Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz Urteil, 04. Mai 2016 - VGH N 22/15

ECLI:ECLI:DE:VERFGRP:2016:0504.VGHN22.15.0A
bei uns veröffentlicht am04.05.2016

§ 11 Absatz 4 Nr. 1 Landesfinanzausgleichsgesetz vom 30. November 1999 (GVBl. S. 415) in der Fassung vom 12. Juni 2007 (GVBl. S. 80) ist mit Artikel 49 Absatz 6 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 49 Absatz 1 und 3 der Verfassung für Rheinland-Pfalz vereinbar.

Gründe

A.

1

Die konkrete Normenkontrolle betrifft eine Regelung des kommunalen Finanzausgleichs, mit der besondere Belastungen ausgeglichen werden sollen, die den betreffenden Kommunen durch die Stationierung ausländischer Streitkräfte entstehen (sogenannter Stationierungsansatz).

I.

2

Die kommunalen Gebietskörperschaften in Rheinland-Pfalz (Ortsgemeinden, Verbandsgemeinden, verbandsfreie Gemeinden, große kreisangehörige Städte, Landkreise und kreisfreie Städte) erhalten ergänzend zu ihren sonstigen Einnahmen zur Deckung ihrer Aufwendungen und Auszahlungen Leistungen des Landes nach dem Landesfinanzausgleichsgesetz. Aus den allgemeinen Finanzzuweisungen werden unter anderem die sogenannten Schlüsselzuweisungen bereitgestellt. Bei den Schlüsselzuweisungen werden verschiedene Arten unterschieden: Die Schlüsselzuweisung A (nach § 8 Landesfinanzausgleichsgesetz – LFAG –) erhalten die Ortsgemeinden sowie die verbandsfreien Gemeinden, große kreisangehörige Gemeinden und kreisfreie Städte, deren so genannte Steuerkraftmesszahl (§ 13 LFAG) geringer ist als ein bestimmter Prozentsatz der durchschnittlichen Steuerkraftmesszahl.

3

Die Schlüsselzuweisungen B erhalten Verbandsgemeinden und verbandsfreie Gemeinden, große kreisangehörige Städte, Landkreise und kreisfreie Städte. Die Schlüsselzuweisungen B bestehen aus zwei unterschiedlichen Komponenten: Zum einen den Schlüsselzuweisungen B1, die sich an der Zahl der Einwohner orientieren (vgl. § 9 Abs. 2 Nr. 1 LFAG: Pro-Kopf-Betrag je Einwohner). Zum anderen erhalten die genannten Gebietskörperschaften Schlüsselzuweisungen B2, die der Gesetzgeber als „das zentrale Instrument des kommunalen Finanzausgleichs“ ansieht (vgl. LT-Drs 15/627, S. 9). Sie werden anhand des Finanzbedarfs und dessen Relation zur Finanzkraft der Kommune berechnet (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 LFAG). Der Finanzbedarf ergibt sich dabei aus der sogenannten Bedarfsmesszahl, die nach § 11 LFAG ermittelt wird. Zur Bestimmung der Bedarfsmesszahl wird der sogenannte Gesamtansatz mit einem einheitlichen Grundbetrag gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 LFAG vervielfacht. Der maßgebliche Gesamtansatz setzt sich seinerseits nach § 11 Abs. 1 Satz 2 LFAG aus der Summe des Hauptansatzes gemäß § 11 Abs. 3 LFAG und der Leistungsansätze gemäß § 11 Abs. 4 LFAG zusammen. Ausgangspunkt für die Berechnung der Bedarfsmesszahl ist also der Hauptansatz, der aus der Zahl der gemeldeten Einwohner folgt. Die Einwohnerzahl nach dem Hauptansatz wird zum Ausgleich besonderer Belastungen durch verschiedene Leistungsansätze ergänzt – unter anderem um den Stationierungsansatz, der Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist. Die insoweit maßgebliche Regelung des § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG lautet in der hier zur Überprüfung gestellten, bis zum 31. Dezember 2013 geltenden Fassung wie folgt:

4

§ 11 Bedarfsmesszahl

[…]

5

(4) Zum Ausgleich besonderer Belastungen wird die Einwohnerzahl nach dem Hauptansatz durch folgende Leistungsansätze ergänzt:

6

1. Ansatz für nicht kasernierte Soldatinnen und Soldaten, Zivilangehörige und Familienangehörige der ausländischen Stationierungsstreitkräfte

7

Der Ansatz beträgt bei Gemeinden 35 v. H. der nach dem Stand vom 30. Juni des Vorjahres ermittelten Zahl der nicht kasernierten Soldatinnen und Soldaten, Zivilangehörigen und Familienangehörigen der ausländischen Stationierungsstreitkräfte, soweit diese nicht den deutschen Meldevorschriften unterliegen.

8

Die Vorschrift bezieht „nicht kasernierte“ Soldaten ausländischer Streitkräfte erst seit dem 1. Januar 2007 mit ein. Bis zum 31. Dezember 2006 war der Stationierungsansatz ausschließlich ein Ansatz für Familienangehörige und Zivilangehörige der ausländischen Stationierungsstreitkräfte. Die Einbeziehung „nicht kasernierter Soldaten“ geht zurück auf ein Urteil des Verfassungsgerichtshofs vom 25. Januar 2006 – VGH B 1/05 –, AS 33, 66. Darin hatte der Verfassungsgerichtshof § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG als mit Art. 49 Abs. 6 Satz 1 in Verbindung mit Art. 49 Abs. 1 und 3 der Landesverfassung

9

„unvereinbar [erklärt], soweit zur Festsetzung des nach dieser Regelung zu bemessenden Leistungsansatzes die nicht kasernierten Soldaten der ausländischen Stationierungsstreitkräfte im Gegensatz zu den Familien- und Zivilangehörigen der ausländischen Stationierungsstreitkräfte unberücksichtigt bleiben.“

10

Darüber hinaus wurde der Gesetzgeber durch das Urteil vom 25. Januar 2006 verpflichtet, bis zum 31. Dezember 2007 eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen. Zur Begründung führte der Verfassungsgerichtshof im Wesentlichen aus, es seien keine hinreichend plausiblen Gründe für den Ausschluss der nicht kasernierten Soldaten der ausländischen Streitkräfte von dem Leistungsansatz erkennbar. Die Beschwerdeführerin der Verfassungsbeschwerde wie auch die kommunalen Spitzenverbände hätten in ihren Stellungnahmen hervorgehoben, in der Lebenswirklichkeit der Stationierungsgemeinden sei insbesondere keine Unterscheidung zwischen nicht kasernierten Soldaten einerseits und Zivilangehörigen ausländischer Stationierungsstreitkräfte andererseits möglich, was das Maß der Inanspruchnahme gemeindlicher Einrichtungen anbelange. Diese Einschätzung habe durch die Benennung konkreter und nachvollziehbarer Gegenbeispiele nicht entkräftet werden können. Sie beruhe auf einleuchtenden Erwägungen und lasse die Ungleichbehandlung der beiden genannten Gruppen nicht plausibel erscheinen.

11

Vor diesem Hintergrund wurde mit dem Gesetz zur Änderung des Landesfinanzausgleichsgesetzes vom 12. Juni 2007 (GVBl. S. 80) die Regelung in ihrer im Wesentlichen bis heute geltenden – und hier zur Überprüfung gestellten – Fassung erlassen. In der Begründung des Gesetzentwurfs der Landesregierung vom Dezember 2006 (LT-Drucks. 15/627, S. 9) wurde zum Zweck der Einbeziehung nicht kasernierter Soldaten ausgeführt:

12

„Die Leistungsansätze nach § 11 Abs. 4 dienen u. a. dem Ziel, die Einwohnerzahl um weitere Personen zu ergänzen, die zwar nicht dem Meldewesen unterliegen, das kommunale Leistungsangebot aber dennoch in Anspruch nehmen. Diesen Zweck verfolgt insbesondere der Stationierungsansatz gemäß § 11 Abs. 4 Nr. 1. Nach der bisherigen Ausgestaltung des Stationierungsansatzes wurden zusätzlich zur melderechtlichen Einwohnerzahl die Familienangehörigen und Zivilangehörigen der ausländischen Stationierungsstreitkräfte zu 35 v. H. berücksichtigt, soweit diese nicht den deutschen Meldevorschriften unterliegen.

13

Im Unterschied zu den Familien- und Zivilangehörigen der ausländischen Streitkräfte wurden die (kasernierten und nicht kasernierten) Soldatinnen und Soldaten der ausländischen Stationierungsstreitkräfte zu keinem Zeitpunkt unmittelbar im Stationierungsansatz berücksichtigt. Auf die Verfassungsbeschwerde einer Stationierungsgemeinde hin hat der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz in seiner Entscheidung vom 2. März 2006 – VGH B 1/05 – (GVBl. S. 125) festgestellt, dass die Entscheidung des Gesetzgebers, die Gruppe der nicht kasernierten Soldatinnen und Soldaten der ausländischen Stationierungsstreitkräfte im Rahmen des Leistungsansatzes gemäß § 11 Abs. 4 Nr. 1 a. F. im Gegensatz zur Gruppe der Familien- und Zivilangehörigen unberücksichtigt zu lassen, gegen das in Artikel 49 Abs. 6 Satz 1 der Verfassung für Rheinland-Pfalz angelegte Gebot interkommunaler Gleichbehandlung verstoße. Der Verfassungsgerichtshof hat den Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 31. Dezember 2007 eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen.

14

Im Rahmen der Neuregelung wird die vom Verfassungsgerichtshof gerügte Ungleichbehandlung von nicht kasernierten Soldatinnen und Soldaten der ausländischen Stationierungsstreitkräfte einerseits und Zivil- bzw. Familienangehörigen der ausländischen Stationierungsstreitkräfte andererseits dadurch beseitigt, dass nun auch die nicht kasernierten Soldatinnen und Soldaten der ausländischen Stationierungsstreitkräfte zusätzlich im Leistungsansatz bei sonst unveränderter Gewichtung von 35 v. H. berücksichtigt werden.

15

Alternativ wäre auch denkbar gewesen, eine Gleichbehandlung der angesprochenen Personengruppen der ausländischen Stationierungsstreitkräfte durch eine Streichung des Stationierungsansatzes herbeizuführen. Hierfür hatte sich das ifo Institut in seinem Gutachten „Der Ausgleich zwischen Finanzbedarf und Finanzkraft im kommunalen Finanzausgleich des Landes Rheinland-Pfalz“ aus dem Jahr 1998 ausgesprochen, weil der Leistungsansatz im Zuge des Truppenabbaus an Bedeutung verliere.

16

Tatsächlich hat sich die Zahl der Angehörigen der ausländischen Stationierungsstreitkräfte und ihrer Familienangehörigen in Rheinland-Pfalz insbesondere in den Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts erheblich verringert. Die aktuell verbliebenen rd. 64 600 nicht kasernierten Angehörigen der ausländischen Stationierungsstreitkräfte (Soldatinnen und Soldaten sowie Zivilbedienstete) einschließlich deren Familienangehörige sind jedoch nicht gleichmäßig über das Land verteilt, sondern konzentrieren sich in der Umgebung der großen US-Militärstandorte. In den dort betroffenen Wohnsitzgemeinden nehmen diese Sondereinwohner nach Anzahl und Nutzungsumfang die kommunalen Leistungen aber nach wie vor in einer Weise in Anspruch, die es rechtfertigt, sie bei der Bedarfsermittlung im Rahmen eines Leistungsansatzes zu berücksichtigen.

17

Neben der Aufnahme der nicht kasernierten Soldatinnen und Soldaten in den Stationierungsansatz ist eine Berücksichtigung weiterer nicht mit Hauptwohnsitz in den Gemeinden gemeldeter Sondereinwohner im Rahmen zusätzlicher Leistungsansätze zur Korrektur der Einwohnerzahl nicht angezeigt. Insoweit haben die Ergebnisse der Untersuchung des ifo Instituts von 1998 weiterhin Gültigkeit.“

18

In dem Gutachten des info-Instituts für Wirtschaftsforschung vom Januar 1998 („Der Ausgleich zwischen Finanzbedarf und Finanzkraft im kommunalen Finanzausgleich des Landes Rheinland-Pfalz“. Gutachten im Auftrag des Ministeriums des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz), auf das die Begründung des Gesetzentwurfs Bezug nimmt, war ausgeführt worden (S. 46 des Gutachtens):

19

„Es könnte gefragt werden, warum zwar die Familien- und Zivilangehörigen der Streitkräfte, diese selbst aber nicht im Leistungsansatz berücksichtigt werden. Die ausländischen Streitkräfte sind – anders als ihre Familien- und Zivilangehörigen, aber ebenso wie etwa Bundeswehrsoldaten in Bundeswehrstandorten – kaserniert; dies bedeutet, dass sie das gemeindliche Leistungsspektrum allenfalls in einem Umfang wahrnehmen, der dem eines Tagesbesuchers entspricht. Eine derart weite Ausdehnung des Tatbestands ‘Sondereinwohner’ würde aber einen sachgerechten und handhabbaren Finanzausgleich unmöglich machen“.

20

Durch das am 1. Januar 2014 in Kraft getretene Landesgesetz zur Reform des kommunalen Finanzausgleichs vom 8. Oktober 2013 (GVBl. S. 349) wurde der Stationierungsansatz von 35 v.H. auf 40 v.H. angehoben und § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG um einen Satz 2 ergänzt, der lautet: „Bei ausländischen Stationierungsstreitkräften, die in Rheinland-Pfalz keine eigenen Wohnungsämter unterhalten, werden die von den jeweiligen Hauptquartieren gemeldeten Zahlen zugrunde gelegt.“ Weitergehende Veränderungen des Stationierungsansatzes erfolgten nicht.

II.

21

1. Im Ausgangsverfahren vor dem Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße begehrt die Verbandsgemeinde Ramstein-Miesenbach eine Verpflichtung des beklagten Landes, ihre Schlüsselzuweisungen B2 für das Haushaltsjahr 2013 höher festzusetzen. Sie ist insbesondere der Auffassung, bei der Berechnung des Stationierungsansatzes müssten auch die in „Barracks“ untergebrachten Soldaten berücksichtigt werden. Auf der Gemarkung der Klägerin des Ausgangsverfahrens befindet sich auf rund 1.300 ha des Gemeindegebiets die „Ramstein Air Base“, ein Militärflugplatz der US-Streitkräfte (86th Airlift Wing). Die Airbase ist das Hauptquartier der United States Air Forces in Europe und Sitz des NATO-Hauptquartiers „Allied Air Command“. Nach der Selbstdarstellung der US-Streitkräfte umfasst die „Kaiserslautern Military Community (KMC)“ rund 13.000 Militärangehörige sowie 9.000 Zivilangehörige und über 25.000 Familienangehörige. Bei der „Kaiserslautern Military Community“ soll es sich damit um die größte Militärgemeinde außerhalb der USA und mit einer Bevölkerung von über 54.000 amerikanischen Staatsangehörigen um die größte Ansammlung von Amerikanern außerhalb der Vereinigten Staaten handeln.

22

Auf dem Gelände der Ramstein Airbase („on base“) befinden sich neben den Verwaltungsgebäuden und Unterkünften auch Kindergärten, Schulen, Restaurants, ein Kino („KMCC Cineplex Movie“) und Einkaufsmöglichkeiten, insbesondere im Rahmen des ca. 800 qm großen „Kaiserslautern Military Community Center“.

23

Die Angehörigen der Streitkräfte wohnen teilweise in Unterkünften auf dem Gelände der Streitkräfte („on base“) und teilweise außerhalb des Geländes der Streitkräfte in einer der umliegenden Zivilgemeinden („off base“). Dabei werden verschiedene Kategorien von Unterkünften unterschieden. In den sogenannten „Barracks“ (Truppenunterkünfte/Soldatenwohnheime) auf dem Gelände der Airbase wohnen vor allem Soldaten ohne Familienangehörige mit niedrigerem Dienstrang. Des Weiteren wohnen Soldaten in Reihenhäusern („Housings“), die sowohl auf dem Gelände der Streitkräfte („on base“) als auch außerhalb des Geländes der Streitkräfte („off base“) angemietet werden. Nach den Feststellungen des vorlegenden Verwaltungsgerichts gibt es auf dem Gelände der Ramstein Airbase zurzeit ca. 700 Wohneinheiten in den „Housings“.

24

Zwischen der Verbandsgemeinde Ramstein-Miesenbach – der Klägerin des Ausgangsverfahrens – und dem Land besteht Streit über die im Rahmen der Schlüsselzuweisung B2 zu berücksichtigende Anzahl von Soldaten. Die Verbandsgemeinde Ramstein-Miesenbach vertritt die Auffassung, die in „Barracks“ untergebrachten Soldaten könnten nicht als kasernierte Soldaten angesehen werden. Bei den „Barracks“ handle es sich nicht um Kasernen, sondern um Wohngebäude mit Ein-Zimmer-Appartment mit WC. Die dort wohnenden Soldaten unterlägen nicht den für Kasernen typischen Restriktionen im Hinblick auf ihre persönliche Bewegungsfreiheit. Es bestehe keine für Kasernen übliche Präsenzpflicht. Die so untergebrachten Soldaten nutzten die Verkehrsinfrastruktur der Gemeinde.

25

2. Das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße hat das Verfahren ausgesetzt und begehrt eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs darüber, ob die Regelung in § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG mit Art. 49 Abs. 6 LV zu vereinbaren ist (Beschluss vom 27. Mai 2015 – 3 K 465/15.NW –, juris). Zur Begründung wird in dem Vorlagebeschluss ausgeführt, es komme auf die Beantwortung der Vorlagefrage an, denn die Kammer sehe mit dem Beklagten die in „Barracks on base“ untergebrachten Soldaten als kaserniert an. Die betreffenden Soldaten seien ungeachtet der konkreten Bezeichnung der Unterkünfte als in einer Gemeinschaftsunterkunft kaserniert zu betrachten. Charakteristisch für eine Kasernierung sei die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft (vgl. § 18 Soldatengesetz). Die in „Barracks on base“ untergebrachten Soldaten hätten aufgrund ihres niedrigen Dienstrangs die Pflicht, auf der Air Base Ramstein zu wohnen, die sie in ihrer dienstfreien Zeit aber verlassen dürften. Bezüglich dieser Unterkünfte hätten die Dienstvorgesetzten ein Betretens- und Kontrollrecht.

26

Die Nichtberücksichtigung kasernierter Soldaten in § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG verstoße gegen Art. 49 Abs. 6 LV. Es seien keine hinreichend plausiblen Gründe für diese Begrenzung des Leistungsansatzes erkennbar. Ein taugliches Unterscheidungsmerkmal für eine Begrenzung des Leistungsansatzes sei die stärkere Nutzung der Einrichtungen einer Gemeinde durch im zivilen Umfeld der jeweiligen Gemeinde lebende nicht kasernierte Soldaten, Familienangehörige und Zivilangehörige der ausländischen Stationierungsstreitkräfte. Tatsächlich gebe es aber nicht nur Angehörige dieser Personengruppen, die in einer Zivilgemeinde („off base“) wohnten, sondern auch solche, die mit ihren Familien in den Housings „on base“ wohnten. Die in diesen Immobilien mit ihren Familien wohnenden Soldaten gälten nach dem Vortrag des beklagten Landes kraft Historie als „nicht kaserniert“, weswegen sie – mit ihren Familien – zu berücksichtigen seien. Um das Differenzierungsmerkmal „nicht kasernierte Soldaten“ und „kasernierte Soldaten“ als Rechtfertigung für eine unterschiedliche Regelung im Finanzausgleich heranziehen zu können, müsste es einen erkennbaren Unterschied im Nutzungsverhalten der Personengruppen bezüglich der Einrichtungen einer Gemeinde geben.

27

Es gebe indessen keine empirischen Erhebungen dazu, dass die nicht kasernierten, in den Housings „on base“ lebenden Soldaten der Stationierungsstreitkräfte die Einrichtungen einer (Zivil-)Gemeinde stärker nutzten als die „on base“ kasernierten Soldaten dieser Streitkräfte. Die Erhebung des Ministeriums des Innern, für Sport und Infrastruktur im Rahmen der Initiative „Willkommen in Rheinland-Pfalz – Unsere Nachbarn aus Amerika“ – vom 24. April 2015, welche die Unternehmensberatung X. durchgeführt habe (Anlage CBH 1 zum Schriftsatz vom 12. Mai 2015 in dem Verfahren 3 K 359/14.NW), komme kein belastbarer Aussagewert zu. Dies gelte vor allem wegen der geringen Rücklaufquote der verteilten Fragebögen (von 1.300 seien 51 Fragebögen zurückgelangt). Auch sei sie nicht mit der Zielsetzung erfolgt, den Nutzungsumfang gemeindlicher Einrichtungen und sonstiger Einrichtungen in einer Gemeinde durch Angehörige der US-Streitkräfte im Raum Ramstein-Miesenbach vor dem Hintergrund des § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG zu ermitteln. Die in der mündlichen Verhandlung der Kammer seitens des Beklagtenvertreters geäußerte Vermutung, die nicht kasernierten Soldaten mit Familien nutzten die Infrastruktur der Gemeinde wohl häufiger als die kasernierten Soldaten, sei nicht geeignet, die Ungleichbehandlung der genannten Gruppen plausibel zu machen. Vielmehr könne man auch vermuten, dass alleinstehende Soldaten in ihrer dienstfreien Zeit gemeinsam die Air Base verließen und ihre Freizeit außerhalb derselben gestalteten.

28

Insgesamt seien plausible Gründe für die Begrenzung des Leistungsansatzes auf nicht kasernierte Soldaten unabhängig davon, ob sie „on base“ in Housings oder „off base“ wohnten, und die Nichtberücksichtigung der kasernierten Soldaten im Rahmen des Stationierungsansatzes weder den Gesetzesmaterialien zu entnehmen noch seien solche ansonsten dargelegt oder erkennbar. Die hierin liegende Systemwidrigkeit lasse sich nicht als noch hinnehmbare Folge einer dem Gesetzgeber grundsätzlich noch möglichen typisierenden Regelung komplexer Sachverhalte einordnen. Die Ermittlung der Anzahl kasernierter Soldaten werde nach dem Vorbringen der Beteiligten im Klageverfahren keine größeren Schwierigkeiten bereiten.

III.

29

Der Verfassungsgerichtshof hat dem Landtag, der Landesregierung und den Beteiligten des Ausgangsverfahrens (d.h. der Verbandsgemeinde Ramstein-Miesenbach als Klägerin des Ausgangsverfahrens und dem Land Rheinland-Pfalz als dem Beklagten) Gelegenheit zur Äußerung gegeben.

30

1. Der Landtag hält § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG für verfassungsgemäß. Die Begrenzung des Leistungsansatzes auf die Gruppe der nicht kasernierten Soldatinnen und Soldaten, Zivilangehörige und Familienangehörige der ausländischen Stationierungsstreitkräfte erweise sich angesichts des legislativen Gestaltungsspielraums als in der Sache vertretbar. Der Landesgesetzgeber sei davon ausgegangen, dass nicht kasernierte Soldaten einen größeren kommunalen Aufwand verursachten als kasernierte Soldaten. Diese Entscheidung habe auf der seinerzeit weiterhin Gültigkeit beanspruchenden finanzwissenschaftlichen Untersuchung des ifo Instituts aus dem Jahr 1998 („Der Ausgleich zwischen Finanzbedarf und Finanzkraft im kommunalen Finanzausgleich des Landes Rheinland-Pfalz“) beruht. Zudem sei in Rechnung zu stellen, dass § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG auch als einheitlicher Bedarfsermittlungstatbestand angesehen werden könne, der indirekt auch die kasernierten Soldatinnen und Soldaten berücksichtige.

31

2. Die Landesregierung und der Beklagte des Ausgangsverfahrens sind ebenfalls der Auffassung, die Regelung sei verfassungskonform. Sie betonen, der hier als Maßstab heranzuziehende Grundsatz der Folge- oder Systemgerechtigkeit sei mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nur teilweise verbunden. In diesem Zusammenhang gehe es nicht notwendig um den Vergleich von Rechtssubjekten, sondern um eine gleichheitsgeleitete begrenzte Selbstbindung des Gesetzgebers. Im Hinblick auf den Folgerichtigkeitsgrundsatz sei die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte auf eine Evidenzkontrolle begrenzt. § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG entspreche in vollem Umfang diesen Anforderungen.

32

Die quantitative Abschätzung und Berücksichtigung des Sonderbedarfs von Gemeinden, bei denen ausländische Stationierungsstreitkräfte angesiedelt seien, falle in den Einschätzungs- und Gestaltungsbereich des Gesetzgebers. Die Unterscheidung kasernierter und nicht kasernierter Soldaten bedeute keine Abweichung von dem Regelungsansatz des Gesetzgebers, sondern seine folgerichtige Durchführung. Es liege daher schon keine Systemwidrigkeit vor, die der Rechtfertigung bedürfe. Der Unterschied zwischen den Personengruppen liege – was vom vorlegenden Gericht nicht ausreichend in Betracht gezogen werde – in der unterschiedlichen Einbindung in den militärischen Dienst der Streitkräfte. Dass auch kasernierte Soldaten ihre Freizeit in der Zivilgemeinde verbringen könnten, dürfe für besondere kommunale Aufwendungen wenig relevant sein. Diese entstünden vor allem durch die Nutzung von Kindergärten, Schulen und sozialen Einrichtungen.

33

Soweit der Vorlagebeschluss darauf verweise, die kasernierten Soldaten nutzten die kommunale Infrastruktur genauso wie die in „Housings“ untergebrachten Soldaten mit Familien, was sich auch darin zeige, dass alle diese ledigen kasernierten Soldaten über eigene PKW verfügten, sei dies nicht plausibel. Es sei nicht ersichtlich, weshalb kasernierte Soldaten mit PKW bei der Nutzung der Infrastruktur an den Grenzen der Stationierungsgemeinde Halt machen sollten. Im Übrigen entspreche es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass die nicht kasernierten Soldaten und Zivilangehörigen durch die Verflechtungen ihrer Familienangehörigen in das zivile Leben eine bedeutend höhere Bindung zum Wohnort aufwiesen und dort stärker integriert seien.

34

Selbst wenn die Unterscheidung der Personengruppen in § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG von dem vom Gesetzgeber gewählten Strukturprinzip abwiche, gebe es hierfür sachgemäße Gründe. Über § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG würden mittelbar auch die kasernierten Soldaten berücksichtigt, und es werde im Hinblick auf die kommunale Mehrbelastung ein angemessenes Abgeltungsergebnis erreicht. Ein vollständiger Ersatz für die anfallenden Mehrkosten sei – anders als im Anwendungsbereich des Konnexitätsprinzips – nicht erforderlich.

35

3. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens – die Verbandsgemeinde Ramstein-Miesenbach – trägt vor, die tatsächlichen Umstände der Unterbringung und Lebensgestaltung der in „Barracks“ untergebrachten Soldaten habe sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Es seien im Falle der Ramstein Air Base unterschiedliche Unterbringungen auf den Liegenschaften des Stützpunktes festzustellen. „On Base“ erfolge die Unterbringung grundsätzlich in sogenannten „Housings“ sowie in den genannten „Barracks“. Die „Barracks“ seien Soldatenwohnheime. Sie würden zum größten Teil von niedrigeren Dienstgraden bewohnt, die im Regelfall keine Angehörigen vor Ort hätten. Die Unterbringung stelle sich baulich als 1-Zimmer-Apartment mit eigenem WC dar, wobei sich jeweils zwei solcher Apartments eine Küche und ein Badezimmer zur gemeinsamen Benutzung teilten. Die dort wohnenden Soldaten unterlägen grundsätzlich keinen Restriktionen im Hinblick auf ihre persönliche Bewegungsfreiheit und es bestehe keine Präsenzpflicht. Die „Housings“ dagegen stellten von den US-Streitkräften errichtete und verwaltete Wohnanlagen dar, die hauptsächlich von höheren Dienstgraden und Soldaten mit Angehörigen bewohnt würden. Sie könnten sowohl in der umliegenden (Zivil-)Gemeinde wie auch „on base“ belegen sein. Baulich stellten diese Wohneinheiten übliche Wohngebäude dar, wie sie auch im zivilen Umfeld genutzt würden.

36

Das Verwaltungsgericht lasse die Möglichkeit außer Acht, § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG verfassungskonform auszulegen und so die in den „Barracks on base“ wohnenden Soldaten als nicht kaserniert anzusehen. Eine Kasernierung bedeute, dass die Soldaten in der militärischen Gebäudeanlage abrufbereit untergebracht seien. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts stehe dem nicht entgegen, dass es dann nur noch nicht kasernierte Soldaten gäbe und damit der gesetzgeberische Wille konterkariert würde. Zum einen sei es möglich, dass durch Veränderungen der tatsächlichen Gegebenheiten eine Rechtsnorm keine praktische Anwendung mehr finde. Zum anderen sei bereits nicht ersichtlich, dass es keinen Anwendungsbereich des Begriffs der kasernierten Soldaten mehr gäbe. Es gebe sehr wohl – regelmäßig in kleineren Einrichtungen – die Situation, dass Soldaten auf dem Gelände der Einrichtung untergebracht seien und dauerhaft alarmbereit präsent sein müssten, zum Beispiel im Falle bewachter Munitionsdepots.

37

Die Regelung in § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG genüge nicht den Anforderungen an eine kohärente Ausgestaltung der Grundentscheidung des Gesetzgebers hinsichtlich des Systems des Lasten- und Finanzausgleichs. Die Unterscheidung der kasernierten von den nicht kasernierten Soldaten gehe auf die auf das Urteil des Verfassungsgerichtshofs vom 25. Januar 2006 folgende Gesetzesänderung zurück. Mit dieser Unterscheidung knüpfe der Gesetzgeber jedoch an ein untaugliches Merkmal an.

38

Der vollständige Ausschluss der kasernierten Soldaten in den „Barracks“ sei nicht haltbar vor dem Hintergrund, dass die gleiche Person, wenn sie nur in einer der „Housings“ untergebracht wäre, mit 35 v.H. in den Stationierungsansatz einflösse. Beide Gruppen seien „on base“ vorhanden und nutzten entsprechend die kommunalen Angebote in der räumlichen Umgebung in vergleichbarer Weise; ein erkennbarer Unterschied im Nutzungsverhalten bezüglich der kommunalen Einrichtungen bestehe nicht. Beiden Gruppen stünden gleichermaßen auch die Einrichtungen der Stationierungsstreitkräfte auf der militärischen Liegenschaft zur Verfügung. Es sei kein Grund ersichtlich, weshalb die eine Gruppe typischerweise die kommunale Infrastruktur weniger intensiv nutzen sollte. Die mit ihren Familien in den „Housings“ wohnenden Soldaten hätten dort wohl den Schwerpunkt ihres Privatlebens. Die in den „Barracks“ wohnenden und typischerweise alleinstehenden Soldaten hätten dagegen fast alle ein eigenes Kraftfahrzeug zur Verfügung und nutzten dieses, um „off base“ ihre Freizeit zu gestalten. Die Beurteilung des Gesetzgebers, wonach sich die kasernierten Soldaten durch eine besondere Nähe zum Militärbetrieb und dem dort vorgehaltenen Angebot an Einrichtungen und Leistungen auszeichneten, sei unzutreffend.

39

Diese Ungleichbehandlung von vergleichbaren Sachverhalten stelle eine Systemwidrigkeit dar, für die keine Rechtfertigung vorliege. Der Vergleich mit anderen Ländern zeige, dass es kein Problem darstelle, die Größenzahl der Gruppen zu ermitteln. So unterschieden die einschlägigen Regelungen in Baden-Württemberg genau zwischen den kasernierten und nicht kasernierten Angehörigen ausländischer Stationierungsstreitkräfte und berücksichtigten diese in unterschiedlichem Maße.

B.

I.

40

Die Vorlage – mit der das Verwaltungsgericht dem Verfassungsgerichtshof die Frage vorgelegt hat, ob der zum Ausgleich besonderer Belastungen in § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG geregelte Leistungsansatz von 35 v.H. für nicht kasernierte Soldatinnen und Soldaten, Zivilangehörige und Familienangehörige der ausländischen Streitkräfte mit Art. 49 Abs. 6 LV zu vereinbaren ist – ist zulässig.

41

1. Die zur Überprüfung gestellte Vorschrift wurde zwar durch das am 1. Januar 2014 in Kraft getretene Landesgesetz zur Reform des kommunalen Finanzausgleichs vom 8. Oktober 2013 (GVBl. S. 349) geändert. Dabei wurde jedoch lediglich der Stationierungsansatz von 35 v.H. auf 40 v.H. angehoben und ein zweiter Satz angefügt („Bei ausländischen Stationierungsstreitkräften, die in Rheinland-Pfalz keine eigenen Wohnungsämter unterhalten, werden die von den jeweiligen Hauptquartieren gemeldeten Zahlen zugrunde gelegt“). Die von dem Verwaltungsgericht aufgeworfene Rechtsfrage ist daher weiterhin relevant.

