche moralische oder soziale Unterstützung im Zielstaat zu erbringen sei (EGMR, Urteil vom 2. Mai 1997 - Nr. 146/1996/767/964, D./Vereinigtes Königreich - NVwZ 1998, 161 Rn. 52 f.). Zusammenfassend führt der Gerichtshof zur Herleitung eines Abschiebungsverbots aus Art. 3 EMRK aufgrund von Krankheiten aus, dass angesichts der grundlegenden Bedeutung von Art. 3 EMRK im System der Konvention zwar eine gewisse Flexibilität notwendig sei, um eine Ausweisung (expulsion) in besonderen Ausnahmefällen zu verhindern. Doch verpflichte Art. 3 EMRK die Staaten nicht, Fortschritte in der Medizin sowie Unterschiede in sozialen und wirtschaftlichen Standards durch freie und unbegrenzte Versorgung von Ausländern ohne Bleiberecht zu beseitigen (EGMR, Urteil vom 27. Mai 2008 a.a.O. Rn. 44).

24

Wie der Senat in seinem Beschluss vom 25. Oktober 2012 (a.a.O. Rn. 9) ausgeführt hat, ist diese gefestigte Rechtsprechung durch das Urteil der Großen Kammer vom 21. Januar 2011 (a.a.O.) im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland nicht grundsätzlich revidiert worden. Dieses Urteil verhält sich - entgegen der Auffassung der Revision - erkennbar nicht zu den "für alle Menschen gleich geltenden Mindeststandards einer Behandlung". Zwar hat der EGMR eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch das Königreich Belgien als abschiebenden Staat angenommen, weil der betroffene Asylantragsteller mit seiner Überstellung an Griechenland als Signaturstaat der EMRK einer Situation äußerster materieller Armut ausgeliefert worden sei, was den belgischen Behörden bewusst gewesen sei (Rn. 263 f., 366 f.). Jedoch erstreckt diese Entscheidung den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ausdrücklich nicht allgemein auf soziale Leistungsrechte; der EGMR betont vielmehr die Fortgeltung seiner insoweit sehr zurückhaltenden Rechtsprechung (Rn. 249 m.w.N.) und begründet seine Entscheidung mit dem Schutz der Menschenwürde von Personen, die - in einem ihnen völlig fremden Umfeld - vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig sind und behördlicher Gleichgültigkeit gegenüberstehen, obwohl sie sich in ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befinden (Rn. 253). Als eine hiernach in Betracht zu ziehende Personengruppe führt der EGMR die Gruppe der Asylsuchenden an, die er als besonders verletzlich und schutzbedürftig qualifiziert (Rn. 251, 259).

25

Dass damit keine generelle Erstreckung des Schutzes nach Art. 3 EMRK auf zu gewährleistende Standards im Heimatstaat des Betroffenen einhergeht, ergibt sich auch aus nachfolgenden Urteilen des EGMR (vgl. Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 9 m.w.N.). In seinem Urteil vom 28. Juni 2011 im Verfahren Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich (Nr. 8319/07 - NVwZ 2012, 681) stellt der EGMR nochmals klar, dass in Abschiebungsfällen nur zu prüfen ist, ob unter Berücksichtigung aller Umstände ernstliche Gründe für die Annahme nachgewiesen worden sind, dass der Betroffene im Fall seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr liefe, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Wenn eine solche Gefahr nachgewiesen ist, verletzt die Abschiebung des Ausländers notwendig Art. 3 EMRK, einerlei, ob sich die Gefahr aus einer allgemeinen Situation der Gewalt ergibt, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (Rn. 218). Zugleich weist der EGMR darauf hin, dass die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Bestimmungsland hingegen nicht notwendig für die Frage bedeutend und erst recht nicht dafür entscheidend sind, ob der Betroffene in diesem Gebiet wirklich der Gefahr einer Misshandlung unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Denn die Konvention zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Die grundlegende Bedeutung von Art. 3 EMRK macht nach Auffassung des EGMR aber eine gewisse Flexibilität erforderlich, um in sehr ungewöhnlichen Fällen eine Abschiebung zu verhindern. In ganz außergewöhnlichen Fällen können daher auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind (Rn. 278). Nur soweit die schlechten humanitären Bedingungen - wie in Somalia - nicht nur oder überwiegend auf Armut oder fehlende staatliche Mittel beim Umgang mit Naturereignissen zurückzuführen sind, sondern überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückgehen, hält der EGMR das im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (a.a.O.) entwickelte Kriterium für besser geeignet, nach dem die Fähigkeit des Beschwerdeführers berücksichtigt werden muss, seine elementaren Bedürfnisse zu befriedigen, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, weiter seine Verletzlichkeit für Misshandlungen und seine Aussicht auf eine Verbesserung der Lage in angemessener Zeit (Rn. 282 f.).

26

Welche Anforderungen sich aus dieser Rechtsprechung des EGMR im Einzelnen für Abschiebungen in den Herkunftsstaat bei schlechten humanitären Bedingungen ergeben, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung. Denn selbst der EGMR geht in Bezug auf Afghanistan davon aus, dass die allgemeine Lage dort nicht so ernst ist, dass eine Abschiebung ohne Weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK wäre (EGMR, Urteil vom 13. Oktober 2011 - Nr. 10611/09, Husseini/Schweden - NJOZ 2012, 952 Rn. 84). Auch auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts liegen die Voraussetzungen für eine allein auf die allgemeinen Lebensbedingungen im Herkunftsland gestützte Verletzung des Art. 3 EMRK ersichtlich nicht vor. Maßgeblich ist dabei die Perspektive des abschiebenden Staates, aus dessen Sicht zu prüfen ist, ob der Betroffene durch die Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Bei dieser Prüfung stellt der EGMR grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat ab und prüft zunächst, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (EGMR, Urteil vom 28. Juni 2011 a.a.O. Rn. 265, 301, 309). Das gilt auch bei der Beurteilung von Umständen, die nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen, dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK aber dennoch eine Abschiebung des Ausländers verbieten.

27

Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass derzeit nur eine Abschiebung nach Kabul möglich ist (UA S. 14). Zugleich hat es sich bezüglich der allgemeinen Lebensbedingungen in Kabul - im Rahmen seiner Ausführungen zu § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG - in tatsächlicher Hinsicht der Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs angeschlossen, dass zu erwarten sei, dass Rückkehrer dort durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten (UA S. 23). Die daran anschließende Bemerkung des Berufungsgerichts, aufgrund der schlechten Gesamtsituation dürfte ohne schützende Familien- und Stammesstrukturen eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten "kaum zumutbar" sein, führt nicht zu einer anderen Bewertung. Sie umfasst nicht die tatsächliche Feststellung, die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Abschiebezielstaat seien so schlecht, dass nach Art. 3 EMRK von einer Abschiebung zwingend abgesehen werden müsse. Mit dieser Formulierung bringt das Berufungsgericht lediglich seine Haltung zum Ausdruck, dass die rechtlichen "Hürden" des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme eines Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG seiner Auffassung nach zu hoch sind, und lässt in der Sache sein Bedauern erkennen, dass die oberste Landesbehörde für Afghanistan keinen generellen Abschiebestopp aus humanitären Gründen gemäß § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG angeordnet hat und das Gericht diese politische Entscheidung - unterhalb der hier nicht erreichten Grenze verfassungsrechtlich gebotenen Abschiebungsschutzes - nicht zu ersetzen vermag (Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 5).

28

Damit liegen die tatsächlichen Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG - ungeachtet des Umstandes, dass bei § 60 Abs. 2 AufenthG und bei § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in rechtlicher Hinsicht unterschiedliche Maßstäbe gelten - ersichtlich nicht vor. Selbst bei Zugrundelegung der - vom EGMR im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland für einen gänzlich anderen Anwendungsfall entwickelten und in den Verfahren Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich auf eine ebenfalls andere Ausgangssituation im Herkunftsstaat übertragenen - abgesenkten und auf die Situation besonderer Verletzlichkeit und Schutzbedürftigkeit bezogenen Maßstäbe ergäbe sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zu den Verhältnissen in Kabul für den Kläger kein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 10).

29

Auch insoweit bedarf es keiner Vorlage an den EuGH. Die Voraussetzungen, unter denen einen abschiebenden Staat aus Art. 3 EMRK ausnahmsweise eine Verantwortung für nicht dem Abschiebezielstaat oder anderen Akteuren zuzurechnende Umstände trifft, ergeben sich aus der Rechtsprechung des EGMR und werfen im vorliegenden Verfahren keine entscheidungserheblichen unionsrechtlichen Zweifelsfragen auf. Die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK ist bei der Auslegung des Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU zu beachten. Dass die Richtlinie in Bezug auf Art. 3 EMRK bei Umständen, die weder in die Verantwortung des Abschiebezielstaats noch eines sonstigen Akteurs fallen, keinen über die Rechtsprechung des EGMR hinausgehenden Schutz gewährt, ergibt sich schon aus Art. 6 der Richtlinie 2011/95/EU (früher: Art. 6 der Richtlinie 2004/83/EG). Denn dieser Vorschrift ist zu entnehmen, dass es nach den Vorstellungen des Richtliniengebers auch beim subsidiären Schutz grundsätzlich eines Akteurs bedarf, von dem ein ernsthafter Schaden ausgehen kann.

30

4. Kann der Senat mangels hinreichender tatrichterlicher Feststellungen weder positiv noch negativ abschließend über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes entscheiden, so ist das Berufungsurteil schon aus diesem Grund aufzuheben und das Verfahren an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, ohne dass es auf die von der Revision fristgerecht erhobenen Verfahrensrügen ankommt. Zur Klarstellung weist der Senat allerdings darauf hin, dass die gerügten Verfahrensfehler nicht vorliegen. Insoweit wird Bezug genommen auf die Ausführungen in den Beschlüssen des Senats vom 25. Oktober 2012 - BVerwG 10 B 16.12 und 10 B 20.12 - zu vergleichbaren Verfahrensrügen des Prozessbevollmächtigten des Klägers. Das Berufungsgericht hat auch nicht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen, weil es den Rechtsstreit nicht dem EuGH vorgelegt hat. Ein solcher Verstoß scheidet schon deswegen aus, weil es nach Art. 267 Abs. 2 AEUV zwar zur Vorlage berechtigt, nicht aber verpflichtet ist. Unabhängig davon liegen die Voraussetzungen für eine Vorlage an den EuGH aber auch nicht vor. Die entscheidungserheblichen Fragen des Unionsrechts sind in der Rechtsprechung des EuGH geklärt bzw. unterliegen keinen Zweifeln, die eine Vorlage rechtfertigen oder gar gebieten. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen.

31

5. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

32

5.1 Das Berufungsgericht wird hinsichtlich des Begehrens auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes vor allem mit Blick auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG auf aktueller Tatsachengrundlage zu klären haben, ob in der Herkunftsregion des Klägers ein bewaffneter Konflikt herrscht und ihm dort die Gefahren drohen, vor denen § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Schutz gewährt. Ist dies der Fall, hat es weiter zu prüfen, ob der Kläger nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG auf die Möglichkeit internen Schutzes in einem anderen Landesteil - insbesondere Kabul - verwiesen werden kann.

33

5.2 Kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes hat, wird es auf aktueller Erkenntnislage auch erneut über den Hilfsantrag des Klägers auf Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 und 3 AufenthG zu entscheiden haben.

34

a) Dabei kann dahinstehen, wie die Aussage des Berufungsgerichts bei § 60 Abs. 5 AufenthG zu verstehen ist, dass bezüglich Art. 3 EMRK die weitergehende und unionsrechtlich aufgeladene Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG "vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen" sei. Sollte das Berufungsgericht damit zum Ausdruck bringen wollen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK durch § 60 Abs. 2 AufenthG verdrängt wird, wäre dies allerdings nicht mit Bundesrecht zu vereinbaren.

35

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 4 AuslG (Urteil vom 11. November 1997 - BVerwG 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen ("zielstaatsbezogene" Abschiebungshindernisse).

36

Der Verweis auf Abschiebungsverbote, die sich aus der Anwendung der EMRK ergeben, umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Bei § 60 Abs. 5 AufenthG sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Soweit § 60 Abs. 5 AufenthG die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland wiederholt, bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung zu berücksichtigen (Art. 3 EMRK), ist der sachliche Regelungsbereich zwar weitgehend identisch mit dem unionsrechtlichen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG und geht über diesen, soweit Art. 3 EMRK in Rede steht, jedenfalls nicht hinaus. Denn § 60 Abs. 2 AufenthG knüpft - wie dargelegt - an Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EG an, der seinerseits die Verantwortung des Abschiebestaats nach Art. 3 EMRK übernimmt. Auch wenn bei Anträgen auf internationalen Schutz der unionsrechtliche Abschiebungsschutz - und damit auch das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG - vor dem nationalen Abschiebungsschutz zu prüfen ist, folgt hieraus in Bezug auf eine Verletzung des Art. 3 EMRK keine (verdrängende) Spezialität des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG, die eine Prüfung des § 60 Abs. 5 AufenthG bereits dem Grunde nach ausschließt. Die Gewährleistung nach nationalem Recht tritt vielmehr selbstständig neben die aus Unionsrecht. Eine tatbestandsausschließende Spezialität des § 60 Abs. 2 AufenthG wäre mit dem hohen Rang, den die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechtsgüter haben, unvereinbar. Damit ist hinsichtlich des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in jedem Fall materiell zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 3 EMRK erfüllt sind. In Fällen, in denen - wie hier - gleichzeitig über die Gewährung unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet allerdings bei Verneinung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind.

37

b) Schließlich soll nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat auch dann abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, grundsätzlich nur nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (Sperrwirkung).

38

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen kann, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (stRspr, vgl. Urteil vom 8. September 2012 - BVerwG 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319 - Rn. 22 f. m.w.N.). Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und - wie bei § 60 Abs. 2 und 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK - zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen.

39

Das Berufungsgericht hat in Anwendung dieser Maßstäbe ein Abschiebungsverbot verneint, weil in tatsächlicher Hinsicht zu erwarten sei, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Dabei hat es weder die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit, dass es infolge der problematischen Versorgungslage, die neben der Versorgung mit Lebensmitteln auch die medizinische Versorgung und die Versorgung mit Wohnraum umfasst, zur Beeinträchtigung fundamentaler Schutzgüter kommen werde, überspannt noch hat es seine tatrichterliche Überzeugung auf einer zu schmalen Tatsachenbasis gebildet. Soweit die Revision geltend macht, das Berufungsgericht habe im Rahmen der Beurteilung einer extremen Gefahrenlage die medizinische Versorgungslage nicht hinreichend berücksichtigt, verkennt sie, dass diese nur bei akut behandlungsbedürftigen Vorerkrankungen oder in Fällen von Bedeutung ist, in denen aufgrund der allgemeinen Lebensverhältnisse mit einer entsprechend hohen Wahrscheinlichkeit eine lebensbedrohliche Erkrankung zu erwarten ist, für die dann faktisch kein Zugang zu medizinischer (Grund-)Versorgung besteht (s.a. Beschluss vom 25. Oktober 2012 - BVerwG 10 B 20.12 - Rn. 14).

40

Soweit das Berufungsgericht im Übrigen der Auffassung ist, das Bundesverwaltungsgericht stelle an das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung überzogene rechtliche Anforderungen, geben die Ausführungen dem Senat keine Veranlassung zu einer Änderung seiner Rechtsprechung. Das Berufungsgericht begründet seine Kritik damit, dass die Zumutbarkeit einer Rückkehr unter humanitären Gesichtspunkten, die es aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen selbst für gesunde alleinstehende Männer "kaum" für gegeben hält, nach der Rechtsprechung "kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG" sei. Mit diesen Erwägungen stellt es dem aus dem Verfassungsrecht abgeleiteten Rechtsbegriff der Zumutbarkeit eine eigene - mit außerrechtlichen Erwägungen begründete und enger gefasste - Zumutbarkeit gegenüber und vermischt damit die Grenze zwischen einer dem Betroffenen rechtlich (noch) zumutbaren und einer nicht (mehr) zumutbaren Rückkehr. Dabei vernachlässigt es zudem, dass es bei der verfassungskonformen Auslegung nicht um die Bestimmung eines aus Sicht des jeweiligen Gerichts "sinnvollen" und/oder "menschenrechtsfreundlichen" Abschiebungsschutzregimes geht, sondern um die Festlegung der Voraussetzungen, unter denen im gewaltenteilenden Rechtsstaat die Rechtsprechung befugt ist, über eine verfassungskonforme Auslegung ausnahmsweise die Entscheidung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, allgemeine Gefahren nur im Rahmen einer Anordnung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen, unbeachtet zu lassen. Hierbei macht es in der Sache einen erheblichen Unterschied, ob ein Mensch ohne jeden Ausweg in eine Situation gebracht wird, in der er so gut wie keine Überlebensmöglichkeit hat, oder ob er bei allen - auch existenzbedrohenden - Schwierigkeiten nicht chancenlos ist, sondern die Möglichkeit hat, Einfluss auf sein Schicksal zu nehmen.

41

Die weiteren Zweifel des Berufungsgerichts, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden könne, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen, betreffen nicht den materiell-rechtlichen Maßstab für die Beurteilung einer extremen Gefahrenlage selbst. Die damit ausgedrückte Kritik an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. Urteil vom 29. Juni 2010 - BVerwG 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226 Rn. 22) vernachlässigt, dass diese Auseinandersetzung nicht als Selbstzweck gefordert wird. Sie zielt auf eine Verbesserung der Entscheidungsqualität durch Verbreiterung der erkennbar in die tatrichterliche Bewertung eingestellten Tatsachen- und Argumentationsbasis. Dies gilt namentlich in Fällen, in denen es - wie hier - im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG um eine "Korrektur" des demokratisch legitimierten Gesetzgebers geht, für die im Rahmen der Tatsachen- und Lagebeurteilung eine umfassende Gesamtwürdigung der voraussichtlichen Lebensbedingungen im Abschiebezielstaat und der damit verbundenen Gefahren erforderlich ist.

Tenor

I.

Der Antrag wird abgelehnt.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 28. April 2014 ist abzulehnen, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG nicht vorliegen.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargestellte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, bisher höchstrichterlich oder - bei tatsächlichen Fragen oder nicht revisiblen Rechtsfragen - durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt, aber klärungsbedürftig und über den zu entscheidenden Fall hinaus bedeutsam ist (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 124 Rn. 36).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Der Kläger hält angesichts der aktuellen Lage für klärungsbedürftig, „dass inzwischen nicht mehr pauschal davon ausgegangen werden [kann], dass Kabul eine inländische Fluchtalternative für jeden gesunden, arbeitsfähigen und volljährigen Mann darstellt. …. Es sollte daher grundsätzlich festgestellt werden, dass ein unausgebildeter Analphabet nicht auf die Unterstützung durch Hilfsorganisationen und Gelegenheitsarbeiten in Kabul verwiesen werden kann“. Er sei Analphabet und habe keine Ausbildung. Die Versorgungslage habe sich drastisch verschlechtert. Unter Bezugnahme auf aktuelle Lageberichte und Berichte in der Süddeutschen Zeitung weist er dann auf die schlechten Lebensbedingungen der Binnenflüchtlinge in Afghanistan hin. Zwischenzeitlich sei von einer unzureichenden Versorgungslage in ganz Afghanistan, auch im Raum Kabul, auszugehen. Damit gebe es bei einer Rückkehr nach Afghanistan keinen Zufluchtsort, an dem das Existenzminimum gewährleistet wäre.

Durch die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (U. v. 3.2.2011 - 13a B 10.30394 - juris; U. v. 8.12.2011 - 13a B 11.30276 - EzAR-NF 69 Nr. 11 = AuAS 2012, 35 -LS-; U. v. 20.1.2012 - 13a B 11.30425 - juris; U. v. 8.11.2012 - 13a B 11.30391 - juris; U. v. 22.3.2013 - 13a B 12.30044 - juris = AuAS 2013, 119 -LS-.; U. v. 4.6.2013 - 13a B 12.30063 - juris). Der Verwaltungsgerichtshof geht, worauf sich auch das Verwaltungsgericht bezieht, davon aus, dass ein arbeitsfähiger, gesunder Mann regelmäßig auch ohne nennenswertes Vermögen im Fall einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland Afghanistan in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten in seiner Heimatregion oder in Kabul ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten. Aus den neueren Lageberichten des Auswärtigen Amts ergibt sich nichts anderes (BayVGH, U. v. 24.10.2013 - 13a B 12.30421 - juris und U. v. 30.1.2014 - 13a B 13.30279 - juris zum Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 4.6.2013).

Im Übrigen hängt es wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab, wann allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen; es entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung (BVerwG, U. v. 29.6.2010 - 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226 = NVwZ-RR 2011, 48). Das gilt insbesondere für den Unterhalt der Familie des Klägers. Das Verwaltungsgericht hat hierzu festgestellt, dass seine Frau und sein Sohn schon derzeit bei einem Onkel lebten und von diesem offenbar versorgt werden. Dem ist der Kläger im Zulassungsantrag nicht entgegengetreten. Soweit der Kläger zusätzlich darauf hinweist, dass sich bei ihm inzwischen eine Asthmaerkrankung entwickelt habe, lässt sich ebenfalls nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise klären, ob ihm deshalb Gelegenheitsarbeiten zugemutet werden können, zumal er dem Attest zufolge derzeit in einem Hotel als Putzhilfe tätig ist. Die Asthmaerkrankung hat sich ferner nicht erst nach Erlass des angefochtenen Urteils entwickelt, wie der Kläger im Zulassungsantrag vorträgt. Vielmehr schilderte er dem untersuchenden Arzt, dass er seit zwei Jahren bei Belastungen kurzatmig sei.

Auch soweit der Kläger geltend macht, es könne nicht mehr pauschal davon ausgegangen werden, dass Kabul eine inländische Fluchtalternative darstelle, scheidet eine Beantwortung in verallgemeinerungsfähiger Weise aus, weil es hierfür ebenfalls ausschlaggebend auf die Würdigung der konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls ankommt (vgl. Kraft in Eyermann, a. a. O., § 132 Rn. 23). Von einer innerstaatlichen Fluchtalternative kann nach § 4 Abs. 3, § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG nicht schon dann ausgegangen werden, wenn für den Betroffenen keine Gefahr besteht, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, sondern weiter, wenn von ihm auch vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - NVwZ 2013, 1167). Dieser Zumutbarkeitsmaßstab geht über das Fehlen einer existenziellen Notlage im Rahmen der analogen Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinaus, erfordert aber eine Einzelfallprüfung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.

(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Juli 2010 - A 4 K 1179/10 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger erstrebt im Wege des Asylfolgeverfahrens die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG.
Der 1979 geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger und gehört der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya an; er stammt aus einem Dorf im pakistanischen Teil des Punjab.
Zum Nachweis seiner Glaubenszugehörigkeit hat er Bescheinigungen der Ahmadiyya Muslim Jamaat Frankfurt vom 02.10.2000, 28.10.2010 sowie vom 06.12.2011 vorgelegt.
Nach seinen eigenen Angaben reiste er am 23.07.2000 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 24.07.2000 einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung im Asylerstverfahren durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 04.08.2000 brachte er im Wesentlichen vor, er gehöre von Geburt an der Religionsgemeinschaft der Ahmadis an und habe deshalb Verfolgungsmaßnahmen erlitten. So sei er beim Besuch der Moschee geschlagen worden. Gleiches sei ihm beim Tragen von religiösen Abzeichen widerfahren. Eines Nachts im Mai des Jahres 2000 sei er beim Bewachen von Getreide durch Diebe zusammengeschlagen worden. Am nächsten Tag habe sein Vater zusammen mit Freunden die Diebe zur Rede gestellt, worüber diese sehr erbost gewesen seien und gedroht hätten, ihn zu töten. Die Familie habe deshalb beschlossen, dass er sein Heimatland verlassen solle.
Mit Bescheid vom 15.09.2000 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Zugleich wurde dem Kläger die Abschiebung nach Pakistan angedroht. Der Kläger erhob hiergegen Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart, die mit Urteil vom 22.05.2001 (A 8 K 12809/00) abgewiesen wurde. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, es fehle an einem glaubhaften individuellen Verfolgungsschicksal des Klägers. Im Übrigen könne bei der gegenwärtigen Erkenntnislage eine Gruppenverfolgung von Ahmadis in Pakistan nicht angenommen werden. Das Urteil wurde durch Nichtzulassung der Berufung mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 09.10.2001 (A 6 S 688/01) rechtskräftig.
In den Jahren 2001 bis 2005 stellte der Kläger insgesamt fünf erfolglose Folgeanträge.
Am 08.12.2008 stellte der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten einen weiteren Asylfolgeantrag und trug zur Begründung vor: Durch die Richtlinie 2004/83/EG habe sich die Rechtslage zu seinen Gunsten nachträglich verändert. Nunmehr sei von einer Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan auszugehen. Art. 10 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2004/83/EG - Qualifikationsrichtlinie (QRL) - präzisiere den Verfolgungsgrund der Religion dahingehend, dass nunmehr auch Glaubensausübungen im öffentlichen Bereich mit umfasst seien. Damit sei unter anderem auch das aktive Missionieren vom Schutzbereich umfasst. Die bisherige Rechtsprechung zum religiösen Existenzminimum könne vor dem veränderten europarechtlichen Hintergrund nicht mehr aufrechterhalten werden. Der Kläger werde von diesen Einschränkungen vor allem der öffentlichen Religionsausübungsmöglichkeiten in Pakistan persönlich betroffen, da er eine religiös geprägte Persönlichkeit sei. So bete der Kläger regelmäßig und besuche die Moschee; er sehe es als seine religiöse Pflicht an, sich zu seinem Glauben zu bekennen und für diesen bei Andersgläubigen aktiv zu werben. Auch bekleide er Ämter innerhalb der religiösen Gemeinde. Im Übrigen habe sich die Verfolgungssituation der Ahmadis in Pakistan erheblich verschärft. Er habe erstmalig Anfang November 2008 von zwei Glaubensgenossen erfahren, dass diese aufgrund von Europarecht durch das Verwaltungsgericht Karlsruhe als Flüchtlinge anerkannt worden seien; er habe sich deshalb am 01.12.2008 an seinen nunmehrigen Prozessbevollmächtigten gewandt.
Mit Bescheid vom 30.03.2010 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Ziffer 1) und auf Abänderung des Bescheids vom 15.09.2000 hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (Ziffer 2) ab.
Am 31.03.2010 erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart mit dem Ziel einer Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie der Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Zur Begründung nahm er im Wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen im Verwaltungsverfahren Bezug. Ergänzend trug er zur aktuellen Lage der Ahmadis in Pakistan vor. Im Übrigen führte er aus, er selbst sei eine religiös geprägte Persönlichkeit und seinem Glauben eng verbunden. Er bete regelmäßig, besuche die Moschee und nehme an den Gemeindeveranstaltungen teil. Insbesondere habe er auch eine Aufgabe innerhalb der Gemeinde, er sei als sog. „Ziafat“ tätig und als solcher für die Organisation der Essenszubereitung bei Gemeindeveranstaltungen zuständig.
10 
Mit Urteil vom 09.07.2010 - A 4 K 1179/10 - verpflichtete das Verwaltungsgericht Stuttgart die Beklagte, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, und hob die Ziffern 1 und 2 des Bescheids des Bundesamtes vom 30.03.2010 auf, soweit sie dem entgegenstehen. Zur Begründung wies das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteile vom 20.11.2007   - A 10 S 70/06 - und vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07) hin. Der Kläger sei von den Restriktionen, die nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in den genannten Urteilen für die öffentliche Glaubensausübung von Ahmadis in Pakistan zu verzeichnen seien, selbst betroffen. Aufgrund der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dieser Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft sei. Das Gericht habe in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass der Kläger eng mit seinem Glauben verbunden sei, diesen in der Vergangenheit regelmäßig ausgeübt habe und dies auch gegenwärtig in einer Weise tue, dass er im Fall einer Rückkehr von der vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg beschriebenen Situation selbst betroffen werde. So habe der Kläger nachvollziehbar geschildert, dass und wie er seinen Glauben hier in Deutschland lebe; er sei aktives Mitglied seiner jetzigen religiösen Gemeinde. Über die geschilderte gemeindeinterne Betätigung hinaus habe der Kläger dargelegt, auch an öffentlichkeitswirksamen überörtlichen Veranstaltungen der Ahmadis teilgenommen zu haben. Nach der Überzeugung des Gerichts sei es ihm ein inneres Bedürfnis, mit anderen über seinen Glauben zu sprechen und für diesen aktiv zu werben.
11 
Am 02.08.2010 beantragte die Beklagte die Zulassung der Berufung.
12 
Mit Beschluss vom 10.01.2011 wurde die Berufung ohne Beschränkung zugelassen.
13 
Am 01.02.2011 begründete die Beklagte die Berufung unter Stellung eines förmlichen Antrags und führte dabei im Wesentlichen aus: Es bestünden bereits erhebliche Zweifel, ob die formellen Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfüllt seien. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bestehe auch in der Sache kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG. Das Verwaltungsgericht folge in fehlerhafter Weise der vom Gerichtshof in seinem Urteil vom 20.05.2008 vertretenen Auffassung, dass sich der Schutzbereich der Religionsausübungsfreiheit unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie wesentlich erweitert habe. An dieser vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Rechtsprechung des Senats könne im Hinblick auf eine neuere Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.03.2009 (10 C 51.07) nicht uneingeschränkt festgehalten werden. In rechtsfehlerhafter Weise habe das Verwaltungsgericht auch die Ziffer 2 des Bescheids vom 30.03.2010 aufgehoben, mit der das Bundesamt die Abänderung des nach altem Recht ergangenen Bescheids vom 15.09.2000 bezüglich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG abgelehnt habe. Die knappe und nicht näher nachvollziehbare Begründung des Urteils deute darauf hin, dass das Verwaltungsgericht den Regelungsgehalt des § 31 Abs. 3 AsylVfG verkenne. Die Voraussetzungen für derartige Abschiebungsverbote lägen im Übrigen nicht vor.
14 
Der Kläger wurde in der mündlichen Verhandlung vom 13.12.2011 informatorisch angehört; insoweit wird auf die Niederschrift verwiesen.
15 
Durch Urteil vom 13.12.2011 (A 10 S 69/11) wurde die Berufung mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor wie folgt gefasst wurde: „Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen. Ziffer 1 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 30.03.2010 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.“ Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG lägen vor. Mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007 am 28.08.2007 sei eine relevante Änderung der Rechtslage i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VwVfG eingetreten (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.12.2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289; Urteil des Senats vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris). Auch sei die Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG mit der Antragstellung am 05.12.2008 gewahrt worden.
16 
Das Gericht gehe im Anschluss an seine Urteile vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07) sowie vom 27.09.2010 (A 10 S 689/08) davon aus, dass sich die maßgebliche Rechtslage bei Anwendung der Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie sowohl hinsichtlich des hier in Rede stehenden Schutzbereichs der Religionsausübungsfreiheit als auch des Prognosemaßstabs für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit geändert habe.
17 
Wie im Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07 - a.a.O.) näher dargelegt, gehe die Vorschrift des Art. 10 Abs. 1 lit. b) QRL nach ihrem eindeutigen Wortlaut über den Schutz hinaus, der nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Art. 16a Abs. 1 GG unter dem Aspekt der religiösen Verfolgungsgründe eingeräumt worden sei, jedenfalls wenn nicht die Gefahr eines Eingriffs in Leib, Leben oder Freiheit aufgrund einer bereits vor Ausreise aus dem Heimatland ausgeübten religiösen Betätigung in Rede stehe (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 - BVerwGE 133, 221). Zur Glaubensfreiheit gehöre somit nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensinhalten und Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln. Teil der Religionsausübung seien nicht nur alle kultischen Handlungen und die Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche, wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozessionen etc., sondern auch religiöse Erziehung, Feiern und alle Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens in der Öffentlichkeit. Umfasst würden schließlich auch das Recht, den Glauben werbend zu verbreiten und andere von ihm zu überzeugen. Die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes setze darüber hinaus voraus, dass eine relevante Verfolgungshandlung des maßgeblichen Verfolgers (vgl. hierzu Art. 6 f. QRL) festgestellt werde, die allein oder in der Gesamtheit mit anderen Verfolgungshandlungen eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts ausmache (vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und b QRL). Erst an dieser Stelle erweise sich im jeweils konkreten Einzelfall, sofern auch die nach Art. 9 Abs. 3 QRL erforderliche Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund festgestellt werden könne, ob der oder die Betreffende die Flüchtlingseigenschaft besitze.
18 
Auf der Grundlage der Feststellungen in den Urteilen vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07) und vom 27.09.2010 (A 10 S 689/08) und deren Fortschreibung bis zur mündlichen Verhandlung drohe einem bekennenden Ahmadi, der zu seinem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehe und seinen Glauben in Pakistan öffentlich betätigen wolle, eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts und damit eine flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL.
19 
Das Gericht habe, insbesondere auch aufgrund der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten informatorischen Anhörung des Klägers, die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden sei und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziere, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Nach dem in der informatorischen Befragung gewonnen Gesamteindruck halte das Gericht die Angaben des Klägers zu seiner Glaubensausübung in Pakistan für uneingeschränkt glaubhaft. Im übrigen habe der Kläger im Rahmen der informatorischen Befragung überzeugend ausgeführt, ein religiös geprägtes Leben in Pakistan geführt zu haben, auch wenn er keine herausgehobene Funktion oder ein Amt in seiner Gemeinde bekleidet habe. Er habe jedoch glaubhaft dargelegt, so oft als möglich, mindestens jedoch dreimal am Tag, das Gebet in der Moschee der Ahmadis verrichtet zu haben. Dies spreche im vorliegenden Fall bereits deshalb für einen engen Glaubensbezug, weil das Aufsuchen der Moschee aufgrund der Berufstätigkeit des Klägers in der Landwirtschaft und der Entfernung der Felder zu der Moschee mit einem erheblichen Aufwand verbunden gewesen sei. Darüber hinaus habe der Kläger glaubhaft geschildert, bei Bedarf in seiner religiösen Gemeinde untergeordnete Tätigkeiten, etwa Reinigungsdienste, ausgeübt zu haben. Auch wenn es sich dabei wohl nicht um eine religiöse Betätigung gehandelt haben dürfte, die über die übliche Glaubensausübung in Pakistan hinausgehe, spreche sie doch für eine enge und verpflichtende Verbundenheit zu dem Glauben der Ahmadiyyas. Was die Angaben des Klägers zu seiner Religionsausübung im Bundesgebiet angehe, seien diese nach dem gewonnenen Eindruck glaubhaft. Das Gericht glaube dem Kläger uneingeschränkt, dass er sich seit seiner Einreise im Jahre 2000 jeweils in der zuständigen Gemeinde der Ahmadis betätige, regelmäßig zum Gebet in die Moschee gehe und verschiedene untergeordnete Tätigkeiten ausübe. So habe der Kläger etwa überzeugend und glaubhaft geschildert, wie er sich unmittelbar nach seiner Einreise zu der Ahmadi-Gemeinde nach XXX begeben und sich dort in vielfältiger Weise sozial und kulturell engagiert habe. Insbesondere habe der Kläger in der Gemeinde XXX nicht nur die in der Heimat bereits geleisteten Hilfsdienste fortgesetzt, sondern sich nunmehr auch öffentlichkeitswirksam religiös betätigt. So habe er sich bereits in XXX monatlich an einem Bücherstand vor dem Bahnhof beteiligt und Andersgläubige in missionarischer Absicht angesprochen. Gerade diese missionarischen Aktivitäten stellten ein wesentliches, wenn auch nicht zwingend erforderliches Indiz für die Annahme einer verpflichtenden Verbundenheit mit dem Glauben der Ahmadis dar. Nach seinem Umzug nach XXX habe der Kläger vor allem auch diese missionarischen Aktivitäten fortgesetzt und intensiviert. Der Senat glaube dem Kläger, im Jahre 2010 einen Landsmann zum ahmadischen Glauben bekehrt zu haben. In diesem Zusammenhang habe der Kläger weiterhin glaubhaft ausgeführt, ihm wohlgesonnene Landsleute regelmäßig zum Besuch seiner eigenen Moschee in missionarischer Absicht eingeladen zu haben. Dies zeige, dass es dem Kläger in Übereinstimmung mit den Glaubensgrundsätzen der Ahmadis ein inneres Anliegen sei, eigene Landsleute von seinem Glauben zu überzeugen. Darüber hinaus nehme der Kläger regelmäßig an überregionalen öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen seiner Glaubensgemeinschaft teil. Auch habe er nachvollziehbar geschildert, in seiner Familie ein streng glaubensgebundenes Leben zu führen und sich insbesondere für die religiöse Erziehung seiner kleinen Tochter einzusetzen. Diesem Eindruck stehe auch nicht entgegen, dass der Kläger lediglich über ein eingeschränktes theologisches Wissen verfüge. Nach der Überzeugung des Gerichts handele es sich bei dem Kläger um einen „einfachen“ Ahmadi, der seinem Glauben jedoch verpflichtend verbunden sei und diesen insbesondere auch öffentlichkeitswirksam, vor allem durch Entfaltung missionarischer Aktivitäten, leben wolle. Damit gehöre der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stünden und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen seien.
20 
Da dem Kläger nach dem oben Gesagten die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen sei, bedürfe es keiner Entscheidung über die hilfsweise begehrte Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht Ziffer 2 des versagenden Bescheides des Bundesamtes vom 30.03.2010 aufgehoben; insoweit sei der Tenor wie erfolgt neu zu fassen.
21 
Das Urteil wurde der Beklagten am 17.01.2012 zugestellt.
22 
Am 16.02.2012 legte die Beklagte die zugelassene Revision ein und begründete diese am 16.03.2012.
23 
Mit Beschluss vom 12.05.2012 setzte das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.12.2010 aus. Nachdem der Europäische Gerichtshof die Vorlagefragen durch Urteil vom 05.09.2012 (C-71/11 u.a.) beantwortet hatte, wurde das Verfahren fortgesetzt.
24 
Durch Urteil vom 20.02.2013 (10 C 23.12) hob das Bundesverwaltungsgericht das Urteil vom 13.12.2011 auf und wies den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurück. Nicht mit Bundesrecht vereinbar sei die vom Berufungsgericht gestellte Verfolgungsprognose. Der Verwaltungsgerichtshof habe das Ergebnis, dass die beschriebenen Verfolgungsgefahren für bekennende Ahmadis bestünden, die ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollten, nicht auf der Grundlage einer nachvollziehbaren Gefahrenprognose entwickelt. Nicht zu beanstanden sei der Ausgangspunkt, dass sich der Kläger nicht mit Erfolg auf eine begründete Furcht vor Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer augenblicklich bestehenden Gruppenverfolgung berufen könne. Das Urteil lasse jedoch nicht erkennen, aufgrund welcher Tatsachen und nach welchem Prognosemaßstab es dann die hinreichende Verfolgungsbetroffenheit für bekennende Ahmadis bejahe, die ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollten. Hänge die Verfolgungsgefahr von einem willensgesteuerten Verhalten ab - hier: der Praktizierung des Glaubens in der Öffentlichkeit -, sei für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben genau in dieser Weise praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Das sei in dem angefochtenen Urteil nicht erfolgt. Das Berufungsgericht habe weder - wie geboten - die Zahl der ihren Glauben entgegen den genannten Verboten öffentlich praktizierenden Ahmadis jedenfalls annäherungsweise bestimmt noch festgestellt, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe träfen. Nur wenn eine wertende Betrachtung ergebe, dass für die Gruppe der ihren Glauben öffentlich praktizierenden Ahmadis in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko bestehe, könne daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die vom Berufungsgericht als verfolgungsbetroffen gewertete Gesamtgruppe der Ahmadis, zu deren religiösem Selbstverständnis die Praktizierung des Glaubens in der Öffentlichkeit gehöre, einem beachtlichen Verfolgungsrisiko ausgesetzt sei.
25 
Der Kläger und die Beklagte haben sich durch Schriftsätze jeweils vom 08.05.2013 sowie vom 29.05.2013 zum Revisionsurteil sowie zu der vom Senat aufgeworfenen Frage nach weiteren Ermittlungsansätzen für die Erstellung der Verfolgungsprognose geäußert. Hierauf wird im Einzelnen verwiesen.
26 
Auf Anregung des Prozessbevollmächtigten des Klägers hat der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ Frankfurt unter dem 06.06.2013 eine Stellungnahme vorgelegt u.a. zu Einzelheiten des Berichts- und Dokumentationssystem zu Übergriffen gegen Ahmadis in Pakistan, das der von der Londoner Organisation betriebenen Website „thepersecution.org“ zugrunde liegt.
27 
Die Beklagte beantragt,
28 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Juli 2010 - A 4 K 1179/10 - zu ändern, soweit die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausgesprochen sowie die Ziffer 1 des Bescheids vom 30. März 2010 aufgehoben wurde, soweit er dem entgegensteht, und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
29 
Der Kläger beantragt,
30 
die Berufung zurückzuweisen.
31 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung erneut informatorisch angehört; wegen der dabei gemachten Angaben wird auf die Anlage zur Niederschrift verwiesen.
32 
Auf die den Beteiligten mit der Ladung übersandte Erkenntnisquellenliste wird verwiesen.
33 
Dem Senat liegen die Asylverfahrensakten des Bundesamts (7 Bd), die Ausländerakten (3 Bd), die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart sowie die Akten des 10. Senats hinsichtlich des streitgegenständlichen Folgeverfahrens vor.

