Verwaltungsgericht Ansbach Urteil, 29. März 2018 - AN 10 K 16.32482

bei uns veröffentlicht am29.03.2018

Gericht

Verwaltungsgericht Ansbach

Tenor

1. Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Der Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 2016 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht. Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.

2. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Tatbestand

Die Kläger sind staatenlose Palästinenser mit gewöhnlichem Aufenthalt in Libyen. Der Kläger zu 1) wurde in Syrien geboren, lebt aber seit seinem 4. Lebensjahr in Libyen, seine Ehefrau, die Klägerin zu 2) sowie die Kinder, die weiteren Kläger, sind in Libyen geboren. Die Kläger reisten am 24. September 2014 über den Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein, nachdem sie das Mittelmeer mit einem Boot Richtung Italien überquert hatten. Sie stellten am 30. September 2014 Asylantrag.

Die persönliche Anhörung beim Bundesamt für ... (Bundesamt) erfolgte am 7. Mai 2015. Dabei gab der Kläger zu 1) im Wesentlichen an, dass er in Libyen in ... gelebt hatte, in der … Siedlung. Sie hätten das Land auf Grund des Krieges in Libyen und wegen der fehlenden Sicherheit dort verlassen. Sie seien vertrieben und hätten keinen sicheren Ort, um dort zu leben. Er wäre zwar persönlich nicht bedroht worden. Die Sicherheitslage wäre jedoch allgemein schlecht und sie würden nirgendwo mehr aufgenommen werden wegen ihrer palästinensischen Volkszugehörigkeit. Er hätte als staatenloser Palästinenser in Libyen keine Rechte gehabt. Die Situation dort wäre unbeschreiblich gewesen. Er hätte auch nicht in einen anderen Landesteil gehen können, denn er hätte sich dort nicht frei bewegen können. Er hätte manchmal eine ganze Woche zu Hause bleiben müssen und dann die Kinder nicht versorgen können. Nach Syrien könne er nicht gehen, denn wenn er Libyen verlassen würde, würde man ihn nicht wieder reinlassen. Außerdem würde er in Syrien zum Wehrdienst eingezogen werden. Die Klägerin zu 2) schloss sich bei der persönlichen Anhörung den Ausführungen ihres Ehemannes an und ergänzte, dass ihr Mann blond sei und die Libyer großen Hass gegen die Palästinenser hätten. Die Palästinenser würden als Verräter betrachtet, weil sie während der libyschen Revolution zu Gaddafi gehalten haben. Der Kläger zu 1) äußerte sich im Behördenverfahren unter dem 27. November 2015 zudem noch schriftlich gegenüber dem Bundesamt und führte insbesondere aus, in Libyen gäbe es auf Grund der fehlenden Regierung keine Sicherheit und keinen Frieden. Mörder und Straftäter würden freigelassen und Waffen wären fast überall erreichbar. Es käme zu Kindesentführungen, Diebstahl und Vergewaltigung. Als Ausländer wäre er besonders betroffen, da keine Schutzmöglichkeit mehr bestünde. Er führte weiter aus, dass das Haus seines Vaters, wo er mit seiner Familie gewohnt hätte, in der Nähe eines militärischen Lagers in … gewesen sei. Hier sei die Gefahr besonders groß gewesen, da auf dieses Lager Raketen und Bomben abgeworfen worden seien. Sie hätten auch versucht, einen anderen sicheren Ort zu finden, dies wäre jedoch auch deswegen nicht möglich gewesen, weil die Wege teilweise gesperrt gewesen seien. Nach Mitteilung des Klägers zu 1) vom 3. August 2016 an das Bundesamt würden sich seine Mutter und seine Geschwister ebenfalls in Deutschland aufhalten und hätten einen Aufenthaltstitel erhalten. Das Bundesamt teilte zum Verbleib der Familien am 19. Februar 2018 zudem mit, dass die Familie der Klägerin zu 2) weiterhin in ... lebe.

Am 14. Dezember 2016 erging der streitgegenständliche Bescheid, mit dem die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wurde, die Anträge auf Asylanerkennung abgelehnt wurden, der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wurde und festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Die Kläger wurden zur Ausreise binnen 30 Tage nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens aufgefordert, andernfalls wurde ihnen die Abschiebung nach Libyen bzw. in einen anderen Staat, in den sie einreisen dürfen und der zu einer Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.

Hinsichtlich der Begründung führte das Bundesamt zur Prüfung des Flüchtlingsschutzes nur aus, es sei nicht von einer Verfolgung der Kläger auszugehen, da sie vorgetragen haben, dass sie nicht persönlich bedroht oder verfolgt wurden. Auch subsidiärer Schutz käme deswegen nicht in Betracht, weil in Libyen zwar ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrsche, den Klägern aber nicht, wie es erforderlich sei, eine erhebliche individuelle Gefahr auf Grund willkürlicher Gewalt im Zusammenhang mit diesem Konflikt drohe. Ohne nähere Feststellungen führte das Bundesamt in der Bescheidsbegründung aus, dass der Grad an willkürlicher Gewalt im Zusammenhang mit diesem Konflikt nicht das Niveau erreiche, dass gleichsam jeder Angehörige der Zivilbevölkerung bei Rückkehr in das Kampfgebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt sei. Außerdem hätten die Kläger auch keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vorgetragen. Zur Prüfung des Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG, einem möglichen Abschiebungsverbot aus humanitären Gründen wegen einer allgemeinen schlechten humanitären Situation führte das Bundesamt ohne weitere Feststellungen zur humanitären Situation in Libyen aus, dass ein derartiges Abschiebungsverbot für die Kläger angesichts des erwerbsfähigen Alters der Kläger zu 1) und zu 2) und der Unterstützung durch die noch in Libyen lebende Familie der Klägerin zu 2) nicht in Betracht käme.

Hiergegen richten sich die Klagen vom 21. Dezember 2016 mit denen beantragt wurde, den Bescheid des Bundesamtes vom 14. Dezember 2016 aufzuheben, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus, hilfsweise das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, nicht-libysche Staatsangehörige, wie die Kläger, würden in Libyen unter ständiger Bedrohung leben und müssten nahezu täglich mit ihrer Ausweisung rechnen. Der libysche Staat sei gegenüber den Klägern nicht schutzwillig. Angesichts des ungesicherten Aufenthaltsstatus in Libyen sei im Falle einer Abschiebung mit einer Abschiebung nach Syrien zu rechnen, so dass die Grundsätze für syrische Flüchtlinge herangezogen werden müssten.

Die Beklagte beantragte Klageabweisung und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass in Libyen einige Zehntausend Palästinenser dauerhaft leben würden, diese staatenlos sein würden und vor allem in der Region ... leben würden. Bei einer Ausreise aus Libyen würde ihnen meist die Rückkehr verwehrt werden. Nach dem Sturz Gaddafis hätte sich die islamistische Miliz Ansar al-Scharia in ... eingenistet und wäre zur maßgeblichen Kraft im machthabenden Revolutionsrat vom ... geworden. Sodann wäre die Stadt seit 2014 durch konkurrierende Milizen unter dem Kommando von General Haftar angegriffen worden. Dieser Angriff stehte im Zusammenhang mit dem 2. libyschen Bürgerkrieg seit 2014, bei dem sich rivalisierende Gruppen gegenüberstehen, im Wesentlichen die sogenannte Einheitsregierung, die im Westen des Landes Kontrolle ausübt sowie dem Machthaber Ostlibyens, dem General Haftar. Zudem fand sich zeitweise mit dem IS eine dritte Konfliktpartei. Zur Begründung der Klage wurde weiter auf das aktuelle Themenpapier der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zu Palästinensern in Libyen und auf das aktuelle Themenpapier des Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research und Documentation zur Frage der Palästinenser in Libyen verwiesen, ohne dies jedoch weiter zu diskutieren. Weiter wurde darauf verwiesen, dass die Familie der Klägerin zu 2) weiterhin in ... lebt und die Klägerin zu 2) sowie ihre Kinder in Libyen geboren seien und dass die Stadt ... bei erwünschter Rückkehr über den Landweg als auch über den See Weg und den Luftweg zur erreichen sei.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung führte der Vertreter der Kläger aus, dass Palästinenser, die nicht in Libyen geboren seien, von vornherein kein Aufenthaltsrecht in Libyen hätten. Bei in Libyen geborenen Palästinensern sei die Sache möglicherweise anders zu beurteilen. Da die Kläger jedoch aus Libyen ausgereist seien, seien sie bei einer erneuten Einreise so zu behandeln, als wären sie neu in Libyen und außerhalb des Landes geboren.

Der Vertreter der Beklagten führte aus, dass eine Abschiebung nach Syrien nicht im Raum stünde.

Die informatorisch angehörten Kläger gaben im Wesentlichen Folgendes an: Es sei so, dass man als ausgereister Palästinenser keinesfalls nach Libyen zurück dürfe. Darüber gäbe es auch ein Papier. In ... wäre man auf Grund des Konflikts ständig in Gefahr gewesen. Es hätte Raketenangriffe, Sprengungen von Autos und weiteres gegeben. Gerade als Fremder werde man immer angegriffen. Die Kläger hätten in Libyen Reisepapiere besessen, auf denen vermerkt gewesen sei, dass sie Palästinenser seien, auf dem Reisedokument des Klägers zu 1) sei auch vermerkt, dass er aus Syrien stamme. In Libyen wäre es zu zunehmenden Diskriminierungen gegenüber den Palästinensern und vor allem gegenüber dem Kläger zu 1), der aus Syrien stamme, gekommen. Die Klägerin zu 2) berichtete, dass ihre Familie, die sich noch in Libyen aufhalte, zunehmend ausgeschlossen wird, die Kinder dürften unter anderem nicht zur Schule gehen. Auf das Haus der Familie der Klägerin zu 2) wären Schüsse gefallen. Zudem hätte es einen Bombenanschlag auf das Auto des Bruders der Klägerin zu 2) in Libyen gegeben. In Libyen hätte man insgesamt damit zu rechnen, gerade als Palästinenser, von den Konfliktparteien vorgehalten zu bekommen, jeweils die andere Seite zu unterstützen, da man fremd sei.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, jedoch nur zum Teil begründet, da die Kläger zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) zwar einen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (§ 4 Abs. 1 AsylG) haben und die Klage daher gemäß § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO insoweit begründet ist, ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylG jedoch nicht besteht.

1. Das Gericht geht hinsichtlich der Lage im Herkunftsland von folgenden Feststellungen aus:

Nachdem einige Jahre vom Auswärtigen Amt kein Lagebericht zu Libyen vorgelegt wurde, existiert nun ein Lagebericht vom 12. Februar 2018 (Geschäftszeichen 508-516.80/3) zu Libyen. Angesichts der volatilen Lage in Libyen und angesichts dessen, dass sich in Libyen keine Deutsche Botschaft befindet, basiert der Lagebericht neben den Informationen, die von Kontaktpersonen über die lokalen Verhältnisse bezogen sind, im Wesentlichen auch aus der Auswertung anderer Berichte. Der Lagebericht geht nicht speziell auf die Situation der Palästinenser in Libyen ein. Wesentliche Aussage des Lageberichts ist, dass Teile des Landes von Milizen kontrolliert werden, andere Teile praktisch unregiert sind und insgesamt keine gesamtstaatliche Kontrolle besteht. Bewaffnete Gruppen beanspruchen jeweils auf ihrem Gebiet die Ausübung staatlicher Kontrolle. Daher sei es eine der größten Gefahren für die Bevölkerung als Unbeteiligte in die immer wieder aufflammenden Auseinandersetzungen zwischen Milizen zu geraten bzw. Opfer eines terroristischen Anschlags zu werden. Weiter ist ausgeführt, dass alle bewaffneten Gruppen in Libyen mit unpräzisen Waffen, wie Mörser oder Artilleriegranaten schießen und damit letztlich häufig wahllos auf Zivilisten. Außerdem werden Minen und Sprengfallen genutzt. Weiter ist ausgeführt, dass in ... bis Ende 2017 Luftangriffe auf dicht besiedelte zivile Gebiete stattfanden. Auch Autobomben seien dort benutzt worden. Außerdem wäre es zu Angriffen auf Krankenhäuser gekommen, auch in .... 2017 wäre über 371 zivile Kriegsopfer, also Tote und verwundete Zivilisten, berichtet worden. Die höchste Opferzahl wurde in ... erreicht. Nach dem Lagebericht dürfte diese Zahl weit entfernt sein von der tatsächlichen Opferzahl. Weiter ist im Lagebericht ausgeführt, dass Menschenrechtsverletzungen in Libyen an der Tagesordnung seien, die vulnerabelste Gruppe sind Migranten und Flüchtlinge, die der Repression von staatlichen wie auch nicht-staatlichen Akteuren ausgesetzt seien, ohne sich wirksam schützen zu können. Zurückzuführen ist dies wohl auf Betreiben des Westens, um die Fluchtrouten aus Afrika über Libyen zu schließen. Zur allgemeinen Lage in Libyen führt weiter der aktuelle Bericht des britischen Innenministeriums zur Sicherheitslage und zur humanitären Situation im Libyen vom Januar 2018, der im Internet öffentlich abrufbar ist (https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/673747/Libya_-_Security_Situation_-_CPIN_-_v3.0.pdf), aus, dass die humanitäre Versorgungslage äußerst schlecht sei, insbesondere im Hinblick auf die medizinische Versorgung. Von den etwa 6,5 Millionen Einwohnern in Libyen wären 1,3 Millionen Einwohner auf humanitäre Hilfe angewiesen, insbesondere in .... Es gäbe etwa 200.000 Binnenflüchtlinge. Es sei im Hinblick auf diese Information zwar nicht generell davon auszugehen, dass die humanitäre Lage dergestalt ist, dass eine Rückführung dorthin eine Verletzung des Verbots der Folter bzw. der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung nach Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention darstellt. Dies könne sich in manchen Landesteilen jedoch anders darstellen, insbesondere bei verletzlichen Personen. In dem britischen Bericht ist weiter ausgeführt, dass die Sicherheitslage derart schlecht sei, dass ungeachtet möglicher weniger Landesteile, die trotz der Abwesenheit einer Regierung relativ sicher seien, insgesamt für Libyen davon auszugehen sei, dass Zivilisten auf Grund des Bürgerkriegs dort ernsthaft individuell gefährdet seien und somit die Schwelle von Art. 15 c der Qualifikationsrichtlinie erreicht sei, also von einer ernsthaften individuellen Bedrohung auf Grund willkürlicher Gewalt auf Grund des bewaffneten Konflikts auszugehen sei.