42

2. Nach Art. 130 Abs. 3 LV und § 24 Abs. 2 Satz 1 des Landesgesetzes über den Verfassungsgerichtshof – VerfGHG – ist in der Begründung einer Richtervorlage anzugeben, inwiefern die im Ausgangsverfahren zu treffende Entscheidung von der Gültigkeit des Landesgesetzes abhängt und mit welcher Vorschrift der Landesverfassung dieses unvereinbar ist. Der Vorlagebeschluss genügt diesen Anforderungen. Das Verwaltungsgericht hat die Entscheidungserheblichkeit der Regelung in § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG aufgezeigt und eingehend dargetan, weshalb es diese für unvereinbar mit Art. 49 Abs. 6 LV hält.

43

3. Der Entscheidung über die Vorlage steht die Bindungswirkung (Art. 136 Abs. 1 LV) des Urteils des Verfassungsgerichtshofs vom 25. Januar 2006 – VGH B 1/05 – AS 33, 66 –, nicht entgegen.

44

Gemäß Art. 136 Abs. 1 LV binden die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs alle Verfassungsorgane, Gerichte und Behörden des Landes (s. auch Jutzi, in: Brocker/Droege/Jutzi [Hrsg.], Verfassung für Rheinland-Pfalz, 2014, Art. 136 Rn. 7). Die Bindungswirkung eines Urteils steht einer erneuten Vorlage der Vorschrift entgegen, sofern nicht tatsächliche oder rechtliche Veränderungen eingetreten sind, die die Grundlage der früheren Entscheidung berühren und deren Überprüfung nahelegen (vgl. entspr. BVerfG, Kammerbeschluss vom 17. November 1998 – 1 BvL 10/98 –, juris m.w.N.).

45

Die Rechtsfrage, die das Verwaltungsgericht vorlegt – nämlich ob der Gesetzgeber auch die kasernierten Soldaten mit in den Leistungsansatz einbeziehen muss, wenn er, wie hier, in Umsetzung des Urteils des Verfassungsgerichtshofs vom 25. Januar 2006 – VGH B 1/05 –, AS 33, 66, die nicht kasernierten Soldaten einbezieht – wurde jedenfalls nicht im Tenor oder in den tragenden Gründen des Urteils vom 25. Januar 2006 entschieden (s. hierzu näher Jutzi, in: Brocker/Droege/Jutzi [Hrsg.], Verfassung für Rheinland-Pfalz, 2014, Art. 136 Rn. 11 m.w.N.), sondern lediglich obiter dictum, also nebenbei, erwähnt. In den Gründen des Urteils des Verfassungsgerichtshofs vom 25. Januar 2006 (AS 33, 66 [75]) heißt es:

46

„Auch ist der Gesetzgeber zur Beseitigung des Verfassungsverstoßes konzeptionell nicht ausschließlich darauf beschränkt, die Gruppe der nicht kasernierten Soldaten der ausländischen Stationierungsstreitkräfte in den Regelungsbereich des § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG bei im Übrigen unveränderter Rechtslage einzubeziehen“.

47

Diese Formulierung gehörte indessen nicht zu den tragenden Gründen des Urteils. Das Urteil beschränkte nämlich die Feststellung der Unvereinbarkeit der Regelung mit Art. 49 Abs. 6 LV auf die Nichteinbeziehung nicht kasernierter Soldaten im Gegensatz zu Familien- und Zivilangehörigen.

II.

48

§ 11 Abs. 1 Nr. 1 LFAG ist in dem hier zu prüfenden Umfang mit der Verfassung für Rheinland Pfalz – LV – vereinbar. Es verstößt nicht gegen das aus Art. 49 Abs. 6 Satz 1 in Verbindung mit Art. 49 Abs. 1 und 3 LV abgeleitete Gebot der Folgerichtigkeit, dass die Vorschrift kasernierte Soldaten nicht in den Stationierungsansatz einbezieht.

49

Das Folgerichtigkeitsgebot ist gewahrt, denn § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG enthält bereits keine rechtfertigungsbedürftige Systemwidrigkeit (1.). Der Gesetzgeber – dem insoweit ein Einschätzungsspielraum zukommt – geht dabei in tatsächlicher Hinsicht von der jedenfalls nicht evident unzutreffenden oder unvertretbaren Annahme aus, dass „nicht kasernierte“ Soldaten der ausländischen Streitkräfte die kommunalen Einrichtungen stärker in Anspruch nehmen und damit den kommunalen Haushalt mehr belasten als „kasernierte“ Soldaten der ausländischen Streitkräfte (2.).

50

1. Die gesetzliche Unterscheidung zwischen „nicht kasernierten“ und „kasernierten“ Soldaten verletzt nicht das Gebot der Folgerichtigkeit, denn sie stellt schon keine rechtfertigungsbedürftige Systemwidrigkeit dar. Vielmehr führt sie den gesetzlichen Leitgedanken – wonach die kommunalen Haushalte im Wesentlichen durch die in der Kommune wohnenden Personen belastet werden – folgerichtig durch.

51

a) Die Regelung in § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG ist am Maßstab des aus Art. 49 Abs. 6 Satz 1 in Verbindung mit Art. 49 Abs. 1 und 3 LV abgeleiteten Gebots der Folgerichtigkeit zu messen.

52

aa) Der gleichheitsrechtliche Ausgangspunkt für die verfassungsrechtliche Überprüfung des Landesfinanzausgleichsgesetzes ist der aus Art. 49 Abs. 6 in Verbindung mit Art. 49 Abs. 1 bis 3 LV abgeleitete Grundsatz interkommunaler Gleichbehandlung. Art. 49 LV gewährleistet den Gemeinden und Gemeindeverbänden das Recht der Selbstverwaltung (Art. 49 Abs. 1 bis 3 LV) und verpflichtet darüber hinaus das Land, den Kommunen auch die zur Erfüllung ihrer eigenen und übertragenen Aufgaben erforderlichen Mittel im Wege des Lasten- und Finanzausgleichs zu sichern (Art. 49 Abs. 6 Satz 1 LV). Hieraus hat der Verfassungsgerichtshof in gefestigter Rechtsprechung abgeleitet, dass den Gemeinden eine angemessene Finanzausstattung verfassungsrechtlich verbürgt ist. Art. 49 Abs. 6 LV gewährleistet den Kommunen die Finanzhoheit, verstanden als Ausgabenhoheit auf der Grundlage einer angemessenen Finanzausstattung. Die Regelung geht vom Grundsatz einheitlicher Aufgabenerfüllung und einheitlicher Ausgleichsleistung aus und beinhaltet eine einheitliche Finanzgarantie. Sie lässt – vorbehaltlich der hier nicht einschlägigen Konnexitätsregelung in Art. 49 Abs. 5 LV – keinen Raum für einen Anspruch der Gemeinden und Gemeindeverbände auf eine gesonderte Erstattung der Kosten für die Wahrnehmung staatlicher Auftragsangelegenheiten oder bestimmter Aufgabenbereiche (VerfGH RP, Urteil vom 5. Dezember 1977 – VGH 2/74 –, AS 15, 66 [70 ff.]; Urteil vom 8. Mai 1985 – VGH 2/84 –, AS 19, 339 [341]; Urteil vom 7. Dezember 1990 – VGH 2/91 –, AS 23, 434 [437]; Urteil vom 16. März 2001 – VGH B 8/00 –, AS 29, 75 [81]; Urteil vom 25. Januar 2006 – VGH B 1/05 –, AS 33, 66 [70]; Urteil vom 14. Februar 2012 – VGH N 3/11 –, AS 41, 29 [37]).

53

Der kommunale Finanzausgleich verfolgt insbesondere zwei Ziele: Zum einen ergänzt er die Finanzquellen der Kommunen und stockt deren Finanzmasse insgesamt auf (vertikale oder fiskalische Funktion des kommunalen Finanzausgleichs). Zum anderen bezweckt er, die Finanzkraftunterschiede zwischen den Kommunen abzubauen. Denn alle Kommunen sollen finanziell in die Lage versetzt werden, die ihnen zugeordneten öffentlichen Aufgaben wahrzunehmen (horizontale oder distributive Funktion). Diese horizontale oder distributive Funktion ist als interkommunaler Lasten- und Finanzausgleich zu verstehen (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 5. Dezember 1977 – VGH 2/74 –, AS 15, 66 [69]; Urteil vom 30. Januar 1998 – VGH N 2/97 –, AS 26, 391 [396]; Urteil vom 25. Januar 2006 – VGH B 1/05 –, AS 33, 66 [70]; Urteil vom 14. Februar 2012 – VGH N 3/11 –, AS 41, 29 [37]).

54

Zur Erreichung der genannten Ziele schreibt Art. 49 Abs. 6 LV dem Gesetzgeber kein bestimmtes Verteilungssystem vor. Vielmehr hat er bei seiner Entscheidung für das eine oder andere in Betracht kommende Modell grundsätzlich ein weites Ermessen (VerfGH RP, Urteil vom 30. Januar 1998 – VGH N 2/97 –, AS 26, 391 [396]; Urteil vom 25. Januar 2006 – VGH B 1/05 –, AS 33, 66 [70]). Er muss aber das Gebot interkommunaler Gleichbehandlung beachten, welches aus der kommunalen Selbstverwaltungs- und Finanzausstattungsgarantie folgt (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 5. Dezember 1977 – VGH 2/74 –, AS 15, 66 [69]; Urteil vom 30. Januar 1998 – VGH N 2/97 –, AS 26, 391 [396]; Urteil vom 25. Januar 2006 – VGH B 1/05 –, AS 33, 66 [70]; Urteil vom 14. Februar 2012 – VGH N 3/11 –, AS 41, 29 [41]).

55

bb) Bei der hier zur Überprüfung gestellten Vorschrift des § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG geht es allerdings nicht um die „interkommunale“ Gleichbehandlung im engeren Sinne. Denn alle kommunalen Gebietskörperschaften, auf deren Gebiet ausländische Streitkräfte stationiert sind, werden in § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG gleich behandelt: Sie unterliegen gleichermaßen der Regelung, dass kasernierte Soldaten ausländischer Streitkräfte – im Unterschied zu nicht kasernierten Soldaten sowie Familien- und Zivilangehörigen ausländischer Streitkräfte – nicht als bedarfserhöhend hinzugerechnet werden. Vor diesem Hintergrund beanstandet auch die Klägerin des Ausgangsverfahrens nicht, sie werde im Vergleich zu anderen Kommunen ungleich schlechter behandelt.

56

§ 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG ist jedoch am Maßstab des – aus dem Gebot interkommunaler Gleichbehandlung abgeleiteten – Folgerichtigkeitsgebots zu messen. Das Folgerichtigkeitsgebot betrifft nicht die Ungleichbehandlung verschiedener kommunaler Gebietskörperschaften, sondern es bindet als spezielle Ausprägung des Willkürverbots den Gesetzgeber an die von diesem selbst formulierten Leitgedanken des jeweiligen Gesetzes. Die Entscheidung des Gesetzgebers für ein bestimmtes Verteilungssystem und dessen Ausgestaltung darf nämlich jedenfalls nicht willkürlich sein (VerfGH RP, Urteil vom 8. Mai 1985 – VGH 2/84 –, AS 19, 339 [346]; Urteil vom 30. Januar 1998 – VGH N 2/97 –, AS 26, 391 [396]; Urteil vom 25. Januar 2006 – VGH B 1/05 –, AS 33, 66 [70]; Urteil vom 14. Februar 2012 – VGH N 3/11 –, AS 41, 29 [41]). Durch sie bindet sich der Gesetzgeber und verpflichtet sich, mit den selbst gewählten Zuteilungs- und Ausgleichsmaßstäben eine im Grundsatz folgerichtige, widerspruchsfreie Ausgleichskonzeption zu schaffen und sie einzuhalten (VerfGH RP, Urteil vom 5. Dezember 1977 – VGH 2/74 –, AS 15, 66 [69]; Urteil vom 30. Januar 1998 – VGH N 2/97 –, AS 26, 391 [396]; Urteil vom 25. Januar 2006 – VGH B 1/05 –, AS 33, 66 [70]).

57

An einer folgerichtigen, widerspruchsfreien Umsetzung der vom Gesetzgeber gewählten Konzeption des Lasten- und Finanzausgleichs fehlt es, wenn mit der betreffenden Regelung dem Grunde nach vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich bewertet werden und diese Systemwidrigkeit nicht durch hinreichend plausible Gründe gerechtfertigt ist (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 25. Januar 2006 – VGH B 1/05 –, AS 33, 66 [71] unter Verweis auf BVerfGE 81, 156 [207]; 85, 238 [247]). Abweichungen von einer einmal getroffenen gesetzgeberischen Entscheidung müssen sich also ihrerseits am Gleichheitssatz messen lassen, d.h. sie bedürfen eines besonderen sachlichen („hinreichend plausiblen“) Grundes (vgl. entspr. zum „Gebot der folgerichtigen Ausgestaltung“ im Steuerrecht BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2014 – 1 BvL 21/12 –, BVerfGE 138, 136). Die Ungleichbehandlung von dem Grunde nach vergleichbaren Sachverhalten kann ferner als Typisierung oder Pauschalisierung zulässig sein, wenn sie durch praktische Erfordernisse der Verwaltung geboten ist oder die mit ihr verbundenen Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 25. Januar 2006 – VGH B 1/05 –, AS 33, 66 [71] m. Verweis auf BVerfGE 84, 348 [360]).

58

b) Gemessen daran ist § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG mit dem aus Art. 49 Abs. 6 Satz 1 in Verbindung mit Art. 49 Abs. 1 und 3 LV abgeleiteten Gebot der Folgerichtigkeit vereinbar.

59

In der unterschiedlichen Behandlung „nicht kasernierter“ und „kasernierter“ Soldaten liegt danach nämlich schon keine rechtfertigungsbedürftige Systemwidrigkeit, denn sie stellt keine ungleiche Bewertung von „dem Grunde nach vergleichbaren“ Sachverhalten dar.

60

Ob etwas „dem Grunde nach“ gleich ist richtet sich danach, ob es wesentlich gleich im Hinblick auf den Zweck der Regelung ist: Die rechtserhebliche Ähnlichkeit oder Verschiedenheit, das für den Vergleich „Wesentliche“, bestimmt sich nach der gesetzlich geplanten Gemeinsamkeit, nach der zu begründenden gemeinsamen Rechtsfolge (P. Kirchhof, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. 1, Lfg. 75 [2015], Art. 3 Abs. 1, Rn. 397). Es ist danach zuvörderst Sache des Gesetzgebers, aus der Vielzahl der Lebenssachverhalte die Tatbestandsmerkmale auszuwählen, die für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung maßgeblich sein sollten (vgl. auch Bickenbach, Die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, 2014, S. 108).

61

Die im Landesfinanzausgleichsgesetz geregelten Zuweisungen des Landes dienen der finanziellen Entlastung der Kommunen (vgl. § 1 Abs. 2 LFAG). In der Begründung des Gesetzentwurfs der Landesregierung vom Dezember 2006 (LT-Drucks 15/627, S. 9) wurde zum Zweck des § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG ausgeführt:

62

„Der Hauptansatz beruht auf der Einwohnerzahl der kommunalen Gebietskörperschaft. Die Einwohnerzahl ist der wichtigste Globalindikator für den Finanzbedarf einer kommunalen Gebietskörperschaft. […] Die Leistungsansätze nach § 11 Abs. 4 dienen u. a. dem Ziel, die Einwohnerzahl um weitere Personen zu ergänzen, die zwar nicht dem Meldewesen unterliegen, das kommunale Leistungsangebot aber dennoch in Anspruch nehmen. Diesen Zweck verfolgt insbesondere der Stationierungsansatz gemäß § 11 Abs. 4 Nr. 1.“

63

Der Gesetzgeber geht also davon aus, dass „kasernierte“ und „nicht kasernierte“ Soldaten für die Zwecke des interkommunalen Finanzausgleichs – das heißt im Hinblick auf ihre Inanspruchnahme des kommunalen Angebots – dem Grunde nach nicht vergleichbar sind. Indem er „nicht kasernierte“ Soldaten bei der Ermittlung des Sonderbedarfs der betreffenden Kommunen in Ansatz bringt und „kasernierte“ außen vor lässt, betrachtet der Gesetzgeber die Gemeinsamkeit der Vergleichsgruppen (Soldaten ausländischer Streitkräfte) als für die Zwecke des Finanzausgleichs unwesentlich und das Unterscheidungsmerkmal „kaserniert“ bzw. „nicht kaserniert“ als wesentlich.

64

Dieser Unterscheidung kasernierter und nicht kasernierter Soldaten – die gleichermaßen gemäß § 14 Satz 1 Nr. 2 Meldegesetz i.V.m. Art. 6 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut vom 3. August 1959 (BGBl. 1961 II S. 1183 [1218]), unabhängig von ihrem Wohnort auf dem Gelände der Streitkräfte oder in der Zivilgemeinde von der Meldepflicht befreit sind – liegt die gesetzgeberische Annahme zugrunde, dass die „nicht kasernierten“ Soldaten sowie die Familien- und Zivilangehörigen die kommunale Einrichtungen in einer Weise und in einem Umfang nutzen, der den kommunalen Haushalt nennenswert belastet, weshalb sie in den Leistungsansatz eingestellt werden sollen. Die Begründung des Gesetzentwurfs (LT-Drucks. 15/627, S. 10) nimmt insoweit Bezug auf das Urteil des Verfassungsgerichtshofs vom 25. Januar 2006, in welchem ausgeführt wurde, dass der Statusunterschied zwischen den unterschiedlichen Gruppen von Angehörigen ausländischer Streitkräfte eine unterschiedliche rechtliche Behandlung nicht trägt, sondern es auf einen Verhaltensunterschied ankommt (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 25. Januar 2006 – VGH B 1/05 –, AS 33, 66 [72 f.]). Ferner heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs:

65

„In den dort betroffenen Wohnsitzgemeinden nehmen diese Sondereinwohner nach Anzahl und Nutzungsumfang die kommunalen Leistungen [aber] nach wie vor in einer Weise in Anspruch, die es rechtfertigt, sie bei der Bedarfsermittlung im Rahmen eines Leistungsansatzes zu berücksichtigen.“

66

Die Auswahl der in § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG einbezogenen Personengruppen (nicht kasernierte Soldaten, Zivilangehörige, Familienangehörige) orientiert sich also an einer Hypothese des Gesetzgebers über die Inanspruchnahme kommunaler Einrichtungen durch diese Personengruppen und damit an einer Annahme über die durch sie verursachte stärkere Belastung des Kommunalhaushalts hinsichtlich ihrer Anzahl und dem Umfang ihrer Nutzung.

67

Die Anknüpfung an das Unterscheidungsmerkmal „kaserniert“ bzw. „nicht kaserniert“ ist damit folgerichtig; sie zieht den gesetzlichen Regelungsgrund bzw. das gesetzliche Regelungsziel (Entlastung der von den Streitkräften belasteten Kommunen im Rahmen des Finanzausgleichs) konsequent als Differenzierungsgrund heran. Die Regelung in § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG ist vor diesem Hintergrund schlüssig und widerspruchsfrei, denn der Gesetzgeber ist von einem unterschiedlichen Nutzungsverhalten der genannten Gruppen – also von wesentlich ungleichen Sachverhalten – ausgegangen, hat also folgerichtig die kasernierten Soldaten von dem Leistungsansatz ausgenommen.

68

2. Der Gesetzgeber – dem insoweit ein Einschätzungsspielraum zukommt – geht dabei in tatsächlicher Hinsicht nicht von evident unzutreffenden oder unvertretbaren tatsächlichen Annahmen aus.

69

a) Dem Gesetzgeber kommt bei der Bemessung der den Kommunen im vertikalen Finanzausgleich insgesamt zu gewährenden Mittel und im Rahmen des interkommunalen Finanzausgleichs ein Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zu (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 14. Februar 2012 – VGH N 3/11 –, AS 41, 29 [37; 41]). Angesichts dieses Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers sind gesetzliche Bestimmungen über den kommunalen Finanzausgleich gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbar (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 14. Februar 2012 – VGH N 3/11 –, AS 41, 29 [42]). Dabei besitzt der gesetzgeberische Spielraum nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine tatsächliche Dimension. So weit der Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers in tatsächlicher Hinsicht reicht, kommt eine verfassungsgerichtliche Beweisaufnahme über die – oftmals soziologisch und ökonomisch komplexe – generelle Tatsachengrundlage eines Gesetzes (sogenannte „legislative facts“) regelmäßig nicht in Betracht. Der Grundsatz der Funktionentrennung und Gewaltenteilung zwischen Verfassungsgericht und Gesetzgeber verbietet es dem Verfassungsgerichtshof, im Bereich gesetzgeberischer Einschätzungsspielräume die tatsächlichen Annahmen des Gesetzgebers ohne Weiteres durch eigene gegenläufige Annahmen zu ersetzen. Parallel zur materiell-rechtlichen Dimension des gesetzgeberischen Spielraums gilt dabei eine in Abhängigkeit von dem Regelungsgegenstand abgestufte Kontrolldichte, die von einer Evidenzkontrolle über eine Vertretbarkeitskontrolle bis hin zu einer intensivierten inhaltlichen Kontrolle reichen kann (vgl. entspr. zu den abgestuften Maßstäben der Tatsachenkontrolle BVerfG, Urteil vom 1. März 1979 – 1 BvR 532/77 u.a. –, BVerfGE 50, 290 [333] m.w.N.).

70

b) Nach diesen Maßstäben ist die Annahme des Gesetzgebers über das unterschiedliche Nutzungsverhalten von „kasernierten“ und „nicht kasernierten“ Soldaten der verfassungsgerichtlichen Kontrolle zugrunde zu legen, denn sie ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

71

Die Annahme des Gesetzgebers ist weder evident unzutreffend noch unvertretbar. Anlass für eine intensivierte inhaltliche Kontrolle – die etwa im Falle erheblicher Eingriffe in Freiheitsrechte von Bürgerinnen und Bürgern angezeigt sein könnte und im Zweifelsfalle eine eigene Beweisaufnahme des Verfassungsgerichtshofs gebieten könnte (vgl. z.B. BVerfG, Urteil vom 21. Juni 1977 – 1 BvL 14/76 –, BVerfGE 45, 187 [230; 235 ff.] – Lebenslange Freiheitsstrafe) – besteht im Falle des hier in Rede stehenden Stationierungsansatzes gemäß § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG nicht. Die Vorschrift entfaltet weder freiheitseinschränkende Wirkung, noch weist sie eine Nähe zu den Diskriminierungsverboten des Art. 3 Abs. 3 GG, die auch im Rahmen des Gleichheitsgrundsatzes nach Art. 17 LV Geltung beanspruchen (Hummrich, in: Brocker/Droege/Jutzi [Hrsg.], Verfassung für Rheinland-Pfalz, 2014, Art. 17 Rn. 10), auf. Auch geht es nicht um Freiheitsrechte oder sonst um individuelle Rechte. Nicht einmal die gleichmäßige Verteilung staatlicher Finanzmittel zwischen den Kommunen beziehungsweise zwischen dem Land und den kommunalen Gebietskörperschaften steht in Rede, denn die Regelung behandelt – wie eingangs dargelegt – alle von ihr betroffenen kommunalen Gebietskörperschaften gleich.

72

Vor diesem Hintergrund genügt es, dass die tatsächliche Annahme des Gesetzgebers über die Inanspruchnahme kommunaler Einrichtungen durch „nicht kasernierte“ Soldaten im Unterschied zu „kasernierten“ Soldaten jedenfalls nicht evident unzutreffend oder unvertretbar ist.

73

Zunächst ist festzustellen, dass im Gesetz nicht definiert ist, was der Gesetzgeber unter „nicht kaserniert“ versteht. Insoweit kommen im Wesentlichen zwei verschiedene Auslegungsmöglichkeiten in Betracht: Zum einen kann man als „nicht kaserniert“ alle diejenigen Soldaten ausländischer Streitkräfte ansehen, die in „Housings“ (Reihenhäusern) wohnen, unabhängig davon ob diese sich auf dem Gelände der Streitkräfte („on base“) oder außerhalb dessen in einer Zivilgemeinde („off base“) befinden. Zum anderen kann der Ausdruck „nicht kaserniert“ enger verstanden werden. Dann fallen darunter nur solche Soldaten ausländischer Streitkräfte, die außerhalb des Geländes der Streitkräfte wohnen („off base“). Beide Auslegungsmöglichkeiten sind vom Wortlaut der Norm gedeckt. Die Vorschrift ist bei jeder dieser Auslegungen verfassungskonform:

74

aa) Das Verwaltungsgericht geht in seinem Vorlagebeschluss davon aus, dass nur solche Soldaten „kaserniert“ sind, die in „Barracks“, also in Truppenunterkünften (Soldatenwohnheimen) untergebracht sind. Es hat dazu im Einzelnen ausgeführt (Beschluss des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße, Beschluss vom 27. Mai 2015 – 3 K 465/15.NW –, juris Rn. 52):

75

„Die in ‘Barracks’ wohnenden Soldaten sind ungeachtet der baulichen Gestaltung und Ausstattung sowie der konkreten Bezeichnung der Unterkünfte (Barracks, dormitary oder Soldatenwohnheim, Truppenunterkunft) als in einer Gemeinschaftsunterkunft kaserniert zu betrachten. Charakteristisch für eine Kasernierung ist die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft (vgl. hierzu auch § 18 Soldatengesetz – SG –). Eine Kasernierung erfordert keine spartanische Unterbringung der Soldaten. Die Erwartungen und Bedürfnisse der (Berufs)Soldaten an ihre räumliche Unterbringung haben sich im Laufe der Jahre geändert und sind gestiegen. Dem tragen die US-Streitkräfte durch entsprechende Gestaltung der Unterkünfte Rechnung. Die in den ‘Barracks on base’ untergebrachten Soldaten haben aufgrund ihres niedrigen Dienstrangs die Pflicht, auf der Air Base Ramstein zu wohnen (vgl. Anlage CBH 44 zur Klagebegründung in dem Verfahren 3 K 359/14.NW), die sie in ihrer dienstfreien Zeit aber verlassen dürfen. Bezüglich dieser Unterkünfte haben die Dienstvorgesetzten ein Betretens- und Kontrollrecht. Die Kammer erachtet daher die ‘on base’ in ‘Barracks’ untergebrachten Soldaten als kaserniert.“

76

Geht man mit dem vorlegenden Verwaltungsgericht und der bisherigen Verwaltungspraxis davon aus, dass die in „Housings“ wohnenden Soldaten „nicht kaserniert“ im Sinne von § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG sind, ist die Norm nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber durfte nämlich im Rahmen seines Einschätzungsspielraums annehmen, dass das Nutzungsverhalten der in den „Barracks“ („on base“) untergebrachten Soldaten sich von den in „Housings“ („on base“) untergebrachten Soldaten unterscheidet. Die Annahme, die – in der Regel mit ihren Familien – in „Housings“ wohnenden Soldaten nutzten die kommunalen Einrichtungen stärker als die in „Barracks“ untergebrachten Soldaten, ist nicht evident unzutreffend oder unvertretbar. Es erscheint nämlich jedenfalls nicht sachfremd anzunehmen, dass sich die Freizeitgestaltung von Familien – die typischerweise in den „Housings“ wohnen – von der Freizeitgestaltung Alleinstehender – die in „Barracks“ untergebracht sind – unterscheidet. Insoweit durfte der Gesetzgeber im Rahmen seines Einschätzungsspielraums davon ausgehen, dass Familien aufgrund ihrer sozialen Verflechtungen im Zusammenhang mit Schul- und Kindergartenbesuchen typischerweise eine stärkere Einbindung in die lokale Gemeinschaft aufweisen und dementsprechend die Einrichtungen stärker nutzen.

77

Die Annahme des Gesetzgebers über die intensivere Inanspruchnahme kommunaler Einrichtungen durch „nicht kasernierte“ Soldaten kann sich auf eine Aussage in dem Gutachten des ifo Instituts aus dem Jahr 1998 stützen. Dort wurde ausgeführt, kasernierte Soldaten nähmen „das gemeindliche Leistungsspektrum allenfalls in einem Umfang“ wahr, der dem eines Tagesbesuchers entspreche (ifo Institut für Wirtschaftsforschung, Der Ausgleich zwischen Finanzbedarf und Finanzkraft im kommunalen Finanzausgleich des Landes Rheinland-Pfalz. Gutachten im Auftrag des Ministerium des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz, 1998, S. 46). Auf welchem Weg die Gutachter des ifo Instituts zu dieser Feststellung gelangt waren und ob diese Aussage auf wissenschaftlichen Erhebungen beruht, geht aus dem Gutachten zwar nicht hervor. Die Aussage der Gutachter spricht aber dafür, dass die entsprechende tatsächliche Annahme des Gesetzgebers zumindest nicht völlig fernliegend oder sachfremd ist.

78

Zudem lag auch dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs vom 25. Januar 2006 – VGH B 1/05 –, AS 33, 66, die Unterscheidung von „kasernierten“ und „nicht kasernierten“ Soldaten zugrunde. Die Ausführung des Verfassungsgerichtshofs, wonach der Gesetzgeber „zur Beseitigung des Verfassungsverstoßes konzeptionell nicht ausschließlich darauf beschränkt“ sei, „die Gruppe der nicht kasernierten Soldaten der ausländischen Stationierungsstreitkräfte in den Regelungsbereich des § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG bei im Übrigen unveränderter Rechtslage einzubeziehen“, wurde zwar – wie oben dargelegt (B.I.3.) – obiter dictum getroffen. Sie ist aber ein weiterer Beleg dafür, dass die Annahme des Gesetzgebers, kasernierte und nicht kasernierte Soldaten nähmen kommunale Einrichtungen unterschiedlich stark in Anspruch, nicht unvertretbar ist und der Gesetzgeber jedenfalls nicht willkürlich handelte, als er eine entsprechende Regelung in Anlehnung an die von dem Verfassungsgerichtshof getroffene Differenzierung schuf.

79

Nicht zuletzt lassen auch die Regelungen anderer Bundesländer eine unterschiedliche Bewertung „kasernierter“ und „nicht kasernierter“ Soldaten erkennen. So werden beispielsweise „nicht kasernierte“ Mitglieder der Stationierungsstreitkräfte in Baden-Württemberg der Einwohnerzahl hinzugerechnet (§ 30 Abs. 2 Nr. 2 Finanzausgleichsgesetz Baden-Württemberg – FAG BW –), wohingegen kasernierte Soldaten der Stationierungsstreitkräfte zu einem prozentualen Aufschlag bei der Bedarfsmesszahl führen (§ 7 Abs. 3 Nr. 1 FAG BW). Auch das bayerische Finanzausgleichsgesetz unterscheidet „nicht kasernierte“ und „kasernierte“ Mitglieder der Stationierungsstreitkräfte (vgl. Art. 3 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 2 BayFAG).

80

bb) Es wäre ebenfalls verfassungskonform, lediglich die außerhalb des Militärgeländes („off base“) wohnenden Soldaten als „nicht kaserniert“ anzusehen, also alle „on base“ wohnenden Soldaten als „kaserniert“ im Sinne von § 11 Abs. 4 Nr. 4 LFAG zu betrachten und bei der Berechnung des Leistungsansatzes außer Betracht zu lassen. Bei diesem Normverständnis stünden der Klägerin des Ausgangsverfahrens lediglich Zuweisungen für die außerhalb des Geländes des Streitkräfte („off base“) wohnenden Soldaten zu.

81

Diese Lesart der Norm entspricht zwar bislang nicht der Verwaltungspraxis. Sie wäre aber ebenso verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Im Rahmen des gesetzgeberischen Spielraums läge es nämlich ebenfalls ohne Weiteres anzunehmen, das Nutzungsverhalten der „on base“ (in „Housings“ und in „Barracks“) wohnenden Soldaten sei dem Grunde nach nicht mit dem Nutzungsverhalten von „off base“ wohnenden Soldaten vergleichbar. Denn den „on base“ wohnenden Soldaten steht die „on base“ vorhandene umfangreiche Infrastruktur (Schulen, Kindergärten, das „Kaiserslautern Military Community Center“ etc.) unmittelbar zur Verfügung. Es erschiene daher nicht unvertretbar anzunehmen, die „on base“ wohnenden Soldaten nutzten die im Umland gelegenen kommunalen Einrichtungen weniger stark als die „off base“ wohnenden. Dies gilt selbst dann, wenn man unterstellte, die „on base“ und die „off base“ wohnenden Soldaten nutzten in gleicher Weise die Einrichtungen auf dem Gelände der Streitkräfte, denn selbst dann müssten die „off base“ wohnenden Soldaten unter Nutzung von Gemeindestraßen zu dem Gelände der Streitkräfte gelangen, wohingegen die „on base“ wohnenden Soldaten sich bereits vor Ort befänden.