Entscheidungsgründe

 
34 
I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch die Verpflichtung der Beklagten auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie die ergänzende Aufhebung der dem entgegenstehenden Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 30.03.2010. Denn im Berufungsurteil vom 13.12.2011 wurde, wenn auch nicht ausdrücklich im Tenor, die Klage hinsichtlich der Ziffer 2 des Bescheids abgewiesen (vgl. insbesondere auch UA S. 35 unten). Da die Beklagte auch nur in diesem Umfang durch das Urteil beschwert war, muss davon ausgegangen werden, dass sie nur insoweit die zugelassene Revision eingelegt hat, mit der Folge, dass auch die Aufhebung des Urteils vom 13.12.2011 durch das Bundesverwaltungsgericht nur diesen Teil betreffen kann. Die Beteiligten sehen dies nicht anders.
35 
II. Dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und 3 VwVfG vorliegen, wurde im Urteil vom 13.12.2011 im Einzelnen dargelegt. Hierauf kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden.
36 
III. Grundlage für das Begehren des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.
37 
Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 20.02.2013, mit dem der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde, in maßstäblicher Hinsicht folgendes ausgeführt:
38 
„2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 2011/95/EU (zuvor: Richtlinie 2004/83/EG) - im Folgenden: Richtlinie - geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen .
39 
Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie ergänzend anzuwenden. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist. Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen des Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie und den Verfolgungshandlungen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie bestehen.
40 
2.2 Das Berufungsgericht hat die vom Kläger als Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft (Ahmadi) geltend gemachte Verfolgungsgefahr zutreffend als Furcht vor einem Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung gewertet (UA S. 13). Denn Ahmadis droht in Pakistan die Gefahr einer Inhaftierung und Bestrafung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht schon wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft als solcher. Die Verwirklichung der Gefahr hängt vielmehr von dem willensgesteuerten Verhalten des einzelnen Glaubensangehörigen ab: der Ausübung seiner Religion mit Wirkung in die Öffentlichkeit. In solchen Fällen besteht der unmittelbar drohende Eingriff in einer Verletzung der Freiheit, die eigene Religion entsprechend den geltenden Glaubensregeln und dem religiösen Selbstverständnis des Gläubigen zu praktizieren, weil der Glaubensangehörige seine Entscheidung für oder gegen die öffentliche Religionsausübung nur unter dem Druck der ihm drohenden Verfolgungsgefahr treffen kann. Er liegt hingegen nicht in der Verletzung der erst im Fall der Praktizierung bedrohten Rechtsgüter (z.B. Leib, Leben, persönliche Freiheit). Etwas anderes gilt dann, wenn der Betroffene seinen Glauben im Herkunftsland bereits praktiziert hat und ihm schon deshalb - unabhängig von einer willensgesteuerten Entscheidung über sein Verhalten in der Zukunft - unmittelbar die Gefahr z.B. einer Inhaftierung und Bestrafung droht. Eine derartige Vorverfolgung hat das Berufungsgericht hier jedoch nicht festgestellt .
41 
2.3 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat auf Vorlage des Senats durch Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe in die Religionsfreiheit als Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden können .
42 
2.3.1 Der Gerichtshof sieht in dem in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) verankerten Recht auf Religionsfreiheit ein grundlegendes Menschenrecht, das eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft darstellt und Art. 9 EMRK entspricht. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten (EuGH a.a.O. Rn. 57). Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in das durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta garantierte Recht auf Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dar (Rn. 58). Zunächst muss es sich um eine Verletzung dieser Freiheit handeln, die nicht durch gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Grundrechtsausübung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GR-Charta gedeckt ist. Weiterhin muss eine schwerwiegende Rechtsverletzung vorliegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt (Rn. 59). Das setzt nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie voraus, dass die Eingriffshandlungen einer Verletzung der grundlegenden Menschenrechte gleichkommen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf (Rn. 61) .
43 
2.3.2 Zu den Handlungen, die nach der Rechtsprechung des EuGH eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Der Gerichtshof hält es mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie nicht für vereinbar, die Beachtlichkeit einer Verletzungshandlung danach zu beurteilen, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift (Rn. 62 f.). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an der vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung für den Flüchtlingsschutz (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 <19 ff.>) nicht mehr fest. Folglich ist bei der Bestimmung der Handlungen, die aufgrund ihrer Schwere verbunden mit der ihrer Folgen für den Betroffenen als Verfolgung gelten können, nicht darauf abzustellen, in welche Komponente der Religionsfreiheit eingegriffen wird, sondern auf die Art der ausgeübten Repressionen und ihre Folgen für den Betroffenen (Rn. 65 mit Verweis auf Rn. 52 der Schlussanträge des Generalanwalts) .
44 
Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (Rn. 67). Der Gerichtshof verwendet in der verbindlichen deutschen Sprachfassung des Urteils (vgl. Art. 41 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012, ABI L 265/1 vom 29. September 2012) zwar nur den Begriff „verfolgt", ohne dies ausdrücklich auf eine strafrechtliche Verfolgung zu beziehen. Es wäre jedoch zirkulär, den Begriff der „asylerheblichen Verfolgung" durch „Verfolgung" zu definieren. Dafür spricht zudem ein Vergleich der deutschen mit der französischen, englischen und italienischen Fassung des Urteils. In allen drei zum Vergleich herangezogenen Sprachfassungen ist von strafrechtlicher Verfolgung die Rede. Darüber hinaus ist auch die im Fall der Religionsausübung drohende Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben sowie der (physischen) Freiheit hinreichend schwerwiegend, um die Verletzung der Religionsfreiheit als Verfolgungshandlung zu bewerten .
45 
2.3.3 Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Das ergibt sich insbesondere aus der Aussage des Gerichtshofs in Rn. 69, dass schon das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie und somit eine Verfolgung darstellen kann, wenn der Verstoß dagegen die tatsächliche Gefahr der dort genannten Sanktionen und Konsequenzen heraufbeschwört. Kann Verfolgung somit schon in dem Verbot als solchem liegen, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen (z.B. in Leben oder Freiheit) letztlich nicht an .
46 
Diesem Verständnis der Entscheidung, das den Flüchtlingsschutz gegenüber der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorverlagert, steht nicht entgegen, dass der Gerichtshof in seinen Ausführungen auf die Gefahr abstellt, die dem Ausländer bei „Ausübung dieser Freiheit" (Rn. 67 und 72) bzw. der „religiösen Betätigung" (Rn. 73, 78 und 79 f.) droht. Denn damit nimmt dieser lediglich den Wortlaut der entsprechenden Vorlagefragen 2a und 3 des Senats auf, ohne dass darin eine notwendige Voraussetzung für die Flüchtlingsanerkennung liegt. Könnte nicht schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen, blieben Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten (so auch Lübbe, ZAR 2012, 433 <437>). Diese Erstreckung auch auf einen erzwungenen Verzicht entspricht dem Verständnis des britischen Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) in seinem Grundsatzurteil vom 14. November 2012 - MN and others [2012] UKUT 00389(IAC) Rn. 79) betreffend die religiöse Verfolgung von Ahmadis in Pakistan und dem Urteil des Supreme Court of the United Kingdom betreffend die Verfolgung wegen Homosexualität vom 7. Juli 2010 (HJ v. Secretary of State for the Home Department [2010] UKSC 31 Rn. 82). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an seiner vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 a.a.O. <23>) nicht mehr fest .
47 
2.3.4 Nach der Rechtsprechung des EuGH hängt die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu erfüllen, von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (Rn. 70). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.2). Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (so auch Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen vom 19. April 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11, Rn. 82) .
48 
Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit sieht der Gerichtshof den Umstand an, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (Rn. 70). Denn der Schutzbereich der Religion erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet (Rn. 71). Dabei bestätigt der EuGH die Auffassung des Senats, dass es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers ankommt, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270 Rn. 43). Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist .
49 
Der vom EuGH entwickelte Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nach dem Verständnis des Senats nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste (vgl. zu den strengeren Maßstäben der Rechtsprechung zur Gewissensnot von Kriegsdienstverweigerern: Urteil vom 1. Februar 1982 - BVerwG 6 C 126.80 - BVerwGE 64, 369 <371> m.w.N.). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (so schon Beschluss vom 9. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 43) .
50 
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Bei Ahmadis aus Pakistan ist zunächst festzustellen, ob und seit wann sie der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehören. Hierbei dürfte sich die Einholung einer Auskunft der Zentrale der Glaubensgemeinschaft in Deutschland anbieten, die ihrerseits auf die Erkenntnisse des Welt-Headquarters in London - insbesondere zur religiösen Betätigung des Betroffenen in Pakistan - zurückgreifen kann (so auch das britische Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14. November 2012 a.a.O. Leitsatz 5). Nähere Feststellungen über die religiöse Betätigung eines Ausländers vor seiner Ausreise verringern auch das Risiko einer objektiv unzutreffenden Zuordnung zu einer Glaubensgemeinschaft (s.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. November 2012, S. 14). Zusätzlich kommt die Befragung eines Vertreters der lokalen deutschen Ahmadi-Gemeinde in Betracht, der der Asylbewerber angehört. Schließlich erscheint im gerichtlichen Verfahren eine ausführliche Anhörung des Betroffenen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in aller Regel unverzichtbar. Wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger seinen Glauben in Pakistan nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, sind die Gründe hierfür aufzuklären. Denn der Verzicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung im Herkunftsland kennzeichnet die religiöse Identität eines Gläubigen dann nicht, wenn er aus begründeter Furcht vor Verfolgung erfolgte. Ergibt die Prüfung, dass der Kläger seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechender Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen .
51 
2.3.5 Das Verbot einer öffentlichen religiösen Betätigung als solches kann aber nur dann als hinreichend schwere Verletzung der Religionsfreiheit und damit als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden, wenn der Asylbewerber - über die soeben genannten objektiven und subjektiven Gesichtspunkte hinaus - bei Ausübung der verbotenen öffentlichkeitswirksamen Glaubensausübung in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Das bedeutet, dass die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen müssen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (Richtlinie 2011/95/EU: Art. 2 Buchst. d) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 22). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. Urteile vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.> und vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 24). Im vorliegenden Fall kommt es darauf an, ob der Kläger berechtigterweise befürchten muss, dass ihm aufgrund einer öffentlichen religiösen Betätigung in Pakistan, die zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schweren Rechtsgutverletzung droht, insbesondere die Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.4) .
52 
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht für pakistanische Staatsangehörige in ihrem Heimatland allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft noch keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr (UA S. 32). Eine solche droht nur „bekennenden Ahmadis", die „ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollen" (UA S. 33). Das Berufungsgericht hält zur Feststellung der Verfolgungswahrscheinlichkeit die für eine Gruppenverfolgung geltenden Maßstäbe insoweit mit Recht nicht für vollumfänglich übertragbar, als eine Vergleichsbetrachtung der Zahl der stattgefundenen Verfolgungsakte zur Gesamtzahl aller Ahmadis in Pakistan (etwa 4 Millionen) oder der bekennenden Ahmadis (500 000 bis 600 000) die unter Umständen hohe Zahl der Glaubensangehörigen unberücksichtigt ließe, die aus Furcht vor Verfolgung auf ein öffentliches Praktizieren ihrer Religion verzichten. Hängt die Verfolgungsgefahr aber von dem willensgesteuerten Verhalten des Einzelnen - der verbotenen Ausübung des Glaubens in der Öffentlichkeit - ab, ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben trotz der Verbote in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Dabei ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass die Ausübung religiöser Riten in einer Gebetsstätte der Ahmadis bereits als öffentliche Betätigung gewertet und strafrechtlich sanktioniert wird. Die Zahl der ihren Glauben in strafrechtlich verbotener Weise praktizierenden Ahmadis ist - bei allen damit verbundenen, auch dem Senat bekannten Schwierigkeiten - jedenfalls annäherungsweise zu bestimmen. In einem weiteren Schritt ist sodann festzustellen, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe treffen. Dabei ist insbesondere zu ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ahmadi inhaftiert und bestraft wird, der entgegen den Vorschriften des Pakistan Penal Code bei seiner Glaubensausübung religiöse Begriffe und Riten des Islam benutzt, seinen Glauben öffentlich bekennt oder für ihn wirbt. Bei der Relationsbetrachtung, die die Zahl der ihren Glauben verbotswidrig in der Öffentlichkeit praktizierenden Ahmadis mit der Zahl der tatsächlichen Verfolgungsakte in Beziehung setzt, ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine wertende Betrachtung handelt, die auch eventuell bestehende Unsicherheiten und Unwägbarkeiten der staatlichen Strafverfolgungspraxis mit einzubeziehen hat. Besteht aufgrund einer solchen Prognose für die - möglicherweise zahlenmäßig nicht große - Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe der Ahmadis, für die diese öffentlichkeitswirksamen Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist .
53 
2.4 Bei Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind alle Akte zu berücksichtigen, denen der Antragsteller ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden droht, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten können (vgl. Urteil des EuGH vom 5. September 2012 a.a.O. Rn. 68). Liegt keine Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vor, ist weiter zu prüfen, ob sich eine solche aus einer Gesamtbetrachtung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ergibt. Buchstabe a erfasst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Nach Buchstabe b kann auch eine Kumulation unterschiedlicher Maßnahmen die Qualität einer Verletzungshandlung haben, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Buchstabe a. Die Maßnahmen im Sinne von Buchstabe b können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen .
54 
In Buchstabe a beruht die Schwere der Eingriffshandlungen auf ihrer Art oder Wiederholung („nature or repetition"). Während die „Art" der Handlung ein qualitatives Kriterium beschreibt, enthält der Begriff der „Wiederholung" eine quantitative Dimension (so auch Hailbronner/Alt, in: Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1072 Rn. 30). Der Gerichtshof geht in seinem Urteil vom 5. September 2012 (Rn. 69) davon aus, dass das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen kann. Der Qualifizierung als „ein" Verbot steht nicht entgegen, dass dieses in mehreren Strafvorschriften des Pakistan Penal Code mit unterschiedlichen Straftatbeständen normiert ist. Das Verbot kann von so schwerwiegender „Art" sein, dass es für sich allein die tatbestandliche Voraussetzung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfüllt. Andere Maßnahmen können hingegen unter Umständen nur aufgrund ihrer Wiederholung vergleichbar gravierend wirken wie ein generelles Verbot .
55 
Setzt die Erfüllung des Tatbestandes von Buchstabe a mithin eine bestimmte gravierende Eingriffshandlung oder die Wiederholung gleichartiger Handlungen voraus, ermöglicht die Tatbestandsalternative des Buchstabe b in einer erweiterten Perspektive die Berücksichtigung einer Kumulation unterschiedlicher Eingriffshandlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie aufgeführt sind. Die Kumulationsbetrachtung entspricht auch dem Verständnis des UNHCR vom Verfolgungsbegriff in Art. 1 A Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rn. 53). In die nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie erforderliche Gesamtbetrachtung können insbesondere verschiedenartige Diskriminierungen gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft einbezogen werden, z.B. beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen (vgl. UNHCR Richtlinie vom 28. April 2004 zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung, HCR/GIP/04/06 Rn. 17). Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Buchstabe a entspricht .
56 
Daher sind bei der Prüfung einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie zunächst alle in Betracht kommenden Eingriffshandlungen in den Blick zu nehmen, und zwar Menschenrechtsverletzungen wie sonstige schwerwiegende Repressalien, Diskriminierungen, Nachteile und Beeinträchtigungen. In dieser Prüfungsphase dürfen Handlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie genannt werden, nicht vorschnell deshalb ausgeschlossen werden, weil sie nur eine Diskriminierung, aber keine Menschenrechtsverletzung darstellen (ähnlich Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz - Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, Kapitel 4 § 13 Rn. 18). Zunächst ist aber zu prüfen, ob die Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vorliegt. Ist das nicht der Fall, ist weiter zu prüfen, ob die Summe der nach Buchstabe b zu berücksichtigenden Eingriffe zu einer ähnlich schweren Rechtsverletzung beim Betroffenen führt wie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie. Ohne eine fallbezogene Konkretisierung des Maßstabs für eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie kann die bewertende Beurteilung nach Buchstabe b, ob der einzelne Asylbewerber unterschiedlichen Maßnahmen in einer so gravierenden Kumulation ausgesetzt ist, dass seine Betroffenheit mit der in Buchstabe a vergleichbar ist, nicht gelingen. Stellt das Gericht hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der „Betroffenheit in ähnlicher Weise" keine Vergleichsbetrachtung mit den von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfassten Verfolgungshandlungen an, liegt darin ein Verstoß gegen Bundesrecht“ .
57 
IV. Ausgehend hiervon besteht zwar kein Grund zu der Annahme, dass bereits aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya unterschiedslos die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter dem Aspekt einer Gruppenverfolgung vorliegen. Etwas anderes ergibt sich jedoch für die bekennenden Ahmadis, die es nach ihrem Glaubensverständnis für sich als identitätsbestimmend ansehen, ihren Glauben – auch werbend – in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. hierzu im Folgenden und auch noch unten 2 e); vgl. schon VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.05.2008 - A 11 S 3032/07 - juris; vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris).
58 
1. a) Zum Hintergrund der heutigen Situation der Ahmadis in Pakistan hatte der HessVGH bereits im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A - juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
59 
„Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
60 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
61 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bay. VGH am 22.01.1985, S. 7).
62 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
63 
b) Auch die aktuell verfügbaren Zahlen zur Größe der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern bzw. diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.02.2008, Ziff. 19.41 und vom 07.12.2012, Ziff. 19.98, das von 291.000 bis 600.000 bekennenden Ahmadis ausgeht). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 02.11.2012, S. 13) wiederum nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien. Der vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 im Verfahren A 12 K 2890/12 vernommene Raja Muhammad Yousaf Khan, der Mitarbeiter des „Ahmadiyya Muslim Jamaat e.V., Frankfurt“ ist, hat ausgesagt, dass der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ von etwa 400.000 bekennenden Ahmadis in Pakistan ausgeht, die er als solche Personen beschreibt, die regelmäßig Kontakt zu den lokalen Gemeinden haben, wobei sich aus der Niederschrift keine genauer nachvollziehbaren Hinweise ablesen lassen, wie diese Zahl ermittelt bzw. hergeleitet wurde. Der Umstand, dass in den anlässlich der jüngst abgehaltenen Wahl erstellten Wählerverzeichnissen (sog. „Nada-Dateien“) nur rund 200.000 wahlberechtigte Ahmadis geführt werden, stellt die Zahl von 400.000 nicht grundsätzlich infrage, weil Ahmadis seit Jahren schon die Wahlen selbst boykottieren (vgl. unten Ziffer 2 a). Der Senat kann nicht davon ausgehen, dass alle etwa 400.000 „bekennenden Ahmadis“ auch solche sind, für die das Leben ihres Glaubens in der Öffentlichkeit und ggf. das Werben für den Glauben identitätsbestimmend und daher unverzichtbar sind (vgl. zur Eingrenzung der Gruppe noch unten 2 e), was allerdings nach der – auch offiziellen – Lehre der Ahmadiyya-Bewegung von zentraler Bedeutung ist (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16). Denn der bloße regelmäßige Kontakt zur lokalen Gemeinde ist hierfür sicher unzureichend, zumal, wie noch auszuführen sein wird, das gemeinsame Gebet jedenfalls in kleineren Gebetshäusern in der Regel faktisch möglich ist, selbst wenn es auch hier vermutlich immer wieder Übergriffe und Einschränkungen bzw. staatliche Verfolgungsmaßnahmen gibt. Nach dem International Religious Freedom Report Pakistan des United States Department of State für das Jahr 2011 (S. 2) waren allerdings überhaupt keine verlässlichen Daten über die Anzahl der Ahmadis, die sich aktiv an religiösen Ritualen oder Gottesdiensten beteiligen, verfügbar oder von den amerikanischen Stellen zu ermitteln, was dann gleichermaßen für diejenigen gelten muss, die aktiv den Glauben vertretend und praktizierend in der Öffentlichkeit auftreten. Vergleichbares gilt im Übrigen – angesichts der Größe des Landes für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar – für die Ermittlung verlässlicher Daten zur Frage der Häufigkeit von Übergriffen auf Ahmadis in Pakistan von Seiten privater Akteure (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2011 Ziff. 19.162). Zwar werden von den im Inland- und Ausland ansässigen Organisationen der Ahmadiyya-Gemeinschaft regelmäßig (monatliche und jährliche) Zusammenstellungen über – v.a. von nicht staatlichen Akteuren ausgehende – Übergriffe auf Ahmadis herausgegeben und ins Internet gestellt (www.thepersecution.org/), es ist aber auch nach dem Vortrag der Beteiligten für den Senat kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass diese auf einem lückenlosen und landesweit vernetzten Berichtssystem beruhen und daher auch nur annäherungsweise vollständig sein könnten, was die Stellungnahme des „Ahmadiyya Muslim Jammaat“ vom 06.06.2013 bestätigt. Abgesehen davon ist auch nicht gesichert, dass die Betroffenen ausschließlich oder jedenfalls überwiegend solche Ahmadis sind, die ihrem Glauben in einer Weise innerlich verpflichtet sind, dass sie diesen bekennend und ggf. werbend bzw. sogar missionierend in die Öffentlichkeit tragen bzw. tragen wollen. Eine Durchsicht der Zusammenstellung für Januar bis Dezember 2011 ergab, dass eindeutige Aussagen nur für einen Teil der beschriebenen Vorfälle gemacht werden können.
64 
Der Senat sieht vor diesem Hintergrund keinen erfolgsversprechenden Ermittlungsansatz, um die so beschriebene Teilmenge (Ahmadis, für die das öffentlich Bekennen und ggf. Werben für den Glauben identitätsbestimmend ist) aus der Teilmenge der „bekennenden Ahmadis“ der Größe nach präziser festzustellen, zumal dann in diesem Zusammenhang landesweit auch sehr subjektiven Voraussetzungen und Merkmalen, d.h. inneren Tatsachen nachgegangen werden müsste. Es ist namentlich nicht erkennbar, dass in Pakistan die Zahl dieser Personen überhaupt statistisch erfasst wird, bzw. dass es eine Stelle geben könnte, die über solches Zahlenmaterial verfügt. Die Ausführungen von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart machen hinreichend deutlich, dass nicht einmal die offiziellen Vertreter der Ahmadis in Westeuropa in diesem Zusammenhang über belastbare Zahlen hinsichtlich dieser Personengruppe verfügen, was nach dessen Ausführungen letztlich darin begründet ist, dass aus Furcht vor Verfolgung heute praktisch kein Ahmadi mehr in der Öffentlichkeit seinen Glauben lebt und für diesen wirbt. Dabei hatte Herr Khan nicht ausgeschlossen, dass auf individueller Ebene in einem privaten Gespräch noch für den Glauben geworben würde, wie oft dies heute noch geschehe, lasse sich – zu Recht – nicht seriös beziffern, da es niemanden gebe, der hierüber Aufzeichnungen mache, die Fälle auswerte und dann zähle. Auch das vom Upper Tribunal - Immigration and Asylum Chamber in seinem Urteil „MN and others“ (Pakistan CG <2012> UKUT 00389) vom 14.11.2012 verwertete Zahlenmaterial führt hier letztlich nicht weiter, weil dieses sich nicht direkt auf die Zahl des hier festzustellenden Personenkreises und dessen Größe bezieht. Das Bundesamt wie auch der Kläger haben keine Wege aufgezeigt, wie verlässliches und nicht nur spekulatives Zahlenmaterial zu erlangen sein könnte. Der Senat sieht sich – ungeachtet der völkerrechtlichen Hindernisse – auch im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nicht gehalten, ein Institut mit einer repräsentativen Untersuchung in Pakistan oder einer erstmals dort durchzuführenden statischen Erhebung zu betrauen, abgesehen davon, dass der Senat keine Anhaltspunkte dafür hat, dass eine verlässliche Untersuchung in Pakistan überhaupt in angemessener Zeit geleistet werden kann. Umso weniger lassen sich verlässliche Zahlen darüber ermitteln, wie viele Ahmadis aus der Teilmenge der Ahmadis, für die das öffentliche Bekennen oder sogar Werben identitätsbestimmend ist, trotz aller Verbote, Strafverfolgungsmaßnahmen und gewichtigen Übergriffe privater Akteure gleichwohl ihren Glauben öffentlich leben und für ihn öffentlich eintreten oder gar werben (vgl. zur der vom Bundesverwaltungsgericht in Rdn. 33 geforderten Relationsbetrachtung im Einzelnen noch unten 2c).
65 
2. Die Lage der Ahmadis in Pakistan wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
66 
a) Der Islam wurde in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist zwar von Verfassung wegen garantiert (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 2 f.). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit qualifiziert und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. wer auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
67 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren und nur solche Personen auf diesen Listen wählen können. Um hingegen ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4; U.S. State Department, Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 38; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.104 ff.; Rashid, Pakistan’s failed Commitment: How Pakistan’s institutionalised Persecution of the Ahmadiyya Muslim Community violates the international Convenant on civil and political Rights, S. 25). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA, Lagebericht vom 02.11.2012, S. 13).
68 
b) Seit 1984 bzw. 1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und die gewissermaßen der Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung dienen.
69 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143):
70 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
71 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ameerui Mumineen’, ‚Khalifar-ul-Mimineem’, ’Shaabi’ oder ‚Razi-Allah-Anho’ bezeichnet oder anredet;
72 
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ummul-Mumineen’ bezeichnet oder anredet;
73 
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ahle-bait’ bezeichnet oder anredet;
74 
d) sein Gotteshaus als ‚Masjid’ bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
75 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als ‚Azan’ bezeichnet oder den ‚Azan’ so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
76 
Sec. 298 C lautet:
77 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
78 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
79 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
80 
Der Vollständigkeit halber sollen in diesem Zusammenhang noch erwähnt werden (vgl. auch Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.32):
81 
- Sec. 298 A (Gebrauch abschätziger bzw. herabsetzender Bemerkungen in Bezug auf heilige Personen; Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, Geldstrafe oder beides);
82 
- Sec. 295 (Beleidigung oder Schändung von Orten der Verehrung mit dem Zweck bzw. Ziel, eine Religion jeder Art herabzusetzen, Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahre, Geldstrafe oder beides);
83 
- Sec. 295 A (Vorsätzliche und böswillige Handlungen mit dem Zweck die religiösen Gefühle jeden Standes zu verletzen durch Beleidigung der Religion oder des Glaubens, Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren, Geldstrafe oder beides) und
84 
- Sec. 295 B (Beleidigung bzw. Verächtlichmachung des Heiligen Korans, lebenslange Freiheitsstrafe).
85 
Alle genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch schon ausführlich HessVGH, Urteil vom 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris, Rdn. 92 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.1992 - 2 BvR 1263/92 - juris, m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; vom 25.01.1995 - 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere dort auch noch zur mittlerweile irrelevanten Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen in weiten Teilen diskriminierende, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR (vgl. auch Art. 52 Abs. 1 GRCh) zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c) RL 2004/83/EG (identisch mit RL 2011/95/EU) erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, Urteil vom 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960, Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/), wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Soweit man einzelne Bestimmungen im Ansatz noch als zulässige Begrenzung der Religionsfreiheit ansehen wollte (etwa Sec. 298 C letzte Variante), fehlt allerdings schon jede tatbestandliche Eingrenzung, vielmehr wird mit ihrer begrifflichen Weite ein Einfallstor für Willkür eröffnet (vgl. hierzu noch unten d). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und weshalb zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind (so noch BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts), weshalb auch offen bleiben kann, ob unter dem Regime der Qualifikationsrichtlinie eine derart weitgehende Beschränkung der Religionsfreiheit für die Betroffenen, wie sie das Bundesverfassungsgericht für das Asylgrundrecht noch für richtig gehalten hat, hinzunehmen und unionsrechtskonform wäre. Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten vermittelnden Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen gerade nicht von ihnen ausgehen (vgl. hierzu auch Rashid, Pakistan’s Failed Commitment, S. 32), sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie mittlerweile auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan vom 10.09.2007, S. 6 und 10 und nunmehr Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.12, 19.27, 19.44, 19.121, 19.127 und 19.145). Von einer legitimen Begrenzung der religiösen Betätigung von Ahmadis kann auch deshalb keine Rede sein, weil der pakistanische Staat keine effektiven legislativen und exekutiven Maßnahmen ergreift, um dem aggressiven Wirken entgegenzutreten und den Minderheiten – als Kehrseite möglicher ihnen auferlegter maßvoller Beschränkungen – einen wirklich geschützten Freiraum für ihr Wirken bereitstellt (vgl. zur Weite der Vorschriften und ihrer grenzenlosen Auslegung bzw. Anwendung unten d).
86 
c) Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung nach Sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, wurden nach dem Bericht „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (Annex II), den auch das Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14.11.2012 als relevant angesehen hat (dort Rdn. 30, Fn. 6), im Zeitraum April 1984 bis 31.12.2011 offiziell insgesamt 3.820 „Police Cases“ gegen Ahmadis registriert, davon 299 wegen „Blasphemie“, zuzüglich über 60.000 Verfahren (wegen Sec. 298 C) gegen den sich am 28. Mai 2008 ausdrücklich aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Begründung des Khalifentums öffentlich zu den Ahmadis bekennenden Teil der Bevölkerung von Rabwah (jetzt Chenab Nagar oder Tschinab Nagar; vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006), die 2009 noch anhängig gewesen waren (Home Office Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.136; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorités religieuses, 31.08.2009, S. 9), mittlerweile aber eingestellt wurden (vgl. Khan an das VG Stuttgart vom 09.05.2013). Bereits im Jahre 1989 waren schon einmal Verfahren gegen alle Ahmadis von Rabwah wegen des Vorwurfs nach Sec. 298 C eingeleitet worden, die im Jahre 2006 noch anhängig waren (vgl. hierzu Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 10 f. und 35), aber vermutlich auch eingestellt wurden; diese nach dem genannten Bericht nicht genauer bezifferten Verfahren müssen daher im Grundsatz noch bei der Zahl von Ermittlungsverfahren berücksichtigt werden. Auch wenn diese augenscheinlich nicht konsequent oder nur gegenüber Einzelnen betrieben werden, so ist doch aus der Tatsache, dass sie erst nach einigen Jahre förmlich eingestellt und immerhin im Abstand von 10 Jahren zweimal eingeleitet wurden, nur der Schluss zu ziehen, dass sie instrumentalisiert wurden, um die Betroffenen massiv einzuschüchtern. Aus diesem Grund können diese Verfahren bei der vorzunehmenden wertenden Gesamtbetrachtung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Allerdings dürfen sie nicht mathematisch exakt in eine quantitative Bewertung eingerechnet werden, weil es in der Regel jedenfalls zu keinen Anklagen gekommen ist und andernfalls ein unzutreffendes Bild von der Wirklichkeit ergäbe.
87 
Das Home Office (Ziff. 19.49) spricht für den Zeitraum 1986 bis 2006 allein von 695 Verfahren spezifisch wegen Blasphemie (sec. 295 C), in denen es auch zu Anklagen gekommen ist, darunter 239 Ahmadis; insgesamt wurden im Zeitraum 1984 bis 2004 über 5.000 Anklagen gegen Ahmadis mit einem religiösen Hintergrund erhoben. Im Juni 2011 waren mindestens 14 Verfahren gegen Ahmadis anhängig gewesen, in denen (nicht rechtskräftig) die Todesstrafe verhängt worden war (Ziff. 19.39). Nach vermutlich anderen Quellen sind von 1984 bzw. 1987 bis 2011 1.117 Personen wegen Blasphemie angeklagt worden (Ziff. 19.50). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären (Ziff. 19.134 ff.). Weitere aussagekräftige Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Die Beklagte hat solche auch nicht mitgeteilt bzw. aufgezeigt, wie noch verlässliche Informationen zu erlangen sein könnten.
88 
Bei Rashid (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 und 28 f.) finden sich folgende Zahlen: Seit 1984 wurden 764 Ahmadis angeklagt, weil sie die Kalima gezeigt bzw. gelesen hatten, 38 wurden wegen der Verwendung des Gebetsrufs angeklagt; 434 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich als Muslim bezeichnet hatten, 161 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich islamischer Terminologie in der Öffentlichkeit bedient hatten; 93 Anklagen bezogen sich auf das Verrichten von Gebeten in der Öffentlichkeit und 719 Anklagen wurden wegen öffentlichen Predigens und Werbens für den Glauben erhoben. Auch bei Rashid werden die Verfahren gegen 60.000 Ahmadis aus Rabwah erwähnt. Insbesondere erwähnt Rashid, dass allein im Jahre 2009 mindestens 74 Ahmadis eines Deliktes nach Sec. 295 C Penal Code beschuldigt worden seien.
89 
Mit Blick auf die grundsätzlich vom Bundesverwaltungsgericht geforderte Relationsbetrachtung (Rdn. 33) ist in diesem Zusammenhang allerdings zu bemerken, dass nicht alle vorgenannten Verfahren notwendigerweise und uneingeschränkt Glaubensbetätigungen betreffen müssen, die gerade in der Öffentlichkeit stattfinden. Diese Annahme liegt deshalb nahe, weil etwa falsche Verdächtigungen und Anschuldigungen (vgl. hierzu auch unten d) auch andere Hintergründe und Vorwürfe zum Inhalt haben können. Diese Zahlen sind daher von ihrer Struktur wenig geeignet, als Grundlage der Relationsbetrachtung zu dienen. Der Senat sieht aber auch hier keinen konkreten erfolgversprechenden Ermittlungsansatz, wie der Anteil verlässlich festzustellen sein sollte, der spezifisch Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit betrifft, und zum anderen, um wie viele Personen es sich dabei gehandelt haben könnte, für die ein öffentlichkeitswirksames Agieren zum identitätsbestimmenden und unverzichtbaren Merkmal des eigenen Glaubensverständnisses zählt.
90 
d) Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz, oftmals nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt auch darauf beruht, dass sie häufig durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 14; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.59 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 15 ff., und 2012, S. 17 ff.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2). In der Regel werden die eines Verstoßes gegen die Blasphemiebestimmungen Beschuldigten bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.53; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing The International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, 14.05.2012, S. 6). Dieser Umstand ist vor allem auch deshalb so gravierend, weil Folter auf Polizeistationen und in Haft an der Tagesordnung ist (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 23; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 6; Asia Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 21 ff.). Die Haftbedingungen werden als teilweise sogar lebensbedrohend bezeichnet (vgl. SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 4 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, S. 9). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt. Die Bestimmung der Sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von Sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten im Sinne von Sec. 295 C (vgl. hierzu im Einzelnen schon HessVGH, U. v. 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris - Tz. 46 und 69). Generell werden alle genannten Vorschriften wegen ihrer begrifflichen Unbestimmtheit bzw. der schwammigen Formulierungen weit und zulasten der Ahmadis ausgelegt und angewendet. Sie sind daher ein (offenes) Einfallstor für blanke Willkür. So kommt es etwa zu Anklagen gegen Eltern, wenn sie ihre Kinder Mohammed nennen (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.103; vgl. auch Ziffer 19.139).
91 
Die Strafvorschriften werden dabei nicht selten auch gezielt genutzt, um – auch aus eigensüchtigen Motiven – Ahmadis mit falschen Anschuldigungen unter Druck zu setzen und zu terrorisieren (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.57 f.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 15). Die Anzeigeerstatter laufen dabei keine Gefahr, wegen falscher Anschuldigung verfolgt zu werden. Eine Anzeige kann zudem erhebliche Konsequenzen für die Betroffenen und ihre Familien haben. So wurden zwischen 1986 bis 2010 34 Personen, die nach den Blasphemiegesetzen angeklagt worden waren, von privaten Akteuren umgebracht; im Jahre 2010 wurden allein vier Personen (zwei Christen und zwei Muslime) getötet (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47); auch die Familien werden in Drohungen und Einschüchterungen einbezogen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47 und 19.52; AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12). In diesem Zusammenhang ist etwa die radikal-islamische Gruppierung „Khatm-e-Nabuwwat“ („Siegel der Prophetenschaft“) zu erwähnen, die u.a. mit diesen Mitteln gezielt und völlig ungestraft gegen Ahmadis vorgeht (vgl. auch AA, Lagebericht 02.11.2012, S. 14; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 13 ff.; vgl. zu der Organisation noch im Folgenden unter Ziff. 2.g). Zwar hat die Gruppierung in der Vergangenheit etwa gegenüber der „Parliamentary Human Rights Group“ (vgl. S. 8 f.) den Versuch unternommen, ihr Verhältnis zu den Ahmadis und ihre Vorgehensweise diesen gegenüber als wesentlich offener und zurückhaltender darzustellen. Bereits zum damaligen Zeitpunkt hatte dem aber etwa der Präsident von amnesty international Pakistan deutlich widersprochen (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8). Durch die neueren Entwicklungen sind diese Aussagen der Gruppierung ohnehin eindeutig überholt bzw. widerlegt (vgl. unten Ziffer 2 g; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013).
92 
Die Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen die Blasphemiebestimmungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte hinziehen und zu keinem Ende gebracht werden, was einschneidende Folgen für die Betroffenen hat, selbst wenn sie sich in Freiheit befinden. Denn sie müssen sich in der Regel alle 15 bis 30 Tage bei der ermittelnden Polizeistation, die sich oftmals nicht an ihrem Wohnort befindet, melden, auch wenn das Verfahren gar nicht konkret gefördert wird (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 12 f.).
93 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen (vgl. Sec. 295 und 295 A), in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn religiöse Gefühle der Ahmadis und anderer religiöser Minderheiten durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 3; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.33).
94 
Der Versuch einer Reform der Blasphemiegesetze ist vollständig gescheitert, insbesondere im Kontext der Ermordung des Gouverneurs von Punjab und des Minsters für Minderheiten im Jahre 2011 (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.76; UNHCHR, Guidelines, S.11 f.; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2011, March 2012, S. 82 und 89 f.; vgl. auch Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 29 f., mit Hinweisen auf öffentliche Äußerungen des pakistanischen Ministers Babar Awan sowie des Premierministers Gilani aus Anlass der Verurteilung der christlichen Frau Asia Bibi). Eine Änderung zum Positiven ist auch mit Rücksicht auf das Ergebnis der Präsidentenwahlen im Mai diesen Jahres, die der Vorsitzende der Muslimliga Nawaz Sharif gewonnen hat, nicht zu erwarten.
95 
Eine im Jahre 2004 eingeführte Reformmaßnahme, wonach nur höhere Offiziere die Ermittlungen führen dürfen, hat nach übereinstimmender Einschätzung keine Verbesserungen gebracht (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12; UNHCR, Guidelines, S. 15).
96 
In den verwerteten Dokumenten wird auch von einem völligen Scheitern und Versagen der Strafjustiz und der Strafverfolgungsorgane gesprochen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.42 f.; UNHCR, Guidelines, S. 6; Parlamentary Human Rights Group (PHRG), Report of PHRG Fact Finding Mission To Pakistan, 24.09.2010, S. 9 f.).
97 
Zwar wurde im September 2008 eine Kommission für Angelegenheiten der Minderheiten installiert (vgl. UNHCR, „Guidelines“, S. 4). Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass diese irgendwelche substantiellen Verbesserungen gebracht hat (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.29; vgl. hierzu auch Upper Tribunal Urteil vom 14.11.2012, S. 15; vgl. auch U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, S. 121 f., wonach zwar von einigen positiven Schritten in jüngster Zeit berichtet wird, die die pakistanische Regierung an höchster Stelle unternommen haben soll, von wirkungsvollen Ergebnissen, insbesondere für das tägliche Leben landesweit, spricht der Report jedoch nicht; es liegt dem Senat auch keine andere Quelle vor, die diesbezüglich verwertbare Informationen enthielte).
98 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen und seine faktische Umsetzung in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte, was exemplarisch durch die in den Jahren 1998 und 2008 gegen alle Einwohner eingeleiteten Verfahren deutlich wird (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.132 ff.). Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten Ziff. 3.b).
99 
e) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf denen öffentlich gebetet wird (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 4, und von 2011, S. 14; U.S. State Department: Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 30; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.143; Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 32). Das gilt insbesondere für die nach ihrem gelebten Glaubensverständnis essentielle jährliche Versammlung („Jalsa Salana“), die letztmals 1983 stattfinden konnte und an der damals 200.000 Gläubige teilnahmen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Jalsa_Salana).
100 
Allerdings wird es Ahmadis nicht von vornherein unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies sicherlich oftmals der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben wird (vgl. schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan von 2011, S. 4), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen (vgl. auch Upper Tribunal, Urteil vom 14.11.2012, S. 18). Möglich ist dieses aber nur noch in kleineren Gebetshäusern, die einen eingeschränkten Bezug zur Öffentlichkeit haben (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Angeben von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart, wonach an Stelle der früheren, 18.000 bis 19.000 Gläubige fassenden Moschee in Rabwah mittlerweile viele kleine Gebetshäuser entstanden sind; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Gefahrlos ist dieses aber auch nicht. Denn die gemeinsame Ausübung des Glaubens wird immer wieder dadurch behindert bzw. unmöglich gemacht, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird oder solche auch von staatlichen Organen zerstört werden (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.132, 19.141 ff., 154; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4 und 13 ff.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3), während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können; Gebetshäuser oder Versammlungsstätten werden immer wieder von Extremisten überfallen (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan,10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.). Gleichwohl geht der Senat in Ermangelung gegenteiliger aussagekräftiger Informationen davon aus, dass Angehörige der Ahmadiyya, die nur derartige Glaubensbetätigungen an den Tag legen und für sich als verbindlich betrachten, damit noch kein „real risk“ eingehen, (von wem auch immer) verfolgt zu werden. Die vom Kläger benannten Fälle, in denen in diesem Jahr auch Verfahren wegen einer Versammlung in (kleineren) Gebetshäusern eingeleitet wurden, stellen diese Annahme nicht grundsätzlich infrage. Anhaltspunkte für die gegenteilige Annahme lassen sich insbesondere auch nicht der Aussage von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 entnehmen (vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Insbesondere ergibt sich aus der Aussage nicht, dass auch diese Personen ihre Aktivitäten vollständig eingestellt haben und etwa die Ahmadi-Gemeinden in Pakistan gewissermaßen nur noch auf dem Papier existieren würden. Im Gegenteil: Allen verwerteten Erkenntnismitteln wie auch den Angaben von Herrn Khan liegt nach Überzeugung des Senats – wenn auch mehr oder weniger unausgesprochen – zugrunde, dass es noch ein, wenn auch eingeschränktes, lokales Gemeindeleben gibt. Treffen in großem Stil zu in erheblichem Maße identitätsstiftenden gemeinsamen Gebeten in ihren großen Moscheen, die die Ahmadis jedoch nicht so nennen dürfen, finden hingegen nicht mehr statt (vgl. die Aussage von Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013). Allerdings ist der Umstand, dass heute auch das gemeinsame Gebet abseits der großen Öffentlichkeit immer wieder behindert und gestört wird bzw. Auslöser für Strafverfahren und Übergriffe privater Akteure sein kann, für die gerichtlicherseits vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 34 ff.) gleichwohl nicht irrelevant, da sie die Lage auch der bekennenden, ihren Glauben in die Öffentlichkeit tragenden Ahmadis mit prägen.
101 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel, andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 7). In diesem Zusammenhang ist aber hervorzuheben, dass sich die Ahmadis als „predigende Religion” verstehen, zu deren sittlichen Verpflichtung es rechnet, den Glauben zu verbreiten und zu verkünden (vgl. Report of the Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16).
102 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 14).
103 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten von Ahmadis im weitesten Sinn werden regelmäßig beschlagnahmt und verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus noch Verbreitung (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 3 und 4 und von 2011, S. 7 und 13 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 30 ff.; vgl. zur Zeitung „Alfzal“ auch Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 37, mit einer Kopie der Verbotsverfügung des Innenministers von Pakistan vom 08.05.2006 und S. 49 f.).
104 
Die Ahmadyyia Gemeinde ist die einzige Gruppe, der ihre im Jahre 1972 verstaatlichten Bildungseinrichtungen (seit 1996) nicht zurückgegeben wurden (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 13 f.)
105 
f) Nur der Vollständigkeit halber soll zur Abrundung des Gesamteindrucks noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden: Die frühere (überdurchschnittliche) Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen ständig (vgl. AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148 f. und 19.164; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report for 2011, S. 5 und 15 f.; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 10; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65, vom 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148, 19.149, 19.164; Immigration and Refugee Board of Canada, S. 3).
106 
g) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligem Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen bewusst untätig zugesehen und sie geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Country Reports on Human Rights Practices Pakistan, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 9 f.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und 4). Dabei wurden in jüngster Vergangenheit auch gezielt Häuser und Geschäfte von Ahmadis niedergebrannt (Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 4). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah. Diese bereits für frühere Zeiträume beschriebene Situation hat sich mittlerweile erheblich verschärft. Es wird übereinstimmend ein vorherrschendes Klima von privaten Akteuren verursachter Gewalt beschrieben, wobei die Gewaltakte bzw. die Aufrufe hierzu regelmäßig sowohl in ordnungsrechtlicher wie erst recht in strafrechtlicher Hinsicht für die Urheber folgenlos bleiben. Es werden regelmäßig regelrechte Hasskampagnen, insbesondere auch Versammlungen und Kundgebungen durchgeführt, auf denen gegen die Ahmadis gehetzt wird und die Besucher aufgewiegelt werden (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.127 f., und sehr ausführlich und anschaulich „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“, S. 2 ff.). Die Wirkungsmächtigkeit der Aktivitäten der maßgeblichen Organisationen sowie einer Vielzahl radikaler Mullahs beruht zu einem guten Teil auf dem Umstand, dass weite Teile der Bevölkerung ungebildet, wenn nicht gar des Schreibens und Lesens nicht mächtig und daher leicht beeinflussbar sind und vor allem das glauben, was sie in den Moscheen hören (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6).
107 
Effektiver Schutz ist regelmäßig nicht zu erlangen (vgl. etwa UNHCR, Guidelines, S. 22; Parliamantary Human Rights Group (PHRG), Fact Finding Mission To Pakistan, S. 3; vgl. beispielhaft zur offensichtlich fehlenden Bereitschaft, den erforderlichen Schutz zu gewähren Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 19, 24 f. und 33 f.). Besonders tut sich in diesem Zusammenhang die Organisation „Khatm-e-Nabuwwat“ hervor (vgl. ausführlich hierzu Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.112 bis 19.119; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8 f.), aber auch die Taliban werden als Urheber benannt (vgl. Rahsid, Pakistan’s failed Commitment, S. 31 ff.). Exemplarisch ist ein Vorfall vom 28.05.2010 anzuführen, bei dem Extremisten der „Khatm-e-Nabuwwat“ anlässlich des Freitagsgebets in Lahore gut koordinierte Angreifer vor zwei Ahmadi-Moscheen „Kill-all“-Rufe skandieren und schließlich die Moscheen stürmen ließen; am Ende wurden 85 Ahmadis getötet und 150 weitere verletzt (Ziff. 19.125; vgl. zum Angriff auf eine Moschee in Rawalpindi am 02.02.2012, Ziff. 19.154). Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass die Organisation mit einem Schwerpunkt auch in Rabwah tätig wird (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.114 f.).
108 
Insgesamt vermittelt die Zusammenstellung des Home Office (Ziff. 19.112 bis 19.147) ein gutes und informatives, aber auch äußerst bedrückendes Bild. Seit 1974 wurden fast 300 Ahmadis allein wegen ihres Glaubens von nicht staatlichen Akteuren getötet. Im Jahre 2010 waren es allein 99. Wie schon erwähnt (vgl. oben IV 1), sind aber verlässliche und aussagekräftige Zahlen nicht zu ermitteln (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.162). Im Hinblick auf die anzustellende Relationsbetrachtung (vgl. hierzu unten Ziffer 3 a) ist bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass im Zusammenhang mit der Benennung der Zahlen nicht zum Ausdruck gebracht wird, wie hoch der Anteil der Betroffenen ist, der die Glaubensbestätigung in der Öffentlichkeit als einen identitätsbestimmenden Teil ihres Glaubens betrachtet. Eine Durchsicht der Zusammenstellung „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (S. 23 ff.) zeigt dies nur zu deutlich; teilweise lässt sich nicht bestimmen, ob der oder die Betreffende dieses Merkmal erfüllt oder nicht. Über das Ausmaß (nur) schwerer nicht tödlich endender Eingriffe in die körperliche Integrität liegen überhaupt keine verlässlichen Zahlen vor (vgl. auch Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Diese Eingriffe und ihr Ausmaß sind aber für die Beurteilung bzw. Qualifizierung des Bedrohungspotentials gleichfalls von erheblicher Relevanz, da sie – neben den staatlichen Verboten und strafrechtlichen Sanktionen - ebenfalls von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung sein können, ob jemand seinen Glauben aktiv in die Öffentlichkeit trägt oder dieses unterlässt.
109 
Nicht speziell in Bezug auf Ahmadis berichtet Rashid zu Todesfällen aufgrund religiös motivierter Gewalt: 2007 seien es über 1.500 gewesen, im Jahre 2008 2.155, im Jahre 2009 über 2.300. Im Jahre 2010 sei die Zahl zwar auf 1.796 zurückgegangen, um dann aber im Jahre 2011 wiederum auf mindestens 2.545 Fälle zu steigen (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 f., dort auch zu Zahlen von Todesopfern unter den Minderheiten der Christen und Hindus; vgl. auch Asian Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 8, wonach in den letzten drei Jahren über 800 Shia Muslime (Schiiten) durch religiöse Gewalt getötet worden seien, ohne dass staatliche Organe irgendwelche glaubwürdigen Gegenmaßnahmen ergriffen hätten; vgl. hierzu auch U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 2012, S. 124). Die sanktionslosen Gewaltexzesse gehen sogar so weit, dass etwa im Juni 2006 ein ganzer von Ahmadis bewohnter Teil eines Dorfes (Jhando Sahi) niedergemacht und zerstört wurde, ohne dass dieses Konsequenzen nach sich gezogen hätte (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 18 und 45 ff.). Andere Quellen sprechen davon, dass nachweisbar 210 Ahmadis wegen ihres Glaubens getötet worden seien; zudem weiß man hiernach von 254 entsprechenden Mordversuchen zu berichten (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.131). In diesen Zahlen dürften die Opfer des Anschlags vom 28.05.2010 in Lahore (siehe oben) allerdings noch nicht enthalten sein.
110 
Dieses Bild der Schutzlosigkeit der Ahmadis wird ergänzt durch die seit 2011 zunehmenden Berichte von Schändungen von Ahmadi-Gräbern im gesamten Punjab (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.156). Zudem schwenken in jüngerer Zeit die Medien, nicht nur das staatliche Fernsehen, sondern auch die traditionell eigentlich eher liberale englischsprachige Presse auf die Anti-Ahmadi-Rhetorik ein. Dies hat zur Folge, dass sich die Auffassung, Ahmadis folgten einer Irrlehre und seien keine Muslime bzw. Apostaten, in der Mehrheitsbevölkerung allgemein durchzusetzen und zum Allgemeingut zu werden beginnt, was zu einer weiteren Verschärfung der allgegenwärtigen Diskriminierungen der Ahmadis führt (Ziff. 19.150). Die Parliamentary Human Rights Group prognostiziert, dass Pakistan – nicht zuletzt auch mit Rücksicht auf seinen Umgang mit den Ahmadis - dabei sei, zu einem „failed state“ zu verkommen (vgl. S. 3). Nach Überzeugung des Senats sind die Ahmadis mittlerweile in eine Situation geraten, in der sie mit guten Gründen im traditionellen mittelalterlichen Sinn als „vogelfrei“ bezeichnet werden können. Dies gilt im Ausgangspunkt für alle „bekennenden“ Ahmadis, auch wenn sie ihren Glauben nicht bekennend und für ihn werbend bewusst in die Öffentlichkeit tragen (wollen). Für den Senat bestehen aber, wie bereits eingangs ausgeführt, keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass für jeden Angehörigen dieser Gruppe bereits ein „reales Risiko“ besteht.
111 
Typisch für das Klima der Gewalt ist etwa eine Äußerung des früheren Ministers für Religionsangelegenheiten Amir Liaquat Hussain, die dieser ungestraft im Jahre 2008 in einer beliebten Fernsehshow gemacht hatte, wonach es sowohl notwendig sei, aber auch dem Islam entspreche, alle Ahmadis zu töten (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 23). Im Dezember 2010 konnte ein einflussreicher Kleriker, Yousef Qureshi, 6.000 US Dollar für die Ermordung der Christin Asia Bibi ausloben, ohne dass dieses irgendwelche Konsequenzen für ihn hatte. Nach der Ermordung des Gouverneurs der Provinz Punjab, der sich für eine Reform der Blasphemiegesetze stark gemacht hatte, am 03.01.2011, wurde dessen Tod richtiggehend gefeiert. Dabei konnten ungestraft 500 Kleriker öffentlich verkünden, dass dessen Tod ein Sieg für das gesamte Land sei (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 30).
112 
Von der Parlamantary Human Rights Group wird – gut nachvollziehbar – bereits bezogen auf das Jahr 2006 die Lage so eingeschätzt, dass der gesamte Prozess der Regierung nicht mehr umkehrbar entglitten ist und sie gewissermaßen die Geister, die sie rief, nicht mehr in los wird (vgl. Januar 2007, S. 8).
113 
3. a) Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) schon im Jahre 2005 und somit vor der mittlerweile stattgefundenen und weiter stattfindenden Verschärfung der Lage in der Weise zusammenfassend charakterisiert worden war, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellte und stellt nunmehr umso mehr für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen identitätsbestimmender Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL dar. Der Präsident von amnesty international Pakistan wurde dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführe, dass es niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.; vgl. aber zur gleichfalls prekären, durch Marginalisierung und Armut geprägten und sich zunehmend verschlechternden Lage der Christen U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, 121 ff., 125 f.; UNHCR, Guidelines, S. 25 ff.)
114 
Von zentraler Bedeutung für die Einschätzung der Lage der Ahmadis durch den Senat ist dabei das gegen sie gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot, sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis in vielfältiger Weise insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b) QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen weiteren Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c) QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn namentlich jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung oder sonstiger Leib und Leben gefährdender Übergriffe möglich sind. Diese Verbote sind auch eine wesentliche ideologische Absicherung und Grundlage für das zunehmend aggressiv werdende Handeln privater Akteure gegenüber Mitgliedern der Religionsgemeinschaft der Ahmadis. Die Blasphemiegesetze werden von Human Rights Watch Asia als ein wesentlicher Nährboden für die zunehmende extremistische und religiös begründete Gewalt beschrieben und bewertet (so Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 16 f.; vgl. auch ders. S. 9 mit dem Hinweis, dass eine weitere Ursache der Gewalt jedenfalls gegenüber den Ahmadis darin zu erblicken sei, dass es diese konsequent und einschränkungslos ablehnen, den Islam mit Gewalt zu verbreiten; vgl. auch Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6 und 9 die zusätzlich darauf hinweist, dass in der muslimischen Mehrheitsbevölkerung die Ansicht weit verbreitet ist, die Ahmadiyya Bewegung sei ein Produkt der britischen Kolonisatoren, um die Muslime zu spalten). Die Kehrseite von alledem ist dann, dass auch der solchermaßen erzwungene Verzicht auf öffentlichkeitsbezogenes Glaubensleben bei dem hier in den Blick zu nehmenden Personenkreis eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt, die für sich betrachtet bereits die maßgebliche Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt und die selbst auf Eingriffshandlungen zurückzuführen ist, die ihrer Art und Wiederholung nach keine gleichartigen Eingriffshandlungen ausmachen (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL; vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 37). Denn bezogen auf das jeweilige betroffene Subjekt ist gewissermaßen in erster Linie das Ergebnis bzw. der Erfolg relevant, nämlich den Glauben nicht mehr öffentlichkeitswirksam in zumutbarer Weise auszuüben oder ausüben zu können. Eine Unterscheidung zwischen einem durch staatliche Maßnahmen induzierten Verzicht (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a) QRL) und einem solchen, der auf das Handeln nicht staatlicher Akteure zurückgeht ist (vgl. dann Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL), ist dabei nicht möglich und wäre völlig lebensfremd. Sie würde namentlich an der Realität in Pakistan vorbeigehen. Die Beweggründe für einen bekennenden Ahmadi, entgegen seinem verpflichtenden Glaubensverständnis den Glauben gleichwohl nicht in die Öffentlichkeit zu tragen, können und werden notwendigerweise nicht eindimensional sein.
115 
Bei diesem Ausgangspunkt kann für die bei einem – wie hier – unverfolgt ausgereisten Ahmadi, der glaubhaft erklärt hat, er werde im Falle der Rückkehr aus Furcht seinen Glauben nicht öffentlich bekennen bzw. für ihn werben, anzustellende Verfolgungsprognose nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung bezogen auf den hier zu betrachtenden Personenkreis rechtfertigen würden. Geht man von deutlich mehr als 60.000 eingeleiteten Strafverfahren (zuzüglich der im Jahre 1989 gegen die Bewohner Rabwahs eingeleiteten Verfahren, deren Zahl nicht bekannt ist) in einem Zeitraum von knapp dreißig Jahren aus, so darf allerdings nicht unterstellt werden, dass jedes dieser Verfahren schon mit einem relevanten Verfolgungseingriff verbunden war (vgl. hierzu auch oben 2 c). Daher erscheint auf den ersten Blick dann eine darunter liegende Zahl eher zu gering und nicht geeignet zu sein, eine ausreichende Verfolgungswahrscheinlichkeit zu begründen. Hiermit kann es aber nicht sein Bewenden haben. Hinzugezählt werden müssen, wie bereits erwähnt, nämlich die vielfältigen und unzweifelhaft zahlreichen, strafrechtlich bzw. ordnungsrechtlich nicht geahndeten Verfolgungsakte privater Akteure, die das tägliche Leben eines gläubigen und in der Öffentlichkeit bekennenden Ahmadi unmittelbar in sicherheitsrelevanter Weise berühren, wenn nicht gar prägen und in dieses eingreifen, wobei allerdings, wie bereits ausgeführt, die Eingriffe seriös und belastbar nicht quantifiziert werden können. Entgegen dem in Rdn. 33 des Revisionsurteils vermittelten Eindruck kann bei der Relationsbeurteilung auch nicht allein darauf abgestellt werden, in wie viel Fällen Strafverfahren eingeleitet und durchgeführt wurden bzw. werden. Denn das erzwungene Schweigen der hier interessierenden Personengruppe, das den relevanten Verfolgungseingriff darstellen kann, beruht, wie bereits ausgeführt, auch, wenn nicht gar überwiegend, auf den gewalttätigen, Leib und Leben gefährdenden bzw. sogar verletzenden Handlungen privater Akteure, die ungehindert und ungestraft vorgehen können und die damit nach Art. 6 lit. c) QRL flüchtlingsrechtlich relevant sind. Wollte man diesen Faktor unberücksichtigt lassen, würde ein völlig falsches Bild von der Situation der Ahmadis und deren Motivationslage gewonnen. Der Senat sieht sich nicht durch § 144 Abs. 6 VwGO gehindert, im Kontext der Relationsbetrachtung eine (unerlässliche) Ergänzung um diesen Gesichtspunkt vorzunehmen, weil er – nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Ausführungen unter Rdn. 25 des Revisionsurteils - nicht zu erkennen vermag, dass die Vorgaben des Revisionsurteils an dieser Stelle abschließenden Charakter haben. Wenn das Bundesverwaltungsgericht dort davon spricht, dass die vom Europäischen Gerichtshof angesprochene Verfolgung eine strafrechtlich relevante sein müsse, so wird diese Interpretation zwar vom Kläger infrage gestellt, gleichwohl sprechen aus der Sicht des Senats die besseren Gründe für die Sichtweise des Bundesverwaltungsgerichts. Zwar führt dieses dann dazu, dass die Verfolgungshandlungen der strafrechtlichen Verfolgung wie auch der Bestrafung nur solche sein können, die von staatlichen Akteuren ausgehen. Dieses gilt jedoch nicht in gleicher Weise für die unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung, die ohne weiteres auch nicht staatlichen Akteuren zugeordnet werden kann. Leibes- und lebensbedrohende Übergriffe privater Akteure auf einen Andersgläubigen sind aber zwanglos als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu begreifen.
116 
Aus allen vorliegenden Informationen kann nach Überzeugung des Senats auch der hinreichend verlässliche Schluss gezogen werden, dass für diejenigen Ahmadis, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und das Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen, in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko besteht, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen (würden). Denn bei dieser wertenden Betrachtung ist auch das erhebliche Risiko für Leib und Leben - insbesondere einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten bzw. gravierenden Übergriffen privater Akteure - zu berücksichtigen, sodass an den Nachweis der Verfolgungswahrscheinlichkeit keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen. Es entspricht der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung auch schon dann vorliegen kann, wenn aufgrund einer „quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für die Realisierung eines Verfolgungseingriffs besteht. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise eher nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er sein Heimatstaat verlassen soll oder in dieses zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber - wie im Falle der Ahmadi in Pakistan - jahrelange Haft, Folter oder gar Todesstrafe oder Tod oder schwere Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit seitens Dritter riskiert (BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162; vgl. nunmehr auch Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - Rdn. 32). Handelt es sich demnach um einen aktiv bekennenden Ahmadi, für den die öffentliche Glaubensbetätigung zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, muss landesweit von einem realen Verfolgungsrisiko ausgegangen werden.
117 
Selbst wenn man realistischer Weise nicht der Einschätzung des vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 12.03.2013 vernommenen Herr Khan folgt, dass es etwa 400.000 bekennende Ahmadis in Pakistan gebe und im Wesentlichen alle aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen auf eine öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigung verzichten und nicht etwa teilweise auch aus Opportunität, weil sie letztlich doch nicht so eng dem Glauben verbunden sind bzw. weil für sie der spezifische Öffentlichkeitsbezug nicht Teil ihres bestimmenden religiösen Selbstverständnisses ist, so kann doch nicht von der Hand gewiesen werden, dass es angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten, lebens- und leibesbedrohenden Übergriffe extremistischer Gruppen für viele gläubige Ahmadis der gesunde Menschenverstand nahelegen, wenn nicht gar gebieten wird, öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für viele Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Gemeinschaft der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit sei nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks. Diese seit nunmehr weit über nahezu 30 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und -bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Eine verlässliche Zahl derer, die aus Furcht vor staatlichen und/oder privaten Eingriffen auf eine Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit verzichten, ist in diesem Zusammenhang naturgemäß nicht zu ermitteln, da hierüber keine Aufzeichnungen gemacht und Statistiken geführt werden und es sich regelmäßig auch um innere Meinungsbildungsprozesse handeln wird.
118 
Allerdings sieht sich der Senat nicht in der Lage, eine besondere und zusätzliche Relationsbetrachtung (vgl. Rdn. 33 des Revisionsurteils), die der Absicherung der Einschätzung und zur Plausibilisierung des Verfolgungsrisikos dienen soll, in quantitativer Hinsicht vollständig anzustellen. Wie bereits ausgeführt, lässt sich der in diesem Zusammenhang einzusetzende Faktor der Zahl derjenigen Ahmadi, die trotz aller Verbote, Strafandrohungen, Strafverfahren, verhängter Strafen sowie Leib oder Leben gefährdender Angriffe privater Akteure weiter öffentlichkeitswirksam agieren, nicht annähernd zuverlässig ermitteln, woran die Relationsbetrachtung bereits scheitern muss, wobei ergänzend anzumerken ist, dass nach den einleuchtenden Ausführungen von Herrn Khan gegenüber dem VG Stuttgart alles dafür spricht, dass es eine relevante Anzahl überhaupt nicht mehr gibt. Diese faktischen Grenzen der Ermittlungsmöglichkeiten dürfen allerdings nicht zwangsläufig zu Lasten der Schutzsuchenden und Schutzbedürftigen gehen. Wenn sich aus anderen Erkenntnisquellen plausible Schlussfolgerungen ziehen lassen, die noch hinreichend verlässlich sind, gebietet es im Interesse eines wirksamen und menschenrechtsfreundlichen Flüchtlingsschutzes der unionsrechtliche Grundsatz des „effet utile“, damit sein Bewenden haben zu lassen.
119 
Der Senat verwertet allerdings die von Herrn Khan beim Verwaltungsgericht Stuttgart gemachten Angaben, wonach grundsätzlich jeder Ahmadi, der heute auf öffentlichen Plätzen für seinen Glauben werben würde, damit zu rechnen hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar erhebliche Nachteile zu erleiden (wie Gewaltanwendung staatlicher Organe oder privater Akteure, Strafverfahren und strafrechtliche Sanktionen), weshalb derartiges faktisch kaum mehr stattfindet. Da diese Einschätzung nach den oben gemachten Feststellungen ohne weiteres plausibel ist, sieht der Senat keinen Anlass an deren Zuverlässigkeit zu zweifeln, auch wenn Herr Khan, der als Flüchtling anerkannt ist, sicherlich insoweit gewissermaßen „Partei“ ist, als er selber Ahmadi und unmittelbar den Institutionen der Glaubensgemeinschaft der Ahmadis in Deutschland verbunden ist. Nimmt man noch den von Herrn Khan geschilderten Gesichtspunkt hinzu, dass heute praktisch kein Ahmadi mehr in den großen Moscheen bzw. Gebetshäusern erscheint, um in Gemeinschaft mit anderen am öffentlichen Gebet teilzunehmen, sei es aus Furcht vor staatlichen Eingriffen, sei es (noch wahrscheinlicher) vor privaten Akteuren, so muss nach Überzeugung des Senats von einer (ausreichend) hohen Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, dass ein Ahmadi, der sich nicht um Verbote etc. kümmert und gleichwohl in der Öffentlichkeit agiert, Opfer erheblicher Ein- und Übergriffe werden wird, und deshalb der Verzicht auf ein öffentlichkeitswirksames Glaubensbekenntnis in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Verboten und dem Verhalten privater feindlicher Akteure steht und maßgeblich hierauf beruht.
120 
Selbst wenn man der Auffassung sein wollte, dass der auf die dargestellte Art und Weise verursachte Verzicht auf jede öffentliche Glaubensbetätigung allein noch nicht die Qualität eines relevanten Verfolgungseingriffs hat, so ergibt sich ein solcher jedenfalls aus einer wertenden Zusammenschau dieses Aspekts mit den oben beschriebenen vielfältigen Diskriminierungen und Einschränkungen, die für sich betrachtet entweder noch keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit im konkreten Einzelfall begründen bzw. nicht die erforderliche Schwere aufweisen mögen. Wegen dieser letztlich maßgeblichen Gesamtschau liegt dann in jedem Fall eine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL vor.
121 
b) Einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, zu dessen verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und ggfs. auch zu werben oder zu missionieren, steht kein interner Schutz im Sinne des Art. 8 QRL offen, d.h. es gibt keinen Landesteil, in dem er in zumutbarer Weise und ungefährdet seinen Glauben öffentlich leben kann. Was die dem pakistanischen Staat unmittelbar zuzurechnenden Eingriffe betrifft, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen landesweit die gleichen. Gerade der Umstand, dass 1989 und 2008 Strafverfahren gegen alle Ahmadis in Rabwah eingeleitet worden waren, belegt dieses eindringlich. Was die Aktionen privater Akteure betrifft, geht die Einschätzung der Parliamentary Human Rights Group - PHRG - (Report of the PHRG Fact Finding Mission to Pakistan vom 24.10.2010, S. 2) und der von ihr angehörten Gewährspersonen dahin, dass eine ausreichende Sicherheit auch nicht in Rabwah besteht. Der Präsident von amnesty international von Pakistan wird dahin gehend zitiert, dass Ahmadis nirgends sicher seien, auch nicht in Rabwah, denn die Polizei würde auch den erforderlichen Schutz dort nicht gewähren, was er plausibel damit erklärt, dass die bereits erwähnte Gruppierung Khatm-e Nabuwwat einen Schwerpunkt ihrer Betätigung in Rabwah hat, wenn er auch nicht gänzlich in Abrede stellt, dass das Sicherheitsniveau dort etwas höher sei, besser wäre hier allerdings davon zu sprechen, dass das Unsicherheitsniveau etwas niedriger ist (vgl. zu alledem Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.145 ff.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 20 ff. mit vielen Einzelaspekten). Die Situation wird – in erster Linie in Bezug auf nicht staatliche Akteure – auch so beschrieben, dass die Bedrohung von Ort zu Ort unterschiedlich ist und von Jahr zu Jahr wechselt (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.151). Ganz abgesehen davon ist für den Senat nicht ersichtlich, dass alle landesweit lebenden Ahmadis in Rabwah eine den Anforderungen des Art. 8 QRL genügende wirtschaftliche Existenz finden könnten (vgl. UNHCR, Guidelines, S. 43, und ausführlich zur wirtschaftlichen Situation in Rabwah Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 7 und 24 ff.).
122 
4. Gläubige Ahmadis hingegen, die nicht zu der oben beschriebenen Gruppe rechnen, weil für sie der Aspekt des aktiven Bekenntnisses in der Öffentlichkeit keine besondere Bedeutung hat, können hiernach nur dann von einem Verfolgungseingriff aufgrund einer kumulativen Betrachtungsweise nach Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL betroffen sein, wenn nach den Verhältnissen in Pakistan diese Betroffenheit sich generell aufgrund sonstiger Diskriminierungen als eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellen würde. Von einer generellen Betroffenheit aller Mitglieder der Teilmenge der gläubigen, ihren Glauben auch (ohne direkten Öffentlichkeitsbezug) praktizierenden Ahmadi kann, was die die oben angesprochenen Diskriminierungen im Bildungswesen und beruflicher Art betrifft, noch nicht gesprochen werden. Hier kann sich allein im Einzelfall aus einer Gesamtschau eine ausreichende Schwere der Verletzung ergeben. Allerdings besteht eine generelle Betroffenheit insoweit, als sie sich nicht einmal als Moslems bezeichnen dürfen und die Finalität des Propheten Mohamed anerkennen müssen, was dann mittelbar eine gleichberechtigte Teilhabe an den staatsbürgerlichen Rechten, wie dem Wahlrecht unmöglich macht. Da jedoch die eigentlich Glaubensbetätigung auch außerhalb des eigentlichen „forum internum“ – vorbehaltlich weiterer künftiger Verschärfungen insbesondere von Seiten privater Akteure – noch möglich ist, ohne dass dieses mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erheblichen Beeinträchtigungen führt, liegt nach Auffassung des Senats, obwohl diese Betätigungen keineswegs risikofrei sind, noch keine auf diese bezogene schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach der vom Europäischen Gerichtshof in seiner Rechtsprechung verbindlich entwickelten Auslegung des Art. 9 Abs. 1 QRL vor.
123 
Etwas anderes gilt selbstverständlich auch dann, wenn ein solcher Ahmadi unmittelbar und konkret von einem staatlichen Verfolgungsakt betroffen ist, der an seine religiöse Überzeugung anknüpft (vgl. Art. 10 Abs. 2 QRL), der mit einem Eingriff in Leib, Leben oder Freiheit (im engeren Sinn) verbunden ist; ebenso dann, wenn ein derartiger Eingriff von nicht staatlichen Akteuren ausgeht und die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 QRL nicht vorliegen, wovon aber nach vom Senat getroffenen Feststellungen (vgl. oben 2 g) auszugehen ist.
124 
V. Der Senat ist gleichfalls überzeugt, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Er kann zunächst auf die Ausführungen im Urteil vom 13.12.2011 verweisen. An dieser Einschätzung ist auch nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung festzuhalten. Er hat – wenn auch mit einfachen Worten – dem Senat die Überzeugung vermittelt, dass das öffentliche und auch werbende Bekenntnis für seinen Glauben für ihn selbst von großer Bedeutung ist, er tatsächlich danach lebt und es ihn erheblich belasten würde, wenn er dieses aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen unterlassen müsste.
125 
Damit gehört der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehen und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen sind.
126 
VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.
127 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.