Hinsichtlich der Sicherheitslage in ... im Allgemeinen, zum derzeitigen Zeitpunkt, ist wenig bekannt. Wie aus dem englischsprachigen Wikipedia-Artikel zu ... hervorgeht, berichten internationale Medien, dass der General Haftar, der Machthaber im Osten des Landes, die letzten Widerstandsnester der vorher in ... machthabenden islamistischen Miliz zum Ende des Jahres 2017 eingenommen hat. Ob die Miliz noch im Untergrund wirkt, ist nicht bekannt, solches ist jedoch nicht auszuschließen. Nach dem auf der Web-Seite der United Nations Support Mission in Libya, erschienen Human Rights Report on Civilian Casualties vom 1. März 2018 (https://unsmil.unmissions.org/human-rights-report-civilian-casualties-march-2018) hätte es im Februar 2018 146 zivile Opfer, Tote und Verwundete, des bewaffneten Konflikts gegeben. Die meisten Opfer wären auf Minen zurückzuführen. 126 der Opfer stammten aus .... Die Minen seien wohl wahrscheinlich von der vorher machthabenden Miliz zurückgelassen worden Die Lage der palästinensischen Flüchtlinge in Libyen im Speziellen würdigte zum einen das Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (ACCORD) vom 19. Januar 2017 (abrufbar im Internet unter www...net) und die Schweizerische Flüchtlingshilfe in einem Themenpapier vom 31. Oktober 2017, über die Internetseite der Schweizerischen Flüchtlingshilfe abrufbar (fluechtlingshilfe.ch). Bei diesen Berichten der Nichtregierungs- und Hilfsorganisationen handelt es sich um die aktuellsten Berichte zu der hier interessierenden Frage. Die Quellen, andere Berichte sowie Angaben von Informanten werden ausgewiesen. Im Wesentlichen wird im Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zu der hier interessierenden Frage Folgendes ausgeführt: Nachdem die Palästinenser aus ihren ursprünglichen Siedlungsgebieten nach Gründung des Israelischen Staates vertrieben worden sind und bis heute in Flüchtlingslagern in den arabischen Nachbarstaaten sich aufhalten, kamen vor allem in 1970er Jahren mehr Palästinenser zum Arbeiten nach Libyen. In Libyen sind Palästinenser generell als arabische Freunde empfangen worden. Nach einem Richtungswechsel des früheren Staatsführers Gaddafi wurde ab dem Jahr 1994 ein Großteil der Palästinenser aus Libyen herausgeschafft bzw. sie verloren ihre Arbeitsstellen und Aufenthaltsbewilligungen. Diese Politik wurde jedoch 1997 beendet und die Palästinenser wurden wieder aufgenommen. Im Jahr 2011 hätten in Libyen etwa 70.000 Palästinenser gewohnt. Nach Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs im Jahr 2011 wären noch zunehmend weitere palästinensische Flüchtlinge aus Syrien nach Libyen gekommen. Zwischen den Neuankömmlingen und den sich schon länger in Libyen aufhaltenden Palästinenser zu unterscheiden sei kaum möglich. Die Mehrheit der Palästinenser würde in ... leben. Nach Ausbruch des Konflikts in Libyen wären sie in einer prekären Lage gewesen, da sie nicht mehr in ihre früheren Herkunftsgebiete zurückkehren konnten. Das Klima in Libyen ihnen gegenüber sei 2011 jedoch zunehmend schärfer geworden. Bis 2011 hätten Palästinenser ohne Visum nach Libyen einreisen können. Dies hätte sich jedoch geändert. Im Januar 2015 erließ die damalige Regierung in Dohuk im Osten des Landes eine Einreisesperre für Palästinenser, Syrer und Sudaner, da sie befürchtete, diese Personen würden islamistische Gruppierungen unterstützen. Dies gilt auch für Frauen und Kinder. Die tatsächliche Umsetzung dieser Einreisesperre ist jedoch unklar. Der im Osten des Landes machthabende Militärgeneral Haftar, der nun auch Herrschaft in ... ausübt, erließ im April 2017 eine Einreisesperre für Personen aus Syrien, Sudan, Pakistan und Bangladesh. Ob dies auch für Palästinenser gilt, gerade die die schon vorher in Libyen, gerade vor 2011, gelebt hatten, ist jedoch unklar. Im Bericht würde weiter ausgeführt, dass hinsichtlich der Migranten und Flüchtlinge in Libyen diese überwiegend in Haftanstalten sich aufhalten müssen. Dort komme es zu einer Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen wie Folterungen und Versklavungen bis hin zu Tötungen. Viele dort Inhaftierte sterben wegen Hunger, Durst oder Krankheiten. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe geht weiter davon aus, dass es sich bei den inhaftierten Migranten hauptsächlich um solche aus der Subsahara-Region handelt. Es sei nicht davon auszugehen, dass Palästinenser im gleichen Maße wie Subsahara-Flüchtlinge systematisch verhaftet werden. Verhaftungen von Palästinensern aus Sicherheitsgründen wären inzwischen jedoch auch schon bekannt geworden, da vermutet wurde, sie würden islamistische Gruppierungen unterstützen. In einem solchen Fall gäbe es wohl keine Rechtsschutzmöglichkeiten. Verhaftungen von Palästinensern stünden wohl hauptsächlich im Zusammenhang mit einer Flucht über das Mittelmeer. Weiter ist im Bericht ausgeführt, dass sich vermehrt Palästinenser um Unterstützung bei dem UN-Flüchtlingshilfewerk bemühten. Aus ... seien viele Palästinenser durch Gewalt vertrieben worden. Im ganzen Land gäbe es Check-Points, die von Behörden und Milizen kontrolliert werden. An diesen Check-Points sei mit Verhaftungen zu rechnen. Auch Palästinenser würden an derartigen Check-Points zunehmend in Schwierigkeiten geraten. Gegenüber Palästinensern hätte es nach dem Jahr 2011 zunehmend Gewalt gegeben, da ihnen einerseits eine Verbindung zum damaligen Regime nachgesagt wurde, andererseits ihnen vorgeworfen wurde, nicht für das Regime zu kämpfen. Wegen Gewalt und weitere Kriminalität hätten die Palästinenser weder Zugang zu Schutz bei Stammesnetzwerken noch bei Behörden. Nach Fall des Gaddafi-Regimes wäre das Klima noch schlimmer geworden und Palästinenser wären aus ihren Wohnungen vertrieben worden, da die Grundstücke vormals von anderen Besitzern durch das ehemalige Regime konfisziert worden seien. Die Ankunft von neuen Palästinensern und Syrern hätte das Land zusätzlich belastet, da es nun zu einer erhöhten Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt und bei sozialen Dienstleistungen gekommen sei. Nachdem sich die Lage nach Ausbruch des erneuten Bürgerkriegs im Jahr 2014 weiter verschlechtert hätte, wären Palästinenser in der Gesellschaft zunehmend wegen der Verschlechterung der Lage als Sündenböcke angesehen worden. Es hätte Gerüchte gegeben, dass sie in Verbindung zu Milizen und radikalen Gruppen stehen. Dies gelte insbesondere für Palästinenser, die in ... wohnen würden. Nachdem die Palästinenser vor 2011 in vielen Belangen gleich behandelt wurden wie libysche Bürger, sei zunehmend der Zugang zu Leistungen, wie dem Gesundheitssystem und zur Bildung eingeschränkt. Der letzte Bericht des UN-Flüchtlingshilfewerks vom Oktober 2015 zu Libyen bestätigt diese Aussage zur Situation der Palästinenser in Libyen und sieht daher Rückführungen nach Libyen nicht als möglich an. Das Bundesamt führt in einer aktuellen Stellungnahme vom 14. März 2018 im Verfahren AN 10 K 17.34737 zur Problematik aus, dass auf Grund des bewaffneten Konflikt und der politischen Instabilität in Libyen die humanitäre Lage prekär sei. Rund 2,44 Millionen Menschen bedürften humanitärer Unterstützung, was libysche Staatsangehörige ebenso wie Flüchtlinge beträfe. Besonders schwierig sei die Situation für Familien mit Kindern und alleinstehenden Frauen. Nach Fall des Gaddafi-Regimes seien die Palästinenser Opfer von Belästigungen und Einschüchterungen geworden, die Palästinenser wären zu Sündenböcken gemacht worden und ihnen wären Verbindungen zu Milizen und radikalen Gruppen unterstellt worden. Zusammenfassend geht das Bundesamt in der Stellungnahme davon aus, dass es Palästinensern auch in ihrer besonderen Situation nicht generell unmöglich ist, ihre Existenz in Libyen zu sichern. Es gäbe jedoch Situationen bei vulnerablen Personen, wie Familien mit kleinen Kindern, bei denen dies nicht erwartet werden könne und denen daher ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG gegeben werden müsse.

Weitere Sachaufklärung durch die Einholung einer Auskunft des Auswärtigen Amtes war nicht veranlasst, angesichts dessen, das Auswärtige Amt in Libyen nicht präsent ist, der aktuelle Lagebericht nicht auf die Situation der Palästinenser eingeht und angesichts dessen, dass das Gericht durch die anderen aktuellen Auskünfte, insbesondere der einschlägigen Auskunft des Schweizer Flüchtlingshilfewerks vom 31. Oktober 2017 genügend informiert ist. Diese Auskunft ist aufgrund ihres sachlichen Charakters und der Angabe der Quellen bei einzelnen Ausführungen auch hinreichend verlässlich und nachvollziehbar. Die letzte Auskunft des Auswärtigen Amtes an ein Verwaltungsgericht datiert vom 30. Juni 2017 (Geschäftszeichen 508-516.80/ 49491). Nach dieser Auskunft würden Palästinenser in Libyen nicht diskriminiert werden und sie könnten einen Aufenthaltstitel erhalten. Die Auskunft, die sich in Ergebnissätzen erschöpft und im Übrigen keine Quellen angibt, geht nicht auf die ersichtlich bekannt gewordenen zunehmenden Diskriminierungen, wie sie im Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aufgeführt sind, ein und geht auch nicht darauf ein, dass zunehmend Einreisesperren verhängt werden, die möglicherweise auch gegen Palästinenser gelten. Auch angesichts dieser Schwächen war die Einholung einer neuen Auskunft des Auswärtigen Amtes zur Einschätzung der Lage der Palästinenser, die sich in den letzten Monaten nicht wesentlich verändert hat, nicht veranlasst.

2. Unter Berücksichtigung des Vorbringens der Kläger und der erhältlichen Erkenntnismittel ist den Klägern die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylG nicht zuzuerkennen, da die Anspruchsvoraussetzungen nicht vorliegen.

Nach § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylG ist einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Herkunftsland ist entweder das Land, dessen Staatsangehörigkeit der Ausländer besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

Da die Kläger allesamt staatenlos sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Libyen hatten, ist insoweit auf Libyen abzustellen. Nach dem Vortrag der Kläger droht ihnen in Libyen jedoch keine Verfolgungshandlung gemäß § 3 a Abs. 1 AsylG, die nach dem Gesetz gegen die Kläger individuell gerichtet sein muss. Kam es bereits zu einer Vorverfolgung, also bereits zu Verfolgungshandlungen vor Ausreise, so streitet für die Kläger eine tatsächliche Vermutung, dass sie bei Rückkehr ebenfalls wieder Verfolgung erleiden müssen, andernfalls sind stichhaltige Gründe von den Klägern darzulegen (siehe hierzu VG Dresden, Urteil vom 22.9.2017, 12 K 2300/16.A). Ein solches wurde von den Klägern jedoch nicht vorgetragen. Sie berufen sich hauptsächlich hinsichtlich ihres Fluchtgrundes auf die allgemeine Sicherheitslage und humanitäre Lage in Libyen gerade im Hinblick auf die besondere Situation von Palästinensern. Der Kläger zu 1) berichtete lediglich in der mündlichen Verhandlung ergänzend zu der Bundesamtsanhörung, es hätte einen konkreten Vorfall gegeben, bei dem, als er in … unterwegs war, Bewaffnete gekommen wären, die ihn bedroht hätten und das Auto hätten wegnehmen wollen. Dieser Vortrag, erreicht, selbst wenn man ihn als wahr unterstellt, jedoch nicht den nach § 3 a Abs. 1 AsylG erforderlichen Schweregrad. Weiteres hat der Kläger zu 1) auch auf Nachfrage, ob er noch etwas vorzutragen hätte, auch in der mündlichen Verhandlung nicht erzählt.

Nach Überzeugung des Gerichts droht den Klägern nicht allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Palästinenser eine Verfolgung in Libyen. Die Annahme einer solchen gruppengerichteten Verfolgung setzt voraus, dass Gruppenmitglieder Rechtsschutzbeeinträchtigungen erfahren, aus deren Intensität und Häufigkeit jedes einzelne Gruppenmitglied die begründete Furcht herleiten kann, selbst alsbald Opfer einer solchen Verfolgungsmaßnahme zu werden. Es geht also darum, ob die Verfolgungshandlungen auf alle sich im Herkunftssaat befindlichen Gruppenmitglieder abzielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten und wiederholt um sich greifen, dass für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht (BVerwG, Urteil vom 21.4.2009, 10 C 11/08). Für eine Bejahung der Gruppenverfolgung bedarf es nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts einer Feststellung zur Anzahl und Intensität der Verfolgungsmaßnahme, die zur Gesamtzahl der Gruppenangehörigen unter abschließender Würdigung der Gesamtumstände im Rahmen einer wertenden Betrachtung in Verhältnis gesetzt wird. Neben der Ermittlung einer erforderlichen Verfolgungsdichte kann auch dann von einer Gruppenverfolgung ausgegangen werden, wenn hinreichend sichere Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm vorliegen, etwa wenn der Heimatstaat die betroffene Gruppe physisch vernichten oder ausrotten oder aus seinem Staatsglied vertreiben will (BVerwG, Urteil vom 5.7.1994, 9 C 158/94). Nach diesen Maßstäben ist jedoch vorliegend nicht von einer Gruppenverfolgung von staatenlosen Palästinensern bzw. Palästinensern in Libyen auszugehen. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm zur Vernichtung der Palästinenser. Die in den Erkenntnismitteln berichteten einzelnen Verhaftungen sowie auch die Diskriminierungen, von denen berichtet wird, geben insgesamt nicht das Gesamtbild, dass der libysche Staat bzw. die in einzelnen Landesteilen machthabenden Parteien oder Organisationen bzw. Militärs sich zum Ziel gesetzt haben, die Palästinenser zu vernichten. Es ergeben sich auch keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass eine Vertreibung aus Libyen der Palästinenser insgesamt oder durch einzelne Verhaftungen bezweckt ist. Vielmehr ergibt sich das Bild eines zunehmend feindseligen Klimas gegenüber den Palästinensern in der Gesellschaft, vor allem wegen der schlechten Sicherheitslage und dem laufenden Konflikt sowie der angespannten Versorgungssituation. Palästinensern wird zunehmend feindselig gegenübergetreten und sie werden zunehmend vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. Dieses Bild wird letztlich auch von dem Vortrag der Kläger bestätigt, die sich vor allem auf die schlechte Sicherheitslage berufen sowie auf das Gefühl, vom Leben immer mehr ausgeschlossen zu sein, da alles Fremde in Libyen nicht mehr wohlgelitten ist. Diese Problematik, die also für alle Fremden in Libyen besteht, wobei wohl auch die sich schon früher in Libyen befindlichen Palästinenser als fremd angesehen werden, ergibt auch nicht den Eindruck einer gezielten Vertreibung, wie sie nach der Auskunftslage in den 90ern gegenüber den Palästinenser noch betrieben wurde. Nach alledem ist somit nicht von einem staatlichen Verfolgungsprogramm auszugehen.

Auch ansonsten ist mangels hinreichender Verfolgungsdichte nicht von einer Verfolgung aller Palästinenser in Libyen bzw. auch der Palästinenser in ... auszugehen. Es fehlt an der Intensität und Häufigkeit von Verfolgungshandlungen gegen einzelne Gruppenmitglieder, so dass von einer Verfolgung jedes einzelnen Gruppenmitglieds ausgegangen werden könne. In den Erkenntnismitteln ist von vereinzelten Verhaftungen von Palästinensern die Rede, die gegen die Situation von anderen Migranten, vor allem aus der Subsahara-Region, die reihenweise verhaftet werden und menschenrechtswidrigen Haftbedingungen ausgesetzt sind, gegenüberzustellen ist. Zudem hätten sich immer mehr Palästinenser hilfesuchend an das UN-Flüchtlingshilfewerk gewandt. Weiteres zu den Verhaftungen und einer damit verbundenen Agenda ist nicht bekannt. Die Kläger haben zudem zu diesem Punkt auch nichts vorgetragen. Das Gericht geht daher nicht davon aus, dass diese Maßnahmen die Häufigkeit erreichen, die für die Annahme einer Gruppenverfolgung nötig wäre. Etwas anderes gilt auch nicht im Hinblick auf die vorgetragenen Diskriminierungen. Dies gilt zum einen für die berichteten Einschränkungen beim Zugang zum Gesundheitssystem und zur Bildung. Da nach § 3 a Abs. 2 Nr. 2 AsylG auch diskriminierende Maßnahmen Verfolgungshandlungen darstellen können, und die nach § 3 a Abs. 1 AsylG erforderliche Erheblichkeitsschwelle, die für eine Verfolgungshandlung gefordert wird, auch bei der Komulation unterschiedlicher Maßnahmen bestehen kann, ist eine Verfolgung bei fehlenden bzw. verweigertem Zugang zu wichtigen Institutionen und System nicht ausgeschlossen (BVerwG, Urteil vom 20.2.2013, 10 C 23/12). Angesichts dessen, dass nach der Auskunftslage, insbesondere dem Bericht des britischen Homeoffice vom Januar 2018 alle Bevölkerungsgruppen Schwierigkeiten mit dem Zugang zur Bildung und zum Gesundheitssystem haben, ist jedoch nicht hinsichtlich dieses Aspektes von einer Verfolgungshandlung auszugehen, zumal eine Verfolgung im Regelfall nur bei einer schwerwiegenden Verletzung von in der Europäischen Menschenrechtskonvention verbürgten Rechten, insbesondere dem Recht auf Leben, dem Verbot von Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, dem Verbot von Sklaverei und dem Verbot von Verurteilung ohne gesetzliche Grundlage vorliegt (hierzu Heusch/Haderlein/ Schönenbroicher, Das Neue Asylrecht 2016, Seite 21 m.w.N. zur Rspr.). Nach der Auskunftslage ist zudem davon auszugehen, dass Palästinenser in Libyen einer Arbeit nachgehen dürfen. Hinsichtlich der weiteren Umstände, mit denen Palästinenser in Libyen nach der Auskunftslage zu rechnen haben, entsteht für das Gericht das Bild, dass diese im Schwerpunkt nicht dem Staat, sondern der libyschen Gesellschaft zuzurechnen sind. Dies gilt insbesondere für den Umstand, dass Palästinenser zunehmend zu Sündenböcken gemacht werden und ihnen Verbindungen zu radikalen Gruppen unterstellt werden, die zunehmend verübte Kriminalität gegenüber Palästinensern und allgemein das feindselige Klima ihnen gegenüber. Die Maßnahmen sind daher kaum einem Verfolgungsakteur zuzurechnen, was jedoch nach § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylG Anspruchsvoraussetzung ist. Zwar kann nach § 3 c Nr. 3 AsylG die Verfolgung auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen wenn der Staat oder andere herrschende Organisationen nicht in der Lage oder willens sind, Schutz zu gewährleisten. Angesichts der Erkenntnismittellage ist eher nicht von einer Schutzfähigkeit und einem Schutzwillen des libyschen Staates bzw. der in den jeweiligen Landesteilen herrschenden Gruppen und Organisationen auszugehen. Zudem können Palästinenser nicht auf den Schutz von Stammesstrukturen wie ansässige Libyer zurückgreifen. Andererseits geht das Gericht nach der aktuellen Erkenntnismittellage nicht davon aus, dass diese Umstände staatlich forciert werden. Die zuletzt erwähnten Umstände und Vorkommnisse können letztlich deswegen nicht bei der Prüfung der Gruppenverfolgung herangezogen werden, weil sie den bereits eingeführten asylrechtlichen Erheblichkeitsmaßstab nicht überschreiten, die Verfolgungshandlungen nicht den erforderlichen Schweregrad haben, denn eine Lebensgefährdung bzw. eine Behandlung, die einer Folter gleichkommt sowie eine Versklavung ist darin nicht zu erblicken.