82

cc) Ob der Gesetzgeber angesichts des ihm zukommenden weiten Ermessens bei der Festlegung der Zuteilungs- und Ausgleichmaßstäbe des kommunalen Finanzausgleichs und seiner insoweit bestehenden Gestaltungsfreiheit (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 25. Januar 2006 – VGH B 1/05 –, AS 33, 66 [70; 75]) nach Art. 49 Abs. 6 LV überhaupt gehalten ist, einen Stationierungsansatz festzulegen, braucht der Verfassungsgerichtshof demgegenüber vorliegend nicht zu entscheiden (vgl. bereits VerfGH RP, Urteil vom 25. Januar 2006 – VGH B 1/05 –, AS 33, 66 [75]; s. auch Nell/Beucher, in: PdK RP, EL August 2011, E 1, S. 53).

83

b) Die Annahme des Gesetzgebers über die unterschiedliche Inanspruchnahme kommunaler Einrichtungen durch „kasernierte“ und „nicht kasernierte“ Soldaten ist auch im Lichte der Gegenannahme des Verwaltungsgerichts nicht evident unzutreffend oder unvertretbar. Das Verwaltungsgericht hat die Annahmen des Gesetzgebers nicht widerlegt, sondern lediglich die gegenläufige Hypothese zugrundegelegt, „dass alleinstehende Soldaten in ihrer dienstfreien Zeit gemeinsam die Air Base verlassen und ihre Freizeit außerhalb derselben gestalten“ (so Vorlagebeschluss vom 27. Mai 2015 – 3 K 465/15.NW –, juris Rn. 87 in Anlehnung an das Urteil des Verfassungsgerichtshofs vom 25. Januar 2006 – VGH B 1/05 –, AS 33, 66 [72 f.]). Dies genügt nach den oben dargelegten Maßstäben jedoch nicht, um die Tatsachenannahme des Gesetzgebers als unvertretbar zu qualifizieren.

84

Eigene Erhebungen zum Freizeitverhalten der Soldaten hat das vorlegende Verwaltungsgericht jedoch nicht angestellt. Als Beleg für seine Hypothese zieht das Verwaltungsgericht vielmehr lediglich einen Aktenvermerk der Klägerin des Ausgangsverfahrens über einen Vor-Ort-Termin am Flugplatz Ramstein am 29. Oktober 2013 heran, an dem Vertreter der Verbandsgemeindeverwaltung und der US-Luftstreitkräfte teilgenommen haben (Anlage CBH 44 zur Klageschrift in dem Verfahren 3 K 359/14.NW). Darin wird ausgeführt die in den „Dormitories“ untergebrachten Soldaten nutzten die „kommunale Infrastruktur genau wie die in Housings untergebrachten Soldaten mit Familien“. Dies zeige sich auch darin, dass nahezu alle diese ledigen Soldaten über eigene PKWs“ verfügten (vgl. Vorlagebeschluss vom 27. Mai 2015 – 3 K 465/15.NW –, juris Rn. 88). Diese Aussage des Vermerks beruht indessen nicht auf einer statistischen Erhebung oder einer validen soziologischen Untersuchung, sondern sie gibt die Meinung des Vertreters der Verbandsgemeinde bzw. die Äußerung eines der drei bei der Ortsbegehung anwesenden Angehörigen der amerikanischen Streitkräfte wieder. Eine Widerlegung der Annahme des Gesetzgebers kann darin nicht gesehen werden.

85

Auch die Umfrage im Rahmen der Initiative „Willkommen in Rheinland-Pfalz – Unsere Nachbarn aus Amerika“ vom 24. April 2015 (Anlage CBH 1 zum Schriftsatz vom 12. Mai 2015 in dem Verfahren 3 K 359/14.NW) widerlegt die Einschätzung des Gesetzgebers nicht. Sie diente nicht der Erhebung des Nutzungsverhaltens für die Zwecke des § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG, und nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts kommt ihr wegen der geringen Rücklaufquote der verteilten Fragebögen (von 1.300 gelangten 51 Fragebögen zurück) auch kein belastbarer Aussagewert zu (vgl. Vorlagebeschluss vom 27. Mai 2015 – 3 K 465/15.NW –, juris Rn. 85). Den Ergebnissen der Umfrage lässt sich außerdem entnehmen, dass erst nach mehreren Jahren des Aufenthalts eine signifikante Nutzung des städtischen Beratungsangebots über örtliche Angebote erfolgt. Diejenigen Haushalte, die sich an der Umfrage beteiligten, nutzten daher die kommunalen Angebote zum Zeitpunkt der Umfrage nur in relativ geringem Umfang, denn 58 % der Haushalte wohnten erst seit maximal drei Jahren in Ramstein-Miesenbach.

86

c) Nach alledem besteht auch kein Anlass für die Annahme, der Gesetzgeber habe seinerseits die Tatsachengrundlage des Stationierungsansatzes in § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG weiter aufklären müssen.

87

Der Gesetzgeber war nicht zu einer empirisch-wissenschaftlichen Erforschung des Nutzungsverhaltens der „nicht kasernierten“ und der „kasernierten“ Soldaten verpflichtet. Er durfte sich bei der Regelung des Stationierungsansatzes in § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG an seiner jedenfalls nicht unvertretbaren Hypothese über die Belastung der kommunalen Haushalte durch die Mitglieder ausländischer Streitkräfte orientieren.

88

Dem Gesetzgeber obliegt bei der Regelung des kommunalen Finanzausgleichs zwar die Einhaltung gewisser verfahrensrechtlicher Mindestanforderungen. Insbesondere muss er seinen Entscheidungen über Umfang und Verteilung der Finanzausgleichsmittel eine Land und Kommunen erfassende Betrachtung der Aufgaben- und Ausgabenlasten sowie der Einnahmensituation zugrunde zu legen und diese entsprechend dokumentieren (vgl. zu solchen verfahrensrechtlichen Mindestanforderungen VerfGH RP, Urteil vom 14. Februar 2012 – VGH N 3/11 –, AS 41, 29 [41 f.]), wobei offen bleiben kann, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Verletzung dieser Verpflichtung justiziabel wäre. Die Verpflichtung zur Betrachtung der Aufgaben- und Ausgabenlasten und der Einnahmensituation erstreckt sich aber nicht auf jedes Detail des Finanzausgleichs, sondern sie verlangt vor allem eine Mindestrationalisierung der Grundentscheidungen des Gesetzgebers über Umfang und Verteilung der Finanzausgleichsmittel. Ein verfassungsmäßiger Anspruch der Kommunen, die von dem Stationierungsansatz nach § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG profitieren, auf „spitze Abrechnung“ ihrer aus der Stationierung folgenden besonderen Belastungen, kann daraus nicht hergeleitet werden (vgl. bereits VerfGH RP, Urteil vom 8. Mai 1985 – VGH 2/84 –, AS 19, 339 [341] zu Art. 49 Abs. 5 LV a.F.; s. auch Urteil vom 25. Januar 2006 – VGH B 1/05 –, AS 33, 66 [70]). Der Finanzausgleich kennt grundsätzlich nur pauschale Abgeltungen, nicht aber eine Erstattung des tatsächlichen Aufwands (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 8. Mai 1985 – VGH 2/84 –, AS 19, 339 [345] zu Art. 49 Abs. 5 LV a.F.; Urteil vom 25. Januar 2006 – VGH B 1/05 –, AS 33, 66 [70]).

89

Vor diesem Hintergrund geht es bei dem Stationierungsansatz in § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG nicht um die Ermittlung tatsächlicher Kosten, ebenso wenig wie tatsächliche Vorteile durch die Stationierung von ausländischen Streitkräften – etwa im Hinblick auf die Stärkung der Wirtschaftskraft – in Abzug gebracht werden. Erforderlich ist lediglich die Mindestrationalisierung einer letztlich pauschalen Zuweisung an die Kommunen, auf deren Gebiet ausländische Streitkräfte stationiert sind. Es genügt nach alledem, wenn der Gesetzgeber – wie hier – den besonderen Bedarf der betroffenen Kommunen in vertretbarer Weise schätzt. Diesen Anforderungen ist hier genügt und § 11 Abs 4 Nr. 1 LFAG danach mit Art. 49 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. Art. 49 Abs.1 und 3 LV vereinbar.

90

Es ist danach Sache des vorlegenden Verwaltungsgerichts, den Anwendungsbereich der Norm und damit den Begriff der „nicht kasernierten Soldaten“ im Rahmen der hier aufgezeigten verfassungsrechtlichen Vorgaben näher zu bestimmen.

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 3


(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Ni

Finanzausgleichsgesetz - FinAusglG 2005 | § 7 Einnahmen der Länder aus Steuern und Förderabgabe


(1) Als Steuereinnahmen eines Landes gelten die ihm im Ausgleichsjahr zugeflossenen Einnahmen 1. aus seinem Anteil an der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer;2. aus seinem Anteil an der Gewerbesteuerumlage nach § 6 des Gemeindefinanzreformgese

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bei uns veröffentlicht am 27.05.2015

weitere Fundstellen ... Tenor Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt die Klägerin. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Tatbestand

Bundesverfassungsgericht Urteil, 17. Dez. 2014 - 1 BvL 21/12

bei uns veröffentlicht am 17.12.2014

Tenor 1. Mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes sind seit dem Inkrafttreten des Erbschaftsteuerreformgesetzes zum 1. Januar 2009 unvereinbar § 13a des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes

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Tenor

1. Mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes sind seit dem Inkrafttreten des Erbschaftsteuerreformgesetzes zum 1. Januar 2009 unvereinbar § 13a des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums (Wachstumsbeschleunigungsgesetz) vom 22. Dezember 2009 (Bundesgesetzblatt I Seite 3950) und § 13b des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts (Erbschaftsteuerreformgesetz) vom 24. Dezember 2008 (Bundesgesetzblatt I Seite 3018) jeweils in Verbindung mit § 19 Absatz 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Februar 1997 (Bundesgesetzblatt I Seite 378), auch in den seither geltenden Fassungen.

2. Das bisherige Recht ist bis zu einer Neuregelung weiter anwendbar. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, eine Neuregelung spätestens bis zum 30. Juni 2016 zu treffen.

Gründe

A.

1

Die Vorlage betrifft die Frage, ob die Bestimmungen über die Befreiung von der Erbschaft- und Schenkungsteuer für Betriebsvermögen, Betriebe der Land- und Forstwirtschaft und Anteile an Kapitalgesellschaften in §§ 13a und 13b des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) in Verbindung mit der Tarifvorschrift des § 19 Abs. 1 ErbStG in ihrer im Jahre 2009 maßgeblichen Fassung gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen.

I.

2

1. a) Die Erbschaft- und Schenkungsteuer belastet gemäß §§ 1, 3, 7 und 8 ErbStG Erwerbe von Todes wegen, Schenkungen unter Lebenden, Zweckzuwendungen und Familienstiftungen. Als steuerpflichtiger Erwerb gilt gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG die Bereicherung des Erwerbenden, soweit sie nicht steuerfrei ist. Auf die nach den Grundsätzen des § 10 ErbStG ermittelte Bemessungsgrundlage gelangt der in § 19 Abs. 1 ErbStG geregelte Steuertarif zur Anwendung. § 19 Abs. 1 ErbStG sieht unabhängig davon, aus welchen Vermögensarten sich Nachlass oder Schenkung zusammensetzen, für alle steuerpflichtigen Erwerbe einheitliche Steuersätze zwischen 7 % und 50 % vor, wobei sich die Höhe des jeweils anzuwendenden Steuersatzes zum einen nach der Höhe des Werts des steuerpflichtigen Erwerbs im Sinne von § 10 ErbStG und zum anderen nach der anzuwendenden Steuerklasse (§ 15 ErbStG) richtet, die ihrerseits vom persönlichen Verhältnis des Erwerbenden zum Zuwendenden, insbesondere als Ehegatte oder Lebenspartner oder nach dem Grad der Verwandtschaft, abhängt.

3

b) Im Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz sind aus verschiedenen Gründen vollständige oder begrenzte Befreiungen von der Erbschaft- und Schenkungsteuer geregelt. Persönliche Freibeträge stehen jedem Erwerbenden zu, der deren Voraussetzungen in eigener Person erfüllt (vgl. §§ 16, 17 ErbStG); sachliche Befreiungen werden nach Maßgabe der jeweiligen Voraussetzungen der Befreiungsnorm gewährt (so insbesondere §§ 13, 13a und 13b ErbStG).

4

c) Die Vorlage betrifft die im Jahr 2009 geltende Fassung des § 19 Abs. 1 ErbStG sowie der §§ 13a und 13b ErbStG, die sie zunächst durch das am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Gesetz zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts (Erbschaftsteuerreformgesetz - ErbStRG) vom 24. Dezember 2008 (BGBl I S. 3018) erhalten haben. Durch den am 1. Januar 2010 in Kraft getretenen Artikel 6 des Gesetzes zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums (Wachstumsbeschleunigungsgesetz) vom 22. Dezember 2009 (BGBl I S. 3950) wurde § 13a ErbStG rückwirkend für Erwerbe geändert, für die die Steuer nach dem 31. Dezember 2008 entstanden ist.

5

d) Aus dem durch das Erbschaftsteuerreformgesetz neugefassten § 13a ErbStG und dem neu in das Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz eingefügten § 13b ergibt sich eine Verschonung des betrieblichen Vermögens. Die für das hier maßgebliche Jahr 2009 geltende, später durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz in einzelnen Punkten großzügiger gestaltete Gesetzesfassung sieht vor, dass nach § 13b ErbStG als begünstigungsfähig anerkanntes Vermögen zu 85 % (Regelverschonung) oder zu 100 % (Optionsverschonung) von der Erbschaft- oder Schenkungsteuer befreit sein kann, wenn bestimmte Voraussetzungen hinsichtlich der Zusammensetzung des übergegangenen Vermögens, seines Fortbestands in der Hand des Erwerbers und des Erhalts der mit ihm verbundenen Arbeitsplätze erfüllt werden.

6

aa) Bei der Regelverschonung bleibt der Wert des begünstigten Vermögens in Höhe eines Verschonungsabschlags von 85 % außer Ansatz (§ 13a Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 13b Abs. 4 ErbStG). Steuerlich belastet werden somit nur 15 % des übergegangenen Vermögenswerts.

7

Der Gesetzgeber sieht in dem Verschonungsabschlag in Höhe von 85 % eine pauschalierte Festlegung des begünstigten Betriebsvermögens. Er will damit Schwierigkeiten bei der Einordnung von ererbten oder geschenkten Vermögensgegenständen als begünstigungswürdig vermeiden, die sich aus der durch das Einkommensteuerrecht eröffneten Möglichkeit ergeben, Vermögensgegenstände zu gewillkürtem Betriebsvermögen zu erklären (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 36).

8

Für den Anteil des nach § 13b Abs. 1 ErbStG begünstigten Vermögens, der nicht vom Verschonungsabschlag erfasst wird, ist gemäß § 13a Abs. 2 ErbStG eine zusätzliche Verschonung durch einen degressiv ausgestalteten Abzugsbetrag von maximal 150.000 Euro vorgesehen. Nach der Gesetzesbegründung soll durch ihn eine Wertermittlung und Überwachung bei Klein- und Kleinstfällen entbehrlich werden (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 33 f.). Nach § 13a Abs. 2 Satz 3 ErbStG kann er innerhalb von zehn Jahren für von derselben Person anfallende Erwerbe nur einmal berücksichtigt werden.

9

bb) Zu dem nach §§ 13a und 13b ErbStG begünstigten Vermögen gehören land- und forstwirtschaftliches Vermögen, Betriebsvermögen sowie Anteile an Kapitalgesellschaften, an deren Nennkapital Erblasser oder Schenker zu mehr als 25 % unmittelbar beteiligt waren.

10

Das nach § 13b Abs. 1 ErbStG begünstigte Vermögen bleibt jedoch von der steuerlichen Verschonung ausgenommen, wenn das land- und forstwirtschaftliche Vermögen oder das Betriebsvermögen der Betriebe oder der Gesellschaften zu mehr als 50 % aus Verwaltungsvermögen besteht (§ 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG).

11

In diesem Fall ist der Erwerb des gesamten Vermögens steuerpflichtig. Liegt der Anteil des Verwaltungsvermögens dagegen bei höchstens 50 %, wird der gesamte Erwerb einschließlich des Verwaltungsvermögens begünstigt. Auch wenn die Verwaltungsvermögensgrenze eingehalten wird, ist nach § 13b Abs. 2 Satz 3 ErbStG gleichwohl solches Verwaltungsvermögen von der Begünstigung ausgeschlossen, welches im Besteuerungszeitpunkt dem Betrieb weniger als zwei Jahre zuzurechnen war (junges Verwaltungsvermögen).

12

Nach der Begründung des Regierungsentwurfs (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 35 f.) sollten durch die Verwaltungsvermögensregelung überwiegend vermögensverwaltende Betriebe von den Verschonungen ausgenommen bleiben. Wegen der nach dem Einkommensteuerrecht bestehenden Möglichkeit, Vermögensgegenstände zu gewillkürtem Betriebsvermögen zu erklären, könnten praktisch alle Gegenstände, die üblicherweise der privaten Vermögensverwaltung zuzurechnen seien (vermietete und verpachtete Grundstücke und Gebäude, Minderbeteiligungen an Kapitalgesellschaften, Wertpapiere), auch in Form eines Gewerbebetriebs gehalten werden. Vermögen, das in erster Linie der weitgehend risikolosen Renditeerzielung diene und in der Regel weder Arbeitsplätze schaffe noch zusätzliche volkswirtschaftliche Leistungen hervorbringe, solle daher nicht begünstigt werden.

13

Die Wirtschaftsgüter, die zum Verwaltungsvermögen gehören, sind in § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG abschließend aufgeführt. Im Grundsatz zählen hierzu nach der im Vorlageverfahren maßgeblichen Gesetzesfassung des Jahres 2009 Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke (§ 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 ErbStG), Anteile an Kapitalgesellschaften, wenn die unmittelbare Beteiligung am Nennkapital dieser Gesellschaften 25 % oder weniger beträgt (§ 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 ErbStG), Beteiligungen an Personengesellschaften und Kapitalgesellschaftsanteile von mehr als 25 %, wenn bei diesen Gesellschaften das Verwaltungsvermögen mehr als 50 % beträgt (§ 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG), Wertpapiere und vergleichbare Forderungen (§ 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ErbStG) sowie Kunstgegenstände, Kunstsammlungen, wissenschaftliche Sammlungen, Bibliotheken und Archive, Münzen, Edelmetalle und Edelsteine (§ 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 ErbStG).

14

cc) Voraussetzung für die steuerliche Begünstigung nach §§ 13a und 13b ErbStG ist - wie es auch in den vorangegangenen Fassungen des § 13a ErbStG der Fall war (s. unten I. 3. b) -, dass der Erwerbende den Betrieb während eines bestimmten Mindestzeitraums fortführt. Der Verschonungsabschlag (§ 13a Abs. 1 ErbStG) und der Abzugsbetrag (§ 13a Abs. 2 ErbStG) fallen gemäß § 13a Abs. 5 Satz 1 ErbStG mit Wirkung für die Vergangenheit weg, soweit der Erwerber innerhalb der Behaltensfrist von fünf Jahren in der in den § 13a Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 bis 5 ErbStG beschriebenen (schädlichen) Weise über das begünstigte Vermögen verfügt (etwa durch Veräußerung oder Aufgabe des Gewerbebetriebs oder von Teilen hiervon). Die Gründe für die Verfügung sind unbeachtlich.

15

Der Wegfall der steuerlichen Verschonung löst eine begrenzte Nachversteuerung des bisher begünstigten Vermögens aus: Betrifft die schädliche Verfügung nur einen Teil des begünstigten Vermögens, fällt auch nur der auf diesen Vermögensanteil bezogene Verschonungsabschlag und Abzugsbetrag weg. Verwirklicht der Erwerber bestimmte Nachsteuertatbestände während des Laufes der Fünfjahresfrist, entfällt nach § 13a Abs. 5 Satz 2 ErbStG der Abzugsbetrag (§ 13a Abs. 2 ErbStG) insgesamt, während der Verschonungsabschlag für die Jahre erhalten bleibt, in denen keine schädliche Verfügung vorlag (vgl. Meincke, ErbStG, 16. Aufl. 2012, § 13a Rn. 25).

16

dd) Als weitere Bedingung für die steuerliche Begünstigung nach §§ 13a und 13b ErbStG wurde durch das Erbschaftsteuerreformgesetz eine Lohnsummenregelung in § 13a ErbStG eingefügt, deren Vorgaben der Gesetzgeber als Reaktion auf die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise (vgl. BTDrucks 17/15, S. 20 f.) mit Artikel 6 Nr. 1 des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes weiter zugunsten der Steuerpflichtigen mit Wirkung für Steuerentstehungszeitpunkte nach dem 31. Dezember 2008 geändert hat.

17

Unter Berücksichtigung dieser insoweit auf den 1. Januar 2009 rückwirkenden und damit für die hier zu beurteilende Rechtslage maßgeblichen Regelung gilt danach im Hinblick auf die Lohnsumme Folgendes: Bei Betrieben mit mehr als 20 - anstelle von zuvor mehr als zehn - Beschäftigten entfällt der Verschonungsabschlag wieder, wenn im Falle der Regelverschonung nicht innerhalb von fünf Jahren nach dem Erwerb (Lohnsummenfrist) insgesamt 400 % der Ausgangslohnsumme erreicht werden (vgl. § 13a Abs. 1 Sätze 2 und 3 sowie Abs. 4 ErbStG). Es kommt danach also nicht auf die Anzahl der Beschäftigten, sondern auf die Entwicklung der Lohnsumme an. Unterschreitet die Summe der maßgebenden jährlichen Lohnsummen innerhalb der Lohnsummenfrist die Mindestlohnsumme (400 % der Ausgangslohnsumme, § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG), vermindert sich gemäß § 13a Abs. 1 Satz 5 ErbStG der nach § 13a Abs. 1 Satz 1 ErbStG zu gewährende Verschonungsabschlag mit Wirkung für die Vergangenheit in demselben prozentualen Umfang, wie die Mindestlohnsumme unterschritten wird.

18

Der Gesetzgeber sah die Lohnsumme, also die Summe der im Unternehmen gezahlten Löhne und Gehälter in Form eines Durchschnittsbetrags über die dem Unternehmensübergang vorangegangenen fünf Jahre, als geeigneten Indikator für die Unternehmensfortführung und die Erhaltung von Arbeitsplätzen an (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 33). Mit der Lohnsummenregelung bleibe den Unternehmen ein hohes Maß an Flexibilität erhalten, da ein Abbau niedrig entlohnter Tätigkeit ohne Auswirkung auf die Begünstigungsregelung möglich bleibe, wenn zugleich produktivere, besser bezahlte Arbeitsplätze geschaffen würden (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 33; 16/11107, S. 9).

19

Durch Art. 6 Nr. 1 und Nr. 4 des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes wurde die Beschäftigtenzahl, bis zu der die Lohnsummenregelung keine Anwendung findet, von den ursprünglich in Anlehnung an § 23 Abs. 1 Satz 3 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) als Freistellungsgrenze festgelegten zehn Beschäftigten (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 33) rückwirkend zum 1. Januar 2009 auf 20 erhöht. Nach § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG in der für das Vorlageverfahren maßgeblichen Fassung sind deshalb Betriebe mit nicht mehr als 20 Beschäftigten von der Lohnsummenregelung ausgenommen. Das gleiche gilt für Betriebe mit einer Ausgangslohnsumme von 0 Euro. Sie erlangen den Verschonungsabschlag bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen unabhängig von der Erhaltung von Arbeitsplätzen. Der Gesetzgeber führte für die Erhöhung der Beschäftigtenzahl durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz keinen besonderen Grund an, sondern verwies allgemein auf das Erfordernis, die Bedingungen für die Unternehmensnachfolge angesichts der weltweiten Wirtschaftskrise krisenfest und mittelstandsfreundlicher auszugestalten (vgl. BTDrucks 17/15, S. 20).

20

ee) Der Erwerber begünstigten Vermögens hat nach § 13a Abs. 8 ErbStG die Option, anstelle der Regelverschonung in Höhe von 85 % einen Verschonungsabschlag von 100 % und damit die völlige Steuerfreiheit des Erwerbs zu erreichen (Optionsverschonung; vgl. § 13a Abs. 8 Nr. 4 ErbStG). Er muss hierzu unwiderruflich erklären, dass die Steuerbefreiung nach § 13a Abs. 1 bis 7 ErbStG in Verbindung mit § 13b ErbStG nach folgender Maßgabe gewährt wird: Die Lohnsummenfrist wird auf sieben Jahre erweitert und die Lohnsumme auf 700 % erhöht. Die Behaltensfrist wird auf sieben Jahre verlängert. Das begünstigte Vermögen darf zu nicht mehr als 10 % aus Verwaltungsvermögen im Sinne des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG bestehen.

21

e) §§ 13a, 13b und § 19 ErbStG lauten in der für das Vorlageverfahren im Jahre 2009 maßgeblichen Fassung auszugsweise wie folgt:

§ 13a

Steuerbefreiung für Betriebsvermögen, Betriebe der Land- und Forstwirtschaft und Anteile an Kapitalgesellschaften

(1) Der Wert von Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftlichem Vermögen und Anteilen an Kapitalgesellschaften im Sinne des § 13b Abs. 4 bleibt insgesamt außer Ansatz (Verschonungsabschlag). Voraussetzung ist, dass die Summe der maßgebenden jährlichen Lohnsummen (Absatz 4) des Betriebs, bei Beteiligungen an einer Personengesellschaft oder Anteilen an einer Kapitalgesellschaft des Betriebs der jeweiligen Gesellschaft, innerhalb von fünf Jahren nach dem Erwerb (Lohnsummenfrist) insgesamt 400 Prozent der Ausgangslohnsumme nicht unterschreitet (Mindestlohnsumme). Ausgangslohnsumme ist die durchschnittliche Lohnsumme der letzten fünf vor dem Zeitpunkt der Entstehung der Steuer endenden Wirtschaftsjahre. Satz 2 ist nicht anzuwenden, wenn die Ausgangslohnsumme 0 Euro beträgt oder der Betrieb nicht mehr als 20 Beschäftigte hat. Unterschreitet die Summe der maßgebenden jährlichen Lohnsummen die Mindestlohnsumme, vermindert sich der nach Satz 1 zu gewährende Verschonungsabschlag mit Wirkung für die Vergangenheit in demselben prozentualen Umfang, wie die Mindestlohnsumme unterschritten wird.

(2) Der nicht unter § 13b Abs. 4 fallende Teil des Vermögens im Sinne des § 13b Abs. 1 bleibt vorbehaltlich des Satzes 3 außer Ansatz, soweit der Wert dieses Vermögens insgesamt 150 000 Euro nicht übersteigt (Abzugsbetrag). Der Abzugsbetrag von 150 000 Euro verringert sich, wenn der Wert dieses Vermögens insgesamt die Wertgrenze von 150 000 Euro übersteigt, um 50 Prozent des diese Wertgrenze übersteigenden Betrags. Der Abzugsbetrag kann innerhalb von zehn Jahren für von derselben Person anfallende Erwerbe nur einmal berücksichtigt werden.

(3) …

(4) Die Lohnsumme umfasst alle Vergütungen (Löhne und Gehälter und andere Bezüge und Vorteile), die im maßgebenden Wirtschaftsjahr an die auf den Lohn- und Gehaltslisten erfassten Beschäftigten gezahlt werden; außer Ansatz bleiben Vergütungen an solche Arbeitnehmer, die nicht ausschließlich oder überwiegend in dem Betrieb tätig sind. Zu den Vergütungen zählen alle Geld- oder Sachleistungen für die von den Beschäftigten erbrachte Arbeit, unabhängig davon, wie diese Leistungen bezeichnet werden und ob es sich um regelmäßige oder unregelmäßige Zahlungen handelt. Zu den Löhnen und Gehältern gehören auch alle von den Beschäftigten zu entrichtenden Sozialbeiträge, Einkommensteuern und Zuschlagsteuern auch dann, wenn sie vom Arbeitgeber einbehalten und von ihm im Namen des Beschäftigten direkt an den Sozialversicherungsträger und die Steuerbehörde abgeführt werden. Zu den Löhnen und Gehältern zählen alle vom Beschäftigten empfangenen Sondervergütungen, Prämien, Gratifikationen, Abfindungen, Zuschüsse zu Lebenshaltungskosten, Familienzulagen, Provisionen, Teilnehmergebühren und vergleichbare Vergütungen. Gehören zum Betriebsvermögen des Betriebs, bei Beteiligungen an einer Personengesellschaft und Anteilen an einer Kapitalgesellschaft des Betriebs der jeweiligen Gesellschaft, unmittelbar oder mittelbar Beteiligungen an Personengesellschaften, die ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung im Inland, einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums haben, oder Anteile an Kapitalgesellschaften, die ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung im Inland, einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums haben, wenn die unmittelbare oder mittelbare Beteiligung mehr als 25 Prozent beträgt, sind die Lohnsummen dieser Gesellschaften einzubeziehen zu dem Anteil, zu dem die unmittelbare und mittelbare Beteiligung besteht.

(5) Der Verschonungsabschlag (Absatz 1) und der Abzugsbetrag (Absatz 2) fallen nach Maßgabe des Satzes 2 mit Wirkung für die Vergangenheit weg, soweit der Erwerber innerhalb von fünf Jahren (Behaltensfrist)

1. einen Gewerbebetrieb oder einen Teilbetrieb, einen Anteil an einer Gesellschaft im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 oder § 18 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes, einen Anteil eines persönlich haftenden Gesellschafters einer Kommanditgesellschaft auf Aktien oder einen Anteil daran veräußert; als Veräußerung gilt auch die Aufgabe des Gewerbebetriebs. Gleiches gilt, wenn wesentliche Betriebsgrundlagen eines Gewerbebetriebs veräußert oder in das Privatvermögen überführt oder anderen betriebsfremden Zwecken zugeführt werden oder wenn Anteile an einer Kapitalgesellschaft veräußert werden, die der Veräußerer durch eine Sacheinlage (§ 20 Abs. 1 des Umwandlungssteuergesetzes vom 7. Dezember 2006 (BGBl. I S. 2782, 2791), geändert durch Artikel 5 des Gesetzes vom 14. August 2007 (BGBl. I S. 1912), in der jeweils geltenden Fassung) aus dem Betriebsvermögen im Sinne des § 13b erworben hat oder ein Anteil an einer Gesellschaft im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 oder § 18 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes oder ein Anteil daran veräußert wird, den der Veräußerer durch eine Einbringung des Betriebsvermögens im Sinne des § 13b in eine Personengesellschaft (§ 24 Abs. 1 des Umwandlungssteuergesetzes) erworben hat;

2. das land- und forstwirtschaftliche Vermögen im Sinne des § 168 Abs. 1 Nr. 1 des Bewertungsgesetzes und selbst bewirtschaftete Grundstücke im Sinne des § 159 des Bewertungsgesetzes veräußert. Gleiches gilt, wenn das land- und forstwirtschaftliche Vermögen dem Betrieb der Land- und Forstwirtschaft nicht mehr dauernd zu dienen bestimmt ist oder wenn der bisherige Betrieb innerhalb der Behaltensfrist als Stückländerei zu qualifizieren wäre oder Grundstücke im Sinne des § 159 des Bewertungsgesetzes nicht mehr selbst bewirtschaftet werden;

3. als Inhaber eines Gewerbebetriebs, Gesellschafter einer Gesellschaft im Sinne des § 15 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 oder § 18 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes oder persönlich haftender Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft auf Aktien bis zum Ende des letzten in die Fünfjahresfrist fallenden Wirtschaftsjahres Entnahmen tätigt, die die Summe seiner Einlagen und der ihm zuzurechnenden Gewinne oder Gewinnanteile seit dem Erwerb um mehr als 150 000 Euro übersteigen; Verluste bleiben unberücksichtigt. Gleiches gilt für Inhaber eines begünstigten Betriebs der Land- und Forstwirtschaft oder eines Teilbetriebs oder eines Anteils an einem Betrieb der Land- und Forstwirtschaft. Bei Ausschüttungen an Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft ist sinngemäß zu verfahren;

4. Anteile an Kapitalgesellschaften im Sinne des § 13b ganz oder teilweise veräußert; eine verdeckte Einlage der Anteile in eine Kapitalgesellschaft steht der Veräußerung der Anteile gleich. Gleiches gilt, wenn die Kapitalgesellschaft innerhalb der Frist aufgelöst oder ihr Nennkapital herabgesetzt wird, wenn diese wesentliche Betriebsgrundlagen veräußert und das Vermögen an die Gesellschafter verteilt wird; Satz 1 Nr. 1 Satz 2 gilt entsprechend;

5. im Fall des § 13b Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 die Verfügungsbeschränkung oder die Stimmrechtsbündelung aufgehoben wird.

