Verwaltungsgericht Aachen Urteil, 24. Juni 2016 - 9 K 345/15
Gericht
Tenor
Der Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Schulamtes für den Kreis Heinsberg vom 27. Januar 2015 verpflichtet, über den Vorschlag einer Gesamtschule als Allgemeine Schule mit einem Angebot zum Gemeinsamen Lernen für die Tochter B. der Klägerin neu zu entscheiden. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin und dem Beklagten jeweils zur Hälfte auferlegt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils beizutreibenden Betrages abwenden, soweit nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
1
Tatbestand
2Die am geborene Tochter der Klägerin besucht die M. Förderschule mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung in M1. .
3Mit Bescheid vom 5. März 2014 stellte das Schulamt für den Kreis Heinsberg (Schulamt) fest, dass B. weiterhin sonderpädagogische Unterstützung vorrangig mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung benötige. Hinzukomme der Förderschwerpunkt Lernen. Diese Ergänzung bedinge keinen Förderortwechsel.
4Ausweislich des Formblattes für den Wechsel des Förderortes am Ende der Primarstufe wünschten die Erziehungsberechtigten die Beschulung im Gemeinsamen Lernen in H. , alternativ in P. . Angegeben wurde, dass eine Beschulung im Gemeinsamen Lernen nur mit Schulbegleitung möglich sei.
5Mit an die Klägerin gerichtetem Bescheid vom 27. Januar 2015 stellte das Schulamt fest, dass auch nach Beendigung der Grundschulzeit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung bestehe, und schlug die Gesamtschule H1. -T. als Allgemeine Schule vor. Des Weiteren heißt es, nächstgelegene Förderschule mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung sei die Förderschule M1. . Die Klägerin könne ihr Kind auch an einer anderen Schule (außerhalb des Kreises Heinsberg) anmelden. Sollte sie ihr Kind nicht an der ihrem Wohnort nächstgelegenen Schule anmelden, sei die Beförderung ihres Kindes zur Schule von ihr selbst zu organisieren. Gegebenenfalls seien die anfallenden Kosten von ihr ganz oder teilweise zu tragen.
6Die Klägerin hat am 23. Februar 2015 Klage erhoben. Sie macht unter anderem geltend, sie beabsichtige B. an der B1. -M2. -Gesamtschule in H. einzuschulen. Sie habe mit dem Schulleiter Einigkeit erzielt, dass B. in diese Schule aufgenommen werde. Die angegriffene Entscheidung entspreche nicht dem Willen der Erziehungsberechtigten. Sie sei darüber hinaus ermessensfehlerhaft. Es sei dem Bescheid auch nicht ansatzweise zu entnehmen, welche Auswahlüberlegungen für die Gesamtschule H1. -T. gesprochen hätten. Nächste Gesamtschule für ihre Tochter sei nicht die zugewiesene Gesamtschule, sondern die Gesamtschule I. -P1. . Bereits dies zeige, dass eine Ermessensausübung überhaupt nicht erfolgt sei. Ein Anspruch auf Zuweisung der gewählten Schule ergebe sich auch aus der Konvention der Vereinten Nationen für die Integration Behinderter.
7Die Klägerin beantragt,
8den Beklagten zu verpflichten, die B1. -M2. -Gesamtschule in H. als Allgemeine Schule mit einem Angebot zum Gemeinsamen Lernen vorzuschlagen,
9hilfsweise,
10den Beklagten zu verpflichten, eine andere entsprechende Gesamtschule als Allgemeine Schule mit einem Angebot zum Gemeinsamen Lernen vorzuschlagen,
11äußerst hilfsweise,
12den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 27. Januar 2015 zu verpflichten, über die vorzuschlagende Schule neu zu entscheiden.