Nach alledem ist nicht von einer Gruppenverfolgung in Libyen von Palästinensern auszugehen.

In Bezug auf die vorstehenden Ausführungen ist auch im Hinblick auf den individuellen Vortrag der Kläger keine Schlechterstellung im Hinblick auf den Zugang zur Bildung und Gesundheit gegenüber libyschen Staatsangehörigen festzustellen, die den asylrechtlichen Schweregrad nach § 3 a Abs. 1 AsylG erreicht. Gleiches gilt für Maßnahmen, die den Klägern möglicherweise von der libyschen Bevölkerung zugefügt werden könnten. Der Vortrag der Kläger hierzu ist auch nicht hinreichend substantiiert (zu diesem Erfordernis an den klägerischen Vortrag, BVerwG, Urteil vom 22.3.1983, 9 C 68.81).

Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kommt auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Aussperrung oder Ausgrenzung in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts könne Rückkehrverweigerung eine politische Verfolgung darstellen, wenn sie wegen asylerheblicher Merkmale erfolge. Eine solche liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nahe, wenn eigene Staatsangehörige betroffen sind. Bei Staatenlosen liege es demgegenüber nahe, dass eine solche Maßnahme auf anderen als asylrechtlichen Gründen beruht, etwa wenn der Staat ein Interesse daran habe, die durch den Aufenthalt entstandene wirtschaftliche Belastung zu mindern oder Gefahren für die Staatssicherheit und potentielle Unruhestifter zu vermeiden (BVerwG, Urteil vom 24.10.1995, 9 C 75/95). So liegt der Fall hier. Es handelt sich bei den Klägern nicht um Staatsbürger, sondern Staatenlose. Nach der Erkenntnismittellage ist wohl eher davon auszugehen, dass Palästinenser nach Libyen nicht mehr einreisen dürfen. Betroffen sind jedoch nicht nur Palästinenser, sondern auch Staatsangehörige einer Vielzahl von Ländern. Es deutet daher nichts auf eine Diskriminierung von Palästinensern hin. Angesichts der vorgetragenen Motive, möglichst Sympathisanten von Islamisten fernzuhalten und angesichts der angespannten Versorgungslage im Land, liegt es auch nahe, dass die Motive für die Verweigerung der Nichteinreise nicht in der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung von Palästinensern liegen, sondern in Sicherheitsbedenken und Versorgungsbedenken motiviert waren. Dies ist jedoch im Rahmen des § 3 AsylG nicht beachtlich.

Nach alledem war der Antrag auf Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abzulehnen und es war über den Hilfsantrag zu entscheiden.

3. Die Kläger haben einen Anspruch auf Verpflichtung zur Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, gemäß § 4 Abs. 1 AsylG. Denn die Anspruchsvoraussetzungen liegen zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) vor.

Den Klägern droht bei einer möglichen Rückkehr nach Libyen ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG, in der Form einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit von einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

Ein bewaffneter Konflikt ist dadurch gekennzeichnet, dass er die Schwelle von reinen Unruhen, Spannungen und Gewaltakten überschreitet und dass mehrere bewaffnete Gruppen aufeinander treffen (EuGH, Urteil vom 30.1.2014, C 285/12). Angesichts des nach wie vor bestehenden Bürgerkrieges in Libyen, bei dem sich im Wesentlichen zwei Lager gegenüberstehen, es in manchen Landesteilen jedoch keine Herrschaftsmacht gibt und sich eine Vielzahl von rivalisierenden Milizen finden, ist von dem Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts angesichts der Auskunftslage auszugehen (so auch VG Dresden, Urteil vom 22.9.2017, 12 K 2300/16).

Nach der Rechtsprechung muss dieser Konflikt insbesondere in der Herkunftsregion der Kläger liegen, in die die Kläger typischerweise zurückkehren würden, wenn der Konflikt nicht landesweit besteht (BVerwG, Urteil vom 14.7.2009, 10 C 9/08). Die aktuellen Berichte, insbesondere der aktuelle Lagebericht des Auswärtigen Amtes sowie auch der Bericht des britischen Homeoffice vom Januar 2018 gehen jedoch von einem landesweiten bewaffneten Konflikt aus. Insbesondere gäbe es immer wieder Auseinandersetzungen zwischen Milizen. Auf Grund des Konflikts zwischen einer islamistischen Miliz und dem General Haftar ist insbesondere ... über die vergangenen Jahre der Schwerpunkt kriegerischer Auseinandersetzungen gewesen. Nach der Auskunftslage ist ... zwar von dem General Haftar eingenommen worden und nach dem Eintrag des Online-Lexikons Wikipedia, das auf internationale Presse verweist, wäre auch das letzte Widerstandsnest der Islamisten eingenommen worden. Dies soll Ende des Jahres 2017 passiert sein. Diese Ereignisse liegen angesichts der Einschätzung zur allgemeinen Lage in Libyen noch nicht lange genug zurück, um sicher davon sprechen zu können, dass auch in ... kein bewaffneter Konflikt mehr besteht, zumal nicht ausgeschlossen werden kann, dass die bisher in ... machthabende Miliz oder andere Milizen noch vorhanden sind und aus dem Untergrund weiter Krieg führen oder zurückkehren. Zudem kommt es nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes bei der Prüfung einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts, da die Tatbestandsmerkmale aufeinander bezogen sind und letztlich entscheidend der Schutz von Zivilpersonen vor der beschriebenen Gewalt ist, entscheidend nur darauf an, ob in der Herkunftsregion tatsächlich ein derartiger Grad von Gewalt herrscht, der zu der beschriebenen ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson führt (EuGH, Urteil vom 30.1.2014, C 285/12).

Eine derartige ernsthafte individuelle Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt liegt jedoch hinsichtlich der Kläger, wenn man auf die Herkunftsregion ... abstellt, vor.

Zugrunde zu legen ist hier der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteil vom 31.1.2013, 10 C 5/12). Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab erfordert, dass eine Rechtsgutsverletzung nicht nur im Bereich des Möglichen liegt. Bei zusammenfassender Bewertung des Sachverhalts und verständiger Würdigung aller objektiven Umstände dahingehend, ob bei einem vernünftig denkenden besonnenen Menschen eine ernsthafte Furcht vor der Rechtsgutsverletzung gerechtfertigt ist, müssen die für die Rechtsgutsverletzung sprechenden Umstände größeres Gewicht haben als die dagegensprechenden Tatsachen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995, 9 C 9/95). Damit ist auch gesagt, dass es bei dieser Gefahrenabschätzung bzw. Prognose zwar nicht auf das Individuum und somit nicht auf eine besonders ängstliche Person ankommt, aber die gefährlichen Umstände dennoch subjektivierend, aus der Perspektive eines vernünftigen besonnenen Menschen zu betrachten sind. Daher ist nicht erforderlich, dass der ernsthafte Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG bereits eingetreten ist, wenn eine hinreichend konkrete Gefahr besteht. Weiter fordert die beachtliche Wahrscheinlichkeit mehr als die theoretische Möglichkeit einer solchen Schädigung, es ist aber auch nicht automatisch zu fordern, dass die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts immer über 50 Prozent liegen muss. Ein vernünftiger besonnener Mensch wird nicht nur die Wahrscheinlichkeit allein in Betracht ziehen, sondern auch die Schwere eines befürchteten Eingriffs. Bei hinreichenden schweren Gefahren, insbesondere Todesgefahr, kann bei einer geringen mathematischen Schadens-Wahrscheinlichkeit die Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, die bei einem vernünftigen besonnenen Menschen zu einer begründeten Furcht vor derartigen Folgen führt, überschritten werden (zu den Grundsätzen: BVerwG, Beschluss vom 7.2.2008, 10 C 33.07 und Berlit, ZAR 2017, 110).

Nach diesen Maßstäben liegt hinsichtlich der Kläger eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts vor. Eine solche kann dann zu bejahen sein, wenn der Grad an willkürlicher Gewalt so hoch ist, dass praktisch jede Zivilperson, die in das Land bzw. Landesteil reist, davon betroffen ist. Zur Beurteilung bedarf es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts einer quantitativen Ermittlung der Gefahrendichte, also Feststellungen zu den Opferzahlen, die ins Verhältnis zur Gesamtbevölkerung gesetzt wird, sowie abschließend einer wertenden Gesamtbetrachtung (BVerwG, Urteil vom 27.4.2010, 10 C 4.09). Auf Grund dieser wertenden Gesamtbetrachtung ist das quantitative Verhältnis zwischen der Opferzahl und der Gesamtbevölkerung nur ein Hilfsmittel bei der Gefahrabschätzung und nicht das alleinige Kriterium, da es sonst auf eine inhumane reine Knochenzählerei hinausliefe. Denn zur Einschätzung der Konfliktlage und der Gefährdung der Kläger bedarf es auch der Würdigung von deren individuellen Situation sowie hinsichtlich des Konflikts der qualitativen Beurteilung, etwa im Hinblick auf politische, strukturelle, wirtschaftliche und taktische Konfliktmerkmale. Denn in Bürgerkriegssituationen wird selten rational gehandelt (Berlit, ZAR 2017, 110). Dies gilt besonders deswegen, weil die Feststellungen zu den Opferzahlen häufig auf ungenauen Angaben basieren, die Verhältnisse im Herkunftsland auf Grund des Konflikts nicht hinreichend klar und die Zahlen daher nicht verlässlich sind (Berlit, ZAR 2017, 110). Es gibt daher keine konkrete Messzahl, ab der gesagt werden kann, dass der Grad willkürlicher Gewalt genügend hoch oder zu niedrig ist. Eine solche Aussage trifft auch das Revisionsgericht Bundesverwaltungsgericht nicht, zumal es keine Tatsacheninstanz ist. Lediglich zur Situation im Irak fand sich die Aussage, dass ein Schadensrisiko von 1:1.000 sehr weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt anzusehen ist (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011, 10 C 13.10). Angesichts dessen, dass es immer einer wertenden Betrachtung für das konkrete Land für den konkreten Konflikt bedarf, können diese Zahlen kaum als fester Messwert angesehen werden. Im Übrigen erscheint es dem Gericht, dass hinsichtlich einer quantitativen Betrachtungsweise auch deswegen äußerste Vorsicht geboten ist, da auch in Ländern mit hohen Schutzquoten, die Gefahrendichte in einer quantitativen Betrachtung sehr gering ausfällt. Beispielsweise wird für Afghanistan, ein Land mit etwas über 30 Millionen Einwohnern, die zivile Opferzahl durch den Bürgerkrieg mit 140.000 Opfern bemessen (Berlit, ZAR 2017, 110). Gleiches gilt für Syrien, wo nach übereinstimmenden Medienberichten die zivile Opferzahl in die Hunderttausende geht, bei einer Einwohnerzahl von etwa 20 Millionen. Zudem kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts neben den bekannten Opferzahlen eine Dunkelziffer hinzugerechnet werden (BVerwG, Beschluss vom 29.11.1996, 9 B 445.96). Vorliegend berichtet die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Libyen (UNSMIL), im Internet frei abrufbar, zu zivilen Opfern des Konflikts in Libyen. 2016 gab es insgesamt 567 berichtete Opfer, 2017 242 berichtete Opfer bei einer Gesamtzahl von 6,5 Millionen Einwohnern in Libyen (vgl. zu dieser Berechnung auch VG Dresden, Urteil vom 22.9.2017, 12 K 2300/16.A). In ... wurden von der Unterstützermission der UN für 2017 96 Opfer und für 2016 296 zivile Opfer berichtet (zu dieser Berechnung: VG Dresden, Urteil vom 22.9.2017, 12 K 2300/16.A). Nachdem der Kampf um ... zum Ende des Jahres 2017 offiziell beendet worden ist, hat sich die Sicherheitslage möglicherweise etwas entspannt, gleichwohl werden von der Unterstützermission für Februar 2018 122 Opfer in ... berichtet. Neben den Zahlen ist für das erkennende Gericht insbesondere maßgeblich, dass der Konflikt in Libyen, wie auch vom Auswärtigen Amt im aktuellen Lagebericht dargestellt, sich so darstellt, dass es eine Vielzahl von Unruheherden gibt, gerade auch durch die vielen am Kampf beteiligten Milizen und ... der absolute Schwerpunkt kriegerischer Auseinandersetzungen im Osten des Landes war. Kennzeichnend ist auch, dass die Konfliktparteien zu unpräzisen Waffen wie Mörser- und Artilleriegranaten gegriffen haben und bei deren Einsatz somit bewusst in Kauf genommen haben, dass zivile Gebiete getroffen werden. Die Unterstützermission der UN berichtet, dass es zu Bombardements durch Flugzeuge von Wohngebieten gekommen ist. Weiterhin wurde Gebrauch gemacht von Kampfmitteln wie Minen und Sprengfallen. Dies sind Kampfmittel, die gerade die Zivilbevölkerung besonders betreffen und zum Ziel haben, die Sicherheit in einem bestimmten Gebiet längerfristig zu unterminieren. Es handelt sich dabei um ein Paradebeispiel von willkürlicher Gewalt, also im Rahmen des Konflikts eingesetzter Gewalt, die sich gegen die Zivilbevölkerung richtet. Besonders ... ist davon insbesondere betroffen, weil nach aktuellen Informationen der Unterstützermission der UN die allermeisten Opfer in ... Opfer von Minen sind. Angesichts dessen, dass der akute Kampf in ... erst vor kurzem beendet wurde, liegt es nahe, dass Angehörige der Zivilbevölkerung, insbesondere in ..., Furcht vor Lebensgefahren bzw. Gefahren wegen körperlicher Unversehrtheit in begründetem Ausmaß haben, die auf kriegerische Handlungen zurückzuführen ist. Dies vor allem deswegen, weil nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes die Dunkelziffer der Opferzahl nicht nur um ein Vielfaches, sondern wohl weit über den berichteten Opferzahlen liegen dürfte. Es ist daher fraglich, ob bei der Dunkelziffer eine Vervierfachung ausreicht (so VG Dresden, Urteil vom 22.9.2017, 12 K 2300/16.A). Entwickeln sich die Opferzahlen im Jahr 2018 weiter wie im Februar 2018, so wäre zumindest von einer berichteten Opferzahl im vierstelligen Bereich auszugehen. Selbst wenn man die Dunkelziffer mit dem Faktor 4 ansetzt und von 650.000 Einwohnern in ... ausgeht, berechnet sich bei den somit geschätzten 4.000 Opfern, bezogen auf die Einwohnerzahl, ein nicht unerheblicher Faktor von etwa 6:1.000. Die Frage, ob für jede Zivilperson der verlangte Gefahrengrad vorliegt, muss jedoch letztlich entschieden werden. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann der Gefahrengrad niedriger ausfallen, wenn gefahrerhöhende Umstände vorliegen. Solche Umstände sind etwa, von Berufs wegen, etwa als Arzt oder Journalist, gezwungen zu sein, nahe an den Kämpfen zu sein. Weiter zählen dazu auch solche persönlichen Umstände, auf Grund derer die Kläger als Zivilpersonen zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte, etwa wegen der religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit, ausgesetzt sind (BVerwG, Urteil vom 27.4.2010, 10 C 4/09). Das Bundesverwaltungsgericht bezieht daher nicht nur die für Bürgerkriege bzw. bewaffnete Konflikte typischen Gefahren, durch Kollateralschäden gefährdet zu sein, in den Schutz des § 4 Abs. 1 AsylG mit ein. Nach dem Verständnis des erkennenden Gerichtes geht es vom Sinn und Zweck her wegen des Einbezuges von Teilen der Zivilbevölkerung mit besonderen Merkmalen auch darum, davor zu schützen, dass im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes der Zusammenbruch der Ordnung ausgenutzt wird, um Personen, gegenüber denen Feindseligkeiten bestehen, bewusst zu schädigen. Das erkennende Gericht deutet dies so, dass § 4 Abs. 1 AsylG nicht nur vor bewussten Schädigungen durch die Konfliktparteien schützen will, da ein solcher Schutz im Regelfall bereits über § 3 Abs. 1 AsylG gewährleistet ist und dass es Gewaltphänomene gegenüber gefährdeten Gruppen gibt, die im Rahmen von bewaffneten Konflikten gerade diesen drohen wie etwa Aggressionen durch die Gesellschaft, die angesichts des Zusammenbruchs der Ordnung und der kriegsbedingten schlechten Versorgungs- und Sicherheitslage nicht verhütet werden und denen diese Bevölkerung schutzlos ausgeliefert ist. Dies dient letztlich auch der Schließung von Schutzlücken.