Der Wegfall des Verschonungsabschlags beschränkt sich in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1, 2, 4 und 5 auf den Teil, der dem Verhältnis der im Zeitpunkt der schädlichen Verfügung verbleibenden Behaltensfrist einschließlich des Jahres, in dem die Verfügung erfolgt, zur gesamten Behaltensfrist ergibt. In den Fällen des Satzes 1 Nr. 1, 2 und 4 ist von einer Nachversteuerung abzusehen, wenn der Veräußerungserlös innerhalb der nach § 13b Abs. 1 begünstigten Vermögensart verbleibt. Hiervon ist auszugehen, wenn der Veräußerungserlös innerhalb von sechs Monaten in entsprechendes Vermögen investiert wird, das nicht zum Verwaltungsvermögen im Sinne des § 13b Abs. 2 gehört.

(6) - (7) …

(8) Der Erwerber kann unwiderruflich erklären, dass die Steuerbefreiung nach den Absätzen 1 bis 7 in Verbindung mit § 13b nach folgender Maßgabe gewährt wird:

1. In Absatz 1 Satz 2 tritt an die Stelle der Lohnsummenfrist von fünf Jahren eine Lohnsummenfrist von sieben Jahren und an die Stelle der maßgebenden Lohnsumme von 400 Prozent eine maßgebende Lohnsumme von 700 Prozent;

2. in Absatz 5 tritt an die Stelle der Behaltensfrist von fünf Jahren eine Behaltensfrist von sieben Jahren;

3. in § 13b Abs. 2 Satz 1 tritt an die Stelle des Prozentsatzes für das Verwaltungsvermögen von 50 Prozent ein Prozentsatz von 10 Prozent;

4. in § 13b Abs. 4 tritt an die Stelle des Prozentsatzes für die Begünstigung von 85 Prozent ein Prozentsatz von 100 Prozent.

(9) …

§ 13b

Begünstigtes Vermögen

(1) Zum begünstigten Vermögen gehören vorbehaltlich Absatz 2

1. der inländische Wirtschaftsteil des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens (§ 168 Abs. 1 Nr. 1 des Bewertungsgesetzes) mit Ausnahme der Stückländereien (§ 168 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes) und selbst bewirtschaftete Grundstücke im Sinne des § 159 des Bewertungsgesetzes sowie entsprechendes land- und forstwirtschaftliches Vermögen, das einer Betriebsstätte in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums dient;

2. inländisches Betriebsvermögen (§§ 95 bis 97 des Bewertungsgesetzes) beim Erwerb eines ganzen Gewerbebetriebs, eines Teilbetriebs, eines Anteils an einer Gesellschaft im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 oder § 18 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes, eines Anteils eines persönlich haftenden Gesellschafters einer Kommanditgesellschaft auf Aktien oder eines Anteils daran und entsprechendes Betriebsvermögen, das einer Betriebsstätte in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums dient;

3. Anteile an Kapitalgesellschaften, wenn die Kapitalgesellschaft zur Zeit der Entstehung der Steuer Sitz oder Geschäftsleitung im Inland oder in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums hat und der Erblasser oder Schenker am Nennkapital dieser Gesellschaft zu mehr als 25 Prozent unmittelbar beteiligt war (Mindestbeteiligung). Ob der Erblasser oder Schenker die Mindestbeteiligung erfüllt, ist nach der Summe der dem Erblasser oder Schenker unmittelbar zuzurechnenden Anteile und der Anteile weiterer Gesellschafter zu bestimmen, wenn der Erblasser oder Schenker und die weiteren Gesellschafter untereinander verpflichtet sind, über die Anteile nur einheitlich zu verfügen oder ausschließlich auf andere derselben Verpflichtung unterliegende Anteilseigner zu übertragen und das Stimmrecht gegenüber nichtgebundenen Gesellschaftern einheitlich auszuüben.

(2) Ausgenommen bleibt Vermögen im Sinne des Absatzes 1, wenn das land- und forstwirtschaftliche Vermögen oder das Betriebsvermögen der Betriebe oder der Gesellschaften zu mehr als 50 Prozent aus Verwaltungsvermögen besteht. Zum Verwaltungsvermögen gehören

1. Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke, Grundstücksteile, grundstücksgleiche Rechte und Bauten. Eine Nutzungsüberlassung an Dritte ist nicht anzunehmen, wenn

a) der Erblasser oder Schenker sowohl im überlassenden Betrieb als auch im nutzenden Betrieb allein oder zusammen mit anderen Gesellschaftern einen einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen durchsetzen konnte oder als Gesellschafter einer Gesellschaft im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 oder § 18 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes den Vermögensgegenstand der Gesellschaft zur Nutzung überlassen hatte, und diese Rechtsstellung auf den Erwerber übergegangen ist, soweit keine Nutzungsüberlassung an einen weiteren Dritten erfolgt;

b) die Nutzungsüberlassung im Rahmen der Verpachtung eines ganzen Betriebs erfolgt, welche beim Verpächter zu Einkünften nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 bis 3 des Einkommensteuergesetzes führt und

aa) der Verpächter des Betriebs im Zusammenhang mit einer unbefristeten Verpachtung den Pächter durch eine letztwillige Verfügung oder eine rechtsgeschäftliche Verfügung als Erben eingesetzt hat oder

bb) die Verpachtung an einen Dritten erfolgt, weil der Beschenkte im Zeitpunkt der Steuerentstehung den Betrieb noch nicht führen kann, und die Verpachtung auf höchstens zehn Jahre befristet ist; hat der Beschenkte das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet, beginnt die Frist mit der Vollendung des 18. Lebensjahres.

Dies gilt nicht für verpachtete Betriebe, die vor ihrer Verpachtung die Voraussetzungen als begünstigtes Vermögen nach Absatz 1 und Satz 1 nicht erfüllt haben und für verpachtete Betriebe, deren Hauptzweck in der Überlassung von Grundstücken, Grundstücksteilen, grundstücksgleichen Rechten und Bauten an Dritte zur Nutzung besteht, die nicht unter Buchstabe d fallen;

c) sowohl der überlassende Betrieb als auch der nutzende Betrieb zu einem Konzern im Sinne des § 4h des Einkommensteuergesetzes gehören, soweit keine Nutzungsüberlassung an einen weiteren Dritten erfolgt;

d) die überlassenen Grundstücke, Grundstücksteile, grundstücksgleiche Rechte und Bauten zum Betriebsvermögen, zum gesamthänderisch gebundenen Betriebsvermögen einer Personengesellschaft oder zum Vermögen einer Kapitalgesellschaft gehören und der Hauptzweck des Betriebs in der Vermietung von Wohnungen im Sinne des § 181 Abs. 9 des Bewertungsgesetzes besteht, dessen Erfüllung einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb (§ 14 der Abgabenordnung) erfordert;

e) Grundstücke, Grundstücksteile, grundstücksgleiche Rechte und Bauten an Dritte zur land- und forstwirtschaftlichen Nutzung überlassen werden;

2. Anteile an Kapitalgesellschaften, wenn die unmittelbare Beteiligung am Nennkapital dieser Gesellschaften 25 Prozent oder weniger beträgt und sie nicht dem Hauptzweck des Gewerbebetriebs eines Kreditinstitutes oder eines Finanzdienstleistungsinstitutes im Sinne des § 1 Abs. 1 und 1a des Kreditwesengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. September 1998 (BGBl. I S. 2776), das zuletzt durch Artikel 24 des Gesetzes vom 23. Oktober 2008 (BGBl. I S. 2026) geändert worden ist, oder eines Versicherungsunternehmens, das der Aufsicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Versicherungsaufsichtsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Dezember 1992 (BGBl. 1993 I S. 2), das zuletzt durch Artikel 6 Abs. 2 des Gesetzes vom 17. Oktober 2008 (BGBl. I S. 1982) geändert worden ist, unterliegt, zuzurechnen sind. Ob diese Grenze unterschritten wird, ist nach der Summe der dem Betrieb unmittelbar zuzurechnenden Anteile und der Anteile weiterer Gesellschafter zu bestimmen, wenn die Gesellschafter untereinander verpflichtet sind, über die Anteile nur einheitlich zu verfügen oder sie ausschließlich auf andere derselben Verpflichtung unterliegende Anteilseigner zu übertragen und das Stimmrecht gegenüber nichtgebundenen Gesellschaftern nur einheitlich ausüben;

3. Beteiligungen an Gesellschaften im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 oder § 18 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes und an entsprechenden Gesellschaften im Ausland sowie Anteile an Kapitalgesellschaften, die nicht unter Nummer 2 fallen, wenn bei diesen Gesellschaften das Verwaltungsvermögen mehr als 50 Prozent beträgt;

4. Wertpapiere sowie vergleichbare Forderungen, wenn sie nicht dem Hauptzweck des Gewerbebetriebs eines Kreditinstitutes oder eines Finanzdienstleistungsinstitutes im Sinne des § 1 Abs. 1 und 1a des Kreditwesengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. September 1998 (BGBl. I S. 2776), das zuletzt durch Artikel 24 des Gesetzes vom 23. Oktober 2008 (BGBl. I S. 2026) geändert worden ist, oder eines Versicherungsunternehmens, das der Aufsicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Versicherungsaufsichtsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Dezember 1992 (BGBl. 1993 I S. 2), das zuletzt durch Artikel 6 Abs. 2 des Gesetzes vom 17. Oktober 2008 (BGBl. I S. 1982) geändert worden ist, unterliegt, zuzurechnen sind;

5. Kunstgegenstände, Kunstsammlungen, wissenschaftliche Sammlungen, Bibliotheken und Archive, Münzen, Edelmetalle und Edelsteine, wenn der Handel mit diesen Gegenständen oder deren Verarbeitung nicht der Hauptzweck des Gewerbebetriebs ist.

Kommt Satz 1 nicht zur Anwendung, gehört solches Verwaltungsvermögen im Sinne des Satzes 2 Nr. 1 bis 5 nicht zum begünstigten Vermögen im Sinne des Absatzes 1, welches dem Betrieb im Besteuerungszeitpunkt weniger als zwei Jahre zuzurechnen war. Der Anteil des Verwaltungsvermögens am gemeinen Wert des Betriebs bestimmt sich nach dem Verhältnis der Summe der gemeinen Werte der Einzelwirtschaftsgüter des Verwaltungsvermögens zum gemeinen Wert des Betriebs; für Grundstücksteile des Verwaltungsvermögens ist der ihnen entsprechende Anteil am gemeinen Wert des Grundstücks anzusetzen. Bei Betrieben der Land- und Forstwirtschaft ist als Vergleichsmaßstab der Wert des Wirtschaftsteils (§ 168 Abs. 1 Nr. 1 des Bewertungsgesetzes) anzuwenden.

(3) …

(4) Begünstigt sind 85 Prozent des in Absatz 1 genannten Vermögens.

§ 19

Steuersätze

(1) Die Erbschaftsteuer wird nach folgenden Prozentsätzen erhoben:

Wert des steuerpflichtigen Erwerbs (§ 10) bis einschließlich … Euro

Prozentsatz in der Steuerklasse

I

II

III

75 000

7

30

30

300 000

11

30

30

600 000

15

30

30

6 000 000

19

30

30

13 000 000

23

50

50

26 000 000

27

50

50

über 26 000 000

30

50

50

(2) - (3) …

22

2. Neben §§ 13a und 13b ErbStG ist in § 19a ErbStG als weitere Privilegierung für das betriebliche Vermögen eine Tarifbegrenzung für Erwerber der Steuerklassen II und III geregelt, die darauf abzielt, beim Erwerb von Betriebsvermögen, von Betrieben der Land- und Forstwirtschaft und von Anteilen an Kapitalgesellschaften die Steuersätze der Steuerklasse I anzuwenden. Folglich wird der Teil des begünstigten Vermögens, der nach Verschonungsabschlag und Abzugsbetrag verbleibt, nach Maßgabe des § 19a ErbStG nach der günstigeren Steuerklasse I besteuert, auch wenn der Erwerb ansonsten nach Steuerklasse II oder III zu versteuern wäre (vgl. Meincke, ErbStG, 16. Aufl. 2012, § 19a Rn. 2).

23

Gehört zum Erwerb Betriebsvermögen oder land- und forstwirtschaftliches Vermögen, ist dem Erwerber nach § 28 ErbStG die darauf entfallende Erbschaftsteuer auf Antrag bis zu zehn Jahren (bei Erwerben von Todes wegen zinslos) zu stunden. Voraussetzung für eine Stundung ist, dass sie zur Erhaltung des Betriebs notwendig ist. Der Erwerb von Anteilen an Kapitalgesellschaften ist nach § 28 ErbStG nicht begünstigt.

24

3. a) Das Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht kennt Vergünstigungen beim Erwerb betrieblichen Vermögens im Wesentlichen seit Anfang der 1990er Jahre. Mit dem Gesetz zur Entlastung der Familien und zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze (Steueränderungsgesetz 1992 - StÄndG 1992) vom 25. Februar 1992 (BGBl I S. 297) ordnete der Gesetzgeber die weitgehende Übernahme der Steuerbilanzwerte zur Bewertung des Betriebsvermögens für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer an (vgl. BVerfGE 117, 1 <4>). Der Gesetzesentwurf geht davon aus, dass der Steuerbilanzwertansatz gegenüber den bis dahin geltenden Bewertungsgrundsätzen zu vielfach niedrigeren Besteuerungswerten führen würde. Die dadurch bewirkte Entlastung bei der Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung sei insbesondere für mittelständische Personenunternehmen wichtig. Zur Sicherung der Unternehmen solle vermieden werden, dass diesen zur Begleichung der Steuerschuld über Gebühr Mittel entzogen werden müssten (vgl. BTDrucks 12/1108, S. 37).

25

Ebenfalls durch das Steueränderungsgesetz 1992 wurde die Stundungsregelung in § 28 ErbStG auf Betriebsvermögen erstreckt, nach der zuvor nur bei land- und forstwirtschaftlichem Vermögen ein Anspruch auf Stundung (auf bis zu sieben Jahre) der Steuerschuld bestand, wenn dies zur Erhaltung des Betriebs notwendig war. Zusätzlich wurde für Erwerbe von Todes wegen angeordnet, dass die Stundung zinslos zu erfolgen habe (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 ErbStG). Mit dem Jahressteuergesetz 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl I S. 1250) wurde der maximale Stundungszeitraum auf zehn Jahre ausgedehnt.

26

b) Durch das Gesetz zur Verbesserung der steuerlichen Bedingungen zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland im Europäischen Binnenmarkt (Standortsicherungsgesetz - StandOG) vom 13. September 1993 (BGBl I S. 1569) führte der Gesetzgeber mit dem neu eingefügten § 13 Abs. 2a ErbStG erstmals einen sachbezogenen Freibetrag für durch Erbanfall oder im Weg der vorweggenommenen Erbfolge (seit 23. Dezember 2001 allgemein durch Schenkung unter Lebenden; vgl. Art. 16 des Steueränderungsgesetzes 2001 vom 20. Dezember 2001, BGBl I S. 3794) erworbenes Betriebsvermögen in Höhe von 500.000 DM ein (ab 1. Januar 2002: 256.000 Euro; ab 1. Januar 2004: 225.000 Euro). Dieser war an eine Behaltensfrist von fünf Jahren gekoppelt. Wurde innerhalb dieses Zeitraums die Fortführung des Betriebs beendet oder das begünstigte Vermögen weitergegeben, kam es zur Nachversteuerung (vgl. BVerfGE 117, 1 <5>).

27

Die Bundesregierung begründete den Freibetrag für Betriebsvermögen damit, dass insbesondere die Erben kleiner und mittlerer Betriebe (Einzelunternehmen und Personengesellschaften) von der Erbschaftsteuer entlastet werden sollten, um ihnen die Fortführung ihrer Betriebe zu erleichtern. Die Erben müssten dem Betriebsvermögen nur noch in entsprechend gemindertem Umfang liquide Mittel für die Zahlung der Erbschaftsteuer entnehmen. Auf diese Weise würden auch Wettbewerbsverzerrungen zugunsten von Publikumsgesellschaften im Streubesitz verringert. Im Übrigen seien steuerliche Vergünstigungen für das Betriebsvermögen auch wegen seiner verhältnismäßig geringen Fungibilität, der erhöhten Sozialverpflichtung (Erhaltung von Arbeitsplätzen) und des höheren Risikos notwendig und gerechtfertigt (vgl. BTDrucks 12/4487, S. 24 und 47).

28

c) Mit dem Jahressteuergesetz (JStG) 1997 vom 20. Dezember 1996 (BGBl I S. 2049) erweiterte der Gesetzgeber nochmals den Vergünstigungsumfang für betriebliches Vermögen durch den neu in das Gesetz eingefügten § 13a ErbStG.

29

Die Regelung sah nunmehr einen Bewertungsabschlag von 40 % (ab 1. Januar 2004: 35 %) auf den nach Abzug des Freibetrags verbleibenden Wert des Vermögens vor, der wie der Freibetrag innerhalb von fünf Jahren nach dem Erwerb unter einem Nachversteuerungsvorbehalt stand (vgl. auch BVerfGE 117, 1 <5>). Dadurch sollte eine weitere Verringerung der steuerlichen Belastung für die Unternehmensnachfolge, vor allem von mittelständischen Unternehmen, erreicht (vgl. BTDrucks 13/901, S. 157) und dem Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Juni 1995 (BVerfGE 93, 165) Rechnung getragen werden (vgl. BTDrucks 13/4839, S. 67 f.).

30

Außerdem wurden neben Betriebsvermögen nunmehr auch land- und forstwirtschaftliches Vermögen und Anteile an inländischen Kapitalgesellschaften, an deren Nennkapital der Erblasser oder Schenker zu mehr als einem Viertel unmittelbar beteiligt war, in die steuerliche Begünstigung einbezogen (vgl. dazu BVerfGE 117, 1 <10, 12>). Der Gesetzgeber zielte hiermit auf die Erleichterung des Generationenwechsels in den Betrieben der Land- und Forstwirtschaft, indem bäuerliche Familienbetriebe regelmäßig ohne Belastung mit Erbschaft- und Schenkungsteuer übergehen sollten (vgl. BTDrucks 13/4839, S. 67 f.). Daneben wollte er "familienbezogene" (vgl. BTDrucks 13/901, S. 157; 13/4839, S. 67) Kapitalgesellschaften fördern. Die Einführung einer Mindestbeteiligungsgrenze sei zur Verhinderung von missbräuchlichen Gestaltungen geboten; sie sei Indiz dafür, dass der Anteilseigner unternehmerisch in die Gesellschaft eingebunden sei und nicht nur als Kapitalanleger auftrete. Insgesamt werde mit dieser zusätzlichen Regelung dem für diese Gesellschaften typischen "unternehmerischen Risiko" im weiteren Sinne auf der Seite der Anteilseigner Rechnung getragen (vgl. BTDrucks 13/901, S. 158).

31

Außerdem wurde mit dem Jahressteuergesetz 1997 die Tarifbegrenzung des § 19a in das ErbStG eingefügt, nach der auch bei eigentlich den ungünstigeren Steuerklassen II und III des § 15 Abs. 1, Abs. 1a ErbStG angehörenden Erwerbern von Betriebsvermögen die Erbschaftsteuer nach der Steuerklasse I berechnet wird (vgl. BVerfGE 117, 1 <6>).

32

d) aa) Nachdem das Bundesverfassungsgericht auf die Vorlage des Bundesfinanzhofs vom 22. Mai 2002 (BFHE 198, 342) die Tarifnorm des § 19 Abs. 1 ErbStG wegen Gleichheitswidrigkeit der maßgeblichen Bewertungsbestimmungen durch Beschluss vom 7. November 2006 (BVerfGE 117, 1) für verfassungswidrig erklärt hatte, änderte der Bundesgesetzgeber mit dem Erbschaftsteuerreformgesetz nicht nur die Bewertungsgrundsätze für erbschaft- und schenkungsteuerrechtliche Zwecke, sondern gestaltete auch die Verschonung betrieblichen Vermögens durch §§ 13a und 13b ErbStG inhaltlich neu und erweiterte sie.

33

Die §§ 13a und 13b ErbStG in der Fassung des Erbschaftsteuerreformgesetzes sahen gegenüber der für das Vorlageverfahren maßgeblichen Gesetzesfassung durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz (vgl. hierzu oben I. 1. c) erhöhte Voraussetzungen für die Steuerbefreiungen vor. Die Inanspruchnahme des Verschonungsabschlags war nach § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG noch davon abhängig, dass die Summe der jährlichen Lohnsummen des Betriebs während einer siebenjährigen Lohnsummenfrist 650 % der Ausgangslohnsumme erreicht. Eine Befreiung von der Lohnsummenregelung war nach § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG lediglich bis zu einer Grenze von zehn Beschäftigten vorgesehen, und die Behaltensfrist nach § 13a Abs. 5 ErbStG betrug noch sieben Jahre. Dementsprechend waren auch die Anforderungen nach § 13a Abs. 8 ErbStG für die Erlangung einer vollständigen Verschonung strenger, da hierfür eine Lohnsummenfrist von zehn Jahren eingehalten werden musste, von einer maßgebenden Lohnsumme von 1.000 % ausgegangen wurde und eine Behaltensfrist von zehn Jahren vorgesehen war.

34

Bei der Neuregelung der erbschaft- und schenkungsteuerrechtlichen Begünstigung betrieblichen Vermögens durch das Erbschaftsteuerreformgesetz ließ sich der Gesetzgeber davon leiten, dass Betriebsvermögen gegenüber anderen Vermögensarten Besonderheiten aufweise, die eine differenzierte Behandlung im Rahmen der Erbschaftsteuer erforderten. Diese Vermögensart bilde eine Basis für Wertschöpfung und Beschäftigung und für den Erhalt von Arbeitsplätzen (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 33).

35

In vielen Betrieben sei beträchtliches Kapital für Produktionszwecke gebunden. Die im Erbfall trotz Begünstigung anfallende Erbschaftsteuer sei oft nicht aus liquidem Vermögen oder aus laufenden Erträgen zu begleichen. Um die Erhaltung von Arbeitsplätzen nicht zu gefährden, müssten Betriebe vor kurzfristigen hohen Belastungen geschützt werden. Liquiditätsreserven und Investitionsfähigkeit sollten durch staatliche Ansprüche nicht erschöpft werden. Gerade Zeiten des Betriebsübergangs brauchten stabile Rahmenbedingungen, weil sie oft Umstrukturierungen und Neuinvestitionen erforderlich machten. Deshalb werde allen Betrieben eine Verschonung angeboten, die ihre Liquidität schütze, Investitionen nicht verhindere und so Arbeitsplätze sichere (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 33). Voraussetzung der Verschonung sei, dass die Unternehmensnachfolge nachhaltig sei und die Arbeitsplätze erhalten würden (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 23).

36

Die klein- und mittelständisch geprägte Unternehmenslandschaft sei für die deutsche Wirtschaft im internationalen Wettbewerb von Vorteil. Regional vernetzte Familienbetriebe seien notwendige Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum und damit für die Schaffung wettbewerbsfähiger Arbeits- und Ausbildungsplätze in Deutschland. Klein- und mittelständische Betriebe stünden für offene Märkte und hohe Wettbewerbsintensität (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 33). Gemeinwohlgründe sprächen nicht nur für eine steuerliche Privilegierung der Unternehmen, sondern auch für Verschonungsregelungen für land- und forstwirtschaftliches Vermögen, dessen Bedeutung vor dem Hintergrund des gewachsenen ökologischen Bewusstseins deutlich werde (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 23).

37

bb) Durch Artikel 1 Nr. 17 des Erbschaftsteuerreformgesetzes kam es auch zu einer Änderung der Tarifstruktur in § 19 Abs. 1 ErbStG. Für Erwerber der Steuerklassen II und III galten dieselben Steuersätze mit nur noch zwei unterschiedlichen Prozentsätzen (30 und 50 %).

38

e) Artikel 6 Nr. 1 und Nr. 4 des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes änderte § 13a ErbStG zugunsten der Steuerpflichtigen rückwirkend. Daneben wurde durch Artikel 6 Nr. 2 und Nr. 4 des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes die Änderung des § 19 Abs. 1 ErbStG durch das Erbschaftsteuerreformgesetz (vgl. oben 3. d bb) mit Wirkung für Steuerentstehungszeitpunkte nach dem 31. Dezember 2009 wieder zurückgenommen (BGBl I S. 3950 <3954>). Danach sah § 19 Abs. 1 ErbStG für Erwerber der Steuerklasse II wieder Steuersätze von 15 bis 43 % vor, die von einer einzelnen Ausnahme abgesehen zwischen den Steuersätzen für Erwerber der Steuerklasse I und III liegen.

39

4. §§ 13a und 13b ErbStG haben durch das Jahressteuergesetz 2010 (JStG 2010) vom 8. Dezember 2010 (BGBl I S. 1768) und das Steuervereinfachungsgesetz 2011 vom 1. November 2011 (BGBl I S. 2131) Änderungen erfahren, die jedoch die Vorlagefrage nicht berühren. Erneut geändert wurden die §§ 13a und 13b ErbStG mit Wirkung für Steuerentstehungszeitpunkte nach dem 6. Juni 2013 durch Artikel 30 des Gesetzes zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz - AmtshilfeRLUmsG) vom 26. Juni 2013 (BGBl I S. 1809 <1842>). Mit diesen Änderungen reagierte der Gesetzgeber auf die vom Bundesfinanzhof aufgezeigten Gestaltungsmöglichkeiten bei der Anwendung der §§ 13a und 13b ErbStG (vgl. BRDrucks 302/12 [Beschluss], S. 112 ff.; BTDrucks 17/10604, S. 38 f.; BRDrucks 157/13 [Beschluss], S. 2) und entzog einigen von ihnen insbesondere durch die Einfügung einer neuen Nr. 4a in § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG die Grundlage. Danach gehört nunmehr zum nicht begünstigten Verwaltungsvermögen auch der nach Abzug der Schulden verbleibende Bestand an Finanzmitteln wie Geldforderungen oder Geschäftsguthaben, soweit er 20 % des anzusetzenden Werts des Betriebsvermögens des Betriebs oder der Gesellschaft übersteigt. Soweit der Liquiditätsbestand die 20 %-Grenze nicht überschreitet, ist er nach §§ 13a und 13b ErbStG weiterhin begünstigt.

40

5. Das Aufkommen aus der Erbschaft- und Schenkungsteuer steht nach Art. 106 Abs. 2 Nr. 2 GG den Ländern zu. Im Jahr 2009, in dem das Erbschaftsteuerreformgesetz vom 24. Dezember 2008 in Kraft getreten ist, lagen die Einnahmen aus der Erbschaft- und Schenkungsteuer bei rund 4,5 Milliarden Euro, im Jahr 2012 bei rund 4,3 Milliarden Euro und im Jahr 2013 bei knapp über 4,6 Milliarden Euro. Schon seit 2004 waren jährliche Erbschaft- und Schenkungsteueraufkommen in dieser Größenordnung erzielt worden (vgl. zur Entwicklung seit 1990 BVerfGE 117, 1 <12>).

41

Nach den vom Bundesministerium der Finanzen dem Bundesverfassungsgericht vorgelegten statistischen Auswertungen hat sich der Steuerwert des durch Erwerbe von Todes wegen und Schenkungen übertragenen Vermögens in den Jahren von 2007 bis 2012 mehr als verdoppelt (2007: 33,7 Milliarden Euro; 2008: 35,3 Milliarden Euro; 2009: 37,5 Milliarden Euro; 2010: 40,7 Milliarden Euro; 2011: 54 Milliarden Euro; 2012: 74,2 Milliarden Euro). Durch die §§ 13a und 13b ErbStG wurden von diesen Steuerwerten nach den Angaben des Bundesministeriums der Finanzen im Jahr 2009 3,4 Milliarden Euro, im Jahr 2010 7,2 Milliarden Euro, im Jahr 2011 20 Milliarden Euro und im Jahr 2012 40,2 Milliarden Euro steuerfrei gestellt. Diese statistischen Angaben, auch die zu den Gesamtjahreswerten unentgeltlich übertragenen Vermögens, beziehen sich allerdings nur auf die von den Finanzbehörden erfassten Fälle. Das Bundesministerium der Finanzen hat zur tatsächlichen Belastung erbschaftsteuerbarer Sachverhalte mit Erbschaftsteuer mitgeteilt, es habe im Jahr 2010 insgesamt 858.768 Sterbefälle gegeben, von denen 807.278 (94 %) von der Finanzverwaltung hinsichtlich der Erbschaftsteuer nicht aufgegriffen worden seien, weil von vornherein erkennbar gewesen sei, dass insbesondere aufgrund der Höhe und Zusammensetzung des Vermögens und des Umfangs der persönlichen Freibeträge eine Steuerbelastung nicht entstehe. Lediglich in den verbleibenden 51.490 Sterbefällen sei eine Erbschaftsteuerveranlagung durchgeführt worden. Ein Verschonungsabschlag nach § 13a ErbStG, der den steuerpflichtigen Erwerb reduziert oder ganz auf null abgesenkt habe, sei dabei in 2.440 Sterbefällen gewährt worden.

II.

42

1. Im Ausgangsverfahren geht es um die steuertarifliche Gleichstellung von Erwerbern der Steuerklassen II und III im Jahr 2009.

43

Der Kläger ist zu 1/4 Miterbe des 2009 verstorbenen Bruders seines Vaters. Der Nachlass setzte sich aus Guthaben bei Kreditinstituten und einem Steuererstattungsanspruch zusammen. Der Wert des auf den Kläger entfallenden Anteils belief sich auf 51.266 Euro. Nach Berücksichtigung des für Personen der Steuerklasse II im maßgeblichen Zeitraum vorgesehenen Freibetrags von 20.000 Euro und nach Abrundung verblieb ein steuerpflichtiger Erwerb von 31.200 Euro. Für ihn setzte das Finanzamt die Erbschaftsteuer unter Anwendung des für die Steuerklasse II bei Erwerben mit einem solchen Wert im Jahr 2009 geltenden Steuersatzes von 30 % auf 9.360 Euro fest.

44

Einspruch und Klage, mit denen der Kläger eine Herabsetzung der Steuer auf 4.680 Euro erreichen wollte, blieben erfolglos. Der Kläger machte geltend, die auf der Änderung des § 19 Abs. 1 ErbStG durch das Erbschafsteuerreformgesetz beruhende und auf das Jahr 2009 beschränkte Gleichstellung von Personen der Steuerklasse II und III sei nicht mit Art. 6 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG zu vereinbaren.

45

2. Im Revisionsverfahren hat der Bundesfinanzhof mit Beschluss vom 27. September 2012 (BFHE 238, 241) das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt,

ob § 19 Abs. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der im Jahr 2009 geltenden Fassung (ErbStG) in Verbindung mit §§ 13a und 13b ErbStG wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes) verfassungswidrig ist.

46

a) Die im Jahr 2009 in § 19 Abs. 1 ErbStG normierte Gleichstellung von Personen der Steuerklassen II und III sei allerdings verfassungsrechtlich hinzunehmen. Denn zum einen sei der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, Erwerber der Steuerklasse II besser zu stellen als Erwerber der Steuerklasse III. Zum anderen sei es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Erwerber der Steuerklasse II nur für das Jahr 2009 den Erwerbern der Steuerklasse III gleichgestellt worden seien, während sie in den Jahren zuvor und danach besser als diese behandelt würden.

47

b) § 19 Abs. 1 ErbStG in Verbindung mit §§ 13a und 13b ErbStG sei jedoch gleichheitswidrig, weil die in §§ 13a und 13b ErbStG vorgesehenen Steuervergünstigungen in wesentlichen Teilbereichen von großer finanzieller Tragweite über das verfassungsrechtlich gerechtfertigte Maß hinausgingen und dadurch die Steuerpflichtigen, die die Vergünstigungen nicht beanspruchen könnten, in ihrem Recht auf eine gleichmäßige, der Leistungsfähigkeit entsprechende und folgerichtige Besteuerung verletzt würden.

48

aa) Die weitgehende oder vollständige steuerliche Verschonung des Erwerbs von Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftlichem Vermögen und Anteilen an Kapitalgesellschaften stelle eine nicht durch ausreichende Gemeinwohlgründe gerechtfertigte und damit verfassungswidrige Überprivilegierung dar, jedenfalls insoweit, als die Gewährung der Steuervergünstigungen nicht von der Lohnsummenregelung und somit von der Erhaltung von Arbeitsplätzen abhänge.

49

(1) Es gehe weit über das verfassungsrechtlich Gebotene und Zulässige hinaus, betriebliches Vermögen ohne Rücksicht auf den Wert des Erwerbs und die Leistungsfähigkeit des Erwerbers freizustellen, und zwar auch dann, wenn die für eine Erbschaftsteuerzahlung erforderlichen liquiden Mittel vorhanden seien oder - gegebenenfalls im Rahmen einer Stundung der Steuer - ohne weiteres beschafft werden könnten. Da auch Erwerber großer und größter Unternehmen von den Steuervergünstigungen profitierten, begünstigten die Steuervorteile die Konzentration von Unternehmensvermögen bei vergleichsweise wenigen Personen.