13Der Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Er führt aus, der Bescheid des Schulamtes sei kein Ablehnungsbescheid. Das Schulamt sei verpflichtet, beim Übergang in die Sekundarstufe I den sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf zu überprüfen. Bestehe dieser fort, schlage es nach § 17 Abs. 5 AO-SF im Einvernehmen mit dem Schulträger den Eltern mindestens eine Allgemeine Schule mit einem Angebot zum Gemeinsamen Lernen vor. Von Seiten des Schulamtes habe kein anderer Vorschlag gemacht werden können. B. wohne im Stadtgebiet I. . Die Gesamtschule I. -P1. sei aber nicht barrierefrei, so dass eine Aufnahme dort nicht erfolgen könne. Mit der Stadt H. als Schulträger der dortigen Gesamtschule sei auch Kontakt aufgenommen worden. Seitens des Leiters des Schulverwaltungsamtes sei jedoch keine Zustimmung zur Aufnahme erteilt worden. Nach Rücksprache mit den Schulverwaltungsämtern der Stadt I. und der Gemeinde H1. sei die Möglichkeit gefunden worden, B. an der Gesamtschule H1. -T. aufzunehmen. Das Schulamt könne sie nicht einer Gesamtschule zuweisen.
16Die Kammer hat durch Urteil vom heutigen Tage in dem Verfahren 9 K 1434/15 die auf Aufnahme gerichtete Klage der Klägerin und ihrer Eltern gegen den Beklagten, vertreten durch die B1. -M2. -Gesamtschule, abgewiesen.
17Wegen der weiteren Einzelheiten wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichtsakten nebst den zugehörigen Verwaltungsvorgängen.
18Entscheidungsgründe
19Die Klage hat teilweise Erfolg.
20Der Hauptantrag ist zulässig, aber unbegründet.
21Die Verpflichtungsklage erweist sich als statthafte Klageart, weil es sich bei dem nach § 19 Abs. 5 Satz 3 SchulG NRW gebotenen Vorschlag zumindest dann um einen begünstigenden Verwaltungsakt handelt, wenn zuvor eine Förderschule als Förderort bestimmt gewesen ist.
22Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. August 2014 - 19 B 849/14 -, juris.
23Dies war hier ausweislich des Bescheides vom 5. März 2014 der Fall. Unabhängig davon handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Blick auf die durch den Vorschlag ausgelöste Präferenz im Aufnahmeverfahren an der vorgeschlagenen Schule gemäß § 1 Abs. 4 Satz 3 APO-S I.
24Die Klagebefugnis der nicht allein personensorgeberechtigten Klägerin ergibt sich aus der Einverständniserklärung des Vaters mit ihrer Prozessführung.
25Der Klägerin steht indes kein Anspruch auf Vorschlag der B1. -M2. -Gesamtschule zu.
26Nach §§ 19 Abs. 5 Satz 3 SchulG NRW, 17 Abs. 3 Satz 1 sowie 16 Abs. 1 Satz 1 AO-SF ist den Eltern von der Schulaufsichtsbehörde mit Zustimmung des Schulträgers mindestens eine Allgemeine Schule vorzuschlagen, an der ein Angebot zum Gemeinsamen Lernen eingerichtet ist. Danach ist der Beklagte zum Vorschlag einer solchen Schule aufgrund des Elternwahlrechts verpflichtet; aus der Gesetzesformulierung "mindestens eine" folgt jedoch, dass der Schulaufsichtsbehörde ein Auswahlermessen zwischen in Betracht kommenden Allgemeinen Schulen zusteht.
27Ein Anspruch auf Vorschlag der B1. -M2. -Gesamtschule scheidet jedoch aus, weil diese Schule von der Tochter der Klägerin nicht besucht werden kann. Insoweit ist auf das heutige Urteil im Parallelverfahren 9 K 1434/15 zu verweisen.
28Auch Art. 24 der UN-Behindertenrechtskonvention vermag nicht auf eine abweichende Beurteilung zu führen. Hieraus folgen keine individuellen Leistungsansprüche.
29Vgl. BayVGH, Beschluss vom 5. Oktober 2015 - 7 ZB 15.768 und 15.783 -, juris.