Gründe

 
34 
I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch die Verpflichtung der Beklagten auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie die ergänzende Aufhebung der dem entgegenstehenden Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 30.03.2010. Denn im Berufungsurteil vom 13.12.2011 wurde, wenn auch nicht ausdrücklich im Tenor, die Klage hinsichtlich der Ziffer 2 des Bescheids abgewiesen (vgl. insbesondere auch UA S. 35 unten). Da die Beklagte auch nur in diesem Umfang durch das Urteil beschwert war, muss davon ausgegangen werden, dass sie nur insoweit die zugelassene Revision eingelegt hat, mit der Folge, dass auch die Aufhebung des Urteils vom 13.12.2011 durch das Bundesverwaltungsgericht nur diesen Teil betreffen kann. Die Beteiligten sehen dies nicht anders.
35 
II. Dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und 3 VwVfG vorliegen, wurde im Urteil vom 13.12.2011 im Einzelnen dargelegt. Hierauf kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden.
36 
III. Grundlage für das Begehren des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.
37 
Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 20.02.2013, mit dem der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde, in maßstäblicher Hinsicht folgendes ausgeführt:
38 
„2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 2011/95/EU (zuvor: Richtlinie 2004/83/EG) - im Folgenden: Richtlinie - geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen .
39 
Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie ergänzend anzuwenden. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist. Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen des Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie und den Verfolgungshandlungen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie bestehen.
40 
2.2 Das Berufungsgericht hat die vom Kläger als Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft (Ahmadi) geltend gemachte Verfolgungsgefahr zutreffend als Furcht vor einem Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung gewertet (UA S. 13). Denn Ahmadis droht in Pakistan die Gefahr einer Inhaftierung und Bestrafung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht schon wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft als solcher. Die Verwirklichung der Gefahr hängt vielmehr von dem willensgesteuerten Verhalten des einzelnen Glaubensangehörigen ab: der Ausübung seiner Religion mit Wirkung in die Öffentlichkeit. In solchen Fällen besteht der unmittelbar drohende Eingriff in einer Verletzung der Freiheit, die eigene Religion entsprechend den geltenden Glaubensregeln und dem religiösen Selbstverständnis des Gläubigen zu praktizieren, weil der Glaubensangehörige seine Entscheidung für oder gegen die öffentliche Religionsausübung nur unter dem Druck der ihm drohenden Verfolgungsgefahr treffen kann. Er liegt hingegen nicht in der Verletzung der erst im Fall der Praktizierung bedrohten Rechtsgüter (z.B. Leib, Leben, persönliche Freiheit). Etwas anderes gilt dann, wenn der Betroffene seinen Glauben im Herkunftsland bereits praktiziert hat und ihm schon deshalb - unabhängig von einer willensgesteuerten Entscheidung über sein Verhalten in der Zukunft - unmittelbar die Gefahr z.B. einer Inhaftierung und Bestrafung droht. Eine derartige Vorverfolgung hat das Berufungsgericht hier jedoch nicht festgestellt .
41 
2.3 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat auf Vorlage des Senats durch Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe in die Religionsfreiheit als Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden können .
42 
2.3.1 Der Gerichtshof sieht in dem in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) verankerten Recht auf Religionsfreiheit ein grundlegendes Menschenrecht, das eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft darstellt und Art. 9 EMRK entspricht. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten (EuGH a.a.O. Rn. 57). Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in das durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta garantierte Recht auf Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dar (Rn. 58). Zunächst muss es sich um eine Verletzung dieser Freiheit handeln, die nicht durch gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Grundrechtsausübung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GR-Charta gedeckt ist. Weiterhin muss eine schwerwiegende Rechtsverletzung vorliegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt (Rn. 59). Das setzt nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie voraus, dass die Eingriffshandlungen einer Verletzung der grundlegenden Menschenrechte gleichkommen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf (Rn. 61) .
43 
2.3.2 Zu den Handlungen, die nach der Rechtsprechung des EuGH eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Der Gerichtshof hält es mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie nicht für vereinbar, die Beachtlichkeit einer Verletzungshandlung danach zu beurteilen, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift (Rn. 62 f.). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an der vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung für den Flüchtlingsschutz (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 <19 ff.>) nicht mehr fest. Folglich ist bei der Bestimmung der Handlungen, die aufgrund ihrer Schwere verbunden mit der ihrer Folgen für den Betroffenen als Verfolgung gelten können, nicht darauf abzustellen, in welche Komponente der Religionsfreiheit eingegriffen wird, sondern auf die Art der ausgeübten Repressionen und ihre Folgen für den Betroffenen (Rn. 65 mit Verweis auf Rn. 52 der Schlussanträge des Generalanwalts) .
44 
Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (Rn. 67). Der Gerichtshof verwendet in der verbindlichen deutschen Sprachfassung des Urteils (vgl. Art. 41 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012, ABI L 265/1 vom 29. September 2012) zwar nur den Begriff „verfolgt", ohne dies ausdrücklich auf eine strafrechtliche Verfolgung zu beziehen. Es wäre jedoch zirkulär, den Begriff der „asylerheblichen Verfolgung" durch „Verfolgung" zu definieren. Dafür spricht zudem ein Vergleich der deutschen mit der französischen, englischen und italienischen Fassung des Urteils. In allen drei zum Vergleich herangezogenen Sprachfassungen ist von strafrechtlicher Verfolgung die Rede. Darüber hinaus ist auch die im Fall der Religionsausübung drohende Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben sowie der (physischen) Freiheit hinreichend schwerwiegend, um die Verletzung der Religionsfreiheit als Verfolgungshandlung zu bewerten .
45 
2.3.3 Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Das ergibt sich insbesondere aus der Aussage des Gerichtshofs in Rn. 69, dass schon das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie und somit eine Verfolgung darstellen kann, wenn der Verstoß dagegen die tatsächliche Gefahr der dort genannten Sanktionen und Konsequenzen heraufbeschwört. Kann Verfolgung somit schon in dem Verbot als solchem liegen, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen (z.B. in Leben oder Freiheit) letztlich nicht an .
46 
Diesem Verständnis der Entscheidung, das den Flüchtlingsschutz gegenüber der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorverlagert, steht nicht entgegen, dass der Gerichtshof in seinen Ausführungen auf die Gefahr abstellt, die dem Ausländer bei „Ausübung dieser Freiheit" (Rn. 67 und 72) bzw. der „religiösen Betätigung" (Rn. 73, 78 und 79 f.) droht. Denn damit nimmt dieser lediglich den Wortlaut der entsprechenden Vorlagefragen 2a und 3 des Senats auf, ohne dass darin eine notwendige Voraussetzung für die Flüchtlingsanerkennung liegt. Könnte nicht schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen, blieben Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten (so auch Lübbe, ZAR 2012, 433 <437>). Diese Erstreckung auch auf einen erzwungenen Verzicht entspricht dem Verständnis des britischen Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) in seinem Grundsatzurteil vom 14. November 2012 - MN and others [2012] UKUT 00389(IAC) Rn. 79) betreffend die religiöse Verfolgung von Ahmadis in Pakistan und dem Urteil des Supreme Court of the United Kingdom betreffend die Verfolgung wegen Homosexualität vom 7. Juli 2010 (HJ v. Secretary of State for the Home Department [2010] UKSC 31 Rn. 82). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an seiner vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 a.a.O. <23>) nicht mehr fest .
47 
2.3.4 Nach der Rechtsprechung des EuGH hängt die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu erfüllen, von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (Rn. 70). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.2). Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (so auch Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen vom 19. April 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11, Rn. 82) .
48 
Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit sieht der Gerichtshof den Umstand an, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (Rn. 70). Denn der Schutzbereich der Religion erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet (Rn. 71). Dabei bestätigt der EuGH die Auffassung des Senats, dass es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers ankommt, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270 Rn. 43). Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist .
49 
Der vom EuGH entwickelte Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nach dem Verständnis des Senats nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste (vgl. zu den strengeren Maßstäben der Rechtsprechung zur Gewissensnot von Kriegsdienstverweigerern: Urteil vom 1. Februar 1982 - BVerwG 6 C 126.80 - BVerwGE 64, 369 <371> m.w.N.). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (so schon Beschluss vom 9. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 43) .
50 
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Bei Ahmadis aus Pakistan ist zunächst festzustellen, ob und seit wann sie der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehören. Hierbei dürfte sich die Einholung einer Auskunft der Zentrale der Glaubensgemeinschaft in Deutschland anbieten, die ihrerseits auf die Erkenntnisse des Welt-Headquarters in London - insbesondere zur religiösen Betätigung des Betroffenen in Pakistan - zurückgreifen kann (so auch das britische Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14. November 2012 a.a.O. Leitsatz 5). Nähere Feststellungen über die religiöse Betätigung eines Ausländers vor seiner Ausreise verringern auch das Risiko einer objektiv unzutreffenden Zuordnung zu einer Glaubensgemeinschaft (s.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. November 2012, S. 14). Zusätzlich kommt die Befragung eines Vertreters der lokalen deutschen Ahmadi-Gemeinde in Betracht, der der Asylbewerber angehört. Schließlich erscheint im gerichtlichen Verfahren eine ausführliche Anhörung des Betroffenen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in aller Regel unverzichtbar. Wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger seinen Glauben in Pakistan nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, sind die Gründe hierfür aufzuklären. Denn der Verzicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung im Herkunftsland kennzeichnet die religiöse Identität eines Gläubigen dann nicht, wenn er aus begründeter Furcht vor Verfolgung erfolgte. Ergibt die Prüfung, dass der Kläger seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechender Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen .
51 
2.3.5 Das Verbot einer öffentlichen religiösen Betätigung als solches kann aber nur dann als hinreichend schwere Verletzung der Religionsfreiheit und damit als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden, wenn der Asylbewerber - über die soeben genannten objektiven und subjektiven Gesichtspunkte hinaus - bei Ausübung der verbotenen öffentlichkeitswirksamen Glaubensausübung in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Das bedeutet, dass die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen müssen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (Richtlinie 2011/95/EU: Art. 2 Buchst. d) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 22). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. Urteile vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.> und vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 24). Im vorliegenden Fall kommt es darauf an, ob der Kläger berechtigterweise befürchten muss, dass ihm aufgrund einer öffentlichen religiösen Betätigung in Pakistan, die zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schweren Rechtsgutverletzung droht, insbesondere die Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.4) .
52 
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht für pakistanische Staatsangehörige in ihrem Heimatland allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft noch keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr (UA S. 32). Eine solche droht nur „bekennenden Ahmadis", die „ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollen" (UA S. 33). Das Berufungsgericht hält zur Feststellung der Verfolgungswahrscheinlichkeit die für eine Gruppenverfolgung geltenden Maßstäbe insoweit mit Recht nicht für vollumfänglich übertragbar, als eine Vergleichsbetrachtung der Zahl der stattgefundenen Verfolgungsakte zur Gesamtzahl aller Ahmadis in Pakistan (etwa 4 Millionen) oder der bekennenden Ahmadis (500 000 bis 600 000) die unter Umständen hohe Zahl der Glaubensangehörigen unberücksichtigt ließe, die aus Furcht vor Verfolgung auf ein öffentliches Praktizieren ihrer Religion verzichten. Hängt die Verfolgungsgefahr aber von dem willensgesteuerten Verhalten des Einzelnen - der verbotenen Ausübung des Glaubens in der Öffentlichkeit - ab, ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben trotz der Verbote in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Dabei ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass die Ausübung religiöser Riten in einer Gebetsstätte der Ahmadis bereits als öffentliche Betätigung gewertet und strafrechtlich sanktioniert wird. Die Zahl der ihren Glauben in strafrechtlich verbotener Weise praktizierenden Ahmadis ist - bei allen damit verbundenen, auch dem Senat bekannten Schwierigkeiten - jedenfalls annäherungsweise zu bestimmen. In einem weiteren Schritt ist sodann festzustellen, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe treffen. Dabei ist insbesondere zu ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ahmadi inhaftiert und bestraft wird, der entgegen den Vorschriften des Pakistan Penal Code bei seiner Glaubensausübung religiöse Begriffe und Riten des Islam benutzt, seinen Glauben öffentlich bekennt oder für ihn wirbt. Bei der Relationsbetrachtung, die die Zahl der ihren Glauben verbotswidrig in der Öffentlichkeit praktizierenden Ahmadis mit der Zahl der tatsächlichen Verfolgungsakte in Beziehung setzt, ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine wertende Betrachtung handelt, die auch eventuell bestehende Unsicherheiten und Unwägbarkeiten der staatlichen Strafverfolgungspraxis mit einzubeziehen hat. Besteht aufgrund einer solchen Prognose für die - möglicherweise zahlenmäßig nicht große - Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe der Ahmadis, für die diese öffentlichkeitswirksamen Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist .
53 
2.4 Bei Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind alle Akte zu berücksichtigen, denen der Antragsteller ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden droht, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten können (vgl. Urteil des EuGH vom 5. September 2012 a.a.O. Rn. 68). Liegt keine Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vor, ist weiter zu prüfen, ob sich eine solche aus einer Gesamtbetrachtung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ergibt. Buchstabe a erfasst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Nach Buchstabe b kann auch eine Kumulation unterschiedlicher Maßnahmen die Qualität einer Verletzungshandlung haben, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Buchstabe a. Die Maßnahmen im Sinne von Buchstabe b können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen .
54 
In Buchstabe a beruht die Schwere der Eingriffshandlungen auf ihrer Art oder Wiederholung („nature or repetition"). Während die „Art" der Handlung ein qualitatives Kriterium beschreibt, enthält der Begriff der „Wiederholung" eine quantitative Dimension (so auch Hailbronner/Alt, in: Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1072 Rn. 30). Der Gerichtshof geht in seinem Urteil vom 5. September 2012 (Rn. 69) davon aus, dass das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen kann. Der Qualifizierung als „ein" Verbot steht nicht entgegen, dass dieses in mehreren Strafvorschriften des Pakistan Penal Code mit unterschiedlichen Straftatbeständen normiert ist. Das Verbot kann von so schwerwiegender „Art" sein, dass es für sich allein die tatbestandliche Voraussetzung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfüllt. Andere Maßnahmen können hingegen unter Umständen nur aufgrund ihrer Wiederholung vergleichbar gravierend wirken wie ein generelles Verbot .
55 
Setzt die Erfüllung des Tatbestandes von Buchstabe a mithin eine bestimmte gravierende Eingriffshandlung oder die Wiederholung gleichartiger Handlungen voraus, ermöglicht die Tatbestandsalternative des Buchstabe b in einer erweiterten Perspektive die Berücksichtigung einer Kumulation unterschiedlicher Eingriffshandlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie aufgeführt sind. Die Kumulationsbetrachtung entspricht auch dem Verständnis des UNHCR vom Verfolgungsbegriff in Art. 1 A Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rn. 53). In die nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie erforderliche Gesamtbetrachtung können insbesondere verschiedenartige Diskriminierungen gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft einbezogen werden, z.B. beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen (vgl. UNHCR Richtlinie vom 28. April 2004 zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung, HCR/GIP/04/06 Rn. 17). Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Buchstabe a entspricht .
56 
Daher sind bei der Prüfung einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie zunächst alle in Betracht kommenden Eingriffshandlungen in den Blick zu nehmen, und zwar Menschenrechtsverletzungen wie sonstige schwerwiegende Repressalien, Diskriminierungen, Nachteile und Beeinträchtigungen. In dieser Prüfungsphase dürfen Handlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie genannt werden, nicht vorschnell deshalb ausgeschlossen werden, weil sie nur eine Diskriminierung, aber keine Menschenrechtsverletzung darstellen (ähnlich Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz - Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, Kapitel 4 § 13 Rn. 18). Zunächst ist aber zu prüfen, ob die Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vorliegt. Ist das nicht der Fall, ist weiter zu prüfen, ob die Summe der nach Buchstabe b zu berücksichtigenden Eingriffe zu einer ähnlich schweren Rechtsverletzung beim Betroffenen führt wie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie. Ohne eine fallbezogene Konkretisierung des Maßstabs für eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie kann die bewertende Beurteilung nach Buchstabe b, ob der einzelne Asylbewerber unterschiedlichen Maßnahmen in einer so gravierenden Kumulation ausgesetzt ist, dass seine Betroffenheit mit der in Buchstabe a vergleichbar ist, nicht gelingen. Stellt das Gericht hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der „Betroffenheit in ähnlicher Weise" keine Vergleichsbetrachtung mit den von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfassten Verfolgungshandlungen an, liegt darin ein Verstoß gegen Bundesrecht“ .
57 
IV. Ausgehend hiervon besteht zwar kein Grund zu der Annahme, dass bereits aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya unterschiedslos die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter dem Aspekt einer Gruppenverfolgung vorliegen. Etwas anderes ergibt sich jedoch für die bekennenden Ahmadis, die es nach ihrem Glaubensverständnis für sich als identitätsbestimmend ansehen, ihren Glauben – auch werbend – in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. hierzu im Folgenden und auch noch unten 2 e); vgl. schon VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.05.2008 - A 11 S 3032/07 - juris; vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris).
58 
1. a) Zum Hintergrund der heutigen Situation der Ahmadis in Pakistan hatte der HessVGH bereits im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A - juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
59 
„Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
60 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
61 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bay. VGH am 22.01.1985, S. 7).
62 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
63 
b) Auch die aktuell verfügbaren Zahlen zur Größe der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern bzw. diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.02.2008, Ziff. 19.41 und vom 07.12.2012, Ziff. 19.98, das von 291.000 bis 600.000 bekennenden Ahmadis ausgeht). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 02.11.2012, S. 13) wiederum nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien. Der vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 im Verfahren A 12 K 2890/12 vernommene Raja Muhammad Yousaf Khan, der Mitarbeiter des „Ahmadiyya Muslim Jamaat e.V., Frankfurt“ ist, hat ausgesagt, dass der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ von etwa 400.000 bekennenden Ahmadis in Pakistan ausgeht, die er als solche Personen beschreibt, die regelmäßig Kontakt zu den lokalen Gemeinden haben, wobei sich aus der Niederschrift keine genauer nachvollziehbaren Hinweise ablesen lassen, wie diese Zahl ermittelt bzw. hergeleitet wurde. Der Umstand, dass in den anlässlich der jüngst abgehaltenen Wahl erstellten Wählerverzeichnissen (sog. „Nada-Dateien“) nur rund 200.000 wahlberechtigte Ahmadis geführt werden, stellt die Zahl von 400.000 nicht grundsätzlich infrage, weil Ahmadis seit Jahren schon die Wahlen selbst boykottieren (vgl. unten Ziffer 2 a). Der Senat kann nicht davon ausgehen, dass alle etwa 400.000 „bekennenden Ahmadis“ auch solche sind, für die das Leben ihres Glaubens in der Öffentlichkeit und ggf. das Werben für den Glauben identitätsbestimmend und daher unverzichtbar sind (vgl. zur Eingrenzung der Gruppe noch unten 2 e), was allerdings nach der – auch offiziellen – Lehre der Ahmadiyya-Bewegung von zentraler Bedeutung ist (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16). Denn der bloße regelmäßige Kontakt zur lokalen Gemeinde ist hierfür sicher unzureichend, zumal, wie noch auszuführen sein wird, das gemeinsame Gebet jedenfalls in kleineren Gebetshäusern in der Regel faktisch möglich ist, selbst wenn es auch hier vermutlich immer wieder Übergriffe und Einschränkungen bzw. staatliche Verfolgungsmaßnahmen gibt. Nach dem International Religious Freedom Report Pakistan des United States Department of State für das Jahr 2011 (S. 2) waren allerdings überhaupt keine verlässlichen Daten über die Anzahl der Ahmadis, die sich aktiv an religiösen Ritualen oder Gottesdiensten beteiligen, verfügbar oder von den amerikanischen Stellen zu ermitteln, was dann gleichermaßen für diejenigen gelten muss, die aktiv den Glauben vertretend und praktizierend in der Öffentlichkeit auftreten. Vergleichbares gilt im Übrigen – angesichts der Größe des Landes für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar – für die Ermittlung verlässlicher Daten zur Frage der Häufigkeit von Übergriffen auf Ahmadis in Pakistan von Seiten privater Akteure (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2011 Ziff. 19.162). Zwar werden von den im Inland- und Ausland ansässigen Organisationen der Ahmadiyya-Gemeinschaft regelmäßig (monatliche und jährliche) Zusammenstellungen über – v.a. von nicht staatlichen Akteuren ausgehende – Übergriffe auf Ahmadis herausgegeben und ins Internet gestellt (www.thepersecution.org/), es ist aber auch nach dem Vortrag der Beteiligten für den Senat kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass diese auf einem lückenlosen und landesweit vernetzten Berichtssystem beruhen und daher auch nur annäherungsweise vollständig sein könnten, was die Stellungnahme des „Ahmadiyya Muslim Jammaat“ vom 06.06.2013 bestätigt. Abgesehen davon ist auch nicht gesichert, dass die Betroffenen ausschließlich oder jedenfalls überwiegend solche Ahmadis sind, die ihrem Glauben in einer Weise innerlich verpflichtet sind, dass sie diesen bekennend und ggf. werbend bzw. sogar missionierend in die Öffentlichkeit tragen bzw. tragen wollen. Eine Durchsicht der Zusammenstellung für Januar bis Dezember 2011 ergab, dass eindeutige Aussagen nur für einen Teil der beschriebenen Vorfälle gemacht werden können.
64 
Der Senat sieht vor diesem Hintergrund keinen erfolgsversprechenden Ermittlungsansatz, um die so beschriebene Teilmenge (Ahmadis, für die das öffentlich Bekennen und ggf. Werben für den Glauben identitätsbestimmend ist) aus der Teilmenge der „bekennenden Ahmadis“ der Größe nach präziser festzustellen, zumal dann in diesem Zusammenhang landesweit auch sehr subjektiven Voraussetzungen und Merkmalen, d.h. inneren Tatsachen nachgegangen werden müsste. Es ist namentlich nicht erkennbar, dass in Pakistan die Zahl dieser Personen überhaupt statistisch erfasst wird, bzw. dass es eine Stelle geben könnte, die über solches Zahlenmaterial verfügt. Die Ausführungen von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart machen hinreichend deutlich, dass nicht einmal die offiziellen Vertreter der Ahmadis in Westeuropa in diesem Zusammenhang über belastbare Zahlen hinsichtlich dieser Personengruppe verfügen, was nach dessen Ausführungen letztlich darin begründet ist, dass aus Furcht vor Verfolgung heute praktisch kein Ahmadi mehr in der Öffentlichkeit seinen Glauben lebt und für diesen wirbt. Dabei hatte Herr Khan nicht ausgeschlossen, dass auf individueller Ebene in einem privaten Gespräch noch für den Glauben geworben würde, wie oft dies heute noch geschehe, lasse sich – zu Recht – nicht seriös beziffern, da es niemanden gebe, der hierüber Aufzeichnungen mache, die Fälle auswerte und dann zähle. Auch das vom Upper Tribunal - Immigration and Asylum Chamber in seinem Urteil „MN and others“ (Pakistan CG <2012> UKUT 00389) vom 14.11.2012 verwertete Zahlenmaterial führt hier letztlich nicht weiter, weil dieses sich nicht direkt auf die Zahl des hier festzustellenden Personenkreises und dessen Größe bezieht. Das Bundesamt wie auch der Kläger haben keine Wege aufgezeigt, wie verlässliches und nicht nur spekulatives Zahlenmaterial zu erlangen sein könnte. Der Senat sieht sich – ungeachtet der völkerrechtlichen Hindernisse – auch im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nicht gehalten, ein Institut mit einer repräsentativen Untersuchung in Pakistan oder einer erstmals dort durchzuführenden statischen Erhebung zu betrauen, abgesehen davon, dass der Senat keine Anhaltspunkte dafür hat, dass eine verlässliche Untersuchung in Pakistan überhaupt in angemessener Zeit geleistet werden kann. Umso weniger lassen sich verlässliche Zahlen darüber ermitteln, wie viele Ahmadis aus der Teilmenge der Ahmadis, für die das öffentliche Bekennen oder sogar Werben identitätsbestimmend ist, trotz aller Verbote, Strafverfolgungsmaßnahmen und gewichtigen Übergriffe privater Akteure gleichwohl ihren Glauben öffentlich leben und für ihn öffentlich eintreten oder gar werben (vgl. zur der vom Bundesverwaltungsgericht in Rdn. 33 geforderten Relationsbetrachtung im Einzelnen noch unten 2c).
65 
2. Die Lage der Ahmadis in Pakistan wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
66 
a) Der Islam wurde in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist zwar von Verfassung wegen garantiert (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 2 f.). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit qualifiziert und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. wer auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
67 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren und nur solche Personen auf diesen Listen wählen können. Um hingegen ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4; U.S. State Department, Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 38; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.104 ff.; Rashid, Pakistan’s failed Commitment: How Pakistan’s institutionalised Persecution of the Ahmadiyya Muslim Community violates the international Convenant on civil and political Rights, S. 25). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA, Lagebericht vom 02.11.2012, S. 13).
68 
b) Seit 1984 bzw. 1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und die gewissermaßen der Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung dienen.
69 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143):
70 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
71 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ameerui Mumineen’, ‚Khalifar-ul-Mimineem’, ’Shaabi’ oder ‚Razi-Allah-Anho’ bezeichnet oder anredet;
72 
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ummul-Mumineen’ bezeichnet oder anredet;
73 
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ahle-bait’ bezeichnet oder anredet;
74 
d) sein Gotteshaus als ‚Masjid’ bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
75 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als ‚Azan’ bezeichnet oder den ‚Azan’ so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
76 
Sec. 298 C lautet:
77 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
78 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
79 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
80 
Der Vollständigkeit halber sollen in diesem Zusammenhang noch erwähnt werden (vgl. auch Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.32):
81 
- Sec. 298 A (Gebrauch abschätziger bzw. herabsetzender Bemerkungen in Bezug auf heilige Personen; Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, Geldstrafe oder beides);
82 
- Sec. 295 (Beleidigung oder Schändung von Orten der Verehrung mit dem Zweck bzw. Ziel, eine Religion jeder Art herabzusetzen, Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahre, Geldstrafe oder beides);
83 
- Sec. 295 A (Vorsätzliche und böswillige Handlungen mit dem Zweck die religiösen Gefühle jeden Standes zu verletzen durch Beleidigung der Religion oder des Glaubens, Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren, Geldstrafe oder beides) und
84 
- Sec. 295 B (Beleidigung bzw. Verächtlichmachung des Heiligen Korans, lebenslange Freiheitsstrafe).
85 
Alle genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch schon ausführlich HessVGH, Urteil vom 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris, Rdn. 92 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.1992 - 2 BvR 1263/92 - juris, m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; vom 25.01.1995 - 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere dort auch noch zur mittlerweile irrelevanten Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen in weiten Teilen diskriminierende, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR (vgl. auch Art. 52 Abs. 1 GRCh) zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c) RL 2004/83/EG (identisch mit RL 2011/95/EU) erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, Urteil vom 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960, Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/), wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Soweit man einzelne Bestimmungen im Ansatz noch als zulässige Begrenzung der Religionsfreiheit ansehen wollte (etwa Sec. 298 C letzte Variante), fehlt allerdings schon jede tatbestandliche Eingrenzung, vielmehr wird mit ihrer begrifflichen Weite ein Einfallstor für Willkür eröffnet (vgl. hierzu noch unten d). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und weshalb zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind (so noch BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts), weshalb auch offen bleiben kann, ob unter dem Regime der Qualifikationsrichtlinie eine derart weitgehende Beschränkung der Religionsfreiheit für die Betroffenen, wie sie das Bundesverfassungsgericht für das Asylgrundrecht noch für richtig gehalten hat, hinzunehmen und unionsrechtskonform wäre. Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten vermittelnden Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen gerade nicht von ihnen ausgehen (vgl. hierzu auch Rashid, Pakistan’s Failed Commitment, S. 32), sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie mittlerweile auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan vom 10.09.2007, S. 6 und 10 und nunmehr Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.12, 19.27, 19.44, 19.121, 19.127 und 19.145). Von einer legitimen Begrenzung der religiösen Betätigung von Ahmadis kann auch deshalb keine Rede sein, weil der pakistanische Staat keine effektiven legislativen und exekutiven Maßnahmen ergreift, um dem aggressiven Wirken entgegenzutreten und den Minderheiten – als Kehrseite möglicher ihnen auferlegter maßvoller Beschränkungen – einen wirklich geschützten Freiraum für ihr Wirken bereitstellt (vgl. zur Weite der Vorschriften und ihrer grenzenlosen Auslegung bzw. Anwendung unten d).
86 
c) Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung nach Sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, wurden nach dem Bericht „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (Annex II), den auch das Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14.11.2012 als relevant angesehen hat (dort Rdn. 30, Fn. 6), im Zeitraum April 1984 bis 31.12.2011 offiziell insgesamt 3.820 „Police Cases“ gegen Ahmadis registriert, davon 299 wegen „Blasphemie“, zuzüglich über 60.000 Verfahren (wegen Sec. 298 C) gegen den sich am 28. Mai 2008 ausdrücklich aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Begründung des Khalifentums öffentlich zu den Ahmadis bekennenden Teil der Bevölkerung von Rabwah (jetzt Chenab Nagar oder Tschinab Nagar; vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006), die 2009 noch anhängig gewesen waren (Home Office Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.136; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorités religieuses, 31.08.2009, S. 9), mittlerweile aber eingestellt wurden (vgl. Khan an das VG Stuttgart vom 09.05.2013). Bereits im Jahre 1989 waren schon einmal Verfahren gegen alle Ahmadis von Rabwah wegen des Vorwurfs nach Sec. 298 C eingeleitet worden, die im Jahre 2006 noch anhängig waren (vgl. hierzu Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 10 f. und 35), aber vermutlich auch eingestellt wurden; diese nach dem genannten Bericht nicht genauer bezifferten Verfahren müssen daher im Grundsatz noch bei der Zahl von Ermittlungsverfahren berücksichtigt werden. Auch wenn diese augenscheinlich nicht konsequent oder nur gegenüber Einzelnen betrieben werden, so ist doch aus der Tatsache, dass sie erst nach einigen Jahre förmlich eingestellt und immerhin im Abstand von 10 Jahren zweimal eingeleitet wurden, nur der Schluss zu ziehen, dass sie instrumentalisiert wurden, um die Betroffenen massiv einzuschüchtern. Aus diesem Grund können diese Verfahren bei der vorzunehmenden wertenden Gesamtbetrachtung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Allerdings dürfen sie nicht mathematisch exakt in eine quantitative Bewertung eingerechnet werden, weil es in der Regel jedenfalls zu keinen Anklagen gekommen ist und andernfalls ein unzutreffendes Bild von der Wirklichkeit ergäbe.
87 
Das Home Office (Ziff. 19.49) spricht für den Zeitraum 1986 bis 2006 allein von 695 Verfahren spezifisch wegen Blasphemie (sec. 295 C), in denen es auch zu Anklagen gekommen ist, darunter 239 Ahmadis; insgesamt wurden im Zeitraum 1984 bis 2004 über 5.000 Anklagen gegen Ahmadis mit einem religiösen Hintergrund erhoben. Im Juni 2011 waren mindestens 14 Verfahren gegen Ahmadis anhängig gewesen, in denen (nicht rechtskräftig) die Todesstrafe verhängt worden war (Ziff. 19.39). Nach vermutlich anderen Quellen sind von 1984 bzw. 1987 bis 2011 1.117 Personen wegen Blasphemie angeklagt worden (Ziff. 19.50). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären (Ziff. 19.134 ff.). Weitere aussagekräftige Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Die Beklagte hat solche auch nicht mitgeteilt bzw. aufgezeigt, wie noch verlässliche Informationen zu erlangen sein könnten.
88 
Bei Rashid (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 und 28 f.) finden sich folgende Zahlen: Seit 1984 wurden 764 Ahmadis angeklagt, weil sie die Kalima gezeigt bzw. gelesen hatten, 38 wurden wegen der Verwendung des Gebetsrufs angeklagt; 434 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich als Muslim bezeichnet hatten, 161 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich islamischer Terminologie in der Öffentlichkeit bedient hatten; 93 Anklagen bezogen sich auf das Verrichten von Gebeten in der Öffentlichkeit und 719 Anklagen wurden wegen öffentlichen Predigens und Werbens für den Glauben erhoben. Auch bei Rashid werden die Verfahren gegen 60.000 Ahmadis aus Rabwah erwähnt. Insbesondere erwähnt Rashid, dass allein im Jahre 2009 mindestens 74 Ahmadis eines Deliktes nach Sec. 295 C Penal Code beschuldigt worden seien.
89 
Mit Blick auf die grundsätzlich vom Bundesverwaltungsgericht geforderte Relationsbetrachtung (Rdn. 33) ist in diesem Zusammenhang allerdings zu bemerken, dass nicht alle vorgenannten Verfahren notwendigerweise und uneingeschränkt Glaubensbetätigungen betreffen müssen, die gerade in der Öffentlichkeit stattfinden. Diese Annahme liegt deshalb nahe, weil etwa falsche Verdächtigungen und Anschuldigungen (vgl. hierzu auch unten d) auch andere Hintergründe und Vorwürfe zum Inhalt haben können. Diese Zahlen sind daher von ihrer Struktur wenig geeignet, als Grundlage der Relationsbetrachtung zu dienen. Der Senat sieht aber auch hier keinen konkreten erfolgversprechenden Ermittlungsansatz, wie der Anteil verlässlich festzustellen sein sollte, der spezifisch Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit betrifft, und zum anderen, um wie viele Personen es sich dabei gehandelt haben könnte, für die ein öffentlichkeitswirksames Agieren zum identitätsbestimmenden und unverzichtbaren Merkmal des eigenen Glaubensverständnisses zählt.
90 
d) Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz, oftmals nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt auch darauf beruht, dass sie häufig durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 14; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.59 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 15 ff., und 2012, S. 17 ff.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2). In der Regel werden die eines Verstoßes gegen die Blasphemiebestimmungen Beschuldigten bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.53; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing The International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, 14.05.2012, S. 6). Dieser Umstand ist vor allem auch deshalb so gravierend, weil Folter auf Polizeistationen und in Haft an der Tagesordnung ist (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 23; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 6; Asia Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 21 ff.). Die Haftbedingungen werden als teilweise sogar lebensbedrohend bezeichnet (vgl. SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 4 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, S. 9). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt. Die Bestimmung der Sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von Sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten im Sinne von Sec. 295 C (vgl. hierzu im Einzelnen schon HessVGH, U. v. 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris - Tz. 46 und 69). Generell werden alle genannten Vorschriften wegen ihrer begrifflichen Unbestimmtheit bzw. der schwammigen Formulierungen weit und zulasten der Ahmadis ausgelegt und angewendet. Sie sind daher ein (offenes) Einfallstor für blanke Willkür. So kommt es etwa zu Anklagen gegen Eltern, wenn sie ihre Kinder Mohammed nennen (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.103; vgl. auch Ziffer 19.139).
91 
Die Strafvorschriften werden dabei nicht selten auch gezielt genutzt, um – auch aus eigensüchtigen Motiven – Ahmadis mit falschen Anschuldigungen unter Druck zu setzen und zu terrorisieren (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.57 f.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 15). Die Anzeigeerstatter laufen dabei keine Gefahr, wegen falscher Anschuldigung verfolgt zu werden. Eine Anzeige kann zudem erhebliche Konsequenzen für die Betroffenen und ihre Familien haben. So wurden zwischen 1986 bis 2010 34 Personen, die nach den Blasphemiegesetzen angeklagt worden waren, von privaten Akteuren umgebracht; im Jahre 2010 wurden allein vier Personen (zwei Christen und zwei Muslime) getötet (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47); auch die Familien werden in Drohungen und Einschüchterungen einbezogen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47 und 19.52; AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12). In diesem Zusammenhang ist etwa die radikal-islamische Gruppierung „Khatm-e-Nabuwwat“ („Siegel der Prophetenschaft“) zu erwähnen, die u.a. mit diesen Mitteln gezielt und völlig ungestraft gegen Ahmadis vorgeht (vgl. auch AA, Lagebericht 02.11.2012, S. 14; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 13 ff.; vgl. zu der Organisation noch im Folgenden unter Ziff. 2.g). Zwar hat die Gruppierung in der Vergangenheit etwa gegenüber der „Parliamentary Human Rights Group“ (vgl. S. 8 f.) den Versuch unternommen, ihr Verhältnis zu den Ahmadis und ihre Vorgehensweise diesen gegenüber als wesentlich offener und zurückhaltender darzustellen. Bereits zum damaligen Zeitpunkt hatte dem aber etwa der Präsident von amnesty international Pakistan deutlich widersprochen (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8). Durch die neueren Entwicklungen sind diese Aussagen der Gruppierung ohnehin eindeutig überholt bzw. widerlegt (vgl. unten Ziffer 2 g; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013).
92 
Die Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen die Blasphemiebestimmungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte hinziehen und zu keinem Ende gebracht werden, was einschneidende Folgen für die Betroffenen hat, selbst wenn sie sich in Freiheit befinden. Denn sie müssen sich in der Regel alle 15 bis 30 Tage bei der ermittelnden Polizeistation, die sich oftmals nicht an ihrem Wohnort befindet, melden, auch wenn das Verfahren gar nicht konkret gefördert wird (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 12 f.).
93 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen (vgl. Sec. 295 und 295 A), in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn religiöse Gefühle der Ahmadis und anderer religiöser Minderheiten durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 3; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.33).
94 
Der Versuch einer Reform der Blasphemiegesetze ist vollständig gescheitert, insbesondere im Kontext der Ermordung des Gouverneurs von Punjab und des Minsters für Minderheiten im Jahre 2011 (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.76; UNHCHR, Guidelines, S.11 f.; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2011, March 2012, S. 82 und 89 f.; vgl. auch Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 29 f., mit Hinweisen auf öffentliche Äußerungen des pakistanischen Ministers Babar Awan sowie des Premierministers Gilani aus Anlass der Verurteilung der christlichen Frau Asia Bibi). Eine Änderung zum Positiven ist auch mit Rücksicht auf das Ergebnis der Präsidentenwahlen im Mai diesen Jahres, die der Vorsitzende der Muslimliga Nawaz Sharif gewonnen hat, nicht zu erwarten.
95 
Eine im Jahre 2004 eingeführte Reformmaßnahme, wonach nur höhere Offiziere die Ermittlungen führen dürfen, hat nach übereinstimmender Einschätzung keine Verbesserungen gebracht (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12; UNHCR, Guidelines, S. 15).
96 
In den verwerteten Dokumenten wird auch von einem völligen Scheitern und Versagen der Strafjustiz und der Strafverfolgungsorgane gesprochen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.42 f.; UNHCR, Guidelines, S. 6; Parlamentary Human Rights Group (PHRG), Report of PHRG Fact Finding Mission To Pakistan, 24.09.2010, S. 9 f.).
97 
Zwar wurde im September 2008 eine Kommission für Angelegenheiten der Minderheiten installiert (vgl. UNHCR, „Guidelines“, S. 4). Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass diese irgendwelche substantiellen Verbesserungen gebracht hat (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.29; vgl. hierzu auch Upper Tribunal Urteil vom 14.11.2012, S. 15; vgl. auch U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, S. 121 f., wonach zwar von einigen positiven Schritten in jüngster Zeit berichtet wird, die die pakistanische Regierung an höchster Stelle unternommen haben soll, von wirkungsvollen Ergebnissen, insbesondere für das tägliche Leben landesweit, spricht der Report jedoch nicht; es liegt dem Senat auch keine andere Quelle vor, die diesbezüglich verwertbare Informationen enthielte).
98 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen und seine faktische Umsetzung in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte, was exemplarisch durch die in den Jahren 1998 und 2008 gegen alle Einwohner eingeleiteten Verfahren deutlich wird (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.132 ff.). Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten Ziff. 3.b).
99 
e) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf denen öffentlich gebetet wird (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 4, und von 2011, S. 14; U.S. State Department: Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 30; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.143; Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 32). Das gilt insbesondere für die nach ihrem gelebten Glaubensverständnis essentielle jährliche Versammlung („Jalsa Salana“), die letztmals 1983 stattfinden konnte und an der damals 200.000 Gläubige teilnahmen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Jalsa_Salana).
100 
Allerdings wird es Ahmadis nicht von vornherein unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies sicherlich oftmals der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben wird (vgl. schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan von 2011, S. 4), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen (vgl. auch Upper Tribunal, Urteil vom 14.11.2012, S. 18). Möglich ist dieses aber nur noch in kleineren Gebetshäusern, die einen eingeschränkten Bezug zur Öffentlichkeit haben (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Angeben von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart, wonach an Stelle der früheren, 18.000 bis 19.000 Gläubige fassenden Moschee in Rabwah mittlerweile viele kleine Gebetshäuser entstanden sind; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Gefahrlos ist dieses aber auch nicht. Denn die gemeinsame Ausübung des Glaubens wird immer wieder dadurch behindert bzw. unmöglich gemacht, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird oder solche auch von staatlichen Organen zerstört werden (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.132, 19.141 ff., 154; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4 und 13 ff.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3), während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können; Gebetshäuser oder Versammlungsstätten werden immer wieder von Extremisten überfallen (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan,10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.). Gleichwohl geht der Senat in Ermangelung gegenteiliger aussagekräftiger Informationen davon aus, dass Angehörige der Ahmadiyya, die nur derartige Glaubensbetätigungen an den Tag legen und für sich als verbindlich betrachten, damit noch kein „real risk“ eingehen, (von wem auch immer) verfolgt zu werden. Die vom Kläger benannten Fälle, in denen in diesem Jahr auch Verfahren wegen einer Versammlung in (kleineren) Gebetshäusern eingeleitet wurden, stellen diese Annahme nicht grundsätzlich infrage. Anhaltspunkte für die gegenteilige Annahme lassen sich insbesondere auch nicht der Aussage von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 entnehmen (vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Insbesondere ergibt sich aus der Aussage nicht, dass auch diese Personen ihre Aktivitäten vollständig eingestellt haben und etwa die Ahmadi-Gemeinden in Pakistan gewissermaßen nur noch auf dem Papier existieren würden. Im Gegenteil: Allen verwerteten Erkenntnismitteln wie auch den Angaben von Herrn Khan liegt nach Überzeugung des Senats – wenn auch mehr oder weniger unausgesprochen – zugrunde, dass es noch ein, wenn auch eingeschränktes, lokales Gemeindeleben gibt. Treffen in großem Stil zu in erheblichem Maße identitätsstiftenden gemeinsamen Gebeten in ihren großen Moscheen, die die Ahmadis jedoch nicht so nennen dürfen, finden hingegen nicht mehr statt (vgl. die Aussage von Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013). Allerdings ist der Umstand, dass heute auch das gemeinsame Gebet abseits der großen Öffentlichkeit immer wieder behindert und gestört wird bzw. Auslöser für Strafverfahren und Übergriffe privater Akteure sein kann, für die gerichtlicherseits vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 34 ff.) gleichwohl nicht irrelevant, da sie die Lage auch der bekennenden, ihren Glauben in die Öffentlichkeit tragenden Ahmadis mit prägen.
101 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel, andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 7). In diesem Zusammenhang ist aber hervorzuheben, dass sich die Ahmadis als „predigende Religion” verstehen, zu deren sittlichen Verpflichtung es rechnet, den Glauben zu verbreiten und zu verkünden (vgl. Report of the Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16).
102 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 14).
103 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten von Ahmadis im weitesten Sinn werden regelmäßig beschlagnahmt und verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus noch Verbreitung (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 3 und 4 und von 2011, S. 7 und 13 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 30 ff.; vgl. zur Zeitung „Alfzal“ auch Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 37, mit einer Kopie der Verbotsverfügung des Innenministers von Pakistan vom 08.05.2006 und S. 49 f.).
104 
Die Ahmadyyia Gemeinde ist die einzige Gruppe, der ihre im Jahre 1972 verstaatlichten Bildungseinrichtungen (seit 1996) nicht zurückgegeben wurden (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 13 f.)
105 
f) Nur der Vollständigkeit halber soll zur Abrundung des Gesamteindrucks noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden: Die frühere (überdurchschnittliche) Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen ständig (vgl. AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148 f. und 19.164; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report for 2011, S. 5 und 15 f.; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 10; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65, vom 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148, 19.149, 19.164; Immigration and Refugee Board of Canada, S. 3).
106 
g) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligem Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen bewusst untätig zugesehen und sie geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Country Reports on Human Rights Practices Pakistan, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 9 f.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und 4). Dabei wurden in jüngster Vergangenheit auch gezielt Häuser und Geschäfte von Ahmadis niedergebrannt (Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 4). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah. Diese bereits für frühere Zeiträume beschriebene Situation hat sich mittlerweile erheblich verschärft. Es wird übereinstimmend ein vorherrschendes Klima von privaten Akteuren verursachter Gewalt beschrieben, wobei die Gewaltakte bzw. die Aufrufe hierzu regelmäßig sowohl in ordnungsrechtlicher wie erst recht in strafrechtlicher Hinsicht für die Urheber folgenlos bleiben. Es werden regelmäßig regelrechte Hasskampagnen, insbesondere auch Versammlungen und Kundgebungen durchgeführt, auf denen gegen die Ahmadis gehetzt wird und die Besucher aufgewiegelt werden (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.127 f., und sehr ausführlich und anschaulich „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“, S. 2 ff.). Die Wirkungsmächtigkeit der Aktivitäten der maßgeblichen Organisationen sowie einer Vielzahl radikaler Mullahs beruht zu einem guten Teil auf dem Umstand, dass weite Teile der Bevölkerung ungebildet, wenn nicht gar des Schreibens und Lesens nicht mächtig und daher leicht beeinflussbar sind und vor allem das glauben, was sie in den Moscheen hören (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6).
107 
Effektiver Schutz ist regelmäßig nicht zu erlangen (vgl. etwa UNHCR, Guidelines, S. 22; Parliamantary Human Rights Group (PHRG), Fact Finding Mission To Pakistan, S. 3; vgl. beispielhaft zur offensichtlich fehlenden Bereitschaft, den erforderlichen Schutz zu gewähren Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 19, 24 f. und 33 f.). Besonders tut sich in diesem Zusammenhang die Organisation „Khatm-e-Nabuwwat“ hervor (vgl. ausführlich hierzu Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.112 bis 19.119; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8 f.), aber auch die Taliban werden als Urheber benannt (vgl. Rahsid, Pakistan’s failed Commitment, S. 31 ff.). Exemplarisch ist ein Vorfall vom 28.05.2010 anzuführen, bei dem Extremisten der „Khatm-e-Nabuwwat“ anlässlich des Freitagsgebets in Lahore gut koordinierte Angreifer vor zwei Ahmadi-Moscheen „Kill-all“-Rufe skandieren und schließlich die Moscheen stürmen ließen; am Ende wurden 85 Ahmadis getötet und 150 weitere verletzt (Ziff. 19.125; vgl. zum Angriff auf eine Moschee in Rawalpindi am 02.02.2012, Ziff. 19.154). Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass die Organisation mit einem Schwerpunkt auch in Rabwah tätig wird (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.114 f.).
108 
Insgesamt vermittelt die Zusammenstellung des Home Office (Ziff. 19.112 bis 19.147) ein gutes und informatives, aber auch äußerst bedrückendes Bild. Seit 1974 wurden fast 300 Ahmadis allein wegen ihres Glaubens von nicht staatlichen Akteuren getötet. Im Jahre 2010 waren es allein 99. Wie schon erwähnt (vgl. oben IV 1), sind aber verlässliche und aussagekräftige Zahlen nicht zu ermitteln (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.162). Im Hinblick auf die anzustellende Relationsbetrachtung (vgl. hierzu unten Ziffer 3 a) ist bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass im Zusammenhang mit der Benennung der Zahlen nicht zum Ausdruck gebracht wird, wie hoch der Anteil der Betroffenen ist, der die Glaubensbestätigung in der Öffentlichkeit als einen identitätsbestimmenden Teil ihres Glaubens betrachtet. Eine Durchsicht der Zusammenstellung „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (S. 23 ff.) zeigt dies nur zu deutlich; teilweise lässt sich nicht bestimmen, ob der oder die Betreffende dieses Merkmal erfüllt oder nicht. Über das Ausmaß (nur) schwerer nicht tödlich endender Eingriffe in die körperliche Integrität liegen überhaupt keine verlässlichen Zahlen vor (vgl. auch Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Diese Eingriffe und ihr Ausmaß sind aber für die Beurteilung bzw. Qualifizierung des Bedrohungspotentials gleichfalls von erheblicher Relevanz, da sie – neben den staatlichen Verboten und strafrechtlichen Sanktionen - ebenfalls von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung sein können, ob jemand seinen Glauben aktiv in die Öffentlichkeit trägt oder dieses unterlässt.
109 
Nicht speziell in Bezug auf Ahmadis berichtet Rashid zu Todesfällen aufgrund religiös motivierter Gewalt: 2007 seien es über 1.500 gewesen, im Jahre 2008 2.155, im Jahre 2009 über 2.300. Im Jahre 2010 sei die Zahl zwar auf 1.796 zurückgegangen, um dann aber im Jahre 2011 wiederum auf mindestens 2.545 Fälle zu steigen (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 f., dort auch zu Zahlen von Todesopfern unter den Minderheiten der Christen und Hindus; vgl. auch Asian Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 8, wonach in den letzten drei Jahren über 800 Shia Muslime (Schiiten) durch religiöse Gewalt getötet worden seien, ohne dass staatliche Organe irgendwelche glaubwürdigen Gegenmaßnahmen ergriffen hätten; vgl. hierzu auch U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 2012, S. 124). Die sanktionslosen Gewaltexzesse gehen sogar so weit, dass etwa im Juni 2006 ein ganzer von Ahmadis bewohnter Teil eines Dorfes (Jhando Sahi) niedergemacht und zerstört wurde, ohne dass dieses Konsequenzen nach sich gezogen hätte (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 18 und 45 ff.). Andere Quellen sprechen davon, dass nachweisbar 210 Ahmadis wegen ihres Glaubens getötet worden seien; zudem weiß man hiernach von 254 entsprechenden Mordversuchen zu berichten (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.131). In diesen Zahlen dürften die Opfer des Anschlags vom 28.05.2010 in Lahore (siehe oben) allerdings noch nicht enthalten sein.
110 
Dieses Bild der Schutzlosigkeit der Ahmadis wird ergänzt durch die seit 2011 zunehmenden Berichte von Schändungen von Ahmadi-Gräbern im gesamten Punjab (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.156). Zudem schwenken in jüngerer Zeit die Medien, nicht nur das staatliche Fernsehen, sondern auch die traditionell eigentlich eher liberale englischsprachige Presse auf die Anti-Ahmadi-Rhetorik ein. Dies hat zur Folge, dass sich die Auffassung, Ahmadis folgten einer Irrlehre und seien keine Muslime bzw. Apostaten, in der Mehrheitsbevölkerung allgemein durchzusetzen und zum Allgemeingut zu werden beginnt, was zu einer weiteren Verschärfung der allgegenwärtigen Diskriminierungen der Ahmadis führt (Ziff. 19.150). Die Parliamentary Human Rights Group prognostiziert, dass Pakistan – nicht zuletzt auch mit Rücksicht auf seinen Umgang mit den Ahmadis - dabei sei, zu einem „failed state“ zu verkommen (vgl. S. 3). Nach Überzeugung des Senats sind die Ahmadis mittlerweile in eine Situation geraten, in der sie mit guten Gründen im traditionellen mittelalterlichen Sinn als „vogelfrei“ bezeichnet werden können. Dies gilt im Ausgangspunkt für alle „bekennenden“ Ahmadis, auch wenn sie ihren Glauben nicht bekennend und für ihn werbend bewusst in die Öffentlichkeit tragen (wollen). Für den Senat bestehen aber, wie bereits eingangs ausgeführt, keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass für jeden Angehörigen dieser Gruppe bereits ein „reales Risiko“ besteht.
111 
Typisch für das Klima der Gewalt ist etwa eine Äußerung des früheren Ministers für Religionsangelegenheiten Amir Liaquat Hussain, die dieser ungestraft im Jahre 2008 in einer beliebten Fernsehshow gemacht hatte, wonach es sowohl notwendig sei, aber auch dem Islam entspreche, alle Ahmadis zu töten (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 23). Im Dezember 2010 konnte ein einflussreicher Kleriker, Yousef Qureshi, 6.000 US Dollar für die Ermordung der Christin Asia Bibi ausloben, ohne dass dieses irgendwelche Konsequenzen für ihn hatte. Nach der Ermordung des Gouverneurs der Provinz Punjab, der sich für eine Reform der Blasphemiegesetze stark gemacht hatte, am 03.01.2011, wurde dessen Tod richtiggehend gefeiert. Dabei konnten ungestraft 500 Kleriker öffentlich verkünden, dass dessen Tod ein Sieg für das gesamte Land sei (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 30).
112 
Von der Parlamantary Human Rights Group wird – gut nachvollziehbar – bereits bezogen auf das Jahr 2006 die Lage so eingeschätzt, dass der gesamte Prozess der Regierung nicht mehr umkehrbar entglitten ist und sie gewissermaßen die Geister, die sie rief, nicht mehr in los wird (vgl. Januar 2007, S. 8).
113 
3. a) Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) schon im Jahre 2005 und somit vor der mittlerweile stattgefundenen und weiter stattfindenden Verschärfung der Lage in der Weise zusammenfassend charakterisiert worden war, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellte und stellt nunmehr umso mehr für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen identitätsbestimmender Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL dar. Der Präsident von amnesty international Pakistan wurde dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführe, dass es niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.; vgl. aber zur gleichfalls prekären, durch Marginalisierung und Armut geprägten und sich zunehmend verschlechternden Lage der Christen U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, 121 ff., 125 f.; UNHCR, Guidelines, S. 25 ff.)
114 
Von zentraler Bedeutung für die Einschätzung der Lage der Ahmadis durch den Senat ist dabei das gegen sie gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot, sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis in vielfältiger Weise insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b) QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen weiteren Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c) QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn namentlich jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung oder sonstiger Leib und Leben gefährdender Übergriffe möglich sind. Diese Verbote sind auch eine wesentliche ideologische Absicherung und Grundlage für das zunehmend aggressiv werdende Handeln privater Akteure gegenüber Mitgliedern der Religionsgemeinschaft der Ahmadis. Die Blasphemiegesetze werden von Human Rights Watch Asia als ein wesentlicher Nährboden für die zunehmende extremistische und religiös begründete Gewalt beschrieben und bewertet (so Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 16 f.; vgl. auch ders. S. 9 mit dem Hinweis, dass eine weitere Ursache der Gewalt jedenfalls gegenüber den Ahmadis darin zu erblicken sei, dass es diese konsequent und einschränkungslos ablehnen, den Islam mit Gewalt zu verbreiten; vgl. auch Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6 und 9 die zusätzlich darauf hinweist, dass in der muslimischen Mehrheitsbevölkerung die Ansicht weit verbreitet ist, die Ahmadiyya Bewegung sei ein Produkt der britischen Kolonisatoren, um die Muslime zu spalten). Die Kehrseite von alledem ist dann, dass auch der solchermaßen erzwungene Verzicht auf öffentlichkeitsbezogenes Glaubensleben bei dem hier in den Blick zu nehmenden Personenkreis eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt, die für sich betrachtet bereits die maßgebliche Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt und die selbst auf Eingriffshandlungen zurückzuführen ist, die ihrer Art und Wiederholung nach keine gleichartigen Eingriffshandlungen ausmachen (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL; vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 37). Denn bezogen auf das jeweilige betroffene Subjekt ist gewissermaßen in erster Linie das Ergebnis bzw. der Erfolg relevant, nämlich den Glauben nicht mehr öffentlichkeitswirksam in zumutbarer Weise auszuüben oder ausüben zu können. Eine Unterscheidung zwischen einem durch staatliche Maßnahmen induzierten Verzicht (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a) QRL) und einem solchen, der auf das Handeln nicht staatlicher Akteure zurückgeht ist (vgl. dann Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL), ist dabei nicht möglich und wäre völlig lebensfremd. Sie würde namentlich an der Realität in Pakistan vorbeigehen. Die Beweggründe für einen bekennenden Ahmadi, entgegen seinem verpflichtenden Glaubensverständnis den Glauben gleichwohl nicht in die Öffentlichkeit zu tragen, können und werden notwendigerweise nicht eindimensional sein.
115 
Bei diesem Ausgangspunkt kann für die bei einem – wie hier – unverfolgt ausgereisten Ahmadi, der glaubhaft erklärt hat, er werde im Falle der Rückkehr aus Furcht seinen Glauben nicht öffentlich bekennen bzw. für ihn werben, anzustellende Verfolgungsprognose nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung bezogen auf den hier zu betrachtenden Personenkreis rechtfertigen würden. Geht man von deutlich mehr als 60.000 eingeleiteten Strafverfahren (zuzüglich der im Jahre 1989 gegen die Bewohner Rabwahs eingeleiteten Verfahren, deren Zahl nicht bekannt ist) in einem Zeitraum von knapp dreißig Jahren aus, so darf allerdings nicht unterstellt werden, dass jedes dieser Verfahren schon mit einem relevanten Verfolgungseingriff verbunden war (vgl. hierzu auch oben 2 c). Daher erscheint auf den ersten Blick dann eine darunter liegende Zahl eher zu gering und nicht geeignet zu sein, eine ausreichende Verfolgungswahrscheinlichkeit zu begründen. Hiermit kann es aber nicht sein Bewenden haben. Hinzugezählt werden müssen, wie bereits erwähnt, nämlich die vielfältigen und unzweifelhaft zahlreichen, strafrechtlich bzw. ordnungsrechtlich nicht geahndeten Verfolgungsakte privater Akteure, die das tägliche Leben eines gläubigen und in der Öffentlichkeit bekennenden Ahmadi unmittelbar in sicherheitsrelevanter Weise berühren, wenn nicht gar prägen und in dieses eingreifen, wobei allerdings, wie bereits ausgeführt, die Eingriffe seriös und belastbar nicht quantifiziert werden können. Entgegen dem in Rdn. 33 des Revisionsurteils vermittelten Eindruck kann bei der Relationsbeurteilung auch nicht allein darauf abgestellt werden, in wie viel Fällen Strafverfahren eingeleitet und durchgeführt wurden bzw. werden. Denn das erzwungene Schweigen der hier interessierenden Personengruppe, das den relevanten Verfolgungseingriff darstellen kann, beruht, wie bereits ausgeführt, auch, wenn nicht gar überwiegend, auf den gewalttätigen, Leib und Leben gefährdenden bzw. sogar verletzenden Handlungen privater Akteure, die ungehindert und ungestraft vorgehen können und die damit nach Art. 6 lit. c) QRL flüchtlingsrechtlich relevant sind. Wollte man diesen Faktor unberücksichtigt lassen, würde ein völlig falsches Bild von der Situation der Ahmadis und deren Motivationslage gewonnen. Der Senat sieht sich nicht durch § 144 Abs. 6 VwGO gehindert, im Kontext der Relationsbetrachtung eine (unerlässliche) Ergänzung um diesen Gesichtspunkt vorzunehmen, weil er – nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Ausführungen unter Rdn. 25 des Revisionsurteils - nicht zu erkennen vermag, dass die Vorgaben des Revisionsurteils an dieser Stelle abschließenden Charakter haben. Wenn das Bundesverwaltungsgericht dort davon spricht, dass die vom Europäischen Gerichtshof angesprochene Verfolgung eine strafrechtlich relevante sein müsse, so wird diese Interpretation zwar vom Kläger infrage gestellt, gleichwohl sprechen aus der Sicht des Senats die besseren Gründe für die Sichtweise des Bundesverwaltungsgerichts. Zwar führt dieses dann dazu, dass die Verfolgungshandlungen der strafrechtlichen Verfolgung wie auch der Bestrafung nur solche sein können, die von staatlichen Akteuren ausgehen. Dieses gilt jedoch nicht in gleicher Weise für die unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung, die ohne weiteres auch nicht staatlichen Akteuren zugeordnet werden kann. Leibes- und lebensbedrohende Übergriffe privater Akteure auf einen Andersgläubigen sind aber zwanglos als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu begreifen.
116 
Aus allen vorliegenden Informationen kann nach Überzeugung des Senats auch der hinreichend verlässliche Schluss gezogen werden, dass für diejenigen Ahmadis, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und das Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen, in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko besteht, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen (würden). Denn bei dieser wertenden Betrachtung ist auch das erhebliche Risiko für Leib und Leben - insbesondere einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten bzw. gravierenden Übergriffen privater Akteure - zu berücksichtigen, sodass an den Nachweis der Verfolgungswahrscheinlichkeit keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen. Es entspricht der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung auch schon dann vorliegen kann, wenn aufgrund einer „quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für die Realisierung eines Verfolgungseingriffs besteht. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise eher nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er sein Heimatstaat verlassen soll oder in dieses zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber - wie im Falle der Ahmadi in Pakistan - jahrelange Haft, Folter oder gar Todesstrafe oder Tod oder schwere Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit seitens Dritter riskiert (BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162; vgl. nunmehr auch Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - Rdn. 32). Handelt es sich demnach um einen aktiv bekennenden Ahmadi, für den die öffentliche Glaubensbetätigung zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, muss landesweit von einem realen Verfolgungsrisiko ausgegangen werden.
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Selbst wenn man realistischer Weise nicht der Einschätzung des vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 12.03.2013 vernommenen Herr Khan folgt, dass es etwa 400.000 bekennende Ahmadis in Pakistan gebe und im Wesentlichen alle aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen auf eine öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigung verzichten und nicht etwa teilweise auch aus Opportunität, weil sie letztlich doch nicht so eng dem Glauben verbunden sind bzw. weil für sie der spezifische Öffentlichkeitsbezug nicht Teil ihres bestimmenden religiösen Selbstverständnisses ist, so kann doch nicht von der Hand gewiesen werden, dass es angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten, lebens- und leibesbedrohenden Übergriffe extremistischer Gruppen für viele gläubige Ahmadis der gesunde Menschenverstand nahelegen, wenn nicht gar gebieten wird, öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für viele Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Gemeinschaft der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit sei nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks. Diese seit nunmehr weit über nahezu 30 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und -bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Eine verlässliche Zahl derer, die aus Furcht vor staatlichen und/oder privaten Eingriffen auf eine Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit verzichten, ist in diesem Zusammenhang naturgemäß nicht zu ermitteln, da hierüber keine Aufzeichnungen gemacht und Statistiken geführt werden und es sich regelmäßig auch um innere Meinungsbildungsprozesse handeln wird.
118 
Allerdings sieht sich der Senat nicht in der Lage, eine besondere und zusätzliche Relationsbetrachtung (vgl. Rdn. 33 des Revisionsurteils), die der Absicherung der Einschätzung und zur Plausibilisierung des Verfolgungsrisikos dienen soll, in quantitativer Hinsicht vollständig anzustellen. Wie bereits ausgeführt, lässt sich der in diesem Zusammenhang einzusetzende Faktor der Zahl derjenigen Ahmadi, die trotz aller Verbote, Strafandrohungen, Strafverfahren, verhängter Strafen sowie Leib oder Leben gefährdender Angriffe privater Akteure weiter öffentlichkeitswirksam agieren, nicht annähernd zuverlässig ermitteln, woran die Relationsbetrachtung bereits scheitern muss, wobei ergänzend anzumerken ist, dass nach den einleuchtenden Ausführungen von Herrn Khan gegenüber dem VG Stuttgart alles dafür spricht, dass es eine relevante Anzahl überhaupt nicht mehr gibt. Diese faktischen Grenzen der Ermittlungsmöglichkeiten dürfen allerdings nicht zwangsläufig zu Lasten der Schutzsuchenden und Schutzbedürftigen gehen. Wenn sich aus anderen Erkenntnisquellen plausible Schlussfolgerungen ziehen lassen, die noch hinreichend verlässlich sind, gebietet es im Interesse eines wirksamen und menschenrechtsfreundlichen Flüchtlingsschutzes der unionsrechtliche Grundsatz des „effet utile“, damit sein Bewenden haben zu lassen.
119 
Der Senat verwertet allerdings die von Herrn Khan beim Verwaltungsgericht Stuttgart gemachten Angaben, wonach grundsätzlich jeder Ahmadi, der heute auf öffentlichen Plätzen für seinen Glauben werben würde, damit zu rechnen hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar erhebliche Nachteile zu erleiden (wie Gewaltanwendung staatlicher Organe oder privater Akteure, Strafverfahren und strafrechtliche Sanktionen), weshalb derartiges faktisch kaum mehr stattfindet. Da diese Einschätzung nach den oben gemachten Feststellungen ohne weiteres plausibel ist, sieht der Senat keinen Anlass an deren Zuverlässigkeit zu zweifeln, auch wenn Herr Khan, der als Flüchtling anerkannt ist, sicherlich insoweit gewissermaßen „Partei“ ist, als er selber Ahmadi und unmittelbar den Institutionen der Glaubensgemeinschaft der Ahmadis in Deutschland verbunden ist. Nimmt man noch den von Herrn Khan geschilderten Gesichtspunkt hinzu, dass heute praktisch kein Ahmadi mehr in den großen Moscheen bzw. Gebetshäusern erscheint, um in Gemeinschaft mit anderen am öffentlichen Gebet teilzunehmen, sei es aus Furcht vor staatlichen Eingriffen, sei es (noch wahrscheinlicher) vor privaten Akteuren, so muss nach Überzeugung des Senats von einer (ausreichend) hohen Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, dass ein Ahmadi, der sich nicht um Verbote etc. kümmert und gleichwohl in der Öffentlichkeit agiert, Opfer erheblicher Ein- und Übergriffe werden wird, und deshalb der Verzicht auf ein öffentlichkeitswirksames Glaubensbekenntnis in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Verboten und dem Verhalten privater feindlicher Akteure steht und maßgeblich hierauf beruht.
120 
Selbst wenn man der Auffassung sein wollte, dass der auf die dargestellte Art und Weise verursachte Verzicht auf jede öffentliche Glaubensbetätigung allein noch nicht die Qualität eines relevanten Verfolgungseingriffs hat, so ergibt sich ein solcher jedenfalls aus einer wertenden Zusammenschau dieses Aspekts mit den oben beschriebenen vielfältigen Diskriminierungen und Einschränkungen, die für sich betrachtet entweder noch keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit im konkreten Einzelfall begründen bzw. nicht die erforderliche Schwere aufweisen mögen. Wegen dieser letztlich maßgeblichen Gesamtschau liegt dann in jedem Fall eine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL vor.
121 
b) Einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, zu dessen verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und ggfs. auch zu werben oder zu missionieren, steht kein interner Schutz im Sinne des Art. 8 QRL offen, d.h. es gibt keinen Landesteil, in dem er in zumutbarer Weise und ungefährdet seinen Glauben öffentlich leben kann. Was die dem pakistanischen Staat unmittelbar zuzurechnenden Eingriffe betrifft, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen landesweit die gleichen. Gerade der Umstand, dass 1989 und 2008 Strafverfahren gegen alle Ahmadis in Rabwah eingeleitet worden waren, belegt dieses eindringlich. Was die Aktionen privater Akteure betrifft, geht die Einschätzung der Parliamentary Human Rights Group - PHRG - (Report of the PHRG Fact Finding Mission to Pakistan vom 24.10.2010, S. 2) und der von ihr angehörten Gewährspersonen dahin, dass eine ausreichende Sicherheit auch nicht in Rabwah besteht. Der Präsident von amnesty international von Pakistan wird dahin gehend zitiert, dass Ahmadis nirgends sicher seien, auch nicht in Rabwah, denn die Polizei würde auch den erforderlichen Schutz dort nicht gewähren, was er plausibel damit erklärt, dass die bereits erwähnte Gruppierung Khatm-e Nabuwwat einen Schwerpunkt ihrer Betätigung in Rabwah hat, wenn er auch nicht gänzlich in Abrede stellt, dass das Sicherheitsniveau dort etwas höher sei, besser wäre hier allerdings davon zu sprechen, dass das Unsicherheitsniveau etwas niedriger ist (vgl. zu alledem Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.145 ff.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 20 ff. mit vielen Einzelaspekten). Die Situation wird – in erster Linie in Bezug auf nicht staatliche Akteure – auch so beschrieben, dass die Bedrohung von Ort zu Ort unterschiedlich ist und von Jahr zu Jahr wechselt (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.151). Ganz abgesehen davon ist für den Senat nicht ersichtlich, dass alle landesweit lebenden Ahmadis in Rabwah eine den Anforderungen des Art. 8 QRL genügende wirtschaftliche Existenz finden könnten (vgl. UNHCR, Guidelines, S. 43, und ausführlich zur wirtschaftlichen Situation in Rabwah Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 7 und 24 ff.).
122 
4. Gläubige Ahmadis hingegen, die nicht zu der oben beschriebenen Gruppe rechnen, weil für sie der Aspekt des aktiven Bekenntnisses in der Öffentlichkeit keine besondere Bedeutung hat, können hiernach nur dann von einem Verfolgungseingriff aufgrund einer kumulativen Betrachtungsweise nach Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL betroffen sein, wenn nach den Verhältnissen in Pakistan diese Betroffenheit sich generell aufgrund sonstiger Diskriminierungen als eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellen würde. Von einer generellen Betroffenheit aller Mitglieder der Teilmenge der gläubigen, ihren Glauben auch (ohne direkten Öffentlichkeitsbezug) praktizierenden Ahmadi kann, was die die oben angesprochenen Diskriminierungen im Bildungswesen und beruflicher Art betrifft, noch nicht gesprochen werden. Hier kann sich allein im Einzelfall aus einer Gesamtschau eine ausreichende Schwere der Verletzung ergeben. Allerdings besteht eine generelle Betroffenheit insoweit, als sie sich nicht einmal als Moslems bezeichnen dürfen und die Finalität des Propheten Mohamed anerkennen müssen, was dann mittelbar eine gleichberechtigte Teilhabe an den staatsbürgerlichen Rechten, wie dem Wahlrecht unmöglich macht. Da jedoch die eigentlich Glaubensbetätigung auch außerhalb des eigentlichen „forum internum“ – vorbehaltlich weiterer künftiger Verschärfungen insbesondere von Seiten privater Akteure – noch möglich ist, ohne dass dieses mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erheblichen Beeinträchtigungen führt, liegt nach Auffassung des Senats, obwohl diese Betätigungen keineswegs risikofrei sind, noch keine auf diese bezogene schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach der vom Europäischen Gerichtshof in seiner Rechtsprechung verbindlich entwickelten Auslegung des Art. 9 Abs. 1 QRL vor.
123 
Etwas anderes gilt selbstverständlich auch dann, wenn ein solcher Ahmadi unmittelbar und konkret von einem staatlichen Verfolgungsakt betroffen ist, der an seine religiöse Überzeugung anknüpft (vgl. Art. 10 Abs. 2 QRL), der mit einem Eingriff in Leib, Leben oder Freiheit (im engeren Sinn) verbunden ist; ebenso dann, wenn ein derartiger Eingriff von nicht staatlichen Akteuren ausgeht und die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 QRL nicht vorliegen, wovon aber nach vom Senat getroffenen Feststellungen (vgl. oben 2 g) auszugehen ist.
124 
V. Der Senat ist gleichfalls überzeugt, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Er kann zunächst auf die Ausführungen im Urteil vom 13.12.2011 verweisen. An dieser Einschätzung ist auch nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung festzuhalten. Er hat – wenn auch mit einfachen Worten – dem Senat die Überzeugung vermittelt, dass das öffentliche und auch werbende Bekenntnis für seinen Glauben für ihn selbst von großer Bedeutung ist, er tatsächlich danach lebt und es ihn erheblich belasten würde, wenn er dieses aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen unterlassen müsste.
125 
Damit gehört der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehen und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen sind.
126 
VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.
127 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung der Ziffern 1, 3, 4, 5, und 6 des Bescheides des Bundesamtes für ... vom 10. Februar 2016 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger und nach eigenen Angaben dem Volk der Punjabis zugehörig sowie Angehöriger der Glaubensgemeinschaft Ahmadiyya Muslim Jamaat. Nach seinen Angaben reiste er am ... 2012 auf dem Luftweg in die ... ein und stellte am ... 2012 einen Asylantrag.