50

Dass die erbschaft- und schenkungsteuerliche Belastung typischerweise die Betriebsfortführung gefährde, könne auch im Hinblick auf die Ausführungen des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen in seinem zur Begünstigung des Unternehmensvermögens in der Erbschaftsteuer erstatteten Gutachten 01/2012 nicht unterstellt werden.

51

Beim Erwerb von Anteilen an Kapitalgesellschaften fehle es für die pauschale Entlastung der Erwerber von der Steuer an einem ausreichenden sachlichen Grund. Ein solcher sei nicht in der Gleichstellung der Anteile an Kapitalgesellschaften mit Betriebsvermögen oder den Anteilen an Personengesellschaften zu sehen. Die Belastung mit Erbschaftsteuer treffe beim Erwerb von Anteilen an Kapitalgesellschaften in der Regel lediglich die private Vermögenssphäre des Erwerbers.

52

(2) Die Regelungen über die Lohnsummen, die in den Jahren nach dem Erwerb erreicht werden müssten, um den vollen Verschonungsabschlag zu erhalten, spielten im Regelfall für die Verschonung keine entscheidende Rolle, weil weit mehr als 90 % aller Betriebe nicht mehr als 20 Beschäftigte aufwiesen.

53

Zusätzlich erweise sich der Begünstigungsgrund "Arbeitsplatzerhalt" auch deshalb als nicht tragfähig, weil das Gesetz Gestaltungen zulasse, die es in vielen Fällen auf einfache Art und Weise ermöglichten, dass es für die Gewährung des Verschonungsabschlags auch bei Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten nicht auf die Entwicklung der Lohnsummen und somit auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen in dem Zeitraum nach dem Erwerb ankomme. Das könne durch Betriebsaufspaltungen erreicht werden, indem ein Betrieb mit mehr als 20 Beschäftigten vor der Verwirklichung des Steuertatbestandes bei gleichen Beteiligungsverhältnissen in eine Besitzgesellschaft, die nicht mehr als 20 Beschäftigte habe und bei der das Betriebsvermögen konzentriert werde, und in eine Betriebsgesellschaft, deren Betriebsvermögen nach Berücksichtigung der Verbindlichkeiten keinen oder nur einen geringen Steuerwert habe und die eine beliebige Zahl von Beschäftigten haben könne, aufgespalten werde.

54

Dass Betriebe mit nicht mehr als 20 Beschäftigten den Verschonungsabschlag ohne Rücksicht auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen beanspruchen könnten, sei nicht mit einer Verringerung des Bürokratieaufwands für Unternehmen und Verwaltung zu begründen.

55

(3) Die weitgehende oder vollständige Freistellung von der Steuer nach §§ 13a und 13b ErbStG setze die Beachtung der Behaltensregeln des § 13a Abs. 5 ErbStG lediglich für einen Zeitraum von fünf beziehungsweise sieben Jahren voraus. Dieser Zeitraum sei im Hinblick auf die Höhe der Steuervergünstigungen unverhältnismäßig kurz, zumal ein Verstoß gegen die Behaltensregeln den Verschonungsabschlag meist nur teilweise entfallen lasse. Den Steuerpflichtigen wären längere Bindungsfristen zumutbar, ohne die vom Gesetzgeber mit den Steuervergünstigungen angestrebte Betriebsfortführung zu gefährden.

56

bb) §§ 13a und 13b ErbStG wiesen ferner einen verfassungswidrigen Begünstigungsüberhang auf, da sie es Steuerpflichtigen ermöglichten, durch rechtliche Gestaltungen nicht betriebsnotwendiges Vermögen, das den Begünstigungszweck nicht erfülle, in unbegrenzter Höhe ohne oder mit nur geringer Steuerbelastung zu erwerben. Insbesondere seien die Ausgestaltung und Wirkungen der Verwaltungsvermögensregelung nicht geeignet, risikobehaftetes und deshalb zu begünstigendes Betriebsvermögen von weitgehend risikolosem und daher nicht begünstigungswürdigem Betriebsvermögen abzugrenzen.

57

(1) Ein gleichheitswidriger Begünstigungsüberhang der Betriebsvermögensverschonung nach §§ 13a und 13b ErbStG liege bereits darin, dass nach § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG bei der Regelverschonung das Betriebsvermögen bis zu 50 % aus nicht betriebsnotwendigem Vermögen (unschädlichem Verwaltungsvermögen) bestehen könne. Das Gesetz nehme somit von vornherein in Kauf, dass Wirtschaftsgüter der privaten Vermögensverwaltung bis zum Wert des "echten" Betriebsvermögens von der Verschonungsregelung erfasst würden.

58

Die Festlegung des unschädlichen Verwaltungsvermögens mit bis zu 50 % des gesamten Betriebsvermögens überschreite die Grenze zulässiger Typisierung. Es sei nicht zu erkennen, dass Betriebe aus Gründen der Liquidität, zur Absicherung von Krediten oder auch zur Stärkung der Eigenkapitalbasis typischerweise bis zu 50 % über nicht unmittelbar dem Betrieb dienende Wirtschaftsgüter verfügten oder verfügen müssten.

59

(2) Zu einem verfassungswidrigen Begünstigungsüberhang führe auch, dass sich durch eine mehrstufige Konzernstruktur, die nicht als missbräuchlich im Sinne des § 42 der Abgabenordnung (AO) angesehen werden könne, der unter die Verschonungsregelung fallende Anteil des Verwaltungsvermögens am Betriebsvermögen mit jeder weiteren Beteiligungsstufe gemessen am Konzernvermögen deutlich erhöhen könne, ohne dass dies der Gewährung der Steuervergünstigungen nach §§ 13a und 13b ErbStG entgegenstehe.

60

Aus § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG ergebe sich nämlich, dass Beteiligungen an Gesellschaften im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 oder § 18 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) oder an entsprechenden Gesellschaften im Ausland sowie Anteile an Kapitalgesellschaften, die nicht unter § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 ErbStG fielen, nicht zum Verwaltungsvermögen gehörten, wenn das Verwaltungsvermögen bei diesen nicht mehr als 50 % betrage. Derartige Anteile zählten deshalb bei der Prüfung, ob das Verwaltungsvermögen bei dem übergeordneten Unternehmen nicht mehr als 50 % ausmache, in vollem Umfang zum begünstigten Betriebsvermögen, obwohl 50 % ihres Vermögens aus Verwaltungsvermögen bestehen könne.

61

(3) Ein weiterer, dem Gleichheitssatz widersprechender Überhang der Verschonungsregelungen für das Betriebsvermögen ergebe sich daraus, dass Geldforderungen wie etwa Sichteinlagen, Sparanlagen und Festgeldkonten bei Kreditinstituten sowie Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sowie Forderungen an verbundene Unternehmen nicht zum Verwaltungsvermögen im Sinne des § 13b Abs. 2 ErbStG gehörten.

62

Anteile an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder an einer gewerblich geprägten Personengesellschaft, deren Vermögen ausschließlich aus solchen Forderungen bestünden, könnten deshalb durch freigebige Zuwendung oder von Todes wegen steuerbegünstigt nach §§ 13a und 13b ErbStG erworben werden, ohne dass darin eine missbräuchliche Gestaltung im Sinne des § 42 AO gesehen werden könne. Dieses Besteuerungsergebnis könne auch nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 13b Abs. 2 ErbStG dahingehend vermieden werden, dass Bankguthaben und Festgelder schädliches Verwaltungsvermögen seien. Eine solche Norminterpretation sei weder mit dem Wortlaut der Vorschrift noch mit deren Sinn und Zweck, dem systematischen Zusammenhang und der Entstehungsgeschichte vereinbar.

63

Gewichtige Gründe, wie etwa Typisierungserwägungen, die die völlige Freistellung des Erwerbs eines Anteils an einer Gesellschaft, deren Vermögen ausschließlich aus Guthaben bei Kreditinstituten oder sonstigen Geldforderungen bestehe, die nicht zum Verwaltungsvermögen im Sinne des § 13b Abs. 2 ErbStG gehörten, aus verfassungsrechtlicher Sicht rechtfertigen könnten, seien nicht ersichtlich.

64

(4) Außerdem ergebe sich ein Begünstigungsüberhang bei der Betriebsvermögensverschonung aus der Möglichkeit, durch Gestaltungen aus begünstigungsschädlichem Verwaltungsvermögen begünstigtes Betriebsvermögen zu machen. Da Geldforderungen nicht zum Verwaltungsvermögen im Sinne des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG gehörten, könne auch für Gesellschaften, deren Vermögen ausschließlich oder zu einem hohen Anteil aus Verwaltungsvermögen bestehe, durch die Bildung sogenannter Forderungsgesellschaften erreicht werden, dass der Verschonungsabschlag von 100 % zu gewähren sei.

65

cc) §§ 13a und 13b ErbStG ließen es zu, dass es weitgehend der Dispositionsfreiheit des Erblassers oder Schenkers unterliege, Vermögensgegenstände, die ihrer Natur nach im Rahmen der privaten Vermögensverwaltung gehalten würden, zu steuerbegünstigtem Betriebsvermögen zu machen. Die Steuervergünstigungen nach §§ 13a und 13b ErbStG knüpften an den Begriff des ertragsteuerrechtlichen Betriebsvermögens an und ermöglichten es so, durch Schaffung gewillkürten Betriebsvermögens und weitere Gestaltungen selbst beim Erwerb größter Vermögen von Todes wegen oder durch freigebige Zuwendung die Höhe der Steuerbelastung zu vermindern oder das Entstehen von Steuer zu vermeiden, ohne dass dies verfassungsrechtlich gerechtfertigt sei.

66

dd) Mit den Anforderungen an eine gleichmäßige Besteuerung sei es schließlich auch nicht zu vereinbaren, dass die Steuervergünstigungen nach §§ 13a und 13b ErbStG zusammen mit zahlreichen anderen Verschonungen (etwa die Tarifbegrenzung nach § 19a ErbStG oder die in § 13 Abs. 1 Nr. 4a und 4b ErbStG vorgesehenen Steuerbefreiungen im Zusammenhang mit Familienheimen) und den Freibeträgen des § 16 ErbStG dazu führten, dass nur ein geringer Teil der im Grundsatz nach §§ 1, 2, 3 und 7 ErbStG steuerbaren Sachverhalte tatsächlich mit Steuer belastet werde.

67

ee) Für die Entscheidung des Streitfalles komme es auf die Gültigkeit des § 19 Abs. 1 ErbStG an. Wenn diese Vorschrift verfassungsgemäß sei, wäre die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen. Wenn sie nicht verfassungsgemäß sei, wäre die Vorentscheidung auf die Revision des Klägers aufzuheben und der Klage stattzugeben, weil das Fehlen einer den Steuersatz festlegenden Regelung die Festsetzung von Erbschaftsteuer nicht zulassen würde, oder das Verfahren müsste gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber ausgesetzt werden.

68

Sollte das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis kommen, dass die weitgehende oder vollständige Verschonung des Erwerbs von Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftlichem Vermögen und Anteilen an Kapitalgesellschaften oder von Anteilen daran von der Erbschaft- und Schenkungsteuer mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht vereinbar sei, wäre der Gesetzgeber weder aus Rechtsgründen noch aus offenkundigen tatsächlichen Gründen gehindert, auch für den Erwerb von Privatvermögen unter noch zu bestimmenden Voraussetzungen den §§ 13a und 13b ErbStG vergleichbare Steuervergünstigungen einzuführen.

69

Der Entscheidungserheblichkeit der Frage, ob § 19 Abs. 1 ErbStG verfassungsgemäß sei, stehe nicht entgegen, dass die in die verfassungsrechtliche Prüfung einbezogenen §§ 13a und 13b ErbStG keinen unmittelbaren Anknüpfungspunkt im Ausgangssachverhalt hätten. Es bestehe von Verfassungs wegen keine Notwendigkeit, die Zulässigkeit einer Richtervorlage auf den Vergleich mit einer bestimmten, im Ausgangsfall betroffenen Vermögensart beziehungsweise einer bestimmten Verschonungsregelung zu beschränken. § 19 Abs. 1 ErbStG sei nämlich eine "Klammernorm", über die Verstöße gegen den Gleichheitssatz, die in den Bewertungs- und Verschonungsvorschriften angelegt seien, erst ihre Wirkung entfalteten. Dabei gehe es nicht um verfassungswidrige Ungleichbehandlungen, die in einzelnen Vorschriften enthalten seien. Vielmehr wirkten sich die gerügten Verfassungsverstöße teils für sich allein, teils aber auch in ihrer Kumulation auf alle Teile des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes aus und führten zu einer durchgehenden, das gesamte Gesetz erfassenden verfassungswidrigen Fehlbesteuerung.

III.

70

1. Von Seiten des Bundes und der Länder haben das Bundesministerium der Finanzen für die Bundesregierung, das Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen für die Landesregierung Nordrhein-Westfalen und die Niedersächsische Landesregierung Stellung genommen.

71

a) Das Bundesministerium der Finanzen hält die Vorlage weder für zulässig noch in der Sache für berechtigt. Es fehle schon an der Entscheidungserheblichkeit der §§ 13a und 13b ErbStG für den Ausgangsstreit. Diese lasse sich auch nicht unter Bezugnahme auf den § 19 Abs. 1 ErbStG als Klammernorm begründen. Die §§ 13a und 13b ErbStG seien hinsichtlich ihres Zwecks, die Unternehmensfortführung zu sichern und Arbeitsplätze zu erhalten, folgerichtig ausgestaltet. Im Übrigen seien Verschonungsregelungen für Unternehmensvermögen international üblich. Auch könne der Gesetzgeber Gestaltungen zur Steuerumgehung nie gänzlich vermeiden.

72

b) Das Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen erachtet die Vorlage als unzulässig, da das Verständnis des Bundesfinanzhofs von § 19 Abs. 1 ErbStG als Klammernorm nicht überzeuge; ansonsten könnten auf diesem Weg sämtliche Befreiungs- und Begünstigungstatbestände zur verfassungsrechtlichen Prüfung gestellt werden. Auch seien von der Besteuerung nach §§ 13a und 13b ErbStG nach der Zahl der betroffenen Steuerpflichtigen sowie gemessen an der wirtschaftlichen Bedeutung gerade nicht wesentliche Teilbereiche des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes betroffen. Die Vorlage nehme außerdem zu Unrecht die Verfassungswidrigkeit der beanstandeten Vorschriften an. Sie zeige zwar auf, dass Einzelregelungen des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes, für das die Gesetzgebungskompetenz beim Bund liege, steuerpolitisch verfehlt seien, diese Mängel führten aber nicht zu einer Verfassungswidrigkeit der Erbschaftsbesteuerung.

73

c) Die Niedersächsische Landesregierung hält die Vorlage für zulässig und die vorgelegten Normen für verfassungswidrig. Der Gesetzgeber habe verkannt, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 22. Juni 1995 (BVerfGE 93, 165) nicht gefordert habe, betriebliches Vermögen so weitgehend durch Verschonungstatbestände wie §§ 13a und 13b ErbStG zu begünstigen, dass hierdurch eine realitätsgerechte Bewertung konterkariert werde. Ferner lasse sich aus dem vom Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium der Finanzen in seinem zur Begünstigung des Unternehmensvermögens in der Erbschaftsteuer erstatteten Gutachten 01/2012 der Schluss ziehen, eine Bedrohung von Unternehmen durch die Erbschaftsteuer sei nicht sehr wahrscheinlich. Falls eine erbschaftsteuerbedingte Existenzgefährdung ausnahmsweise doch vorliegen könne, halte das geltende Recht mit der Stundungsregelung in § 28 ErbStG eine ökonomisch wirksame Alternative zu den §§ 13a und 13b ErbStG bereit.

74

2. Zur Vorlage haben - schriftlich oder in der mündlichen Verhandlung - der Bundesverband der Deutschen Industrie, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, der Zentralverband des Deutschen Handwerks, die Stiftung Familienunternehmen sowie Die Familienunternehmer - ASU Stellungnahmen abgegeben. Sie äußern hinsichtlich der Zulässigkeit der Vorlage Bedenken, halten die Verschonungsregelungen aber für verfassungsgemäß.

75

Die Stellungnahmen beurteilen die §§ 13a und 13b ErbStG als gleichheitsgerecht; nur vereinzelt wird eine fehlende Zielgenauigkeit einzelner Regelungen (etwa bei § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG) angenommen. Die §§ 13a und 13b ErbStG verfolgten mit dem Erhalt von Unternehmen und Arbeitsplätzen ein legitimes Ziel. Sie seien schon deshalb erforderlich, um die höhere Belastung aufgrund der durch das Erbschaftsteuerreformgesetz eingeführten verkehrswertorientierten Bewertung auszugleichen. Bei der Bewertung von Familienunternehmen werde nicht berücksichtigt, dass bei ihnen regelmäßig - vielfach auch gesellschaftsvertraglich festgelegte - Veräußerungs- und Gewinnentnahmehindernisse bestünden, die zur Bestandssicherung und Finanzierung solcher Betriebe notwendig seien.

76

Soweit der Bundesfinanzhof darauf verweise, dass die Verschonungsregelungen nicht ausreichend berücksichtigten, ob freie Mittel im privaten Vermögen des Unternehmers zur Begleichung der Steuerlast vorhanden seien, verkenne er, dass Unternehmer, die expandierten und investierten, ihre Liquidität im und nicht außerhalb des Unternehmens anlegten. In vielen Fällen sei deshalb bei Betriebsübergang private Liquidität zur Finanzierung der Erbschaftsteuer nicht vorhanden.

77

Die Verschonung nach §§ 13a und 13b ErbStG trage den Empfehlungen der Europäischen Kommission Rechnung, wonach die Übertragung von Familienunternehmen erbschaftsteuerlich begünstigt werden solle. Die Erbschaftsteuer bilde einen erheblichen Standort- und Wettbewerbsfaktor. Im Vergleich mit anderen Ländern sei die Erbschaftsteuerbelastung in Deutschland auch deshalb relativ hoch, weil in Deutschland Vermögensübergänge an Ehegatten und Kinder besteuert würden.

78

Der Bundesfinanzhof habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass Verwaltungsvermögen nicht grundsätzlich als negativ anzusehen sei, es stärke nämlich die Eigenkapitalausstattung eines Unternehmens und hafte vollumfänglich für betriebliche Verpflichtungen.

79

Die dem Gesetz zugrunde liegende Annahme, die erbschaft- oder schenkungsteuerliche Belastung gefährde typischerweise die Betriebsfortführung, könne deshalb nicht verifiziert werden, weil es zu einer geplanten Betriebsnachfolge gar nicht komme, wenn sich bei ihrer Vorbereitung herausstelle, dass sie mit existenzgefährdenden Steuerbelastungen verbunden sein könne. Sei der Erhalt des Unternehmens in Familienhand aufgrund einer drohenden Existenzgefährdung durch die Belastung mit Erbschaft- oder Schenkungsteuer nicht möglich, so stelle sich der Verkauf eines Handwerkbetriebs als schwierig dar, da es - auch im Hinblick auf die regionale Verwurzelung des Betriebs - oftmals an Kaufinteressenten fehle.

80

Die Stundungsregelung des § 28 ErbStG sei nicht geeignet, den Erhalt des Betriebs zu sichern. In der Praxis seien nämlich für den Nachweis der Existenzgefährdung als Stundungsvoraussetzung Bankauskünfte erforderlich, und die Banken kündigten dann bei Kenntnis von Liquiditätsengpässen die Kredite. Dies würde insbesondere kleine und mittlere Betriebe in der Existenz bedrohen, da diese auf eine Fremdfinanzierung in besonderem Maße angewiesen seien.

81

3. Zur Vorlage haben sich darüber hinaus der Deutsche Bauernverband, die Bundessteuerberaterkammer, der Deutsche Steuerberaterverband, der Deutsche Notarverein, die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Anwaltverein, das Institut der Wirtschaftsprüfer und die Deutsche Steuer-Gewerkschaft geäußert.

82

a) Der Deutsche Bauernverband äußert Zweifel an der Zulässigkeit der Vorlage, hält die Verschonungsregelungen insbesondere für das land- und forstwirtschaftliche Vermögen aber jedenfalls durch ausreichende Gemeinwohlgründe für gerechtfertigt. In der Land- und Forstwirtschaft sei es in der Regel nicht möglich, ausreichend finanzielle Vorsorge für den Erbschaft- oder Schenkungsteuerfall zu treffen. Eine Besteuerung des Übergangs land- und forstwirtschaftlichen Vermögens ohne Verschonung würde den Strukturwandel in der Land- und Forstwirtschaft noch weiter verstärken.

83

b) Die Bundessteuerberaterkammer geht zwar von einer Verfassungswidrigkeit der §§ 13a und 13b ErbStG aus, weist allerdings auf die grundsätzliche Notwendigkeit einer steuerlichen Verschonung des Betriebsvermögens hin. Es dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Erbschaftsteuer Liquiditätsprobleme auslösen könne. Im Übrigen sei auch die Auffassung des Bundesfinanzhofs problematisch, wonach bei den von ihm angeführten Gestaltungen § 42 AO nicht zur Anwendung gelangen soll.

84

c) Der Deutsche Steuerberaterverband hält die Vorlage für zulässig, die Normen aber für verfassungsgemäß. Es bestehe durchaus die Möglichkeit, dass es aufgrund der Erbschaftsteuerbelastung zu Betriebseinstellungen oder -übertragungen kommen könne. Bei der Besteuerung des Betriebsvermögens sei zu berücksichtigen, dass es in deutlich höherem Maße wirtschaftlichen Entwicklungen unterworfen sei als das Grundvermögen.

85

d) Der Deutsche Notarverein teilt nicht die Auffassung des Bundesfinanzhofs, wonach wenig dafür spreche, dass eine Verschonung des Betriebsvermögens zum Erhalt von Arbeitsplätzen geboten sei. Denn der Ausstieg einer Familie aus "ihrem" Unternehmen und die Veräußerung des Unternehmens an eine Beteiligungsgesellschaft oder einen Konzern führten regelmäßig zu Arbeitsplatzverlusten.

86

e) Die Bundesrechtsanwaltskammer hält den Vorlagebeschluss trotz verbleibender Bedenken gegen seine Zulässigkeit im Ergebnis für in der Sache berechtigt. Von der Berechtigung der Vorlage geht auch der Deutsche Anwaltverein aus.

87

f) Das Institut der Wirtschaftsprüfer kritisiert die Ausführungen des Bundesfinanzhofs zur Klammerwirkung der Tarifnorm und geht im Übrigen von der Verfassungsmäßigkeit der Verschonungsregelungen aus. Ohne eine besondere erbschaftsteuerliche Verschonung von Betriebsvermögen führe die Erbschaftsteuer zu einem Entzug von Liquidität aus dem Unternehmen, was sich gesamtwirtschaftlich sowohl auf Beschäftigung als auch auf Wachstum negativ auswirke. Die Erbschaftsteuer belaste die Liquiditätsreserven und die Investitionstätigkeit. Der Gesetzgeber habe mit den Behaltensregeln in § 13a Abs. 5 ErbStG eine zutreffende Typisierungsentscheidung getroffen, wenngleich aus unternehmerischer Sicht fünf bis sieben Jahre in der Regel ein langer Zeitraum seien.

88

g) Die Deutsche Steuer-Gewerkschaft hält die vorgelegten Normen für verfassungswidrig. In der Praxis bewirkten die Verschonungsregelungen vielfach gerade nicht den Erhalt von Arbeitsplätzen. So werde ein Erbe eines wirtschaftlich gefährdeten Unternehmens, dessen Rettung nur mit dem Abbau personeller Ressourcen erfolgen könne, trotz des wirtschaftlich notwendigen Schrumpfungsprozesses zusätzlich mit der Zahlung der Erbschaftsteuer belastet, während der Erbe eines wirtschaftlich soliden Betriebes aufgrund gleichbleibender Lohnsumme erbschaftsteuerlich verschont würde, obwohl nach der eigentlichen Intention des Gesetzgebers dieser Unternehmenserbe keiner steuerlichen Begünstigung bedürfe.

89

4. Der Kläger des Ausgangsverfahrens zweifelt an der Zulässigkeit der Vorlage, da sich die vom Bundesfinanzhof aufgeworfenen Fragen im Ausgangsrechtsstreit nicht stellten.

90

5. Als sachkundige Auskunftspersonen haben sich in der mündlichen Verhandlung Professor Dr. Christoph Spengel vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim, Professor Dr. Ralf Maiterth von der Humboldt-Universität zu Berlin und Professor Dr. Roman Seer von der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft geäußert.

B.

91

Die Vorlage des Bundesfinanzhofs ist im Wesentlichen zulässig (I.). §§ 13a und 13b ErbStG erweisen sich in formeller Hinsicht als verfassungsgemäß (II.). Die Bestimmungen verstoßen jedoch teilweise gegen den Gleichheitssatz und sind insoweit verfassungswidrig (III.).

I.

92

1. Eine Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ist nur zulässig, wenn das vorgelegte Gesetz für das von dem vorlegenden Gericht zu entscheidende Verfahren entscheidungserheblich ist (vgl. BVerfGE 129, 186 <200>). Das ist die zur Prüfung gestellte Norm nur, wenn es für die Endentscheidung auf den Bestand der Regelung ankommt (vgl. BVerfGE 104, 74 <82>). Nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muss das vorlegende Gericht daher darlegen, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Norm abhängt (vgl. BVerfGE 105, 48 <56>; 133, 1 <10 f.>). Dazu muss der Vorlagebeschluss mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, dass das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der in Frage gestellten Vorschrift zu einem anderen Ergebnis käme als im Falle ihrer Ungültigkeit und wie das Gericht dieses Ergebnis begründen würde (vgl. BVerfGE 105, 61 <67>). Für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ist dabei grundsätzlich die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgebend, sofern diese nicht offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 2, 181 <190 f.>; 105, 61 <67>; 129, 186 <203>; 133, 1 <11>).

93

Für eine zulässige Vorlage muss das Fachgericht ferner deutlich machen, mit welchem verfassungsrechtlichen Grundsatz die zur Prüfung gestellte Regelung seiner Ansicht nach nicht vereinbar ist und aus welchen Gründen es zu dieser Auffassung gelangt. Hierzu bedarf es eingehender, Rechtsprechung und Schrifttum einbeziehender Darlegungen (vgl. BVerfGE 78, 165 <171 f.>; 89, 329 <337>; 129, 186 <205>).

94

2. Gemessen an diesen Voraussetzungen erweist sich die Vorlage als zulässig im Hinblick auf §§ 13a und 13b ErbStG in der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung des Erbschaftsteuerreformgesetzes vom 24. Dezember 2008 (BGBl I S. 3018), rückwirkend zum 1. Januar 2009 geändert durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz vom 22. Dezember 2009 (BGBl I S. 3950). Zwar kommt es für das Ausgangsverfahren nicht unmittelbar auf die Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften an (a). Dennoch durfte der Bundesfinanzhof hier von ihrer Entscheidungserheblichkeit für das Ausgangsverfahren ausgehen (b).

95

a) Besteuerungsgegenstand des Ausgangsverfahrens sind nichtbetriebliche Guthaben bei Kreditinstituten und ein Steuererstattungsanspruch (vgl. oben A. II. 1.). Fragen der erbschaftsteuerlichen Begünstigung betrieblichen Vermögens im Sinne von §§ 13a und 13b ErbStG stellen sich daher in diesem Fall aus einfachrechtlicher Sicht nicht.

96

b) Der Bundesfinanzhof durfte hier gleichwohl annehmen, dass die Verfassungswidrigkeit der §§ 13a und 13b ErbStG, von der er überzeugt ist, ausnahmsweise auf die erbschaftsteuerliche Belastung des Klägers durchschlägt, weil sie die gleichheitsgerechte Erhebung der Erbschaftsteuer insgesamt in Frage stelle und diese Vorschriften deshalb auch für das Ausgangsverfahren entscheidungserheblich seien. Er hat dies auch ausreichend dargelegt.

97

aa) Im Steuerrecht wird eine Regelung, auf die es für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens an sich nicht ankommt, nicht allein dadurch entscheidungserheblich, dass sie Steuerpflichtigen eine Vergünstigung einräumt, die dem Kläger des Ausgangsverfahrens nicht zusteht. Der allgemeine Gleichheitssatz ist grundsätzlich kein Instrument, der es einem Steuerpflichtigen erlaubt, die einem anderen eingeräumte, seine eigene Steuerpflicht nicht betreffende Steuervergünstigung zu bekämpfen und so auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen (vgl. auch BVerfGE 110, 274 <303>). Art. 3 Abs. 1 GG verleiht dem einzelnen Steuerpflichtigen keinen Anspruch auf die verfassungsrechtliche Kontrolle eines Steuergesetzes im Hinblick auf solche Regelungen, die das eigene Steuerverhältnis nicht betreffen. Auch das vorlegende Gericht ist nicht befugt, dem Bundesverfassungsgericht Normen eines Gesetzes zur verfassungsgerichtlichen Kontrolle zu unterbreiten, die Dritte womöglich gleichheitswidrig begünstigen, nicht aber die Beteiligten des Ausgangsverfahrens betreffen (vgl. BVerfGE 67, 239 <243 f.>).

98

Anderes gilt jedoch dann, wenn die Dritten gewährten Steuervergünstigungen für eine gleichheitsgerechte Belastung durch die betreffende Steuer insgesamt übergreifende Bedeutung haben. Dies ist der Fall, wenn die nur einer Gruppe gewährten Vergünstigungen nach Zahl oder Umfang ein solches Ausmaß erreichen oder nach ihrer strukturellen Bedeutung für die Steuer solches Gewicht haben, dass im Falle der Verfassungswidrigkeit der Privilegierungsnorm die lastengleiche Besteuerung auch derjenigen in Frage gestellt ist, die von dieser Privilegierungsnorm an sich nicht erfasst werden.

99

Hiervon kann im Fall der §§ 13a und 13b ErbStG ausgegangen werden. Die vom Bundesfinanzhof geltend gemachten Gleichheitsverstöße im Anwendungsbereich der §§ 13a und 13b ErbStG sind so erheblich, dass sie die erbschaftsteuerrechtliche Begünstigung für betriebliches Vermögen insgesamt erfassen. Die in den §§ 13a und 13b ErbStG vorgesehene Privilegierung betrieblichen Vermögens ist wiederum für die Besteuerung des ererbten oder geschenkten Vermögens insgesamt von solchem Gewicht, dass im Falle ihrer Verfassungswidrigkeit die Besteuerung des unentgeltlichen Erwerbs nichtbetrieblichen Vermögens davon nicht unberührt bleiben könnte.

100

Nach den vom Bundesministerium der Finanzen in diesem Verfahren vorgelegten Auswertungen der Erbschaft- und Schenkungsteuerstatistik betrug der Steuerwert des in den Jahren 2009 bis 2012 unentgeltlich übergegangenen Vermögens, soweit es von den Finanzämtern erfasst wurde (s. oben A. I. 5.), insgesamt 206,4 Milliarden Euro (2009: 37,5 Milliarden Euro; 2010: 40,7 Milliarden Euro; 2011: 54 Milliarden Euro; 2012: 74,2 Milliarden Euro). Von diesem Steuerwert wurden in den Jahren 2009 bis 2012 insgesamt 70,8 Milliarden Euro (2009: 3,4 Milliarden Euro; 2010: 7,2 Milliarden Euro; 2011: 20 Milliarden Euro; 2012: 40,2 Milliarden Euro) über die Regelungen in §§ 13a und 13b ErbStG von der Erbschaft- oder Schenkungsteuer befreit.

101

Wären, wie vom Bundesfinanzhof substantiiert dargelegt, die Regelungen über die Besteuerung des entgeltlosen Erwerbs betrieblichen Vermögens wegen übermäßiger und widersprüchlicher Ausgestaltung der Verschonungsbestimmungen insgesamt verfassungswidrig, könnte die Besteuerung des Erwerbs nichtbetrieblichen Vermögens durch Erbschaft oder Schenkung daneben vor Art. 3 Abs. 1 GG keinen Bestand haben. Entfielen die §§ 13a und 13b ErbStG, könnten nicht stattdessen die allgemeinen Regeln über den erbschaftsteuerlichen Zugriff auf Erbe oder Schenkung auch für den Übergang von Betrieben Anwendung finden, weil dies dem in den §§ 13a und 13b ErbStG zweifelsfrei zum Ausdruck gekommenen - und im Grundsatz verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstandenden (s. dazu unten III. 2.) - Willen des Gesetzgebers offensichtlich widerspräche. Auf der anderen Seite fehlte es für einen völligen Verzicht auf die Besteuerung des unentgeltlichen Erwerbs betrieblichen Vermögens im Falle der Verfassungswidrigkeit von §§ 13a und 13b ErbStG an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage wie auch an einem hinreichenden Rechtfertigungsgrund für eine derart umfassende Steuerbefreiung. Ohne eine tragfähige Besteuerungsregelung für Unternehmensübergänge würde die lastengerechte Erhebung der Erbschaftsteuer im Übrigen ebenfalls in Frage gestellt.