30Der (erste) Hilfsantrag richtet sich vor dem Hintergrund, dass es der Klägerin um einen neuen Vorschlag geht, auf die Verpflichtung des Beklagten, über den Vorschlag erneut zu entscheiden.
31Er erweist sich als begründet.
32Dies ergibt sich zum einen mit Blick darauf, dass es zum Auswahlermessen an zugehörigen Darlegungen im Bescheid des Schulamtes fehlt. Dieser Mangel ist gemäß § 114 Satz 2 VwGO auch nicht wegen im Klageverfahren seitens des Beklagten vorgetragener Gesichtspunkte zur Auswahl zwischen einzelnen Gesamtschulen unerheblich, weil nach dieser Bestimmung lediglich eine Ergänzung von Ermessenserwägungen in Betracht kommt.
33Zum anderen liegt ein Ermessenfehlgebrauch vor, weil nichts dafür ersichtlich ist, dass neben den Gesamtschulen I. -P. sowie H1. -T. und H. auch die näher als die vorgeschlagene Gesamtschule T. -I1. zum Wohnort B2. belegene barrierefreie Gesamtschule I2. in das Auswahlermessen einbezogen worden ist. Die PKW-Entfernung laut Google-Maps beträgt von der Wohnung der Klägerin zur Gesamtschule H1. -T. (Schulgebäude T. -I1. ) 14,1 km (19 Min) und zur Gesamtschule I2. 13,7 km (17 Min).
34Zwar ist die Schulaufsichtsbehörde auch mit Blick auf § 1 Abs. 4 Satz 3 APO-S I nicht gebunden, die wohnortnächste bzw. die bei Ausscheiden der wohnortnächsten dann dem Wohnort zweitnächste Schule usw. vorschlagen. In systematischer Hinsicht wäre eine solche Betrachtungsweise wohl geboten, wenn der Eintritt der Präferenzwirkung des Schulvorschlages davon abhinge, dass die wohnortnächste Schule vorgeschlagen wird. Dies ist nicht der Fall. Vielmehr erweitert der Vorschlag nach § 19 Abs. 5 Satz 3 SchulG den Rechtskreis des Kindes und seiner Eltern insofern, als durch ihn ein Anspruch auf vorrangige Aufnahme an der vorgeschlagenen Allgemeinen Schule begründet wird
35Vgl. OVG NRW, a.a.O.
36Die wohnortnächste Schule ist jedoch zu Unrecht nicht in die Ermessenserwägungen einbezogen worden, weil hier die Besonderheit einer zieldifferenten sonderpädagogischen Unterstützung aufgrund des bereits in 2014 hinzugetretenen Förderschwerpunktes Lernen erforderlich ist. Aufgrund dessen ist nächstgelegene Schule nach § 9 Abs. 3 lit. a SchfkVO die von der Schulaufsichtsbehörde vorgeschlagene Allgemeine Schule, an der ein Angebot zum Gemeinsamen Lernen eingerichtet ist, die mit dem geringsten Aufwand an Kosten und einem zumutbaren Aufwand an Zeit erreicht werden kann und deren Besuch schulorganisatorische Gründe nicht entgegenstehen. Wird also nicht die wohnortnächste Schule vorgeschlagen, besteht zwar an der vorgeschlagenen, weiter entfernten Schule die Präferenz, indes erfolgt eine Schülerfahrkostenerstattung nach § 9 Abs. 9 SchfkVO nicht in vollem Umfang. Die finanziellen Auswirkungen sind abhängig von der Beförderungsart. Welche angesichts der Behinderung von B. in Betracht kommt, wird in die Ermessenserwägungen einzustellen sein.
37Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
38Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
39Die Berufung wird gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
moreResultsText
Annotations
Die örtliche Zuständigkeit richtet sich, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach den folgenden Vorschriften.
Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.
(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.
(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.
(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.
(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.
(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.
(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,
- 1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, - 2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist, - 3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.