Nach der so verstandenen Auslegung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG bestehen ernsthafte individuelle Bedrohungen von Leben oder der Unversehrtheit, wenn nicht für die Palästinenser in... allgemein durch den dort herrschenden Konflikt, zumindest für die Kläger. Wie bereits ausgeführt, besteht für Palästinenser in ... ein erhebliches Klima der Feindseligkeit der Gewalt und Kriminalität. Auf Grund der zunehmend schlechten Lage werden die Palästinenser, die nunmehr als Fremde angesehen werden, zu Sündenböcken gemacht, und gegen sie richten sich Aggressionen, gegen die kein staatlicher Schutz zu erlangen ist. Zudem wird Palästinensern nicht nur von der Bevölkerung, sondern auch von den Konfliktparteien unterstellt, die jeweils andere Seite zu unterstützen bzw. Terroristen oder Islamisten zu sein. Es steht daher zu befürchten, dass wegen des Konflikts, der zum Zusammenbruch der Sicherheit und Ordnung geführt hat, ein Klima entstanden ist, welches Bedrohungen des Lebens und der Unversehrtheit durch bewaffnete Gruppen oder die Bevölkerung allgemein in ... wenn nicht gegenüber allen Palästinensern zumindest im Hinblick auf die Kläger bestehen würde. Die Kläger sind auf Grund ihrer individuellen Umstände besonders schutzbedürftig. Als Familie mit kleinen Kindern, insbesondere einem Neugeborenen (Verfahren AN 10 K 18.30213), sind sie besonders verwundbar. Die Familie der Klägerin zu 2), die sich wohl noch in ... aufhält, ist selbst nach dem Vortrag der Kläger konkreten Bedrohungen wie Bombenanschlägen schon noch ausgesetzt gewesen und deswegen selbst gefährdet. Eine Unterstützung von dieser Seite dürfte daher eingeschränkt sein. Zudem dürfte der Kläger zu 1) besonders als Fremder wahrgenommen und erkannt werden. Denn er stammt ursprünglich aus Syrien und ist dort auch geboren, was nach seinen glaubhaften Angaben in den libyschen Reisepapieren auch vermerkt ist. Zudem ist der Kläger zu 1), wie manche Palästinenser in der Levante, deutlich hellhäutig und hat eine blonde Haarfarbe. Da die meisten nordafrikanischen Araber eher dunkelhäutig sind und dunkles Haar tragen, ist der Kläger zu 1) daher deutlich auffällig und als Fremder erkennbar. Auf die besondere Situation von Palästinensern geht die bisherige einschlägige erstinstanzliche Rechtsprechung (statt aller VG Dresden, U. v. 22.9.2017, 12 K 2300/16.A) bei der Prüfung des § 4 AsylG nicht genügend ein.

Nach alledem liegen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG hinsichtlich der Kläger vor.

Interner Schutz nach § 3 e Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG ist für die Kläger auf Grund des landesweiten bewaffneten Konfliktes, des landesweit feindseligen Klimas gegenüber Palästinensern und vor allem hinsichtlich der vielen im Land sich befindlichen Check-Points, die auch von Milizen betrieben werden, nicht zu erlangen. Bei einer möglichen Einreise in das Land bzw. einer Weiterreise in andere Landesteile ist daher zu erwarten, dass die Kläger, insbesondere wegen des auffälligen Aussehens des Klägers zu 1), als Fremde bzw. Palästinenser erkannt werden und ihnen die beschriebenen Gefährdungen dann drohen.

4. Über den weiteren Hilfsantrag war daher nicht mehr zu entscheiden. Angesichts der nach der Auskunftslage in Libyen bestehenden allgemeinen desolaten humanitären Situation, die nach der Stellungnahme des Bundesamts gerade bei vulnerablen Personengruppen beachtlich ist, wäre die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG für die Kläger angesichts der beschriebenen persönlichen Merkmale, insbesondere der Tatsache, dass es sich um eine Familie mit kleinen Kindern handelt, nahegelegen.

5. Die Abschiebungsandrohung nach § 34 Abs. 1 AsylG war daher obsolet und aufzuheben. Dies gilt auch für die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes in § 11 Abs. 2 AufenthG.

6. Die Kosten des nach § 83 b AsylG gerichtskostenfreien Verfahrens waren gemäß § 155 Abs. 1 VwGO gegeneinander aufzuheben, da der Flüchtlingsschutz, hinsichtlich dessen die Kläger unterlegen sind, wertmäßig die Hälfte gegenüber den übrigen Streitgegenständen ausmacht.

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 4 Subsidiärer Schutz


(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt: 1. die Verhängung oder Vollstreckung der To

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 11 Einreise- und Aufenthaltsverbot


(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen n

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3 Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft


(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich1.aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 77 Entscheidung des Gerichts


(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefä

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 155


(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteili

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 34 Abschiebungsandrohung


(1) Das Bundesamt erlässt nach den §§ 59 und 60 Absatz 10 des Aufenthaltsgesetzes eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn 1. der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird,2. dem Ausländer nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wir

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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, begehrt ein Visum für den Familiennachzug zu seinem in Deutschland lebenden Vater.

2

Der am 20. Dezember 1994 geborene Kläger stellte im Juli 2009 einen Antrag auf Erteilung eines Visums zum Zweck des Kindernachzugs zu seinem Vater. Dieser, ebenfalls ein türkischer Staatsangehöriger, lebt seit 1995 im Bundesgebiet und erhielt 2000 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Mit Urteil des Familiengerichts Izmir (Türkei) vom 8. April 2008 wurde ihm das alleinige Sorgerecht für den Kläger übertragen.

3

Das Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Izmir lehnte den Visumantrag zuletzt mit Remonstrationsbescheid vom 4. Dezember 2009 ab. Der Vater des Klägers sei nicht allein personensorgeberechtigt, da die türkische Sorgerechtsübertragung wegen Verstoßes gegen den ordre public nicht anzuerkennen sei.

4

Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, dem Kläger ein Visum zum Familiennachzug zu erteilen. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 25. Oktober 2011 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass dem Vater des Klägers das alleinige Sorgerecht zustehe. Der deutsche ordre public stehe der Anerkennung der türkischen Sorgerechtsentscheidung nicht entgegen. Dabei könne dahinstehen, ob sich die Voraussetzungen für die Anerkennung vorrangig nach Art. 7 und Art. 16 des Haager Minderjährigenschutzabkommens (MSA) oder nach Art. 7 und Art. 10 des Europäischen Sorgerechtsübereinkommens (ESÜ) richteten, da die Regelungen hier zu identischen Ergebnissen führten. Aus beiden Übereinkommen ergebe sich, dass ausländische Sorgerechtsentscheidungen im Bundesgebiet grundsätzlich anerkannt werden müssten und die Vorbehaltsklausel des ordre public nur ausnahmsweise zum Tragen komme. Dieser Vorbehalt schließe es grundsätzlich aus, ausländische Entscheidungen auf ihre materielle Richtigkeit zu überprüfen. Ein ordre public-Verstoß liege erst vor, wenn das Entscheidungsergebnis nach inländischen Vorstellungen untragbar erscheine oder die Entscheidung in einem Verfahren zustande gekommen sei, das grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen nicht genüge. Das Urteil des türkischen Familiengerichts entspreche sowohl in verfahrensrechtlicher wie materiellrechtlicher Hinsicht den Anerkennungsvoraussetzungen. Der Kläger sei vom Familiengericht persönlich angehört worden. Der Verzicht auf eine weitere Sachverhaltsaufklärung führe in Fällen, in denen - wie hier - beide Elternteile und das Kind die beantragte Sorgerechtsentscheidung wünschten, weil sie sich hiervon eine bessere Förderung des Kindes versprächen, nicht zu einer verfahrensrechtlichen Verletzung des ordre public. Ein materiellrechtlicher Verstoß gegen den ordre public liege ebenfalls nicht vor. Unerheblich sei, ob das türkische Recht eine Sorgerechtsübertragung auf den mit der Kindesmutter nicht verheirateten Vater vorsehe, denn eine Überprüfung am Maßstab türkischen Rechts sei deutschen Gerichten verwehrt. Die die Übersiedlung zum Vater ermöglichende Sorgerechtsentscheidung sei im Hinblick auf eine bessere Förderung der Erziehung und Ausbildung des Klägers getroffen und im Ergebnis nicht offensichtlich und in nicht hinnehmbarer Weise mit dem Kindeswohl unvereinbar. Auch die weiteren Voraussetzungen für die Erteilung eines Visums lägen vor, insbesondere sei sowohl bei Vollendung des 16. Lebensjahres als auch im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung der Lebensunterhalt der aus dem Kläger und seinem Vater bestehenden Bedarfsgemeinschaft gesichert.

5

Die Beklagte rügt mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, dass der in Deutschland lebende Elternteil nicht allein sorgeberechtigt sei. Die türkische Sorgerechtsentscheidung widerspreche dem türkischen Recht und sei in Deutschland wegen Verstoßes gegen den ordre public nicht anzuerkennen. Die Entscheidung sei verfahrensrechtlich ohne jede von Amts wegen betriebene Sachverhaltsaufklärung ergangen. Mit zentralen Elementen des Kindeswohls habe sich das Gericht nicht befasst.

6

Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil.

7

Die Beigeladene schließt sich inhaltlich den Ausführungen der Beklagten an.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die Klage ist zulässig (1.). Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Erteilung eines Visums zum Zwecke des Familiennachzugs aber mit einer Begründung bejaht, die revisionsgerichtlicher Prüfung nicht standhält: Der Kläger erfüllt zwar die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 32 Abs. 3 AufenthG für einen Anspruch auf Kindernachzug. Insbesondere ist sein Vater allein sorgeberechtigt, da das türkische Sorgerechtsurteil nicht gegen den ordre public verstößt (2.). Die Feststellungen des Berufungsgerichts tragen aber nicht seine Annahme, dass der Lebensunterhalt des Klägers gesichert sei und damit auch die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vorliege (3.). Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen im Berufungsurteil kann der Senat in der Sache nicht selbst abschließend entscheiden. Der Rechtsstreit ist daher gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist (4.).

9

1. Die auf Erteilung eines Visums zum Kindernachzug gerichtete Klage ist zulässig. Der im Zeitpunkt der Revisionsverhandlung noch nicht volljährige Kläger ist gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 1 AufenthG partiell handlungs- und infolgedessen im vorliegenden Verfahren prozessfähig. Nach § 80 Abs. 1 AufenthG ist fähig zur Vornahme von Verfahrenshandlungen nach diesem Gesetz ein Ausländer, der das 16. Lebensjahr vollendet hat, sofern er nicht nach Maßgabe des Bürgerlichen Gesetzbuchs geschäftsunfähig oder im Falle seiner Volljährigkeit in dieser Angelegenheit zu betreuen und einem Einwilligungsvorbehalt zu unterstellen wäre. Den gegen diese Regelung geäußerten, aus dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes - UN-Kinderrechtskonvention (KRK) vom 20. November 1989 (BGBl 1992 II S. 121, 990) - abgeleiteten völkerrechtlichen Bedenken folgt der Senat jedenfalls für das Aufenthaltsrecht nicht. Insoweit wird zur weiteren Begründung auf die Entscheidung des Senats vom heutigen Tag im Verfahren BVerwG 10 C 4.12 verwiesen (zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen Rn. 9 f.).

10

2. Der Kläger erfüllt die besonderen Voraussetzungen des § 32 Abs. 3 AufenthG für einen Anspruch auf Kindernachzug. Nach § 32 Abs. 3 AufenthG ist dem minderjährigen Kind eines Ausländers, welches das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, eine Aufenthaltserlaubnis - und vor der Ausreise gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 und 2 AufenthG ein Visum - zu erteilen, wenn beide Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis, eine Niederlassungserlaubnis oder eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG besitzen.

11

2.1 Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (stRspr, Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 10). Während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen sind vom Revisionsgericht allerdings zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es nunmehr anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 276 <279>). Daher ist der Nachzugsanspruch des Klägers an dem Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) zu messen, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie der Europäischen Union vom 1. Juni 2012 (BGBl I S. 1224). Hierdurch hat sich die Rechtslage hinsichtlich der hier einschlägigen Bestimmungen aber nicht geändert.

12

Sind aufenthaltsrechtliche Ansprüche an eine Höchstaltersgrenze geknüpft - wie hier beim Kindernachzug die Vollendung des 16. Lebensjahres -, ist für die Einhaltung der Altersgrenze ausnahmsweise auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen (vgl. Urteil vom 7. April 2009 a.a.O.). Wird die Altersgrenze im Laufe des Verfahrens überschritten, folgt daraus, dass die übrigen Anspruchsvoraussetzungen spätestens auch im Zeitpunkt des Erreichens der Altersgrenze vorgelegen haben müssen. Danach eingetretene Sachverhaltsänderungen zugunsten des Betroffenen können grundsätzlich nicht berücksichtigt werden. Insoweit bedarf es mithin bei Anspruchsgrundlagen mit einer Höchstaltersgrenze, die der Betroffene - wie hier - im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Verhandlung oder Entscheidung überschritten hat, einer auf zwei unterschiedliche Zeitpunkte bezogenen Doppelprüfung (Urteil vom 7. April 2009 a.a.O.).

13

Das Berufungsgericht hat das Nachzugsbegehren des Klägers zutreffend an § 32 Abs. 3 AufenthG und nicht nach der Vorgängerregelung des § 20 Abs. 3 Satz 1 Ausländergesetz 1990 (AuslG) geprüft. Der Vater des Klägers hat sich vor dem 1. Januar 2005 rechtmäßig in Deutschland aufgehalten und der Kläger ist vor diesem Zeitpunkt geboren. Damit gilt nach § 104 Abs. 3 AufenthG hinsichtlich der personen- und familienbezogenen Nachzugsvoraussetzungen weiterhin § 20 AuslG, es sei denn das Aufenthaltsgesetz gewährt eine günstigere Rechtsposition. Dies ist hier der Fall, da § 32 Abs. 3 AufenthG bei Vorliegen der Tatbestandvoraussetzungen einen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis vermittelt, während § 20 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AuslG den Nachzug zu einem allein sorgeberechtigten Elternteil in das Ermessen der Ausländerbehörde stellt (Urteil vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - BVerwGE 131, 370 Rn. 4 f.).

14

2.2 Zu Recht ist das Berufungsgericht weiter davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 32 Abs. 3 AufenthG vorliegen. Die gesetzliche Höchstaltersgrenze ist eingehalten, denn zum Zeitpunkt der Antragstellung im Juli 2009 hatte der Kläger das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet. Der Vater des Klägers erhielt 2000 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die nach § 101 Abs. 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgilt. Nach der Sorgerechtsentscheidung im Urteil des Familiengerichts Izmir vom 8. April 2008 ist er für den Kläger auch allein personensorgeberechtigt. Diese Entscheidung ist im vorliegenden Verfahren jedenfalls nach dem Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5. Oktober 1961 (BGBl 1971 II S. 217, 1150) - Minderjährigenschutzabkommen (MSA) - anzuerkennen.

15

2.2.1 Der Begriff der alleinigen Personensorgeberechtigung ist mit Blick auf Art. 4 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl EG L 251 S. 12 vom 3. Oktober 2003) - sog. Familienzusammenführungsrichtlinie - unionsrechtlich auszulegen. Im Sinne dieser Bestimmung besitzt ein Elternteil das Sorgerecht nur, wenn er "allein" sorgeberechtigt ist, dem anderen Elternteil also bei der Ausübung des Sorgerechts keine substantiellen Mitentscheidungsrechte und -pflichten zustehen, etwa in Bezug auf Aufenthalt, Schule und Ausbildung oder Heilbehandlung des Kindes (Urteil vom 7. April 2009 a.a.O. Rn. 16).

16

2.2.2 Wem das Sorgerecht für ein Kind zusteht, beurteilt sich in Fällen mit Auslandsbezug anhand der Regelungen des Internationalen Privatrechts nach dem Recht des Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 21 EGBGB). Diese Kollisionsnorm, die die Auswahl des materiellrechtlichen Prüfungsmaßstabs bei einer anstehenden Sorgerechtsentscheidung steuert, tritt zurück, wenn bereits eine Sorgerechtsentscheidung einer ausländischen Stelle vorliegt und sich die verfahrensrechtliche Frage nach deren Anerkennung stellt.