Bei der Befragung zur Vorbereitung der Anhörung beim Bundesamt für ... (im folgenden Bundesamt) am 22. November 2012 gab der Kläger im Wesentlichen an, ein Schleuser habe ihm einen pakistanischen Reisepass und ein Visum für die ... besorgt, für die Reise habe er 1,6 Mio. Rupien bezahlt. Der Kläger sei von L. aus über D. nach ... geflogen, er wisse aber nicht mehr, an welchem deutschen Flughafen er gelandet sei.

Ausweislich einer Auskunft des Deutschen Generalkonsulates in K., Pakistan, wurde dem Kläger ein Schengen-Visum mit Gültigkeit vom 15. August 2012 bis 14. Oktober 2012 erteilt (Bl. 43 ff. der Behördenakte).

Bei seiner Anhörung am 8. März 2013 gab der Kläger im Wesentlichen an, das Visum für die Einreise habe ein Schleuser besorgt, er habe dafür keinerlei Unterschriften geleistet. Er habe sich bis zu seiner Ausreise in B. aufgehalten. Er sei verheiratet und habe fünf Kinder, seine Familie lebe in Ch. N.(R.). Der Kläger habe in K. für einen Kurierservice für ca. 8.000 Rupien im Monat gearbeitet. Er habe seinen Arbeitsplatz vor zwei Jahren verloren und dann trotz Bewerbungen bei anderen Kurierfirmen keine Beschäftigung mehr gefunden, weil er Ahmadi sei. Auch als Koch habe er keine Arbeit gefunden, auch nicht in Ch. N., wo zwar viele Ahmadis lebten, es aber nur wenige Restaurants gebe. Dort, wo er mit seiner Familie gewohnt habe, sei es nicht einfach gewesen. Die Familie habe einige Male umziehen müssen, wenn der Vermieter erfahren habe, dass sie Ahmadis seien. Die Kinder seien in der Schule geohrfeigt worden. Der Kläger habe versucht, sich selbständig zu machen, weil er Ahmadi sei, habe aber niemand ein Geschäft zur Verfügung stellen wollen. Dies habe ihn so belastet, dass er krank geworden sei. Zwei Jahre lang habe er keine Arbeit gefunden und sei in dieser Zeit von den Eltern und Schwiegereltern finanziell unterstützt worden. Er habe außerdem sein Haus, das er vor eineinhalb Jahren mit Geld von seinem Vater gekauft habe, wieder verkaufen müssen. Er habe versucht, sich mit einem Kurierservice in B. selbständig zu machen, habe aber am Basar, wo die anderen Kurierdienste ihre Ladenlokale hätten, kein Geschäft bekommen können. Dort seien zwar noch Geschäfte frei gewesen, man habe ihm aber gesagt, dass er als Ahmadi keines davon bekommen werde. Er habe versucht, an anderer Stelle einen Kurierdienst zu betreiben, habe aber trotz Werbung keine Kundschaft gewinnen können und das Vorhaben nach weniger als einem Monat wieder aufgegeben. Er habe außerdem Drohbriefe von unbekannten Absendern erhalten, die unter der Tür durchgeschoben worden seien. Anlass für diese Briefe, die viele Beschimpfungen enthalten hätten, sei gewesen, dass in seinem Haus in B. monatliche Versammlungen der Ahmadi-Frauen stattgefunden hätten. Er habe seine Frau und seine Kinder vor der Ausreise nach Ch. N. gebracht, weil sich sonst niemand um sie kümmern könne. Der Kläger legte dem Bundesamt außerdem eine Bescheinigung des Ahmadiyya Muslim Jamaat e.V., Frankfurt a.M. vom 11. März 2013 vor, wonach er seit Geburt Mitglied der Ahmadiyya Muslim Jamaat sei.

Mit Schreiben an das Bundesamt vom 23. April 2015 wies der Bevollmächtigte des Klägers unter Vorlage mehrerer Fotos und Unterlagen darauf hin, dass der Kläger eine religiös geprägte Persönlichkeit sei. Er sei ein sogenannter Mußi, also Mitglied einer elitären Sondergruppe der Ahmadis, die sich durch besondere Hingabe auszeichne und einen etwa doppelt so hohen Mitgliedsbeitrag zahle. Der Kläger habe im Briefverkehr mit dem Kalifen, dem Oberhaupt der Ahmadiyya-Gemeinde in London gestanden, diesen auch persönlich getroffen und an der Jahresversammlung Jalsa Salana sowie an den Aktivitäten des Sozialdienstes teilgenommen. Er nehme auch am sogenannten Tabligh, den Aktivitäten der Werbung und Information über den Ahmadiyya-Glauben teil.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 10. Februar 2016 wurde der Antrag des Klägers auf Asylanerkennung abgelehnt (Ziffer 2 des Bescheides), die Flüchtlingseigenschaft sowie der subsidiäre Schutzstatus wurden nicht zuerkannt (Ziffern 1 und 3 des Bescheides). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Ziffer 4 des Bescheides). Der Kläger wurde aufgefordert, die ... binnen 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen, widrigenfalls wurde ihm die Abschiebung nach Pakistan oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht (Ziffer 5 des Bescheides). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6 des Bescheides). Zur Begründung wird ausgeführt, der pauschale Verweis auf Diskriminierungen im Heimatland reiche nicht aus, vielmehr müsse im Einzelfall dargelegt werden, durch welche Maßnahmen der Asylantragsteller betroffen gewesen sei. Eine solche individuelle Verfolgung habe der Kläger aber nicht hinreichend substantiiert schildern können. Der Rest der Familie des Klägers könne offenbar unbehelligt in Ch. N. leben, dies spreche gegen ein ernsthaftes und landesweites Verfolgungsinteresse seitens nichtstaatlicher Stellen. Der Kläger könne sich nicht allein wegen seiner Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft auf eine Gruppenverfolgung berufen. Auch sei zu Lasten des Klägers zu würdigen, dass er hinsichtlich der Sachverhaltsaufklärung zu seinen Reiseformalitäten und seinen Personalien ein Beweis vereitelndes und Beweis vernichtendes Verhalten gezeigt habe. Der Bescheid wurde am 16. Februar 2016 mit Einschreiben an den Bevollmächtigten des Klägers versandt.

Mit Schriftsatz vom 24. Februar 2016, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am 25. Februar 2016, ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage erheben und beantragen,

die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und den Bescheid des Bundesamtes für ... vom 10. Februar 2016 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht,

hilfsweise ihm subsidiären Schutz zu gewähren,

weiter hilfsweise ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG festzustellen.

Wegen der speziell gegen Ahmadis gerichteten Gesetzgebung Pakistans bestehe für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen Ahmadi, zu dessen Überzeugung auch die öffentliche Religionsausübung gehöre, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer an die Religion anknüpfenden Verfolgung. Wegen der massiven Diskriminierungen und Übergriffe auf Ahmadis in Pakistan seien diese gezwungen, alle öffentlichkeitswirksamen Glaubensbetätigungen zu unterlassen oder auf ein Minimum zu beschränken.

Mit Schriftsatz vom 29. Februar 2016 beantragte das Bundesamt für die Beklagte,

die Klage abzuweisen.

Der Bevollmächtigte des Klägers wies mit Schriftsätzen vom 1. März 2016 und 11. März 2016 darauf hin, dass die in der Vergangenheit liegende Verfolgung des Klägers in Pakistan nachrangig sei. Vielmehr komme es wesentlich auf seine Religionsausübungsfreiheit an, die durch die pakistanischen Strafvorschriften und dem dadurch abgenötigten Verzichtsverhalten beschränkt werde.

Mit Schreiben vom 22. März 2016 trug der Bevollmächtigte des Klägers vor, dieser sei eine religiös geprägte Persönlichkeit, die sich durch eine sehr starke Glaubensgebundenheit auszeichne. Der Kläger habe im Briefverkehr mit dem Kalifen, dem Oberhaupt der Ahmadiyya-Gemeinde in London gestanden, diesen auch persönlich getroffen und aktiv an der Jahresversammlung Jalsa Salana sowie an den Aktivitäten des Sozialdienstes teilgenommen. Er besuche häufig die Ahmadi-Moschee in München, um an deren Unterhaltung, Säuberung und der Vorbereitung der dortigen Veranstaltungen mitzuwirken. Ebenso wirke er bei Aktionen des Sozialdienstes ... mit, bei denen beispielsweise an Neujahr Innenstädte vom Müll der Silvesterfeiern gesäubert würden. Er nehme auch am sogenannten Tabligh, den Aktivitäten der Werbung und Information über den Ahmadiyya-Glauben teil. Der Kläger sei im Übrigen ein sogenannter Mußi, also Mitglied einer elitären Sondergruppe der Ahmadis, die sich durch besondere Hingabe auszeichne und einen etwa doppelt so hohen Mitgliedsbeitrag zahle.

Mit Schriftsatz vom 10. Mai 2016 legte der Kläger eine Bescheinigung der Ahmadiyya Muslim Jamaat K.d.ö.R. vom 6. Mai 2016 vor, wonach er gebürtiges Mitglied der Ahmadi-Gemeinde und ein Mußi sei. Er nehme regelmäßig an Gebeten in der Moschee sowie an lokalen und zentralen Gemeindeveranstaltungen teil und entrichte seine Mitgliedsbeiträge ordnungsgemäß. Derzeit diene er seiner Lokalgemeinde als Sekretär für Verpflegung und der lokalen Seniorenorganisation als Zuständiger für Koranunterricht und für Sonderspenden. Außerdem helfe er seiner örtlichen Gemeinde bei Informationsständen, sozialen Aktivitäten und ehrenamtlichen Gemeindetätigkeiten. Sein Verhalten der Gemeinde gegenüber sei zufriedenstellend.

Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 14. März 2017 Bezug genommen. Ergänzend wird nach § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Gründe

1. Die zulässige Klage hat Erfolg. Dem Kläger steht der im Hauptantrag geltend gemachte Anspruch auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus gemäß § 3 des Asylgesetzes (AsylG) zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO); der insofern entgegenstehende Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 2016 war daher in dessen Ziffern 1, 3, 4, 5 und 6 aufzuheben.

a) Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss auch in Asylstreitigkeiten das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit - und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit - des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 - 9 B 239/89 - InfAuslR 1989, 349). Das Tatsachengericht darf dabei berücksichtigen, dass die Befragung von Asylbewerbern aus anderen Kulturkreisen mit erheblichen Problemen verbunden ist (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989, a.a.O.). Der Asylbewerber befindet sich typischerweise in Beweisnot. Er ist als „Zeuge in eigener Sache“ zumeist das einzige Beweismittel. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und die Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an. Wer durch Vortrag eines Verfolgungsschicksals um Asyl nachsucht, ist in der Regel der deutschen Sprache nicht mächtig und deshalb auf die Hilfe eines Sprachmittlers angewiesen, um sich mit seinem Begehren verständlich zu machen. Zudem ist er in aller Regel mit den kulturellen und sozialen Gegebenheiten des Aufnahmelands, mit Behördenzuständigkeiten und Verfahrensabläufen sowie mit den sonstigen geschriebenen und ungeschriebenen Regeln, auf die er nunmehr achten soll, nicht vertraut. Es kommt hinzu, dass Asylbewerber, die alsbald nach ihrer Ankunft angehört werden, etwaige physische und psychische Auswirkungen einer Verfolgung und Flucht möglicherweise noch nicht überwunden haben und dies ihre Fähigkeit zu einer überzeugenden Schilderung ihres Fluchtgrunds beeinträchtigen kann (BVerfG, U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1516/93 - NVwZ 1996, 678).

Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG. Das Gericht ist der Überzeugung, dass dem Kläger als bekennendem Ahmadi im Herkunftsland ernsthafter Schaden droht.

b) Die Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad gegründet. Dieser beansprucht Messias, Mahdi, Prophet, die geistige Wiedergeburt Jesu, Mohameds, Vishnus, Krishnas, Buddhas und der Reformer am Anfang der tausendjährigen Endzeit zu sein, den wahren Islam zu vertreten und ihn durch seine Bewegung innerhalb von 300 Jahren zum Sieg über alle anderen Religionen und islamischen Konfessionen zu führen. In ihrer Dogmatik weicht die Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya von den sunnitischen und schiitischen Hauptrichtungen des Islam, vor allem in ihrer Prophetenlehre, ab, weil sie Mohamed nicht als letzten Propheten ansieht. Vor allem aufgrund der Infragestellung der Finalität des Prophetentums Mohameds, eines essentiellen Bestandteils des Glaubens anderer islamischer Gemeinschaften, sind die Ahmadis insbesondere aus der Sicht orthodoxer Muslime Apostaten, die ihr Leben verwirkt haben. Aufgrund ihres Selbstverständnisses werden Ahmadis in Pakistan durch eine speziell gegen sie gerichtete Gesetzgebung diskriminiert. Der Islam wird in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erhoben. Durch eine Verfassungsänderung im Jahr 1974 wurden die Ahmadis ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit bezeichnet und geführt. Nach der pakistanischen Verfassung ist kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Propheten Mohamed glaubt oder andere Propheten als Mohamed anerkennt. Aus diesem verfassungsunmittelbaren Verbot, sich als Muslime zu begreifen und zu verstehen, ergeben sich für die Ahmadis in allen Lebensbereichen Einschränkungen und Verbote. Sie können bei Wahlen nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren und nur solche wählen. Um ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren und gewählt werden zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetentums Mohameds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert. Es ist Ahmadis in Pakistan außerdem untersagt, zum Gebet aufzurufen, ihre Gebetshäuser Moschee zu nennen, öffentliche Versammlungen oder religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, für den Glauben zu werben, an der Pilgerfahrt nach Mekka teilzunehmen und Literatur oder andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalt zu verbreiten. Außerdem dürfen sie geläufige religiöse Sprechweisen nicht benutzen, weil dies den Eindruck erwecken könne, sie seien Muslime (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Österreich, Analysen Pakistan, Ahmadiyya-Entstehung und Glauben, 15.4.2013; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan, Stand: Mai 2016).

Das Gericht geht allerdings in Übereinstimmung mit der überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung davon aus, dass Angehörige der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya Muslim Jamaat in Pakistan nicht allein wegen ihres Glaubens und der Praktizierung ihres Glaubens einer Gruppenverfolgung ausgesetzt sind (vgl. ausführlich VGH BW, U.v. 12.6.2013 - A 11 S 757/13 - juris Rn. 57 ff.; BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67; OVG NW, B.v. 19.12.2016 - 4 A 2203/15.A - juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 5.2.2016 - 21 ZB 16.30014 - juris Rn. 9; SächsOVG, U.v. 18.9.2014 - A 1 A 348/13 - juris Rn. 43; VG München, U.v. 18.5.2016 - M 23 K 14.31133 - juris Rn. 26; VG Oldenburg, U.v. 30.1.2017 - 5 A 513/14 - juris Rn. 50 ff.). Anhaltspunkte dafür, dass sich die Bedingungen wesentlich verschlechtert haben, sind nicht vorgetragen und sind auch den Erkenntnismitteln, die Gegenstand des Verfahrens sind, nicht zu entnehmen. Auch der aktuelle Lagebericht führt zwar aus, dass die islamische Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya nach der pakistanischen Verfassung nicht als muslimisch anerkannt werde und Ahmadis durch eine speziell gegen sie gerichtete Gesetzgebung diskriminiert würden. Der weitaus größte Teil der Ahmadis lebt danach jedoch friedlich mit den muslimischen Nachbarn zusammen, auch wenn weiterhin über Fälle von Repressionen Dritter gegen Ahmadis (beispielsweise Aufrufe zu Übergriffen über Moscheelautsprecher) berichtet wird (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan, Stand: Mai 2016, S. 14 f.). Im Übrigen kann insoweit auch auf die zutreffende Begründung des streitgegenständlichen Bescheides Bezug genommen werden, § 77 Abs. 2 AsylG.

c) Etwas anderes gilt jedoch für diejenigen Ahmadi, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und ihr Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen. Für diese Personen besteht in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen würden. Sie haben mit einem erheblichen Risiko für Leib und Leben durch die Gefahr einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten oder gravierenden Übergriffen privater Akteure zu rechnen (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67; VGH BW, U.v. 12.6.2013 - A 11 S 757/13 - juris Rn. 113 ff.; VG München, U.v. 23.3.2016 - M 23 K 13.31367 - juris Rn. 18). Ein Angehöriger der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya aus Pakistan, für den das Leben und Bekennen seines Glaubens in der Öffentlichkeit identitätsbestimmender Teil seines Glaubensverständnisses ist, kann die Flüchtlingseigenschaft auch dann, wenn er im Falle der Rückkehr sein öffentliches Glaubensbekenntnis unterlassen würde, besitzen (vgl. VGH BW, a.a.O., Rn. 46). Denn das auch in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EUGRCh) verankerten Recht auf Religionsfreiheit ist ein grundlegendes Menschenrecht, das eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft darstellt und Art. 9 EMRK entspricht. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann (EuGH, U.v. 5.9.2012 - C-71/11 u.a. - BayVBl 2013, 234, Rn. 57). Zu den Handlungen, die nach der Rechtsprechung des EuGH eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Asylantragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Die Beachtlichkeit einer Verletzungshandlung kann danach nicht davon abhängig gemacht werden, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift. Maßgeblich sind vielmehr die Art der ausgeübten Repressionen und ihre Folgen für den Betroffenen (EuGH, U.v. 5.9.2012 - C-71/11 u.a. - BayVBl 2013, 234, Rn. 62; BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67). Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3a Abs. 1 AsylG handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in § 3c AsylG genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden.

Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit setzt dabei nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Schon das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich kann eine hinreichend gravierende Verfolgung darstellen, wenn der Verstoß dagegen die tatsächliche Gefahr entsprechender Sanktionen und Konsequenzen heraufbeschwört. Kann eine Verfolgung somit schon in dem Verbot als solchem liegen, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen letztlich nicht an (EuGH, U.v. 5.9.2012 - C-71/11 u.a. - BayVBl 2013, 234, Rn. 69; VGH BW, U.v. 12.6.2013 - A 11 S 757/13 - juris Rn. 45).

d) Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Ein Verzicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung im Herkunftsland kennzeichnet die religiöse Identität eines Gläubigen allerdings dann nicht, wenn er aus der naheliegenden und begründeten Furcht vor Verfolgung erfolgte (vgl. VGH BW, U.v. 12.6.2013 - A 11 S 757/13 - juris Rn. 50). Denn es ist nachvollziehbar, dass es für die Ahmadis nahe liegt, wenn es sich nicht gar gebietet, alle öffentlichkeitswirksamen Glaubensbetätigungen zu unterlassen oder auf ein Minimum zu beschränken, weil sie bei realistischer Betrachtungsweise mit erheblichen Reaktionen des Staates oder von nicht staatlichen Akteuren rechnen müssen, wenn sie ihr Menschenrecht auf Religionsfreiheit aktiv wahrnehmen.

e) Die Angaben des Klägers zu seiner Einreise mit Hilfe eines Schleusers sind zwar nicht ganz widerspruchsfrei und überzeugend, was auch schon im angefochtenen Bescheid vom 10. Februar 2016 - insoweit zutreffend - ausgeführt wird. Letztlich kann dies aber dahinstehen, ebenso wie die Frage, ob der Kläger vor seiner Ausreise aus Pakistan bereits Verfolgungsmaßnahmen erlitten hat oder von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war. Denn es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen rechnen muss, die an seine Religion anknüpfen. Diese beachtlich wahrscheinliche Gefährdung ergibt sich im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG aus einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen. Neben dem schriftsätzlichen Vorbringen hat der Kläger durch seine in seiner ihm eigenen, einfachen und zurückhaltenden Art gemachten, gleichwohl aber nicht weniger glaubhaften Ausführungen in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts deutlich gemacht, dass er ein gläubiger und praktizierender Ahmadi ist. Dem Kläger wurde bescheinigt, dass er seit Geburt Mitglied der Ahmadiyya Muslim Jamaat ist. Er hat außerdem glaubhaft dargelegt, dass ihm die erstmals in Deutschland mögliche Teilnahme an der spirituellen Jahresversammlung Jalsa Salana und auch das Zusammentreffen mit dem Kalifen sehr viel bedeutet haben. Der Kläger hat zudem überzeugend dargestellt, dass er sich besonders und insbesondere auch in öffentlichkeitswirksamer Weise für seine Gemeinde engagiert. So hat er beispielsweise an der traditionellen Reinigung am Neujahrstag teilgenommen und bei zahlreichen Gelegenheiten Flugblätter für die Gemeinde verteilt. Er hat glaubhaft ausgeführt, dass es ihm aufgrund seiner Glaubensüberzeugung ein inneres Anliegen ist, Gutes zu tun, anderen Menschen zu helfen und gerade dadurch für seine Glaubensgemeinschaft zu werben. Dass er schließlich nicht nur ein einfaches Mitglied ist, zeigt seine Registrierung als Mußi, die bereits in Pakistan erfolgte und die nach den glaubhaften Angaben des Klägers ebenfalls auf seiner inneren religiösen Überzeugung fußte. Anhaltspunkte dafür, dass sein religiöses Engagement lediglich asyltaktische Gründe hätte, sind - auch unter Berücksichtigung seines nunmehr über vierjährigen Aufenthalts in Deutschland - nicht erkennbar. Beim Kläger handelt es sich somit um einen aus der Allgemeinheit der Ahmadis hervorstechenden Gläubigen, der im Falle seiner Rückkehr nach Pakistan seinen Glauben öffentlich weiterhin ausüben wird und damit in die Gefahr religiöser Verfolgung geraten wird. Ein Unterlassen der Glaubensausübung in der Öffentlichkeit kann von ihm nicht verlangt werden (vgl. VGH BW, U.v. 12.6.2013 - A 11 S 757/13 - juris Rn. 46).

f) Einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, zu dessen verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und gegebenenfalls auch zu werben oder zu missionieren, steht auch kein interner Schutz im Sinne des § 3e AsylG offen, d.h. es gibt keinen Landesteil, in dem er in zumutbarer Weise und ungefährdet seinen Glauben öffentlich leben kann. Dies gilt auch für die Region Ch. N. (R.), wo zwar der Anteil der Ahmadis an der Bevölkerung vergleichsweise hoch ist, gleichwohl aber keine hinreichende Sicherheit vor staatlicher und nichtstaatlicher Verfolgung besteht (vgl. UNHCR, Eligibility guidelines for assessing the international protection needs of members of religious minorities from Pakistan, 14.05.2012, S. 42 f.). Zum einen gelten die Ahmadis diskriminierenden staatlichen Vorschriften in ganz Pakistan gleichermaßen, zum anderen hat insbesondere die islamistische Gruppierung „Khatm-e Nabuwwat“, die die Ahmadis in besonderer Weise bekämpft, einen Schwerpunkt ihrer Betätigung in Ch. N. (VG BW, U.v. 12.6.2013 - A 11 S 757/13 - juris Rn. 121).

g) Weil dem Kläger somit die Flüchtlingseigenschaft i.S.v. § 3 AsylG zuzuerkennen ist, war der angefochtene Bescheid des Bundesamts aufzuheben, soweit er dem entgegensteht. Dementsprechend waren neben der Ziffer 1 auch die Ziffern 3 und 4 des streitgegenständlichen Bescheides aufzuheben, da die Feststellung, dass der subsidiäre Schutzstatus und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, regelmäßig gegenstandslos wird, wenn die Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft Erfolg hat. Entsprechendes gilt für die Ausreiseaufforderung und Androhung der Abschiebung nach Pakistan (Ziffer 5 des Bescheides) sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG (Ziffer 6 des Bescheides). Über die hilfsweise gestellten Anträge auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG und Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG war nicht mehr zu entscheiden, da die Klage bereits im Hauptantrag erfolgreich war.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 der Zivilprozessordnung (ZPO). Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG).

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt im Wege einer Verpflichtungsklage die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne von § 3 AsylG, hilfsweise die Feststellung, dass sie subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 4 AsylG ist und weiter hilfsweise die Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 AufenthG.

Die am … 1981 geborene Klägerin ist pakistanische Staatsangehörige, Volkszugehörige der Punjabis und gehört der Glaubensgemeinschaft der Ahmadis an. Ihr Geburtsort ist die Stadt C. in der Provinz P. in Pakistan. Die Klägerin ist seit dem 1. Januar 2012 verheiratet. Ihr Ehemann stellte bereits am 7. November 2001 in Deutschland seinen ersten Asylantrag, welcher mit mittlerweile rechtskräftigem Urteil des VG Ansbach vom 11. September 2002 (Az.: AN 3 K 02.30764) abgelehnt wurde. Auch der durch den Ehemann am 16. Oktober 2012 gestellte Asylfolgeantrag wurde mit mittlerweile rechtskräftigem Urteil der erkennenden Kammer vom 21. Oktober 2016 (Az.: AN 11 K 16.30260) abgelehnt. Die Klägerin stellte am 27. Mai 2016 in Deutschland einen Asylantrag.

Zum Reiseweg der Klägerin ist aktenkundig, dass sie am 19. März 2016 über Istanbul und Barcelona schließlich mit dem Flugzeug in F. ... nach Deutschland eingereist ist. Die Klägerin gab dabei an, dass sie zusammen mit einem von ihrem Ehemann organisierten Schlepper, den sie nur als „Onkel …“ kenne, eingereist sei. Die Klägerin sei durch die Abfertigungskontrolle gelangt mit ihrem pakistanischen Reisepass sowie angeblich einem schwedischen Visum. Nach Durchlaufen der Kontrolle habe sie der Schlepper aufgefordert, ihren Rei sepass und das schwedische Visum an diesen wieder zurückzugeben. Sie habe seitdem keinen Kontakt mehr mit dem Schlepper. Die Klägerin gab im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung vor der Kriminalinspektion … am 26. April 2016 an, dass ihr Ziel gewesen sei, mit ihrem Ehemann zu leben. Es sei jedoch nicht möglich gewesen, ein Visum für Deutschland zu erhalten. Die Klägerin habe sich vor ihrer Reise darüber informiert, welche Möglichkeiten es gebe, ein Visum für Deutschland zu erhalten. Sie sei zu dem Schluss gekommen, dass die Voraussetzungen für ein Visum bei ihr nicht vorlägen. Da sie jedoch aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit in Pakistan in Gefahr sei, habe ihr Ehemann die Flucht mit dem Schlepper organisiert. Nachdem die Klägerin ihrem Mann mitgeteilt habe, dass sie keine Papiere habe, habe dieser einen Rechtsanwalt beauftragt, der einen Asylantrag für die Klägerin gestellt habe. Man habe dies am 23. oder 24. März 2016 - nachdem man bei der Polizei gewesen sei - gemacht. Die Klägerin sei davon ausgegangen, dass sie legal nach Deutschland eingereist sei. Die Klägerin wolle in Deutschland bleiben und bei ihrem Mann leben. Die Klägerin gab an, ein Jahr lang als Lehrerin und ein Jahr lang in einem Callcenter in der Stadt Lalian aber auch als Kindergärtnerin gearbeitet zu haben. Die Klägerin habe auch ihren Bachelor in Politikwissenschaften abgeschlossen und ein Masterstudium für zwei Jahre betrieben, jedoch nicht abgeschlossen.

Im Rahmen der Anhörung am 14. Juni 2016 vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gab die Klägerin Folgendes an. Die Klägerin habe zuletzt in R. im Haus ihrer Mutter gewohnt. In Pakistan würden noch die Mutter, drei Brüder mit ihren Familien und vier Schwestern wohnen.

Zu ihren Fluchtgründen gab die Klägerin an, dass ihr Großvater schon ein bedeutender Prediger der Ahmadis gewesen sei. Auch der Vater der Klägerin (und jüngster Sohn des Großvaters) sei engagiert gewesen. Der Vater und der Bruder der Klägerin seien im Transportwesen tätig gewesen und hätten unter anderem Baumaterial transportiert. Sie hätten eine Moschee für die Ahmadi und ein Krankenhaus gebaut und seien deswegen vor Ort angesehen gewesen. Andere Leute, die im selben Gewerbe wie der Vater der Klägerin tätig seien, hätten das jedoch nicht gemocht und deswegen den Bruder der Klägerin im Jahre 2011 oder 2012 entführt. Die Entführer hätten das Land und die Fahrzeuge des Vaters verlangt und als sechs Monate lang nichts geschehen sei, hätte ihr Vater den Entführern nachgegeben und ihnen sein Land und die Fahrzeuge übergeben. Ihr Vater sei dann 2013 verstorben. Die Klägerin habe sich nach dem Tod ihres Vaters für die Tätigkeiten in der Moschee eingesetzt. Sie habe Koranunterricht gegeben. Daneben habe sie auch einige EDV-Kurse und Kosmetik-Kurse gemacht. Sie habe dann ab Ende 2013 in der Stadt Lalian in einem Callcenter gearbeitet. Als Kollegen und Vorgesetzte herausgefunden hätten, dass die Klägerin eine Ahmadi sei, sei sie diskriminiert und beleidigt worden. Schließlich seien örtliche Imame in den Betrieb gekommen, hätten diesen mit Steinen beworfen und der Klägerin gesagt, dass sie dort nicht mehr arbeiten dürfe. Ihr Chef habe sie dann gezwungen, eine Kündigung zu unterschreiben. Die Klägerin habe auch unter dem Anschlag auf die Ahmadi-Moschee in Lahore im Jahr 2009 gelitten. Nachdem die Klägerin ihren Job in dem Callcenter verloren habe, sei sie zurück in die Stadt Lahore gegangen und habe dort wieder studiert. Dort habe sie in einem Studentenwohnheim gewohnt. Ihre Mitschüler hätten jedoch herausgefunden, dass sie eine Ahmadi sei. Daraufhin hätten sie ihre Mitbewohner im Studentenwohnheim aus dem Wohnheim herausgeworfen. Dies sei Ende 2013 geschehen. Am nächsten Morgen habe sich die Klägerin in einem anderen Studentenwohnheim angemeldet und sei zur Universität gegangen. Dort sei sie von Mitgliedern der Studentenorganisation „Jumeeyt Talbaa Taliban Pakistan“ beleidigt worden. Sie habe sich an den Direktor der Universität gewandt, der ihr gesagt habe, dass er sie nicht schützen könne. Der Direktor habe ihr den Rat gegeben, woanders zu studieren. Die Klägerin sei dann auch bei der Abgabe ihrer Masterarbeit von Frauen misshandelt und geschlagen worden. Daraufhin sei die Klägerin zu einem anderen Studentenwohnheim gegangen und habe sich dort angemeldet. Es habe zwar Beschwerden gegen sie gegeben, jedoch habe der Betreiber nichts gegen ihre Anwesenheit dort gehabt. Ungefähr fünf Monate später (also im Jahr 2014) sei die Klägerin eines Abends von einigen Mitbewohnerinnen gepackt, an den Haaren gezogen und aus dem Fenster im ersten Stock geworfen worden. Die Klägerin sei dann in den Garten gefallen und habe sich am Kopf und am rechten Handgelenk verletzt. Sie habe daraufhin ihren Bruder angerufen, der sie in ein Krankenhaus gefahren habe, wo man sie jedoch nicht behandelt habe, weil sie eine Ahmadi sei. Ihr Bruder habe sie dann zu einem Privatarzt gefahren. Die Klägerin sei dann in ein weiteres Studentenwohnheim gezogen und sei in eine andere Schule gegangen. Sie habe auch eine neue Stelle als Lehrerin angenommen. Dort habe es jedoch auch eine religiöse Gruppe gegeben, deren Mitglieder der Klägerin ihren Job weggenommen hätten und sie mit dem Tode bedroht hätten. Von Frauen dieser Gruppe sei die Klägerin im Januar 2016 auf der Straße attackiert worden. Dabei seien ihr die Kleider und ihr Kopftuch zerrissen worden. Die Klägerin sei dann wieder nach Hause zurückgegangen. Dort hätten nur noch ihre Mutter und ihr „gehandi-capter“ Bruder gelebt. Die Klägerin habe dann Morddrohungen auf ihr Handy bekommen. Sie habe ihre Telefonnummer gewechselt, jedoch hätten „sie“ dann auf dem Festnetz angerufen. Man habe dann auch Briefe mit Beleidigungen und Drohungen erhalten. Am Schluss sei immer gestanden, dass man die Klägerin töten werde. Zusammen mit den Briefen seien auch blutige Messer und ähnliche Gegenstände eingeworfen worden. Aufgrund der zunehmenden Drohungen, habe die Klägerin nicht mehr auf den Ausgang des Asylverfahrens ihres Ehemannes warten können, den sie am 1. Januar 2012 geheiratet habe. Die Klägerin führte aus, dass es nicht ihr Ziel gewesen sei, wegen Asyl nach Deutschland zu kommen. Es sei für die Klägerin nicht mehr möglich gewesen, in Pakistan zu leben. Zu ihren religiösen Aktivitäten befragt gab die Klägerin an, dass sie im Studentenwohnheim ab und zu die Ansprachen und Predigten ihres Khalifen verfolgt hätte. Diese Information habe sie dann teilweise weiter erzählt. Zu der Frage, woher die Mitbewohnerinnen gewusst hätten, dass die Klägerin eine Ahmadi sei, führte diese aus, dass dies wahrscheinlich „aus den Unterlagen“ ersichtlich sei. Außerdem stehe auf den Personalausweisen „not Muslim“. Außerdem stehe die Klägerin zu ihrem Glauben.

Mit Bescheid vom 10. August 2016, welcher als Einschreiben am 16. August 2016 zur Post gegeben wurde, erkannte das Bundesamt hinsichtlich der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Ziffer 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Ziffer 2), erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Ziffer 3) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4). Unter Ziffer 5 des Bescheides wurde die Klägerin aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen zu verlassen, andernfalls wurde ihr die Abschiebung nach Pakistan angedroht. Unter Ziffer 6 des Bescheides wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Auf den Bescheid des Bundesamtes wird insoweit Bezug genommen.

Zur Flüchtlingseigenschaft ist im Bescheid ausgeführt, dass sich die Klägerin darauf berufe, dass sie ihre beruflichen Tätigkeiten nicht habe fortsetzen können und aus verschiedenen Wohnunterkünften vertrieben worden sei. Belege dafür, dass ihre Angaben in Bezug auf die geschilderten Bedrohungen und Diskriminierungen zuträfen, habe sie ebenso wenig wie Dokumente, die ihre Identität beweisen könnten, nicht vorgelegt. Insoweit komme es auf einen schlüssigen und in sich stimmigen Sachvortrag an. Ein solcher liege nicht vor. Alle Vorfälle seien allein darauf zurückzuführen, dass andere Personen von ihrer Religionszugehörigkeit erfahren hätten. Wie diesen Personen die Religionszugehörigkeit bekannt geworden sein solle, habe die Klägerin nicht plausibel darlegen können. Auch wenn die Klägerin angebe, als Ahmadi immer die Wahrheit zu sagen, sei es nicht glaubhaft, wenn sie vortrage, dass man in Pakistan zunächst immer nach seiner Religion und nicht nach seinem Namen gefragt werde. Die Angaben der Klägerin in Bezug auf Bedrohungen, die sie im Haus ihrer Eltern immer wieder telefonisch oder schriftlich erhalten habe, seien detailarm und wenig aussagekräftig. Es sei nicht ersichtlich, warum, wie oft und womit die Klägerin konkret bedroht worden sei.

Die Klägerin habe am 1. Januar 2012 religiös geheiratet und ihr in Deutschland lebender Ehemann habe sie im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland holen wollen. Man habe jedoch nicht mehr warten können, bis das Asylverfahren des Ehemanns beendet worden sei. Hieraus sei zu folgern, dass die Ausreise der Klägerin bereits Anfang 2012 geplant und für die Klägerin handlungsleitend gewesen sei. Ihr Ziel sei nicht ein Verbleib in Pakistan, sondern die Ausreise nach Deutschland gewesen. Vor diesem Hintergrund bestünden erhebliche Zweifel, dass sich die von der Antragstellerin vorgetragenen Ereignisse in der geschilderten Ausprägung tatsächlich ereignet hätten und ihre Angst vor Verfolgung begründet sei. Aus dem Vortrag der Klägerin ergäben sich im Übrigen keine Anhaltspunkte, die die Annahme rechtfertigten, dass sie wegen der Vornahme religiöser Handlungen verfolgt worden sei oder dass sie aus Angst vor Verfolgung gehindert gewesen sei, ihre Religion in der Öffentlichkeit zu leben. Informationen dazu, inwieweit die Klägerin ihren Glauben in ihrer Heimat in einer für eine Verfolgung relevanter Weise praktiziert habe, gingen aus ihrem Vortrag nicht hervor. Im Übrigen bestünde für die Klägerin eine inländische Fluchtalternative in ihrem Heimatort …, in dem noch ihre Mutter und ihre drei Brüder mit ihren Familien und vier Schwestern wohnen würden.

Mit Schriftsatz vom 18. August 2016 - hier eingegangen am gleichen Tag - ließ die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Klage erheben und beantragt

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung der Ziffer 1 und Ziffer 3-6 des Bescheids des Bundesamts vom 10. August 2016 (Az. …*) verpflichtet festzustellen, dass in der Person der Klägerin die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft vorliegen.

2. hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 4 Abs. 1 AsylG vorliegen.

3. höchst hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

Eine ausführliche Begründung zur allgemeinen Lage der Ahmadi in Pakistan war diesem Schriftsatz bereits beigegeben. Mit Schriftsatz vom 16. September 2016 wurde die Klage weiter begründet. Die Klägerin sei eine religiös geprägte Persönlichkeit und begreife es als ihre Ver pflichtung, sich zu ihrem Glauben auch in der Öffentlichkeit zu bekennen. Die Klägerin habe sich bereits in Pakistan in der lokalen Ahmadi-Gemeinde engagiert, indem sie für die Dauer von mehreren Jahren unter anderem jungen Kindern ehrenamtlich Koranunterricht erteilt habe. Gegenstand des Koranunterrichts durch die Klägerin sei nicht nur das Lesen und die Aussprache, sondern auch die Übersetzung bzw. Auslegung der Koranverse im Lichte der Glaubensgemeinschaft. Während des Fastenmonats habe die Klägerin in der lokalen Frauenorganisation vor anderen Frauen regelmäßig den Koran rezitiert. Darüber hinaus sei sie ehrenamtlich in der Frauenorganisation in Pakistan tätig gewesen. In Deutschland praktiziere die Klägerin ihren Glauben, in dem sie das tägliche Islamische Gebet verrichte, den Koran zitiere und an lokalen und zentralen Veranstaltungen der Ahmadi-Gemeinde teilnehme und für ihren Glauben werbe, indem sie regelmäßig mit Nachbarn - sei es in der Asylunterkunft, sei es an ihrem aktuellen Wohnort - über ihre Glaubenslehre spreche. Die Klägerin begreife dies als ihre Verpflichtung. In der Asylunterkunft habe die Klägerin syrischen und afghanischen Kindern Koranunterricht gegeben, nachdem andere Eltern von ihren Fähigkeiten beeindruckt gewesen seien. Die Klägerin erteile auch am aktuellen Wohnort einer Frau aus Afghanistan nahezu täglich Koranunterricht. Diese Frau sei mittlerweile - insbesondere durch die Missionierungsarbeit der Klägerin - geneigt, den Ahmadi beizutreten. Die Beklagte habe die Ablehnung des Antrags der Klägerin im Wesentlichen damit begründet, dass nicht nachvollziehbar sei, woher die Mitmenschen hätten erfahren sollen, dass die Klägerin eine Ahmadi sei. Die Beklagte verkenne, dass die pakistanische Gesellschaft außerordentlich kasten- bzw. konfessionsbewusst sei. Die Nachbarn und das Umfeld einer Person in Pakistan seien deshalb stets über die Religion und die Kaste des Mitmenschen informiert. Hinzu komme, dass in der pakistanischen Gesellschaft der Alltag durch islamische Gebote und Verbote bestimmt werde. Beim Gebetsaufruf des Muezzin werde grundsätzlich die Arbeit niedergelegt und die Menschen eilten in die Moscheen, um das Gebet zu verrichten. Ein Ahmadi besuche in Pakistan nicht die Moschee. Ahmadis blieben deshalb unter sich, um zu beten. Die Gebetsräume der Ahmadis seien in der pakistanischen Gesellschaft, in der sich alle in der Nachbarschaft untereinander kennen würden, allen bekannt, sodass letztlich alle wissen würden, ob jemand ein Ahmadi sei oder nicht. Ein aktives Mitglied der Gemeinde könne seine Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft in Pakistan deshalb schlechthin nicht verheimlichen, selbst wenn er diese nicht selbst offen lege.

Mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2016 wurde noch eine auf den 19. Oktober 2016 datierte Mitgliedsbescheinigung der Deutschlandzentrale der Glaubensgemeinschaft der Klägerin vorgelegt, die bestätigt, dass die Klägerin in Pakistan gebürtiges Mitglied der Gemeinde sei, guten Kontakt gepflegt habe und der lokalen Frauenorganisation als Helferin der Sekretärin für Bildung und Sport gedient habe. Aufgrund der gefährlichen Lage in Pakistan, könnten Frauen die Moscheen zu den Gebeten nicht besuchen. In Deutschland nehme die Klägerin regelmäßig an den lokalen und zentralen Gemeindeveranstaltungen teil. Darüber hinaus helfe sie der Frauenorganisation bei ehrenamtlichen Aufgaben bei Bedarf.

Mit Schriftsatz vom 6. September 2016 beantragt die Beklagte,

die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung am 10. März 2017 Bezug genommen.

Gründe

Die vorliegende Klage ist als Verpflichtungsklage zwar zulässig aber unbegründet, da ein Anspruch auf Erlass der geltend gemachten Feststellungen nicht besteht (§ 113 Abs. 5 VwGO). Das Gericht sieht - soweit nicht die Flüchtlingseigenschaft begehrt wird - von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe nach § 77 Abs. 2 AsylG ab und bezieht sich auf die ausführliche und nach Gerichtsauffassung richtige Begründung des Bescheids vom 10. August 2016. Nur ergänzend sind daher die folgenden Aspekte angezeigt.

1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG, § 60 Abs. 1 AufenthG. Flüchtling ist nach § 3 Abs. 1 AsylG, wer sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich - also mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG v. 20.02.2013 - 10 C 23/12 - Rn 20, 32 = BVerwGE 146, 67).

Hinsichtlich des Verfolgungsschicksals der Klägerin in Bezug auf eine geltend gemachte Verfolgung durch radikale Studenten und sonstige Personen ist das Vorbringen unglaubhaft und darüber hinaus bestehen jedenfalls inländische Fluchtalternativen (a). Eine Verfolgung oder begründete Furcht vor Verfolgung ist im Übrigen zur Überzeugung des Gerichts auch nicht in einer in einer religiösen Diskriminierung in Pakistan (b) zu sehen.

a) Hinsichtlich der geltend gemachten Verfolgung in Lahore und Lalian durch religiöse Studenten und sonstige Personen ist Folgendes auszuführen.

Das Gericht sieht die von der Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung und auch im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt geschilderte Verfolgung als nicht glaubhaft an. Vielmehr ist das Gericht davon überzeugt, dass die Klägerin - so wie sie es auch im Rahmen ihrer Vernehmung durch die Kriminalinspektion … am 26. April 2016 angegeben hat - aufgrund einer Zusammenführung mit ihrem hier lebenden Ehemann nach Deutschland eingereist ist. Dafür, dass die Zusammenführung mit ihrem Ehemann handlungsleitendes Motiv war spricht neben den Angaben der Klägerin im Rahmen der Anhörung und ihrer Vernehmung durch die Polizei auch die Tatsache, dass sich die Klägerin vor ihrer Ausreise über Möglichkeiten der Ausstellung von Visa informiert hat. Die Klägerin, die immerhin eine akademische Bildung an einer Universität genossen und einen Bachelor abgeschlossen hat, hätte sich bei ernsthafter Betrachtungsweise auch über Möglichkeiten der Asylantragstellung vorab informieren können. Dies gilt umso mehr, als ihr hiesiger Ehemann bereits zwei Asylverfahren durchlaufen hat und die Klägerin hierüber hätte informieren können. Wieso die Klägerin sich mit einem Visa Zutritt nach Deutschland verschafft, ohne sich offen als Asylbewerberin zu erkennen zu geben, konnte sie auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht erklären. Es ist nicht erklärlich, warum eine verfolgte Person sich erst unter Vorspiegelung falscher Motive die Einreise nach Deutschland ermöglicht, um dann erst - nach den Angaben der Klägerin nach Ablauf des Visums - einen Asylantrag zu stellen.

Daneben spricht für die Unglaubhaftigkeit des Verfolgungsschicksals der Klägerin, dass sowohl in zeitlicher wie persönlicher Hinsicht Details ihrer Verfolgungsgeschichte nicht plausibel gemacht werden konnten. Im Rahmen der Befragung zur Identitätsklärung vor der Zentralen Ausländerbehörde … am 26. April 2016 hat die Klägerin ausgeführt, etwa ein Jahr lang in einem Callcenter gearbeitet zu haben. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung gab die Klägerin wiederum an, nur 4-6 Monate in dem Callcenter in Lalian gearbeitet zu haben. Während die Klägerin im Rahmen ihrer Anhörung als wesentliches Motiv für den Verlust ihres Jobs in dem Callcenter die Bedrohung durch Imame/Mullahs als auslösendes Ereignis angab, hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung wiederum angegeben, dass die Bedrohung durch die Mullahs bereits eine Woche nach ihrem Arbeitsbeginn stattgefunden habe. Auf Vorhalt des Gerichts, warum sie nach dieser Bedrohung noch ein halbes Jahr gearbeitet habe, gab die Klägerin an, dass nun „Schlägertypen“ auf sie gehetzt worden seien, was im Rahmen der Anhörung keinen Widerhall gefunden hatte. Vor dem Bundesamt hat die Klägerin wiederum angegeben, dass sie den Job in dem Callcenter erst Ende 2013 angetreten habe. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin angegeben, dass dies insofern falsch sei, als sie den Job in Lalian anscheinend schon im Jahre 2013 verloren haben will und dann ab Ende 2013 an der Universität in Lahore studiert haben will. Das steht auch insofern im Widerspruch zum Vortrag der Klägerin vor dem Bundesamt, als die Klägerin dort als „Triebfeder“ für die Aufnahme ihrer beruflichen Tätigkeit die Verantwortung gegenüber der Familie genannt hat, weil diese wegen des Todes des Vaters im Laufe des Jahres 2013 Unterstützung gebraucht habe. Auch im Hinblick auf die übrigen Vorfälle gelang der Klägerin eine zeitliche Einordnung nur bruchstückhaft und mit großen Mühen. Dies steht im krassen Gegensatz zu der Antwort auf die von Gerichtsseite gestellte Frage nach dem Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin aus Pakistan im Rahmen der mündlichen Verhandlung. Die Klägerin hatte hier ohne größere Umschweife sofort den 17. März 2016 genannt, was im Hinblick auf den Reiseweg der Klägerin über Istanbul und Barcelona vollkommen mit ihrem Vorbringen vor diversen Behörden und dem Bundesamt übereinstimmt, da die Klägerin erst am 19. März 2016 in Frankfurt am Main eingereist ist. Das veranschaulicht für das Gericht, dass die akademisch gebildete Klägerin durchaus in der Lage ist, eine zeitliche Zuordnung exakt vorzunehmen, denn immerhin ist ihre Ausreise zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ebenfalls bereits ein Jahr her. Warum die übrigen Schilderungen, die für die Klägerin hier einen deutlich traumatischeren Eindruck hinterlassen haben müssten, in zeitlicher Hinsicht so detailarm blieben, verbleibt unklar.

Ebenso unklar verbleibt, wer überhaupt die Klägerin hätte verfolgen sollen. Die Klägerin bedient sich hinsichtlich ihrer Vorfälle einer anonymen Masse an angeblichen Verfolgern, die sie jedoch nie näher erläutern konnte. So führte die Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung aus, in ihrem ersten Studentenwohnheim von Mitbewohnerinnen belästigt und zum Verlassen aufgefordert worden zu sein. Die Klägerin will dann im Rahmen des Besuchs der Universität von Mitgliedern einer Studentengruppe als Ahmadi be schimpft und als Ungläubige bezeichnet worden sein. Dabei hat die Klägerin explizit angegeben, dass sie die Mitglieder dieser Gruppe nicht gekannt habe. Auf Frage des Gerichts, woher die Mitglieder hätten wissen sollen, dass die Klägerin eine Ahmadi sei, führte die Klägerin zunächst an, dass Mitglieder dieser Gruppe auch in Studentenwohnheimen wohnen würden. Damit wäre jedoch klar, dass die Klägerin diese Personen oder einzelne davon zumindest „vom Sehen her“ kennen müsste. Im Anschluss hieran flüchtete sich die Klägerin dahin aus, dass sie beim Verlassen des Unterrichtsraums von den Mitgliedern dieser Gruppe nach ihrer Religionszugehörigkeit befragt worden sei. Dabei habe sie die Wahrheit gesagt. Dies ist für das Gericht schon insofern unglaubwürdig, als diese Studentengruppe dann letztlich jeden, der den Unterrichtsraum verlassen hat, nach seiner Religionszugehörigkeit hätte befragen müssen, denn nach den Schilderungen der Klägerin hätte diese Studentengruppe letztlich planlos fremde Leute nach ihrer Religionszugehörigkeit befragt. Zu den Vorfällen in der Heimatstadt R. ist hier nur auszuführen, dass die Klägerin in keiner Weise erklären konnte, wie „die Verfolger“ an ihre Handynummer hätten gelangen können sollen. Unglaubwürdig ist die Angabe der Klägerin, dass die Festnetznummer der Familie der Klägerin am Personalausweis erkennbar sei. Dem Gericht ist keine einzige Meldebehörde der Welt bekannt, die eine Festnetznummer - schon allein weil diese problemlos ständig gewechselt werden kann - in einem Personalausweis vermerkt. Im Übrigen ist anzumerken, dass die Verfolger ihr Ziel im Hinblick auf die Klägerin, so wie sie dies stets dargestellt hat, durch das Verlassen der Stadt Lahore erreicht haben. Zuletzt will die Klägerin nämlich aufgefordert worden sein, dass sie nicht mehr wiederkommen soll. Genau dies wurde durch ihre Flucht nach R. erreicht.

Selbst wenn man das Vorbringen der Klägerin als glaubhaft einstufen würde, so ständen der Klägerin inländische Fluchtalternativen nach § 3e Abs. 1 AsylG offen. Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen des § 3e Abs. 1 AsylG erfüllt, sind gemäß § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG die im sicheren Teil des Herkunftslandes vorhandenen allgemeinen Gegebenheiten sowie die persönlichen Umstände des Klägers zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zu berücksichtigen.

Die Beurteilung erfordert dabei eine Einzelfallprüfung (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2013 -13A ZB 13.30185). Dabei sind die individuellen Besonderheiten wie Sprache, Bildung, persönliche Fähigkeiten, vorangegangene Aufenthalte des Klägers in dem in Betracht kommenden Landesteil, örtliche und familiäre Bindungen, Geschlecht, Alter, ziviler Status, Lebenserfahrung, soziale Einrichtungen, gesundheitliche Versorgung und verfügbares Vermögen zu berücksichtigen. Entscheidend dafür, ob eine inländische Fluchtalternative als zumutbar angesehen werden kann, ist dabei insbesondere auch die Frage, ob an dem verfolgungssicheren Ort das wirtschaftliche Existenzminimum des Asylsuchenden gewährleistet ist. Dies in der Regel anzunehmen, wenn der Asylsuchende durch eigene Arbeit oder Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu seinem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen kann.

Dabei teilt das Gericht die Rechtsauffassung der Klägerseite, dass denjenigen Ahmadi, für die die öffentliche Religionsausübung ein wesensbestimmender Teil ihrer Persönlichkeit ist, keine inländische Fluchtalternative in Pakistan zur Verfügung steht. Insofern wäre nämlich zu bedenken, dass praktizierte öffentliche Religionsausübung für Ahmadi in der Tat in ganz Pakistan zu staatlicher Verfolgung durch die bekannten religiös diskriminierenden Strafgesetze führen könnte bzw. der Druck der Repressalien bereits einen Verzicht abnötigen könnte. Das Gericht ist allerdings davon überzeugt, dass es sich bei der Klägerin eben gerade nicht um eine Person handelt, für die die öffentliche Religionsausübung wesensbestimmend ist (siehe dazu b)).

Die Klägerin hat zwar angegeben, dass sie auch in R. bedroht worden sei, dies ist allerdings aufgrund der oben genannten mangelnden Glaubhaftigkeit im Hinblick auf die Handynummer oder Festnetznummer unbeachtlich. Auch konnte die Klägerin nicht einmal einen Drohbrief vorlegen. Das Gericht ist davon überzeugt, dass sie in einer Stadt wie R. oder auch einer anderen Großstadt Pakistans Schutz finden könnte. Die Stadt R. und auch sonstige Großstädte wie etwa Lahore oder Rawalpindi stellen nach der aktuellsten Auskunftslage weiterhin eine inländische Fluchtalternative für all jene Ahmadi dar, die keine überregionale Bekanntheit erlangt haben (Bericht des Auswärtigen Amtes über die Asyl- und abschieberelevante Lage in Pakistan vom 30. Mai 2016 Ziffer II.3 [im weiteren AAB]; vgl. auch EASO COI Pakistan Länderüberblick August 2015 Ziffer 3.4.2). Das ist bezüglich R. insofern auch schlüssig, als 95% der Bevölkerung Ahmadi sind (AAB Ziffer II.1.4). Im Hinblick auf die sonstigen Großstädte ist der Auskunftslage zu entnehmen, dass selbst Personen, die wegen Mordes von der Polizei gesucht werden, in einer Stadt, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liegt, unbehelligt leben könnten. Im Übrigen hat sich die Sicherheitslage der Ahmadi in keiner Weise derart entwickelt, dass von einer Gruppenverfolgung gesprochen werden könnte. Dies entspricht auch der aktuellen Auskunftslage, wonach zwischen 600.000 und bis zu vier Millionen Ahmadis in Pakistan leben, wobei der weitaus größte Teil friedlich mit den muslimischen Nachbarn zusammenlebt (AAB vom 30. Mai 2016 Ziffer II.1.4). Es gibt allerdings einzelne Fälle von Repressionen Dritter gegen Ahmadi. So sind zwischen Anfang 2011 und Ende 2012 24 Ahmadis wahrscheinlich aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ermordet worden (AAB vom 8. April 2014 Ziffer II.1.4). Auch sind im Jahr 2012 fünf Ahmadis wegen Blasphemie angeklagt worden und weitere 57, weil sie sich verbotenerweise als Muslime bezeichnet hätten. 2014 verloren insgesamt elf Ahmadis bei gezielten Angriffen ihr Leben und weitere elf Ahmadis wurden wegen Blasphemie angeklagt (AAB v. 23. Juli 2015 Ziffer II.1.4). Im Jahr 2015 wurden eine Fabrik und eine Gebetsstätte im District Jhelum durch einen aufgebrachten Mob verwüstet. Daneben wurden drei Ahmadis wegen Blasphemie angeklagt (AAB v. 30. Mai 2016 Ziffer II.1.4). Diese Zahlen belegen jedoch, dass angesichts der bis zu vier Millionen Ahmadis in Pakistan keine Gruppenverfolgung aus der bloßen Zugehörigkeit zu dieser Religionsgemeinschaft gefolgert werden kann.

Dem Gericht sind schon angesichts der verstrichenen Zeit, aber auch im Hinblick auf die in Betracht zu ziehenden Veränderung der Örtlichkeit weg von den Städten Lahore und Lalian keine Gründe ersichtlich, warum diese allgemeine Einschätzung im Falle der Klägerin nicht zutreffen sollte. Schließlich teilt das Gericht auch die Einschätzung des Bundesamtes dahingehend, dass die Klägerin - auch in Anbetracht ihres mittlerweile geborenen Kleinkinds - bei einer Rückkehr nach Pakistan das Existenzminimum erreichen kann. Die Klägerin hatte nicht nur eine akademische Ausbildung bis zum Grad des Bachelor genossen, sondern hat auch mit vier Schwestern und drei Brüdern in R. ein erhebliches familiäres Netzwerk, auf das sie zurückgreifen könnte. Insofern sind inländische Fluchtalternativen bezüglich dieses Verfolgungsschicksals gegeben.

b) Die Klägerin hat Pakistan auch nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer religiösen Überzeugung verlassen. Unter diesem Aspekt konnte kein „Vorfluchttatbestand.“

im Sinne einer bereits öffentlich ausgelebten oder - unter dem Druck drohender Verfolgung - unterlassenen öffentlichen Religionsausübung glaubhaft gemacht werden.

Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung liegt ein mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohender, erheblicher Eingriff im Sinne einer Verfolgung von Ahmadis nicht schon in der Verfolgung kraft Zugehörigkeit zu dieser Religionsgemeinschaft, sondern erst in der Gefahr durch Verfolgung wegen der „Ausübung der Religion mit Wirkung in die Öffentlichkeit“ (BVerwG v. 20.02.2013 - 10 C 23/12 - Rn 21 = BVerwGE 146, 67). Für die Anerkennung einer begründeten Furcht vor Verfolgung wegen öffentlicher, religiöser Betätigung ist eine besondere Schwere der zu erwartenden Verfolgung zu begründen, die sowohl objektive wie auch subjektive Elemente enthält (BVerwG a.a.O. Rn 28 ff.). Die objektive Schwere lässt sich anhand der zu erwartenden Repressalien, die dem Ausländer von staatlicher oder nichtstaatlicher Seite drohen, bemessen. Insofern ist auf die Auskunftslage zu verweisen (AAB vom 8. April 2014 II.1.4), wonach es einzelne Fälle von Repressionen Dritter gegen Ahmadi - so sollen zwischen Anfang 2011 und Ende 2012 24 Ahmadis wahrscheinlich aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ermordet worden seien -gibt. Auch sind im Jahr 2012 fünf Ahmadis wegen Blasphemie angeklagt worden und weitere 57, weil sie sich verbotenerweise als Muslime bezeichnet hätten. Im Jahr 2014 sind elf Ahmadis wegen Blasphemie angeklagt worden (AAB v. 23. Juli 2015 II.1.4). Im gleichen Jahr sind ebenfalls elf Ahmadis bei gezielten Angriffen ums Leben gekommen. 2015 wurden drei Ahmadis wegen Blasphemie angeklagt (AAB v. 30. Mai 2016 Ziffer II.1.4). Auf Blasphemie steht in Pakistan weiterhin die Todesstrafe, wobei die Auskunftslage betont, dass bisher kein Fall einer Vollstreckung bekannt ist. Ahmadis werden zusätzlich durch eine speziell gegen sie gerichtete Gesetzgebung diskriminiert, da es Ihnen ausdrücklich verboten ist, sich als Muslime zu bezeichnen oder sich dementsprechend zu verhalten, was mit einer Strafe von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe sanktioniert ist (AAB v. 30. Mai 2016 Ziffer II.1.4).

In subjektiver Hinsicht erreicht ein Eingriff die besondere Schwere, wenn dem Ausländer die Ausübung seines Glaubens in der Öffentlichkeit (z.B. durch Missionierung) zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und er selbst diese Ausübung für unverzichtbar hält (BVerwG 20.02.2013 - 10 C 23/12 - Rn 29 = BVerwGE 146, 67). Die subjektive Schwere hat der Ausländer zur vollen Überzeugung des Gerichts nachzuweisen. Dabei kann der subjektive Aspekt als innere Tatsache nur aus dem Vorbringen des Aus länders und aus objektiven Indizien gefolgert werden. Hierbei kommt auch der Frage, ob, wie und warum der Ausländer vor seiner Flucht seine Religion öffentlich ausgeübt oder nicht ausgeübt hat, Bedeutung zu. Neben den objektiven Indizien ist vor allem sein eigenes Vorbringen im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt und der mündlichen Verhandlung relevant (BVerwG a.a.O. Rn 31).

Nach diesen Grundsätzen konnte die Klägerin keine subjektive Schwere eines bestehenden Eingriffs in seine Religionsausübung während seiner Zeit in Pakistan glaubhaft machen. Hierzu mangelt es schon an substantiierten objektiven Indizien, welche für eine subjektive Schwere des Eingriffs in die Religionsfreiheit der Klägerin sprechen könnten. Objektiv spricht für die Klägerin nämlich nur die auf den 19. Oktober 2016 datierende Bestätigung der Deutschlandzentrale ihrer Glaubensgemeinschaft. Hiernach hat die Klägerin angeblich guten Kontakt zu der lokalen Gemeinde, welche nicht einmal namentlich genannt ist und laut Auskunft der Klägerin in der mündlichen Verhandlung sowohl auf Lahore als auch auf R. bezogen ist, gepflegt und der Sekretärin für Erziehung und Sport ausgeholfen. In subjektiver Hinsicht hat die Klägerin diese abstrakt beschriebene Tätigkeit in einem religiösen Sinne lediglich dahingehend konkretisiert, dass sie Koranunterricht gegeben habe, wobei hierzu auch die Interpretation des Korans mit Gruppen erwachsener Frauen gehört haben soll.

Hierbei ist jedoch in subjektiver Hinsicht zu berücksichtigen, dass die Klägerin auf die Fragen des Gerichts als auch auf die Fragen des Bundesamtes nach den Fluchtgründen keinerlei religiöse Motive angegeben hat. Vielmehr hat die Klägerin das obige Verfolgungsschicksals sowohl vor dem Bundesamt als auch vor dem Gericht als Fluchtgrund genannt. Dabei will das Gericht auch hier vermerken, dass die objektiven Umstände der Einreise der Klägerin und ihr Vorbringen auf die Zusammenführung mit ihrem Mann als Motiv hindeuten. Irgendeine Form von religiösem Leidensdruck hat die Klägerin zu keinem Zeitpunkt geschildert. Auch zur Frage des Gerichts, warum die Klägerin nicht nach R. zurückkehren könne, hat sie lediglich auf die Sicherheitslage abgestellt. Dass der Klägerin irgendeine Form von Religionsausübung fehlen würde, hat sie nicht einmal behauptet. Das deckt sich auch insofern mit der Einschätzung des Gerichts, als die einzige Konstante der religiösen Aktivitäten der Klägerin in Pakistan und Deutschland - neben dem Gebet - das Geben von Koranunterricht zu sein scheint. Diese Tätigkeit hat die Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag letztlich vollkommen ungestört und unproblematisch sowohl in ihrem Heimatland als auch in Deutschland ausleben können. Dass die Klägerin hinsichtlich des Koranunterrichts irgendwelche Probleme gehabt hat, hat sie zu keinem Zeitpunkt behauptet. Da dieser Koranunterricht offensichtlich und schon aus rein logistischen Gründen nicht öffentlich sondern in Unterrichtsgebäuden im weitesten Sinne stattfinden dürfte, handelt es sich hierbei nicht um eine öffentliche Religionsausübung.

Dies deckt sich auch mit der Einschätzung und Bewertung des religiösen Verhaltens der Klägerin seit ihrer Ankunft in Deutschland.

Nach § 28 Abs. 1a AsylG kann die begründete Furcht vor Verfolgung auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, dass Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Auch die Rechtsprechung des BVerwG zur religiösen Verfolgung von Ahmadis betont, dass für die Feststellung der religiösen Identität das Verhalten sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung ist (BVerwG v. 20.02.2013 - 10 C 23/12 - Rn 31 = BVerwGE 146, 67). Dabei kommt nach Meinung des erkennenden Gerichts jedoch dem religiösen Verhalten im Herkunftsland, in dem sich der Ausländer für gewöhnlich viel länger aufgehalten hat als in Deutschland, erheblich mehr Bedeutung zu, da für die religiöse Identität eines Menschen grundsätzlich Kohärenz, Konstanz und Kontinuität die konstituierenden Faktoren sind (VG Köln v. 15.07.2015 - 23 K 1005/14.A - Rn 48 = juris). Von einem solchen Grundgedanken geht auch der gesetzliche Leitgedanke für die Annahme eines Nachfluchtgrundes, wie er in § 28 Abs. 1a AsylG niedergelegt ist, aus, wenn dort insbesondere auf eine bereits bestehende Überzeugung oder Ausrichtung im Herkunftsland Bezug genommen wird. Zwar ist auch die religiöse Identität kein völlig statischer Begriff, jedoch verbleiben erhebliche Zweifel an einem behaupteten Identitätswandel als innerer Tatsache, wenn ein nicht religiös (im Sinne obiger Lage b)) vorverfolgter Ausländer nicht ein bedeutsames, nachvollziehbares Ereignis für eine Steigerung oder Aufnahme von öffentlichkeitswirksamen, religiösen Aktivitäten in Deutschland anführen kann (hierzu VG Köln v. 15.07.2015 - 23 K 1005/14.A - Rn 41 ff. = juris).

Die überhaupt einzig feststellbare auch nur annähernd in die Öffentlichkeit wirkende „religiöse Handlung“, der sich die Klägerin rühmt, ist die bisher einmalige Teilnahme an der jährlichen Versammlung „Ijtema“, auf der die Klägerin ein Gedicht über ihr religiöses Oberhaupt vorgetragen haben will. Schon angesichts der Tatsache, dass nur eine einzige in die Öffentlichkeit wirkende religiöse Handlung in Betracht kommt, bedürfte es hier nach Meinung des Gerichts erheblicher und gewichtiger weiterer Indizien, um eine wesensprägende Qualität der Teilnahme an dieser nur jährlich stattfindenden Veranstaltung anzunehmen. Hierbei ist nämlich zu beachten, dass auch schon die bloße Möglichkeit, sich mit anderen Ahmadis gefahrlos in der Öffentlichkeit im Rahmen einer Großveranstaltung treffen zu können (ohne, dass dabei spezifisch die Religionsausübung im Vordergrund stehen müsste), die regelmäßige Teilnahme an so einer Veranstaltung erklären könnte. Weitere Indizien, dass die öffentliche Religionsausübung für die Klägerin wesensbestimmend ist, lassen sich jedoch nicht feststellen. Auch die Tatsache, dass die Klägerin Missionsarbeit gegenüber einer afghanischen Frau in der Asylunterkunft verrichtet hat, ist kein so erhebliches Indiz für wesensprägendes Merkmal der öffentlichen Religionsausübung. Dies gilt schon deswegen, da diese Missionsarbeit selbst wiederum eben nicht in der Öffentlichkeit stattgefunden hat. Solche private Missionsarbeit wird von vielen Ahmadis in Pakistan praktiziert, da dies letztlich die einzige Möglichkeit der Verbreitung des Glaubens ist. Auch hat die Klägerin zu Ihrer Motivlage für die Missionsarbeit lediglich angegeben, dass viele Muslime eine falsche Interpretation des Glaubens hätten und dieser richtig gestellt werden müsste. Dass die Klägerin hiermit in irgendeiner Weise in die Öffentlichkeit wirken wolle, hat sie nicht dargelegt.

2. Im Übrigen - insbesondere zu den hilfsweise eingeklagten Verpflichtungsbegehren - wird auf die richtigen und detaillierten Ausführungen im Bescheid des Bundesamtes verwiesen und Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).

Nach alledem ist die Klage abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Auf den Gegenstandswert nach § 30 RVG wird hingewiesen.

Tenor

I.

Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 14. Oktober 2014 wird in den Nummer 1, 3, 4 und 5 aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft i. S. d. § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen.

II.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die nach eigenen Angaben am 25. Juni 1992 in Lahore geborene Klägerin ist pakistanische Staatsangehörige, punjabischer Volkszugehörigkeit und seit Geburt Mitglied der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya Muslim Jamaat.

Die Klägerin reiste am 3. Juli 2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 18. Juli 2012 ihre Anerkennung als Asylberechtigte.

Die Ahmadiyya Muslim Jamaat bestätigte mit einer Bescheinigung vom 11. Dezember 2012, dass die Klägerin seit Geburt Mitglied der Glaubensgemeinschaft sei.

Am 12. Juni 2013 fand die Anhörung gemäß § 25 AsylG vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) statt. Zu ihrem Verfolgungsschicksal führte die Klägerin insbesondere aus, dass sie gemeinsam mit ihrer Familie in Lahore und Rabwah gelebt habe. Sie habe von allen Seiten Probleme gehabt. In der Schule sei sie von Sunniten als Ahmadiyya beschimpft worden. Sie habe die Schule bis zur 9. Klasse besucht; wegen der Probleme habe sie die Schule nicht regelmäßig besuchen können. Leute hätten ihre Familie bedroht und seien auch zu ihnen nach Hause gekommen. Ihnen sei vorgeworfen worden, dass sie gottlose Ungläubige seien. Sie sei mehrfach auf der Straße festgehalten, beschimpft und beleidigt worden. Man habe ihr auch ins Gesicht geschlagen. Hinsichtlich der weiteren Angaben der Klägerin wird auf die Niederschrift zur Anhörung verwiesen.

Mit Bescheid vom 14. Oktober 2014, zugestellt am 24. Oktober 2014, stellte das Bundesamt fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vorliegen (Nr.1 des Bescheids) und lehnte den Asylantrag der Klägerin ab (Nr. 2 des Bescheids). Weiterhin wurde der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt (Nr. 3 des Bescheids) und wurden Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG verneint (Nr. 4 des Bescheids). Die Antragstellerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall der nichtfristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Pakistan oder in einen anderen Staat angedroht, in den die Klägerin einreisen dürfe oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei (Nr. 5 des Bescheids).

Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass den Ahmadiyyas in Pakistan die Gefahr der Inhaftierung oder Bestrafung nicht schon wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft als solcher drohe. Die Klägerin habe keine Ausführungen zu ihrer Religion und deren Ausübung gemacht. Der Sachvortrag lasse nicht erkennen, dass sie innerhalb ihrer Ahmadiyya-Gemeinde eine herausgehobene Funktion oder ein Amt begleidet habe und dass es ihr ein inneres Anliegen sei, ihre Religion auch öffentlich zu bekunden. So wie die Klägerin ihren Glauben nach eigenen Bekundungen lebe, seien keine nach ihrem Selbstverständnis unverzichtbaren Glaubensbetätigungen erkennbar, deretwegen eine Verfolgung mit Blick auf die Strafverfolgungspraxis in Pakistan bzw. eine sonstige Verfolgung beachtlich wahrscheinlich sei. Konkrete Einschränkungen hinsichtlich ihrer Religionsfreiheit habe sie nicht geltend gemacht. Im Fall krimineller Handlungen Dritter habe die Klägerin die Möglichkeit, staatliche Schutzmaßnahmen in Anspruch zu nehmen. Ergänzend wird auf den Inhalt des Bescheids gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 7. November 2014 erhob der Bevollmächtigte der Klägerin Klage zum Verwaltungsgericht München und beantragte:

1. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 14. Oktober 2014 ist aufzuheben.

2. Die Beklagte wird verpflichtet, festzustellen, dass bei der Klägerin Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 1, hilfsweise nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.

Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Klägerin der Volksgruppe der Ahmadiyyas angehöre und daher bedroht werde. Bei einer Rückkehr nach Pakistan würden der Klägerin erhebliche Gefahren für Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit durch nichtstaatliche Akteure drohen. Eine Fluchtalternative bestehe nicht.

Mit Schreiben vom 17. November 2014 legte das Bundesamt die Akten vor. Eine Antragstellung unterblieb.

Mit Schreiben vom 25. November 2014 begründete der Bevollmächtigte die Klage ergänzend insbesondere damit, dass auf die Ahmadi-Muslime ein Unterlassungs- und Enthaltungszwang ausgeübt werde, der in den Kernbereich ihrer Religion eingreife. Die Familie der Klägerin werde durch nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 3c AsylVfG (a. F.) bedroht. Des Weiteren verwies der Bevollmächtigte zur allgemeinen Situation der Ahmadiyya in Pakistan auf Presseberichte und Rechtsprechung deutscher Obergerichte im Jahr 2010.

Mit Schreiben vom 16. November 2015 nahm die Ahmadiyya Muslim Jamaat auf Bitten des Gerichts ergänzend Stellung zum Engagement der Klägerin für die Gemeinschaft und führte hierzu aus, dass die Klägerin gemäß dem Bericht der Zentrale in Pakistan ein gebürtiges Mitglied der Gemeinde sei und guten Kontakt pflege. Aufgrund der gefährlichen Lage der Mitglieder könnten Frauen leider nicht die Moscheen zu den Gebeten besuchen. In Deutschland nehme die Klägerin regelmäßig an den lokalen und zentralen Gemeindeveranstaltungen teil. Sie entrichte ihre Mitgliedsbeiträge ordnungsgemäß. Darüber hinaus helfe sie bei Bedarf der Frauenorganisation bei ehrenamtlichen Aufgaben. Zusammenfassend sei ihr Verhalten der Gemeinde gegenüber zufriedenstellend.

Durch Beschluss der Kammer vom 8. März 2016 wurde der Rechtstreit gemäß § 76 Abs. 1 AsylG zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 9. Mai 2016 führte die Klägerin insbesondere ergänzend aus, dass sie in Pakistan als Ahmadiyya das Haus meistens nicht verlassen habe können. Es sei ihnen verboten gewesen, in der Moschee zu beten. In Deutschland gehe sie regelmäßig zum Freitagsgebet in die Moschee. Sie nehme regelmäßig an den Versammlungen teil. Sie sei auch in der Frauenorganisation. Die Frauen würden sich dreimal am Sonntag für ungefähr vier bis fünf Stunden zusammen treffen. In Pakistan habe es solche regelmäßigen Treffen nur sehr selten gegeben, da sie sich nur versteckt hätten treffen können. In Pakistan habe es auch keine Ausflüge gegeben, in Deutschland fänden diese alle drei bis sechs Monat statt. Sie habe an allen Ausflügen teilgenommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die vorgelegte Behördenakte sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 9. Mai 2016 Bezug genommen.

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).

Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts erweist sich daher insoweit als rechtswidrig, war in dem ausgesprochenen Umfang aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Maßgeblich für die Entscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG).

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, da sie sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb ihres Herkunftslands befindet.

Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) - EMRK - keine Abweichung zulässig ist, oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist, vgl. § 3a Abs. 1 AsylG. Als Verfolgung in diesem Sinne können unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt gelten (§ 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG), gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden (§ 3a Abs. 2 Nr. 2 AsylG), oder unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung (§ 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG). Die Prüfung der Verfolgungsgründe ist in § 3b AsylG näher geregelt. Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es danach unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden, § 3b Abs. 2 AsylG. In § 3a Abs. 3 AsylG ist geregelt, dass eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i. V. m. § 3b AsylG und den Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m § 3a Abs. 1 und 2 AsylG bestehen muss.

Die Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Schutz vor Verfolgung kann gemäß § 3d Abs. 1 AsylG nur geboten werden vom Staat oder von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, sofern sie willens und in der Lage sind, wirksamen und nicht nur vorübergehenden Schutz zu gewähren, vgl. § 3d Abs. 2 Satz 1 AsylG. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat, § 3d Abs. 2 Satz 2 AsylG. Gemäß § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn eine sogenannte interne Schutzalternative besteht, weil er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

Nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung bedroht sind. Dadurch wird der Vorverfolgte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür dazulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Ob die Vermutung durch „stichhaltige Gründe“ widerlegt ist, obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 5/09 - BVerwGE 136, 377 - in Bezug auf den wortgleichen Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2004/83 EG). Die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU kommt dem vorverfolgten Antragsteller auch bei der Prüfung zugute, ob für ihn im Gebiet einer internen Schutzalternative gemäß § 3e AsylG (vgl. vormals Art. 8 Abs. 1 Richtlinie 2004/83/EG) keine begründete Furcht vor Verfolgung besteht (vgl. BVerwG, U.v. 5.5.2009 - 10 C 21/08 - NVwZ 2009, 1308 in Bezug auf Art. 8 Abs. 1 Richtlinie 2004/83/EG). Mit Blick auf den Normzweck der Beweiserleichterung erscheint es nicht nachvollziehbar, der Prüfung internen Schutzes als Ausdruck der Subsidiarität des Flüchtlingsschutzes einen strengeren Maßstab zugrunde zu legen als der systematisch vorgelagerten Stellung der Verfolgungsprognose. Die hinter der Beweiserleichterung stehende Teleologie - der humanitäre Charakter des Asyls - verbietet es, einem Schutzsuchenden, der das Schicksal der Verfolgung bereits einmal erlitten hat, das Risiko einer Wiederholung solcher Verfolgung aufzubürden (BVerwG, U.v. 5.5.2009 - 10 C 21/08 - NVwZ 2009, 1308).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss auch in Asylstreitigkeiten das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit - und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit - des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 - 9 B 239/89 - InfAuslR 1989, 349). Das Tatsachengericht darf dabei berücksichtigen, dass die Befragung von Asylbewerbern aus anderen Kulturkreisen mit erheblichen Problemen verbunden ist (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989, a. a. O.). Der Asylbewerber befindet sich typischerweise in Beweisnot. Er ist als „Zeuge in eigener Sache“ zumeist das einzige Beweismittel. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und die Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an. Wer durch Vortrag eines Verfolgungsschicksals um Asyl nachsucht, ist in der Regel der deutschen Sprache nicht mächtig und deshalb auf die Hilfe eines Sprachmittlers angewiesen, um sich mit seinem Begehren verständlich zu machen. Zudem ist er in aller Regel mit den kulturellen und sozialen Gegebenheiten des Aufnahmelands, mit Behördenzuständigkeiten und Verfahrensabläufen sowie mit den sonstigen geschriebenen und ungeschriebenen Regeln, auf die er nunmehr achten soll, nicht vertraut. Es kommt hinzu, dass Asylbewerber, die alsbald nach ihrer Ankunft angehört werden, etwaige physische und psychische Auswirkungen einer Verfolgung und Flucht möglicherweise noch nicht überwunden haben, und dies ihre Fähigkeit zu einer überzeugenden Schilderung ihres Fluchtgrunds beeinträchtigen kann (BVerfG, U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1516/93 - NVwZ 1996, 678).

Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Das Gericht ist der Überzeugung, dass die Klägerin als bekennende Ahmadiyya ihr Herkunftsland aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer religiösen Überzeugung verlassen hat und ihr im Fall einer Rückkehr nach Pakistan weiterhin Verfolgung droht.

Das Gericht geht in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung davon aus, dass Angehörige der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya Muslim Jamaat in Pakistan nicht allein wegen ihres Glaubens und der Praktizierung ihres Glaubens einer Gruppenverfolgung ausgesetzt sind (vgl. ausführlich VGH Baden-Württemberg, U.v. 12.6.2013 - A 11 S 757/13; BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12; BayVGH, B.v. 5.2.2016 - 21 ZB 16.30014; OVG NRW, B.v. 21.1.2016 - 4 A 715/15.A - jeweils juris). Anhaltspunkte dafür, dass sich die Bedingungen wesentlich verschlechtert haben, sind nicht vorgetragen und sind auch den Erkenntnismitteln, die Gegenstand des Verfahrens sind, nicht zu entnehmen. Auch der aktuelle Lagebericht führt zwar aus, dass die islamische Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya nach der pakistanischen Verfassung nicht als muslimisch anerkannt werde und Ahmadis durch eine speziell gegen sie gerichtete Gesetzgebung diskriminiert würden. So sei es ihnen etwa verboten, sich als Muslime zu bezeichnen oder wie Muslime zu verhalten. Verstöße würden strafrechtlich geahndet. Der weitaus größte Teil der Ahmadis lebe jedoch friedlich mit den muslimischen Nachbarn zusammen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan, im Folgenden: Lagebericht, Stand: Juli 2015, S. 14 f.). Auch die von dem Bevollmächtigten der Klägerin zitierten Presseartikel und Gerichtsentscheidungen, die zum Teil überholt sind, führen zu keiner anderen Bewertung.

Nach der übereinstimmenden Rechtsprechung gilt jedoch etwas anderes für diejenigen Ahmadi, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und ihr Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen. Für diese Personen besteht in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen würden. Sie haben mit einem erheblichen Risiko für Leib und Leben durch die Gefahr einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten oder gravierenden Übergriffen privater Akteure zu rechnen (vgl. ausführlich VGH Baden-Württemberg, U.v. 12.6.2013 - A 11 S 757/13 - juris Rn. 116; BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12; VG Wiesbaden, U.v. 12.6.2015 - 2 K 1300/14.WI.A; VG Augsburg, U.v. 9.2.2015 - Au 6 K 14.30276- jeweils juris). Ein Angehöriger der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya aus Pakistan, für den das Leben und Bekennen seines Glaubens in der Öffentlichkeit identitätsbestimmender Teil seines Glaubensverständnisses ist, besitzt die Flüchtlingseigenschaft auch dann, wenn er im Falle der Rückkehr sein öffentliches Glaubensbekenntnis unterlassen würde (vgl. VGH Baden-Württemberg, U.v. 12.6.2013 - A 11 S 757/13 - juris Rn. 117).

Diese insbesondere im Hinblick auf männliche Mitglieder der Ahmadiyya Glaubensgemeinschaft durch die Rechtsprechung entwickelten Vorgaben erscheinen jedoch für die Beurteilung der Verfolgungsgefahr von Frauen der Ahmadiyya Gemeinschaft nicht unmittelbar anwendbar.

Die Mädchen und Frauen in der Gemeinde sind in eigenen Organisationen - der Lajna Imaillah für Frauen ab dem Alter von 15 Jahren und der Nasirati Ahmadiyya für Mädchen im Alter von 7 bis 15 Jahren - zusammengeschlossen. Diese Organisationen, die eine gewisse Selbstständigkeit innehaben, dienen insbesondere der religiösen Weiterbildung und der Durchführung von Ausflügen. Auch wenn die Ahmadiyya die Gleichwertigkeit von Mann und Frau theoretisch anerkennen, so sind sie dennoch von dem Gebot der Geschlechtertrennung deutlich geprägt. Dementsprechend hält die Ahmadiyya Muslim Jamaat am Kopftuchgebot fest und sieht darin einen Bestandteil der islamischen Ethik und ein Gebot der islamischen Morallehre. Das Bekennen ihres Glaubens ist für die weiblichen Mitglieder der Ahmadiyya Muslim Jamaat damit durch das strenge Tragen des Kopftuchs sowie die Teilnahme an den Frauengebeten und Versammlungen geprägt. Das öffentlichkeitswirksame Bekennen des Glaubens, z. B. durch Büchertische und öffentliche Veranstaltungen, ist hingegen den Männern vorbehalten (vgl. Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland, abrufbar unter: http://www.ahmadiyya.de/islam/diefrauimislam/diestellungderfrau/; Dr. Kandel, „Die Ahmadiyya Muslim Jama’at“, abrufbar unter: http://www.fes.de/BerlinerAkademiegespraeche/publikationen/islamundpolitik/documents/AhmadiyyaMuslimJama1.pdf ).

Das Gericht geht daher davon aus, dass es für eine bekennende Frau der Ahmadiyya Muslim Jamaat insbesondere zum wesentlichen Bestandteil ihres Glaubens gehört, gemeinsam zu beten und sich mit anderen Frauen im Rahmen der Frauenorganisation auszutauschen, zu beten und zu lernen (vgl. Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland, abrufbar unter: http://www.ahmadiyya.de/islam/diefrauimislam/diebildungunddasstrebennachwissen/). Die Möglichkeit des gemeinsamen Gebetes und des Gottesdienstes in Gemeinschaft mit anderen Gläubigen nach den überlieferten Brauchtum gehört auch zum unverzichtbaren Kern der religiösen Glaubensbetätigung (vgl. BVerwG U.v. 18.2.1986 - 9 C 16/85 - juris Rn. 22).

Gerade dies ist den Ahmadiyya-Frauen (im Gegensatz zu den Männern) in Pakistan jedoch nur unter erheblichen Gefahren möglich bzw. wird ihnen aufgrund der Gefahrenlage untersagt. Der Klägerin wird damit untersagt, ihren Glauben in der für sie wichtigen Form im Kernbereich zu praktizieren. Für sie besteht in Pakistan damit auch ohne öffentlichkeitswirksame Betätigung ein reales Verfolgungsrisiko, wenn sie ihrem Glauben entsprechend Leben würde.

Die Klägerin führte im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung aus, dass sie allgemein als Ahmadiyya erheblich belästigt worden sei und das gemeinsame Gebet in der Moschee ebenso wie die Teilnahme an regelmäßigen Versammlungen der Frauen aufgrund der Gefahrenlage in Pakistan nicht möglich gewesen sei. Soweit die Klägerin diese Einschränkungen nicht auch bereits bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt vorgetragen hat, ist darauf hinzuweisen, dass insoweit auch keinerlei Nachfragen erfolgten. Die Folgerung des Bundesamts, dass nicht davon auszugehen sei, dass die Glaubensbetätigung der Klägerin nunmehr eine andere sei als vor ihrer Ausreise, kann daher nicht geteilt werden.

Auch die Ahmadiyya Muslim Jamaat hat in ihrem Schreiben vom 16. November 2015 bestätigt, dass der Moscheebesuch in Pakistan den Frauen aufgrund der gefährlichen Lage nicht möglich sei. Ob dieser tatsächlich, wie von der Klägerin behauptet, durch Nicht-Ahmadiyya verboten ist oder vielmehr ausschließlich ein Reflex der eigenen Gemeinde auf die erhöhte Verfolgungsgefahr darstellt, kann insoweit dahingestellt bleiben. Zumindest erscheint für das Gericht unzweifelhaft, dass Ahmadiyya Frauen weder am gemeinsamen zentralen Freitagsgebet in der Moschee aufgrund der Verfolgungsgefahr teilnehmen, noch regelmäßige Treffen der Frauen zur religiösen Weiterbildung stattfinden können.

Die Klägerin hat auch ausreichend dargelegt, dass sie der Ahmadiyya Muslim Jamaat eng verbunden ist, dem Glauben eine große Bedeutung zuweist und ihr die Teilnahme an den Gebeten und Veranstaltungen wichtig ist.

Für die Annahme einer Verfolgungsbetroffenheit ist nicht erforderlich, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glaubens verzichten müsste. Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 22712 - juris Rn. 25). Bei der Feststellung der religiösen Identität als innerer Tatsache kann nur im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen geschlossen werden. Allein der Umstand, dass der Betroffene seinen Glauben in seinem Herkunftsland nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, ist nicht entscheidend, soweit es hierfür nachvollziehbare Gründe gibt (vgl. VG Augsburg, U.v. 9.2.2015 - Au 3 K 14.30276 - juris Rn. 38 m. w. N.).

Das Gericht hat aufgrund der informatorischen Befragung der Klägerin den Eindruck gewonnen, dass es sich bei der Klägerin um ein einfaches Mitglied der Glaubensgemeinschaft handelt, das ausschließlich auf Weisung und Anforderung pflichtgemäß handelt und dies auch nicht in Frage stellt. Dieses Verhalten erscheint jedoch nach den dem Gericht vorlegenden Erkenntnismitteln das religiöse Selbstverständnis der weiblichen Mitglieder der Ahmadiyya Muslim Jamaat zum Ausdruck zu bringen. Dementsprechend wurde von der Klägerin auch die Einschränkung ihrer Religionsausübung ohne Widerstand hingenommen, auch wenn sie im Rahmen der informatorischen Anhörung ausführte, dass ihr der Besuch der Moschee wichtig gewesen wäre.

Seitdem sich die Klägerin in Deutschland aufhält, trifft sie sich - wie sie bei der Anhörung glaubhaft ausführte - dreimal im Monat Sonntags für vier bis fünf Stunden zum Unterricht und Gebet und nimmt an den alle drei bis sechs Monate stattfindenden gemeinsamen Ausflügen zur religiösen Auseinandersetzung teil. Des Weiteren führte sie aus, dass sie ihr zugewiesene Hilfsaufgaben, wie z. B. das Verteilen von Wasser und das Vorlesen von Sagen bei Versammlungen, übernehme. Auch die Bescheinigung der Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 16. November 2015 bestätigt ihr ein zufriedenstellendes Verhalten, was gemäß der Stellungnahme der Gemeinschaft vom 24.März 2014 bedeutet, dass die Person regelmäßig zu den Veranstaltungen kommt.

Das Gericht sieht sich - insbesondere in Anbetracht des Bildungsstands der Klägerin und der ihr in der Glaubensgemeinschaft zugewiesen untergeordneten Rolle als Frau - auch nicht in der Lage, aus der Tatsache, dass die Klägerin im Rahmen der informatorischen Anhörung nur sehr bruchstückhaft über die Inhalte ihres Glaubens Auskunft geben und auch keine Unterschiede zu anderen islamischen Glaubensgemeinschaften benennen konnte sowie ihrer nur sehr zurückhaltenden Aussage, Rückschlüsse auf eine fehlende Glaubensüberzeugung zu ziehen.

Einer ihrem Glauben verbundene Ahmadiyya Frau, zu deren verpflichtender Überzeugung es gehört, regelmäßig zu beten, sich zu treffen und auszutauschen, steht auch kein interner Schutz i. S. d. § 3e AsylG offen, das heißt, es gibt keinen Landesteil, in dem sie in zumutbarer Weise und ungefährdet ihren Glauben in dieser Form leben kann (vgl. VGH Baden-Württemberg, U.v. 12.6.2013 - A 11 S 757/13 - juris Rn. 121; VG Augsburg U.v. 9.2.2015 - AU 6 K 14.30276 - juris Rn. 45).

Da der Klägerin als bekennende Ahmadiyya die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, ist es nicht mehr entscheidungserheblich, ob die von der Klägerin angeführten Angriffe auf sie und ihre Familie in Pakistan tatsächlich stattgefunden haben, auf ihre Religionszugehörigkeit zurückzuführen sind und eine im Sinne von § 3 AsylG entsprechende Erheblichkeit besitzen.

Nachdem der Klägerin somit die Flüchtlingseigenschaft i. S.v. § 3 AsylG zuzuerkennen ist, war der gegenständliche Bescheid des Bundesamts aufzuheben, soweit er dem entgegensteht. Über den - insoweit in der mündlichen Verhandlung klargestellten - hilfsweise gestellten Antrag auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 4 AsylG und hilfsweise nach § 70 Abs. 5 und 7 AufenthG war nicht mehr zu entscheiden, da die Klage bereits im Hauptantrag erfolgreich war.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83 b AsylVfG nicht erhoben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Tenor

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Der im Jahr 1994 geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger und gehört der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft an. Er stammt aus einem Dorf im Distrikt ... in der Provinz .... Zwei Verwandte mütterlicherseits wurden in den Jahren 1986 und 1988 in Deutschland als Asylberechtigte anerkannt. Am 12. Juli 2013 stellte der Kläger bei der Außenstelle ... des Bundesamts einen Asylantrag.

Bei seiner Anhörung am 26. Januar 2015 trug er vor, als er klein gewesen sei, sei sein Vater ständig bedroht worden. Sein Vater sei mit dem Tod bedroht worden und als er ausgereist sei, sei er in der Türkei ums Leben gekommen. Was genau passiert sei, wüssten sie nicht. Er selbst sei damals 14 Jahre alt gewesen. Da er dann der älteste Mann in der Familie gewesen sei, seien die Drohungen gegen ihn gerichtet worden. Sie hätten immer wieder gesagt, jetzt lebe sein Vater nicht mehr, jetzt würden sie ihn töten. Die Mullahs, die in der Gegend lebten, gäben öffentlich bekannt, dass man Ahmadis ermorden dürfe. Die Mullahs seien in Gruppen durch die Gegend gezogen und hätten diese Drohungen ausgesprochen. Im Dorf habe es eine Ahmadiyya-Moschee gegeben. Er habe kein spezielles Amt in der Glaubensgemeinschaft gehabt, sei aber, als er Schüler gewesen sei, immer zum Gebet hingegangen. Er sei zu den fünf Gebeten am Tag zwar nicht immer hingegangen, aber manchmal zum Morgen- und manchmal zum Abendgebet. Ansonsten habe er keine Probleme gehabt. Er sei auf das College in ... gegangen. Er habe das College nicht abgeschlossen, weil er am 3. April 2013 in den Iran ausgereist sei. Von dort sei er auf dem Landweg nach Deutschland weitergereist.

Mit Bescheid vom 4. Januar 2016 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, den Antrag auf Asylanerkennung und den Antrag auf subsidiären Schutz ab, verneinte das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG und drohte die Abschiebung an. Zudem wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Der Kläger sei nicht in der Lage gewesen darzulegen, mit welchen konkreten Maßnahmen er persönlich konfrontiert gewesen sei. Vollkommen substanzlose Drohungen von pauschal als „Mullahs“ bezeichneten Personen könnten keine konkrete Verfolgung darlegen. Zudem hätten diese „Drohungen“ über einen Zeitraum von fast fünf Jahren angehalten und seien zuvor offenbar nie ausreiserelevant gewesen. Gegen ein ernsthaftes Verfolgungsinteresse der „Mullahs“ spreche ebenfalls, dass die restliche Familie, die auch der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehöre, weiterhin unter der ehemaligen Adresse des Klägers leben könne. Für die Annahme einer Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan fehle es an der erforderlichen Verfolgungsdichte. Falls dem Kläger ein Aufenthalt an seinem Heimatort nicht weiter zumutbar sei, stehe es ihm jederzeit frei, sich in einen beliebigen anderen Landesteil zu begeben, um dort in der Anonymität unterzutauchen. Hierfür biete sich beispielsweise Chenab Nagar an. In dem früheren Rabwah lebten rund 50.000 Menschen, von denen rund 95% der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya angehörten. Diese Stadt sei bis heute das Verwaltungszentrum der weltweiten Ahmadiyya Muslim Jamaat. Es bestehe kein Grund zur Annahme, der Kläger könne dort aufgrund seiner religiösen Überzeugungen Opfer von Verfolgung werden. In Pakistan gebe es kein Meldesystem, so dass sich grundsätzlich jedermann durch Umzug in einen anderen Landesteil staatlicher und nicht staatlicher Verfolgung entziehen könne. Der Kläger sei ein gesunder und arbeitsfähiger Mann, bei dem kein Grund zur Annahme bestehe, dass er in seinem Heimatland nicht mindestens das Existenzminimum erreichen könne. Besonders unter Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft herrsche im Allgemeinen ein wesentlich stärkerer Zusammenhalt als in anderen muslimischen Glaubensrichtungen.

Am 20. Januar 2016 erhob der Bevollmächtigte des Klägers Klage und beantragte,

den Bescheid des Bundesamts vom 4. Januar 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen, hilfsweise ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, weiter hilfsweise ihn als subsidiär Schutzberechtigten anzuerkennen, weiter hilfsweise festzustellen, dass in seiner Person Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

Seit der Kläger in die Schule gekommen sei, sei er als gläubiger Mensch regelmäßig zu den Gebeten gegangen. Er sei von Herzen Ahmadiyya und lebe seinen Glauben. So habe er es bereits in Pakistan getan und so tue er es auch in Deutschland. Er sei aktiv in der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft tätig. Er spreche andere Menschen auf seinen Glauben an und verteile Informationsblätter, um auch auf diesem Weg anderen Menschen seinen Glauben näher zu bringen. Er helfe als Ahmadiyya anderen Menschen, indem er ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehe. Er sei nicht in der Lage, bei seiner Rückkehr in seine Heimat seine Religion zu verleugnen, ohne in seiner Persönlichkeit Schaden zu nehmen. Seine Hinwendung zum Ahmadiyya sei glaubwürdig, wahrhaftig, ernsthaft und echt. Er sei aus Überzeugung Ahmadiyya, auch wenn er das sprachlich vielleicht nicht so rüberbringen könne. Er lebe seinen Glauben aufrichtig. Bei einer Rückkehr in sein Heimatland komme er innerlich in eine ausweglose Situation, weil er sein Lebensfundament, nämlich seinen Glauben verschweigen müsste. Da er schon in Pakistan verfolgt worden sei, sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass man ihn dort als Ahmadiyya wiedererkenne. Einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi stehe in Pakistan auch kein interner Schutz im Sinn des Art. 8 QRL offen. Es gebe keinen Landesteil, in dem er in zumutbarer Weise und ungefährdet seinen Glauben öffentlich leben könne. Was die dem pakistanischen Staat unmittelbar zuzurechnenden Eingriffe angehe, seien die rechtlichen Rahmenbedingungen landesweit die gleichen. Hinsichtlich der Aktionen privater Akteure biete nach den vorliegenden Erkenntnisquellen auch die Stadt Rabwah Ahmadis keine ausreichende Verfolgungssicherheit. Der Kläger befinde sich seit dem 14. November 2013 in ambulanter Behandlung in einem Orthopädiezentrum in .... Nach einem Bericht des Arztes ... vom 21. August 2014 seien bei ihm mehrere Krankheiten diagnostiziert worden. Gegebenenfalls müsse eine Bandscheibenoperation im Lendenbereich erfolgen. Zudem sei eine Krankengymnastik notwendig. Unter Umständen könnten Lähmungserscheinungen im Bereich der Beine erfolgen. Zur Lebensbewältigung und Verbesserung des Gesundheitszustands sei zeitweise eine fremde Unterstützung sinnvoll.

Mit Schriftsatz vom 26. Februar 2016 trug der Bevollmächtigte des Klägers zusätzlich vor, dieser nehme in Deutschland auch an religiösen Veranstaltungen und Seminaren der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft teil. So habe er beispielsweise an einem regionalen Seminar der Jugendorganisation am 19. Januar 2014 teilgenommen. Am 9. Juni 2014 habe das spirituelle Oberhaupt der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft, Kalif Hadhrat Mirza Masroor Ahmad, die neue Al-Mahdi-Moschee in Neufahrn eröffnet. Bei dieser Gelegenheit habe der Kläger das spirituelle Oberhaupt am 10. Juni 2014 in ... im Rahmen der Eröffnungsfeier getroffen. Darüber hinaus habe der Kläger am 26. April 2014 an einem Wissens- und Sportwettbewerb der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in ... teilgenommen. Der Kläger leide auch an einer Darmblutung. Am 3. Februar 2016 habe ein Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie eine Darmspiegelung bei ihm durchgeführt. Eine Diagnose liege bislang nicht vor.

Ergänzend wird auf den Akteninhalt, insbesondere das Protokoll über die Anhörung des Klägers beim Bundesamt und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung, in der sein Onkel ... als Zeuge vernommen wurde, sowie auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisgrundlagen Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

1. Eine Anerkennung als Asylberechtigter kann bereits deshalb nicht erfolgen, weil der Kläger von Italien aus auf dem Landweg und damit aus einem sicheren Drittstaat nach Deutschland eingereist ist (vgl. Art. 16a Abs. 2 GG, § 26a AsylG).

2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinn von § 3 AsylG und § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Er hält sich nicht aus begründeter Furcht vor politischer Verfolgung außerhalb Pakistans auf. In seinem Herkunftsland sind sein Leben, seine Freiheit oder andere in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 2011/95/EU geschützte Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bedroht. Auf den sogenannten herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab für vorverfolgt ausgereiste Asylbewerber kann er sich nicht mit Erfolg berufen, weil er nicht verfolgungsbedingt ausgereist ist. Sein diesbezügliches Vorbringen ist nicht glaubhaft.

Beim Bundesamt machte er noch geltend, die Mullahs, die bei ihnen in der Gegend lebten und in Gruppen durch die Gegend gezogen seien, hätten nach dem Tod seines Vaters im Jahr 2008 immer wieder zu ihm gesagt, jetzt lebe sein Vater nicht mehr, jetzt würden sie ihn töten. Dagegen behauptete er in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht, kurze Zeit bevor er Ende des Jahres 2011 das College abgebrochen habe, sei er im Abstand von etwa 15 Tagen zweimal nachts damit bedroht worden, dass er getötet werden solle. Wer die Personen gewesen seien, die dies von draußen geschrien hätten, könne er nicht sagen. Selbst eine Vermutung habe er insoweit nicht. Das Vorbringen des Klägers ist demnach in wesentlichen Punkten widersprüchlich. Zudem wurden die angeblich früher „ständig“ bzw. „immer wieder“ gegen seinen Vater gerichteten Todesdrohungen weder beim Bundesamt noch vor Gericht substantiiert und konnten von dem vom Kläger als Zeugen benannten Onkel nicht einmal vom Hörensagen bestätigt werden. Das Gericht hat deshalb den Eindruck gewonnen, dass dem Asylantrag nicht ein reales Verfolgungserlebnis zugrunde liegt, sondern der Wunsch, einen ausländerrechtlich nicht zulässigen „Familiennachzug“ zu seinem Onkel, bei dem er inzwischen auch arbeitet, zu erreichen.

Vor diesem Hintergrund hat das Gericht nicht die Überzeugung gewonnen, dass die öffentliche Glaubensausübung, bei der in Pakistan für einen Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft die begründete Furcht vor einer Verfolgung aus religiösen Gründen besteht, ein zentrales Element der religiösen Identität des Klägers und in diesem Sinn für ihn unverzichtbar ist (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67/79 Rn. 30). Vielmehr lässt bereits die Antwort, die der Kläger beim Bundesamt auf die Frage „Wie haben Sie ihren Glauben ausgeübt?“ gegeben hat, erkennen, dass es sich bei ihm nicht um einen überdurchschnittlich engagierten Ahmadi handelt. Die Antwort erschöpfte sich in den folgenden beiden Sätzen, wobei der erste Satz ersichtlich eine Übertreibung darstellt: „Ich hatte kein spezielles Amt in der Glaubensgemeinschaft, aber als ich in der Schule war, bin ich immer zum Gebet hingegangen. Es gibt fünf Gebete am Tag und ich bin zwar nicht immer hingegangen, aber manchmal zum Morgen- und manchmal zum Abendgebet.“ Der Kläger hat demnach seinen Glauben in Pakistan nicht in einer Weise praktiziert, die dort verboten wäre. Bei Zugrundelegung seiner Angaben ist er zwar mehr oder weniger regelmäßig zum Gebet in die örtliche Ahmadiyya-Moschee gegangen. Das Gericht kann den vorliegenden Erkenntnismaterialien jedoch keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Ausübung religiöser Riten in einer Gebetsstätte der Ahmadis bereits als öffentliche Betätigung gewertet und strafrechtlich sanktioniert wird (vgl. BVerwG a. a. O. Rn. 33). Vielmehr ist in Übereinstimmung mit Artikel 20 der Pakistanischen Verfassung, der die freie Religionsausübung garantiert, davon auszugehen, dass auch die Ahmadis Moscheen als Ort der gemeinschaftlichen Glaubensausübung betreiben und dort die ihrem Glauben entsprechenden Gebete verrichten dürfen. Die größte Ahmadiyya-Moschee, die Zentralmoschee in Rabwah, das seit Februar 1999 offiziell Chenab Nagar heißt, hat sogar ein Fassungsvermögen von 18.500 Gläubigen; insgesamt gibt es dort etwa 66 Moscheen, die größtenteils zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehören dürften (vgl. Wikipedia - Chenab Nagar). Soweit der Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, er sei nach dem Tod seines Vaters aus Angst vor Übergriffen deutlich seltener als zuvor zum Beten in die Moschee gegangen, handelt es sich gegenüber den Angaben beim Bundesamt um ein gesteigertes und schon deshalb nicht glaubhaftes Vorbringen. Hat der Kläger aber das Maß an religiöser Betätigung, das er ungefährdet in Pakistan ausüben konnte, nicht ausgeschöpft, so spricht dies dagegen, dass es für ihn unverzichtbar ist, sich in einem Maß zu betätigen, das (möglicherweise) verfolgungsrelevant ist.

Die Überprüfung der religiös motivierten Aktivitäten des Klägers in Deutschland, für die dieser die Darlegungs- und Beweislast trägt, hat ergeben, dass er während seines mehr als zweieinhalbjährigen Aufenthalts nur einmal seinen Glauben in einer Weise praktiziert hat, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Dabei hat er im Sommer des Jahres 2014 Flyer in der Fußgängerzone in ... verteilt, mit denen für die Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft geworben wurde. Er hat jedoch in der mündlichen Verhandlung der Verteilung der Flyer zunächst irrtümlich eine andere Zweckbestimmung gegeben. Dies zeigt, dass ihm die Verteilung der Flyer und damit das Werben für seine Glaubensgemeinschaft nicht wirklich ein persönliches Anliegen gewesen ist, sondern dass er zusammen mit den anderen vier Asylbewerbern mitgemacht hat, um die Erfolgsaussichten für seinen Asylantrag zu verbessern. Bei dem „Glaubensunterricht“ am 19. Januar 2014 in ... und bei den Wissens- und Sportwettbewerben „Zonal Ijtema 2014“ am 26. April 2014 in ..., bei denen die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft unter sich geblieben sind, handelte es sich ohnehin um keine öffentliche religiöse Betätigung. Erst recht gilt dies für das 10 bis 20 Sekunden dauernde Treffen des Klägers mit Kalif Hadhrat Mirza Masroor Ahmad, dem Oberhaupt der weltweiten Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft, in .... An der Eröffnungszeremonie für die Al-Mahdi-Moschee in Neufahrn hat der Kläger ohnehin nicht teilgenommen, wie er auf Vorhalt des Gerichts eingeräumt hat. Ob die genannten Aktivitäten auf eine enge Verbundenheit des Klägers mit seinem Glauben schließen lassen, kann offen bleiben, weil dies für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht ausreicht (vgl. BVerwG a. a. O. Rn. 30).

Auch die Ausführungen des Zeugen haben dem Gericht nicht den Eindruck vermittelt, dass der Kläger seinen Glauben in Deutschland in einer Weise lebt, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Als der Zeuge vom Bevollmächtigten des Klägers danach gefragt wurde, wie dieser in Deutschland seinen Glauben lebe, antwortete er konkret auf den Kläger bezogen lediglich, dieser versuche hier, die ganzen religiösen Tätigkeiten auszuüben. Die folgenden Ausführungen des Zeugen sind dagegen auffallend allgemein gehalten und sollen offenbar den Eindruck erwecken, die öffentliche Glaubensausübung gehöre zum Selbstverständnis jeden Ahmadis („Ich weiß genau, dass ein Ahmadi nicht anders handeln kann“). Dies ist jedoch schon deshalb nicht haltbar, weil allenfalls jeder dritte bis vierte Ahmadi ein bekennendes Mitglied ist. Nach dem Bericht des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan vom 23. Juli 2015, II. 1.4 Religionsfreiheit, Ahmadis S. 14 (Lagebericht Pakistan vom 23.7.2015) sind von den drei bis vier Millionen Ahmadis in Pakistan ca. eine Million bekennende Mitglieder. In den früheren Lageberichten ist das Auswärtige Amt seit dem Jahr 2001 durchgängig nur von 500.000 bis 600.000 bekennenden Mitgliedern ausgegangen und hat zudem darauf hingewiesen, dass nach anderen Schätzungen die Zahl der bekennenden Mitglieder (noch) niedriger liege. Warum das Auswärtige Amt die Zahl der bekennenden Mitglieder nun nahezu doppelt so hoch einschätzt wie bisher, kann dem Lagebericht Pakistan vom 23. Juli 2015 nicht entnommen werden.

Abgesehen davon besteht für Ahmadis, für die die in Pakistan verbotene öffentliche Glaubensausübung ein zentrales Element ihrer religiösen Identität ist, eine inländische Fluchtalternative in Rabwah. Eine Niederlassung in Rabwah, ihrem religiösem Zentrum, bietet ihnen einen erheblichen Schutz vor Repressionen, weil sie dort mit einem Bevölkerungsanteil von etwa 95% weitgehend unter sich sind (vgl. Lagebericht Pakistan vom 23.7.2015, II. 3. Ausweichmöglichkeiten S. 21). Verfolgungsrelevante Übergriffe auf Ahmadis in Rabwah lassen sich den vorliegenden Erkenntnismaterialien und auch dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 12. Juni 2013 - A 11 S 757/13 - nicht entnehmen. Der Umstand, dass 1989 und 2008 wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen § 298c des Pakistanischen Strafgesetzbuchs (Pakistan Penal Code - PPC - ) Strafverfahren gegen alle Ahmadis in Rabwah eingeleitet wurden, ist soweit ersichtlich für alle Betroffenen ohne Folgen geblieben. Alle Verfahren wurden eingestellt, ohne dass irgendwelche Sanktionen verhängt wurden. Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland an, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (BVerwG a. a. O. Rn. 28). Auch wenn die Einleitung der Ermittlungsverfahren der Einschüchterung der großen Bevölkerungsmehrheit von Rabwah gedient haben sollte, war sie aufgrund ihrer Art oder Wiederholung bei weitem nicht so gravierend, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen würde. Auch in einer Kumulierung mit anderen Maßnahmen war sie nicht annährend so gravierend, dass die in Rabwah lebenden Ahmadis davon in ähnlicher Weise wie bei einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung betroffen gewesen wären (vgl. § 3a Abs. 1 AsylG). Dementsprechend haben im November 2015 die Familien vieler Mitarbeiter einer einem Ahmadi gehörenden und von religiösen Extremisten aufgrund eines Gerüchts in Brand gesetzten Fabrik, die auf dem Fabrikgelände wohnten, in Rabwah Zuflucht gefunden (vgl. www.ahmadiyya.de Verfolgung von Ahmadis). Dies zeigt, dass diejenigen Ahmadis, die Schutz in Rabwah suchen, dort aufgenommen werden. Als arbeitsfähiger junger Mann kann der Kläger dort auch eine ausreichende wirtschaftliche Existenz finden. Die Frage, ob alle in Pakistan lebenden Ahmadis in Rabwah eine den Anforderungen des Art. 8 QRL genügende wirtschaftliche Existenz finden können (vgl. VGH BW, U.v. 12.6.2013 - A 11 S 757/13 - juris Rn. 121 a.E.), ist demgegenüber ohne rechtliche Relevanz, solange die Aufnahmekapazität von Rabwah nicht erschöpft ist.

3. Des Weiteren hat der Kläger keinen Anspruch auf Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigter im Sinn von § 4 AsylG i. V. m. § 60 Abs. 2 AufenthG. Er hat keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm nach einer Rückkehr in Pakistan ein ernsthafter Schaden droht.

4. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. In Pakistan besteht für ihn auch unter Berücksichtigung seines Gesundheitszustands und der hierzu vorgelegten ärztlichen Atteste keine erhebliche Gefahr für Leib oder Leben. Die medizinische Versorgung ist in Pakistan in den staatlichen Krankenhäusern gewährleistet. Bedürftige werden dort kostenlos behandelt. Hierfür genügt bereits die Erklärung des Patienten, dass die Behandlung nicht bezahlt werden könne. Allerdings trifft dies auf schwierige Operationen, z. B. Organtransplantationen, nicht zu. Die Grundversorgung mit nahezu allen gängigen Medikamenten ist sichergestellt. Für ärztliche Versorgung und Medikamente muss in Pakistan nur ein Bruchteil der in Deutschland hierfür anfallenden Kosten aufgewendet werden, so dass sie für weite Teile der Bevölkerung erschwinglich sind. Recherchen der deutschen Botschaft Islamabad haben zudem ergeben, dass - unter dem Vorbehalt der Finanzierbarkeit - in den modernen Krankenhäusern in den Großstädten die meisten Krankheiten behandelt werden können (vgl. Lagebericht Pakistan vom 23.7.2015, IV.1.2 Medizinische Versorgung S. 27). Zudem ist das von der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gegründete und betriebene Fazle-Omar-Hospital in Rabwah das Zentrum der medizinischen Versorgung für die ganze Region (vgl. Wikipedia - Chenab Nagar). Sowohl der Bandscheibenvorfall als auch die Entzündung eines Teils der Dickdarmschleimhaut (Proctocolitis ulcerosa) können demnach in Pakistan behandelt werden. Mit der Notwendigkeit einer Bandscheibenoperation beim Kläger ist ohnehin nicht alsbald zu rechnen (vgl. zum Erfordernis der alsbaldigen Realisierung der Gefahr BVerwG, U.v. 29.7.1999 - 9 C 2.99 - juris Rn. 8 zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG; VG Köln, U.v. 10.9.2014 - 23 K 6317/11.A - juris). Der als Pizzabäcker arbeitende Kläger ist im Alltag keinen wesentlichen Einschränkungen unterworfen. Er konnte trotz des Bandscheibenvorfalls und der weiteren von dem Orthopäden ... diagnostizierten „Krankheiten“ Cricket spielen und am Tauziehen teilnehmen. Zudem wurde ihm bisher keine Krankengymnastik verschrieben.