102

In solchen Fällen, in denen die substantiiert behauptete Verfassungswidrigkeit von Steuervergünstigungen eines Steuergesetzes an anderer Stelle nicht nur isolierbare Einzelpunkte eines Teilbereichs der Steuer betrifft, sondern die gerechte Erhebung der Steuer insgesamt aushebelt, ist für einen Steuerpflichtigen, der durch einen für sich genommen nicht verfassungswidrigen Tatbestand dieser Steuer betroffen ist, die Verfassungswidrigkeit der anderen Norm entscheidungserheblich, da sie auch seiner Besteuerung die Grundlage entzieht.

103

bb) Ob die Entscheidungserheblichkeit der §§ 13a und 13b ErbStG daneben auch unter Rückgriff auf § 19 Abs. 1 ErbStG als Klammernorm begründet werden kann, wie es der Bundesfinanzhof unter Berufung auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7. November 2006 (BVerfGE 117, 1 <28 f.>) versucht hat, bedarf hier keiner Vertiefung. Jedenfalls würde eine auf das Gesamtsystem der Erbschaftsteuer ausstrahlende Verfassungswidrigkeit der Besteuerung betrieblichen Vermögens die Tarifnorm des § 19 Abs. 1 ErbStG auch insoweit erfassen, als in einem solchen Fall auch der unentgeltliche Erwerb privaten Vermögens nicht mehr gleichheitsgerecht besteuert würde (s. dazu unten C. I. 2.).

104

cc) Den vom Bundesfinanzhof als verfassungswidrig vorgelegten §§ 13a und 13b ErbStG fehlt auch nicht deshalb die Entscheidungserheblichkeit, weil im Falle ihrer Verfassungswidrigkeit das Ausgangsverfahren keinen dem Kläger günstigeren Ausgang nehmen könnte, als wenn sich diese Normen als verfassungsgemäß erwiesen. Wären die §§ 13a und 13b ErbStG mit der Verfassung unvereinbar, müsste das Ausgangsverfahren zumindest gemäß § 74 FGO ausgesetzt werden, bis der Gesetzgeber eine Neuregelung anstelle der dann fehlenden gesetzlichen Grundlage für eine Besteuerung getroffen hätte. Auch dies wäre eine andere Entscheidung als im Falle der Gültigkeit des Gesetzes (vgl. BVerfGE 66, 1 <17>; 93, 121 <130 f.>). Dabei spielt es für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlage keine Rolle, dass im Falle einer Unvereinbarkeitserklärung das Bundesverfassungsgericht gemäß § 35 BVerfGG die weitere Anwendung des bisherigen Rechts anordnen kann (vgl. BVerfGE 87, 153 <180>; 93, 121 <131>).

105

3. Die Vorlage ist unzulässig, sofern der Bundesfinanzhof auch die Bestimmung des § 19 Abs. 1 ErbStG über die Gestaltung der Steuersätze einer eigenständigen Verfassungsprüfung zuführen wollte. Es ist nicht eindeutig, ob der Bundesfinanzhof überhaupt eine Vorlage dieser Norm als solcher nach Art. 100 Abs. 1 GG beabsichtigt, oder sie lediglich zur Begründung der Zulässigkeit der Normenkontrolle im Hinblick auf die §§ 13a und 13b ErbStG erwähnt hat. Eine eigenständige Vorlage des § 19 Abs. 1 ErbStG wäre jedenfalls unzulässig. Denn der Bundesfinanzhof ist insofern gerade nicht von der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift überzeugt, wie es Art. 100 Abs. 1 GG voraussetzt. Er hat vielmehr in seinem Vorlagebeschluss näher begründet, weshalb er die vom Kläger beanstandeten gleich hohen Steuersätze in den Steuerklassen II und III nach der für das Jahr 2009 maßgeblichen Fassung des § 19 Abs. 1 ErbStG für verfassungsgemäß hält.

II.

106

Die vorgelegten Normen sind in formeller Hinsicht mit der Verfassung vereinbar. Für sie besteht insbesondere eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes.

107

1. Nach Art. 105 Abs. 2 GG hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für Steuergesetze, wenn ihm das Aufkommen dieser Steuern ganz oder zum Teil zusteht oder die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen. Das Aufkommen der Erbschaftsteuer steht zwar vollständig den Ländern zu (Art. 106 Abs. 2 Nr. 2 GG). Für den Bereich der Erbschaftsteuer besitzt der Bund die Gesetzgebungskompetenz gleichwohl deshalb, weil die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht (Art. 72 Abs. 2 GG). Die Frage, ob die Neuregelung der §§ 13a und 13b ErbStG durch das Erbschaftsteuerreformgesetz noch von der Kompetenzprolongation in Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG gedeckt wäre, stellt sich daher nicht.

108

a) Die allgemeinen Grundsätze des Art. 72 Abs. 2 GG zur Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung im gesamtstaatlichen Interesse gelten auch für die Steuergesetzgebungskompetenz nach Art. 105 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 125, 141 <154>).

109

Eine bundesgesetzliche Regelung ist zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich, wenn und soweit die mit ihr erzielbare Einheitlichkeit der rechtlichen Rahmenbedingungen Voraussetzung für die Vermeidung einer Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen ist, die im Interesse sowohl des Bundes als auch der Länder nicht hingenommen werden kann (vgl. BVerfGE 125, 141 <155>). Sie ist zur Wahrung der Wirtschaftseinheit erforderlich, wenn und soweit sie Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik ist, wenn also unterschiedliche Landesregelungen oder das Untätigbleiben der Länder erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft mit sich brächten (vgl. BVerfGE 106, 62 <146 f.>; 112, 226 <248 f.>). Die Gesichtspunkte der Wahrung der Rechts- und der Wirtschaftseinheit können sich überschneiden, weisen aber unterschiedliche Schwerpunkte auf (vgl. BVerfGE 106, 62 <146>). Während die Wahrung der Rechtseinheit in erster Linie auf die Vermeidung einer Rechtszersplitterung zielt (vgl. BVerfGE 106, 62 <145>), geht es bei der Wahrung der Wirtschaftseinheit im Schwerpunkt darum, Schranken und Hindernisse für den wirtschaftlichen Verkehr im Bundesgebiet zu beseitigen (vgl. BVerfGE 106, 62 <146 f.>; 125, 141 <155 f.>).

110

Das Merkmal der Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung zur Erreichung der in Art. 72 Abs. 2 GG genannten Zwecke wird durch den Bezug auf das "gesamtstaatliche Interesse" in besonderer Weise geprägt. Die Regelung durch Bundesgesetz muss danach nicht unerlässlich für die Rechts- oder Wirtschaftseinheit in dem normierten Bereich sein. Es genügt vielmehr, dass der Bundesgesetzgeber andernfalls nicht unerheblich problematische Entwicklungen in Bezug auf die Rechts- und Wirtschaftseinheit erwarten darf.

111

Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hat das Bundesverfassungsgericht zu überprüfen. Insoweit besteht kein von verfassungsgerichtlicher Kontrolle freier gesetzgeberischer Beurteilungsspielraum (vgl. im Anschluss an BVerfGE 106, 62 <135>; 110, 141 <175>). Im Rahmen der danach eröffneten verfassungsgerichtlichen Kontrolle steht dem Gesetzgeber im Hinblick auf die allein zulässigen Zwecke einer bundesgesetzlichen Regelung und deren Erforderlichkeit im gesamtstaatlichen Interesse im Sinne von Art. 72 Abs. 2 GG jedoch eine Einschätzungsprärogative zu (vgl. BVerfGE 110, 141 <174 f.>; 111, 226 <255>; 125, 141 <154>; 128, 1 <34>; BVerfG, Urteil vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561/12 u.a. -, juris, Rn. 115).

112

b) Gemessen hieran verfügt der Bund über die Gesetzgebungskompetenz für die vorgelegten Regelungen des Erbschaftsteuerrechts. Dabei bedarf es keiner Unterscheidung zwischen der Rechts- und der Wirtschaftseinheit, da die Gründe für eine Bundesregelung beiden Voraussetzungen genügen.

113

aa) Die §§ 13a und 13b ErbStG gewähren in erheblichem Umfang Befreiungen von der Erbschaft- und Schenkungsteuer beim unentgeltlichen Übergang betrieblichen Vermögens, da ansonsten aus Sicht des Gesetzgebers unangemessene Belastungen für die Unternehmen bei der Betriebsnachfolge drohen könnten (dazu bb). Hierzu nennt das Gesetz bestimmte vom Erwerber einzuhaltende Bedingungen (Lohnsummenklausel, Haltefrist) und versucht, förderungswürdiges von nicht förderungswürdigem betrieblichen Vermögen näher abzugrenzen.

114

bb) Der Bundesgesetzgeber durfte davon ausgehen, dass eine nicht hinnehmbare Rechtszersplitterung mit nicht unerheblichen Nachteilen und Erschwernissen für Erblasser und Erwerber betrieblichen Vermögens wie auch für die Finanzverwaltung zu befürchten wäre, bliebe es den Ländern überlassen, ob, in welchem Umfang und in welcher Ausgestaltung im Einzelnen sie Regeln für die erbschaftsteuerliche Begünstigung des Betriebsübergangs schaffen wollen (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 25 zum Entwurf eines Erbschaftsteuerreformgesetzes sowie zu späteren Novellen mit vergleichbarer Begründung BTDrucks 17/2249, S. 36 und 17/13082, S. 9 sowie BRDrucks 253/11, S. 49).

115

Gerade bei dem unentgeltlichen Übergang von betrieblichem Vermögen könnte es bei unterschiedlichen Landesregelungen je nach Wohnsitz von Erblasser oder Schenker und möglicherweise mehreren Erben oder Beschenkten und je nach Betriebssitz oder Belegenheit der Sache zu konkurrierenden Steueransprüchen mehrerer Länder kommen. Dies erforderte Vereinbarungen zwischen den einzelnen Ländern, um eine Mehrfachbelastung zu vermeiden. Der damit verbundene Koordinierungs- und Administrierungsaufwand wäre erheblich.

116

Unterschiedliche landesrechtliche Regelungen zur Befreiung von betrieblichem Vermögen hätten zur Folge, dass die Beantwortung der für die Planung der Unternehmensnachfolge wichtigen Frage, mit welcher Steuerbelastung ein Betriebsübergang verbunden ist, vom Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt des Erben oder Beschenkten beziehungsweise vom Sitz der betrieblichen Einheit abhängig wäre. Wäre Gegenstand des Erwerbs ein Unternehmen mit mehreren Betriebsstätten im ganzen Bundesgebiet oder mehreren selbständigen betrieblichen Einheiten in verschiedenen Ländern oder wären auf Erwerberseite mehrere Personen mit über das Bundesgebiet verteilten Wohnorten beteiligt, würden sich schwierige Abgrenzungsfragen ergeben, welche die bereits bestehende Komplexität der erbschaft- und schenkungsteuerlichen Förderung unternehmerischen Vermögens noch weiter steigern und damit die rechtliche Planungssicherheit erheblich einschränken würden.

117

2. Die Wirksamkeit der Zustimmung des Landes Hessen im Bundesrat zum Erbschaftsteuerreformgesetz steht trotz der seinerzeit dort nur geschäftsführenden Regierung außer Frage. Auch die geschäftsführende Landesregierung ist Landesregierung im Sinne von Art. 51 GG.

III.

118

Die erbschaftsteuerliche Begünstigung des Übergangs betrieblichen und land- und forstwirtschaftlichen Vermögens sowie von Anteilen an Kapitalgesellschaften ist von Verfassungs wegen im Grundsatz nicht zu beanstanden, erweist sich in Teilen ihrer Ausgestaltung durch die §§ 13a und 13b ErbStG aber als gleichheitswidrig.

119

Der allgemeine Gleichheitssatz belässt dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung von Verschonungsregelungen auch im Erbschaftsteuerrecht im Ausgangspunkt erheblichen Spielraum, der allerdings mit Rücksicht auf betroffene Freiheitsrechte und auf das Ausmaß der Ungleichbehandlung Einschränkungen bis hin zu einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung unterliegen kann (1.). Gemessen daran erweist sich die Verschonung nach §§ 13a und 13b ErbStG zwar im Grundsatz als verfassungsgemäß, bedarf aber der Korrektur bei der Begünstigung der Übertragung großer Unternehmensvermögen (2.). Auch die nähere Ausgestaltung der Verschonungsregelung verstößt in einzelnen Punkten - insbesondere im Hinblick auf Lohnsumme und Verwaltungsvermögen - gegen Art. 3 Abs. 1 GG (3.).

120

1. Die Verschonungsregelungen der §§ 13a und 13b ErbStG sind an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen. Sie verschonen den Erwerb bestimmter Vermögensarten von der Erbschaft- und Schenkungsteuer und führen so in verschiedenerlei Hinsicht zu Ungleichbehandlungen. Hingegen begründen die Bestimmungen von vornherein keine übermäßige, die Erbrechtsgarantie (dazu BVerfGE 93, 165 <173 f.>) in Frage stellende steuerliche Belastung.

121

a) Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das hieraus folgende Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt für ungleiche Belastungen und ungleiche Begünstigungen (vgl. BVerfGE 121, 108 <119>; 121, 317 <370>; 126, 400 <416>). Verboten ist daher auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird (vgl. BVerfGE 116, 164 <180>; 121, 108 <119>; 121, 317 <370>; 126, 400 <416>). Dabei verwehrt Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfGE 75, 108 <157>; 93, 319 <348 f.>; 107, 27 <46>; 126, 400 <416>; 129, 49 <69>; 132, 179 <188 Rn. 30>).

122

Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (vgl. BVerfGE 117, 1 <30>; 122, 1 <23>; 126, 400 <416>; 129, 49 <68>). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>; 111, 176 <184>; 129, 49 <69>). Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>; 129, 49 <69>) oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>; 124, 199 <220>; 129, 49 <69>; 130, 240 <254>; 132, 179 <188 f. Rn. 31>).

123

b) Gleichheitsrechtlicher Ausgangspunkt im Steuerrecht ist der Grundsatz der Lastengleichheit. Die Steuerpflichtigen müssen dem Grundsatz nach durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleichmäßig belastet werden (vgl. BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <120>; 126, 400 <417>). Der Gleichheitssatz belässt dem Gesetzgeber einen weit reichenden Entscheidungsspielraum sowohl bei der Auswahl des Steuergegenstandes als auch bei der Bestimmung des Steuersatzes (vgl. BVerfGE 123, 1 <19>; stRspr). Abweichungen von der mit der Wahl des Steuergegenstandes einmal getroffenen Belastungsentscheidung müssen sich indessen ihrerseits am Gleichheitssatz messen lassen (Gebot der folgerichtigen Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands, vgl. BVerfGE 117, 1 <30 f.>; 120, 1 <29>; 121, 108 <120>; 126, 400 <417>). Demgemäß bedürfen sie eines besonderen sachlichen Grundes (vgl. BVerfGE 117, 1 <31>; 120, 1 <29>; 126, 400 <417>; 132, 179 <189 Rn. 32>), der die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermag. Dabei steigen die Anforderungen an den Rechtfertigungsgrund mit Umfang und Ausmaß der Abweichung (vgl. dazu BVerfGE 117, 1 <32>).

124

c) Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, mit Hilfe des Steuerrechts außerfiskalische Förder- und Lenkungsziele zu verfolgen (vgl. BVerfGE 93, 121 <147>; 99, 280 <296>; 105, 73 <112>; 110, 274 <292>; stRspr). Führt ein Steuergesetz zu einer steuerlichen Verschonung, die einer gleichmäßigen Belastung der jeweiligen Steuergegenstände innerhalb einer Steuerart widerspricht, so kann eine solche Steuerentlastung vor dem Gleichheitssatz gerechtfertigt sein, wenn der Gesetzgeber das Verhalten der Steuerpflichtigen aus Gründen des Gemeinwohls fördern oder lenken will (vgl. BVerfGE 93, 121 <147>).

125

In der Entscheidung darüber, welche Sachverhalte, Personen oder Unternehmen gefördert werden sollen, ist der Gesetzgeber weitgehend frei (vgl. BVerfGE 17, 210 <216>; 93, 319 <350>; 110, 274 <293>). Insbesondere verfügt er über einen großen Spielraum bei der Einschätzung, welche Ziele er für förderungswürdig hält. Er darf Verschonungen von der Steuer vorsehen, sofern er ansonsten unerwünschte, dem Gemeinwohl unzuträgliche Effekte einer uneingeschränkten Steuererhebung befürchtet. Allerdings bleibt er auch hier an den Gleichheitssatz gebunden. Das bedeutet zunächst aber nur, dass er seine Leistungen nicht nach unsachlichen Gesichtspunkten, also nicht willkürlich verteilen darf. Sachbezogene Gesichtspunkte stehen ihm in weitem Umfang zu Gebote, solange die Regelung sich nicht auf eine der Lebenserfahrung geradezu widersprechende Würdigung der jeweiligen Umstände stützt und insbesondere der Kreis der von der Maßnahme Begünstigten sachgerecht abgegrenzt ist (vgl. BVerfGE 17, 210 <216> unter Bezugnahme auf BVerfGE 12, 354 <367 f.>; 110, 274 <293>; 117, 1 <32>).

126

Der große Spielraum, über den der Gesetzgeber bei der Entscheidung darüber verfügt, ob und welche Sachverhalte, Personen oder Unternehmen er durch eine Verschonung von einer bestimmten Steuer fördern und welche Gemeinwohlziele er damit verfolgen will, schließt allerdings nicht aus, dass die nähere Ausgestaltung solcher Verschonungsregelungen einer strengeren verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt. Neben den bereits genannten Merkmalen der Verfügbarkeit, der freiheitsrechtlichen Relevanz oder der Nähe des Differenzierungsgrundes zu Art. 3 Abs. 3 GG kann die Freiheit des Gesetzgebers im Steuerrecht durch das Ausmaß der mit der Steuerverschonung bewirkten Ungleichbehandlung und durch deren Auswirkung auf die gleichheitsgerechte Erhebung dieser Steuer insgesamt eingeschränkt sein. Je nach Intensität der Ungleichbehandlung kann dies zu einer strengeren Kontrolle der Förderziele durch das Bundesverfassungsgericht führen.

127

2. Die Verschonungsregelungen in §§ 13a und 13b ErbStG führen zu einer Besserstellung der Erwerber unternehmerischen Vermögens gegenüber den Erwerbern sonstigen Vermögens, die im Grundsatz mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, im Bereich des Übergangs großer Unternehmensvermögen aber der Korrektur bedarf. Die durch die Verschonungsregelungen bewirkte Ungleichbehandlung zwischen Erwerbern begünstigten und sonstigen Vermögens ist enorm (a). Der Gesetzgeber unterliegt insoweit einer über eine bloße Willkürprüfung hinausgehenden strengeren Kontrolle am Maßstab der Verhältnismäßigkeit (b). Durch die steuerliche Verschonung nach §§ 13a und 13b ErbStG sollen namentlich Unternehmen, die durch einen besonderen personalen Bezug des Schenkers oder Erblassers oder auch des Erwerbers zum Unternehmen geprägt sind, vor Liquiditätsproblemen durch die erbschaft- oder schenkungsteuerliche Belastung des Unternehmensübergangs bewahrt und so deren Bestand und der Erhalt der Arbeitsplätze bei der Unternehmensnachfolge gesichert werden (c). Die Verschonungsregelung der §§ 13a und 13b ErbStG ist zur Erreichung dieser Ziele geeignet (d) und erforderlich (e). Sie erweist sich im Grundsatz auch als verhältnismäßig im engeren Sinne; nicht jedoch, soweit die Verschonung über den Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen hinausgreift, ohne eine Bedürfnisprüfung vorzusehen (f).

128

a) Die Verschonungsregelung führt zu Ungleichbehandlungen der Erwerber betrieblichen und nichtbetrieblichen Vermögens, die ein enormes Ausmaß erreichen können. Nach §§ 13a und 13b ErbStG bleibt der Wert von Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftlichem Vermögen und von bestimmten Anteilen an Kapitalgesellschaften in Höhe von 85 % oder 100 % bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Erbschaft- und Schenkungsteuer außer Ansatz, wenn die im Gesetz hierfür vorgesehenen weiteren Voraussetzungen hinsichtlich des Umfangs des Verwaltungsvermögens und der Beachtung von Lohnsummen- und Behaltensregelung erfüllt werden. Hinzu kommen - sofern nicht ohnehin die vollständige Befreiung von 100 % greift - Abschläge gemäß § 13a Abs. 2 ErbStG sowie die generelle Anwendung der günstigeren Steuerklasse gemäß § 19a ErbStG. Der Erwerb sonstiger Vermögensgegenstände wird nicht in vergleichbarer Weise von der Erbschaft- und Schenkungsteuer freigestellt. Ausgehend von einer einheitlichen Orientierung am gemeinen Wert bei der Bewertung des geerbten oder durch Schenkung erlangten Vermögenszuwachses und gleichmäßiger Anwendung der Steuersätze gemäß § 19 Abs. 1 ErbStG hat die steuerliche Verschonung nach §§ 13a und 13b ErbStG zur Folge, dass die Erwerber begünstigten Vermögens und die Erwerber nicht begünstigten Vermögens in ganz erheblichem Maße ungleich besteuert werden. Das Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz, das an die Vermögensmehrung beim Empfänger anknüpft (vgl. BVerfGE 93, 165 <167>; 117, 1 <33>; 126, 400 <421>), besteuert insoweit die bei den Erwerbern eingetretene Bereicherung unterschiedlich.

129

Zwar kennt das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz persönliche Steuerbefreiungen, wie etwa den Freibetrag für Ehegatten und Lebenspartner in Höhe von 500.000 Euro und für Kinder in Höhe von 400.000 Euro (vgl. § 16 Abs. 1 ErbStG), die dem Erwerber unabhängig von der Art des übergegangenen Vermögens gewährt werden, und daneben sachliche Befreiungstatbestände, die wegen des besonderen Gegenstands (etwa Familienwohnheime gem. § 13 Abs. 1 Nr. 4a - 4c ErbStG) oder Zwecks der Zuwendung (etwa Zuwendungen an gemeinnützige Stiftungen gem. § 13 Abs. 1 Nr. 16 Buchstabe b ErbStG) gewährt werden. Jenseits dieser Befreiungen und Freibeträge, beim unentgeltlichen Erwerb größerer Vermögen also, kann die Ungleichbehandlung zwischen unternehmerischem Vermögen, das nach §§ 13a und 13b ErbStG unabhängig von seinem Wert zu 85 % oder 100 % steuerfrei gestellt wird, und sonstigem Vermögen, das in vollem Umfang einem Steuersatz von bis zu 50 % unterliegen kann, ein enormes Ausmaß erreichen.

130

b) Die Verfassungsmäßigkeit der Ungleichbehandlung der verschiedenen Vermögensarten durch §§ 13a und 13b ErbStG setzt einen hinreichend tragfähigen Differenzierungsgrund voraus, der einer über eine bloße Willkürkontrolle hinausgehenden, strengeren Verhältnismäßigkeitsprüfung standhält.

131

Bereits das erhebliche Ausmaß, das die erbschaft- und schenkungsteuerliche Ungleichbehandlung zwischen den einzelnen Fällen der begünstigten und nicht begünstigten Vermögensarten erreichen kann, und die nicht nur atypische Einzelfälle betrifft, sondern in der Gesetzessystematik als Regelfall angelegt ist, erfordert eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Differenzierung, die jedenfalls deutlich über eine bloße Willkürprüfung hinausreicht. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass die Unterscheidung zwischen begünstigtem unternehmerischen und nicht begünstigtem sonstigen Vermögen die Erhebung der Erbschaft- und Schenkungsteuer nicht nur in einem Randbereich erfasst, sondern zu einer strukturellen Zweiteilung dieser Steuer führt. Nach den vom Bundesministerium der Finanzen in diesem Verfahren vorgelegten Auswertungen der amtlichen Erbschaft- und Schenkungsteuerstatistik wurden von dem Steuerwert des in den Jahren 2009 bis 2012 insgesamt unentgeltlich übertragenen Vermögens mehr als ein Drittel über §§ 13a und 13b ErbStG von der Erbschaft- und Schenkungsteuer befreit (vgl. im Einzelnen oben I. 2. b aa).

132

Soweit sich die Strenge der Prüfung vom Gesetzgeber vorgenommener Differenzierungen an der Verfügbarkeit der Unterscheidungskriterien, dem Einfluss auf die Wahrnehmung von Freiheitsrechten und der Nähe zu den Merkmalen des Art. 3 Abs. 3 GG orientiert (s. oben 1. a), kommt für den vorliegenden Sachverhalt nur die Verfügbarkeit der Unterscheidung nach den Vermögensarten in Betracht. Auch dieser Gesichtspunkt führt zu einer eher strengen Prüfung des gesetzgeberischen Differenzierungsspielraums. Dabei kann die Frage, ob ein Differenzierungskriterium für den von der Ungleichbehandlung Betroffenen verfügbar ist, nur aus der Sicht des jeweils durch diese Ungleichbehandlung Benachteiligten, nicht hingegen aus der des Bevorzugten beantwortet werden. Für die hier zu prüfende Ungleichbehandlung zwischen Erwerbern betrieblichen und Erwerbern nichtbetrieblichen Vermögens kommt es danach auf die Einflussmöglichkeiten der Erwerber nichtbetrieblichen Vermögens an, die nicht in den Genuss des Verschonungsabschlags gelangen. Diese haben vielfach nur geringen Einfluss darauf, ob das ihnen geschenkte oder von ihnen ererbte Vermögen den Kategorien förderungswürdigen betrieblichen oder land- und forstwirtschaftlichen Vermögens oder Anteilen an Kapitalgesellschaften von über 25 % angehört (vgl. § 13b Abs. 1 ErbStG) oder nicht verschontem Vermögen zuzuordnen ist.

133

c) Die durch §§ 13a und 13b ErbStG begründeten Ungleichbehandlungen dienen legitimen Zielen. Die steuerliche Verschonung des unentgeltlichen Erwerbs betrieblichen Vermögens soll Unternehmen vor Liquiditätsproblemen bewahren, die durch erbschaft- oder schenkungsteuerliche Belastung des Unternehmensübergangs entstehen können. Die Verschonungsregelung soll vor allem Unternehmen schützen, die durch einen besonderen personalen Bezug des Erblassers oder auch des Erben zum Unternehmen geprägt sind, wie es namentlich für Familienunternehmen typisch ist. Steuerlich begünstigt werden soll das produktive Vermögen dieser Unternehmen mit dem Ziel, bei der Unternehmensnachfolge den Bestand des Unternehmens und der mit ihm verbundenen Arbeitsplätze nicht zu gefährden. Dies ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien (aa) und der Systematik der Verschonungsregelung (bb). An der Legitimität dieser Zielsetzung bestehen aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Zweifel (cc).

134

aa) Die Begründung des Regierungsentwurfs eines Erbschaftsteuerreformgesetzes gibt als allgemeines Ziel der Verschonungsregelung an, die Unternehmensnachfolge bei Erbschaften oder Schenkungen zu erleichtern (BTDrucks 16/7918, S. 1), weil unternehmerisches Vermögen eine Basis für Wertschöpfung und Beschäftigung und für den Erhalt von Arbeitsplätzen bilde (BTDrucks 16/7918, S. 33). Dabei hebt die Begründung des Entwurfs die besondere Bedeutung der klein- und mittelständisch geprägten Unternehmenslandschaft für die deutsche Wirtschaft im internationalen Wettbewerb hervor (s. auch oben A. I. 3. d aa). Regional vernetzte Familienbetriebe seien notwendige Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum und damit für die Schaffung wettbewerbsfähiger Arbeits- und Ausbildungsplätze in Deutschland (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 33). Deshalb will die Neuregelung diejenigen Unternehmensübergänge privilegieren, bei denen sichergestellt ist, dass die Unternehmensnachfolge nachhaltig ist und die Arbeitsplätze erhalten werden (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 23). Mit dieser Zielsetzung liegt die Neuregelung durch das Erbschaftsteuerreformgesetz auf der Linie der bereits seit 1992 in unterschiedlichen Ausprägungen bestehenden Vergünstigungen für betriebliches Vermögen bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer zur Liquiditätssicherung mittelständischer Unternehmen (vgl. BTDrucks 12/1108, S. 37; 12/4487, S. 25 und 47; s. auch BVerfGE 93, 165 <175> und BRDrucks 778/06, S. 13 und zur Entwicklung oben A. I. 3.).

135

bb) Die Ausgestaltung der Verschonungsregelung lässt die Intention der Liquiditätssicherung klar erkennen. Das Ziel, unternehmerisches und land- und forstwirtschaftliches Vermögen beim unentgeltlichen Übergang durch Erbschaft oder Schenkung von steuerlichen Belastungen weitgehend frei zu halten und so die Liquidität der Betriebe zu schonen, kommt unmissverständlich in der hohen Freistellungsquote von 85 % (§ 13b Abs. 4 ErbStG) oder gar 100 % (§ 13a Abs. 8 Nr. 4 ErbStG) des ansonsten der Besteuerung zugrunde zu legenden Werts des betrieblichen Vermögens zum Ausdruck. Mit der Behaltensfrist von fünf oder sieben Jahren (§ 13a Abs. 5 und 8 Nr. 2 ErbStG) soll der Bestand der übergegangenen Unternehmen über einen längeren Zeitraum in der Hand des Erwerbers gesichert werden; die Lohnsummenklausel (§ 13a Abs. 1, 4, 8 Nr. 1 ErbStG) soll dem Erhalt der Arbeitsplätze dienen.

136

Eine Begrenzung der steuerlichen Förderung auf kleine und mittlere Familienunternehmen ergibt sich hingegen nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz. Die Freistellung förderungswürdigen betrieblichen Vermögens ist nach den §§ 13a und 13b ErbStG in der Höhe nicht begrenzt und auch nicht auf bestimmte Betriebstypen oder Gesellschaftsformen beschränkt. Die in der Begründung des Regierungsentwurfs zum Erbschaftsteuerreformgesetz erklärte Absicht, vornehmlich kleine und mittelständische Unternehmen zu fördern, findet jedoch zum einen Anklang in der Regelung über den Abzugsbetrag nach § 13a Abs. 2 ErbStG. Der Abzugsbetrag ist Teil der Verschonungsregelung, da durch ihn noch der nach Anwendung des Verschonungsabschlags in Höhe von 85 % verbleibende Teil des begünstigten Vermögens, das an sich zu versteuern wäre, steuerlich entlastet wird. Er stellt einen Festbetrag von 150.000 Euro steuerfrei, der aber mit zunehmender Höhe eines über 150.000 Euro hinausgehenden, der Besteuerung unterliegenden Erwerbs abgeschmolzen wird (§ 13a Abs. 2 Satz 2 ErbStG); insofern enthält er ein Element der gezielten Förderung kleinerer Unternehmen.

137

Die Konzentration der Verschonung auf Betriebe, in denen typischerweise vom Erblasser oder Schenker unternehmerische Verantwortung wahrgenommen wurde, zeigt sich zum anderen in § 13b Abs. 1 ErbStG. Während der Übergang betrieblichen Vermögens von Einzelunternehmen und Personengesellschaften nach § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG als uneingeschränkt förderungswürdig angesehen wird, gilt dies für Anteile an Kapitalgesellschaften nur, wenn der Erblasser oder der Schenker am Nennkapital dieser Gesellschaft zu mehr als 25 % unmittelbar beteiligt war (§ 13b Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 ErbStG). In dieser Mindestbeteiligung von 25 % sieht der Gesetzgeber ein Indiz dafür, dass der Anteilseigner unternehmerisch in die Gesellschaft eingebunden ist und nicht nur als Kapitalanleger auftritt (BTDrucks 16/7918, S. 35; ebenso bereits die Begründung für eine entsprechende Mindestbeteiligungsklausel im Entwurf eines Jahressteuergesetzes 1996: BTDrucks 13/901, S. 158, s. oben A. I. 3. c).

138

cc) Der Gesetzgeber ist bei der Auswahl der Ziele weitgehend frei, die er durch Verschonung von einer steuerlichen Belastung erreichen oder zumindest fördern will. Er stößt an Grenzen, wenn er vom Grundgesetz missbilligte Ziele (vgl. die entsprechende Einschränkung bei Enteignungen tragenden Gemeinwohlzielen in BVerfGE 134, 242 <292 f. Rn. 172>) verfolgt oder sich mit seinen Förderzwecken in unauflösbaren Widerspruch zu anderweitigen gesetzlichen Festlegungen setzt. Die Förderung und der Erhalt einer für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands vom Gesetzgeber als besonders wertvoll eingeschätzten Unternehmensstruktur, die er in kleinen und mittelständischen, durch personale Führungsverantwortung geprägten Unternehmen - insbesondere in Familienunternehmen - sieht, und der Erhalt von Arbeitsplätzen durch den Schutz vor allem solcher Unternehmen vor steuerlich bedingten Liquiditätsproblemen stellen danach legitime Ziele von erheblichem Gewicht dar (vgl. auch BVerfGE 93, 165 <175 f.>).