17

Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass das türkische Sorgerechtsurteil dem Vater des Klägers das alleinige Sorgerecht verschafft hat. Diese Würdigung ist revisionsrechtlich gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 293 ZPO wie eine Tatsachenfeststellung zu behandeln (vgl. Urteile vom 7. April 2009 a.a.O. Rn. 17 und vom 19. Juli 2012 - BVerwG 10 C 2.12 - NJW 2012, 3461 Rn. 16); § 545 Abs. 1 ZPO findet keine Anwendung. An diese Feststellung des Berufungsgerichts zum Inhalt und den Rechtswirkungen des ausländischen Urteils ist der Senat deshalb gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden, da die Revision keine Verfahrensrüge erhoben hat und ihre Angriffe gegen die inhaltliche Richtigkeit der Sorgerechtsentscheidung daher ins Leere gehen.

18

Die Anerkennung ausländischer Urteile richtet sich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 328 ZPO. Für die Anerkennung ausländischer Sorgerechtsentscheidungen enthält § 108 Abs. 1 i.V.m. § 109 FamFG allerdings eine Sonderregelung, die die Grundnorm des § 328 ZPO auch im Verwaltungsprozess verdrängt. Gemäß § 108 Abs. 1 FamFG ist für die Anerkennung von Sorgerechtsentscheidungen ausländischer Gerichte kein besonderes Verfahren vor deutschen Gerichten oder Behörden vorgesehen, sondern es gilt der Grundsatz der Inzidentanerkennung (OLG Köln, Beschluss vom 9. April 2010 - 4 UF 56/10 - NJW-RR 2010, 1225 <1226>). Nach § 97 Abs. 1 FamFG gehen allerdings Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, den Vorschriften des FamFG vor.

19

Das Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19. Oktober 1996 (BGBl 2009 II S. 602) - Haager Kinderschutzübereinkommen (KSÜ) - ist mangels Ratifizierung des Übereinkommens durch die Türkei hier nicht anwendbar. Daher kommen im vorliegenden Fall als gemäß § 97 Abs. 1 FamFG vorrangig anzuwendende völkerrechtliche Vereinbarungen nur das Haager Minderjährigenschutzabkommen und das Europäische Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses vom 20. Mai 1980 (BGBl 1990 II S. 220) - Europäisches Sorgerechtsübereinkommen (ESÜ) - in Betracht. Es spricht einiges dafür, dass sich die Anerkennung einer ausländischen Sorgerechtsentscheidung als Vorfrage für den Kindernachzug vorrangig nach dem auf jeden Fall anwendbaren Haager Minderjährigenschutzabkommen bestimmt. Denn dieses Vertragswerk regelt die behördliche Zuständigkeit und das anzuwendende Recht zum Schutz von Minderjährigen ganz allgemein, während das Europäische Sorgerechtsübereinkommen spezifische, zwischenstaatlich koordinierte Interventionsregelungen bei gestörten Sorgerechtsverhältnissen enthält. Das bedarf hier aber keiner Entscheidung. Denn keines der beiden Übereinkommen enthält eine abschließende Regelung für die Anerkennung ausländischer Sorgerechtsentscheidungen; insbesondere schließt Art. 19 ESÜ die Anwendung anderer internationaler Übereinkünfte nicht aus, um die Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung zu erwirken. Da im vorliegenden Verfahren die Voraussetzungen für eine Anerkennung nach dem Haager Minderjährigenschutzabkommen vorliegen, kann dahinstehen, ob die Entscheidung auch nach dem Europäischen Sorgerechtsabkommen anzuerkennen wäre.

20

2.2.3 Das Minderjährigenschutzabkommen findet auf den Kläger als Minderjährigen, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Türkei hat, Anwendung (vgl. Art. 12, 13 MSA). Gemäß Art. 7 Satz 1 MSA sind die Maßnahmen, welche die nach den vorstehenden Artikeln zuständigen Behörden getroffen haben, in allen Vertragsstaaten anzuerkennen; Maßnahmen in diesem Sinne sind auch gerichtliche Sorgerechtsentscheidungen (BGH, Beschlüsse vom 25. Oktober 1976 - IV ZB 38/76 - BGHZ 67, 255 <260> und 28. Mai 1986 - IVb ZB 36/84 - NJW-RR 1986, 1130; Urteil vom 11. April 1979 - IV ZR 93/78 - FamRZ 1979, 577). Ein förmliches Anerkennungsverfahren sieht das Abkommen nicht vor. Als Grenze der gegenseitigen Anerkennung enthält Art. 16 MSA nur den Vorbehalt, dass die Bestimmungen dieses Übereinkommens in den Vertragsstaaten unbeachtet bleiben dürfen, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung offensichtlich unvereinbar ist (ordre public).

21

Abzustellen ist dabei nicht auf Art. 6 EGBGB, sondern auf den anerkennungsrechtlichen ordre public international (vgl. nur BGH, Urteile vom 18. Oktober 1967 - VIII ZR 145/66 - BGHZ 48, 327 und vom 21. April 1998 - XI ZR 377/97 - BGHZ 138, 331 <334>). Mit diesem ist eine ausländische Entscheidung nicht schon dann unvereinbar, wenn der deutsche Richter - hätte er die zur Anerkennung stehende Entscheidung getroffen - aufgrund zwingenden deutschen Rechts zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Maßgeblich ist vielmehr, ob das Ergebnis der ausländischen Entscheidung zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es nach deutscher Vorstellung untragbar erscheint. Prüfungsmaßstab sind dabei vor allem die Grundrechte. Die ausländische Entscheidung ist nicht auf ihre Rechtmäßigkeit am Maßstab des ausländischen Rechts zu überprüfen (Verbot der révision au fond). Bei der Anerkennung ausländischer Sorgerechtsentscheidungen liegt in materieller Hinsicht ein Verstoß gegen den ordre public erst dann vor, wenn die Hinnahme der Entscheidung wegen ihres Inhalts im Ergebnis mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Familien- und Kindschaftsrechts offensichtlich unvereinbar ist (materiellrechtlicher ordre public). Dabei steht das Wohl des Kindes im Mittelpunkt der Prüfung. Jede Regelung des Sorgerechts wirkt sich auf das Wohl des Kindes aus und muss daher das Kind in seiner Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigen. Ein Verstoß gegen den ordre public kann sich auch aus dem der anzuerkennenden Entscheidung vorangegangenen Verfahren ergeben, also der Art und Weise ihres Zustandekommens. Dies ist der Fall, wenn die ausländische Entscheidung aufgrund eines Verfahrens ergangen ist, das von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maße abweicht, dass sie nach der deutschen Rechtsordnung nicht als in einem geordneten, rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann (verfahrensrechtlicher ordre public). Eine am Kindeswohl orientierte Sorgerechtsentscheidung erfordert daher auch eine Verfahrensgestaltung, die eine hinreichende Berücksichtigung der grundrechtlichen Stellung des betroffenen Kindes garantiert (siehe etwa Art. 12 Abs. 2 KRK; vgl. auch BVerfG, Beschlüsse vom 5. November 1980 - 1 BvR 349/80 - BVerfGE 55, 171 <182> und vom 14. Juli 2010 - 1 BvR 3189/09 - BVerfGK 17, 407 Rn. 19). Das Sorgerechtsverfahren ist unter Berücksichtigung des Alters des Kindes, seines Entwicklungsstandes und seiner seelischen Verfassung so zu gestalten, dass der Entscheidungsträger möglichst zuverlässig die Grundlagen einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung erkennen kann. Das erfordert jedenfalls bei Jugendlichen grundsätzlich eine persönliche Anhörung und bei jüngeren Kindern zumindest ein funktionales Äquivalent, durch das ihnen Gelegenheit gegeben wird, ihre Interessen auf altersgerechte Weise zu formulieren und in das Verfahren einzubringen.

22

Nach diesen Maßstäben steht der ordre public der Anerkennung des Urteils des Familiengerichts Izmir vom 8. April 2008 nicht entgegen. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass der - seinerzeit 13 Jahre alte - Kläger vom Gericht persönlich angehört worden ist und mit der Übertragung des Sorgerechts einverstanden war. Auch seine Mutter hat der Sorgerechtsübertragung zugestimmt. Mit Blick auf diese Verfahrenshandhabung und das Vorliegen einer einvernehmlichen Sorgerechtsentscheidung überspannt die Beklagte mit ihrer Rüge, das türkische Gericht habe den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt, die Anforderungen des verfahrensrechtlichen ordre public. Die Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf den Vater des Klägers lässt auch materiell kein Ergebnis erkennen, das mit Blick auf das Kindeswohl mit den Grundwerten des deutschen Familien- und Kindschaftsrechts offensichtlich nicht zu vereinbaren ist. Auch das deutsche Familienrecht kennt das alleinige Sorgerecht des nichtehelichen Vaters (§ 1672 Abs. 1 BGB). Der Vorhalt der Revision, im konkreten Fall sei die Sorgerechtsentscheidung im Wesentlichen ausländerrechtlich motiviert bzw. von ökonomischen Interessen getragen, geht von der Fehlvorstellung aus, diese Kriterien stünden notwendigerweise im Gegensatz zum Kindeswohl. Das ist schon wegen des Förderprinzips als Ausfluss des Kindeswohls nicht der Fall. Der Sache nach greift die Revision im Gewande der Rüge eines Verstoßes gegen den ordre public die ihrer Auffassung nach falsche Abwägung des türkischen Familiengerichts an, das den absehbaren Integrationsproblemen des Kindes nicht das für sein Wohl gebotene Gewicht beigemessen habe; mit dieser eigenen Bewertung des Kindeswohls muss sie indes erfolglos bleiben.

23

3. Die angefochtene Entscheidung beruht aber hinsichtlich der weiteren Nachzugsvoraussetzungen auf der Verletzung von Bundesrecht. Der Kläger erfüllt nach den Feststellungen im Berufungsurteil zwar die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG (Passpflicht) und das Erfordernis ausreichenden Wohnraums (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Das Berufungsgericht ist jedoch zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Lebensunterhalt des Klägers gesichert ist und damit auch die allgemeine Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vorliegt.

24

3.1 Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Dies ist nach § 2 Abs. 3 AufenthG der Fall, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Dabei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht. Erforderlich ist mithin die positive Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist. Dies erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den nachhaltig zur Verfügung stehenden Mitteln. Dabei richten sich sowohl die Ermittlung des zur Verfügung stehenden Einkommens als auch der Unterhaltsbedarf bei erwerbsfähigen Ausländern und Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, seit dem 1. Januar 2005 grundsätzlich nach den entsprechenden Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs (SGB) Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II. Unerheblich ist dabei, ob Leistungen tatsächlich in Anspruch genommen werden; nach dem gesetzlichen Regelungsmodell kommt es nur auf das Bestehen eines entsprechenden Anspruchs an (grundlegend Urteil vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - BVerwGE 131, 370 Rn. 19 ff.).

25

3.1.1 Demzufolge ist der Einkommens- und Bedarfsberechnung grundsätzlich der Personenkreis zugrunde zu legen, der sich aus den Regeln über die Bedarfsgemeinschaft gemäß § 9 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 7 Abs. 2 bis 3a SGB II ergibt (Urteil vom 16. November 2010 - BVerwG 1 C 21.09 - BVerwGE 138, 148 Rn. 14 ff.), unabhängig davon, inwieweit zwischen diesen Personen unterhaltsrechtliche Beziehungen bestehen. Ob mit Blick auf § 2 Abs. 3 AufenthG auch volljährige Kinder in die Bedarfsgemeinschaft ihres leiblichen Elternteils und dessen nicht verheirateten Partners einzubeziehen sind, braucht hier nicht entschieden zu werden. Innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft, deren gesamter Bedarf nicht aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt wird, gilt jede Person im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig (§ 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II) und hat im Regelfall einen Leistungsanspruch in Höhe dieses Anteils. Das führt regelmäßig dazu, dass der Lebensunterhalt des Ausländers dann nicht gesichert ist, wenn der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft, deren Mitglied er ist, nicht durch eigene Mittel bestritten werden kann.

26

Für die Berechnung des zur Verfügung stehenden Einkommens sind von dem gemäß § 11 Abs. 1 SGB II zu ermittelnden Bruttoeinkommen die in § 11b SGB II genannten Beträge abzuziehen. Dazu zählen grundsätzlich auch die freiwillig geleisteten Altersvorsorgebeiträge (§ 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 4 SGB II), hinsichtlich derer eine gewisse Vermutung dafür spricht, dass sie auch zukünftig in gleicher Höhe gezahlt werden. Abzusetzen sind ferner der Freibetrag für Erwerbstätige gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, Abs. 3 SGB II sowie die Pauschale von 100 €, die nach § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II an die Stelle der Beträge nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 5 tritt. Allerdings sind gesetzliche Unterhaltsverpflichtungen abweichend von § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II unabhängig von einer Titulierung einkommensmindernd zu berücksichtigen (Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 33). Dies gilt allerdings nur in der Höhe, in der eine Titulierung auch unter Berücksichtigung des Ranges der Unterhaltsgläubiger rechtlich möglich wäre, und auch nur solange, wie die Erbringung bzw. Geltendmachung von Unterhaltsleistungen tatsächlich zu erwarten ist. Wurden Unterhaltsleistungen über einen längeren Zeitraum weder erbracht noch geltend gemacht, ist regelmäßig davon auszugehen, dass dies auch in der Zukunft der Fall sein wird.

27

Die Bedarfsberechnung bestimmt sich grundsätzlich nach § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II; danach umfassen die Leistungen des Arbeitslosengelds II den Regelbedarf, die Mehrbedarfe sowie den Bedarf für Unterkunft und Heizung. Aufenthaltsrechtlich nicht anzusetzen sind jedoch die in § 28 SGB II enthaltenen Bedarfe für Bildung und Teilhabe. Denn würde man sie als aufenthaltsschädlich berücksichtigen, liefe das dem Grundanliegen des Gesetzgebers zuwider, gerade die Integration ausländischer Kinder systematisch zu fördern, um u.a. Defizite in der sprachlichen Verständigung abzubauen, die den tatsächlichen Zugang zum Arbeitsmarkt beschränken und damit oft zu entsprechenden sozialen Folgelasten führen (vgl. BTDrucks 15/420 S. 61, 68).

28

Etwaige Ansprüche auf Bewilligung von Wohngeld bleiben bei der Berechnung der Sicherung des Lebensunterhalts grundsätzlich außen vor. Wohngeld gehört nicht zu den in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG genannten privilegierten öffentlichen Leistungen und ist daher nicht geeignet, eine bestehende Einkommenslücke zu schließen (vgl. Beschluss vom 4. November 1996 - BVerwG 1 B 189.96 - Buchholz 402.240 § 17 AuslG 1990 Nr. 7). Auf der anderen Seite schadet der Bezug von Wohngeld aber auch nicht, wenn der Bedarf aus eigenem Einkommen, Vermögen oder aufenthaltsrechtlich unschädlichen öffentlichen Leistungen bereits gedeckt ist.

29

Ist der nach den Regelungen des SGB II bestehende Bedarf nicht vollständig gedeckt, ist zu prüfen, ob die verbleibende Einkommenslücke durch einen Kinderzuschlag gemäß § 6a BKGG geschlossen werden kann. Denn der Kinderzuschlag gehört gemäß § 2 Abs. 3 AufenthG zu den aufenthaltsrechtlich unschädlichen Sozialleistungen und soll verhindern, dass Eltern nur wegen der Unterhaltsbelastung für ihre Kinder Arbeitslosengeld II in Anspruch nehmen müssen (BTDrucks 15/1516 S. 83).

30

3.1.2 Im Anwendungsbereich der Familienzusammenführungsrichtlinie (Richtlinie 2003/86/EG) - und damit auch im vorliegenden Fall - ist der Begriff der Lebensunterhaltssicherung zu modifizieren. Denn in der Systematik dieser Richtlinie stellt der Anspruch auf Genehmigung der Familienzusammenführung gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie die Grundregel dar, so dass die den Mitgliedstaten in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie verliehene Befugnis zur Regelung der Nachzugsvoraussetzungen eng auszulegen ist (EuGH, Urteil vom 4. März 2010 - Rs. C-578/08, Chakroun - Slg. 2010, I-1839 = NVwZ 2010, 697 Rn. 43). Der in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie eröffnete Handlungsspielraum darf von den Mitgliedstaaten nicht in einer Weise genutzt werden, dass das Richtlinienziel - die Begünstigung der Familienzusammenführung - und die praktische Wirksamkeit der Richtlinie beeinträchtigt werden (EuGH, Urteil vom 4. März 2010 a.a.O. Rn. 43). Nach dieser Rechtsprechung bezieht sich der Begriff der Sozialhilfe(leistungen) in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie als autonomer Begriff des Unionsrechts nur auf Unterstützungsleistungen, die einen Mangel an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften ausgleichen, nicht aber auf eine Hilfe, die es erlauben würde, außergewöhnliche oder unvorhergesehene Bedürfnisse zu befriedigen (EuGH, Urteil vom 4. März 2010 a.a.O. Rn. 49). Die Sozialhilfe i.S.d. Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/86/EG erfasst daher nur Leistungen, die von öffentlichen Behörden zur Kompensation des Mangels an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften gewährt werden, um die allgemein notwendigen Kosten des Lebensunterhalts für den Ausländer und seine Familienangehörigen zu bestreiten; sie schließt nicht die besondere Sozialhilfe zur Bestreitung besonderer, individuell bestimmter notwendiger Kosten des Lebensunterhalts ein (EuGH, Urteil vom 4. März 2010 a.a.O. Rn. 52).