5. Die Entscheidung des Bundesamts, das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung zu befristen, ist nicht zu beanstanden. Die Länge der Frist liegt exakt in der Mitte des von § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vorgegebenen Rahmens und begegnet daher keinen Bedenken.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Juli 2010 - A 4 K 1179/10 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger erstrebt im Wege des Asylfolgeverfahrens die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG.
Der 1979 geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger und gehört der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya an; er stammt aus einem Dorf im pakistanischen Teil des Punjab.
Zum Nachweis seiner Glaubenszugehörigkeit hat er Bescheinigungen der Ahmadiyya Muslim Jamaat Frankfurt vom 02.10.2000, 28.10.2010 sowie vom 06.12.2011 vorgelegt.
Nach seinen eigenen Angaben reiste er am 23.07.2000 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 24.07.2000 einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung im Asylerstverfahren durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 04.08.2000 brachte er im Wesentlichen vor, er gehöre von Geburt an der Religionsgemeinschaft der Ahmadis an und habe deshalb Verfolgungsmaßnahmen erlitten. So sei er beim Besuch der Moschee geschlagen worden. Gleiches sei ihm beim Tragen von religiösen Abzeichen widerfahren. Eines Nachts im Mai des Jahres 2000 sei er beim Bewachen von Getreide durch Diebe zusammengeschlagen worden. Am nächsten Tag habe sein Vater zusammen mit Freunden die Diebe zur Rede gestellt, worüber diese sehr erbost gewesen seien und gedroht hätten, ihn zu töten. Die Familie habe deshalb beschlossen, dass er sein Heimatland verlassen solle.
Mit Bescheid vom 15.09.2000 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Zugleich wurde dem Kläger die Abschiebung nach Pakistan angedroht. Der Kläger erhob hiergegen Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart, die mit Urteil vom 22.05.2001 (A 8 K 12809/00) abgewiesen wurde. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, es fehle an einem glaubhaften individuellen Verfolgungsschicksal des Klägers. Im Übrigen könne bei der gegenwärtigen Erkenntnislage eine Gruppenverfolgung von Ahmadis in Pakistan nicht angenommen werden. Das Urteil wurde durch Nichtzulassung der Berufung mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 09.10.2001 (A 6 S 688/01) rechtskräftig.
In den Jahren 2001 bis 2005 stellte der Kläger insgesamt fünf erfolglose Folgeanträge.
Am 08.12.2008 stellte der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten einen weiteren Asylfolgeantrag und trug zur Begründung vor: Durch die Richtlinie 2004/83/EG habe sich die Rechtslage zu seinen Gunsten nachträglich verändert. Nunmehr sei von einer Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan auszugehen. Art. 10 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2004/83/EG - Qualifikationsrichtlinie (QRL) - präzisiere den Verfolgungsgrund der Religion dahingehend, dass nunmehr auch Glaubensausübungen im öffentlichen Bereich mit umfasst seien. Damit sei unter anderem auch das aktive Missionieren vom Schutzbereich umfasst. Die bisherige Rechtsprechung zum religiösen Existenzminimum könne vor dem veränderten europarechtlichen Hintergrund nicht mehr aufrechterhalten werden. Der Kläger werde von diesen Einschränkungen vor allem der öffentlichen Religionsausübungsmöglichkeiten in Pakistan persönlich betroffen, da er eine religiös geprägte Persönlichkeit sei. So bete der Kläger regelmäßig und besuche die Moschee; er sehe es als seine religiöse Pflicht an, sich zu seinem Glauben zu bekennen und für diesen bei Andersgläubigen aktiv zu werben. Auch bekleide er Ämter innerhalb der religiösen Gemeinde. Im Übrigen habe sich die Verfolgungssituation der Ahmadis in Pakistan erheblich verschärft. Er habe erstmalig Anfang November 2008 von zwei Glaubensgenossen erfahren, dass diese aufgrund von Europarecht durch das Verwaltungsgericht Karlsruhe als Flüchtlinge anerkannt worden seien; er habe sich deshalb am 01.12.2008 an seinen nunmehrigen Prozessbevollmächtigten gewandt.
Mit Bescheid vom 30.03.2010 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Ziffer 1) und auf Abänderung des Bescheids vom 15.09.2000 hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (Ziffer 2) ab.
Am 31.03.2010 erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart mit dem Ziel einer Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie der Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Zur Begründung nahm er im Wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen im Verwaltungsverfahren Bezug. Ergänzend trug er zur aktuellen Lage der Ahmadis in Pakistan vor. Im Übrigen führte er aus, er selbst sei eine religiös geprägte Persönlichkeit und seinem Glauben eng verbunden. Er bete regelmäßig, besuche die Moschee und nehme an den Gemeindeveranstaltungen teil. Insbesondere habe er auch eine Aufgabe innerhalb der Gemeinde, er sei als sog. „Ziafat“ tätig und als solcher für die Organisation der Essenszubereitung bei Gemeindeveranstaltungen zuständig.
10 
Mit Urteil vom 09.07.2010 - A 4 K 1179/10 - verpflichtete das Verwaltungsgericht Stuttgart die Beklagte, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, und hob die Ziffern 1 und 2 des Bescheids des Bundesamtes vom 30.03.2010 auf, soweit sie dem entgegenstehen. Zur Begründung wies das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteile vom 20.11.2007   - A 10 S 70/06 - und vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07) hin. Der Kläger sei von den Restriktionen, die nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in den genannten Urteilen für die öffentliche Glaubensausübung von Ahmadis in Pakistan zu verzeichnen seien, selbst betroffen. Aufgrund der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dieser Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft sei. Das Gericht habe in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass der Kläger eng mit seinem Glauben verbunden sei, diesen in der Vergangenheit regelmäßig ausgeübt habe und dies auch gegenwärtig in einer Weise tue, dass er im Fall einer Rückkehr von der vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg beschriebenen Situation selbst betroffen werde. So habe der Kläger nachvollziehbar geschildert, dass und wie er seinen Glauben hier in Deutschland lebe; er sei aktives Mitglied seiner jetzigen religiösen Gemeinde. Über die geschilderte gemeindeinterne Betätigung hinaus habe der Kläger dargelegt, auch an öffentlichkeitswirksamen überörtlichen Veranstaltungen der Ahmadis teilgenommen zu haben. Nach der Überzeugung des Gerichts sei es ihm ein inneres Bedürfnis, mit anderen über seinen Glauben zu sprechen und für diesen aktiv zu werben.
11 
Am 02.08.2010 beantragte die Beklagte die Zulassung der Berufung.
12 
Mit Beschluss vom 10.01.2011 wurde die Berufung ohne Beschränkung zugelassen.
13 
Am 01.02.2011 begründete die Beklagte die Berufung unter Stellung eines förmlichen Antrags und führte dabei im Wesentlichen aus: Es bestünden bereits erhebliche Zweifel, ob die formellen Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfüllt seien. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bestehe auch in der Sache kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG. Das Verwaltungsgericht folge in fehlerhafter Weise der vom Gerichtshof in seinem Urteil vom 20.05.2008 vertretenen Auffassung, dass sich der Schutzbereich der Religionsausübungsfreiheit unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie wesentlich erweitert habe. An dieser vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Rechtsprechung des Senats könne im Hinblick auf eine neuere Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.03.2009 (10 C 51.07) nicht uneingeschränkt festgehalten werden. In rechtsfehlerhafter Weise habe das Verwaltungsgericht auch die Ziffer 2 des Bescheids vom 30.03.2010 aufgehoben, mit der das Bundesamt die Abänderung des nach altem Recht ergangenen Bescheids vom 15.09.2000 bezüglich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG abgelehnt habe. Die knappe und nicht näher nachvollziehbare Begründung des Urteils deute darauf hin, dass das Verwaltungsgericht den Regelungsgehalt des § 31 Abs. 3 AsylVfG verkenne. Die Voraussetzungen für derartige Abschiebungsverbote lägen im Übrigen nicht vor.
14 
Der Kläger wurde in der mündlichen Verhandlung vom 13.12.2011 informatorisch angehört; insoweit wird auf die Niederschrift verwiesen.
15 
Durch Urteil vom 13.12.2011 (A 10 S 69/11) wurde die Berufung mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor wie folgt gefasst wurde: „Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen. Ziffer 1 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 30.03.2010 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.“ Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG lägen vor. Mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007 am 28.08.2007 sei eine relevante Änderung der Rechtslage i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VwVfG eingetreten (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.12.2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289; Urteil des Senats vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris). Auch sei die Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG mit der Antragstellung am 05.12.2008 gewahrt worden.
16 
Das Gericht gehe im Anschluss an seine Urteile vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07) sowie vom 27.09.2010 (A 10 S 689/08) davon aus, dass sich die maßgebliche Rechtslage bei Anwendung der Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie sowohl hinsichtlich des hier in Rede stehenden Schutzbereichs der Religionsausübungsfreiheit als auch des Prognosemaßstabs für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit geändert habe.
17 
Wie im Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07 - a.a.O.) näher dargelegt, gehe die Vorschrift des Art. 10 Abs. 1 lit. b) QRL nach ihrem eindeutigen Wortlaut über den Schutz hinaus, der nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Art. 16a Abs. 1 GG unter dem Aspekt der religiösen Verfolgungsgründe eingeräumt worden sei, jedenfalls wenn nicht die Gefahr eines Eingriffs in Leib, Leben oder Freiheit aufgrund einer bereits vor Ausreise aus dem Heimatland ausgeübten religiösen Betätigung in Rede stehe (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 - BVerwGE 133, 221). Zur Glaubensfreiheit gehöre somit nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensinhalten und Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln. Teil der Religionsausübung seien nicht nur alle kultischen Handlungen und die Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche, wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozessionen etc., sondern auch religiöse Erziehung, Feiern und alle Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens in der Öffentlichkeit. Umfasst würden schließlich auch das Recht, den Glauben werbend zu verbreiten und andere von ihm zu überzeugen. Die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes setze darüber hinaus voraus, dass eine relevante Verfolgungshandlung des maßgeblichen Verfolgers (vgl. hierzu Art. 6 f. QRL) festgestellt werde, die allein oder in der Gesamtheit mit anderen Verfolgungshandlungen eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts ausmache (vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und b QRL). Erst an dieser Stelle erweise sich im jeweils konkreten Einzelfall, sofern auch die nach Art. 9 Abs. 3 QRL erforderliche Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund festgestellt werden könne, ob der oder die Betreffende die Flüchtlingseigenschaft besitze.
18 
Auf der Grundlage der Feststellungen in den Urteilen vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07) und vom 27.09.2010 (A 10 S 689/08) und deren Fortschreibung bis zur mündlichen Verhandlung drohe einem bekennenden Ahmadi, der zu seinem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehe und seinen Glauben in Pakistan öffentlich betätigen wolle, eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts und damit eine flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL.
19 
Das Gericht habe, insbesondere auch aufgrund der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten informatorischen Anhörung des Klägers, die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden sei und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziere, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Nach dem in der informatorischen Befragung gewonnen Gesamteindruck halte das Gericht die Angaben des Klägers zu seiner Glaubensausübung in Pakistan für uneingeschränkt glaubhaft. Im übrigen habe der Kläger im Rahmen der informatorischen Befragung überzeugend ausgeführt, ein religiös geprägtes Leben in Pakistan geführt zu haben, auch wenn er keine herausgehobene Funktion oder ein Amt in seiner Gemeinde bekleidet habe. Er habe jedoch glaubhaft dargelegt, so oft als möglich, mindestens jedoch dreimal am Tag, das Gebet in der Moschee der Ahmadis verrichtet zu haben. Dies spreche im vorliegenden Fall bereits deshalb für einen engen Glaubensbezug, weil das Aufsuchen der Moschee aufgrund der Berufstätigkeit des Klägers in der Landwirtschaft und der Entfernung der Felder zu der Moschee mit einem erheblichen Aufwand verbunden gewesen sei. Darüber hinaus habe der Kläger glaubhaft geschildert, bei Bedarf in seiner religiösen Gemeinde untergeordnete Tätigkeiten, etwa Reinigungsdienste, ausgeübt zu haben. Auch wenn es sich dabei wohl nicht um eine religiöse Betätigung gehandelt haben dürfte, die über die übliche Glaubensausübung in Pakistan hinausgehe, spreche sie doch für eine enge und verpflichtende Verbundenheit zu dem Glauben der Ahmadiyyas. Was die Angaben des Klägers zu seiner Religionsausübung im Bundesgebiet angehe, seien diese nach dem gewonnenen Eindruck glaubhaft. Das Gericht glaube dem Kläger uneingeschränkt, dass er sich seit seiner Einreise im Jahre 2000 jeweils in der zuständigen Gemeinde der Ahmadis betätige, regelmäßig zum Gebet in die Moschee gehe und verschiedene untergeordnete Tätigkeiten ausübe. So habe der Kläger etwa überzeugend und glaubhaft geschildert, wie er sich unmittelbar nach seiner Einreise zu der Ahmadi-Gemeinde nach XXX begeben und sich dort in vielfältiger Weise sozial und kulturell engagiert habe. Insbesondere habe der Kläger in der Gemeinde XXX nicht nur die in der Heimat bereits geleisteten Hilfsdienste fortgesetzt, sondern sich nunmehr auch öffentlichkeitswirksam religiös betätigt. So habe er sich bereits in XXX monatlich an einem Bücherstand vor dem Bahnhof beteiligt und Andersgläubige in missionarischer Absicht angesprochen. Gerade diese missionarischen Aktivitäten stellten ein wesentliches, wenn auch nicht zwingend erforderliches Indiz für die Annahme einer verpflichtenden Verbundenheit mit dem Glauben der Ahmadis dar. Nach seinem Umzug nach XXX habe der Kläger vor allem auch diese missionarischen Aktivitäten fortgesetzt und intensiviert. Der Senat glaube dem Kläger, im Jahre 2010 einen Landsmann zum ahmadischen Glauben bekehrt zu haben. In diesem Zusammenhang habe der Kläger weiterhin glaubhaft ausgeführt, ihm wohlgesonnene Landsleute regelmäßig zum Besuch seiner eigenen Moschee in missionarischer Absicht eingeladen zu haben. Dies zeige, dass es dem Kläger in Übereinstimmung mit den Glaubensgrundsätzen der Ahmadis ein inneres Anliegen sei, eigene Landsleute von seinem Glauben zu überzeugen. Darüber hinaus nehme der Kläger regelmäßig an überregionalen öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen seiner Glaubensgemeinschaft teil. Auch habe er nachvollziehbar geschildert, in seiner Familie ein streng glaubensgebundenes Leben zu führen und sich insbesondere für die religiöse Erziehung seiner kleinen Tochter einzusetzen. Diesem Eindruck stehe auch nicht entgegen, dass der Kläger lediglich über ein eingeschränktes theologisches Wissen verfüge. Nach der Überzeugung des Gerichts handele es sich bei dem Kläger um einen „einfachen“ Ahmadi, der seinem Glauben jedoch verpflichtend verbunden sei und diesen insbesondere auch öffentlichkeitswirksam, vor allem durch Entfaltung missionarischer Aktivitäten, leben wolle. Damit gehöre der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stünden und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen seien.
20 
Da dem Kläger nach dem oben Gesagten die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen sei, bedürfe es keiner Entscheidung über die hilfsweise begehrte Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht Ziffer 2 des versagenden Bescheides des Bundesamtes vom 30.03.2010 aufgehoben; insoweit sei der Tenor wie erfolgt neu zu fassen.
21 
Das Urteil wurde der Beklagten am 17.01.2012 zugestellt.
22 
Am 16.02.2012 legte die Beklagte die zugelassene Revision ein und begründete diese am 16.03.2012.
23 
Mit Beschluss vom 12.05.2012 setzte das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.12.2010 aus. Nachdem der Europäische Gerichtshof die Vorlagefragen durch Urteil vom 05.09.2012 (C-71/11 u.a.) beantwortet hatte, wurde das Verfahren fortgesetzt.
24 
Durch Urteil vom 20.02.2013 (10 C 23.12) hob das Bundesverwaltungsgericht das Urteil vom 13.12.2011 auf und wies den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurück. Nicht mit Bundesrecht vereinbar sei die vom Berufungsgericht gestellte Verfolgungsprognose. Der Verwaltungsgerichtshof habe das Ergebnis, dass die beschriebenen Verfolgungsgefahren für bekennende Ahmadis bestünden, die ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollten, nicht auf der Grundlage einer nachvollziehbaren Gefahrenprognose entwickelt. Nicht zu beanstanden sei der Ausgangspunkt, dass sich der Kläger nicht mit Erfolg auf eine begründete Furcht vor Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer augenblicklich bestehenden Gruppenverfolgung berufen könne. Das Urteil lasse jedoch nicht erkennen, aufgrund welcher Tatsachen und nach welchem Prognosemaßstab es dann die hinreichende Verfolgungsbetroffenheit für bekennende Ahmadis bejahe, die ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollten. Hänge die Verfolgungsgefahr von einem willensgesteuerten Verhalten ab - hier: der Praktizierung des Glaubens in der Öffentlichkeit -, sei für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben genau in dieser Weise praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Das sei in dem angefochtenen Urteil nicht erfolgt. Das Berufungsgericht habe weder - wie geboten - die Zahl der ihren Glauben entgegen den genannten Verboten öffentlich praktizierenden Ahmadis jedenfalls annäherungsweise bestimmt noch festgestellt, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe träfen. Nur wenn eine wertende Betrachtung ergebe, dass für die Gruppe der ihren Glauben öffentlich praktizierenden Ahmadis in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko bestehe, könne daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die vom Berufungsgericht als verfolgungsbetroffen gewertete Gesamtgruppe der Ahmadis, zu deren religiösem Selbstverständnis die Praktizierung des Glaubens in der Öffentlichkeit gehöre, einem beachtlichen Verfolgungsrisiko ausgesetzt sei.
25 
Der Kläger und die Beklagte haben sich durch Schriftsätze jeweils vom 08.05.2013 sowie vom 29.05.2013 zum Revisionsurteil sowie zu der vom Senat aufgeworfenen Frage nach weiteren Ermittlungsansätzen für die Erstellung der Verfolgungsprognose geäußert. Hierauf wird im Einzelnen verwiesen.
26 
Auf Anregung des Prozessbevollmächtigten des Klägers hat der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ Frankfurt unter dem 06.06.2013 eine Stellungnahme vorgelegt u.a. zu Einzelheiten des Berichts- und Dokumentationssystem zu Übergriffen gegen Ahmadis in Pakistan, das der von der Londoner Organisation betriebenen Website „thepersecution.org“ zugrunde liegt.
27 
Die Beklagte beantragt,
28 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Juli 2010 - A 4 K 1179/10 - zu ändern, soweit die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausgesprochen sowie die Ziffer 1 des Bescheids vom 30. März 2010 aufgehoben wurde, soweit er dem entgegensteht, und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
29 
Der Kläger beantragt,
30 
die Berufung zurückzuweisen.
31 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung erneut informatorisch angehört; wegen der dabei gemachten Angaben wird auf die Anlage zur Niederschrift verwiesen.
32 
Auf die den Beteiligten mit der Ladung übersandte Erkenntnisquellenliste wird verwiesen.
33 
Dem Senat liegen die Asylverfahrensakten des Bundesamts (7 Bd), die Ausländerakten (3 Bd), die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart sowie die Akten des 10. Senats hinsichtlich des streitgegenständlichen Folgeverfahrens vor.

Entscheidungsgründe

 
34 
I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch die Verpflichtung der Beklagten auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie die ergänzende Aufhebung der dem entgegenstehenden Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 30.03.2010. Denn im Berufungsurteil vom 13.12.2011 wurde, wenn auch nicht ausdrücklich im Tenor, die Klage hinsichtlich der Ziffer 2 des Bescheids abgewiesen (vgl. insbesondere auch UA S. 35 unten). Da die Beklagte auch nur in diesem Umfang durch das Urteil beschwert war, muss davon ausgegangen werden, dass sie nur insoweit die zugelassene Revision eingelegt hat, mit der Folge, dass auch die Aufhebung des Urteils vom 13.12.2011 durch das Bundesverwaltungsgericht nur diesen Teil betreffen kann. Die Beteiligten sehen dies nicht anders.
35 
II. Dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und 3 VwVfG vorliegen, wurde im Urteil vom 13.12.2011 im Einzelnen dargelegt. Hierauf kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden.
36 
III. Grundlage für das Begehren des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.
37 
Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 20.02.2013, mit dem der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde, in maßstäblicher Hinsicht folgendes ausgeführt:
38 
„2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 2011/95/EU (zuvor: Richtlinie 2004/83/EG) - im Folgenden: Richtlinie - geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen .
39 
Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie ergänzend anzuwenden. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist. Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen des Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie und den Verfolgungshandlungen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie bestehen.
40 
2.2 Das Berufungsgericht hat die vom Kläger als Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft (Ahmadi) geltend gemachte Verfolgungsgefahr zutreffend als Furcht vor einem Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung gewertet (UA S. 13). Denn Ahmadis droht in Pakistan die Gefahr einer Inhaftierung und Bestrafung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht schon wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft als solcher. Die Verwirklichung der Gefahr hängt vielmehr von dem willensgesteuerten Verhalten des einzelnen Glaubensangehörigen ab: der Ausübung seiner Religion mit Wirkung in die Öffentlichkeit. In solchen Fällen besteht der unmittelbar drohende Eingriff in einer Verletzung der Freiheit, die eigene Religion entsprechend den geltenden Glaubensregeln und dem religiösen Selbstverständnis des Gläubigen zu praktizieren, weil der Glaubensangehörige seine Entscheidung für oder gegen die öffentliche Religionsausübung nur unter dem Druck der ihm drohenden Verfolgungsgefahr treffen kann. Er liegt hingegen nicht in der Verletzung der erst im Fall der Praktizierung bedrohten Rechtsgüter (z.B. Leib, Leben, persönliche Freiheit). Etwas anderes gilt dann, wenn der Betroffene seinen Glauben im Herkunftsland bereits praktiziert hat und ihm schon deshalb - unabhängig von einer willensgesteuerten Entscheidung über sein Verhalten in der Zukunft - unmittelbar die Gefahr z.B. einer Inhaftierung und Bestrafung droht. Eine derartige Vorverfolgung hat das Berufungsgericht hier jedoch nicht festgestellt .
41 
2.3 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat auf Vorlage des Senats durch Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe in die Religionsfreiheit als Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden können .
42 
2.3.1 Der Gerichtshof sieht in dem in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) verankerten Recht auf Religionsfreiheit ein grundlegendes Menschenrecht, das eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft darstellt und Art. 9 EMRK entspricht. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten (EuGH a.a.O. Rn. 57). Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in das durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta garantierte Recht auf Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dar (Rn. 58). Zunächst muss es sich um eine Verletzung dieser Freiheit handeln, die nicht durch gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Grundrechtsausübung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GR-Charta gedeckt ist. Weiterhin muss eine schwerwiegende Rechtsverletzung vorliegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt (Rn. 59). Das setzt nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie voraus, dass die Eingriffshandlungen einer Verletzung der grundlegenden Menschenrechte gleichkommen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf (Rn. 61) .
43 
2.3.2 Zu den Handlungen, die nach der Rechtsprechung des EuGH eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Der Gerichtshof hält es mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie nicht für vereinbar, die Beachtlichkeit einer Verletzungshandlung danach zu beurteilen, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift (Rn. 62 f.). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an der vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung für den Flüchtlingsschutz (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 <19 ff.>) nicht mehr fest. Folglich ist bei der Bestimmung der Handlungen, die aufgrund ihrer Schwere verbunden mit der ihrer Folgen für den Betroffenen als Verfolgung gelten können, nicht darauf abzustellen, in welche Komponente der Religionsfreiheit eingegriffen wird, sondern auf die Art der ausgeübten Repressionen und ihre Folgen für den Betroffenen (Rn. 65 mit Verweis auf Rn. 52 der Schlussanträge des Generalanwalts) .
44 
Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (Rn. 67). Der Gerichtshof verwendet in der verbindlichen deutschen Sprachfassung des Urteils (vgl. Art. 41 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012, ABI L 265/1 vom 29. September 2012) zwar nur den Begriff „verfolgt", ohne dies ausdrücklich auf eine strafrechtliche Verfolgung zu beziehen. Es wäre jedoch zirkulär, den Begriff der „asylerheblichen Verfolgung" durch „Verfolgung" zu definieren. Dafür spricht zudem ein Vergleich der deutschen mit der französischen, englischen und italienischen Fassung des Urteils. In allen drei zum Vergleich herangezogenen Sprachfassungen ist von strafrechtlicher Verfolgung die Rede. Darüber hinaus ist auch die im Fall der Religionsausübung drohende Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben sowie der (physischen) Freiheit hinreichend schwerwiegend, um die Verletzung der Religionsfreiheit als Verfolgungshandlung zu bewerten .
45 
2.3.3 Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Das ergibt sich insbesondere aus der Aussage des Gerichtshofs in Rn. 69, dass schon das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie und somit eine Verfolgung darstellen kann, wenn der Verstoß dagegen die tatsächliche Gefahr der dort genannten Sanktionen und Konsequenzen heraufbeschwört. Kann Verfolgung somit schon in dem Verbot als solchem liegen, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen (z.B. in Leben oder Freiheit) letztlich nicht an .
46 
Diesem Verständnis der Entscheidung, das den Flüchtlingsschutz gegenüber der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorverlagert, steht nicht entgegen, dass der Gerichtshof in seinen Ausführungen auf die Gefahr abstellt, die dem Ausländer bei „Ausübung dieser Freiheit" (Rn. 67 und 72) bzw. der „religiösen Betätigung" (Rn. 73, 78 und 79 f.) droht. Denn damit nimmt dieser lediglich den Wortlaut der entsprechenden Vorlagefragen 2a und 3 des Senats auf, ohne dass darin eine notwendige Voraussetzung für die Flüchtlingsanerkennung liegt. Könnte nicht schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen, blieben Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten (so auch Lübbe, ZAR 2012, 433 <437>). Diese Erstreckung auch auf einen erzwungenen Verzicht entspricht dem Verständnis des britischen Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) in seinem Grundsatzurteil vom 14. November 2012 - MN and others [2012] UKUT 00389(IAC) Rn. 79) betreffend die religiöse Verfolgung von Ahmadis in Pakistan und dem Urteil des Supreme Court of the United Kingdom betreffend die Verfolgung wegen Homosexualität vom 7. Juli 2010 (HJ v. Secretary of State for the Home Department [2010] UKSC 31 Rn. 82). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an seiner vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 a.a.O. <23>) nicht mehr fest .
47 
2.3.4 Nach der Rechtsprechung des EuGH hängt die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu erfüllen, von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (Rn. 70). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.2). Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (so auch Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen vom 19. April 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11, Rn. 82) .
48 
Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit sieht der Gerichtshof den Umstand an, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (Rn. 70). Denn der Schutzbereich der Religion erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet (Rn. 71). Dabei bestätigt der EuGH die Auffassung des Senats, dass es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers ankommt, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270 Rn. 43). Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist .
49 
Der vom EuGH entwickelte Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nach dem Verständnis des Senats nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste (vgl. zu den strengeren Maßstäben der Rechtsprechung zur Gewissensnot von Kriegsdienstverweigerern: Urteil vom 1. Februar 1982 - BVerwG 6 C 126.80 - BVerwGE 64, 369 <371> m.w.N.). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (so schon Beschluss vom 9. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 43) .
50 
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Bei Ahmadis aus Pakistan ist zunächst festzustellen, ob und seit wann sie der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehören. Hierbei dürfte sich die Einholung einer Auskunft der Zentrale der Glaubensgemeinschaft in Deutschland anbieten, die ihrerseits auf die Erkenntnisse des Welt-Headquarters in London - insbesondere zur religiösen Betätigung des Betroffenen in Pakistan - zurückgreifen kann (so auch das britische Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14. November 2012 a.a.O. Leitsatz 5). Nähere Feststellungen über die religiöse Betätigung eines Ausländers vor seiner Ausreise verringern auch das Risiko einer objektiv unzutreffenden Zuordnung zu einer Glaubensgemeinschaft (s.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. November 2012, S. 14). Zusätzlich kommt die Befragung eines Vertreters der lokalen deutschen Ahmadi-Gemeinde in Betracht, der der Asylbewerber angehört. Schließlich erscheint im gerichtlichen Verfahren eine ausführliche Anhörung des Betroffenen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in aller Regel unverzichtbar. Wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger seinen Glauben in Pakistan nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, sind die Gründe hierfür aufzuklären. Denn der Verzicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung im Herkunftsland kennzeichnet die religiöse Identität eines Gläubigen dann nicht, wenn er aus begründeter Furcht vor Verfolgung erfolgte. Ergibt die Prüfung, dass der Kläger seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechender Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen .
51 
2.3.5 Das Verbot einer öffentlichen religiösen Betätigung als solches kann aber nur dann als hinreichend schwere Verletzung der Religionsfreiheit und damit als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden, wenn der Asylbewerber - über die soeben genannten objektiven und subjektiven Gesichtspunkte hinaus - bei Ausübung der verbotenen öffentlichkeitswirksamen Glaubensausübung in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Das bedeutet, dass die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen müssen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (Richtlinie 2011/95/EU: Art. 2 Buchst. d) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 22). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. Urteile vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.> und vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 24). Im vorliegenden Fall kommt es darauf an, ob der Kläger berechtigterweise befürchten muss, dass ihm aufgrund einer öffentlichen religiösen Betätigung in Pakistan, die zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schweren Rechtsgutverletzung droht, insbesondere die Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.4) .
52 
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht für pakistanische Staatsangehörige in ihrem Heimatland allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft noch keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr (UA S. 32). Eine solche droht nur „bekennenden Ahmadis", die „ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollen" (UA S. 33). Das Berufungsgericht hält zur Feststellung der Verfolgungswahrscheinlichkeit die für eine Gruppenverfolgung geltenden Maßstäbe insoweit mit Recht nicht für vollumfänglich übertragbar, als eine Vergleichsbetrachtung der Zahl der stattgefundenen Verfolgungsakte zur Gesamtzahl aller Ahmadis in Pakistan (etwa 4 Millionen) oder der bekennenden Ahmadis (500 000 bis 600 000) die unter Umständen hohe Zahl der Glaubensangehörigen unberücksichtigt ließe, die aus Furcht vor Verfolgung auf ein öffentliches Praktizieren ihrer Religion verzichten. Hängt die Verfolgungsgefahr aber von dem willensgesteuerten Verhalten des Einzelnen - der verbotenen Ausübung des Glaubens in der Öffentlichkeit - ab, ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben trotz der Verbote in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Dabei ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass die Ausübung religiöser Riten in einer Gebetsstätte der Ahmadis bereits als öffentliche Betätigung gewertet und strafrechtlich sanktioniert wird. Die Zahl der ihren Glauben in strafrechtlich verbotener Weise praktizierenden Ahmadis ist - bei allen damit verbundenen, auch dem Senat bekannten Schwierigkeiten - jedenfalls annäherungsweise zu bestimmen. In einem weiteren Schritt ist sodann festzustellen, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe treffen. Dabei ist insbesondere zu ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ahmadi inhaftiert und bestraft wird, der entgegen den Vorschriften des Pakistan Penal Code bei seiner Glaubensausübung religiöse Begriffe und Riten des Islam benutzt, seinen Glauben öffentlich bekennt oder für ihn wirbt. Bei der Relationsbetrachtung, die die Zahl der ihren Glauben verbotswidrig in der Öffentlichkeit praktizierenden Ahmadis mit der Zahl der tatsächlichen Verfolgungsakte in Beziehung setzt, ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine wertende Betrachtung handelt, die auch eventuell bestehende Unsicherheiten und Unwägbarkeiten der staatlichen Strafverfolgungspraxis mit einzubeziehen hat. Besteht aufgrund einer solchen Prognose für die - möglicherweise zahlenmäßig nicht große - Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe der Ahmadis, für die diese öffentlichkeitswirksamen Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist .
53 
2.4 Bei Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind alle Akte zu berücksichtigen, denen der Antragsteller ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden droht, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten können (vgl. Urteil des EuGH vom 5. September 2012 a.a.O. Rn. 68). Liegt keine Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vor, ist weiter zu prüfen, ob sich eine solche aus einer Gesamtbetrachtung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ergibt. Buchstabe a erfasst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Nach Buchstabe b kann auch eine Kumulation unterschiedlicher Maßnahmen die Qualität einer Verletzungshandlung haben, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Buchstabe a. Die Maßnahmen im Sinne von Buchstabe b können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen .
54 
In Buchstabe a beruht die Schwere der Eingriffshandlungen auf ihrer Art oder Wiederholung („nature or repetition"). Während die „Art" der Handlung ein qualitatives Kriterium beschreibt, enthält der Begriff der „Wiederholung" eine quantitative Dimension (so auch Hailbronner/Alt, in: Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1072 Rn. 30). Der Gerichtshof geht in seinem Urteil vom 5. September 2012 (Rn. 69) davon aus, dass das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen kann. Der Qualifizierung als „ein" Verbot steht nicht entgegen, dass dieses in mehreren Strafvorschriften des Pakistan Penal Code mit unterschiedlichen Straftatbeständen normiert ist. Das Verbot kann von so schwerwiegender „Art" sein, dass es für sich allein die tatbestandliche Voraussetzung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfüllt. Andere Maßnahmen können hingegen unter Umständen nur aufgrund ihrer Wiederholung vergleichbar gravierend wirken wie ein generelles Verbot .
55 
Setzt die Erfüllung des Tatbestandes von Buchstabe a mithin eine bestimmte gravierende Eingriffshandlung oder die Wiederholung gleichartiger Handlungen voraus, ermöglicht die Tatbestandsalternative des Buchstabe b in einer erweiterten Perspektive die Berücksichtigung einer Kumulation unterschiedlicher Eingriffshandlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie aufgeführt sind. Die Kumulationsbetrachtung entspricht auch dem Verständnis des UNHCR vom Verfolgungsbegriff in Art. 1 A Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rn. 53). In die nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie erforderliche Gesamtbetrachtung können insbesondere verschiedenartige Diskriminierungen gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft einbezogen werden, z.B. beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen (vgl. UNHCR Richtlinie vom 28. April 2004 zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung, HCR/GIP/04/06 Rn. 17). Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Buchstabe a entspricht .
56 
Daher sind bei der Prüfung einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie zunächst alle in Betracht kommenden Eingriffshandlungen in den Blick zu nehmen, und zwar Menschenrechtsverletzungen wie sonstige schwerwiegende Repressalien, Diskriminierungen, Nachteile und Beeinträchtigungen. In dieser Prüfungsphase dürfen Handlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie genannt werden, nicht vorschnell deshalb ausgeschlossen werden, weil sie nur eine Diskriminierung, aber keine Menschenrechtsverletzung darstellen (ähnlich Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz - Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, Kapitel 4 § 13 Rn. 18). Zunächst ist aber zu prüfen, ob die Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vorliegt. Ist das nicht der Fall, ist weiter zu prüfen, ob die Summe der nach Buchstabe b zu berücksichtigenden Eingriffe zu einer ähnlich schweren Rechtsverletzung beim Betroffenen führt wie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie. Ohne eine fallbezogene Konkretisierung des Maßstabs für eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie kann die bewertende Beurteilung nach Buchstabe b, ob der einzelne Asylbewerber unterschiedlichen Maßnahmen in einer so gravierenden Kumulation ausgesetzt ist, dass seine Betroffenheit mit der in Buchstabe a vergleichbar ist, nicht gelingen. Stellt das Gericht hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der „Betroffenheit in ähnlicher Weise" keine Vergleichsbetrachtung mit den von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfassten Verfolgungshandlungen an, liegt darin ein Verstoß gegen Bundesrecht“ .
57 
IV. Ausgehend hiervon besteht zwar kein Grund zu der Annahme, dass bereits aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya unterschiedslos die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter dem Aspekt einer Gruppenverfolgung vorliegen. Etwas anderes ergibt sich jedoch für die bekennenden Ahmadis, die es nach ihrem Glaubensverständnis für sich als identitätsbestimmend ansehen, ihren Glauben – auch werbend – in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. hierzu im Folgenden und auch noch unten 2 e); vgl. schon VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.05.2008 - A 11 S 3032/07 - juris; vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris).
58 
1. a) Zum Hintergrund der heutigen Situation der Ahmadis in Pakistan hatte der HessVGH bereits im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A - juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
59 
„Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
60 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
61 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bay. VGH am 22.01.1985, S. 7).
62 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
63 
b) Auch die aktuell verfügbaren Zahlen zur Größe der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern bzw. diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.02.2008, Ziff. 19.41 und vom 07.12.2012, Ziff. 19.98, das von 291.000 bis 600.000 bekennenden Ahmadis ausgeht). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 02.11.2012, S. 13) wiederum nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien. Der vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 im Verfahren A 12 K 2890/12 vernommene Raja Muhammad Yousaf Khan, der Mitarbeiter des „Ahmadiyya Muslim Jamaat e.V., Frankfurt“ ist, hat ausgesagt, dass der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ von etwa 400.000 bekennenden Ahmadis in Pakistan ausgeht, die er als solche Personen beschreibt, die regelmäßig Kontakt zu den lokalen Gemeinden haben, wobei sich aus der Niederschrift keine genauer nachvollziehbaren Hinweise ablesen lassen, wie diese Zahl ermittelt bzw. hergeleitet wurde. Der Umstand, dass in den anlässlich der jüngst abgehaltenen Wahl erstellten Wählerverzeichnissen (sog. „Nada-Dateien“) nur rund 200.000 wahlberechtigte Ahmadis geführt werden, stellt die Zahl von 400.000 nicht grundsätzlich infrage, weil Ahmadis seit Jahren schon die Wahlen selbst boykottieren (vgl. unten Ziffer 2 a). Der Senat kann nicht davon ausgehen, dass alle etwa 400.000 „bekennenden Ahmadis“ auch solche sind, für die das Leben ihres Glaubens in der Öffentlichkeit und ggf. das Werben für den Glauben identitätsbestimmend und daher unverzichtbar sind (vgl. zur Eingrenzung der Gruppe noch unten 2 e), was allerdings nach der – auch offiziellen – Lehre der Ahmadiyya-Bewegung von zentraler Bedeutung ist (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16). Denn der bloße regelmäßige Kontakt zur lokalen Gemeinde ist hierfür sicher unzureichend, zumal, wie noch auszuführen sein wird, das gemeinsame Gebet jedenfalls in kleineren Gebetshäusern in der Regel faktisch möglich ist, selbst wenn es auch hier vermutlich immer wieder Übergriffe und Einschränkungen bzw. staatliche Verfolgungsmaßnahmen gibt. Nach dem International Religious Freedom Report Pakistan des United States Department of State für das Jahr 2011 (S. 2) waren allerdings überhaupt keine verlässlichen Daten über die Anzahl der Ahmadis, die sich aktiv an religiösen Ritualen oder Gottesdiensten beteiligen, verfügbar oder von den amerikanischen Stellen zu ermitteln, was dann gleichermaßen für diejenigen gelten muss, die aktiv den Glauben vertretend und praktizierend in der Öffentlichkeit auftreten. Vergleichbares gilt im Übrigen – angesichts der Größe des Landes für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar – für die Ermittlung verlässlicher Daten zur Frage der Häufigkeit von Übergriffen auf Ahmadis in Pakistan von Seiten privater Akteure (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2011 Ziff. 19.162). Zwar werden von den im Inland- und Ausland ansässigen Organisationen der Ahmadiyya-Gemeinschaft regelmäßig (monatliche und jährliche) Zusammenstellungen über – v.a. von nicht staatlichen Akteuren ausgehende – Übergriffe auf Ahmadis herausgegeben und ins Internet gestellt (www.thepersecution.org/), es ist aber auch nach dem Vortrag der Beteiligten für den Senat kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass diese auf einem lückenlosen und landesweit vernetzten Berichtssystem beruhen und daher auch nur annäherungsweise vollständig sein könnten, was die Stellungnahme des „Ahmadiyya Muslim Jammaat“ vom 06.06.2013 bestätigt. Abgesehen davon ist auch nicht gesichert, dass die Betroffenen ausschließlich oder jedenfalls überwiegend solche Ahmadis sind, die ihrem Glauben in einer Weise innerlich verpflichtet sind, dass sie diesen bekennend und ggf. werbend bzw. sogar missionierend in die Öffentlichkeit tragen bzw. tragen wollen. Eine Durchsicht der Zusammenstellung für Januar bis Dezember 2011 ergab, dass eindeutige Aussagen nur für einen Teil der beschriebenen Vorfälle gemacht werden können.
64 
Der Senat sieht vor diesem Hintergrund keinen erfolgsversprechenden Ermittlungsansatz, um die so beschriebene Teilmenge (Ahmadis, für die das öffentlich Bekennen und ggf. Werben für den Glauben identitätsbestimmend ist) aus der Teilmenge der „bekennenden Ahmadis“ der Größe nach präziser festzustellen, zumal dann in diesem Zusammenhang landesweit auch sehr subjektiven Voraussetzungen und Merkmalen, d.h. inneren Tatsachen nachgegangen werden müsste. Es ist namentlich nicht erkennbar, dass in Pakistan die Zahl dieser Personen überhaupt statistisch erfasst wird, bzw. dass es eine Stelle geben könnte, die über solches Zahlenmaterial verfügt. Die Ausführungen von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart machen hinreichend deutlich, dass nicht einmal die offiziellen Vertreter der Ahmadis in Westeuropa in diesem Zusammenhang über belastbare Zahlen hinsichtlich dieser Personengruppe verfügen, was nach dessen Ausführungen letztlich darin begründet ist, dass aus Furcht vor Verfolgung heute praktisch kein Ahmadi mehr in der Öffentlichkeit seinen Glauben lebt und für diesen wirbt. Dabei hatte Herr Khan nicht ausgeschlossen, dass auf individueller Ebene in einem privaten Gespräch noch für den Glauben geworben würde, wie oft dies heute noch geschehe, lasse sich – zu Recht – nicht seriös beziffern, da es niemanden gebe, der hierüber Aufzeichnungen mache, die Fälle auswerte und dann zähle. Auch das vom Upper Tribunal - Immigration and Asylum Chamber in seinem Urteil „MN and others“ (Pakistan CG <2012> UKUT 00389) vom 14.11.2012 verwertete Zahlenmaterial führt hier letztlich nicht weiter, weil dieses sich nicht direkt auf die Zahl des hier festzustellenden Personenkreises und dessen Größe bezieht. Das Bundesamt wie auch der Kläger haben keine Wege aufgezeigt, wie verlässliches und nicht nur spekulatives Zahlenmaterial zu erlangen sein könnte. Der Senat sieht sich – ungeachtet der völkerrechtlichen Hindernisse – auch im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nicht gehalten, ein Institut mit einer repräsentativen Untersuchung in Pakistan oder einer erstmals dort durchzuführenden statischen Erhebung zu betrauen, abgesehen davon, dass der Senat keine Anhaltspunkte dafür hat, dass eine verlässliche Untersuchung in Pakistan überhaupt in angemessener Zeit geleistet werden kann. Umso weniger lassen sich verlässliche Zahlen darüber ermitteln, wie viele Ahmadis aus der Teilmenge der Ahmadis, für die das öffentliche Bekennen oder sogar Werben identitätsbestimmend ist, trotz aller Verbote, Strafverfolgungsmaßnahmen und gewichtigen Übergriffe privater Akteure gleichwohl ihren Glauben öffentlich leben und für ihn öffentlich eintreten oder gar werben (vgl. zur der vom Bundesverwaltungsgericht in Rdn. 33 geforderten Relationsbetrachtung im Einzelnen noch unten 2c).
65 
2. Die Lage der Ahmadis in Pakistan wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
66 
a) Der Islam wurde in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist zwar von Verfassung wegen garantiert (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 2 f.). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit qualifiziert und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. wer auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
67 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren und nur solche Personen auf diesen Listen wählen können. Um hingegen ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4; U.S. State Department, Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 38; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.104 ff.; Rashid, Pakistan’s failed Commitment: How Pakistan’s institutionalised Persecution of the Ahmadiyya Muslim Community violates the international Convenant on civil and political Rights, S. 25). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA, Lagebericht vom 02.11.2012, S. 13).
68 
b) Seit 1984 bzw. 1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und die gewissermaßen der Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung dienen.
69 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143):
70 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
71 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ameerui Mumineen’, ‚Khalifar-ul-Mimineem’, ’Shaabi’ oder ‚Razi-Allah-Anho’ bezeichnet oder anredet;
72 
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ummul-Mumineen’ bezeichnet oder anredet;
73 
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ahle-bait’ bezeichnet oder anredet;
74 
d) sein Gotteshaus als ‚Masjid’ bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
75 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als ‚Azan’ bezeichnet oder den ‚Azan’ so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
76 
Sec. 298 C lautet:
77 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
78 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
79 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
80 
Der Vollständigkeit halber sollen in diesem Zusammenhang noch erwähnt werden (vgl. auch Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.32):
81 
- Sec. 298 A (Gebrauch abschätziger bzw. herabsetzender Bemerkungen in Bezug auf heilige Personen; Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, Geldstrafe oder beides);
82 
- Sec. 295 (Beleidigung oder Schändung von Orten der Verehrung mit dem Zweck bzw. Ziel, eine Religion jeder Art herabzusetzen, Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahre, Geldstrafe oder beides);
83 
- Sec. 295 A (Vorsätzliche und böswillige Handlungen mit dem Zweck die religiösen Gefühle jeden Standes zu verletzen durch Beleidigung der Religion oder des Glaubens, Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren, Geldstrafe oder beides) und
84 
- Sec. 295 B (Beleidigung bzw. Verächtlichmachung des Heiligen Korans, lebenslange Freiheitsstrafe).
85 
Alle genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch schon ausführlich HessVGH, Urteil vom 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris, Rdn. 92 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.1992 - 2 BvR 1263/92 - juris, m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; vom 25.01.1995 - 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere dort auch noch zur mittlerweile irrelevanten Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen in weiten Teilen diskriminierende, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR (vgl. auch Art. 52 Abs. 1 GRCh) zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c) RL 2004/83/EG (identisch mit RL 2011/95/EU) erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, Urteil vom 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960, Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/), wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Soweit man einzelne Bestimmungen im Ansatz noch als zulässige Begrenzung der Religionsfreiheit ansehen wollte (etwa Sec. 298 C letzte Variante), fehlt allerdings schon jede tatbestandliche Eingrenzung, vielmehr wird mit ihrer begrifflichen Weite ein Einfallstor für Willkür eröffnet (vgl. hierzu noch unten d). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und weshalb zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind (so noch BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts), weshalb auch offen bleiben kann, ob unter dem Regime der Qualifikationsrichtlinie eine derart weitgehende Beschränkung der Religionsfreiheit für die Betroffenen, wie sie das Bundesverfassungsgericht für das Asylgrundrecht noch für richtig gehalten hat, hinzunehmen und unionsrechtskonform wäre. Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten vermittelnden Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen gerade nicht von ihnen ausgehen (vgl. hierzu auch Rashid, Pakistan’s Failed Commitment, S. 32), sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie mittlerweile auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan vom 10.09.2007, S. 6 und 10 und nunmehr Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.12, 19.27, 19.44, 19.121, 19.127 und 19.145). Von einer legitimen Begrenzung der religiösen Betätigung von Ahmadis kann auch deshalb keine Rede sein, weil der pakistanische Staat keine effektiven legislativen und exekutiven Maßnahmen ergreift, um dem aggressiven Wirken entgegenzutreten und den Minderheiten – als Kehrseite möglicher ihnen auferlegter maßvoller Beschränkungen – einen wirklich geschützten Freiraum für ihr Wirken bereitstellt (vgl. zur Weite der Vorschriften und ihrer grenzenlosen Auslegung bzw. Anwendung unten d).
86 
c) Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung nach Sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, wurden nach dem Bericht „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (Annex II), den auch das Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14.11.2012 als relevant angesehen hat (dort Rdn. 30, Fn. 6), im Zeitraum April 1984 bis 31.12.2011 offiziell insgesamt 3.820 „Police Cases“ gegen Ahmadis registriert, davon 299 wegen „Blasphemie“, zuzüglich über 60.000 Verfahren (wegen Sec. 298 C) gegen den sich am 28. Mai 2008 ausdrücklich aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Begründung des Khalifentums öffentlich zu den Ahmadis bekennenden Teil der Bevölkerung von Rabwah (jetzt Chenab Nagar oder Tschinab Nagar; vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006), die 2009 noch anhängig gewesen waren (Home Office Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.136; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorités religieuses, 31.08.2009, S. 9), mittlerweile aber eingestellt wurden (vgl. Khan an das VG Stuttgart vom 09.05.2013). Bereits im Jahre 1989 waren schon einmal Verfahren gegen alle Ahmadis von Rabwah wegen des Vorwurfs nach Sec. 298 C eingeleitet worden, die im Jahre 2006 noch anhängig waren (vgl. hierzu Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 10 f. und 35), aber vermutlich auch eingestellt wurden; diese nach dem genannten Bericht nicht genauer bezifferten Verfahren müssen daher im Grundsatz noch bei der Zahl von Ermittlungsverfahren berücksichtigt werden. Auch wenn diese augenscheinlich nicht konsequent oder nur gegenüber Einzelnen betrieben werden, so ist doch aus der Tatsache, dass sie erst nach einigen Jahre förmlich eingestellt und immerhin im Abstand von 10 Jahren zweimal eingeleitet wurden, nur der Schluss zu ziehen, dass sie instrumentalisiert wurden, um die Betroffenen massiv einzuschüchtern. Aus diesem Grund können diese Verfahren bei der vorzunehmenden wertenden Gesamtbetrachtung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Allerdings dürfen sie nicht mathematisch exakt in eine quantitative Bewertung eingerechnet werden, weil es in der Regel jedenfalls zu keinen Anklagen gekommen ist und andernfalls ein unzutreffendes Bild von der Wirklichkeit ergäbe.
87 
Das Home Office (Ziff. 19.49) spricht für den Zeitraum 1986 bis 2006 allein von 695 Verfahren spezifisch wegen Blasphemie (sec. 295 C), in denen es auch zu Anklagen gekommen ist, darunter 239 Ahmadis; insgesamt wurden im Zeitraum 1984 bis 2004 über 5.000 Anklagen gegen Ahmadis mit einem religiösen Hintergrund erhoben. Im Juni 2011 waren mindestens 14 Verfahren gegen Ahmadis anhängig gewesen, in denen (nicht rechtskräftig) die Todesstrafe verhängt worden war (Ziff. 19.39). Nach vermutlich anderen Quellen sind von 1984 bzw. 1987 bis 2011 1.117 Personen wegen Blasphemie angeklagt worden (Ziff. 19.50). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären (Ziff. 19.134 ff.). Weitere aussagekräftige Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Die Beklagte hat solche auch nicht mitgeteilt bzw. aufgezeigt, wie noch verlässliche Informationen zu erlangen sein könnten.
88 
Bei Rashid (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 und 28 f.) finden sich folgende Zahlen: Seit 1984 wurden 764 Ahmadis angeklagt, weil sie die Kalima gezeigt bzw. gelesen hatten, 38 wurden wegen der Verwendung des Gebetsrufs angeklagt; 434 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich als Muslim bezeichnet hatten, 161 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich islamischer Terminologie in der Öffentlichkeit bedient hatten; 93 Anklagen bezogen sich auf das Verrichten von Gebeten in der Öffentlichkeit und 719 Anklagen wurden wegen öffentlichen Predigens und Werbens für den Glauben erhoben. Auch bei Rashid werden die Verfahren gegen 60.000 Ahmadis aus Rabwah erwähnt. Insbesondere erwähnt Rashid, dass allein im Jahre 2009 mindestens 74 Ahmadis eines Deliktes nach Sec. 295 C Penal Code beschuldigt worden seien.
89 
Mit Blick auf die grundsätzlich vom Bundesverwaltungsgericht geforderte Relationsbetrachtung (Rdn. 33) ist in diesem Zusammenhang allerdings zu bemerken, dass nicht alle vorgenannten Verfahren notwendigerweise und uneingeschränkt Glaubensbetätigungen betreffen müssen, die gerade in der Öffentlichkeit stattfinden. Diese Annahme liegt deshalb nahe, weil etwa falsche Verdächtigungen und Anschuldigungen (vgl. hierzu auch unten d) auch andere Hintergründe und Vorwürfe zum Inhalt haben können. Diese Zahlen sind daher von ihrer Struktur wenig geeignet, als Grundlage der Relationsbetrachtung zu dienen. Der Senat sieht aber auch hier keinen konkreten erfolgversprechenden Ermittlungsansatz, wie der Anteil verlässlich festzustellen sein sollte, der spezifisch Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit betrifft, und zum anderen, um wie viele Personen es sich dabei gehandelt haben könnte, für die ein öffentlichkeitswirksames Agieren zum identitätsbestimmenden und unverzichtbaren Merkmal des eigenen Glaubensverständnisses zählt.
90 
d) Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz, oftmals nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt auch darauf beruht, dass sie häufig durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 14; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.59 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 15 ff., und 2012, S. 17 ff.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2). In der Regel werden die eines Verstoßes gegen die Blasphemiebestimmungen Beschuldigten bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.53; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing The International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, 14.05.2012, S. 6). Dieser Umstand ist vor allem auch deshalb so gravierend, weil Folter auf Polizeistationen und in Haft an der Tagesordnung ist (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 23; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 6; Asia Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 21 ff.). Die Haftbedingungen werden als teilweise sogar lebensbedrohend bezeichnet (vgl. SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 4 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, S. 9). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt. Die Bestimmung der Sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von Sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten im Sinne von Sec. 295 C (vgl. hierzu im Einzelnen schon HessVGH, U. v. 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris - Tz. 46 und 69). Generell werden alle genannten Vorschriften wegen ihrer begrifflichen Unbestimmtheit bzw. der schwammigen Formulierungen weit und zulasten der Ahmadis ausgelegt und angewendet. Sie sind daher ein (offenes) Einfallstor für blanke Willkür. So kommt es etwa zu Anklagen gegen Eltern, wenn sie ihre Kinder Mohammed nennen (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.103; vgl. auch Ziffer 19.139).
91 
Die Strafvorschriften werden dabei nicht selten auch gezielt genutzt, um – auch aus eigensüchtigen Motiven – Ahmadis mit falschen Anschuldigungen unter Druck zu setzen und zu terrorisieren (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.57 f.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 15). Die Anzeigeerstatter laufen dabei keine Gefahr, wegen falscher Anschuldigung verfolgt zu werden. Eine Anzeige kann zudem erhebliche Konsequenzen für die Betroffenen und ihre Familien haben. So wurden zwischen 1986 bis 2010 34 Personen, die nach den Blasphemiegesetzen angeklagt worden waren, von privaten Akteuren umgebracht; im Jahre 2010 wurden allein vier Personen (zwei Christen und zwei Muslime) getötet (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47); auch die Familien werden in Drohungen und Einschüchterungen einbezogen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47 und 19.52; AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12). In diesem Zusammenhang ist etwa die radikal-islamische Gruppierung „Khatm-e-Nabuwwat“ („Siegel der Prophetenschaft“) zu erwähnen, die u.a. mit diesen Mitteln gezielt und völlig ungestraft gegen Ahmadis vorgeht (vgl. auch AA, Lagebericht 02.11.2012, S. 14; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 13 ff.; vgl. zu der Organisation noch im Folgenden unter Ziff. 2.g). Zwar hat die Gruppierung in der Vergangenheit etwa gegenüber der „Parliamentary Human Rights Group“ (vgl. S. 8 f.) den Versuch unternommen, ihr Verhältnis zu den Ahmadis und ihre Vorgehensweise diesen gegenüber als wesentlich offener und zurückhaltender darzustellen. Bereits zum damaligen Zeitpunkt hatte dem aber etwa der Präsident von amnesty international Pakistan deutlich widersprochen (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8). Durch die neueren Entwicklungen sind diese Aussagen der Gruppierung ohnehin eindeutig überholt bzw. widerlegt (vgl. unten Ziffer 2 g; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013).
92 
Die Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen die Blasphemiebestimmungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte hinziehen und zu keinem Ende gebracht werden, was einschneidende Folgen für die Betroffenen hat, selbst wenn sie sich in Freiheit befinden. Denn sie müssen sich in der Regel alle 15 bis 30 Tage bei der ermittelnden Polizeistation, die sich oftmals nicht an ihrem Wohnort befindet, melden, auch wenn das Verfahren gar nicht konkret gefördert wird (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 12 f.).
93 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen (vgl. Sec. 295 und 295 A), in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn religiöse Gefühle der Ahmadis und anderer religiöser Minderheiten durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 3; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.33).
94 
Der Versuch einer Reform der Blasphemiegesetze ist vollständig gescheitert, insbesondere im Kontext der Ermordung des Gouverneurs von Punjab und des Minsters für Minderheiten im Jahre 2011 (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.76; UNHCHR, Guidelines, S.11 f.; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2011, March 2012, S. 82 und 89 f.; vgl. auch Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 29 f., mit Hinweisen auf öffentliche Äußerungen des pakistanischen Ministers Babar Awan sowie des Premierministers Gilani aus Anlass der Verurteilung der christlichen Frau Asia Bibi). Eine Änderung zum Positiven ist auch mit Rücksicht auf das Ergebnis der Präsidentenwahlen im Mai diesen Jahres, die der Vorsitzende der Muslimliga Nawaz Sharif gewonnen hat, nicht zu erwarten.
95 
Eine im Jahre 2004 eingeführte Reformmaßnahme, wonach nur höhere Offiziere die Ermittlungen führen dürfen, hat nach übereinstimmender Einschätzung keine Verbesserungen gebracht (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12; UNHCR, Guidelines, S. 15).
96 
In den verwerteten Dokumenten wird auch von einem völligen Scheitern und Versagen der Strafjustiz und der Strafverfolgungsorgane gesprochen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.42 f.; UNHCR, Guidelines, S. 6; Parlamentary Human Rights Group (PHRG), Report of PHRG Fact Finding Mission To Pakistan, 24.09.2010, S. 9 f.).
97 
Zwar wurde im September 2008 eine Kommission für Angelegenheiten der Minderheiten installiert (vgl. UNHCR, „Guidelines“, S. 4). Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass diese irgendwelche substantiellen Verbesserungen gebracht hat (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.29; vgl. hierzu auch Upper Tribunal Urteil vom 14.11.2012, S. 15; vgl. auch U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, S. 121 f., wonach zwar von einigen positiven Schritten in jüngster Zeit berichtet wird, die die pakistanische Regierung an höchster Stelle unternommen haben soll, von wirkungsvollen Ergebnissen, insbesondere für das tägliche Leben landesweit, spricht der Report jedoch nicht; es liegt dem Senat auch keine andere Quelle vor, die diesbezüglich verwertbare Informationen enthielte).
98 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen und seine faktische Umsetzung in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte, was exemplarisch durch die in den Jahren 1998 und 2008 gegen alle Einwohner eingeleiteten Verfahren deutlich wird (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.132 ff.). Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten Ziff. 3.b).
99 
e) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf denen öffentlich gebetet wird (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 4, und von 2011, S. 14; U.S. State Department: Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 30; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.143; Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 32). Das gilt insbesondere für die nach ihrem gelebten Glaubensverständnis essentielle jährliche Versammlung („Jalsa Salana“), die letztmals 1983 stattfinden konnte und an der damals 200.000 Gläubige teilnahmen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Jalsa_Salana).
100 
Allerdings wird es Ahmadis nicht von vornherein unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies sicherlich oftmals der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben wird (vgl. schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan von 2011, S. 4), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen (vgl. auch Upper Tribunal, Urteil vom 14.11.2012, S. 18). Möglich ist dieses aber nur noch in kleineren Gebetshäusern, die einen eingeschränkten Bezug zur Öffentlichkeit haben (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Angeben von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart, wonach an Stelle der früheren, 18.000 bis 19.000 Gläubige fassenden Moschee in Rabwah mittlerweile viele kleine Gebetshäuser entstanden sind; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Gefahrlos ist dieses aber auch nicht. Denn die gemeinsame Ausübung des Glaubens wird immer wieder dadurch behindert bzw. unmöglich gemacht, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird oder solche auch von staatlichen Organen zerstört werden (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.132, 19.141 ff., 154; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4 und 13 ff.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3), während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können; Gebetshäuser oder Versammlungsstätten werden immer wieder von Extremisten überfallen (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan,10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.). Gleichwohl geht der Senat in Ermangelung gegenteiliger aussagekräftiger Informationen davon aus, dass Angehörige der Ahmadiyya, die nur derartige Glaubensbetätigungen an den Tag legen und für sich als verbindlich betrachten, damit noch kein „real risk“ eingehen, (von wem auch immer) verfolgt zu werden. Die vom Kläger benannten Fälle, in denen in diesem Jahr auch Verfahren wegen einer Versammlung in (kleineren) Gebetshäusern eingeleitet wurden, stellen diese Annahme nicht grundsätzlich infrage. Anhaltspunkte für die gegenteilige Annahme lassen sich insbesondere auch nicht der Aussage von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 entnehmen (vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Insbesondere ergibt sich aus der Aussage nicht, dass auch diese Personen ihre Aktivitäten vollständig eingestellt haben und etwa die Ahmadi-Gemeinden in Pakistan gewissermaßen nur noch auf dem Papier existieren würden. Im Gegenteil: Allen verwerteten Erkenntnismitteln wie auch den Angaben von Herrn Khan liegt nach Überzeugung des Senats – wenn auch mehr oder weniger unausgesprochen – zugrunde, dass es noch ein, wenn auch eingeschränktes, lokales Gemeindeleben gibt. Treffen in großem Stil zu in erheblichem Maße identitätsstiftenden gemeinsamen Gebeten in ihren großen Moscheen, die die Ahmadis jedoch nicht so nennen dürfen, finden hingegen nicht mehr statt (vgl. die Aussage von Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013). Allerdings ist der Umstand, dass heute auch das gemeinsame Gebet abseits der großen Öffentlichkeit immer wieder behindert und gestört wird bzw. Auslöser für Strafverfahren und Übergriffe privater Akteure sein kann, für die gerichtlicherseits vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 34 ff.) gleichwohl nicht irrelevant, da sie die Lage auch der bekennenden, ihren Glauben in die Öffentlichkeit tragenden Ahmadis mit prägen.
101 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel, andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 7). In diesem Zusammenhang ist aber hervorzuheben, dass sich die Ahmadis als „predigende Religion” verstehen, zu deren sittlichen Verpflichtung es rechnet, den Glauben zu verbreiten und zu verkünden (vgl. Report of the Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16).
102 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 14).
103 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten von Ahmadis im weitesten Sinn werden regelmäßig beschlagnahmt und verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus noch Verbreitung (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 3 und 4 und von 2011, S. 7 und 13 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 30 ff.; vgl. zur Zeitung „Alfzal“ auch Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 37, mit einer Kopie der Verbotsverfügung des Innenministers von Pakistan vom 08.05.2006 und S. 49 f.).
104 
Die Ahmadyyia Gemeinde ist die einzige Gruppe, der ihre im Jahre 1972 verstaatlichten Bildungseinrichtungen (seit 1996) nicht zurückgegeben wurden (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 13 f.)
105 
f) Nur der Vollständigkeit halber soll zur Abrundung des Gesamteindrucks noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden: Die frühere (überdurchschnittliche) Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen ständig (vgl. AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148 f. und 19.164; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report for 2011, S. 5 und 15 f.; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 10; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65, vom 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148, 19.149, 19.164; Immigration and Refugee Board of Canada, S. 3).
106 
g) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligem Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen bewusst untätig zugesehen und sie geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Country Reports on Human Rights Practices Pakistan, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 9 f.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und 4). Dabei wurden in jüngster Vergangenheit auch gezielt Häuser und Geschäfte von Ahmadis niedergebrannt (Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 4). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah. Diese bereits für frühere Zeiträume beschriebene Situation hat sich mittlerweile erheblich verschärft. Es wird übereinstimmend ein vorherrschendes Klima von privaten Akteuren verursachter Gewalt beschrieben, wobei die Gewaltakte bzw. die Aufrufe hierzu regelmäßig sowohl in ordnungsrechtlicher wie erst recht in strafrechtlicher Hinsicht für die Urheber folgenlos bleiben. Es werden regelmäßig regelrechte Hasskampagnen, insbesondere auch Versammlungen und Kundgebungen durchgeführt, auf denen gegen die Ahmadis gehetzt wird und die Besucher aufgewiegelt werden (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.127 f., und sehr ausführlich und anschaulich „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“, S. 2 ff.). Die Wirkungsmächtigkeit der Aktivitäten der maßgeblichen Organisationen sowie einer Vielzahl radikaler Mullahs beruht zu einem guten Teil auf dem Umstand, dass weite Teile der Bevölkerung ungebildet, wenn nicht gar des Schreibens und Lesens nicht mächtig und daher leicht beeinflussbar sind und vor allem das glauben, was sie in den Moscheen hören (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6).
107 
Effektiver Schutz ist regelmäßig nicht zu erlangen (vgl. etwa UNHCR, Guidelines, S. 22; Parliamantary Human Rights Group (PHRG), Fact Finding Mission To Pakistan, S. 3; vgl. beispielhaft zur offensichtlich fehlenden Bereitschaft, den erforderlichen Schutz zu gewähren Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 19, 24 f. und 33 f.). Besonders tut sich in diesem Zusammenhang die Organisation „Khatm-e-Nabuwwat“ hervor (vgl. ausführlich hierzu Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.112 bis 19.119; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8 f.), aber auch die Taliban werden als Urheber benannt (vgl. Rahsid, Pakistan’s failed Commitment, S. 31 ff.). Exemplarisch ist ein Vorfall vom 28.05.2010 anzuführen, bei dem Extremisten der „Khatm-e-Nabuwwat“ anlässlich des Freitagsgebets in Lahore gut koordinierte Angreifer vor zwei Ahmadi-Moscheen „Kill-all“-Rufe skandieren und schließlich die Moscheen stürmen ließen; am Ende wurden 85 Ahmadis getötet und 150 weitere verletzt (Ziff. 19.125; vgl. zum Angriff auf eine Moschee in Rawalpindi am 02.02.2012, Ziff. 19.154). Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass die Organisation mit einem Schwerpunkt auch in Rabwah tätig wird (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.114 f.).
108 
Insgesamt vermittelt die Zusammenstellung des Home Office (Ziff. 19.112 bis 19.147) ein gutes und informatives, aber auch äußerst bedrückendes Bild. Seit 1974 wurden fast 300 Ahmadis allein wegen ihres Glaubens von nicht staatlichen Akteuren getötet. Im Jahre 2010 waren es allein 99. Wie schon erwähnt (vgl. oben IV 1), sind aber verlässliche und aussagekräftige Zahlen nicht zu ermitteln (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.162). Im Hinblick auf die anzustellende Relationsbetrachtung (vgl. hierzu unten Ziffer 3 a) ist bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass im Zusammenhang mit der Benennung der Zahlen nicht zum Ausdruck gebracht wird, wie hoch der Anteil der Betroffenen ist, der die Glaubensbestätigung in der Öffentlichkeit als einen identitätsbestimmenden Teil ihres Glaubens betrachtet. Eine Durchsicht der Zusammenstellung „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (S. 23 ff.) zeigt dies nur zu deutlich; teilweise lässt sich nicht bestimmen, ob der oder die Betreffende dieses Merkmal erfüllt oder nicht. Über das Ausmaß (nur) schwerer nicht tödlich endender Eingriffe in die körperliche Integrität liegen überhaupt keine verlässlichen Zahlen vor (vgl. auch Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Diese Eingriffe und ihr Ausmaß sind aber für die Beurteilung bzw. Qualifizierung des Bedrohungspotentials gleichfalls von erheblicher Relevanz, da sie – neben den staatlichen Verboten und strafrechtlichen Sanktionen - ebenfalls von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung sein können, ob jemand seinen Glauben aktiv in die Öffentlichkeit trägt oder dieses unterlässt.
109 
Nicht speziell in Bezug auf Ahmadis berichtet Rashid zu Todesfällen aufgrund religiös motivierter Gewalt: 2007 seien es über 1.500 gewesen, im Jahre 2008 2.155, im Jahre 2009 über 2.300. Im Jahre 2010 sei die Zahl zwar auf 1.796 zurückgegangen, um dann aber im Jahre 2011 wiederum auf mindestens 2.545 Fälle zu steigen (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 f., dort auch zu Zahlen von Todesopfern unter den Minderheiten der Christen und Hindus; vgl. auch Asian Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 8, wonach in den letzten drei Jahren über 800 Shia Muslime (Schiiten) durch religiöse Gewalt getötet worden seien, ohne dass staatliche Organe irgendwelche glaubwürdigen Gegenmaßnahmen ergriffen hätten; vgl. hierzu auch U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 2012, S. 124). Die sanktionslosen Gewaltexzesse gehen sogar so weit, dass etwa im Juni 2006 ein ganzer von Ahmadis bewohnter Teil eines Dorfes (Jhando Sahi) niedergemacht und zerstört wurde, ohne dass dieses Konsequenzen nach sich gezogen hätte (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 18 und 45 ff.). Andere Quellen sprechen davon, dass nachweisbar 210 Ahmadis wegen ihres Glaubens getötet worden seien; zudem weiß man hiernach von 254 entsprechenden Mordversuchen zu berichten (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.131). In diesen Zahlen dürften die Opfer des Anschlags vom 28.05.2010 in Lahore (siehe oben) allerdings noch nicht enthalten sein.
110 
Dieses Bild der Schutzlosigkeit der Ahmadis wird ergänzt durch die seit 2011 zunehmenden Berichte von Schändungen von Ahmadi-Gräbern im gesamten Punjab (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.156). Zudem schwenken in jüngerer Zeit die Medien, nicht nur das staatliche Fernsehen, sondern auch die traditionell eigentlich eher liberale englischsprachige Presse auf die Anti-Ahmadi-Rhetorik ein. Dies hat zur Folge, dass sich die Auffassung, Ahmadis folgten einer Irrlehre und seien keine Muslime bzw. Apostaten, in der Mehrheitsbevölkerung allgemein durchzusetzen und zum Allgemeingut zu werden beginnt, was zu einer weiteren Verschärfung der allgegenwärtigen Diskriminierungen der Ahmadis führt (Ziff. 19.150). Die Parliamentary Human Rights Group prognostiziert, dass Pakistan – nicht zuletzt auch mit Rücksicht auf seinen Umgang mit den Ahmadis - dabei sei, zu einem „failed state“ zu verkommen (vgl. S. 3). Nach Überzeugung des Senats sind die Ahmadis mittlerweile in eine Situation geraten, in der sie mit guten Gründen im traditionellen mittelalterlichen Sinn als „vogelfrei“ bezeichnet werden können. Dies gilt im Ausgangspunkt für alle „bekennenden“ Ahmadis, auch wenn sie ihren Glauben nicht bekennend und für ihn werbend bewusst in die Öffentlichkeit tragen (wollen). Für den Senat bestehen aber, wie bereits eingangs ausgeführt, keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass für jeden Angehörigen dieser Gruppe bereits ein „reales Risiko“ besteht.
111 
Typisch für das Klima der Gewalt ist etwa eine Äußerung des früheren Ministers für Religionsangelegenheiten Amir Liaquat Hussain, die dieser ungestraft im Jahre 2008 in einer beliebten Fernsehshow gemacht hatte, wonach es sowohl notwendig sei, aber auch dem Islam entspreche, alle Ahmadis zu töten (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 23). Im Dezember 2010 konnte ein einflussreicher Kleriker, Yousef Qureshi, 6.000 US Dollar für die Ermordung der Christin Asia Bibi ausloben, ohne dass dieses irgendwelche Konsequenzen für ihn hatte. Nach der Ermordung des Gouverneurs der Provinz Punjab, der sich für eine Reform der Blasphemiegesetze stark gemacht hatte, am 03.01.2011, wurde dessen Tod richtiggehend gefeiert. Dabei konnten ungestraft 500 Kleriker öffentlich verkünden, dass dessen Tod ein Sieg für das gesamte Land sei (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 30).
112 
Von der Parlamantary Human Rights Group wird – gut nachvollziehbar – bereits bezogen auf das Jahr 2006 die Lage so eingeschätzt, dass der gesamte Prozess der Regierung nicht mehr umkehrbar entglitten ist und sie gewissermaßen die Geister, die sie rief, nicht mehr in los wird (vgl. Januar 2007, S. 8).
113 
3. a) Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) schon im Jahre 2005 und somit vor der mittlerweile stattgefundenen und weiter stattfindenden Verschärfung der Lage in der Weise zusammenfassend charakterisiert worden war, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellte und stellt nunmehr umso mehr für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen identitätsbestimmender Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL dar. Der Präsident von amnesty international Pakistan wurde dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführe, dass es niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.; vgl. aber zur gleichfalls prekären, durch Marginalisierung und Armut geprägten und sich zunehmend verschlechternden Lage der Christen U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, 121 ff., 125 f.; UNHCR, Guidelines, S. 25 ff.)
114 
Von zentraler Bedeutung für die Einschätzung der Lage der Ahmadis durch den Senat ist dabei das gegen sie gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot, sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis in vielfältiger Weise insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b) QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen weiteren Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c) QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn namentlich jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung oder sonstiger Leib und Leben gefährdender Übergriffe möglich sind. Diese Verbote sind auch eine wesentliche ideologische Absicherung und Grundlage für das zunehmend aggressiv werdende Handeln privater Akteure gegenüber Mitgliedern der Religionsgemeinschaft der Ahmadis. Die Blasphemiegesetze werden von Human Rights Watch Asia als ein wesentlicher Nährboden für die zunehmende extremistische und religiös begründete Gewalt beschrieben und bewertet (so Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 16 f.; vgl. auch ders. S. 9 mit dem Hinweis, dass eine weitere Ursache der Gewalt jedenfalls gegenüber den Ahmadis darin zu erblicken sei, dass es diese konsequent und einschränkungslos ablehnen, den Islam mit Gewalt zu verbreiten; vgl. auch Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6 und 9 die zusätzlich darauf hinweist, dass in der muslimischen Mehrheitsbevölkerung die Ansicht weit verbreitet ist, die Ahmadiyya Bewegung sei ein Produkt der britischen Kolonisatoren, um die Muslime zu spalten). Die Kehrseite von alledem ist dann, dass auch der solchermaßen erzwungene Verzicht auf öffentlichkeitsbezogenes Glaubensleben bei dem hier in den Blick zu nehmenden Personenkreis eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt, die für sich betrachtet bereits die maßgebliche Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt und die selbst auf Eingriffshandlungen zurückzuführen ist, die ihrer Art und Wiederholung nach keine gleichartigen Eingriffshandlungen ausmachen (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL; vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 37). Denn bezogen auf das jeweilige betroffene Subjekt ist gewissermaßen in erster Linie das Ergebnis bzw. der Erfolg relevant, nämlich den Glauben nicht mehr öffentlichkeitswirksam in zumutbarer Weise auszuüben oder ausüben zu können. Eine Unterscheidung zwischen einem durch staatliche Maßnahmen induzierten Verzicht (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a) QRL) und einem solchen, der auf das Handeln nicht staatlicher Akteure zurückgeht ist (vgl. dann Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL), ist dabei nicht möglich und wäre völlig lebensfremd. Sie würde namentlich an der Realität in Pakistan vorbeigehen. Die Beweggründe für einen bekennenden Ahmadi, entgegen seinem verpflichtenden Glaubensverständnis den Glauben gleichwohl nicht in die Öffentlichkeit zu tragen, können und werden notwendigerweise nicht eindimensional sein.
115 
Bei diesem Ausgangspunkt kann für die bei einem – wie hier – unverfolgt ausgereisten Ahmadi, der glaubhaft erklärt hat, er werde im Falle der Rückkehr aus Furcht seinen Glauben nicht öffentlich bekennen bzw. für ihn werben, anzustellende Verfolgungsprognose nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung bezogen auf den hier zu betrachtenden Personenkreis rechtfertigen würden. Geht man von deutlich mehr als 60.000 eingeleiteten Strafverfahren (zuzüglich der im Jahre 1989 gegen die Bewohner Rabwahs eingeleiteten Verfahren, deren Zahl nicht bekannt ist) in einem Zeitraum von knapp dreißig Jahren aus, so darf allerdings nicht unterstellt werden, dass jedes dieser Verfahren schon mit einem relevanten Verfolgungseingriff verbunden war (vgl. hierzu auch oben 2 c). Daher erscheint auf den ersten Blick dann eine darunter liegende Zahl eher zu gering und nicht geeignet zu sein, eine ausreichende Verfolgungswahrscheinlichkeit zu begründen. Hiermit kann es aber nicht sein Bewenden haben. Hinzugezählt werden müssen, wie bereits erwähnt, nämlich die vielfältigen und unzweifelhaft zahlreichen, strafrechtlich bzw. ordnungsrechtlich nicht geahndeten Verfolgungsakte privater Akteure, die das tägliche Leben eines gläubigen und in der Öffentlichkeit bekennenden Ahmadi unmittelbar in sicherheitsrelevanter Weise berühren, wenn nicht gar prägen und in dieses eingreifen, wobei allerdings, wie bereits ausgeführt, die Eingriffe seriös und belastbar nicht quantifiziert werden können. Entgegen dem in Rdn. 33 des Revisionsurteils vermittelten Eindruck kann bei der Relationsbeurteilung auch nicht allein darauf abgestellt werden, in wie viel Fällen Strafverfahren eingeleitet und durchgeführt wurden bzw. werden. Denn das erzwungene Schweigen der hier interessierenden Personengruppe, das den relevanten Verfolgungseingriff darstellen kann, beruht, wie bereits ausgeführt, auch, wenn nicht gar überwiegend, auf den gewalttätigen, Leib und Leben gefährdenden bzw. sogar verletzenden Handlungen privater Akteure, die ungehindert und ungestraft vorgehen können und die damit nach Art. 6 lit. c) QRL flüchtlingsrechtlich relevant sind. Wollte man diesen Faktor unberücksichtigt lassen, würde ein völlig falsches Bild von der Situation der Ahmadis und deren Motivationslage gewonnen. Der Senat sieht sich nicht durch § 144 Abs. 6 VwGO gehindert, im Kontext der Relationsbetrachtung eine (unerlässliche) Ergänzung um diesen Gesichtspunkt vorzunehmen, weil er – nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Ausführungen unter Rdn. 25 des Revisionsurteils - nicht zu erkennen vermag, dass die Vorgaben des Revisionsurteils an dieser Stelle abschließenden Charakter haben. Wenn das Bundesverwaltungsgericht dort davon spricht, dass die vom Europäischen Gerichtshof angesprochene Verfolgung eine strafrechtlich relevante sein müsse, so wird diese Interpretation zwar vom Kläger infrage gestellt, gleichwohl sprechen aus der Sicht des Senats die besseren Gründe für die Sichtweise des Bundesverwaltungsgerichts. Zwar führt dieses dann dazu, dass die Verfolgungshandlungen der strafrechtlichen Verfolgung wie auch der Bestrafung nur solche sein können, die von staatlichen Akteuren ausgehen. Dieses gilt jedoch nicht in gleicher Weise für die unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung, die ohne weiteres auch nicht staatlichen Akteuren zugeordnet werden kann. Leibes- und lebensbedrohende Übergriffe privater Akteure auf einen Andersgläubigen sind aber zwanglos als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu begreifen.
116 
Aus allen vorliegenden Informationen kann nach Überzeugung des Senats auch der hinreichend verlässliche Schluss gezogen werden, dass für diejenigen Ahmadis, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und das Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen, in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko besteht, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen (würden). Denn bei dieser wertenden Betrachtung ist auch das erhebliche Risiko für Leib und Leben - insbesondere einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten bzw. gravierenden Übergriffen privater Akteure - zu berücksichtigen, sodass an den Nachweis der Verfolgungswahrscheinlichkeit keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen. Es entspricht der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung auch schon dann vorliegen kann, wenn aufgrund einer „quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für die Realisierung eines Verfolgungseingriffs besteht. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise eher nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er sein Heimatstaat verlassen soll oder in dieses zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber - wie im Falle der Ahmadi in Pakistan - jahrelange Haft, Folter oder gar Todesstrafe oder Tod oder schwere Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit seitens Dritter riskiert (BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162; vgl. nunmehr auch Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - Rdn. 32). Handelt es sich demnach um einen aktiv bekennenden Ahmadi, für den die öffentliche Glaubensbetätigung zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, muss landesweit von einem realen Verfolgungsrisiko ausgegangen werden.
117 
Selbst wenn man realistischer Weise nicht der Einschätzung des vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 12.03.2013 vernommenen Herr Khan folgt, dass es etwa 400.000 bekennende Ahmadis in Pakistan gebe und im Wesentlichen alle aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen auf eine öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigung verzichten und nicht etwa teilweise auch aus Opportunität, weil sie letztlich doch nicht so eng dem Glauben verbunden sind bzw. weil für sie der spezifische Öffentlichkeitsbezug nicht Teil ihres bestimmenden religiösen Selbstverständnisses ist, so kann doch nicht von der Hand gewiesen werden, dass es angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten, lebens- und leibesbedrohenden Übergriffe extremistischer Gruppen für viele gläubige Ahmadis der gesunde Menschenverstand nahelegen, wenn nicht gar gebieten wird, öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für viele Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Gemeinschaft der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit sei nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks. Diese seit nunmehr weit über nahezu 30 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und -bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Eine verlässliche Zahl derer, die aus Furcht vor staatlichen und/oder privaten Eingriffen auf eine Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit verzichten, ist in diesem Zusammenhang naturgemäß nicht zu ermitteln, da hierüber keine Aufzeichnungen gemacht und Statistiken geführt werden und es sich regelmäßig auch um innere Meinungsbildungsprozesse handeln wird.
118 
Allerdings sieht sich der Senat nicht in der Lage, eine besondere und zusätzliche Relationsbetrachtung (vgl. Rdn. 33 des Revisionsurteils), die der Absicherung der Einschätzung und zur Plausibilisierung des Verfolgungsrisikos dienen soll, in quantitativer Hinsicht vollständig anzustellen. Wie bereits ausgeführt, lässt sich der in diesem Zusammenhang einzusetzende Faktor der Zahl derjenigen Ahmadi, die trotz aller Verbote, Strafandrohungen, Strafverfahren, verhängter Strafen sowie Leib oder Leben gefährdender Angriffe privater Akteure weiter öffentlichkeitswirksam agieren, nicht annähernd zuverlässig ermitteln, woran die Relationsbetrachtung bereits scheitern muss, wobei ergänzend anzumerken ist, dass nach den einleuchtenden Ausführungen von Herrn Khan gegenüber dem VG Stuttgart alles dafür spricht, dass es eine relevante Anzahl überhaupt nicht mehr gibt. Diese faktischen Grenzen der Ermittlungsmöglichkeiten dürfen allerdings nicht zwangsläufig zu Lasten der Schutzsuchenden und Schutzbedürftigen gehen. Wenn sich aus anderen Erkenntnisquellen plausible Schlussfolgerungen ziehen lassen, die noch hinreichend verlässlich sind, gebietet es im Interesse eines wirksamen und menschenrechtsfreundlichen Flüchtlingsschutzes der unionsrechtliche Grundsatz des „effet utile“, damit sein Bewenden haben zu lassen.
119 
Der Senat verwertet allerdings die von Herrn Khan beim Verwaltungsgericht Stuttgart gemachten Angaben, wonach grundsätzlich jeder Ahmadi, der heute auf öffentlichen Plätzen für seinen Glauben werben würde, damit zu rechnen hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar erhebliche Nachteile zu erleiden (wie Gewaltanwendung staatlicher Organe oder privater Akteure, Strafverfahren und strafrechtliche Sanktionen), weshalb derartiges faktisch kaum mehr stattfindet. Da diese Einschätzung nach den oben gemachten Feststellungen ohne weiteres plausibel ist, sieht der Senat keinen Anlass an deren Zuverlässigkeit zu zweifeln, auch wenn Herr Khan, der als Flüchtling anerkannt ist, sicherlich insoweit gewissermaßen „Partei“ ist, als er selber Ahmadi und unmittelbar den Institutionen der Glaubensgemeinschaft der Ahmadis in Deutschland verbunden ist. Nimmt man noch den von Herrn Khan geschilderten Gesichtspunkt hinzu, dass heute praktisch kein Ahmadi mehr in den großen Moscheen bzw. Gebetshäusern erscheint, um in Gemeinschaft mit anderen am öffentlichen Gebet teilzunehmen, sei es aus Furcht vor staatlichen Eingriffen, sei es (noch wahrscheinlicher) vor privaten Akteuren, so muss nach Überzeugung des Senats von einer (ausreichend) hohen Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, dass ein Ahmadi, der sich nicht um Verbote etc. kümmert und gleichwohl in der Öffentlichkeit agiert, Opfer erheblicher Ein- und Übergriffe werden wird, und deshalb der Verzicht auf ein öffentlichkeitswirksames Glaubensbekenntnis in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Verboten und dem Verhalten privater feindlicher Akteure steht und maßgeblich hierauf beruht.
120 
Selbst wenn man der Auffassung sein wollte, dass der auf die dargestellte Art und Weise verursachte Verzicht auf jede öffentliche Glaubensbetätigung allein noch nicht die Qualität eines relevanten Verfolgungseingriffs hat, so ergibt sich ein solcher jedenfalls aus einer wertenden Zusammenschau dieses Aspekts mit den oben beschriebenen vielfältigen Diskriminierungen und Einschränkungen, die für sich betrachtet entweder noch keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit im konkreten Einzelfall begründen bzw. nicht die erforderliche Schwere aufweisen mögen. Wegen dieser letztlich maßgeblichen Gesamtschau liegt dann in jedem Fall eine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL vor.
121 
b) Einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, zu dessen verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und ggfs. auch zu werben oder zu missionieren, steht kein interner Schutz im Sinne des Art. 8 QRL offen, d.h. es gibt keinen Landesteil, in dem er in zumutbarer Weise und ungefährdet seinen Glauben öffentlich leben kann. Was die dem pakistanischen Staat unmittelbar zuzurechnenden Eingriffe betrifft, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen landesweit die gleichen. Gerade der Umstand, dass 1989 und 2008 Strafverfahren gegen alle Ahmadis in Rabwah eingeleitet worden waren, belegt dieses eindringlich. Was die Aktionen privater Akteure betrifft, geht die Einschätzung der Parliamentary Human Rights Group - PHRG - (Report of the PHRG Fact Finding Mission to Pakistan vom 24.10.2010, S. 2) und der von ihr angehörten Gewährspersonen dahin, dass eine ausreichende Sicherheit auch nicht in Rabwah besteht. Der Präsident von amnesty international von Pakistan wird dahin gehend zitiert, dass Ahmadis nirgends sicher seien, auch nicht in Rabwah, denn die Polizei würde auch den erforderlichen Schutz dort nicht gewähren, was er plausibel damit erklärt, dass die bereits erwähnte Gruppierung Khatm-e Nabuwwat einen Schwerpunkt ihrer Betätigung in Rabwah hat, wenn er auch nicht gänzlich in Abrede stellt, dass das Sicherheitsniveau dort etwas höher sei, besser wäre hier allerdings davon zu sprechen, dass das Unsicherheitsniveau etwas niedriger ist (vgl. zu alledem Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.145 ff.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 20 ff. mit vielen Einzelaspekten). Die Situation wird – in erster Linie in Bezug auf nicht staatliche Akteure – auch so beschrieben, dass die Bedrohung von Ort zu Ort unterschiedlich ist und von Jahr zu Jahr wechselt (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.151). Ganz abgesehen davon ist für den Senat nicht ersichtlich, dass alle landesweit lebenden Ahmadis in Rabwah eine den Anforderungen des Art. 8 QRL genügende wirtschaftliche Existenz finden könnten (vgl. UNHCR, Guidelines, S. 43, und ausführlich zur wirtschaftlichen Situation in Rabwah Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 7 und 24 ff.).
122 
4. Gläubige Ahmadis hingegen, die nicht zu der oben beschriebenen Gruppe rechnen, weil für sie der Aspekt des aktiven Bekenntnisses in der Öffentlichkeit keine besondere Bedeutung hat, können hiernach nur dann von einem Verfolgungseingriff aufgrund einer kumulativen Betrachtungsweise nach Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL betroffen sein, wenn nach den Verhältnissen in Pakistan diese Betroffenheit sich generell aufgrund sonstiger Diskriminierungen als eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellen würde. Von einer generellen Betroffenheit aller Mitglieder der Teilmenge der gläubigen, ihren Glauben auch (ohne direkten Öffentlichkeitsbezug) praktizierenden Ahmadi kann, was die die oben angesprochenen Diskriminierungen im Bildungswesen und beruflicher Art betrifft, noch nicht gesprochen werden. Hier kann sich allein im Einzelfall aus einer Gesamtschau eine ausreichende Schwere der Verletzung ergeben. Allerdings besteht eine generelle Betroffenheit insoweit, als sie sich nicht einmal als Moslems bezeichnen dürfen und die Finalität des Propheten Mohamed anerkennen müssen, was dann mittelbar eine gleichberechtigte Teilhabe an den staatsbürgerlichen Rechten, wie dem Wahlrecht unmöglich macht. Da jedoch die eigentlich Glaubensbetätigung auch außerhalb des eigentlichen „forum internum“ – vorbehaltlich weiterer künftiger Verschärfungen insbesondere von Seiten privater Akteure – noch möglich ist, ohne dass dieses mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erheblichen Beeinträchtigungen führt, liegt nach Auffassung des Senats, obwohl diese Betätigungen keineswegs risikofrei sind, noch keine auf diese bezogene schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach der vom Europäischen Gerichtshof in seiner Rechtsprechung verbindlich entwickelten Auslegung des Art. 9 Abs. 1 QRL vor.
123 
Etwas anderes gilt selbstverständlich auch dann, wenn ein solcher Ahmadi unmittelbar und konkret von einem staatlichen Verfolgungsakt betroffen ist, der an seine religiöse Überzeugung anknüpft (vgl. Art. 10 Abs. 2 QRL), der mit einem Eingriff in Leib, Leben oder Freiheit (im engeren Sinn) verbunden ist; ebenso dann, wenn ein derartiger Eingriff von nicht staatlichen Akteuren ausgeht und die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 QRL nicht vorliegen, wovon aber nach vom Senat getroffenen Feststellungen (vgl. oben 2 g) auszugehen ist.
124 
V. Der Senat ist gleichfalls überzeugt, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Er kann zunächst auf die Ausführungen im Urteil vom 13.12.2011 verweisen. An dieser Einschätzung ist auch nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung festzuhalten. Er hat – wenn auch mit einfachen Worten – dem Senat die Überzeugung vermittelt, dass das öffentliche und auch werbende Bekenntnis für seinen Glauben für ihn selbst von großer Bedeutung ist, er tatsächlich danach lebt und es ihn erheblich belasten würde, wenn er dieses aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen unterlassen müsste.
125 
Damit gehört der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehen und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen sind.
126 
VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.
127 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.