139

d) Die §§ 13a und 13b ErbStG sind geeignet, die mit ihnen verfolgten Ziele zu erreichen. Das verfassungsrechtliche Geeignetheitsgebot verlangt keine vollständige Zielerreichung durch die in Frage stehende Regelung oder Maßnahme - hier die Verschonungsregelung -, die zu der beanstandeten Ungleichbehandlung führt, sondern lediglich eine Eignung zur Förderung des Ziels (vgl. BVerfGE 115, 276 <308>; 130, 151 <188>; vgl. auch die Nachweise bei BVerfGE 106, 62 <149>); die bloße Möglichkeit der Zweckerreichung genügt (vgl. BVerfGE 67, 157 <175>; 121, 317 <354>). Dass die weitgehende oder vollständige Freistellung der begünstigten Unternehmensübergänge von der Erbschaft- und Schenkungsteuer grundsätzlich (zu Einzelheiten der Ausgestaltung, insbesondere im Hinblick auf Lohnsumme und Verwaltungsvermögen, s. unter 3.) geeignet ist, ansonsten drohende Liquiditätsprobleme für diese Unternehmen zu vermeiden, liegt auf der Hand und bedarf keiner näheren Begründung.

140

e) Die Verschonungsregelung ist im Grundsatz auch erforderlich. Der Gesetzgeber durfte von andernfalls drohenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Unternehmen ausgehen. Sieht man von den Einzelheiten der Ausgestaltung der Verschonungsregelung ab, ist kein Weg erkennbar, auf dem die Schonung der Liquidität ererbter oder unentgeltlich übertragener Unternehmen oder Unternehmensteile und damit der Erhalt der Arbeitsplätze gleich wirksam, zugleich aber unter geringerer Benachteiligung der Erwerber nicht begünstigten Vermögens erreicht werden könnte.

141

Die Erforderlichkeit der vom Gesetzgeber getroffenen Maßnahme unterliegt auch im Rahmen der Gleichheitsprüfung einem großzügigen verfassungsrechtlichen Kontrollmaßstab (aa). Danach ist die Annahme des Gesetzgebers, die Verschonung der unentgeltlichen Unternehmensübergänge von der Erbschaft- und Schenkungsteuer sei regelmäßig geboten, um die Unternehmen vor Liquiditätsproblemen zu bewahren (bb), und dürfe auch ohne individuelle Bedürfnisprüfung erfolgen (cc), verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch die Verweisung auf die Möglichkeit einer Stundung (dd) erweist sich nicht als gleich wirksames milderes Mittel.

142

aa) Die weitgehende oder vollständige Freistellung des unentgeltlichen Erwerbs betrieblichen Vermögens von der Erbschaft- und Schenkungsteuer ist dann erforderlich, wenn kein anderes Mittel zur Verfügung steht, mit dem der Gesetzgeber unter Bewirkung geringerer Ungleichheiten das angestrebte Regelungsziel gleich wirksam erreichen oder fördern kann (entsprechend für Eingriffskonstellationen vgl. BVerfGE 80, 1 <30>; 117, 163 <189>; 121, 317 <354>). Der Gesetzgeber verfügt hier über einen weiten Einschätzungs- und Prognosespielraum (vgl. BVerfGE 117, 163 <189>; 120, 224 <240>; 121, 317 <354>).

143

bb) Der Gesetzgeber durfte eine Gefährdung der Liquidität von Unternehmen durch eine ohne Verschonung drohende Belastung mit der Erbschaft- und Schenkungsteuer annehmen und eine Verschonungsregelung daher grundsätzlich für erforderlich halten.

144

(1) Es liegt im Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers, bei einer nicht eindeutig geklärten und auch nicht ohne Weiteres aufklärbaren Sachlage seinen Entscheidungen über zu ergreifende Maßnahmen eine Gefährdungsprognose zugrunde zu legen. Dabei darf er sich allerdings nicht auf eine der Lebenserfahrung geradezu widersprechende Würdigung der jeweiligen Lebenssachverhalte stützen (vgl. BVerfGE 110, 274 <293>; 117, 1 <32>). Im Hinblick auf diese gesetzgeberische Einschätzungsprärogative ist es ausreichend, dass der Gesetzgeber eine ernsthafte Gefahr von Liquiditätsproblemen bei der Besteuerung des unentgeltlichen Übergangs von Unternehmen vertretbar und plausibel diagnostiziert hat. Es bedarf insbesondere aus verfassungsrechtlicher Sicht keines empirischen Nachweises, dass von der Erbschaft- und Schenkungsteuer nicht nur in Ausnahmefällen Schwierigkeiten für die Fortführung von Unternehmen bis hin zur Bedrohung ihrer Existenz und des Verlusts von Arbeitsplätzen ausgeht. Es erscheint ohnehin fraglich, wie exakt die Wirkungen eines Liquiditätsentzugs durch die Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuer in einem Unternehmen "gemessen" werden können. Die Insolvenz eines Unternehmens wird immer mehrere Ursachen haben, von denen eine die Belastung durch die Erbschaftsteuer sein kann. Noch weniger lassen sich die Folgen einer steuerlichen Belastung für den künftigen Fortbestand eines Unternehmens vorhersehen.

145

(2) Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich nicht, dass dem Gesetzgeber bei der Einführung der §§ 13a und 13b ErbStG durch das Erbschaftsteuerreformgesetz gefestigte empirische Erkenntnisse darüber vorlagen, wonach die Besteuerung des unentgeltlichen Erwerbs von Betriebsvermögen den Erben oder Beschenkten regelmäßig dazu zwingen würde, zur Finanzierung der Steuerlast dem Betrieb Kapital zu entziehen, was wiederum zumindest den Verlust von Investitionskraft zur Folge haben könnte und die Gefahr des Abbaus von Arbeitsplätzen oder gar die Notwendigkeit des Betriebsverkaufs. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen weist in seinem Gutachten zur Begünstigung des Unternehmensvermögens in der Erbschaftsteuer 01/2012 vielmehr darauf hin, es gebe praktisch keine konkreten empirischen Belege dafür, dass ein Betrieb aufgrund der Erbschaftsteuer habe aufgegeben oder veräußert werden müssen oder zahlungsunfähig geworden sei (vgl. S. 30 des Gutachtens unter Hinweis auf die Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage einiger Abgeordneter und der Bundestagsfraktion Die Linke vom 28. April 2006, BTDrucks 16/1350, S. 5). Dies allein berechtigt allerdings nicht zu dem die Gefährdungsanalyse des Gesetzgebers widerlegenden Gegenschluss, dass keine Notwendigkeit für die beanstandete Verschonungsregelung bestehe, weil eine dem geltenden Recht entsprechende Steuerbelastung des unentgeltlichen Unternehmensübergangs ohne solche Steuerbefreiungen die Unternehmen nicht ernsthaft beschwerte. Denn mit Inkrafttreten des Erbschaftsteuerreformgesetzes zum 1. Januar 2009 wurde mit den generell erhöhten, realitätsnäheren Wertansätzen und der damit drohenden höheren Steuerbelastung auch für Unternehmensübergänge zugleich das neue Verschonungskonzept nach §§ 13a und 13b ErbStG eingeführt. Soweit - auch aus den vom Bundesministerium der Finanzen in diesem Verfahren vorgelegten Daten - erkennbar, wurden diese Befreiungsvorschriften von Beginn an durch die betroffenen Unternehmen umfassend genutzt. Eine hohe Steuerbelastung ohne die Möglichkeit der Entlastung durch Verschonungsregelungen bestand für die unentgeltliche Übertragung von Unternehmen und Unternehmensteilen mithin zu keinem Zeitpunkt. Aus dem Fehlen von Referenzfällen für Unternehmensgefährdungen kann daher nicht auf das Fehlen einer solchen Gefahr überhaupt geschlossen werden.

146

Entsprechendes gilt für die Zeit vor 2009. Auch das vorher geltende Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht sah in verschiedener Form und Intensität seit Anfang der 1990er Jahre Entlastungen für die Besteuerung der Übertragung betrieblichen Vermögens vor (s. oben A. I. 3.). Fehlende konkrete Erkenntnisse aus dieser Zeit über nennenswerte Belastungen von Unternehmen durch die Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuer können die Gefährdungseinschätzung des Gesetzgebers daher ebenfalls nicht widerlegen.

147

(3) Die Annahme des Gesetzgebers, dass die durch das Erbschaftsteuerreformgesetz zu erwartende gewachsene Steuerlast für unentgeltliche Unternehmensübertragungen ohne Verschonungsregelung eine Höhe erreichen werde, die nicht nur im Ausnahmefall, sondern häufig vom Erben oder Beschenkten nur unter Rückgriff auf das Betriebsvermögen getragen werden kann, ist nachvollziehbar und nicht fern liegend. Ohne die Verschonungsregelungen und ohne die damit zusammenhängende Tarifbegrenzung des § 19a ErbStG wäre der unentgeltliche Erwerb von Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftlichem Vermögen und auch von Anteilen an Kapitalgesellschaften in vollem Umfang je nach Wert bei nächsten Verwandten mit einem Steuersatz von bis zu 30 % und ansonsten schon bei mittleren Vermögensgrößen mit bei 25 % beginnenden und bei großen Vermögen in der Spitze bis zu 50 % reichenden Steuersätzen belastet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die früheren Vergünstigungen durch eine niedrige Bewertung der Unternehmen entfallen sind und heute in Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7. November 2006 (BVerfGE 117, 1) ein realitätsnäherer Ansatz zugrunde gelegt wird. Nach der im vorliegenden Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht geäußerten Einschätzung des Bundesministeriums der Finanzen hat die höhere Bewertung des Betriebsvermögens in etwa zu einer Verdoppelung des Steuerwerts geführt. Die Annahme, dass ein Erbe oder Beschenkter auch bei geringeren Steuersätzen entsprechende Steuerforderungen nicht aus dem eigenen Vermögen wird begleichen können, sondern hierzu auf das erworbene Betriebsvermögen zugreifen muss und das Unternehmen bei diesen Größenordnungen unter Umständen auch wird verkaufen müssen, ist plausibel.

148

Diese Gefährdungsprognose des Gesetzgebers deckt sich mit der Einschätzung der Europäischen Kommission zur Belastung von familieninternen Unternehmensübertragungen mit Erbschaft- und Schenkungsteuern. Die Kommission sieht als eines der größten Hindernisse für solche Betriebsübergaben die damit verbundene Steuerbelastung. Nach ihrer Auffassung kann die Entrichtung von Erbschaft- oder Schenkungsteuern das finanzielle Gleichgewicht des Unternehmens gefährden und dadurch seinen Fortbestand sowie die Existenz der damit verbundenen Arbeitsplätze in Frage stellen (vgl. Empfehlung der Kommission vom 7. Dezember 1994 zur Übertragung von kleinen und mittleren Unternehmen, ABl. L 385 vom 31. Dezember 1994, S. 15; siehe auch Der "Small Business Act" für Europa, KOM [2008] 394 endgültig, S. 6 f.).

149

(4) Die Plausibilität der Gefährdungsprognose des Gesetzgebers des Erbschaftsteuerreformgesetzes wird weder durch das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen zur Begünstigung des Unternehmensvermögens in der Erbschaftsteuer 01/2012 noch durch das Jahresgutachten 2008/09 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung widerlegt. Der Wissenschaftliche Beirat bestätigt vielmehr, dass ein steuerbedingter Liquiditätsverlust zu einer Verringerung von Investitionen führen könne, und dass ungünstige Liquiditätseffekte der Erbschaftsteuer nicht auszuschließen seien, was sich dann ungünstig auf die Beschäftigungssituation auswirken könne (vgl. S. 28 ff. des Gutachtens). Auch der Sachverständigenrat hält es für unstreitig, dass die Erbschaftsteuer einen erheblichen Mittelentzug beim Erben bewirken könne; es sei nicht unwahrscheinlich, dass dieser Geldbedarf nicht ohne weiteres auf dem Kapitalmarkt würde gedeckt werden können (vgl. S. 221 f. des Gutachtens). Dass beide wissenschaftlichen Stellungnahmen im Ergebnis gleichwohl die Verschonungslösung ablehnen, liegt zum Teil an konzeptionell anderen Ansätzen und für vorzugswürdig gehaltenen Alternativlösungen. So befürwortet der Sachverständigenrat eine großzügige Stundungsregel für besonders liquiditätsbeschränkte Vermögen bei gleichzeitiger Senkung der Steuersätze in der Steuerklasse I, die dann einheitlich auf alle Vermögensarten Anwendung finden sollen (vgl. S. 227 des Jahresgutachtens 2008/09; siehe auch S. 192 des Jahresgutachtens 2009/10 sowie S. 211 des Jahresgutachtens 2012/2013). Der Wissenschaftliche Beirat lehnt die Verschonungsregelung ab, weil er erhebliche ökonomische Fehlsteuerungen durch dieses Instrument befürchtet, und schlägt stattdessen vor, die Steuersätze zu senken, die Bemessungsgrundlage zu verbreitern und die Stundungsregelung zu verbessern (S. 33 ff. des Gutachtens). Auch die von Professor Dr. Maiterth in der mündlichen Verhandlung als sachkundiger Dritter abgegebene Stellungnahme bestätigt das Fehlen empirischer Belege zur Frage von Existenzgefährdungen durch die Erbschaft- und Schenkungsteuer und räumt zugleich ein, dass sich das Arbeitsplatzargument nicht gänzlich entkräften lasse.

150

cc) Es stellt die Erforderlichkeit der Ungleichbehandlung nicht grundsätzlich in Frage, dass die Verschonung ohne Bedürfnisprüfung im Sinne der Prüfung eines konkreten Verschonungsbedarfs im Einzelfall gewährt wird.

151

Nach §§ 13a und 13b ErbStG bleibt der Wert des gemäß § 13b Abs. 1 ErbStG förderungswürdigen Vermögens zu 85 % oder zu 100 % außer Ansatz, wenn die Bedingungen des Verwaltungsvermögenstests (§ 13b Abs. 2 ErbStG), der Lohnsummenklausel (§ 13a Abs. 1, 4 und 8 Nr. 1 ErbStG) und der Behaltensfrist (§ 13a Abs. 5 und 8 Nr. 2 ErbStG) erfüllt werden. Eine Bedürfnisprüfung sieht das Gesetz nicht vor. Der die Verschonung in Anspruch nehmende Erbe oder Beschenkte muss nicht dartun oder belegen, dass der erworbene Betrieb ohne eine solche Entlastung des Betriebsübergangs von der Erbschaft- und Schenkungsteuer in Schwierigkeiten käme. Das Gesetz macht auch nicht zur Voraussetzung, dass der Erwerber nicht in der Lage sein darf, aus sonstigem Vermögen oder aus mit der Erbschaft oder Schenkung zugleich übergegangenen anderen Vermögensteilen die Steuerschuld zu begleichen. Dies hat die zuständige Finanzbehörde daher nach geltender Rechtslage auch nicht zu prüfen.

152

Durfte der Gesetzgeber davon ausgehen, dass in nicht nur seltenen Fällen eine Belastung der Unternehmensnachfolge mit Erbschaft- und Schenkungsteuer die Betriebe in Liquiditätsschwierigkeiten bringen kann und letztlich Arbeitsplätze gefährdet (siehe vorstehend (1)), liegt es auch im Rahmen seines Gestaltungsspielraums, die Verschonung ohne individuelle Bedürfnisprüfung zu gewähren. Eine solche Prüfung wäre kein gleich wirksames milderes Mittel, um Betriebs- und Arbeitsplatzerhalt zu sichern. Zwar würde sich das Maß der Ungleichbehandlung gegenüber den Erwerbern nicht privilegierter Vermögensarten verringern, wenn einzelne Verschonungen nicht gewährt würden, etwa weil die Einzelfallprüfung ergeben hat, dass ein übertragenes Unternehmen über hinreichende Liquiditätsreserven verfügt, auf die der Erwerber zur Befriedigung der gegen ihn gerichteten Steuerforderung zurückgreifen könnte. Eine solche Lösung brächte jedoch zum einen erhebliche Erschwernisse bei der Erhebung der Erbschaft- und Schenkungsteuer mit sich, wenn nun grundsätzlich überprüft werden müsste, ob die Leistungsfähigkeit eines übertragenen Betriebs auch die Begleichung der aus der Übertragung erwachsenen Steuerschuld seines Erwerbers ermöglicht, verbunden mit all den damit typischerweise einhergehenden Bewertungsfragen. Schon deshalb stellt sich die Verschonung mit Einzelfallprüfung nicht als milderes Mittel dar.

153

Eine Ausdehnung der Bedürfnisprüfung auf das bereits vorhandene Vermögen des Erben oder Beschenkten stünde außerdem in erheblichem Widerspruch zur Systematik des Erbschaftsteuerrechts, das für die Bemessung der Steuer allein auf die Bereicherung durch das durch den Erbfall oder die Schenkung Erworbene abstellt und auch sonst Befreiungen ohne Rücksicht auf die Bedürftigkeit des Erwerbers im Übrigen gewährt.

154

dd) Die in § 28 ErbStG vorgesehene Möglichkeit einer Stundung der Erbschaftsteuer beim Erwerb von Betriebsvermögen oder land- und forstwirtschaftlichem Vermögen steht der Erforderlichkeit der Verschonungsregelung zur Erreichung des vom Gesetzgeber verfolgten Förderzwecks nicht entgegen. Eine Stundung bewirkt keine ebenso effektive Entlastung wie eine Befreiung. Zwar würde eine Beschränkung der Begünstigung des Erwerbs betrieblichen Vermögens auf die Stundung nach § 28 ErbStG die Ungleichbehandlung gegenüber den Erwerbern nicht begünstigten Vermögens praktisch beseitigen. Sie erweist sich jedoch als nicht gleich wirksam wie die Verschonungsregelung, um den Erhalt der übergegangenen Betriebe und der Arbeitsplätze zu sichern. Abgesehen davon, dass sie den Erwerber über bis zu zehn Jahre mit Rückzahlungsverpflichtungen belastet, verlangt sie einen individuellen Bedürftigkeitsnachweis. Im Verfahren vor dem Senat ist von Seiten mehrerer Wirtschafts- und Unternehmensverbände plausibel vorgetragen worden, dass gerade kleine und mittelständische Unternehmen die Offenlegung von Liquiditätsproblemen vor den Banken möglichst vermeiden wollen, selbst wenn sie allein aus einer Erbschaftsteuerbelastung resultieren, weil sie sonst Schwierigkeiten in Bezug auf ihre Kreditwürdigkeit befürchten. Außerdem sieht § 28 Abs. 1 ErbStG keine Stundung für den Fall des Erwerbs von Anteilen an Kapitalgesellschaften vor. Sofern der Bundesfinanzhof im Rahmen seiner Kritik an der fehlenden Bedürfnisprüfung offenbar eine gegenüber dem § 28 Abs. 1 ErbStG wesentlich großzügigere Stundungsregelung vor Augen hat, ändert dies nichts an der Erforderlichkeit der §§ 13a und 13b ErbStG im Rahmen des geltenden Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts.

155

f) Die durch §§ 13a und 13b ErbStG bewirkten Ungleichbehandlungen sind nicht durchgehend verhältnismäßig im engeren Sinne. Die durch die Verschonung betrieblichen und land- und forstwirtschaftlichen Vermögens und von Anteilen an Kapitalgesellschaften bewirkte Ungleichbehandlung gegenüber nichtbetrieblichem Vermögen erweist sich im Grundsatz als verhältnismäßig im engeren Sinne (aa - cc), nicht jedoch, soweit die Verschonung über den Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen hinausgreift, ohne eine Bedürfnisprüfung vorzusehen (dd).

156

aa) Die ungleiche Besteuerung des unentgeltlichen Erwerbs der verschiedenen Vermögensarten ist verhältnismäßig, wenn das Maß der erbschaft- und schenkungsteuerlichen Privilegierung betrieblichen Vermögens im Sinne des § 13b Abs. 1 ErbStG und dementsprechend der Schlechterstellung nicht betrieblichen Vermögens in angemessenem Verhältnis zur Bedeutung des mit der Differenzierung verfolgten Ziels und zu dem Ausmaß und Grad der Zielerreichung steht.

157

bb) Die mit der Verschonung des Erwerbs begünstigten Vermögens einhergehende Ungleichbehandlung gegenüber nicht begünstigtem Vermögen ist enorm (s. bereits oben 2. a). Mit einem Abschlag von 100 %, zumindest aber 85 % des Erwerbs - im letzteren Fall verbunden mit den weiteren Vergünstigungen in § 13a Abs. 2, § 19a ErbStG - ist bereits die relative Freistellung von der Erbschaft- und Schenkungsteuer umfassend oder doch weitreichend, kann aber auch in absoluten Zahlen sehr hoch sein, da der Begünstigungsumfang zahlenmäßig nicht begrenzt ist. Die Erwerber nicht begünstigten Vermögens unterliegen dagegen einer uneingeschränkten Besteuerung des Erwerbs mit Steuersätzen bis zu 50 %, soweit er den Wert der persönlichen Freibeträge (vgl. §§ 16, 17 ErbStG) übersteigt und nicht anderweitig von der Steuer befreit ist (vgl. §§ 5, 13, 13c, 18 ErbStG).

158

Allerdings wird das Ziel der Förderung, den unentgeltlichen Übergang von unternehmerischem Vermögen ohne steuerverursachtes Liquiditätsrisiko zu ermöglichen, bei der 100%igen Verschonung uneingeschränkt und bei der 85%igen Regelverschonung weitgehend erreicht.

159

cc) Ausgehend hiervon erweist sich das Verschonungskonzept der §§ 13a und 13b ErbStG als im Grundsatz verhältnismäßig. Es liegt im Rahmen der Einschätzungsprärogative und des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers, dem Erhalt vornehmlich klein- und mittelständischer Unternehmen, die in personaler Verantwortung geführt werden (s. dazu oben 2. c), einen so hohen Stellenwert einzuräumen, dass sie zur Sicherung ihres Bestands und damit auch zum Zwecke des Erhalts der Arbeitsplätze von der Erbschaft- und Schenkungsteuer weitgehend oder vollständig freigestellt werden.

160

(1) Mit dem Ziel, durch die Verschonung namentlich kleiner und mittelständischer Familienunternehmen von der Erbschaft- und Schenkungsteuer diese Betriebe vor möglichen Liquiditätsproblemen zu bewahren und so den Bestand dieser Unternehmen und der mit ihnen verbundenen Arbeitsplätze zu sichern, verfolgt der Gesetzgeber gewichtige Gemeinwohlgründe. Wie schon mit entsprechenden Begünstigungsnormen in den Jahren vor dem Inkrafttreten des Erbschaftsteuerreformgesetzes hat der Gesetzgeber auch mit der Neuregelung der §§ 13a und 13b ErbStG in erster Linie die Förderung und den Schutz der kleinen und mittelständischen Familienunternehmen im Blick (s. dazu oben 2. c). Die Unternehmensnachfolge bei diesen Betrieben soll nicht durch die Erbschaft- und Schenkungsteuer in einer Weise belastet werden, die die Erwerber in ihrer Investitionskraft hemmt oder gar zum Verkauf oder zur Auflösung der Betriebe zwingt (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 33).

161

In der mittelständisch geprägten Unternehmenslandschaft sieht der Gesetzgeber eine Stärke der deutschen Wirtschaft, die er für vorteilhaft gerade auch im internationalen Wettbewerb hält (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 23, 33, ferner BTDrucks 17/15, S. 20). Diese Einschätzung spiegelt die Auffassung verschiedener Bundesregierungen zur Bedeutung des Mittelstands wider. Auch die Europäische Kommission betont die Wichtigkeit kleinerer und mittlerer Unternehmen für die Schaffung von Arbeitsplätzen (vgl. etwa Der "Small Business Act" für Europa, KOM [2008] 394 endgültig, S. 2 sowie Aktionsplan Unternehmertum 2020, KOM [2012] 795 endgültig, S. 4). Die Einschätzung vom spezifischen Wert einer ausgeprägten Kultur klein- und mittelständischer Unternehmen für die deutsche Wirtschaft wird auch in den in diesem Verfahren abgegebenen Stellungnahmen des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, des Zentralverbands des Deutschen Handwerks und des Bundesverbands der Deutschen Industrie geteilt.

162

Hinzu kommen spezifische Vorzüge, die der Gesetzgeber bei Wirtschaftsunternehmen annimmt, die durch eine in personaler Verantwortung liegende Führung geprägt werden, wie sie für Familienunternehmen typisch sind (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 33; siehe auch schon BTDrucks 13/901, S. 157 und 13/4839, S. 67, wonach der Gesetzgeber bei der Einbeziehung der Übertragung von Kapitalgesellschaftsanteilen in die erbschaft- und schenkungsteuerliche Begünstigung unternehmerischen Vermögens ausdrücklich auf die Förderung "familienbezogener" Kapitalgesellschaften abstellte). Die gesetzgeberische Einschätzung von der besonderen Bedeutung der familiengeführten Unternehmen für die deutsche Wirtschaft wird in den zu diesem Verfahren abgegebenen Stellungnahmen durchgängig geteilt. Familiengeführten Unternehmen wird dabei vor allem eine langfristigere Unternehmensstrategie zugeschrieben, die nicht in gleicher Weise unmittelbar renditeorientiert ausgerichtet sein soll, wie dies bei anderen Unternehmen der Fall ist. Dadurch sollen sie tendenziell zurückhaltender auf Krisensituationen reagieren, standort- und arbeitsplatzorientierter operieren als andere Unternehmen und so vor allem Arbeitnehmer regelmäßig länger im Betrieb halten.

163

Mit dem Ziel, die vorhandene Struktur kleiner und mittelständischer Familienunternehmen und damit auch deren Arbeitsplätze zur erhalten und zu stärken, verfolgt der Gesetzgeber danach ein Gemeinwohlziel, dem er einen hohen Stellenwert zuordnen durfte.

164

(2) Im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung wurde bereits festgestellt, dass die Annahme des Gesetzgebers, eine uneingeschränkte Steuerbelastung der Unternehmensnachfolge werde nicht nur in Ausnahmefällen die Unternehmen in ihrer Investitionsfähigkeit, unter Umständen auch in ihrem Bestand gefährden, keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Einwänden ausgesetzt ist (s. oben 2. e bb).

165

(3) Die Verschonungsregelung der §§ 13a und 13b ErbStG ist so ausgestaltet, dass sie regelmäßig einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung des Förderziels zu leisten vermag. Ohne dass es an dieser Stelle auf die sach- und gleichheitsgerechte Ausgestaltung der vom Gesetzgeber gewählten Steuerungsinstrumente der Verschonung im Einzelnen ankommt (dazu unter 3.), erweisen sich die Lohnsummenregelung und die Bestimmungen über die Haltefrist jedenfalls im Grundsatz als geeignet, den Erhalt des übertragenen Unternehmens in der Hand des Erwerbers und den Bestand an Arbeitsplätzen zu sichern (s. dazu bereits oben 2. d). Die Vorschriften über das Verwaltungsvermögen zielen darauf, die Freistellung förderungsunwürdigen, nicht produktiven Vermögens zu verhindern und so eine zielgenaue Begünstigung sicherzustellen. Zwar fehlt den §§ 13a und 13b ErbStG mangels Obergrenze eine klare normative Beschränkung der Förderung auf kleine und mittlere Unternehmen; die Abschmelzung des Abzugsbetrags nach § 13a Abs. 2 ErbStG bei einem der Besteuerung unterliegenden begünstigten Vermögen von mehr als 150.000 Euro zeigt jedoch zumindest im Ansatz die Ausrichtung der Verschonungsregelung auf kleinere Unternehmen. Soweit Anteile an Kapitalgesellschaften vererbt werden, kommt die bei Familienunternehmen typische personale Verantwortung für unternehmerische Entscheidungen dadurch zum Ausdruck, dass eine Mindestbeteiligung von über 25 % Voraussetzung für die Förderungswürdigkeit ist.

166

In dieser Ausgestaltung ist die Verschonungsregelung im Grundsatz angemessen. Der Gesetzgeber hält sich mit diesem Konzept im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit. Das Gewicht der mit der Verschonung verfolgten Gemeinwohlbelange steht auch unter Berücksichtigung des Grades der zu erwartenden Zielerreichung nicht außer Verhältnis zu der erheblichen Ungleichbehandlung zu Lasten der Erwerber sonstigen Vermögens. Mit den für dieses Ergebnis maßgeblichen Gewichtungen der gegeneinander stehenden Ziele und Positionen bewegt sich der Gesetzgeber innerhalb des ihm auch insoweit zukommenden Einschätzungs- und Bewertungsspielraums.

167

(4) Die vom Gesetzgeber seinem Förderkonzept beigegebenen Bedingungen für eine Verschonung sind für die Angemessenheit der Gesamtregelung allerdings unverzichtbar. Zwar lässt sich aus dem Gleichheitssatz nicht im Einzelnen ableiten, dass der Gesetzgeber die Verschonung mit gerade einer Lohnsummenregelung und einer Haltefrist eingrenzen und durch den Ausschluss von Verwaltungsvermögen auf produktives Vermögen beschränken musste. Die hier erfolgte umfängliche Begünstigung betrieblichen Vermögens ist aber nur dann angemessen, wenn durch begleitende gesetzliche Regelungen hinreichend sichergestellt ist, dass mit der Verschonung das angestrebte Förderziel auch tatsächlich erreicht wird und die Begünstigung zuverlässig auf förderungswürdiges Vermögen begrenzt ist. Der Gesetzgeber ist auch hier weitgehend frei in seiner Entscheidung, welche Instrumente er dafür einsetzt, um eine hinreichend normenklare und zielgenaue Förderung sicherzustellen (vgl. BVerfGE 117, 1 <32 f.>; vgl. ferner 110, 274 <293> und 116, 164 <182>). Dass überhaupt hierfür geeignete Maßgaben getroffen werden, ist jedoch zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Verschonungsregelung von Verfassungs wegen geboten. In Anbetracht des erheblichen Ausmaßes der Ungleichbehandlung stünde es nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang, eine umfassende Verschonung des unentgeltlichen Erwerbs betrieblichen Vermögens ohne jegliche Bedingungen und Förderungssicherungsmaßnahmen zu gewähren.

168

(5) Die durch das Optionsmodell nach § 13a Abs. 8 ErbStG eröffnete Möglichkeit, eine Steuerverschonung von 100 % zu erlangen, ist nicht allein wegen des Umstandes der Vollverschonung verfassungswidrig. Für jedes Maß der Steuerverschonung benötigt der Gesetzgeber tragfähige Rechtfertigungsgründe (vgl. BVerfGE 117, 1 <32>); für eine vollständige Steuerfreistellung bestimmter Besteuerungsobjekte - wie sie im Übrigen aus zahlreichen Befreiungsvorschriften des Steuerrechts bekannt ist - gilt insofern nichts kategorial Anderes als bei Freistellungen geringeren Umfangs. Stets bedarf es zur Rechtfertigung der mit der Freistellung einhergehenden Ungleichbehandlung eines hinreichend gewichtigen Sachgrundes.

169

Sofern die in einer Steuerart vorgesehenen Ausnahmen, Befreiungen, Verschonungen und Freibeträge - insbesondere aus Gründen der Lenkung und Förderung - je für sich sachlich gerechtfertigt und in sich gleichheitsgerecht ausgestaltet sind, erweisen sie sich auch in ihrem Zusammenwirken nicht allein deshalb als gleichheitswidrig, weil sie dazu führen, dass eine Steuer in großem Umfang nicht greift. Für den erbschaftsteuerlichen Zugriff bei Familienangehörigen sowie kleinen und mittelständischen Betrieben hat der Gesetzgeber mit den spezifisch erbschaft- und schenkungsteuerlichen Befreiungen und Verschonungen in weitem Umfang Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unter anderem aus Art. 14 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG Rechnung getragen (vgl. BVerfGE 93, 165 <174 f.>). Die vom Bundesfinanzhof in seinem Vorlagebeschluss unter Berufung auf die Erbschaft- und Schenkungsteuerstatistiken 2010 und 2011 des Statistischen Bundesamts erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass die Steuervergünstigungen nach §§ 13a und 13b ErbStG zusammen mit zahlreichen anderen Verschonungen und Befreiungen dazu führten, dass nur ein geringer Teil der im Grundsatz nach §§ 1, 2, 3 und 7 ErbStG steuerbaren Sachverhalte tatsächlich mit Steuer belastet werde, die Steuerbefreiung also die Regel und die tatsächliche Besteuerung die Ausnahme sei (vgl. BFHE 238, 241 <278 Rn. 156> unter Verweisung auf damit übereinstimmende Äußerungen im Schrifttum), begründen danach allein für sich nicht die Unverhältnismäßigkeit der Erbschaft- und Schenkungsteuer.