31

Für die von der Richtlinie 2003/86/EG erfassten Fälle hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts bereits entschieden, dass es der Anwendungsvorrang des Unionsrechts gebietet, bei der Einkommensberechnung den Freibetrag für Erwerbstätigkeit nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, Abs. 3 SGB II nicht zulasten des nachzugswilligen Ausländers abzusetzen. Denn dieser Freibetrag wird in erster Linie aus arbeitsmarkt- bzw. beschäftigungspolitischen Gründen gewährt und soll eine Anreizfunktion zur Aufnahme bzw. Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit haben, nicht aber einen Mangel an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs ausgleichen (Urteil vom 16. November 2010 - BVerwG 1 C 20.09 - BVerwGE 138, 135 Rn. 33). Hinsichtlich des in § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II pauschaliert erfassten Werbungskostenabzugs verlangt das Gebot der individualisierten Prüfung gemäß Art. 17 der Richtlinie 2003/86/EG, den Nachweis geringerer Aufwendungen als die gesetzlich veranschlagten 100 € zuzulassen (Urteil vom 16. November 2010 a.a.O. Rn. 34).

32

Der Bedarfsberechnung sind auch im Anwendungsbereich der Familienzusammenführungsrichtlinie neben dem Bedarf für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II) grundsätzlich die in § 20 SGB II vorgesehenen Regelbedarfssätze zugrunde zu legen (zur Nichtberücksichtigung der nach § 77 Abs. 4 SGB II für eine Übergangszeit geltenden Werte vgl. Urteil des Senats vom heutigen Tag - BVerwG 10 C 4.12 - a.a.O. Rn. 42 ff.). Bei bereits im Entscheidungszeitpunkt nach Grund und Höhe absehbaren Mehrbedarfen ist anhand des unionsrechtlichen Begriffs der Sozialhilfe in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/86/EG wie folgt zu differenzieren:

33

- Die Mehrbedarfszuschläge für Alleinerziehende (§ 21 Abs. 3 SGB II; vgl. Urteil vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - BVerwGE 131, 370 Rn. 25) sowie die Kosten der dezentralen Warmwassererzeugung (§ 21 Abs. 7 SGB II) sind in die Bedarfsberechnung einzustellen. Denn sie decken allgemein notwendige Kosten des Lebensunterhalts der anspruchsberechtigten Personengruppen und dienen nicht der Befriedigung außergewöhnlicher oder unvorhergesehener Bedürfnisse.

34

- Nicht zu berücksichtigen sind dagegen die Mehrbedarfe für werdende Mütter (§ 21 Abs. 2 SGB II), für erwerbsfähige Behinderte (§ 21 Abs. 4 SGB II), für eine aus medizinischen Gründen notwendige kostenaufwändige Ernährung (§ 21 Abs. 5 SGB II), für einen im Einzelfall unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarf (§ 21 Abs. 6 SGB II) und die Erstausstattungsbedarfe (§ 24 Abs. 3 SGB II). Diese Leistungen betreffen besondere, individuell bestimmte notwendige Kosten außerhalb des allgemein notwendigen Lebensunterhalts und dienen der Befriedigung außergewöhnlicher oder unvorhergesehener Bedürfnisse. Daher sind sie unionsrechtlich der von Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/86/EG nicht abgedeckten "besonderen Sozialhilfe" zuzurechnen, die nicht zulasten nachzugswilliger Ausländer berücksichtigt werden darf.

35

3.1.3 Ist der Lebensunterhalt - auch unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - nicht (vollständig) gesichert, ist weiter zu prüfen, ob in dem jeweiligen Einzelfall eine Ausnahme von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in Betracht kommt. Verfassungs-, unions- oder völkerrechtliche Gewährleistungen sowie atypische Umstände des Einzelfalles, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, können Ausnahmen vom Regelfall des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG rechtfertigen (Urteile vom 26. August 2008 a.a.O. Rn. 27, vom 16. August 2010 - BVerwG 1 C 21.09 - BVerwGE 138, 148 Rn. 18 und vom 22. Mai 2012 - BVerwG 1 C 6.11 - DVBl 2012, 1167 Rn. 11). Dabei sind auch im Hinblick auf das unionsrechtliche Gebot der Einzelfallprüfung die in Art. 17 der Richtlinie 2003/86/EG genannten Aspekte zu berücksichtigen. Ob ein Ausnahmefall vorliegt, unterliegt in jedem Fall vollständiger gerichtlicher Überprüfung (Urteil vom 22. Mai 2012 a.a.O.).

36

3.2 An diesen Grundsätzen gemessen beruht das Berufungsurteil auf einer Verletzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Das Berufungsgericht ist im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass auch diese Regelerteilungsvoraussetzung sowohl im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht (25. Oktober 2011) als auch im Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres des Klägers (20. Dezember 2010) vorliegen muss. Des Weiteren hat es erkannt, dass bei der Frage, ob der Lebensunterhalt des Klägers ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert ist, auf die Bedarfsgemeinschaft abzustellen ist, die der Kläger nach einem Zuzug zusammen mit seinem Vater bildet (§ 7 Abs. 3 Nr. 1 und 4 SGB II). Die auf diese Bedarfsgemeinschaft bezogene Einkommens- und Bedarfsprognose ist aber in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft.

37

3.2.1 Das Berufungsgericht hat in seine Prognose - bezogen auf die beiden maßgeblichen Stichtage - die zu erwartenden Einkünfte des Vaters in vollem Umfang eingestellt, ohne mit Blick auf die gebotene Nachhaltigkeit des Mittelzuflusses (vgl. Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 33) zu prüfen, ob und ggf. in welchem Umfang der Vater des Klägers weiteren Familienangehörigen zum Unterhalt verpflichtet ist. Diese Prüfung hätte sich dem Berufungsgericht hier schon deshalb aufdrängen müssen, weil der Vater des Klägers nach den Feststellungen des Familiengerichts in Izmir im Urteil vom 8. April 2008 nach Scheidung von seiner deutschen Ehefrau in der Türkei wieder geheiratet hat und Vater eines weiteren - 2006 geborenen - Kindes ist.

38

3.2.2 Zudem beruhen die Feststellungen des Berufungsgerichts zum voraussichtlichen Erwerbseinkommen des Vaters - bezogen auf den Zeitpunkt der Berufungsverhandlung - auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage. Zu diesem Zeitpunkt war der Vater des Klägers arbeitslos und reichten die Einkünfte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht zur Bedarfsdeckung. Das Berufungsgericht unterstellt, dass der Lebensunterhalt dennoch gesichert ist. Dies begründet es vor allem mit einer vom früheren Arbeitgeber des Vaters erteilten Einstellungszusage. In diesem Zusammenhang fehlen jedoch Feststellungen zur Höhe der im Falle einer Wiedereinstellung realistischerweise zu erwartenden Einkünfte. Dessen hätte es mit Blick auf die gebotene Nachhaltigkeit bedurft, denn das Einkommen des Vaters bei diesem Arbeitgeber unterlag in der Vergangenheit starken auftragsbedingten Schwankungen, und die schlechte Auftragslage hatte kurz zuvor sogar zu einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses geführt. Rein spekulativ sind auch die Erwägungen des Berufungsgerichts, dass es dem Vater des Klägers selbst im Fall einer erneuten Arbeitslosigkeit innerhalb kurzer Zeit gelingen würde, eine neue, den Lebensunterhalt sichernde Arbeit zu finden.

39

3.2.3 Schließlich hat das Berufungsgericht beim Vater des Klägers nicht dessen Mehrbedarf für Alleinerziehende nach § 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB II in Höhe von 12 % der Regelleistung in Ansatz gebracht. Der sich danach ergebende Betrag ist nach der Übergangsregelung in § 77 Abs. 5 SGB II bis zum 31. Dezember 2011 mit der Maßgabe anzuwenden, dass Beträge, die nicht volle Euro-Beträge ergeben, bei einem Betrag von unter 0,50 € abzurunden und von 0,50 € an aufzurunden sind. Dies ergibt zum Stichtag 20. Dezember 2010 einen Mehrbedarf in Höhe von 43 € (43,08 € abgerundet) und zum Stichtag 25. Oktober 2011 in Höhe von 44 € (43,68 € aufgerundet).

40

4. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen im Berufungsurteil kann der Senat in der Sache nicht selbst abschließend entscheiden, so dass der Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zurückzuverweisen ist.

41

Das Berufungsgericht wird in dem neuen Berufungsverfahren zu prüfen haben, ob der Lebensunterhalt des Klägers - sowohl bezogen auf den Zeitpunkt seiner erneuten Verhandlung oder Entscheidung als auch bezogen auf die Verhältnisse bei Vollendung des 16. Lebensjahrs im Dezember 2010 - als gesichert anzusehen ist. Dabei sind bei den Einkünften des Vaters etwaige Unterhaltsverpflichtungen gegenüber weiteren Familienangehörigen einkommensmindernd zu berücksichtigen. Für eine abschließende Entscheidung der Einkommenssituation - bezogen auf den Stichtag 20. Dezember 2010 - sind zudem die bislang fehlenden Einkommensnachweise des Vaters des Klägers für das 2. Halbjahr 2010 anzufordern. Bei der Ermittlung des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs hat das Berufungsgericht - zulasten des Klägers - den Mehrbedarf seines Vaters für Alleinerziehende zu berücksichtigen. Weiter hat es - zugunsten des Klägers - hinsichtlich der in Ansatz zu bringenden Regelbedarfssätzen zu beachten, dass zum Stichtag 20. Dezember 2010 die Regelleistung für Alleinerziehende 359 € betrug (vgl. Bekanntmachung über die Höhe der Regelleistung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II für die Zeit ab 1. Juli 2010 ). Sie wurde erst durch Art. 2 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des SGB II und XII vom 24. März 2011 (BGBl I S. 453) rückwirkend zum 1. Januar 2011 auf 364 € erhöht. Für sonstige erwerbsfähige Angehörige einer Bedarfsgemeinschaft, die - wie der Kläger - zwar bereits das 14. aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, galt nach den einschlägigen Fassungen des § 20 Abs. 2 Satz 2 SGB II zum Stichtag 20. Dezember 2010 ein Regelsatz in Höhe von 80 % der Regelleistung für Alleinstehende und Alleinerziehende, also 287 €, so dass bezogen auf den Stichtag 20. Dezember 2010 nur von einem Regelbedarf der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 646 € (359 € + 287 €), anstelle des vom Berufungsgericht in Ansatz gebrachten Betrags in Höhe von 651 € auszugehen ist. Sollte das Berufungsgericht nach weiteren Ermittlungen und erneuter Berechnung zu dem Ergebnis kommen, dass der Lebensunterhalt des Klägers - bezogen auf einen der beiden Stichtage - nicht gesichert ist, wird es auch der Frage nachzugehen haben, ob - bezogen auf diesen Zeitpunkt - ein Fall vorliegt, der eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG rechtfertigt.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten im vorliegenden Verfahren nur noch um die Feststellung eines Abschiebungsverbots in Bezug auf Afghanistan nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (sog. Qualifikationsrichtlinie).

2

Der 1972 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger paschtunischer Volkszugehörigkeit. Er stammt aus der südöstlich von Kabul gelegenen Provinz Paktia. Im Februar 2001 reiste er nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor, er habe Afghanistan verlassen, um sich einer erzwungenen Rekrutierung durch die Taliban zu entziehen.

3

Im Juli 2001 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - im Folgenden: Bundesamt - den Antrag auf Asyl- und Flüchtlingsanerkennung ab und verneinte das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 1 bis 4 AuslG, stellte aber fest, dass zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hinsichtlich Afghanistans besteht. Zur Begründung führte es aus, die vom Kläger geschilderte Rekrutierung durch die Taliban könne nicht zur Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung führen, da sie nicht an asylerhebliche Merkmale anknüpfe. Sie begründe jedoch ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG. Zwangsrekrutierungen junger Männer durch die Taliban oder die Nordallianz seien im ganzen Land üblich und drohten auch dem Kläger bei einer Rückkehr. Wenn der Kläger in die Armee gepresst und praktisch unvorbereitet in den heftig geführten Kämpfen eingesetzt werde, bestehe akute Gefahr für Leib und Leben.

4

Im Februar 2006 leitete das Bundesamt hinsichtlich des zuerkannten Abschiebungshindernisses ein Widerrufsverfahren ein, weil durch den Sturz der Taliban die Gefahr der Zwangsrekrutierung für den Kläger entfallen sei. Im Rahmen der Anhörung machte dieser geltend, bei ihm lägen nach wie vor individuelle Gründe für die Gewährung von Abschiebungsschutz vor. Sein Heimatdorf in der Provinz Paktia liege nahe der pakistanischen Grenze. Dort sei auch gegenwärtig eines der Hauptoperationsgebiete der Taliban. Für ihn bestehe die Gefahr einer Bestrafung durch die Taliban, weil er sich seinerzeit der Zwangsrekrutierung entzogen habe. Auch die Gefahr der Zwangsrekrutierung bestehe weiterhin. Er wisse von keinen in Afghanistan lebenden Verwandten mehr, die ihm Schutz oder Hilfe geben könnten. Sein Heimatdorf sei bombardiert und das Familienhaus zerstört worden. Seine dort lebende Verwandtschaft solle dabei ums Leben gekommen sein. Seine Ehefrau sei mit den Kindern nach Pakistan geflohen und habe dort in einem Dorf gelebt, das im Oktober 2005 durch ein Erdbeben zerstört worden sei. Seitdem habe er von ihnen kein Lebenszeichen mehr erhalten. Zudem träten bei ihm seit seiner Kindheit drei- bis viermal monatlich epileptische Anfälle auf, die sowohl ärztliche Behandlung als auch teure Medikamente erforderten. Außerdem leide er an einer posttraumatischen Belastungsstörung.

5

Mit Bescheid vom 29. Mai 2006 widerrief das Bundesamt gemäß § 73 Abs. 3 AsylVfG den zuerkannten Abschiebungsschutz und stellte fest, dass sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 6 AufenthG ebenfalls nicht vorliegen. Zumindest im Raum Kabul sei die Sicherheits- und Versorgungslage nicht derart schlecht, dass der Kläger bei einer Rückkehr dorthin "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde". Im Hinblick auf die persönliche Lebenssituation des Klägers als alleinstehender männlicher Erwachsener sei davon auszugehen, dass er im Kabuler Raum eine vergleichsweise stabile Existenzgrundlage finden werde. Er gehöre nicht zu den Personen, die aufgrund ihrer individuellen Situation besonders schutzbedürftig seien. Auch seine epileptischen Anfälle könnten in Kabul ebenso wie seine posttraumatische Belastungsstörung behandelt werden.

6

Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht im September 2007 abgewiesen. Der Widerruf sei zu Recht erfolgt, weil im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ein Abschiebungsverbot nach der jetzt maßgeblichen Nachfolgevorschrift zu § 53 Abs. 6 AuslG, dem § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, nicht bestehe. Auch das in Umsetzung von Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie nunmehr neu eingeführte Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liege im Falle des Klägers nicht vor. Ebenso wenig bestünden sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG. Nach dem Sturz des Taliban-Regimes brauche der Kläger eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban nicht mehr zu befürchten. Dass in der Provinz Paktia die Taliban wieder erstarkt und aktiv seien, sei unerheblich, weil der Kläger sich im Raum Kabul niederlassen könne. Dort sei auch eine Behandlung seiner Erkrankungen möglich. Für den Großraum Kabul könne ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, der zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers infolge willkürlicher Gewalt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG führe, nicht angenommen werden.