Gründe

 
34 
I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch die Verpflichtung der Beklagten auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie die ergänzende Aufhebung der dem entgegenstehenden Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 30.03.2010. Denn im Berufungsurteil vom 13.12.2011 wurde, wenn auch nicht ausdrücklich im Tenor, die Klage hinsichtlich der Ziffer 2 des Bescheids abgewiesen (vgl. insbesondere auch UA S. 35 unten). Da die Beklagte auch nur in diesem Umfang durch das Urteil beschwert war, muss davon ausgegangen werden, dass sie nur insoweit die zugelassene Revision eingelegt hat, mit der Folge, dass auch die Aufhebung des Urteils vom 13.12.2011 durch das Bundesverwaltungsgericht nur diesen Teil betreffen kann. Die Beteiligten sehen dies nicht anders.
35 
II. Dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und 3 VwVfG vorliegen, wurde im Urteil vom 13.12.2011 im Einzelnen dargelegt. Hierauf kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden.
36 
III. Grundlage für das Begehren des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.
37 
Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 20.02.2013, mit dem der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde, in maßstäblicher Hinsicht folgendes ausgeführt:
38 
„2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 2011/95/EU (zuvor: Richtlinie 2004/83/EG) - im Folgenden: Richtlinie - geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen .
39 
Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie ergänzend anzuwenden. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist. Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen des Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie und den Verfolgungshandlungen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie bestehen.
40 
2.2 Das Berufungsgericht hat die vom Kläger als Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft (Ahmadi) geltend gemachte Verfolgungsgefahr zutreffend als Furcht vor einem Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung gewertet (UA S. 13). Denn Ahmadis droht in Pakistan die Gefahr einer Inhaftierung und Bestrafung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht schon wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft als solcher. Die Verwirklichung der Gefahr hängt vielmehr von dem willensgesteuerten Verhalten des einzelnen Glaubensangehörigen ab: der Ausübung seiner Religion mit Wirkung in die Öffentlichkeit. In solchen Fällen besteht der unmittelbar drohende Eingriff in einer Verletzung der Freiheit, die eigene Religion entsprechend den geltenden Glaubensregeln und dem religiösen Selbstverständnis des Gläubigen zu praktizieren, weil der Glaubensangehörige seine Entscheidung für oder gegen die öffentliche Religionsausübung nur unter dem Druck der ihm drohenden Verfolgungsgefahr treffen kann. Er liegt hingegen nicht in der Verletzung der erst im Fall der Praktizierung bedrohten Rechtsgüter (z.B. Leib, Leben, persönliche Freiheit). Etwas anderes gilt dann, wenn der Betroffene seinen Glauben im Herkunftsland bereits praktiziert hat und ihm schon deshalb - unabhängig von einer willensgesteuerten Entscheidung über sein Verhalten in der Zukunft - unmittelbar die Gefahr z.B. einer Inhaftierung und Bestrafung droht. Eine derartige Vorverfolgung hat das Berufungsgericht hier jedoch nicht festgestellt .
41 
2.3 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat auf Vorlage des Senats durch Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe in die Religionsfreiheit als Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden können .
42 
2.3.1 Der Gerichtshof sieht in dem in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) verankerten Recht auf Religionsfreiheit ein grundlegendes Menschenrecht, das eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft darstellt und Art. 9 EMRK entspricht. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten (EuGH a.a.O. Rn. 57). Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in das durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta garantierte Recht auf Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dar (Rn. 58). Zunächst muss es sich um eine Verletzung dieser Freiheit handeln, die nicht durch gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Grundrechtsausübung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GR-Charta gedeckt ist. Weiterhin muss eine schwerwiegende Rechtsverletzung vorliegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt (Rn. 59). Das setzt nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie voraus, dass die Eingriffshandlungen einer Verletzung der grundlegenden Menschenrechte gleichkommen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf (Rn. 61) .
43 
2.3.2 Zu den Handlungen, die nach der Rechtsprechung des EuGH eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Der Gerichtshof hält es mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie nicht für vereinbar, die Beachtlichkeit einer Verletzungshandlung danach zu beurteilen, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift (Rn. 62 f.). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an der vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung für den Flüchtlingsschutz (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 <19 ff.>) nicht mehr fest. Folglich ist bei der Bestimmung der Handlungen, die aufgrund ihrer Schwere verbunden mit der ihrer Folgen für den Betroffenen als Verfolgung gelten können, nicht darauf abzustellen, in welche Komponente der Religionsfreiheit eingegriffen wird, sondern auf die Art der ausgeübten Repressionen und ihre Folgen für den Betroffenen (Rn. 65 mit Verweis auf Rn. 52 der Schlussanträge des Generalanwalts) .
44 
Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (Rn. 67). Der Gerichtshof verwendet in der verbindlichen deutschen Sprachfassung des Urteils (vgl. Art. 41 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012, ABI L 265/1 vom 29. September 2012) zwar nur den Begriff „verfolgt", ohne dies ausdrücklich auf eine strafrechtliche Verfolgung zu beziehen. Es wäre jedoch zirkulär, den Begriff der „asylerheblichen Verfolgung" durch „Verfolgung" zu definieren. Dafür spricht zudem ein Vergleich der deutschen mit der französischen, englischen und italienischen Fassung des Urteils. In allen drei zum Vergleich herangezogenen Sprachfassungen ist von strafrechtlicher Verfolgung die Rede. Darüber hinaus ist auch die im Fall der Religionsausübung drohende Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben sowie der (physischen) Freiheit hinreichend schwerwiegend, um die Verletzung der Religionsfreiheit als Verfolgungshandlung zu bewerten .
45 
2.3.3 Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Das ergibt sich insbesondere aus der Aussage des Gerichtshofs in Rn. 69, dass schon das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie und somit eine Verfolgung darstellen kann, wenn der Verstoß dagegen die tatsächliche Gefahr der dort genannten Sanktionen und Konsequenzen heraufbeschwört. Kann Verfolgung somit schon in dem Verbot als solchem liegen, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen (z.B. in Leben oder Freiheit) letztlich nicht an .
46 
Diesem Verständnis der Entscheidung, das den Flüchtlingsschutz gegenüber der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorverlagert, steht nicht entgegen, dass der Gerichtshof in seinen Ausführungen auf die Gefahr abstellt, die dem Ausländer bei „Ausübung dieser Freiheit" (Rn. 67 und 72) bzw. der „religiösen Betätigung" (Rn. 73, 78 und 79 f.) droht. Denn damit nimmt dieser lediglich den Wortlaut der entsprechenden Vorlagefragen 2a und 3 des Senats auf, ohne dass darin eine notwendige Voraussetzung für die Flüchtlingsanerkennung liegt. Könnte nicht schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen, blieben Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten (so auch Lübbe, ZAR 2012, 433 <437>). Diese Erstreckung auch auf einen erzwungenen Verzicht entspricht dem Verständnis des britischen Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) in seinem Grundsatzurteil vom 14. November 2012 - MN and others [2012] UKUT 00389(IAC) Rn. 79) betreffend die religiöse Verfolgung von Ahmadis in Pakistan und dem Urteil des Supreme Court of the United Kingdom betreffend die Verfolgung wegen Homosexualität vom 7. Juli 2010 (HJ v. Secretary of State for the Home Department [2010] UKSC 31 Rn. 82). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an seiner vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 a.a.O. <23>) nicht mehr fest .
47 
2.3.4 Nach der Rechtsprechung des EuGH hängt die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu erfüllen, von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (Rn. 70). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.2). Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (so auch Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen vom 19. April 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11, Rn. 82) .
48 
Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit sieht der Gerichtshof den Umstand an, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (Rn. 70). Denn der Schutzbereich der Religion erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet (Rn. 71). Dabei bestätigt der EuGH die Auffassung des Senats, dass es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers ankommt, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270 Rn. 43). Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist .
49 
Der vom EuGH entwickelte Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nach dem Verständnis des Senats nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste (vgl. zu den strengeren Maßstäben der Rechtsprechung zur Gewissensnot von Kriegsdienstverweigerern: Urteil vom 1. Februar 1982 - BVerwG 6 C 126.80 - BVerwGE 64, 369 <371> m.w.N.). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (so schon Beschluss vom 9. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 43) .
50 
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Bei Ahmadis aus Pakistan ist zunächst festzustellen, ob und seit wann sie der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehören. Hierbei dürfte sich die Einholung einer Auskunft der Zentrale der Glaubensgemeinschaft in Deutschland anbieten, die ihrerseits auf die Erkenntnisse des Welt-Headquarters in London - insbesondere zur religiösen Betätigung des Betroffenen in Pakistan - zurückgreifen kann (so auch das britische Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14. November 2012 a.a.O. Leitsatz 5). Nähere Feststellungen über die religiöse Betätigung eines Ausländers vor seiner Ausreise verringern auch das Risiko einer objektiv unzutreffenden Zuordnung zu einer Glaubensgemeinschaft (s.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. November 2012, S. 14). Zusätzlich kommt die Befragung eines Vertreters der lokalen deutschen Ahmadi-Gemeinde in Betracht, der der Asylbewerber angehört. Schließlich erscheint im gerichtlichen Verfahren eine ausführliche Anhörung des Betroffenen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in aller Regel unverzichtbar. Wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger seinen Glauben in Pakistan nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, sind die Gründe hierfür aufzuklären. Denn der Verzicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung im Herkunftsland kennzeichnet die religiöse Identität eines Gläubigen dann nicht, wenn er aus begründeter Furcht vor Verfolgung erfolgte. Ergibt die Prüfung, dass der Kläger seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechender Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen .
51 
2.3.5 Das Verbot einer öffentlichen religiösen Betätigung als solches kann aber nur dann als hinreichend schwere Verletzung der Religionsfreiheit und damit als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden, wenn der Asylbewerber - über die soeben genannten objektiven und subjektiven Gesichtspunkte hinaus - bei Ausübung der verbotenen öffentlichkeitswirksamen Glaubensausübung in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Das bedeutet, dass die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen müssen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (Richtlinie 2011/95/EU: Art. 2 Buchst. d) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 22). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. Urteile vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.> und vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 24). Im vorliegenden Fall kommt es darauf an, ob der Kläger berechtigterweise befürchten muss, dass ihm aufgrund einer öffentlichen religiösen Betätigung in Pakistan, die zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schweren Rechtsgutverletzung droht, insbesondere die Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.4) .
52 
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht für pakistanische Staatsangehörige in ihrem Heimatland allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft noch keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr (UA S. 32). Eine solche droht nur „bekennenden Ahmadis", die „ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollen" (UA S. 33). Das Berufungsgericht hält zur Feststellung der Verfolgungswahrscheinlichkeit die für eine Gruppenverfolgung geltenden Maßstäbe insoweit mit Recht nicht für vollumfänglich übertragbar, als eine Vergleichsbetrachtung der Zahl der stattgefundenen Verfolgungsakte zur Gesamtzahl aller Ahmadis in Pakistan (etwa 4 Millionen) oder der bekennenden Ahmadis (500 000 bis 600 000) die unter Umständen hohe Zahl der Glaubensangehörigen unberücksichtigt ließe, die aus Furcht vor Verfolgung auf ein öffentliches Praktizieren ihrer Religion verzichten. Hängt die Verfolgungsgefahr aber von dem willensgesteuerten Verhalten des Einzelnen - der verbotenen Ausübung des Glaubens in der Öffentlichkeit - ab, ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben trotz der Verbote in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Dabei ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass die Ausübung religiöser Riten in einer Gebetsstätte der Ahmadis bereits als öffentliche Betätigung gewertet und strafrechtlich sanktioniert wird. Die Zahl der ihren Glauben in strafrechtlich verbotener Weise praktizierenden Ahmadis ist - bei allen damit verbundenen, auch dem Senat bekannten Schwierigkeiten - jedenfalls annäherungsweise zu bestimmen. In einem weiteren Schritt ist sodann festzustellen, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe treffen. Dabei ist insbesondere zu ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ahmadi inhaftiert und bestraft wird, der entgegen den Vorschriften des Pakistan Penal Code bei seiner Glaubensausübung religiöse Begriffe und Riten des Islam benutzt, seinen Glauben öffentlich bekennt oder für ihn wirbt. Bei der Relationsbetrachtung, die die Zahl der ihren Glauben verbotswidrig in der Öffentlichkeit praktizierenden Ahmadis mit der Zahl der tatsächlichen Verfolgungsakte in Beziehung setzt, ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine wertende Betrachtung handelt, die auch eventuell bestehende Unsicherheiten und Unwägbarkeiten der staatlichen Strafverfolgungspraxis mit einzubeziehen hat. Besteht aufgrund einer solchen Prognose für die - möglicherweise zahlenmäßig nicht große - Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe der Ahmadis, für die diese öffentlichkeitswirksamen Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist .
53 
2.4 Bei Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind alle Akte zu berücksichtigen, denen der Antragsteller ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden droht, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten können (vgl. Urteil des EuGH vom 5. September 2012 a.a.O. Rn. 68). Liegt keine Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vor, ist weiter zu prüfen, ob sich eine solche aus einer Gesamtbetrachtung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ergibt. Buchstabe a erfasst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Nach Buchstabe b kann auch eine Kumulation unterschiedlicher Maßnahmen die Qualität einer Verletzungshandlung haben, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Buchstabe a. Die Maßnahmen im Sinne von Buchstabe b können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen .
54 
In Buchstabe a beruht die Schwere der Eingriffshandlungen auf ihrer Art oder Wiederholung („nature or repetition"). Während die „Art" der Handlung ein qualitatives Kriterium beschreibt, enthält der Begriff der „Wiederholung" eine quantitative Dimension (so auch Hailbronner/Alt, in: Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1072 Rn. 30). Der Gerichtshof geht in seinem Urteil vom 5. September 2012 (Rn. 69) davon aus, dass das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen kann. Der Qualifizierung als „ein" Verbot steht nicht entgegen, dass dieses in mehreren Strafvorschriften des Pakistan Penal Code mit unterschiedlichen Straftatbeständen normiert ist. Das Verbot kann von so schwerwiegender „Art" sein, dass es für sich allein die tatbestandliche Voraussetzung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfüllt. Andere Maßnahmen können hingegen unter Umständen nur aufgrund ihrer Wiederholung vergleichbar gravierend wirken wie ein generelles Verbot .
55 
Setzt die Erfüllung des Tatbestandes von Buchstabe a mithin eine bestimmte gravierende Eingriffshandlung oder die Wiederholung gleichartiger Handlungen voraus, ermöglicht die Tatbestandsalternative des Buchstabe b in einer erweiterten Perspektive die Berücksichtigung einer Kumulation unterschiedlicher Eingriffshandlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie aufgeführt sind. Die Kumulationsbetrachtung entspricht auch dem Verständnis des UNHCR vom Verfolgungsbegriff in Art. 1 A Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rn. 53). In die nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie erforderliche Gesamtbetrachtung können insbesondere verschiedenartige Diskriminierungen gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft einbezogen werden, z.B. beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen (vgl. UNHCR Richtlinie vom 28. April 2004 zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung, HCR/GIP/04/06 Rn. 17). Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Buchstabe a entspricht .
56 
Daher sind bei der Prüfung einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie zunächst alle in Betracht kommenden Eingriffshandlungen in den Blick zu nehmen, und zwar Menschenrechtsverletzungen wie sonstige schwerwiegende Repressalien, Diskriminierungen, Nachteile und Beeinträchtigungen. In dieser Prüfungsphase dürfen Handlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie genannt werden, nicht vorschnell deshalb ausgeschlossen werden, weil sie nur eine Diskriminierung, aber keine Menschenrechtsverletzung darstellen (ähnlich Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz - Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, Kapitel 4 § 13 Rn. 18). Zunächst ist aber zu prüfen, ob die Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vorliegt. Ist das nicht der Fall, ist weiter zu prüfen, ob die Summe der nach Buchstabe b zu berücksichtigenden Eingriffe zu einer ähnlich schweren Rechtsverletzung beim Betroffenen führt wie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie. Ohne eine fallbezogene Konkretisierung des Maßstabs für eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie kann die bewertende Beurteilung nach Buchstabe b, ob der einzelne Asylbewerber unterschiedlichen Maßnahmen in einer so gravierenden Kumulation ausgesetzt ist, dass seine Betroffenheit mit der in Buchstabe a vergleichbar ist, nicht gelingen. Stellt das Gericht hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der „Betroffenheit in ähnlicher Weise" keine Vergleichsbetrachtung mit den von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfassten Verfolgungshandlungen an, liegt darin ein Verstoß gegen Bundesrecht“ .
57 
IV. Ausgehend hiervon besteht zwar kein Grund zu der Annahme, dass bereits aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya unterschiedslos die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter dem Aspekt einer Gruppenverfolgung vorliegen. Etwas anderes ergibt sich jedoch für die bekennenden Ahmadis, die es nach ihrem Glaubensverständnis für sich als identitätsbestimmend ansehen, ihren Glauben – auch werbend – in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. hierzu im Folgenden und auch noch unten 2 e); vgl. schon VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.05.2008 - A 11 S 3032/07 - juris; vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris).
58 
1. a) Zum Hintergrund der heutigen Situation der Ahmadis in Pakistan hatte der HessVGH bereits im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A - juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
59 
„Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
60 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
61 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bay. VGH am 22.01.1985, S. 7).
62 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
63 
b) Auch die aktuell verfügbaren Zahlen zur Größe der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern bzw. diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.02.2008, Ziff. 19.41 und vom 07.12.2012, Ziff. 19.98, das von 291.000 bis 600.000 bekennenden Ahmadis ausgeht). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 02.11.2012, S. 13) wiederum nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien. Der vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 im Verfahren A 12 K 2890/12 vernommene Raja Muhammad Yousaf Khan, der Mitarbeiter des „Ahmadiyya Muslim Jamaat e.V., Frankfurt“ ist, hat ausgesagt, dass der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ von etwa 400.000 bekennenden Ahmadis in Pakistan ausgeht, die er als solche Personen beschreibt, die regelmäßig Kontakt zu den lokalen Gemeinden haben, wobei sich aus der Niederschrift keine genauer nachvollziehbaren Hinweise ablesen lassen, wie diese Zahl ermittelt bzw. hergeleitet wurde. Der Umstand, dass in den anlässlich der jüngst abgehaltenen Wahl erstellten Wählerverzeichnissen (sog. „Nada-Dateien“) nur rund 200.000 wahlberechtigte Ahmadis geführt werden, stellt die Zahl von 400.000 nicht grundsätzlich infrage, weil Ahmadis seit Jahren schon die Wahlen selbst boykottieren (vgl. unten Ziffer 2 a). Der Senat kann nicht davon ausgehen, dass alle etwa 400.000 „bekennenden Ahmadis“ auch solche sind, für die das Leben ihres Glaubens in der Öffentlichkeit und ggf. das Werben für den Glauben identitätsbestimmend und daher unverzichtbar sind (vgl. zur Eingrenzung der Gruppe noch unten 2 e), was allerdings nach der – auch offiziellen – Lehre der Ahmadiyya-Bewegung von zentraler Bedeutung ist (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16). Denn der bloße regelmäßige Kontakt zur lokalen Gemeinde ist hierfür sicher unzureichend, zumal, wie noch auszuführen sein wird, das gemeinsame Gebet jedenfalls in kleineren Gebetshäusern in der Regel faktisch möglich ist, selbst wenn es auch hier vermutlich immer wieder Übergriffe und Einschränkungen bzw. staatliche Verfolgungsmaßnahmen gibt. Nach dem International Religious Freedom Report Pakistan des United States Department of State für das Jahr 2011 (S. 2) waren allerdings überhaupt keine verlässlichen Daten über die Anzahl der Ahmadis, die sich aktiv an religiösen Ritualen oder Gottesdiensten beteiligen, verfügbar oder von den amerikanischen Stellen zu ermitteln, was dann gleichermaßen für diejenigen gelten muss, die aktiv den Glauben vertretend und praktizierend in der Öffentlichkeit auftreten. Vergleichbares gilt im Übrigen – angesichts der Größe des Landes für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar – für die Ermittlung verlässlicher Daten zur Frage der Häufigkeit von Übergriffen auf Ahmadis in Pakistan von Seiten privater Akteure (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2011 Ziff. 19.162). Zwar werden von den im Inland- und Ausland ansässigen Organisationen der Ahmadiyya-Gemeinschaft regelmäßig (monatliche und jährliche) Zusammenstellungen über – v.a. von nicht staatlichen Akteuren ausgehende – Übergriffe auf Ahmadis herausgegeben und ins Internet gestellt (www.thepersecution.org/), es ist aber auch nach dem Vortrag der Beteiligten für den Senat kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass diese auf einem lückenlosen und landesweit vernetzten Berichtssystem beruhen und daher auch nur annäherungsweise vollständig sein könnten, was die Stellungnahme des „Ahmadiyya Muslim Jammaat“ vom 06.06.2013 bestätigt. Abgesehen davon ist auch nicht gesichert, dass die Betroffenen ausschließlich oder jedenfalls überwiegend solche Ahmadis sind, die ihrem Glauben in einer Weise innerlich verpflichtet sind, dass sie diesen bekennend und ggf. werbend bzw. sogar missionierend in die Öffentlichkeit tragen bzw. tragen wollen. Eine Durchsicht der Zusammenstellung für Januar bis Dezember 2011 ergab, dass eindeutige Aussagen nur für einen Teil der beschriebenen Vorfälle gemacht werden können.
64 
Der Senat sieht vor diesem Hintergrund keinen erfolgsversprechenden Ermittlungsansatz, um die so beschriebene Teilmenge (Ahmadis, für die das öffentlich Bekennen und ggf. Werben für den Glauben identitätsbestimmend ist) aus der Teilmenge der „bekennenden Ahmadis“ der Größe nach präziser festzustellen, zumal dann in diesem Zusammenhang landesweit auch sehr subjektiven Voraussetzungen und Merkmalen, d.h. inneren Tatsachen nachgegangen werden müsste. Es ist namentlich nicht erkennbar, dass in Pakistan die Zahl dieser Personen überhaupt statistisch erfasst wird, bzw. dass es eine Stelle geben könnte, die über solches Zahlenmaterial verfügt. Die Ausführungen von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart machen hinreichend deutlich, dass nicht einmal die offiziellen Vertreter der Ahmadis in Westeuropa in diesem Zusammenhang über belastbare Zahlen hinsichtlich dieser Personengruppe verfügen, was nach dessen Ausführungen letztlich darin begründet ist, dass aus Furcht vor Verfolgung heute praktisch kein Ahmadi mehr in der Öffentlichkeit seinen Glauben lebt und für diesen wirbt. Dabei hatte Herr Khan nicht ausgeschlossen, dass auf individueller Ebene in einem privaten Gespräch noch für den Glauben geworben würde, wie oft dies heute noch geschehe, lasse sich – zu Recht – nicht seriös beziffern, da es niemanden gebe, der hierüber Aufzeichnungen mache, die Fälle auswerte und dann zähle. Auch das vom Upper Tribunal - Immigration and Asylum Chamber in seinem Urteil „MN and others“ (Pakistan CG <2012> UKUT 00389) vom 14.11.2012 verwertete Zahlenmaterial führt hier letztlich nicht weiter, weil dieses sich nicht direkt auf die Zahl des hier festzustellenden Personenkreises und dessen Größe bezieht. Das Bundesamt wie auch der Kläger haben keine Wege aufgezeigt, wie verlässliches und nicht nur spekulatives Zahlenmaterial zu erlangen sein könnte. Der Senat sieht sich – ungeachtet der völkerrechtlichen Hindernisse – auch im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nicht gehalten, ein Institut mit einer repräsentativen Untersuchung in Pakistan oder einer erstmals dort durchzuführenden statischen Erhebung zu betrauen, abgesehen davon, dass der Senat keine Anhaltspunkte dafür hat, dass eine verlässliche Untersuchung in Pakistan überhaupt in angemessener Zeit geleistet werden kann. Umso weniger lassen sich verlässliche Zahlen darüber ermitteln, wie viele Ahmadis aus der Teilmenge der Ahmadis, für die das öffentliche Bekennen oder sogar Werben identitätsbestimmend ist, trotz aller Verbote, Strafverfolgungsmaßnahmen und gewichtigen Übergriffe privater Akteure gleichwohl ihren Glauben öffentlich leben und für ihn öffentlich eintreten oder gar werben (vgl. zur der vom Bundesverwaltungsgericht in Rdn. 33 geforderten Relationsbetrachtung im Einzelnen noch unten 2c).
65 
2. Die Lage der Ahmadis in Pakistan wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
66 
a) Der Islam wurde in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist zwar von Verfassung wegen garantiert (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 2 f.). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit qualifiziert und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. wer auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
67 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren und nur solche Personen auf diesen Listen wählen können. Um hingegen ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4; U.S. State Department, Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 38; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.104 ff.; Rashid, Pakistan’s failed Commitment: How Pakistan’s institutionalised Persecution of the Ahmadiyya Muslim Community violates the international Convenant on civil and political Rights, S. 25). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA, Lagebericht vom 02.11.2012, S. 13).
68 
b) Seit 1984 bzw. 1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und die gewissermaßen der Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung dienen.
69 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143):
70 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
71 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ameerui Mumineen’, ‚Khalifar-ul-Mimineem’, ’Shaabi’ oder ‚Razi-Allah-Anho’ bezeichnet oder anredet;
72 
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ummul-Mumineen’ bezeichnet oder anredet;
73 
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ahle-bait’ bezeichnet oder anredet;
74 
d) sein Gotteshaus als ‚Masjid’ bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
75 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als ‚Azan’ bezeichnet oder den ‚Azan’ so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
76 
Sec. 298 C lautet:
77 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
78 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
79 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
80 
Der Vollständigkeit halber sollen in diesem Zusammenhang noch erwähnt werden (vgl. auch Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.32):
81 
- Sec. 298 A (Gebrauch abschätziger bzw. herabsetzender Bemerkungen in Bezug auf heilige Personen; Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, Geldstrafe oder beides);
82 
- Sec. 295 (Beleidigung oder Schändung von Orten der Verehrung mit dem Zweck bzw. Ziel, eine Religion jeder Art herabzusetzen, Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahre, Geldstrafe oder beides);
83 
- Sec. 295 A (Vorsätzliche und böswillige Handlungen mit dem Zweck die religiösen Gefühle jeden Standes zu verletzen durch Beleidigung der Religion oder des Glaubens, Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren, Geldstrafe oder beides) und
84 
- Sec. 295 B (Beleidigung bzw. Verächtlichmachung des Heiligen Korans, lebenslange Freiheitsstrafe).
85 
Alle genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch schon ausführlich HessVGH, Urteil vom 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris, Rdn. 92 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.1992 - 2 BvR 1263/92 - juris, m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; vom 25.01.1995 - 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere dort auch noch zur mittlerweile irrelevanten Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen in weiten Teilen diskriminierende, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR (vgl. auch Art. 52 Abs. 1 GRCh) zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c) RL 2004/83/EG (identisch mit RL 2011/95/EU) erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, Urteil vom 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960, Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/), wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Soweit man einzelne Bestimmungen im Ansatz noch als zulässige Begrenzung der Religionsfreiheit ansehen wollte (etwa Sec. 298 C letzte Variante), fehlt allerdings schon jede tatbestandliche Eingrenzung, vielmehr wird mit ihrer begrifflichen Weite ein Einfallstor für Willkür eröffnet (vgl. hierzu noch unten d). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und weshalb zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind (so noch BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts), weshalb auch offen bleiben kann, ob unter dem Regime der Qualifikationsrichtlinie eine derart weitgehende Beschränkung der Religionsfreiheit für die Betroffenen, wie sie das Bundesverfassungsgericht für das Asylgrundrecht noch für richtig gehalten hat, hinzunehmen und unionsrechtskonform wäre. Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten vermittelnden Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen gerade nicht von ihnen ausgehen (vgl. hierzu auch Rashid, Pakistan’s Failed Commitment, S. 32), sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie mittlerweile auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan vom 10.09.2007, S. 6 und 10 und nunmehr Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.12, 19.27, 19.44, 19.121, 19.127 und 19.145). Von einer legitimen Begrenzung der religiösen Betätigung von Ahmadis kann auch deshalb keine Rede sein, weil der pakistanische Staat keine effektiven legislativen und exekutiven Maßnahmen ergreift, um dem aggressiven Wirken entgegenzutreten und den Minderheiten – als Kehrseite möglicher ihnen auferlegter maßvoller Beschränkungen – einen wirklich geschützten Freiraum für ihr Wirken bereitstellt (vgl. zur Weite der Vorschriften und ihrer grenzenlosen Auslegung bzw. Anwendung unten d).
86 
c) Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung nach Sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, wurden nach dem Bericht „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (Annex II), den auch das Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14.11.2012 als relevant angesehen hat (dort Rdn. 30, Fn. 6), im Zeitraum April 1984 bis 31.12.2011 offiziell insgesamt 3.820 „Police Cases“ gegen Ahmadis registriert, davon 299 wegen „Blasphemie“, zuzüglich über 60.000 Verfahren (wegen Sec. 298 C) gegen den sich am 28. Mai 2008 ausdrücklich aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Begründung des Khalifentums öffentlich zu den Ahmadis bekennenden Teil der Bevölkerung von Rabwah (jetzt Chenab Nagar oder Tschinab Nagar; vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006), die 2009 noch anhängig gewesen waren (Home Office Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.136; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorités religieuses, 31.08.2009, S. 9), mittlerweile aber eingestellt wurden (vgl. Khan an das VG Stuttgart vom 09.05.2013). Bereits im Jahre 1989 waren schon einmal Verfahren gegen alle Ahmadis von Rabwah wegen des Vorwurfs nach Sec. 298 C eingeleitet worden, die im Jahre 2006 noch anhängig waren (vgl. hierzu Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 10 f. und 35), aber vermutlich auch eingestellt wurden; diese nach dem genannten Bericht nicht genauer bezifferten Verfahren müssen daher im Grundsatz noch bei der Zahl von Ermittlungsverfahren berücksichtigt werden. Auch wenn diese augenscheinlich nicht konsequent oder nur gegenüber Einzelnen betrieben werden, so ist doch aus der Tatsache, dass sie erst nach einigen Jahre förmlich eingestellt und immerhin im Abstand von 10 Jahren zweimal eingeleitet wurden, nur der Schluss zu ziehen, dass sie instrumentalisiert wurden, um die Betroffenen massiv einzuschüchtern. Aus diesem Grund können diese Verfahren bei der vorzunehmenden wertenden Gesamtbetrachtung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Allerdings dürfen sie nicht mathematisch exakt in eine quantitative Bewertung eingerechnet werden, weil es in der Regel jedenfalls zu keinen Anklagen gekommen ist und andernfalls ein unzutreffendes Bild von der Wirklichkeit ergäbe.
87 
Das Home Office (Ziff. 19.49) spricht für den Zeitraum 1986 bis 2006 allein von 695 Verfahren spezifisch wegen Blasphemie (sec. 295 C), in denen es auch zu Anklagen gekommen ist, darunter 239 Ahmadis; insgesamt wurden im Zeitraum 1984 bis 2004 über 5.000 Anklagen gegen Ahmadis mit einem religiösen Hintergrund erhoben. Im Juni 2011 waren mindestens 14 Verfahren gegen Ahmadis anhängig gewesen, in denen (nicht rechtskräftig) die Todesstrafe verhängt worden war (Ziff. 19.39). Nach vermutlich anderen Quellen sind von 1984 bzw. 1987 bis 2011 1.117 Personen wegen Blasphemie angeklagt worden (Ziff. 19.50). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären (Ziff. 19.134 ff.). Weitere aussagekräftige Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Die Beklagte hat solche auch nicht mitgeteilt bzw. aufgezeigt, wie noch verlässliche Informationen zu erlangen sein könnten.
88 
Bei Rashid (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 und 28 f.) finden sich folgende Zahlen: Seit 1984 wurden 764 Ahmadis angeklagt, weil sie die Kalima gezeigt bzw. gelesen hatten, 38 wurden wegen der Verwendung des Gebetsrufs angeklagt; 434 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich als Muslim bezeichnet hatten, 161 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich islamischer Terminologie in der Öffentlichkeit bedient hatten; 93 Anklagen bezogen sich auf das Verrichten von Gebeten in der Öffentlichkeit und 719 Anklagen wurden wegen öffentlichen Predigens und Werbens für den Glauben erhoben. Auch bei Rashid werden die Verfahren gegen 60.000 Ahmadis aus Rabwah erwähnt. Insbesondere erwähnt Rashid, dass allein im Jahre 2009 mindestens 74 Ahmadis eines Deliktes nach Sec. 295 C Penal Code beschuldigt worden seien.
89 
Mit Blick auf die grundsätzlich vom Bundesverwaltungsgericht geforderte Relationsbetrachtung (Rdn. 33) ist in diesem Zusammenhang allerdings zu bemerken, dass nicht alle vorgenannten Verfahren notwendigerweise und uneingeschränkt Glaubensbetätigungen betreffen müssen, die gerade in der Öffentlichkeit stattfinden. Diese Annahme liegt deshalb nahe, weil etwa falsche Verdächtigungen und Anschuldigungen (vgl. hierzu auch unten d) auch andere Hintergründe und Vorwürfe zum Inhalt haben können. Diese Zahlen sind daher von ihrer Struktur wenig geeignet, als Grundlage der Relationsbetrachtung zu dienen. Der Senat sieht aber auch hier keinen konkreten erfolgversprechenden Ermittlungsansatz, wie der Anteil verlässlich festzustellen sein sollte, der spezifisch Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit betrifft, und zum anderen, um wie viele Personen es sich dabei gehandelt haben könnte, für die ein öffentlichkeitswirksames Agieren zum identitätsbestimmenden und unverzichtbaren Merkmal des eigenen Glaubensverständnisses zählt.
90 
d) Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz, oftmals nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt auch darauf beruht, dass sie häufig durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 14; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.59 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 15 ff., und 2012, S. 17 ff.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2). In der Regel werden die eines Verstoßes gegen die Blasphemiebestimmungen Beschuldigten bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.53; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing The International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, 14.05.2012, S. 6). Dieser Umstand ist vor allem auch deshalb so gravierend, weil Folter auf Polizeistationen und in Haft an der Tagesordnung ist (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 23; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 6; Asia Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 21 ff.). Die Haftbedingungen werden als teilweise sogar lebensbedrohend bezeichnet (vgl. SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 4 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, S. 9). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt. Die Bestimmung der Sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von Sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten im Sinne von Sec. 295 C (vgl. hierzu im Einzelnen schon HessVGH, U. v. 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris - Tz. 46 und 69). Generell werden alle genannten Vorschriften wegen ihrer begrifflichen Unbestimmtheit bzw. der schwammigen Formulierungen weit und zulasten der Ahmadis ausgelegt und angewendet. Sie sind daher ein (offenes) Einfallstor für blanke Willkür. So kommt es etwa zu Anklagen gegen Eltern, wenn sie ihre Kinder Mohammed nennen (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.103; vgl. auch Ziffer 19.139).
91 
Die Strafvorschriften werden dabei nicht selten auch gezielt genutzt, um – auch aus eigensüchtigen Motiven – Ahmadis mit falschen Anschuldigungen unter Druck zu setzen und zu terrorisieren (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.57 f.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 15). Die Anzeigeerstatter laufen dabei keine Gefahr, wegen falscher Anschuldigung verfolgt zu werden. Eine Anzeige kann zudem erhebliche Konsequenzen für die Betroffenen und ihre Familien haben. So wurden zwischen 1986 bis 2010 34 Personen, die nach den Blasphemiegesetzen angeklagt worden waren, von privaten Akteuren umgebracht; im Jahre 2010 wurden allein vier Personen (zwei Christen und zwei Muslime) getötet (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47); auch die Familien werden in Drohungen und Einschüchterungen einbezogen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47 und 19.52; AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12). In diesem Zusammenhang ist etwa die radikal-islamische Gruppierung „Khatm-e-Nabuwwat“ („Siegel der Prophetenschaft“) zu erwähnen, die u.a. mit diesen Mitteln gezielt und völlig ungestraft gegen Ahmadis vorgeht (vgl. auch AA, Lagebericht 02.11.2012, S. 14; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 13 ff.; vgl. zu der Organisation noch im Folgenden unter Ziff. 2.g). Zwar hat die Gruppierung in der Vergangenheit etwa gegenüber der „Parliamentary Human Rights Group“ (vgl. S. 8 f.) den Versuch unternommen, ihr Verhältnis zu den Ahmadis und ihre Vorgehensweise diesen gegenüber als wesentlich offener und zurückhaltender darzustellen. Bereits zum damaligen Zeitpunkt hatte dem aber etwa der Präsident von amnesty international Pakistan deutlich widersprochen (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8). Durch die neueren Entwicklungen sind diese Aussagen der Gruppierung ohnehin eindeutig überholt bzw. widerlegt (vgl. unten Ziffer 2 g; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013).
92 
Die Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen die Blasphemiebestimmungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte hinziehen und zu keinem Ende gebracht werden, was einschneidende Folgen für die Betroffenen hat, selbst wenn sie sich in Freiheit befinden. Denn sie müssen sich in der Regel alle 15 bis 30 Tage bei der ermittelnden Polizeistation, die sich oftmals nicht an ihrem Wohnort befindet, melden, auch wenn das Verfahren gar nicht konkret gefördert wird (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 12 f.).
93 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen (vgl. Sec. 295 und 295 A), in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn religiöse Gefühle der Ahmadis und anderer religiöser Minderheiten durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 3; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.33).
94 
Der Versuch einer Reform der Blasphemiegesetze ist vollständig gescheitert, insbesondere im Kontext der Ermordung des Gouverneurs von Punjab und des Minsters für Minderheiten im Jahre 2011 (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.76; UNHCHR, Guidelines, S.11 f.; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2011, March 2012, S. 82 und 89 f.; vgl. auch Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 29 f., mit Hinweisen auf öffentliche Äußerungen des pakistanischen Ministers Babar Awan sowie des Premierministers Gilani aus Anlass der Verurteilung der christlichen Frau Asia Bibi). Eine Änderung zum Positiven ist auch mit Rücksicht auf das Ergebnis der Präsidentenwahlen im Mai diesen Jahres, die der Vorsitzende der Muslimliga Nawaz Sharif gewonnen hat, nicht zu erwarten.
95 
Eine im Jahre 2004 eingeführte Reformmaßnahme, wonach nur höhere Offiziere die Ermittlungen führen dürfen, hat nach übereinstimmender Einschätzung keine Verbesserungen gebracht (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12; UNHCR, Guidelines, S. 15).
96 
In den verwerteten Dokumenten wird auch von einem völligen Scheitern und Versagen der Strafjustiz und der Strafverfolgungsorgane gesprochen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.42 f.; UNHCR, Guidelines, S. 6; Parlamentary Human Rights Group (PHRG), Report of PHRG Fact Finding Mission To Pakistan, 24.09.2010, S. 9 f.).
97 
Zwar wurde im September 2008 eine Kommission für Angelegenheiten der Minderheiten installiert (vgl. UNHCR, „Guidelines“, S. 4). Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass diese irgendwelche substantiellen Verbesserungen gebracht hat (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.29; vgl. hierzu auch Upper Tribunal Urteil vom 14.11.2012, S. 15; vgl. auch U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, S. 121 f., wonach zwar von einigen positiven Schritten in jüngster Zeit berichtet wird, die die pakistanische Regierung an höchster Stelle unternommen haben soll, von wirkungsvollen Ergebnissen, insbesondere für das tägliche Leben landesweit, spricht der Report jedoch nicht; es liegt dem Senat auch keine andere Quelle vor, die diesbezüglich verwertbare Informationen enthielte).
98 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen und seine faktische Umsetzung in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte, was exemplarisch durch die in den Jahren 1998 und 2008 gegen alle Einwohner eingeleiteten Verfahren deutlich wird (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.132 ff.). Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten Ziff. 3.b).
99 
e) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf denen öffentlich gebetet wird (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 4, und von 2011, S. 14; U.S. State Department: Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 30; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.143; Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 32). Das gilt insbesondere für die nach ihrem gelebten Glaubensverständnis essentielle jährliche Versammlung („Jalsa Salana“), die letztmals 1983 stattfinden konnte und an der damals 200.000 Gläubige teilnahmen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Jalsa_Salana).
100 
Allerdings wird es Ahmadis nicht von vornherein unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies sicherlich oftmals der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben wird (vgl. schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan von 2011, S. 4), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen (vgl. auch Upper Tribunal, Urteil vom 14.11.2012, S. 18). Möglich ist dieses aber nur noch in kleineren Gebetshäusern, die einen eingeschränkten Bezug zur Öffentlichkeit haben (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Angeben von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart, wonach an Stelle der früheren, 18.000 bis 19.000 Gläubige fassenden Moschee in Rabwah mittlerweile viele kleine Gebetshäuser entstanden sind; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Gefahrlos ist dieses aber auch nicht. Denn die gemeinsame Ausübung des Glaubens wird immer wieder dadurch behindert bzw. unmöglich gemacht, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird oder solche auch von staatlichen Organen zerstört werden (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.132, 19.141 ff., 154; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4 und 13 ff.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3), während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können; Gebetshäuser oder Versammlungsstätten werden immer wieder von Extremisten überfallen (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan,10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.). Gleichwohl geht der Senat in Ermangelung gegenteiliger aussagekräftiger Informationen davon aus, dass Angehörige der Ahmadiyya, die nur derartige Glaubensbetätigungen an den Tag legen und für sich als verbindlich betrachten, damit noch kein „real risk“ eingehen, (von wem auch immer) verfolgt zu werden. Die vom Kläger benannten Fälle, in denen in diesem Jahr auch Verfahren wegen einer Versammlung in (kleineren) Gebetshäusern eingeleitet wurden, stellen diese Annahme nicht grundsätzlich infrage. Anhaltspunkte für die gegenteilige Annahme lassen sich insbesondere auch nicht der Aussage von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 entnehmen (vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Insbesondere ergibt sich aus der Aussage nicht, dass auch diese Personen ihre Aktivitäten vollständig eingestellt haben und etwa die Ahmadi-Gemeinden in Pakistan gewissermaßen nur noch auf dem Papier existieren würden. Im Gegenteil: Allen verwerteten Erkenntnismitteln wie auch den Angaben von Herrn Khan liegt nach Überzeugung des Senats – wenn auch mehr oder weniger unausgesprochen – zugrunde, dass es noch ein, wenn auch eingeschränktes, lokales Gemeindeleben gibt. Treffen in großem Stil zu in erheblichem Maße identitätsstiftenden gemeinsamen Gebeten in ihren großen Moscheen, die die Ahmadis jedoch nicht so nennen dürfen, finden hingegen nicht mehr statt (vgl. die Aussage von Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013). Allerdings ist der Umstand, dass heute auch das gemeinsame Gebet abseits der großen Öffentlichkeit immer wieder behindert und gestört wird bzw. Auslöser für Strafverfahren und Übergriffe privater Akteure sein kann, für die gerichtlicherseits vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 34 ff.) gleichwohl nicht irrelevant, da sie die Lage auch der bekennenden, ihren Glauben in die Öffentlichkeit tragenden Ahmadis mit prägen.
101 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel, andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 7). In diesem Zusammenhang ist aber hervorzuheben, dass sich die Ahmadis als „predigende Religion” verstehen, zu deren sittlichen Verpflichtung es rechnet, den Glauben zu verbreiten und zu verkünden (vgl. Report of the Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16).
102 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 14).
103 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten von Ahmadis im weitesten Sinn werden regelmäßig beschlagnahmt und verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus noch Verbreitung (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 3 und 4 und von 2011, S. 7 und 13 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 30 ff.; vgl. zur Zeitung „Alfzal“ auch Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 37, mit einer Kopie der Verbotsverfügung des Innenministers von Pakistan vom 08.05.2006 und S. 49 f.).
104 
Die Ahmadyyia Gemeinde ist die einzige Gruppe, der ihre im Jahre 1972 verstaatlichten Bildungseinrichtungen (seit 1996) nicht zurückgegeben wurden (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 13 f.)
105 
f) Nur der Vollständigkeit halber soll zur Abrundung des Gesamteindrucks noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden: Die frühere (überdurchschnittliche) Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen ständig (vgl. AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148 f. und 19.164; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report for 2011, S. 5 und 15 f.; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 10; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65, vom 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148, 19.149, 19.164; Immigration and Refugee Board of Canada, S. 3).
106 
g) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligem Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen bewusst untätig zugesehen und sie geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Country Reports on Human Rights Practices Pakistan, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 9 f.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und 4). Dabei wurden in jüngster Vergangenheit auch gezielt Häuser und Geschäfte von Ahmadis niedergebrannt (Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 4). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah. Diese bereits für frühere Zeiträume beschriebene Situation hat sich mittlerweile erheblich verschärft. Es wird übereinstimmend ein vorherrschendes Klima von privaten Akteuren verursachter Gewalt beschrieben, wobei die Gewaltakte bzw. die Aufrufe hierzu regelmäßig sowohl in ordnungsrechtlicher wie erst recht in strafrechtlicher Hinsicht für die Urheber folgenlos bleiben. Es werden regelmäßig regelrechte Hasskampagnen, insbesondere auch Versammlungen und Kundgebungen durchgeführt, auf denen gegen die Ahmadis gehetzt wird und die Besucher aufgewiegelt werden (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.127 f., und sehr ausführlich und anschaulich „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“, S. 2 ff.). Die Wirkungsmächtigkeit der Aktivitäten der maßgeblichen Organisationen sowie einer Vielzahl radikaler Mullahs beruht zu einem guten Teil auf dem Umstand, dass weite Teile der Bevölkerung ungebildet, wenn nicht gar des Schreibens und Lesens nicht mächtig und daher leicht beeinflussbar sind und vor allem das glauben, was sie in den Moscheen hören (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6).
107 
Effektiver Schutz ist regelmäßig nicht zu erlangen (vgl. etwa UNHCR, Guidelines, S. 22; Parliamantary Human Rights Group (PHRG), Fact Finding Mission To Pakistan, S. 3; vgl. beispielhaft zur offensichtlich fehlenden Bereitschaft, den erforderlichen Schutz zu gewähren Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 19, 24 f. und 33 f.). Besonders tut sich in diesem Zusammenhang die Organisation „Khatm-e-Nabuwwat“ hervor (vgl. ausführlich hierzu Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.112 bis 19.119; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8 f.), aber auch die Taliban werden als Urheber benannt (vgl. Rahsid, Pakistan’s failed Commitment, S. 31 ff.). Exemplarisch ist ein Vorfall vom 28.05.2010 anzuführen, bei dem Extremisten der „Khatm-e-Nabuwwat“ anlässlich des Freitagsgebets in Lahore gut koordinierte Angreifer vor zwei Ahmadi-Moscheen „Kill-all“-Rufe skandieren und schließlich die Moscheen stürmen ließen; am Ende wurden 85 Ahmadis getötet und 150 weitere verletzt (Ziff. 19.125; vgl. zum Angriff auf eine Moschee in Rawalpindi am 02.02.2012, Ziff. 19.154). Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass die Organisation mit einem Schwerpunkt auch in Rabwah tätig wird (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.114 f.).
108 
Insgesamt vermittelt die Zusammenstellung des Home Office (Ziff. 19.112 bis 19.147) ein gutes und informatives, aber auch äußerst bedrückendes Bild. Seit 1974 wurden fast 300 Ahmadis allein wegen ihres Glaubens von nicht staatlichen Akteuren getötet. Im Jahre 2010 waren es allein 99. Wie schon erwähnt (vgl. oben IV 1), sind aber verlässliche und aussagekräftige Zahlen nicht zu ermitteln (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.162). Im Hinblick auf die anzustellende Relationsbetrachtung (vgl. hierzu unten Ziffer 3 a) ist bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass im Zusammenhang mit der Benennung der Zahlen nicht zum Ausdruck gebracht wird, wie hoch der Anteil der Betroffenen ist, der die Glaubensbestätigung in der Öffentlichkeit als einen identitätsbestimmenden Teil ihres Glaubens betrachtet. Eine Durchsicht der Zusammenstellung „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (S. 23 ff.) zeigt dies nur zu deutlich; teilweise lässt sich nicht bestimmen, ob der oder die Betreffende dieses Merkmal erfüllt oder nicht. Über das Ausmaß (nur) schwerer nicht tödlich endender Eingriffe in die körperliche Integrität liegen überhaupt keine verlässlichen Zahlen vor (vgl. auch Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Diese Eingriffe und ihr Ausmaß sind aber für die Beurteilung bzw. Qualifizierung des Bedrohungspotentials gleichfalls von erheblicher Relevanz, da sie – neben den staatlichen Verboten und strafrechtlichen Sanktionen - ebenfalls von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung sein können, ob jemand seinen Glauben aktiv in die Öffentlichkeit trägt oder dieses unterlässt.
109 
Nicht speziell in Bezug auf Ahmadis berichtet Rashid zu Todesfällen aufgrund religiös motivierter Gewalt: 2007 seien es über 1.500 gewesen, im Jahre 2008 2.155, im Jahre 2009 über 2.300. Im Jahre 2010 sei die Zahl zwar auf 1.796 zurückgegangen, um dann aber im Jahre 2011 wiederum auf mindestens 2.545 Fälle zu steigen (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 f., dort auch zu Zahlen von Todesopfern unter den Minderheiten der Christen und Hindus; vgl. auch Asian Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 8, wonach in den letzten drei Jahren über 800 Shia Muslime (Schiiten) durch religiöse Gewalt getötet worden seien, ohne dass staatliche Organe irgendwelche glaubwürdigen Gegenmaßnahmen ergriffen hätten; vgl. hierzu auch U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 2012, S. 124). Die sanktionslosen Gewaltexzesse gehen sogar so weit, dass etwa im Juni 2006 ein ganzer von Ahmadis bewohnter Teil eines Dorfes (Jhando Sahi) niedergemacht und zerstört wurde, ohne dass dieses Konsequenzen nach sich gezogen hätte (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 18 und 45 ff.). Andere Quellen sprechen davon, dass nachweisbar 210 Ahmadis wegen ihres Glaubens getötet worden seien; zudem weiß man hiernach von 254 entsprechenden Mordversuchen zu berichten (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.131). In diesen Zahlen dürften die Opfer des Anschlags vom 28.05.2010 in Lahore (siehe oben) allerdings noch nicht enthalten sein.
110 
Dieses Bild der Schutzlosigkeit der Ahmadis wird ergänzt durch die seit 2011 zunehmenden Berichte von Schändungen von Ahmadi-Gräbern im gesamten Punjab (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.156). Zudem schwenken in jüngerer Zeit die Medien, nicht nur das staatliche Fernsehen, sondern auch die traditionell eigentlich eher liberale englischsprachige Presse auf die Anti-Ahmadi-Rhetorik ein. Dies hat zur Folge, dass sich die Auffassung, Ahmadis folgten einer Irrlehre und seien keine Muslime bzw. Apostaten, in der Mehrheitsbevölkerung allgemein durchzusetzen und zum Allgemeingut zu werden beginnt, was zu einer weiteren Verschärfung der allgegenwärtigen Diskriminierungen der Ahmadis führt (Ziff. 19.150). Die Parliamentary Human Rights Group prognostiziert, dass Pakistan – nicht zuletzt auch mit Rücksicht auf seinen Umgang mit den Ahmadis - dabei sei, zu einem „failed state“ zu verkommen (vgl. S. 3). Nach Überzeugung des Senats sind die Ahmadis mittlerweile in eine Situation geraten, in der sie mit guten Gründen im traditionellen mittelalterlichen Sinn als „vogelfrei“ bezeichnet werden können. Dies gilt im Ausgangspunkt für alle „bekennenden“ Ahmadis, auch wenn sie ihren Glauben nicht bekennend und für ihn werbend bewusst in die Öffentlichkeit tragen (wollen). Für den Senat bestehen aber, wie bereits eingangs ausgeführt, keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass für jeden Angehörigen dieser Gruppe bereits ein „reales Risiko“ besteht.
111 
Typisch für das Klima der Gewalt ist etwa eine Äußerung des früheren Ministers für Religionsangelegenheiten Amir Liaquat Hussain, die dieser ungestraft im Jahre 2008 in einer beliebten Fernsehshow gemacht hatte, wonach es sowohl notwendig sei, aber auch dem Islam entspreche, alle Ahmadis zu töten (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 23). Im Dezember 2010 konnte ein einflussreicher Kleriker, Yousef Qureshi, 6.000 US Dollar für die Ermordung der Christin Asia Bibi ausloben, ohne dass dieses irgendwelche Konsequenzen für ihn hatte. Nach der Ermordung des Gouverneurs der Provinz Punjab, der sich für eine Reform der Blasphemiegesetze stark gemacht hatte, am 03.01.2011, wurde dessen Tod richtiggehend gefeiert. Dabei konnten ungestraft 500 Kleriker öffentlich verkünden, dass dessen Tod ein Sieg für das gesamte Land sei (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 30).
112 
Von der Parlamantary Human Rights Group wird – gut nachvollziehbar – bereits bezogen auf das Jahr 2006 die Lage so eingeschätzt, dass der gesamte Prozess der Regierung nicht mehr umkehrbar entglitten ist und sie gewissermaßen die Geister, die sie rief, nicht mehr in los wird (vgl. Januar 2007, S. 8).
113 
3. a) Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) schon im Jahre 2005 und somit vor der mittlerweile stattgefundenen und weiter stattfindenden Verschärfung der Lage in der Weise zusammenfassend charakterisiert worden war, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellte und stellt nunmehr umso mehr für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen identitätsbestimmender Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL dar. Der Präsident von amnesty international Pakistan wurde dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführe, dass es niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.; vgl. aber zur gleichfalls prekären, durch Marginalisierung und Armut geprägten und sich zunehmend verschlechternden Lage der Christen U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, 121 ff., 125 f.; UNHCR, Guidelines, S. 25 ff.)
114 
Von zentraler Bedeutung für die Einschätzung der Lage der Ahmadis durch den Senat ist dabei das gegen sie gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot, sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis in vielfältiger Weise insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b) QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen weiteren Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c) QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn namentlich jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung oder sonstiger Leib und Leben gefährdender Übergriffe möglich sind. Diese Verbote sind auch eine wesentliche ideologische Absicherung und Grundlage für das zunehmend aggressiv werdende Handeln privater Akteure gegenüber Mitgliedern der Religionsgemeinschaft der Ahmadis. Die Blasphemiegesetze werden von Human Rights Watch Asia als ein wesentlicher Nährboden für die zunehmende extremistische und religiös begründete Gewalt beschrieben und bewertet (so Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 16 f.; vgl. auch ders. S. 9 mit dem Hinweis, dass eine weitere Ursache der Gewalt jedenfalls gegenüber den Ahmadis darin zu erblicken sei, dass es diese konsequent und einschränkungslos ablehnen, den Islam mit Gewalt zu verbreiten; vgl. auch Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6 und 9 die zusätzlich darauf hinweist, dass in der muslimischen Mehrheitsbevölkerung die Ansicht weit verbreitet ist, die Ahmadiyya Bewegung sei ein Produkt der britischen Kolonisatoren, um die Muslime zu spalten). Die Kehrseite von alledem ist dann, dass auch der solchermaßen erzwungene Verzicht auf öffentlichkeitsbezogenes Glaubensleben bei dem hier in den Blick zu nehmenden Personenkreis eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt, die für sich betrachtet bereits die maßgebliche Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt und die selbst auf Eingriffshandlungen zurückzuführen ist, die ihrer Art und Wiederholung nach keine gleichartigen Eingriffshandlungen ausmachen (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL; vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 37). Denn bezogen auf das jeweilige betroffene Subjekt ist gewissermaßen in erster Linie das Ergebnis bzw. der Erfolg relevant, nämlich den Glauben nicht mehr öffentlichkeitswirksam in zumutbarer Weise auszuüben oder ausüben zu können. Eine Unterscheidung zwischen einem durch staatliche Maßnahmen induzierten Verzicht (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a) QRL) und einem solchen, der auf das Handeln nicht staatlicher Akteure zurückgeht ist (vgl. dann Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL), ist dabei nicht möglich und wäre völlig lebensfremd. Sie würde namentlich an der Realität in Pakistan vorbeigehen. Die Beweggründe für einen bekennenden Ahmadi, entgegen seinem verpflichtenden Glaubensverständnis den Glauben gleichwohl nicht in die Öffentlichkeit zu tragen, können und werden notwendigerweise nicht eindimensional sein.
115 
Bei diesem Ausgangspunkt kann für die bei einem – wie hier – unverfolgt ausgereisten Ahmadi, der glaubhaft erklärt hat, er werde im Falle der Rückkehr aus Furcht seinen Glauben nicht öffentlich bekennen bzw. für ihn werben, anzustellende Verfolgungsprognose nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung bezogen auf den hier zu betrachtenden Personenkreis rechtfertigen würden. Geht man von deutlich mehr als 60.000 eingeleiteten Strafverfahren (zuzüglich der im Jahre 1989 gegen die Bewohner Rabwahs eingeleiteten Verfahren, deren Zahl nicht bekannt ist) in einem Zeitraum von knapp dreißig Jahren aus, so darf allerdings nicht unterstellt werden, dass jedes dieser Verfahren schon mit einem relevanten Verfolgungseingriff verbunden war (vgl. hierzu auch oben 2 c). Daher erscheint auf den ersten Blick dann eine darunter liegende Zahl eher zu gering und nicht geeignet zu sein, eine ausreichende Verfolgungswahrscheinlichkeit zu begründen. Hiermit kann es aber nicht sein Bewenden haben. Hinzugezählt werden müssen, wie bereits erwähnt, nämlich die vielfältigen und unzweifelhaft zahlreichen, strafrechtlich bzw. ordnungsrechtlich nicht geahndeten Verfolgungsakte privater Akteure, die das tägliche Leben eines gläubigen und in der Öffentlichkeit bekennenden Ahmadi unmittelbar in sicherheitsrelevanter Weise berühren, wenn nicht gar prägen und in dieses eingreifen, wobei allerdings, wie bereits ausgeführt, die Eingriffe seriös und belastbar nicht quantifiziert werden können. Entgegen dem in Rdn. 33 des Revisionsurteils vermittelten Eindruck kann bei der Relationsbeurteilung auch nicht allein darauf abgestellt werden, in wie viel Fällen Strafverfahren eingeleitet und durchgeführt wurden bzw. werden. Denn das erzwungene Schweigen der hier interessierenden Personengruppe, das den relevanten Verfolgungseingriff darstellen kann, beruht, wie bereits ausgeführt, auch, wenn nicht gar überwiegend, auf den gewalttätigen, Leib und Leben gefährdenden bzw. sogar verletzenden Handlungen privater Akteure, die ungehindert und ungestraft vorgehen können und die damit nach Art. 6 lit. c) QRL flüchtlingsrechtlich relevant sind. Wollte man diesen Faktor unberücksichtigt lassen, würde ein völlig falsches Bild von der Situation der Ahmadis und deren Motivationslage gewonnen. Der Senat sieht sich nicht durch § 144 Abs. 6 VwGO gehindert, im Kontext der Relationsbetrachtung eine (unerlässliche) Ergänzung um diesen Gesichtspunkt vorzunehmen, weil er – nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Ausführungen unter Rdn. 25 des Revisionsurteils - nicht zu erkennen vermag, dass die Vorgaben des Revisionsurteils an dieser Stelle abschließenden Charakter haben. Wenn das Bundesverwaltungsgericht dort davon spricht, dass die vom Europäischen Gerichtshof angesprochene Verfolgung eine strafrechtlich relevante sein müsse, so wird diese Interpretation zwar vom Kläger infrage gestellt, gleichwohl sprechen aus der Sicht des Senats die besseren Gründe für die Sichtweise des Bundesverwaltungsgerichts. Zwar führt dieses dann dazu, dass die Verfolgungshandlungen der strafrechtlichen Verfolgung wie auch der Bestrafung nur solche sein können, die von staatlichen Akteuren ausgehen. Dieses gilt jedoch nicht in gleicher Weise für die unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung, die ohne weiteres auch nicht staatlichen Akteuren zugeordnet werden kann. Leibes- und lebensbedrohende Übergriffe privater Akteure auf einen Andersgläubigen sind aber zwanglos als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu begreifen.
116 
Aus allen vorliegenden Informationen kann nach Überzeugung des Senats auch der hinreichend verlässliche Schluss gezogen werden, dass für diejenigen Ahmadis, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und das Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen, in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko besteht, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen (würden). Denn bei dieser wertenden Betrachtung ist auch das erhebliche Risiko für Leib und Leben - insbesondere einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten bzw. gravierenden Übergriffen privater Akteure - zu berücksichtigen, sodass an den Nachweis der Verfolgungswahrscheinlichkeit keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen. Es entspricht der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung auch schon dann vorliegen kann, wenn aufgrund einer „quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für die Realisierung eines Verfolgungseingriffs besteht. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise eher nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er sein Heimatstaat verlassen soll oder in dieses zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber - wie im Falle der Ahmadi in Pakistan - jahrelange Haft, Folter oder gar Todesstrafe oder Tod oder schwere Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit seitens Dritter riskiert (BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162; vgl. nunmehr auch Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - Rdn. 32). Handelt es sich demnach um einen aktiv bekennenden Ahmadi, für den die öffentliche Glaubensbetätigung zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, muss landesweit von einem realen Verfolgungsrisiko ausgegangen werden.
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Selbst wenn man realistischer Weise nicht der Einschätzung des vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 12.03.2013 vernommenen Herr Khan folgt, dass es etwa 400.000 bekennende Ahmadis in Pakistan gebe und im Wesentlichen alle aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen auf eine öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigung verzichten und nicht etwa teilweise auch aus Opportunität, weil sie letztlich doch nicht so eng dem Glauben verbunden sind bzw. weil für sie der spezifische Öffentlichkeitsbezug nicht Teil ihres bestimmenden religiösen Selbstverständnisses ist, so kann doch nicht von der Hand gewiesen werden, dass es angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten, lebens- und leibesbedrohenden Übergriffe extremistischer Gruppen für viele gläubige Ahmadis der gesunde Menschenverstand nahelegen, wenn nicht gar gebieten wird, öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für viele Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Gemeinschaft der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit sei nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks. Diese seit nunmehr weit über nahezu 30 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und -bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Eine verlässliche Zahl derer, die aus Furcht vor staatlichen und/oder privaten Eingriffen auf eine Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit verzichten, ist in diesem Zusammenhang naturgemäß nicht zu ermitteln, da hierüber keine Aufzeichnungen gemacht und Statistiken geführt werden und es sich regelmäßig auch um innere Meinungsbildungsprozesse handeln wird.
118 
Allerdings sieht sich der Senat nicht in der Lage, eine besondere und zusätzliche Relationsbetrachtung (vgl. Rdn. 33 des Revisionsurteils), die der Absicherung der Einschätzung und zur Plausibilisierung des Verfolgungsrisikos dienen soll, in quantitativer Hinsicht vollständig anzustellen. Wie bereits ausgeführt, lässt sich der in diesem Zusammenhang einzusetzende Faktor der Zahl derjenigen Ahmadi, die trotz aller Verbote, Strafandrohungen, Strafverfahren, verhängter Strafen sowie Leib oder Leben gefährdender Angriffe privater Akteure weiter öffentlichkeitswirksam agieren, nicht annähernd zuverlässig ermitteln, woran die Relationsbetrachtung bereits scheitern muss, wobei ergänzend anzumerken ist, dass nach den einleuchtenden Ausführungen von Herrn Khan gegenüber dem VG Stuttgart alles dafür spricht, dass es eine relevante Anzahl überhaupt nicht mehr gibt. Diese faktischen Grenzen der Ermittlungsmöglichkeiten dürfen allerdings nicht zwangsläufig zu Lasten der Schutzsuchenden und Schutzbedürftigen gehen. Wenn sich aus anderen Erkenntnisquellen plausible Schlussfolgerungen ziehen lassen, die noch hinreichend verlässlich sind, gebietet es im Interesse eines wirksamen und menschenrechtsfreundlichen Flüchtlingsschutzes der unionsrechtliche Grundsatz des „effet utile“, damit sein Bewenden haben zu lassen.
119 
Der Senat verwertet allerdings die von Herrn Khan beim Verwaltungsgericht Stuttgart gemachten Angaben, wonach grundsätzlich jeder Ahmadi, der heute auf öffentlichen Plätzen für seinen Glauben werben würde, damit zu rechnen hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar erhebliche Nachteile zu erleiden (wie Gewaltanwendung staatlicher Organe oder privater Akteure, Strafverfahren und strafrechtliche Sanktionen), weshalb derartiges faktisch kaum mehr stattfindet. Da diese Einschätzung nach den oben gemachten Feststellungen ohne weiteres plausibel ist, sieht der Senat keinen Anlass an deren Zuverlässigkeit zu zweifeln, auch wenn Herr Khan, der als Flüchtling anerkannt ist, sicherlich insoweit gewissermaßen „Partei“ ist, als er selber Ahmadi und unmittelbar den Institutionen der Glaubensgemeinschaft der Ahmadis in Deutschland verbunden ist. Nimmt man noch den von Herrn Khan geschilderten Gesichtspunkt hinzu, dass heute praktisch kein Ahmadi mehr in den großen Moscheen bzw. Gebetshäusern erscheint, um in Gemeinschaft mit anderen am öffentlichen Gebet teilzunehmen, sei es aus Furcht vor staatlichen Eingriffen, sei es (noch wahrscheinlicher) vor privaten Akteuren, so muss nach Überzeugung des Senats von einer (ausreichend) hohen Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, dass ein Ahmadi, der sich nicht um Verbote etc. kümmert und gleichwohl in der Öffentlichkeit agiert, Opfer erheblicher Ein- und Übergriffe werden wird, und deshalb der Verzicht auf ein öffentlichkeitswirksames Glaubensbekenntnis in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Verboten und dem Verhalten privater feindlicher Akteure steht und maßgeblich hierauf beruht.
120 
Selbst wenn man der Auffassung sein wollte, dass der auf die dargestellte Art und Weise verursachte Verzicht auf jede öffentliche Glaubensbetätigung allein noch nicht die Qualität eines relevanten Verfolgungseingriffs hat, so ergibt sich ein solcher jedenfalls aus einer wertenden Zusammenschau dieses Aspekts mit den oben beschriebenen vielfältigen Diskriminierungen und Einschränkungen, die für sich betrachtet entweder noch keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit im konkreten Einzelfall begründen bzw. nicht die erforderliche Schwere aufweisen mögen. Wegen dieser letztlich maßgeblichen Gesamtschau liegt dann in jedem Fall eine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL vor.
121 
b) Einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, zu dessen verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und ggfs. auch zu werben oder zu missionieren, steht kein interner Schutz im Sinne des Art. 8 QRL offen, d.h. es gibt keinen Landesteil, in dem er in zumutbarer Weise und ungefährdet seinen Glauben öffentlich leben kann. Was die dem pakistanischen Staat unmittelbar zuzurechnenden Eingriffe betrifft, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen landesweit die gleichen. Gerade der Umstand, dass 1989 und 2008 Strafverfahren gegen alle Ahmadis in Rabwah eingeleitet worden waren, belegt dieses eindringlich. Was die Aktionen privater Akteure betrifft, geht die Einschätzung der Parliamentary Human Rights Group - PHRG - (Report of the PHRG Fact Finding Mission to Pakistan vom 24.10.2010, S. 2) und der von ihr angehörten Gewährspersonen dahin, dass eine ausreichende Sicherheit auch nicht in Rabwah besteht. Der Präsident von amnesty international von Pakistan wird dahin gehend zitiert, dass Ahmadis nirgends sicher seien, auch nicht in Rabwah, denn die Polizei würde auch den erforderlichen Schutz dort nicht gewähren, was er plausibel damit erklärt, dass die bereits erwähnte Gruppierung Khatm-e Nabuwwat einen Schwerpunkt ihrer Betätigung in Rabwah hat, wenn er auch nicht gänzlich in Abrede stellt, dass das Sicherheitsniveau dort etwas höher sei, besser wäre hier allerdings davon zu sprechen, dass das Unsicherheitsniveau etwas niedriger ist (vgl. zu alledem Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.145 ff.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 20 ff. mit vielen Einzelaspekten). Die Situation wird – in erster Linie in Bezug auf nicht staatliche Akteure – auch so beschrieben, dass die Bedrohung von Ort zu Ort unterschiedlich ist und von Jahr zu Jahr wechselt (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.151). Ganz abgesehen davon ist für den Senat nicht ersichtlich, dass alle landesweit lebenden Ahmadis in Rabwah eine den Anforderungen des Art. 8 QRL genügende wirtschaftliche Existenz finden könnten (vgl. UNHCR, Guidelines, S. 43, und ausführlich zur wirtschaftlichen Situation in Rabwah Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 7 und 24 ff.).
122 
4. Gläubige Ahmadis hingegen, die nicht zu der oben beschriebenen Gruppe rechnen, weil für sie der Aspekt des aktiven Bekenntnisses in der Öffentlichkeit keine besondere Bedeutung hat, können hiernach nur dann von einem Verfolgungseingriff aufgrund einer kumulativen Betrachtungsweise nach Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL betroffen sein, wenn nach den Verhältnissen in Pakistan diese Betroffenheit sich generell aufgrund sonstiger Diskriminierungen als eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellen würde. Von einer generellen Betroffenheit aller Mitglieder der Teilmenge der gläubigen, ihren Glauben auch (ohne direkten Öffentlichkeitsbezug) praktizierenden Ahmadi kann, was die die oben angesprochenen Diskriminierungen im Bildungswesen und beruflicher Art betrifft, noch nicht gesprochen werden. Hier kann sich allein im Einzelfall aus einer Gesamtschau eine ausreichende Schwere der Verletzung ergeben. Allerdings besteht eine generelle Betroffenheit insoweit, als sie sich nicht einmal als Moslems bezeichnen dürfen und die Finalität des Propheten Mohamed anerkennen müssen, was dann mittelbar eine gleichberechtigte Teilhabe an den staatsbürgerlichen Rechten, wie dem Wahlrecht unmöglich macht. Da jedoch die eigentlich Glaubensbetätigung auch außerhalb des eigentlichen „forum internum“ – vorbehaltlich weiterer künftiger Verschärfungen insbesondere von Seiten privater Akteure – noch möglich ist, ohne dass dieses mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erheblichen Beeinträchtigungen führt, liegt nach Auffassung des Senats, obwohl diese Betätigungen keineswegs risikofrei sind, noch keine auf diese bezogene schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach der vom Europäischen Gerichtshof in seiner Rechtsprechung verbindlich entwickelten Auslegung des Art. 9 Abs. 1 QRL vor.
123 
Etwas anderes gilt selbstverständlich auch dann, wenn ein solcher Ahmadi unmittelbar und konkret von einem staatlichen Verfolgungsakt betroffen ist, der an seine religiöse Überzeugung anknüpft (vgl. Art. 10 Abs. 2 QRL), der mit einem Eingriff in Leib, Leben oder Freiheit (im engeren Sinn) verbunden ist; ebenso dann, wenn ein derartiger Eingriff von nicht staatlichen Akteuren ausgeht und die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 QRL nicht vorliegen, wovon aber nach vom Senat getroffenen Feststellungen (vgl. oben 2 g) auszugehen ist.
124 
V. Der Senat ist gleichfalls überzeugt, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Er kann zunächst auf die Ausführungen im Urteil vom 13.12.2011 verweisen. An dieser Einschätzung ist auch nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung festzuhalten. Er hat – wenn auch mit einfachen Worten – dem Senat die Überzeugung vermittelt, dass das öffentliche und auch werbende Bekenntnis für seinen Glauben für ihn selbst von großer Bedeutung ist, er tatsächlich danach lebt und es ihn erheblich belasten würde, wenn er dieses aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen unterlassen müsste.
125 
Damit gehört der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehen und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen sind.
126 
VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.
127 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung der Ziffern 1, 3, 4, 5, und 6 des Bescheides des Bundesamtes für ... vom 10. Februar 2016 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger und nach eigenen Angaben dem Volk der Punjabis zugehörig sowie Angehöriger der Glaubensgemeinschaft Ahmadiyya Muslim Jamaat. Nach seinen Angaben reiste er am ... 2012 auf dem Luftweg in die ... ein und stellte am ... 2012 einen Asylantrag.

Bei der Befragung zur Vorbereitung der Anhörung beim Bundesamt für ... (im folgenden Bundesamt) am 22. November 2012 gab der Kläger im Wesentlichen an, ein Schleuser habe ihm einen pakistanischen Reisepass und ein Visum für die ... besorgt, für die Reise habe er 1,6 Mio. Rupien bezahlt. Der Kläger sei von L. aus über D. nach ... geflogen, er wisse aber nicht mehr, an welchem deutschen Flughafen er gelandet sei.

Ausweislich einer Auskunft des Deutschen Generalkonsulates in K., Pakistan, wurde dem Kläger ein Schengen-Visum mit Gültigkeit vom 15. August 2012 bis 14. Oktober 2012 erteilt (Bl. 43 ff. der Behördenakte).

Bei seiner Anhörung am 8. März 2013 gab der Kläger im Wesentlichen an, das Visum für die Einreise habe ein Schleuser besorgt, er habe dafür keinerlei Unterschriften geleistet. Er habe sich bis zu seiner Ausreise in B. aufgehalten. Er sei verheiratet und habe fünf Kinder, seine Familie lebe in Ch. N.(R.). Der Kläger habe in K. für einen Kurierservice für ca. 8.000 Rupien im Monat gearbeitet. Er habe seinen Arbeitsplatz vor zwei Jahren verloren und dann trotz Bewerbungen bei anderen Kurierfirmen keine Beschäftigung mehr gefunden, weil er Ahmadi sei. Auch als Koch habe er keine Arbeit gefunden, auch nicht in Ch. N., wo zwar viele Ahmadis lebten, es aber nur wenige Restaurants gebe. Dort, wo er mit seiner Familie gewohnt habe, sei es nicht einfach gewesen. Die Familie habe einige Male umziehen müssen, wenn der Vermieter erfahren habe, dass sie Ahmadis seien. Die Kinder seien in der Schule geohrfeigt worden. Der Kläger habe versucht, sich selbständig zu machen, weil er Ahmadi sei, habe aber niemand ein Geschäft zur Verfügung stellen wollen. Dies habe ihn so belastet, dass er krank geworden sei. Zwei Jahre lang habe er keine Arbeit gefunden und sei in dieser Zeit von den Eltern und Schwiegereltern finanziell unterstützt worden. Er habe außerdem sein Haus, das er vor eineinhalb Jahren mit Geld von seinem Vater gekauft habe, wieder verkaufen müssen. Er habe versucht, sich mit einem Kurierservice in B. selbständig zu machen, habe aber am Basar, wo die anderen Kurierdienste ihre Ladenlokale hätten, kein Geschäft bekommen können. Dort seien zwar noch Geschäfte frei gewesen, man habe ihm aber gesagt, dass er als Ahmadi keines davon bekommen werde. Er habe versucht, an anderer Stelle einen Kurierdienst zu betreiben, habe aber trotz Werbung keine Kundschaft gewinnen können und das Vorhaben nach weniger als einem Monat wieder aufgegeben. Er habe außerdem Drohbriefe von unbekannten Absendern erhalten, die unter der Tür durchgeschoben worden seien. Anlass für diese Briefe, die viele Beschimpfungen enthalten hätten, sei gewesen, dass in seinem Haus in B. monatliche Versammlungen der Ahmadi-Frauen stattgefunden hätten. Er habe seine Frau und seine Kinder vor der Ausreise nach Ch. N. gebracht, weil sich sonst niemand um sie kümmern könne. Der Kläger legte dem Bundesamt außerdem eine Bescheinigung des Ahmadiyya Muslim Jamaat e.V., Frankfurt a.M. vom 11. März 2013 vor, wonach er seit Geburt Mitglied der Ahmadiyya Muslim Jamaat sei.

Mit Schreiben an das Bundesamt vom 23. April 2015 wies der Bevollmächtigte des Klägers unter Vorlage mehrerer Fotos und Unterlagen darauf hin, dass der Kläger eine religiös geprägte Persönlichkeit sei. Er sei ein sogenannter Mußi, also Mitglied einer elitären Sondergruppe der Ahmadis, die sich durch besondere Hingabe auszeichne und einen etwa doppelt so hohen Mitgliedsbeitrag zahle. Der Kläger habe im Briefverkehr mit dem Kalifen, dem Oberhaupt der Ahmadiyya-Gemeinde in London gestanden, diesen auch persönlich getroffen und an der Jahresversammlung Jalsa Salana sowie an den Aktivitäten des Sozialdienstes teilgenommen. Er nehme auch am sogenannten Tabligh, den Aktivitäten der Werbung und Information über den Ahmadiyya-Glauben teil.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 10. Februar 2016 wurde der Antrag des Klägers auf Asylanerkennung abgelehnt (Ziffer 2 des Bescheides), die Flüchtlingseigenschaft sowie der subsidiäre Schutzstatus wurden nicht zuerkannt (Ziffern 1 und 3 des Bescheides). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Ziffer 4 des Bescheides). Der Kläger wurde aufgefordert, die ... binnen 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen, widrigenfalls wurde ihm die Abschiebung nach Pakistan oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht (Ziffer 5 des Bescheides). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6 des Bescheides). Zur Begründung wird ausgeführt, der pauschale Verweis auf Diskriminierungen im Heimatland reiche nicht aus, vielmehr müsse im Einzelfall dargelegt werden, durch welche Maßnahmen der Asylantragsteller betroffen gewesen sei. Eine solche individuelle Verfolgung habe der Kläger aber nicht hinreichend substantiiert schildern können. Der Rest der Familie des Klägers könne offenbar unbehelligt in Ch. N. leben, dies spreche gegen ein ernsthaftes und landesweites Verfolgungsinteresse seitens nichtstaatlicher Stellen. Der Kläger könne sich nicht allein wegen seiner Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft auf eine Gruppenverfolgung berufen. Auch sei zu Lasten des Klägers zu würdigen, dass er hinsichtlich der Sachverhaltsaufklärung zu seinen Reiseformalitäten und seinen Personalien ein Beweis vereitelndes und Beweis vernichtendes Verhalten gezeigt habe. Der Bescheid wurde am 16. Februar 2016 mit Einschreiben an den Bevollmächtigten des Klägers versandt.

Mit Schriftsatz vom 24. Februar 2016, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am 25. Februar 2016, ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage erheben und beantragen,

die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und den Bescheid des Bundesamtes für ... vom 10. Februar 2016 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht,

hilfsweise ihm subsidiären Schutz zu gewähren,

weiter hilfsweise ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG festzustellen.

Wegen der speziell gegen Ahmadis gerichteten Gesetzgebung Pakistans bestehe für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen Ahmadi, zu dessen Überzeugung auch die öffentliche Religionsausübung gehöre, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer an die Religion anknüpfenden Verfolgung. Wegen der massiven Diskriminierungen und Übergriffe auf Ahmadis in Pakistan seien diese gezwungen, alle öffentlichkeitswirksamen Glaubensbetätigungen zu unterlassen oder auf ein Minimum zu beschränken.

Mit Schriftsatz vom 29. Februar 2016 beantragte das Bundesamt für die Beklagte,

die Klage abzuweisen.

Der Bevollmächtigte des Klägers wies mit Schriftsätzen vom 1. März 2016 und 11. März 2016 darauf hin, dass die in der Vergangenheit liegende Verfolgung des Klägers in Pakistan nachrangig sei. Vielmehr komme es wesentlich auf seine Religionsausübungsfreiheit an, die durch die pakistanischen Strafvorschriften und dem dadurch abgenötigten Verzichtsverhalten beschränkt werde.

Mit Schreiben vom 22. März 2016 trug der Bevollmächtigte des Klägers vor, dieser sei eine religiös geprägte Persönlichkeit, die sich durch eine sehr starke Glaubensgebundenheit auszeichne. Der Kläger habe im Briefverkehr mit dem Kalifen, dem Oberhaupt der Ahmadiyya-Gemeinde in London gestanden, diesen auch persönlich getroffen und aktiv an der Jahresversammlung Jalsa Salana sowie an den Aktivitäten des Sozialdienstes teilgenommen. Er besuche häufig die Ahmadi-Moschee in München, um an deren Unterhaltung, Säuberung und der Vorbereitung der dortigen Veranstaltungen mitzuwirken. Ebenso wirke er bei Aktionen des Sozialdienstes ... mit, bei denen beispielsweise an Neujahr Innenstädte vom Müll der Silvesterfeiern gesäubert würden. Er nehme auch am sogenannten Tabligh, den Aktivitäten der Werbung und Information über den Ahmadiyya-Glauben teil. Der Kläger sei im Übrigen ein sogenannter Mußi, also Mitglied einer elitären Sondergruppe der Ahmadis, die sich durch besondere Hingabe auszeichne und einen etwa doppelt so hohen Mitgliedsbeitrag zahle.

Mit Schriftsatz vom 10. Mai 2016 legte der Kläger eine Bescheinigung der Ahmadiyya Muslim Jamaat K.d.ö.R. vom 6. Mai 2016 vor, wonach er gebürtiges Mitglied der Ahmadi-Gemeinde und ein Mußi sei. Er nehme regelmäßig an Gebeten in der Moschee sowie an lokalen und zentralen Gemeindeveranstaltungen teil und entrichte seine Mitgliedsbeiträge ordnungsgemäß. Derzeit diene er seiner Lokalgemeinde als Sekretär für Verpflegung und der lokalen Seniorenorganisation als Zuständiger für Koranunterricht und für Sonderspenden. Außerdem helfe er seiner örtlichen Gemeinde bei Informationsständen, sozialen Aktivitäten und ehrenamtlichen Gemeindetätigkeiten. Sein Verhalten der Gemeinde gegenüber sei zufriedenstellend.

Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 14. März 2017 Bezug genommen. Ergänzend wird nach § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Gründe

1. Die zulässige Klage hat Erfolg. Dem Kläger steht der im Hauptantrag geltend gemachte Anspruch auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus gemäß § 3 des Asylgesetzes (AsylG) zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO); der insofern entgegenstehende Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 2016 war daher in dessen Ziffern 1, 3, 4, 5 und 6 aufzuheben.

a) Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss auch in Asylstreitigkeiten das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit - und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit - des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 - 9 B 239/89 - InfAuslR 1989, 349). Das Tatsachengericht darf dabei berücksichtigen, dass die Befragung von Asylbewerbern aus anderen Kulturkreisen mit erheblichen Problemen verbunden ist (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989, a.a.O.). Der Asylbewerber befindet sich typischerweise in Beweisnot. Er ist als „Zeuge in eigener Sache“ zumeist das einzige Beweismittel. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und die Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an. Wer durch Vortrag eines Verfolgungsschicksals um Asyl nachsucht, ist in der Regel der deutschen Sprache nicht mächtig und deshalb auf die Hilfe eines Sprachmittlers angewiesen, um sich mit seinem Begehren verständlich zu machen. Zudem ist er in aller Regel mit den kulturellen und sozialen Gegebenheiten des Aufnahmelands, mit Behördenzuständigkeiten und Verfahrensabläufen sowie mit den sonstigen geschriebenen und ungeschriebenen Regeln, auf die er nunmehr achten soll, nicht vertraut. Es kommt hinzu, dass Asylbewerber, die alsbald nach ihrer Ankunft angehört werden, etwaige physische und psychische Auswirkungen einer Verfolgung und Flucht möglicherweise noch nicht überwunden haben und dies ihre Fähigkeit zu einer überzeugenden Schilderung ihres Fluchtgrunds beeinträchtigen kann (BVerfG, U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1516/93 - NVwZ 1996, 678).

Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG. Das Gericht ist der Überzeugung, dass dem Kläger als bekennendem Ahmadi im Herkunftsland ernsthafter Schaden droht.

b) Die Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad gegründet. Dieser beansprucht Messias, Mahdi, Prophet, die geistige Wiedergeburt Jesu, Mohameds, Vishnus, Krishnas, Buddhas und der Reformer am Anfang der tausendjährigen Endzeit zu sein, den wahren Islam zu vertreten und ihn durch seine Bewegung innerhalb von 300 Jahren zum Sieg über alle anderen Religionen und islamischen Konfessionen zu führen. In ihrer Dogmatik weicht die Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya von den sunnitischen und schiitischen Hauptrichtungen des Islam, vor allem in ihrer Prophetenlehre, ab, weil sie Mohamed nicht als letzten Propheten ansieht. Vor allem aufgrund der Infragestellung der Finalität des Prophetentums Mohameds, eines essentiellen Bestandteils des Glaubens anderer islamischer Gemeinschaften, sind die Ahmadis insbesondere aus der Sicht orthodoxer Muslime Apostaten, die ihr Leben verwirkt haben. Aufgrund ihres Selbstverständnisses werden Ahmadis in Pakistan durch eine speziell gegen sie gerichtete Gesetzgebung diskriminiert. Der Islam wird in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erhoben. Durch eine Verfassungsänderung im Jahr 1974 wurden die Ahmadis ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit bezeichnet und geführt. Nach der pakistanischen Verfassung ist kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Propheten Mohamed glaubt oder andere Propheten als Mohamed anerkennt. Aus diesem verfassungsunmittelbaren Verbot, sich als Muslime zu begreifen und zu verstehen, ergeben sich für die Ahmadis in allen Lebensbereichen Einschränkungen und Verbote. Sie können bei Wahlen nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren und nur solche wählen. Um ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren und gewählt werden zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetentums Mohameds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert. Es ist Ahmadis in Pakistan außerdem untersagt, zum Gebet aufzurufen, ihre Gebetshäuser Moschee zu nennen, öffentliche Versammlungen oder religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, für den Glauben zu werben, an der Pilgerfahrt nach Mekka teilzunehmen und Literatur oder andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalt zu verbreiten. Außerdem dürfen sie geläufige religiöse Sprechweisen nicht benutzen, weil dies den Eindruck erwecken könne, sie seien Muslime (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Österreich, Analysen Pakistan, Ahmadiyya-Entstehung und Glauben, 15.4.2013; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan, Stand: Mai 2016).

Das Gericht geht allerdings in Übereinstimmung mit der überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung davon aus, dass Angehörige der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya Muslim Jamaat in Pakistan nicht allein wegen ihres Glaubens und der Praktizierung ihres Glaubens einer Gruppenverfolgung ausgesetzt sind (vgl. ausführlich VGH BW, U.v. 12.6.2013 - A 11 S 757/13 - juris Rn. 57 ff.; BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67; OVG NW, B.v. 19.12.2016 - 4 A 2203/15.A - juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 5.2.2016 - 21 ZB 16.30014 - juris Rn. 9; SächsOVG, U.v. 18.9.2014 - A 1 A 348/13 - juris Rn. 43; VG München, U.v. 18.5.2016 - M 23 K 14.31133 - juris Rn. 26; VG Oldenburg, U.v. 30.1.2017 - 5 A 513/14 - juris Rn. 50 ff.). Anhaltspunkte dafür, dass sich die Bedingungen wesentlich verschlechtert haben, sind nicht vorgetragen und sind auch den Erkenntnismitteln, die Gegenstand des Verfahrens sind, nicht zu entnehmen. Auch der aktuelle Lagebericht führt zwar aus, dass die islamische Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya nach der pakistanischen Verfassung nicht als muslimisch anerkannt werde und Ahmadis durch eine speziell gegen sie gerichtete Gesetzgebung diskriminiert würden. Der weitaus größte Teil der Ahmadis lebt danach jedoch friedlich mit den muslimischen Nachbarn zusammen, auch wenn weiterhin über Fälle von Repressionen Dritter gegen Ahmadis (beispielsweise Aufrufe zu Übergriffen über Moscheelautsprecher) berichtet wird (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan, Stand: Mai 2016, S. 14 f.). Im Übrigen kann insoweit auch auf die zutreffende Begründung des streitgegenständlichen Bescheides Bezug genommen werden, § 77 Abs. 2 AsylG.

c) Etwas anderes gilt jedoch für diejenigen Ahmadi, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und ihr Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen. Für diese Personen besteht in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen würden. Sie haben mit einem erheblichen Risiko für Leib und Leben durch die Gefahr einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten oder gravierenden Übergriffen privater Akteure zu rechnen (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67; VGH BW, U.v. 12.6.2013 - A 11 S 757/13 - juris Rn. 113 ff.; VG München, U.v. 23.3.2016 - M 23 K 13.31367 - juris Rn. 18). Ein Angehöriger der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya aus Pakistan, für den das Leben und Bekennen seines Glaubens in der Öffentlichkeit identitätsbestimmender Teil seines Glaubensverständnisses ist, kann die Flüchtlingseigenschaft auch dann, wenn er im Falle der Rückkehr sein öffentliches Glaubensbekenntnis unterlassen würde, besitzen (vgl. VGH BW, a.a.O., Rn. 46). Denn das auch in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EUGRCh) verankerten Recht auf Religionsfreiheit ist ein grundlegendes Menschenrecht, das eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft darstellt und Art. 9 EMRK entspricht. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann (EuGH, U.v. 5.9.2012 - C-71/11 u.a. - BayVBl 2013, 234, Rn. 57). Zu den Handlungen, die nach der Rechtsprechung des EuGH eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Asylantragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Die Beachtlichkeit einer Verletzungshandlung kann danach nicht davon abhängig gemacht werden, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift. Maßgeblich sind vielmehr die Art der ausgeübten Repressionen und ihre Folgen für den Betroffenen (EuGH, U.v. 5.9.2012 - C-71/11 u.a. - BayVBl 2013, 234, Rn. 62; BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67). Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3a Abs. 1 AsylG handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in § 3c AsylG genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden.

Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit setzt dabei nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Schon das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich kann eine hinreichend gravierende Verfolgung darstellen, wenn der Verstoß dagegen die tatsächliche Gefahr entsprechender Sanktionen und Konsequenzen heraufbeschwört. Kann eine Verfolgung somit schon in dem Verbot als solchem liegen, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen letztlich nicht an (EuGH, U.v. 5.9.2012 - C-71/11 u.a. - BayVBl 2013, 234, Rn. 69; VGH BW, U.v. 12.6.2013 - A 11 S 757/13 - juris Rn. 45).

d) Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Ein Verzicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung im Herkunftsland kennzeichnet die religiöse Identität eines Gläubigen allerdings dann nicht, wenn er aus der naheliegenden und begründeten Furcht vor Verfolgung erfolgte (vgl. VGH BW, U.v. 12.6.2013 - A 11 S 757/13 - juris Rn. 50). Denn es ist nachvollziehbar, dass es für die Ahmadis nahe liegt, wenn es sich nicht gar gebietet, alle öffentlichkeitswirksamen Glaubensbetätigungen zu unterlassen oder auf ein Minimum zu beschränken, weil sie bei realistischer Betrachtungsweise mit erheblichen Reaktionen des Staates oder von nicht staatlichen Akteuren rechnen müssen, wenn sie ihr Menschenrecht auf Religionsfreiheit aktiv wahrnehmen.

e) Die Angaben des Klägers zu seiner Einreise mit Hilfe eines Schleusers sind zwar nicht ganz widerspruchsfrei und überzeugend, was auch schon im angefochtenen Bescheid vom 10. Februar 2016 - insoweit zutreffend - ausgeführt wird. Letztlich kann dies aber dahinstehen, ebenso wie die Frage, ob der Kläger vor seiner Ausreise aus Pakistan bereits Verfolgungsmaßnahmen erlitten hat oder von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war. Denn es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen rechnen muss, die an seine Religion anknüpfen. Diese beachtlich wahrscheinliche Gefährdung ergibt sich im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG aus einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen. Neben dem schriftsätzlichen Vorbringen hat der Kläger durch seine in seiner ihm eigenen, einfachen und zurückhaltenden Art gemachten, gleichwohl aber nicht weniger glaubhaften Ausführungen in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts deutlich gemacht, dass er ein gläubiger und praktizierender Ahmadi ist. Dem Kläger wurde bescheinigt, dass er seit Geburt Mitglied der Ahmadiyya Muslim Jamaat ist. Er hat außerdem glaubhaft dargelegt, dass ihm die erstmals in Deutschland mögliche Teilnahme an der spirituellen Jahresversammlung Jalsa Salana und auch das Zusammentreffen mit dem Kalifen sehr viel bedeutet haben. Der Kläger hat zudem überzeugend dargestellt, dass er sich besonders und insbesondere auch in öffentlichkeitswirksamer Weise für seine Gemeinde engagiert. So hat er beispielsweise an der traditionellen Reinigung am Neujahrstag teilgenommen und bei zahlreichen Gelegenheiten Flugblätter für die Gemeinde verteilt. Er hat glaubhaft ausgeführt, dass es ihm aufgrund seiner Glaubensüberzeugung ein inneres Anliegen ist, Gutes zu tun, anderen Menschen zu helfen und gerade dadurch für seine Glaubensgemeinschaft zu werben. Dass er schließlich nicht nur ein einfaches Mitglied ist, zeigt seine Registrierung als Mußi, die bereits in Pakistan erfolgte und die nach den glaubhaften Angaben des Klägers ebenfalls auf seiner inneren religiösen Überzeugung fußte. Anhaltspunkte dafür, dass sein religiöses Engagement lediglich asyltaktische Gründe hätte, sind - auch unter Berücksichtigung seines nunmehr über vierjährigen Aufenthalts in Deutschland - nicht erkennbar. Beim Kläger handelt es sich somit um einen aus der Allgemeinheit der Ahmadis hervorstechenden Gläubigen, der im Falle seiner Rückkehr nach Pakistan seinen Glauben öffentlich weiterhin ausüben wird und damit in die Gefahr religiöser Verfolgung geraten wird. Ein Unterlassen der Glaubensausübung in der Öffentlichkeit kann von ihm nicht verlangt werden (vgl. VGH BW, U.v. 12.6.2013 - A 11 S 757/13 - juris Rn. 46).

f) Einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, zu dessen verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und gegebenenfalls auch zu werben oder zu missionieren, steht auch kein interner Schutz im Sinne des § 3e AsylG offen, d.h. es gibt keinen Landesteil, in dem er in zumutbarer Weise und ungefährdet seinen Glauben öffentlich leben kann. Dies gilt auch für die Region Ch. N. (R.), wo zwar der Anteil der Ahmadis an der Bevölkerung vergleichsweise hoch ist, gleichwohl aber keine hinreichende Sicherheit vor staatlicher und nichtstaatlicher Verfolgung besteht (vgl. UNHCR, Eligibility guidelines for assessing the international protection needs of members of religious minorities from Pakistan, 14.05.2012, S. 42 f.). Zum einen gelten die Ahmadis diskriminierenden staatlichen Vorschriften in ganz Pakistan gleichermaßen, zum anderen hat insbesondere die islamistische Gruppierung „Khatm-e Nabuwwat“, die die Ahmadis in besonderer Weise bekämpft, einen Schwerpunkt ihrer Betätigung in Ch. N. (VG BW, U.v. 12.6.2013 - A 11 S 757/13 - juris Rn. 121).

g) Weil dem Kläger somit die Flüchtlingseigenschaft i.S.v. § 3 AsylG zuzuerkennen ist, war der angefochtene Bescheid des Bundesamts aufzuheben, soweit er dem entgegensteht. Dementsprechend waren neben der Ziffer 1 auch die Ziffern 3 und 4 des streitgegenständlichen Bescheides aufzuheben, da die Feststellung, dass der subsidiäre Schutzstatus und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, regelmäßig gegenstandslos wird, wenn die Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft Erfolg hat. Entsprechendes gilt für die Ausreiseaufforderung und Androhung der Abschiebung nach Pakistan (Ziffer 5 des Bescheides) sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG (Ziffer 6 des Bescheides). Über die hilfsweise gestellten Anträge auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG und Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG war nicht mehr zu entscheiden, da die Klage bereits im Hauptantrag erfolgreich war.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 der Zivilprozessordnung (ZPO). Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG).

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Das Bundesamt erlässt nach den §§ 59 und 60 Absatz 10 des Aufenthaltsgesetzes eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn

1.
der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird,
2.
dem Ausländer nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird,
2a.
dem Ausländer kein subsidiärer Schutz gewährt wird,
3.
die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Absatz 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes ausnahmsweise zulässig ist und
4.
der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt.
Eine Anhörung des Ausländers vor Erlass der Abschiebungsandrohung ist nicht erforderlich. Im Übrigen bleibt die Ausländerbehörde für Entscheidungen nach § 59 Absatz 1 Satz 4 und Absatz 6 des Aufenthaltsgesetzes zuständig.

(2) Die Abschiebungsandrohung soll mit der Entscheidung über den Asylantrag verbunden werden. Wurde kein Bevollmächtigter für das Verfahren bestellt, sind die Entscheidungsformel der Abschiebungsandrohung und die Rechtsbehelfsbelehrung dem Ausländer in eine Sprache zu übersetzen, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann.

(1) In den sonstigen Fällen, in denen das Bundesamt den Ausländer nicht als Asylberechtigten anerkennt, beträgt die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist 30 Tage. Im Falle der Klageerhebung endet die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens.

(2) Im Falle der Rücknahme des Asylantrags vor der Entscheidung des Bundesamtes oder der Einstellung des Verfahrens beträgt die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist eine Woche.

(3) Im Falle der Rücknahme des Asylantrags oder der Klage oder des Verzichts auf die Durchführung des Asylverfahrens nach § 14a Absatz 3 kann dem Ausländer eine Ausreisefrist bis zu drei Monaten eingeräumt werden, wenn er sich zur freiwilligen Ausreise bereit erklärt.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.