7

Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hatte Erfolg. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 11. Dezember 2008 das erstinstanzliche Urteil abgeändert, den Bescheid der Beklagten vom 29. Mai 2006 aufgehoben, soweit die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG widerrufen worden ist, und das Bundesamt verpflichtet, in Bezug auf Afghanistan das Vorliegen der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG festzustellen. Für den Kläger lägen in Bezug auf Afghanistan die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG vor. Dabei sei nach der zwischenzeitlichen Rechtsänderung durch Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes am 28. August 2007 aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes vorrangig auf das neu eingefügte Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG abzustellen. Die Voraussetzungen für ein solches Abschiebungsverbot lägen vor. In der Heimatregion des Klägers, der Provinz Paktia, herrsche derzeit ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt in Form von Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zwischen der afghanischen Regierungsarmee/ISAF/NATO einerseits und den Taliban und anderen oppositionellen Kräften andererseits. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt erfordere keine landesweite Konfliktsituation, sondern liege schon dann vor, wenn seine Voraussetzungen nur in einem Teil des Staatsgebietes erfüllt seien. Die Provinz Paktia liege im südöstlichen Afghanistan im sog. Paschtunengürtel und werde von Hilfsorganisationen und ausländischen Militärs inzwischen als eine der gefährlichsten Gegenden der Welt beschrieben. Die Taliban gewönnen im gesamten Südosten Afghanistans wieder an Stärke und betrachteten Paktia als Rückzugs- und Transitraum. Der Gouverneur der Provinz sei am 10. September 2006 von den Taliban ermordet worden, die während der Beerdigung noch ein Selbstmordattentat verübt hätten. Die Infiltration der Guerilla über die nahe pakistanische Grenze habe rapide zugenommen. In diesem paschtunisch geprägten Gebiet fänden vermehrt Überfälle und Selbstmordattentate der "Fundis der Neo-Taliban" statt. Der Verwaltungsgerichtshof stützt sich dabei auf ein Gutachten von Dr. D. vom Dezember 2006, einen Bericht von Amnesty International vom Januar 2007 sowie den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom März 2008 über den Anstieg gewaltsamer Übergriffe regruppierter Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte im Süden und Südosten Afghanistans.

8

Von diesem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt gingen für eine Vielzahl von Zivilpersonen Gefahren aus, die sich in der Person des Klägers im Falle seiner Rückkehr so verdichten würden, dass sie für ihn als Angehörigen der Zivilbevölkerung eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in Form von Bestrafung und/oder Zwangsrekrutierung durch die Taliban begründen würden, zumal zu seinen Gunsten im Sinne einer Beweislastumkehr der herabgemilderte Prognosemaßstab gemäß Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie heranzuziehen sei: Es sei nämlich davon auszugehen, dass der Kläger im Februar 2001 vor einer ihm drohenden Zwangsrekrutierung und/oder Bestrafung durch die Taliban aus seinem Heimatdorf geflüchtet sei. Die Schilderung des Klägers decke sich mit der Beschreibung der Zwangsrekrutierungspraktiken der Taliban in den Erkenntnismitteln des Bundesamts. Deshalb könne seinen Angaben auch nach Auffassung des Senats geglaubt werden. Es sprächen keine stichhaltigen Gründe dagegen, dass er bei einer Rückkehr wegen seiner Vorgeschichte von einer Bestrafung oder einer Zwangsrekrutierung durch die mit großem Rückhalt der dortigen Bevölkerung agierenden Taliban bedroht würde. Da die dem Kläger infolge des bewaffneten Konflikts drohende Gefahr danach nicht auf neuen, andersartigen verfolgungsbegründenden Umständen beruhe, sondern in einem inneren Zusammenhang mit den für seine Ausreise maßgeblichen Gründen stehe, sei die Anwendung der Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie gerechtfertigt.

9

Der Kläger könne schließlich nicht auf einen internen Schutz in einem anderen Teil Afghanistans verwiesen werden. Denn in anderen Landesteilen, insbesondere in dem wohl allein hier infrage kommenden Bereich der Hauptstadt Kabul, könne der aus der ländlichen Provinz stammende, ungelernte, kranke und seit knapp acht Jahren in Deutschland lebende Kläger angesichts der angespannten Arbeitsmarktsituation und der schlechten Sicherheits- und Versorgungslage sein Existenzminimum nicht sichern. Er verfüge in Kabul über keinerlei familiäres oder soziales Netzwerk oder über Ortskenntnisse. Zu den allgemeinen schwierigen Lebensbedingungen komme hinzu, dass er wegen seiner nachgewiesenen Epilepsie-Erkrankung zusätzlich gesundheitlich gefährdet und deshalb auch nur als sehr eingeschränkt arbeitsfähig anzusehen sei. In diesem Fall seien daher auch nach den vom Senat bisher zu Grunde gelegten strengen Maßstäben sogar die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach nationalem Recht in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen. Auch deshalb sei der angefochtene Widerrufsbescheid aufzuheben.

10

Die Beklagte wendet sich mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision nicht gegen die Aufhebung des Widerrufs des nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, sondern nur noch gegen die Verpflichtung zur zusätzlichen Feststellung eines gemeinschaftsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Sie macht geltend, es sei bereits fraglich, ob der Verwaltungsgerichtshof ordnungsgemäß nach den Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts festgestellt habe. Jedenfalls habe er keine hinreichend nachvollziehbaren Feststellungen dazu getroffen, warum gerade der Kläger aufgrund dieses Konflikts in eine Gefahr für Leib oder Leben geraten solle. Es sei weder festgestellt noch ersichtlich, dass der Kläger etwa einer Personengruppe angehöre, die aufgrund ihrer Stellung und Funktion besonderen Verfolgungsrisiken seitens fanatischer Islamisten ausgesetzt sein könnte. Er gehöre auch keiner religiösen oder ethnischen Minderheit an. Er sei vielmehr ein einfacher Bauer, der Afghanistan wegen seiner damaligen Befürchtung, zwangsrekrutiert zu werden, schon vor über acht Jahren verlassen habe. Dass genau diese Gefahr heute noch bestehen solle, nachdem der Kläger mit 36 Jahren zwar noch im wehrfähigen Alter, aber nach allen Feststellungen ein kranker Mann sei, sei nicht nachvollziehbar. Die Anwendung von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie sei rechtsfehlerhaft, weil die frühere und die etwaige künftige Gefahr nicht gleichartig seien. Von einer derartig hohen Gefahr, dass jedenfalls in der Provinz Paktia praktisch jeder überall und jederzeit einer Gefahr für Leib oder gar Leben ausgesetzt wäre, könne nach den Darstellungen des Verwaltungsgerichtshofs nicht gesprochen werden. Außerdem rügt die Beklagte in der Revisionsverhandlung zusätzlich eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch den Verwaltungsgerichtshof. Dieser habe über das erst in der Berufungsverhandlung vom Hilfsantrag zum Hauptantrag aufgewertete Begehren auf Feststellung des neuen gemeinschaftsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entschieden, ohne der in der Berufungsverhandlung nicht anwesenden Beklagten Gelegenheit zum Tatsachen- und Rechtsvortrag hierzu zu geben.

11

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

12

Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren und ist der Auffassung, der Verwaltungsgerichtshof habe zwar zutreffend einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Süden und Osten Afghanistans angenommen, er habe aber keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, dass dem Kläger eine individuelle erhebliche Gefahr infolge willkürlicher Gewalt drohe. Er habe insoweit Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie rechtsfehlerhaft angewandt. Insbesondere habe er nicht geprüft, ob stichhaltige Gründe dagegen sprächen, dass der Kläger heute noch eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban zu befürchten hätte. Hierzu hätte aber unter anderem angesichts des Alters und des Gesundheitszustandes des Klägers sowie der veränderten politischen Verhältnisse in Afghanistan Anlass bestanden. Das Berufungsgericht habe auch keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen zu den allgemeinen Konfliktgefahren wie etwa den Auswirkungen von Kampfhandlungen, Minen oder Bombardierungen für die Zivilbevölkerung im Herkunftsgebiet des Klägers getroffen.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der Beklagten, die sich nicht gegen die Aufhebung des Widerrufsbescheides durch das Berufungsgericht, sondern nur gegen die zusätzliche Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG richtet, ist begründet. Zwar ist die von der Beklagten erhobene Verfahrensrüge unzulässig (1.), die Rüge der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) hat indes Erfolg (2.). Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG mit einer Begründung bejaht, die mit Bundesrecht nicht in vollem Umfang vereinbar ist. Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil in der Sache nicht abschließend entscheiden kann, ist das Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

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1. Die von der Beklagten erhobene Verfahrensrüge ist schon deshalb unzulässig, weil sie nicht, wie nach § 139 Abs. 3 VwGO erforderlich, innerhalb der Revisionsbegründungsfrist geltend gemacht worden ist. Die Einhaltung dieser Frist war entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Im Übrigen fehlt es an der schlüssigen Darlegung der behaupteten Verletzung des rechtlichen Gehörs. Denn die Beklagte zeigt nicht auf, welches entscheidungserhebliche Vorbringen ihr durch die Heraufstufung des bisherigen Hilfsantrags des Klägers zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zum (weiteren) Hauptantrag in der Berufungsverhandlung abgeschnitten worden ist. Ihre Einwände gegenüber dem Begehren auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG hätte sie schon angesichts des entsprechenden Hilfsantrags vorbringen können und müssen.

15

2. Die Revision rügt dagegen zu Recht, dass die Berufungsentscheidung, soweit sie sich auf das Verpflichtungsbegehren auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bezieht, mit Bundesrecht nicht vereinbar ist.

16

a) Zutreffend ist der Verwaltungsgerichtshof allerdings davon ausgegangen, dass der (weitere) Hauptantrag auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zulässig ist. Zwar hat die Beklagte in der angefochtenen Widerrufsentscheidung vom 29. Mai 2006 nur das Vorliegen der seinerzeit geltenden ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 3 bis 6 AufenthG a.F. verneint. Dies hindert aber nicht, die mit Wirkung vom 28. August 2007 in das Aufenthaltsgesetz aufgenommenen neuen unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG, auf die sich der Kläger von Anfang an auch berufen hat, in das vorliegende gerichtliche Verfahren einzubeziehen. Diese Abschiebungsverbote beruhen auf Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 S. 12) - sog. Qualifikationsrichtlinie - und sind durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz - in das Aufenthaltsgesetz aufgenommen worden. Sie bilden nach der Rechtsprechung des Senats einen eigenständigen, vorrangig vor den verbleibenden nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu prüfenden Streitgegenstand (vgl. Urteile vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 9 und vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11 ff.). Ob und unter welchen Voraussetzungen dieser neue Streitgegenstand - ebenso wie in asylrechtlichen Antragsverfahren - auch in Widerrufsfällen hinsichtlich des subsidiären Schutzes nach § 73 Abs. 3 AsylVfG mit Inkrafttreten des Umsetzungsgesetzes am 28. August 2007 im gerichtlichen Verfahren kraft Gesetzes angewachsen ist, kann hier dahinstehen. Denn jedenfalls dann, wenn das Bundesamt in dem Widerrufsbescheid - wie hier - über sämtliche zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote sachlich entschieden hat, kann der Kläger die neuen, auf der Richtlinie beruhende subsidiären Abschiebungsverbote in das anhängige gerichtliche Verfahren einbeziehen. Insoweit bedarf es nicht eines erneuten Antrags beim Bundesamt und der Durchführung eines vorherigen Verwaltungsverfahrens. Damit wird auch der den Asylprozess beherrschenden Beschleunigungs- und Konzentrationsmaxime Rechnung getragen, nach der am Ende eines gerichtlichen Verfahrens grundsätzlich geklärt sein soll, ob und welchen (zielstaatsbezogenen) Abschiebungsschutz der Kläger zu diesem Zeitpunkt (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) genießt.

17

Der Zulässigkeit des Verpflichtungsbegehrens auf Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots steht entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht entgegen, dass das Berufungsgericht dem ersten Hauptantrag des Klägers (auf Aufhebung des Widerrufs der Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots) entsprochen hat und damit zu Gunsten des Klägers weiterhin ein Abschiebungsverbot nach nationalem Recht (jetzt nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) besteht. Denn ebenso wie der Ausländer im Antragsverfahren verlangen kann, dass vorrangig über das Vorliegen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG entschieden wird, und die Feststellung eines nachrangigen Abschiebungsverbots nach nationalem Recht einer solchen Entscheidung nicht entgegensteht, kann er auch im Widerrufsverfahren eine Klärung seiner vorrangigen Ansprüche in Bezug auf die unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote erstreiten. Er muss sich nicht darauf verweisen lassen, dass ihm bereits ein nachrangiges Abschiebungsverbot nach nationalem Recht zusteht. Der Kläger konnte daher sein Begehren auf Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots neben seinem Antrag auf Aufhebung des Widerrufsbescheides in zulässiger Weise zum Gegenstand eines (weiteren) Hauptantrags machen.

18

Das danach zulässige Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 oder Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist auch nicht deshalb unzulässig geworden, weil das Rechtsschutzinteresse des Klägers an einer solchen Feststellung im Lauf des Revisionsverfahrens entfallen wäre. Zwar ist dem Kläger - wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist - nach rechtskräftig gewordener Aufhebung des Widerrufs des Abschiebungsverbots nach § 53 Abs. 6 AuslG 1990/§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch das Berufungsurteil inzwischen von der Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt worden. Dies führt indes nicht zum Wegfall des Rechtsschutzinteresses an der Zuerkennung eines unionsrechtlich begründeten subsidiären Abschiebungsverbots. Denn die mit dem subsidiären Schutzstatus nach der Richtlinie verbundenen Rechte erschöpfen sich nicht in der Erteilung einer (befristeten) Aufenthaltserlaubnis, sondern können sich auch sonst in vielfältiger Weise zu Gunsten des Klägers auswirken (vgl. Art. 20 ff. der Richtlinie). Zudem würde es dem Sinn und Zweck der Richtlinie, die von einer Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Art. 18 der Richtlinie) ausgeht, widersprechen, wenn dem Kläger mit Rücksicht auf einen nach nationalem Recht erteilten befristeten Aufenthaltstitel eine Entscheidung über das Vorliegen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots versagt würde.

19

b) Die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass im Falle des Klägers die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in Bezug auf Afghanistan vorliegen, hält dagegen einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand.

20

Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Senats trotz teilweise geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie (Urteile vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 17, 36 und vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 11) und ist in diesem Sinne auszulegen.

21

Das Berufungsgericht hat zwar das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Herkunftsgebiet des Klägers zutreffend bejaht (aa). Seine Auffassung, dass der Kläger im Rahmen dieses Konflikts einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt wäre, ist aber mit den rechtlichen Anforderungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht in vollem Umfang vereinbar. Insbesondere reichen die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs nicht für die Annahme aus, dass dem Kläger wegen eines vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden ernsthaften Schadens die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie zugute kommt (bb). Außerdem fehlt es auch an ausreichenden Feststellungen dazu, dass die Situation in der Herkunftsregion des Klägers durch einen so hohen Grad willkürlicher Gewalt gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit dort einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre oder zumindest der Kläger als Zivilperson aufgrund gefahrerhöhender persönlicher Umstände in dieser Weise individuell bedroht wäre (cc).

22

aa) Bei der Prüfung des Vorliegens eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist der Verwaltungsgerichtshof von den im Urteil des Senats vom 24. Juni 2008 (a.a.O. Rn. 19 ff.) entwickelten Grundsätzen ausgegangen und hat den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts unter Berücksichtigung der Bedeutung dieses Begriffs im humanitären Völkerrecht ausgelegt, insbesondere in den vier Genfer Konventionen vom 12. August 1949 einschließlich der Zusatzprotokolle I und II vom 8. Juni 1977 - hier einschlägig: Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte - Zusatzprotokoll II - ZP II - (BGBl 1990 II S. 1550 <1637>). Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. An diesem Ansatz hält der Senat auch angesichts des inzwischen ergangenen Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07 - (Elgafaji, ABl EU 2009, Nr. C 90, 4) fest, das sich mit diesem Tatbestandsmerkmal nicht näher befasst hat. Auch soweit die Gerichte des Vereinigten Königreichs in ihrer neueren Rechtsprechung eine eigenständige Auslegung der Voraussetzungen des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie allein nach dessen Sinn und Zweck befürworten (Urteil des Court of Appeal vom 24. Juni 2009, QD and AH v. Secretary of State for the Home Department <2009> EWCA Civ. 620), gibt dies aus Sicht des Senats keinen Anlass, bei der Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts von dem bisherigen Ansatz abzurücken.

23

Der Ansatz des Senats sieht, wie sich aus den Ausführungen im Urteil vom 24. Juni 2008 (a.a.O. Rn. 19 ff.) im Einzelnen ergibt, keineswegs eine bedingungslose Übernahme der Anforderungen des Art. 1 ZP II vor, sondern zielt auf eine Orientierung an diesen Kriterien, wobei daneben oder ergänzend auch die Auslegung dieses Begriffs im Völkerstrafrecht berücksichtigt werden kann (Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 23). Die Orientierung am humanitären Völkerrecht bedeutet danach, dass einerseits - am unteren Rand der Skala - Fälle innerer Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen nicht als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt gelten (Art. 1 Abs. 2 ZP II) und andererseits - am oberen Rand der Skala - jedenfalls dann ein solcher Konflikt vorliegt, wenn die Kriterien des Art. 1 Abs. 1 ZP II erfüllt sind, d.h. wenn bewaffnete Konflikte im Hoheitsgebiet eines Staates zwischen dessen Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebietes des Staates ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll (ZP II) anzuwenden vermögen. Für zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegende Konflikte ist die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie nicht von vornherein ausgeschlossen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein gewisses Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Wie der Senat ausdrücklich hervorgehoben hat, findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts jedenfalls dort ihre Grenze, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für Zivilpersonen, die in ihrem Herkunftsstaat von willkürlicher Gewalt in bewaffneten Konflikten bedroht sind, entgegensteht. Mit Blick auf diesen Zweck setzt nach Auffassung des Senats das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie nicht zwingend voraus, dass die Konfliktparteien einen so hohen Organisationsgrad erreicht haben müssen, wie er für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 und für den Einsatz des Internationalen Roten Kreuzes erforderlich ist (vgl. Art. 1 Abs. 1 ZP II; im Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 22 noch offengelassen). Vielmehr kann es bei einer Gesamtwürdigung der Umstände auch genügen, dass die Konfliktparteien in der Lage sind, anhaltende und koordinierte Kampfhandlungen von solcher Intensität und Dauerhaftigkeit durchzuführen, dass die Zivilbevölkerung davon typischerweise erheblich in Mitleidenschaft gezogen wird. Entsprechendes dürfte auch für das Erfordernis gelten, dass die den staatlichen Streitkräften gegenüberstehende Konfliktpartei eine effektive Kontrolle über einen Teil des Staatsgebietes ausüben muss. Das bedeutet allerdings nicht, dass das Vorliegen eines dieser Merkmale bei der Gesamtwürdigung nicht als Indiz für die Intensität und Dauerhaftigkeit des Konflikts von Bedeutung sein kann.

24

Zusammenfassend betrachtet ist damit dem von der neueren britischen Rechtsprechung betonten Anliegen, die unterschiedlichen Zielsetzungen des humanitären Völkerrechts einerseits und des internationalen Schutzes nach der Qualifikationsrichtlinie andererseits zu beachten, hinreichend Rechnung getragen, ohne dass das Merkmal des bewaffneten Konflikts völlig losgelöst vom bisherigen Verständnis desselben Begriffs im humanitären Völkerrecht interpretiert und damit konturenlos und - entgegen dem Wortlaut der Vorschrift - praktisch entbehrlich würde.

25

Gemessen an diesen Kriterien reichen die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs für die Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Herkunftsgebiet des Klägers, der Provinz Paktia, aus. Nach den Feststellungen im Berufungsurteil finden im Osten und Süden Afghanistans zwischen den Truppen der ISAF/NATO und der afghanischen Armee einerseits und den Taliban und anderen oppositionellen Kräften andererseits bürgerkriegsähnliche bewaffnete Auseinandersetzungen statt. Dies betreffe auch die im südöstlichen Afghanistan im sog. Paschtunengürtel gelegene Provinz Paktia. Auch diese Region werde von den zunehmenden Kämpfen gegen die Taliban erfasst, deren Angriffe kriegsähnliche Dimensionen annähmen. Dies entspreche auch dem Bericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008, wonach seit Frühjahr 2007 vor allem im Süden und Osten des Landes ein Anstieg der gewaltsamen Übergriffe regruppierter Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte zu verzeichnen sei (UA S. 19 ff.). Diese Feststellungen sind jedenfalls mit Blick auf den Bericht des Auswärtigen Amtes noch ausreichend aktuell, um den Schluss auf einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in der Herkunftsregion des Klägers zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung zu rechtfertigen. Dass der Verwaltungsgerichtshof zum Organisationsgrad der Taliban keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen hat, ist nach den oben dargestellten Auslegungsmaßstäben unschädlich, da angesichts der festgestellten militärischen Stärke und "Erfolge" der Taliban in Teilen Afghanistans keine Zweifel am Vorliegen eines ausreichend intensiven und dauerhaften bewaffneten Konflikts bestehen. Vom Vorliegen eines nichtinternationalen bewaffneten Konflikts im Sinne des Völkerstrafrechts geht im Übrigen auch der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof für die Auseinandersetzungen zwischen den aufständischen Taliban und der afghanischen Regierung sowie der ISAF in Afghanistan aus (Presseerklärung vom 19. April 2010 Nr. 8/2010; vgl. hierzu auch Ambos, NJW 2010, 1725).

26

bb) Die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger bei einer Rückkehr als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben (einschließlich körperlicher Unversehrtheit) infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt wäre, hält dagegen einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat dies unter Anwendung der Beweiserleichterung nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie bejaht. Es ist davon ausgegangen, dass der Kläger 2001 vor einer ihm drohenden Zwangsrekrutierung oder/und Bestrafung durch die Taliban aus seinem Heimatdorf in der Provinz Paktia geflüchtet ist und keine stichhaltigen Gründe dagegensprechen, dass er bei einer Rückkehr dorthin wegen seiner Vorgeschichte von einer Bestrafung oder jedenfalls wegen seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der paschtunischen Männer im wehrfähigen Alter von einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban bedroht würde. Da die den Kläger infolge des bewaffneten Konflikts bedrohende Leib- und Lebensgefahr danach nicht auf neuen, andersartigen verfolgungsbegründenden Umständen beruhe, sondern in einem inneren Zusammenhang mit den zu seiner Ausreise führenden Gründen stehe, sei die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie gerechtfertigt (UA S. 23 f.). Die so begründete Anwendung der Beweiserleichterung im Rahmen des subsidiären Schutzes ist mit Bundesrecht nicht vereinbar.

27

(1) Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder solchem Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder solchem Schaden bedroht wird. Diese Beweiserleichterung in Gestalt einer widerleglichen gesetzlichen Vermutung gilt sowohl für den Flüchtlingsschutz als auch für den subsidiären Schutz nach der Richtlinie (vgl. auch § 60 Abs. 11 AufenthG). Sie setzt für den subsidiären Schutz voraus, dass der Antragsteller im Herkunftsstaat bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war (Vorschädigung). Was unter einem ernsthaften Schaden im Sinne der Richtlinie zu verstehen ist, ist in Art. 15 Buchst. a bis c der Richtlinie definiert.

28

Die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs rechtfertigen schon nicht den Schluss, dass der Kläger vor seiner Ausreise unmittelbar von einem ernsthaften Schaden in diesem Sinne bedroht war und damit die Voraussetzungen für das Eingreifen der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie überhaupt vorliegen. Dass der Kläger als Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Art. 15 Buchst. c der Richtlinie) ausgesetzt war, hat der Verwaltungsgerichtshof nicht festgestellt. Insofern fehlt es für den Zeitraum vor der Ausreise des Klägers sowohl an Feststellungen zum Vorliegen eines bewaffneten Konflikts in der Heimatprovinz des Klägers als auch an jeglichen Feststellungen zum Niveau willkürlicher Gewalt und ihren Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung. Ferner fehlt es an Feststellungen zum Bestehen einer Gefahr für Leib oder Leben des Klägers als Zivilperson.

29

Auch wenn man zu Gunsten des Klägers davon ausgeht, dass der vor der Ausreise erlittene oder unmittelbar drohende Schaden nicht notwendig ein solcher im Sinne des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie sein muss, sondern auch ein Schaden nach den anderen Alternativen dieser Vorschrift sein kann - jedenfalls sofern ein innerer Zusammenhang mit dem aktuell drohenden Schaden besteht - , reichen die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs für die Annahme eines dem Kläger vor der Ausreise unmittelbar drohenden ernsthaften Schadens nach den anderen Alternativen des Art. 15 der Richtlinie nicht aus. Der Sache nach käme vorliegend nur ein Schaden im Sinne von Art. 15 Buchst. b der Richtlinie, also eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung, wegen der vom Verwaltungsgerichtshof angenommenen, im Jahr 2001 drohenden Zwangsrekrutierung des Klägers seitens der Taliban oder einer damit zusammenhängenden Bestrafung in Betracht. Die Feststellungen im Berufungsurteil über die Umstände der Zwangsrekrutierung reichen indes für die Annahme einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK nicht aus. Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar die Überzeugung gewonnen, dass dem Kläger damals eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban drohte, und hat auch die näheren Umstände einer derartigen Rekrutierung (willkürlich, nach Gutdünken, ohne Rechtsgrundlage, Abtransport ohne Umstände in Militärfahrzeugen) festgestellt (UA S. 23), er hat aber keine Ausführungen dazu gemacht, dass und inwiefern darin oder in einer eventuellen Bestrafung im Falle der Verweigerung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK zu sehen ist. Die Zwangsrekrutierung zum Kriegsdienst stellt als solche ebenso wie die Tötung oder Verletzung im Krieg nicht ohne Weiteres eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in diesem Sinne dar. Zur Art und Weise einer Bestrafung enthält das Urteil ebenfalls keinerlei Feststellungen. Auch die Bezugnahme des Verwaltungsgerichtshofs auf die Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG 1990 durch den bestandskräftig gewordenen Bescheid des Bundesamts vom 18. Juli 2001 genügt insoweit nicht. Dieser betraf nicht die Zuerkennung von Abschiebungsschutz wegen Verletzung von Art. 3 EMRK (damals nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990), sondern von nationalem subsidiären Abschiebungsschutz wegen sonstiger Gefahren. Dabei wurde auf die akute Gefahr für Leib und Leben durch den unvorbereiteten Einsatz in der Armee bei heftig geführten Kämpfen abgestellt und damit auf eine Gefahr, die als solche keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK darstellt.

30

Da es an ausreichenden Feststellungen dazu fehlt, ob der Kläger vor der Ausreise von einem ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15 der Richtlinie unmittelbar bedroht war, besteht schon keine ausreichende Tatsachengrundlage für die Anwendung der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie. Auf die Frage des Zusammenhangs zwischen dem vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Schaden und dem aktuell drohenden Schaden sowie auf die Frage, ob stichhaltige Gründe dagegensprechen, dass der Kläger erneut von einem solchen Schaden bedroht wird, kommt es daher nicht mehr an.

31

Der Senat bemerkt allerdings, dass für das Eingreifen der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie nicht nur im Rahmen des Flüchtlingsschutzes sondern auch im Rahmen des subsidiären Schutzes erforderlich ist, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem früher erlittenen oder unmittelbar drohenden Schaden und dem befürchteten künftigen Schaden besteht. Denn die der Vorschrift zu Grunde liegende Vermutung, erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht zu sein, beruht wesentlich auch auf der Vorstellung, dass eine Verfolgungs- oder Schadenswiederholung - bei gleichbleibender Ausgangssituation - aus tatsächlichen Gründen naheliegt (vgl. auch Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - Rn. 21 zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen). Es ist deshalb im Einzelfall jeweils zu prüfen und festzustellen, auf welche tatsächlichen Schadensumstände sich die Vermutungswirkung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie erstreckt. Dabei erscheint es nicht ausgeschlossen, dass etwa ein erlittener Eingriff in die körperliche Unversehrtheit nach Art. 15 Buchst. b der Richtlinie durch eine der Konfliktparteien eines später entstandenen bewaffneten Konflikts, sofern nicht ohnehin eine Schutzgewährung nach dieser Alternative des Art. 15 der Richtlinie geboten ist, auch als ernsthafter Hinweis auf einen persönlichen gefahrerhöhenden Umstand im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie angesehen werden kann, der geeignet ist, schon bei einem nicht extrem hohen Niveau willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts eine erhebliche individuelle Bedrohung der betroffenen Zivilperson an Leib oder Leben anzunehmen. Dagegen dürfte sich die Vermutungswirkung insoweit nicht etwa auf das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts oder auf ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt gegen die Zivilbevölkerung erstrecken (vgl. hierzu unten (2)).

32

(2) Für die Zuerkennung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG fehlt es auch an ausreichenden Feststellungen dazu, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan als Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt wäre. Das in Art. 15 Buchst. c der Richtlinie genannte Merkmal der Bedrohung "infolge willkürlicher Gewalt" ist auch in der nationalen Umsetzungsvorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sinngemäß enthalten (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - a.a.O. Rn. 36). Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07 - (Elgafaji a.a.O.) das Erfordernis einer ernsthaften individuellen Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie dahingehend ausgelegt, dass es sich auf schädigende Eingriffe beziehe, die sich gegen Zivilpersonen ungeachtet ihrer Identität richteten, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreiche, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung im Sinne der Richtlinie ausgesetzt zu sein (Rn. 35). Mit Blick auf den 26. Erwägungsgrund und die Systematik des Art. 15 der Richtlinie bleibe dies allerdings einer außergewöhnlichen Situation vorbehalten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sei, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dass die fragliche Person dieser Gefahr individuell ausgesetzt wäre (Rn. 36, 37). Dies sei dahin zu präzisieren, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen müsse, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz habe, um so geringer sein werde, je mehr er möglicherweise zu belegen vermöge, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen sei (Rn. 39).

33

Aus diesem Verständnis der Vorschrift, das nach Auffassung des Senats der Sache nach den Ausführungen in seinem Urteil vom 24. Juni 2008 entspricht (vgl. Urteil vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 15), folgt, dass in jedem Fall Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt in dem betreffenden Gebiet getroffen werden müssen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Senats auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Insoweit können auch die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden (vgl. Beschluss vom 7. August 2008 - BVerwG 10 B 39.08 - juris Rn. 4 unter Hinweis auf das Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 35; ebenso das britische AIT, Urteil aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22./23. Juli 2009, Afghanistan CG <2009> UKAIT 00044, Rn. 124 ff.).

34

Hierbei ist nach den Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem Urteil vom 17. Februar 2009 (Elgafaji) davon auszugehen, dass nicht nur solche Gewaltakte zu berücksichtigen sind, die die Regeln des humanitären Völkerrechts verletzen (vgl. zu dieser Auffassung auch Urteil des Senats vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 37), sondern auch andere Gewaltakte, die nicht zielgerichtet gegen bestimmte Personen oder Personengruppen, sondern wahllos ausgeübt werden und sich auf Zivilpersonen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken (vgl. EuGH a.a.O. Rn. 34). Angesichts der Auslegung des Begriffs der willkürlichen Gewalt durch den Gerichtshof, aber auch mit Blick auf Sinn und Zweck der Schutzgewährung nach Art. 15 Buchst. c der Richtlinie kann dieser Vorschrift eine Beschränkung auf gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßenden Gewaltakte, zu denen etwa unvorhersehbare Kollateralschäden nicht zählen würden, nicht entnommen werden (so auch die neuere britische Rechtsprechung, Urteil des Court of Appeal vom 24. Juni 2009, QD and AH v. Secretary of State for the Home Department <2009> EWCA Civ. 620).

35

Den vorgenannten Anforderungen an die Feststellung des Niveaus willkürlicher Gewalt bzw. der Gefahrendichte genügt das Berufungsurteil nicht. So fehlt es schon an der zumindest annähernd ermittelten Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet zum maßgeblichen Zeitpunkt lebenden Zivilpersonen. Auch die Feststellungen zur Größenordnung der zivilen Opfer sind nur kursorisch und beziehen sich auf einen länger zurückliegenden Zeitpunkt (UA S. 20). Auch deshalb kann die Berufungsentscheidung insoweit keinen Bestand haben.

36

3. Eine abschließende Entscheidung des Senats auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts ist weder zu Gunsten noch zu Lasten des Klägers möglich. Insbesondere reichen, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, die Feststellungen des Berufungsgerichts über das Niveau willkürlicher Gewalt in der Herkunftsregion des Klägers in keinem Fall aus, um unabhängig von einer etwaigen zusätzlichen Bedrohung aufgrund gefahrerhöhender persönlicher Umstände eine individuelle Betroffenheit des Klägers im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie allein aufgrund seiner Anwesenheit in diesem Gebiet zu bejahen.

37

Das Verfahren ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Bei der erneuten Prüfung wird es gegebenenfalls auch die Gelegenheit haben, auf die von der Revision und dem Vertreter des Bundesinteresses in den Vordergrund gestellte Frage einzugehen, ob die inzwischen bekannt gewordene Erkrankung des Klägers an Epilepsie und sein aktueller Gesundheitszustand der Gefahr einer Zwangsrekrutierung entgegensteht.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Das Bundesamt erlässt nach den §§ 59 und 60 Absatz 10 des Aufenthaltsgesetzes eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn

1.
der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird,
2.
dem Ausländer nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird,
2a.
dem Ausländer kein subsidiärer Schutz gewährt wird,
3.
die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Absatz 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes ausnahmsweise zulässig ist und
4.
der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt.
Eine Anhörung des Ausländers vor Erlass der Abschiebungsandrohung ist nicht erforderlich. Im Übrigen bleibt die Ausländerbehörde für Entscheidungen nach § 59 Absatz 1 Satz 4 und Absatz 6 des Aufenthaltsgesetzes zuständig.

(2) Die Abschiebungsandrohung soll mit der Entscheidung über den Asylantrag verbunden werden. Wurde kein Bevollmächtigter für das Verfahren bestellt, sind die Entscheidungsformel der Abschiebungsandrohung und die Rechtsbehelfsbelehrung dem Ausländer in eine Sprache zu übersetzen, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.

(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.

(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.

(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.