170

dd) Unverhältnismäßig ist die Ungleichbehandlung zwischen begünstigtem unternehmerischen und nicht begünstigtem sonstigen Vermögen aber insoweit, als der unentgeltliche Erwerb betrieblichen und land- und forstwirtschaftlichen Vermögens und von Anteilen an Kapitalgesellschaften ohne Bedürfnisprüfung weitgehend oder vollständig von der Erbschaft- und Schenkungsteuer befreit wird und es sich dabei um Erwerbe von Unternehmen handelt, welche die Größe kleiner und mittlerer Unternehmen überschreiten.

171

(1) Das Maß der Ungleichbehandlung ist umso größer, je umfangreicher der steuerbefreite Erwerb ist. Da die §§ 13a und 13b ErbStG keine Obergrenze in Bezug auf das begünstigungsfähige Vermögen vorsehen, können bei Einhaltung der Verschonungsbedingungen auch Betriebe mit Unternehmenswerten von mehreren Hundertmillionen oder auch mehreren Milliarden Euro erbschaft- und schenkungsteuerfrei übertragen werden. Es ist freilich nicht auszuschließen, dass auch sehr große Unternehmen durch eine dann entsprechend hohe Erbschaft- oder Schenkungsteuerlast der Erwerber in finanzielle Schwierigkeiten geraten und an Investitionskraft verlieren könnten, Arbeitsplätze abbauen, verkauft oder sogar aufgelöst werden müssten. Die damit verbundenen gemeinwohlschädlichen Lasten wären dann entsprechend größer. Diese Risiken können im Ergebnis auch die Steuerverschonung sehr großer Unternehmen rechtfertigen, erfordern dann aber mit Rücksicht auf den Grundsatz der Lastengleichheit besondere Vorkehrungen zur Erreichung der mit der Befreiung verfolgten Ziele.

172

Je umfangreicher die Steuerverschonung und je größer deshalb andererseits das Maß der Ungleichbehandlung gegenüber den Erwerbern nicht begünstigten Vermögens ist, desto anspruchsvoller wird die Rechtfertigungslast hierfür. Die steuerliche Privilegierung unternehmerischen Vermögens ist nicht gerechtfertigt, weil der einzelne Erwerber verschont werden soll. Um die Begrenzung der Besteuerung durch die verfassungsrechtliche Erbrechtsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG vor einer übermäßigen Belastung, welche die dem Erben zugewachsenen Vermögenswerte grundlegend beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 93, 165 <172>; 63, 312 <327>), geht es dabei in diesem Zusammenhang nicht. Der die Ungleichbehandlung rechtfertigende Gemeinwohlgrund liegt vielmehr allein im Schutz der übertragenen Unternehmen und der damit verbundenen Arbeitsplätze. Während die Ungleichbehandlung zwischen nicht verschonten Erwerbern sonstigen Vermögens und den Erwerbern unternehmerischen Vermögens bei der Übertragung kleiner und mittlerer Unternehmen im Grundsatz noch gerechtfertigt ist, ohne dass die Gefährdung der Unternehmen, vor der die Verschonung bewahren soll, im Einzelfall festgestellt wird, kann diese unwiderlegliche Gefährdungsvermutung bei der Übertragung größerer Unternehmen nicht mehr hingenommen werden. Hier erreicht die Ungleichbehandlung schon wegen der Größe der steuerbefreiten Beträge ein Maß, das ohne die konkrete Feststellung der Verschonungsbedürftigkeit des erworbenen Unternehmens mit den Anforderungen an eine gleichheitsgerechte Besteuerung nicht mehr in Einklang zu bringen ist.

173

Hinzu kommt bei der Übertragung von Unternehmen dieser Größenordnung, dass deren Schutz und Erhalt nicht mehr von dem Ziel der Verschonungsregelung getragen wird, die vorhandene Unternehmensstruktur kleiner und mittelständischer Betriebe zu erhalten. Dies ist zwar nicht das einzige Gemeinwohlziel, das die Verschonungsregelung verfolgt; sein Wegfall schwächt aber auch ihr Rechtfertigungspotenzial und bestätigt damit die Notwendigkeit einer individuellen Bedürfnisprüfung.

174

(2) Die Grenze zwischen kleinen und mittleren Unternehmen einerseits und Großunternehmen andererseits ist für den Bereich des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts gesetzlich nicht vorgegeben. Auch nach verfassungsrechtlichen Maßstäben lässt sich nicht eindeutig bestimmen, ab wann genau die aus der Steuerverschonung des unentgeltlichen Erwerbs unternehmerischen Vermögens folgende Ungleichbehandlung nicht mehr verhältnismäßig ist, wenn die Steuerverschonung an keine Bedürfnisprüfung geknüpft ist. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, unter Berücksichtigung der mit der Privilegierung verfolgten Gemeinwohlziele präzise und handhabbare Kriterien für die Bestimmung dieser Grenze festzulegen. Dabei bleibt es ihm aus verfassungsrechtlicher Sicht unbenommen, sich etwa auch an der Empfehlung der Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (2003/361/EG, ABl. L 124/36 vom 20. Mai 2003) zu orientieren. Darin werden zu den kleinen und mittleren Unternehmen solche gezählt, die weniger als 250 Arbeitnehmer beschäftigen und die entweder einen Jahresumsatz von höchstens 50 Millionen Euro erzielen oder deren Jahresbilanzsumme sich auf höchstens 43 Millionen Euro beläuft (a.a.O., Art. 2 Abs. 1 des Anhangs).

175

Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen allerdings nicht verpflichtet, die Angemessenheit der Ungleichbehandlung zwischen begünstigten und nicht begünstigten Vermögensübertragungen durch die exakte Bestimmung des Kreises kleiner und mittelständischer Unternehmen und durch die Begrenzung der Verschonung ohne Bedürfnisprüfung auf diese sicherzustellen. Er könnte auch eine absolute Obergrenze festlegen, wie dies im Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Unternehmensnachfolge vom 30. Mai 2005 (vgl. BTDrucks 15/5555, S. 10) mit einer Förderungshöchstgrenze von 100 Millionen Euro beabsichtigt war, jenseits derer die Steuerverschonung endet und steuerbedingten Gefährdungen von Unternehmensübergängen etwa durch eine möglicherweise neu gestaltete Stundungsregelung begegnet wird. Hält er auch bei der Übertragung größerer Unternehmen am Steuerverschonungsmodell fest, wird er zu erwägen haben, ob in die dann in diesem Bereich gebotene Prüfung der Verschonungsbedürftigkeit von Erwerbern solcher Unternehmen auch durch die Erbschaft oder Schenkung miterworbenes, nicht begünstigtes Vermögen oder unter Umständen schon vor dem Erwerb vorhandenes eigenes Vermögen mit einbezogen werden soll, mit der Folge, dass der Erwerber dies zur Begleichung einer Steuerschuld aus dem Unternehmensübergang einzusetzen hätte.

176

3. Die Verschonungsregelungen der §§ 13a und 13b ErbStG verstoßen auch in Teilen ihrer Ausgestaltung im Einzelnen gegen Art. 3 Abs. 1 GG, sowohl im Hinblick auf die Ungleichbehandlung gegenüber den Erwerbern nicht begünstigter Vermögensarten als auch wegen nicht zu rechtfertigender Ungleichbehandlungen im Binnenvergleich der Erwerber begünstigter Vermögensarten. Letztlich nicht zu beanstanden ist allerdings die Festlegung der begünstigten Vermögensarten in § 13b Abs. 1 ErbStG (a) und im Grundsatz die Bestimmung über die Behaltensfrist in § 13a Abs. 5 ErbStG (c). Als gleichheitswidrig erweisen sich jedoch die Freistellung von Betrieben mit bis zu 20 Arbeitnehmern von der Lohnsummenpflicht gemäß § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG (b) und die Regelung zum Umfang des begünstigungsschädlichen Verwaltungsvermögens nach § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG (d). Außerdem lassen die §§ 13a und 13b ErbStG in einzelnen Konstellationen zu großzügig steuerliche Gestaltungen zu, die nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlungen verursachen (e).

177

a) Die Festlegung der begünstigen Vermögensarten in § 13b Abs. 1 ErbStG ist verfassungsgemäß. Mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist die Bestimmung des durch den Verschonungsabschlag begünstigungsfähigen Vermögens in § 13b Abs. 1 ErbStG sowohl im Verhältnis zu nicht betrieblichem Vermögen als auch im Binnenvergleich zu nicht begünstigtem sonstigen betrieblichen Vermögen.

178

Ziel des Erbschaftsteuerreformgesetzes war es unter anderem sicherzustellen, dass bei der Unternehmensnachfolge insbesondere kleine und mittlere Betriebe, die in personaler Verantwortung geführt werden, nicht wegen der Besteuerung dieses Erwerbs in Liquiditätsschwierigkeiten geraten (s. oben 2. c). Die Beschränkung der Förderung auf kleine und mittlere Betriebe ist trotz der degressiven Ausgestaltung des Abzugsbetrags nach § 13a Abs. 2 ErbStG und des Ausschlusses von Minderbeteiligungen an großen Publikums-Aktiengesellschaften aus dem Kreis förderungswürdigen Vermögens in § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG nur begrenzt gelungen und führt deshalb bei größeren Unternehmen zu einem verfassungsrechtlichen Vorbehalt im Hinblick auf die Erforderlichkeit einer Bedürfnisprüfung (s. oben 2. f dd). Ansonsten sichert die Umschreibung des begünstigten Vermögens in § 13b Abs. 1 ErbStG die Begrenzung der Verschonung auf unternehmerisches Vermögen, das typischerweise in personaler Verantwortung gehalten wird. Namentlich die Mindestbeteiligungsklausel für Kapitalgesellschaften von über 25 % in § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG scheidet Unternehmensbeteiligungen aus der Förderung aus, die der bloßen Geldanlage dienen. Die damit in verschiedene Richtungen einhergehenden Ungleichbehandlungen sind gerechtfertigt (aa). Dies gilt auch für die Privilegierungen betrieblichen Vermögens im Sinne von § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG (bb) und land- und forstwirtschaftlichen Vermögens nach § 13b Abs. 1 Nr. 1 ErbStG (cc).

179

aa) Die Begünstigung des Erwerbs von Kapitalgesellschaftsanteilen im Sinne des § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG ist mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Es verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz, dass der Gesetzgeber mit der Regelung in § 13b Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 ErbStG Anteile an Kapitalgesellschaften ab einer Mindestbeteiligung des Erblassers oder Schenkers von über 25 % am Nennkapital der Gesellschaft zu förderungswürdigem unternehmerischem Vermögen zählt. Die damit verbundene Besserstellung des Erwerbs von Anteilsinhabern, die diese Mindestquote erfüllen, gegenüber dem Erwerb von Erblassern oder Schenkern von sonstigem, nicht betrieblichem Vermögen auf der einen und gegenüber dem Erwerb von Inhabern geringerer Anteile an Kapitalgesellschaften - auch im Streubesitz - auf der anderen Seite, die der Gesetzgeber damit wie nicht betriebliches Vermögen behandelt, ist von Verfassungs wegen im Ergebnis nicht zu beanstanden.

180

(1) Mit den durch die Begünstigung von Kapitalgesellschaftsanteilen im Sinne des § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG begründeten Ungleichbehandlungen verfolgt der Gesetzgeber legitime Ziele. Durch die Einbeziehung großer Anteile an Kapitalgesellschaften in die Verschonungsregelung wollte der Gesetzgeber die Übertragung solcher Unternehmensanteile steuerlich verschonen, bei denen der Anteilsinhaber nicht nur als Kapitalanleger auftritt, sondern selbst unternehmerisch in die Gesellschaft eingebunden ist. Die Übertragung von lediglich als Form der Kapitalanlage gehaltenen Anteilen an Kapitalgesellschaften soll hingegen nicht in den Genuss der Verschonungsregelungen gelangen. Die geforderte Beteiligung von über 25 % soll ein Indiz für diese unternehmerische Einbindung sein (BTDrucks 16/7918, S. 35).

181

Hinter der Privilegierung des Übergangs großer Anteile an Kapitalgesellschaften gegenüber sonstigem Vermögen steht danach zum einen die Überlegung, dass diese Anteilseigner ihre Anteile an einer Kapitalgesellschaft nicht nur aus Gründen der Kapitalanlage halten, sondern ein unternehmerisches Eigeninteresse am Wohl und Wehe des Unternehmens haben, das es im Rahmen der Nachfolge insbesondere durch gesetzliche Behaltensanreize zu sichern gilt. Zum anderen bestünden bei einem Verzicht auf jegliche erbschaftsteuerliche Begünstigung der Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften erhebliche Gleichheitsbedenken gegenüber anderen, durch die Verschonungsregelung privilegierten Vermögensarten, insbesondere gegenüber der Übertragung von Anteilen an Personengesellschaften. Der strikte Verschonungsausschluss von Anteilen an Kapitalgesellschaften ließe sich jedenfalls in Bereichen, in denen unternehmerische Organisationsformen von Kapitalgesellschaften (insbes. als GmbH) und solche von Personengesellschaften (insbes. als GmbH & Co. KG) weitgehend austauschbar sind, in der Sache kaum hinreichend tragfähig begründen. Dies führte zu einer vielfach nur schwer zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung nach der Rechtsform, in der die Unternehmen organisiert sind, und würde das gesetzgeberische Ziel der Förderung kleinerer und mittlerer Betriebe in weiten Bereichen verfehlen, die häufig die Organisationsform einer Kapitalgesellschaft wählen.

182

(2) Die Differenzierung zwischen förderungswürdigen Anteilen an einer Kapitalgesellschaft und nicht förderungswürdigen anhand der Mindestbeteiligungsquote ist geeignet, die Erreichung des Ziels dieser Unterscheidung zu befördern. Die Beschränkung der Verschonung auf den Erwerb von Anteilseignern mit einer Mindestquote von über 25 % ermöglicht es, bei der Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften nur jene zu erfassen, bei denen die Annahme einer unternehmerischen Einbindung des übertragenden Anteilsinhabers in den Betrieb vertretbar erscheint. Die Vermutung einer unternehmerischen Verantwortung bei Anteilseignern ab einer Mindestbeteiligungsquote von 25 % liegt im Rahmen des gesetzgeberischen Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums. Die Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften im Streubesitz hingegen unterscheidet sich nicht wesentlich von der unentgeltlichen Übertragung sonstigen Vermögens, die nicht von der Steuer verschont wird. Der Bestand eines Betriebs, seine Bonität und die Sicherheit seiner Arbeitsplätze sind in diesen Fällen regelmäßig nicht von der Person des Anteilsinhabers abhängig (so auch BTDrucks 16/7918, S. 35), der seine nur zu Zwecken der Kapitalanlage erfolgte Beteiligung - falls zur Begleichung der Steuerschuld geboten - ohne Gefährdung des Betriebs verkaufen kann.

183

(3) Zur Erreichung der gesetzlichen Ziele ist die Mindestbeteiligungsquote erforderlich. Es ist nicht erkennbar, dass ohne die 25 %-Regel eine gleich wirkungsvolle und zugleich mit einer geringeren Ungleichbehandlung belastete Unterscheidung zwischen förderungswürdigem und nicht förderungswürdigem Vermögen im Bereich der Kapitalgesellschaftsanteile erreicht werden könnte.

184

Ein Verzicht auf jegliche erbschaft- und schenkungsteuerliche Begünstigung der Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften ersparte zwar die Suche nach einer gleichheitsgerechten Differenzierung zwischen förderungswürdigen und nicht förderungswürdigen Anteilen an Kapitalgesellschaften, wie sie jetzt § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG vornimmt, und würde so zu einer vollständigen Gleichstellung dieser Vermögensart mit nicht betrieblichem Vermögen führen, hätte aber die oben (unter (1)) beschriebene Ungleichbehandlung gegenüber sonstigem betrieblichen Vermögen nach der Rechtsform zur Folge und könnte auch nicht das gesetzgeberische Ziel erreichen, in unternehmerischer Verantwortung gehaltene Anteile an Kapitalgesellschaften in die Verschonung mit einzubeziehen.

185

(4) Die Mindestbeteiligungsquote ist verhältnismäßig im engeren Sinne. Die als Differenzierungsgrund für die Besserstellung vermuteten Vorteile der unternehmerischen Einbindung der Anteilseigner ab einer Mindestquote von über 25 % der Anteile an einer Kapitalgesellschaft haben hinreichendes Gewicht, um die Ungleichbehandlung sowohl gegenüber den Inhabern nicht betrieblichen Vermögens als auch gegenüber den Inhabern von Anteilen an Kapitalgesellschaften unterhalb dieser Quote zu rechtfertigen.

186

(a) Bei einer Mindestbeteiligungsquote von über 25 % durfte der Gesetzgeber von einer unternehmerischen Einbindung des Anteilseigners in den Betrieb und damit von begünstigtem Vermögen ausgehen.

187

Der allgemein maßgebliche Rechtfertigungsgrund für die Steuerverschonung bei der Unternehmensnachfolge - die ansonsten befürchtete Gefährdung der betroffenen Betriebe durch Liquiditätsprobleme und damit auch die Gefährdung von Arbeitsplätzen - greift allerdings nicht ohne weiteres in allen Fällen der Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften. Insbesondere werden jedenfalls Minderheitsgesellschafter in aller Regel keinen maßgeblichen Einfluss auf die Ausschüttung von Gewinnanteilen allein zum Zwecke der Begleichung von Steuerschulden der Gesellschafter nehmen und daher insofern auch keine Betriebsgefährdung auslösen können. Namentlich bei der Übertragung von Anteilen an Publikumsgesellschaften ist die generelle Befürchtung solcher Gefährdungen ohnehin nicht berechtigt. Es entspricht außerdem dem allgemeinen Förderzweck der Verschonungsregelung, Anteile an Kapitalgesellschaften, die der bloßen Kapitalanlage dienen, von der Privilegierung auszunehmen. Dies wird auch durch die Bestimmungen über das Verwaltungsvermögen in § 13b Abs. 2 ErbStG deutlich, die eine Konzentration der Steuerverschonung auf produktives, mit unternehmerischem Risiko behaftetes Vermögen sicherzustellen suchen (s. dazu nachfolgend d).

188

Die Annahme, ab einer Anteilsquote von über 25 % des Nennkapitals bestehe regelmäßig eine unternehmerische Einbindung des Anteilseigners in den Betrieb, ist vom Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gedeckt (oben (2)). Bei Anteilseignern, die mehr als ein Viertel der Anteile einer Kapitalgesellschaft halten, darf der Gesetzgeber davon ausgehen, dass sie sich nicht nur aus Gründen der Kapitalanlage engagieren, sondern ein unternehmerisches Eigeninteresse an Bestand und Erfolg des Unternehmens haben (oben (1)).

189

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seinem Beschluss vom 7. November 2006 die entsprechende Annahme des Gesetzgebers von der unternehmerischen Einbindung des Anteilseigners bei der Vorgängerregelung als "nicht unplausibel" bezeichnet, zumal Anteilsinhaber nach dem Aktiengesetz und dem GmbH-Gesetz erst bei der geforderten Quote von mehr als 25 % über eine Sperrminorität bei satzungsändernden Beschlüssen verfügten (vgl. BVerfGE 117, 1 <63>).

190

Im Übrigen ist die Festlegung auf die Mindestquote von über 25 % durch die Typisierungs- und Vereinfachungsbefugnis des Gesetzgebers (vgl. dazu BVerfGE 120, 1 <30>; 122, 210 <231 ff.>; 126, 268 <278 f.>) gedeckt. Seine Annahme, dass die andernfalls erforderliche konkrete Feststellung der unternehmerischen Relevanz geringerer Beteiligungsanteile nicht nur die Finanzämter, sondern auch die Gesellschaften mit einem unverhältnismäßigen Aufwand belasten würde (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 35), ist nicht unvertretbar (a. A. Grolig, Folgerichtigkeitsgebot und Erbschaftsteuer, 2013, S. 185 ff., 190; mit grundsätzlicher Kritik an der 25 %-Regelung auch Piltz, DStR 2013, S. 228 <231>).

191

Schließlich hat die mit der 25 %-Regelung verbundene Erwägung Gewicht, dass ab diesem Beteiligungsanteil eine Gleichbehandlung von Kapitalanlagevermögen mit der Beteiligung an Personengesellschaften erfolgen soll, um deren sonst insoweit nur schwierig zu rechtfertigende Besserstellung zu vermeiden.

192

(b) Die pauschalierende Annahme der 25 %-Grenze für die unternehmerische Einbindung des Anteilseigners wird nicht durch den Einwand widerlegt, dass auch schon bei niedrigeren Beteiligungsquoten ein unternehmerisches Engagement des Inhabers von Kapitalgesellschaftsanteilen denkbar sei. Es ist zwar in der Tat nicht auszuschließen, dass unterhalb einer Beteiligung von 25 % ein tatsächlicher und rechtlicher Bezug eines Anteilseigners zu dem Unternehmen besteht, der weit über eine bloße Kapitalanlage hinausgeht und dessen uneingeschränkte Belastung mit der Erbschaft- und Schenkungsteuer zudem Schwierigkeiten für das Unternehmen mit sich bringen könnte. So ist es insbesondere, wie in der mündlichen Verhandlung in verschiedenen Stellungnahmen bestätigt wurde, in familiengeführten Unternehmen üblich, dass sich im Wege der Generationenfolge der Anteilsumfang pro Person verringern kann, diesem reduzierten Anteil aber durch gesellschaftsvertragliche Klauseln, welche die Übertragbarkeit des Anteils oder Möglichkeiten der Gewinnausschüttung einschränken, mit dem Ziel eines einheitlichen unternehmerischen Handelns Rechnung getragen wird. Diesen Umstand berücksichtigt das geltende Recht jedoch bereits dadurch, dass § 13b Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 ErbStG die Möglichkeit eines sogenannten Pooling vorsieht, welches die Anteile eines Erblassers oder Schenkers an einer Kapitalgesellschaft, der nicht die 25 %-Quote erreicht, gleichwohl als begünstigtes Vermögen behandelt, wenn er zusammen mit anderen Gesellschaftern, mit denen er vertragliche Bindungen hinsichtlich der Anteilsverfügung und Stimmrechtsausübung eingegangen ist, diese Grenze erreicht.

193

(c) Die Mindestbeteiligungsquote von über 25 % ist auch nicht deshalb durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt, weil das Gesetz den Mindestbestand an Anteilen zwar auf Seiten des Erblassers oder Schenkers voraussetzt, nicht aber verlangt, dass für die Verschonung auch die Übertragung des Unternehmensanteils in einem Umfang von über 25 % erfolgen oder jedenfalls der Erwerber über 25 % der Anteile der Kapitalgesellschaft verfügen muss.

194

Das Abstellen allein auf die Verhältnisse beim Erblasser oder Schenker zur Bestimmung der Begünstigungsfähigkeit von Vermögensarten und Vermögensteilen (zum Beispiel auch im Hinblick auf den sogenannten Verwaltungsvermögenstest nach § 13b Abs. 2 ErbStG - dazu s. unten d) wie auch in Bezug auf sonstige Verschonungsvoraussetzungen (etwa die Zahl der Arbeitnehmer für die Freistellung von der Lohnsummenpflicht nach § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG - näher dazu unter b) liegt dem gesamten System der Verschonungsregelung zugrunde. Ob der übertragene Unternehmensteil oder die Verhältnisse beim Erwerber diese Voraussetzungen erfüllen, ist hingegen unerheblich. Dies hat zur Folge, dass bei der Übertragung von Unternehmensteilen eine Verschonung auch dann in Betracht kommt, wenn der Erbe oder Beschenkte keinen, jedenfalls keinen rechtlich zwingenden Einfluss auf die Einhaltung von Lohnsumme und Haltefrist und auch sonst nicht auf operative und strategische Entscheidungen des Unternehmens hat. Darauf kommt es nach der Konzeption der gesetzlichen Bestimmung der Begünstigungsfähigkeit der verschiedenen Vermögensarten auch nicht an, denn es geht insoweit allein um die Abschichtung förderungswürdigen unternehmerischen Vermögens von nicht förderungswürdigem privaten Vermögen, insbesondere von bloßem Geldanlagevermögen (s. oben (a) und (b)). Das Gesetz lässt es insoweit genügen, dass im Ergebnis auf der Erwerberebene die weiteren Verschonungsvoraussetzungen (insbesondere Lohnsummenregelung, Haltefrist und Verwaltungsvermögenstest) eingehalten werden und dadurch das Ziel der Verschonung erreicht wird - unabhängig davon, inwieweit der Erwerber darauf Einfluss nehmen konnte oder nicht. Dies ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Entscheidend ist, dass die Einhaltung der Verschonungsbedingungen sichergestellt ist. Das ist der Fall; nur bei Einhaltung von Lohnsumme und Haltefrist sowie zuvor bestandenem Verwaltungsvermögenstest werden Verschonungsabschlag (§ 13a Abs. 1 ErbStG) und Abzugsbetrag (§ 13a Abs. 2 ErbStG) gewährt, ohne dass es darauf ankommt, ob der Erblasser oder Schenker oder der Erwerber entscheidenden Einfluss darauf genommen haben.

195

Vor diesem Hintergrund bestehen im Ergebnis keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, für die Beschränkung der Anteilsmindestquote von 25 % an die Situation auf Seiten der Erblasser und Schenker anzuknüpfen. Allerdings wird damit auch die Übertragung von nur einem Bruchteil dieser Mindestquote von Anteilen auf den Nachfolger steuerlich begünstigt, selbst wenn er weit unter 25 % des Nennwerts liegt. Die Steuerverschonung greift also auch dann, wenn auf der Erwerberseite kein personaler Einfluss auf das Unternehmen mehr gewährleistet ist und für den Begünstigten der erworbene Anteil nurmehr die Bedeutung einer Kapitalanlage hat. Der Gesetzgeber verzichtet so darauf, das Ziel der personalen Fortführung des Unternehmens auch zukunftsgerichtet unmittelbar für den Erwerber abzusichern. Dies ist jedoch von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber ist insoweit nicht zu einer Regelung verpflichtet, die alle Möglichkeiten zur Erreichung der gesetzgeberischen Ziele optimal ausnutzt, sondern hat einen weiten Gestaltungsspielraum. Dabei darf er sich auch von dem Gesichtspunkt leiten lassen, an einer übergreifenden Systematik, die insgesamt gute Gründe hat und funktional ausgerichtet ist, dort festzuhalten, wo auf andere Weise weitergehende Lösungen möglich sind. Im Übrigen wird das Ziel des Gesetzes durch die Regelung zumindest insoweit erreicht, als es die Übertragung von Gesellschaftsanteilen, die bereits auf der Erblasser- oder Schenkerseite der bloßen Kapitalanlage dienten, von der Verschonung ausschließt. Auch setzt die Regelung - worauf die Vertreter der Bundesregierung in der mündlichen Verhandlung maßgeblich abgestellt haben - über die 25 %-Mindestquote in § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG einen Anreiz, auf der Nachfolgerebene erneut eine Zusammenführung einzelner Anteilspakete bis zum Umfang der Mindestquote anzustreben oder insoweit jedenfalls die Voraussetzungen der Poolingregelung (§ 13b Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 ErbStG) zu erreichen. Der Gesetzgeber wird, falls sich diese Erwartung nicht erfüllt, zu erwägen haben, inwieweit daraus Konsequenzen für die Begünstigungsfähigkeit von Anteilen an Kapitalgesellschaften zu ziehen sind, insbesondere im Hinblick auf die Forderung nach einer Mindestquote auch auf Erwerberseite.

196

bb) Die Begünstigung des Betriebsvermögens in § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG ist mit dem Gleichheitssatz vereinbar, auch soweit der Erwerb von Anteilen an Personengesellschaften ohne Mindestbeteiligungsquote privilegiert wird.

197

Dadurch, dass § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG die Übertragung von Anteilen an Personengesellschaften in jeder Größe und unabhängig vom Umfang des Anteilsbesitzes des Erblassers oder Schenkers begünstigt, werden die Anteilseigner von Personengesellschaften besser gestellt als jene von Kapitalgesellschaften, bei denen Anteilsübertragungen an einen Nachfolger erst in den Genuss des Verschonungsabschlags kommen können, wenn der Schenker oder Erblasser über mehr als 25 % der Anteile der Gesellschaft verfügt (s. vorstehend unter aa). Diese Privilegierung der Anteile an Personengesellschaften ist gerechtfertigt.

198

Durch den Verzicht auf eine entsprechende Mindestquote als Voraussetzung für die Förderungswürdigkeit der unentgeltlichen Übertragung von Anteilen an Personengesellschaften bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass er bei diesen jegliche Gesellschaftsbeteiligung, unabhängig vom Umfang der jeweils gehaltenen Gesellschaftsanteile, als förderungswürdiges unternehmerisches Vermögen und nicht als bloße Geldanlage ansieht. Mit dieser Annahme bewegt sich der Gesetzgeber im Rahmen des ihm bei der Regelung solch komplexer Sachverhalte zustehenden Einschätzungs- und Typisierungsspielraums. Sie findet ihre Grundlage in der unterschiedlichen zivilrechtlichen Behandlung des Vermögens der Personengesellschaft einerseits und der Kapitalgesellschaft andererseits: Bei Personengesellschaften wird das Gesellschaftsvermögen den Gesellschaftern zugerechnet (vgl. § 718 BGB i.V.m. § 105 Abs. 3, § 161 Abs. 2 HGB), hingegen ist das Vermögen der Kapitalgesellschaften gegenüber dem Vermögen ihrer Gesellschafter selbständig. Es liegt angesichts dieser stärker personalisierten Struktur der Personengesellschaft im Rahmen der gesetzgeberischen Typisierungsbefugnis, für Zwecke der Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung der Unternehmensnachfolge auf die in der Rechtsform der Personengesellschaft regelmäßig höhere unternehmerische Einflussnahme und Haftung abzustellen (vgl. Jachmann, in: Steuergesetzgebung zwischen Gleichheit und wirtschaftlicher Freiheit, 2000, S. 154 f.). Der Gesetzgeber durfte typisierend davon ausgehen, dass die Einbindung eines Inhabers von Anteilen an einer Personengesellschaft in das Unternehmen, zumindest seine Nähe zu den jeweils anstehenden unternehmerischen Entscheidungen, dem Regelfall entspricht.

199

cc) Die generelle Begünstigung des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens in § 13b Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ist im Hinblick auf die Besonderheiten von Land- und Fortwirtschaft verfassungsgemäß.

200

Der Gesetzgeber durfte mit Rücksicht darauf, dass land- und forstwirtschaftliche Betriebe, wie der Deutsche Bauernverband in seiner in diesem Verfahren abgegebenen Stellungnahme substantiiert und plausibel dargelegt hat, nach wie vor in besonders hohem Maße als Familienbetriebe ohne größere Kapitaldecke geführt werden, ohne weiteres von einer unternehmerischen Einbindung jeglicher Beteiligung an einem solchen Betrieb ausgehen. Hinzu kommen die bekannten strukturellen Besonderheiten, welche die land- und forstwirtschaftlichen Betriebe aufweisen (vgl. BVerfGE 91, 346 <364>) und die eine Beteiligung daran allein zum Zwecke der Geldanlage eher fernliegend erscheinen lassen. Der Gesetzgeber durfte daher land- und forstwirtschaftliches Vermögen dem betrieblichen Vermögen im Hinblick auf die generelle Förderungswürdigkeit gleichstellen und dadurch insoweit besser behandeln als nicht betriebliches Vermögen und Anteile an Kapitalgesellschaften unterhalb der Mindestbeteiligungsgrenze. Die erbschaft- und schenkungsteuerliche Verschonung des Übergangs von land- und forstwirtschaftlichen Betrieben wird im Übrigen neben dem generellen Förderziel, sie vor Gefährdungen durch Liquiditätsentzug zu bewahren und dadurch Arbeitsplätze zu sichern, zusätzlich durch den ökologischen Beitrag dieser Betriebe (vgl. auch BTDrucks 16/7918, S. 23) - jedenfalls derer, die die in § 5 Abs. 2 BNatSchG vorgeschriebenen "Grundsätze der guten fachlichen Praxis" beachten - legitimiert.

201

b) Die in verschiedenen Absätzen des § 13a ErbStG ausgestaltete Lohnsummenregelung ist im Grundsatz mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar (aa), nicht jedoch die Freistellung bei Betrieben mit nicht mehr als 20 Beschäftigten (bb).

202

aa) Die Lohnsummenregelung des § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG ist verfassungsgemäß.

203

(1) Die Lohnsummenregelung begründet eine Ungleichbehandlung. Die Prüfung, ob sie gerechtfertigt ist, beschränkt sich nicht auf eine bloße Willkürkontrolle.

204

Die Einhaltung der Mindestlohnsumme ist eine Bedingung für die Erlangung des Verschonungsabschlags. Nach § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG ist Voraussetzung für die Verschonung, dass die Summe der maßgebenden jährlichen Lohnsummen des Betriebs innerhalb von fünf Jahren (bei Vollverschonung gemäß § 13a Abs. 8 Nr. 1 ErbStG innerhalb von sieben Jahren) nach dem Erwerb insgesamt 400 % (bei Vollverschonung gemäß § 13a Abs. 8 Nr. 1 ErbStG 700 %) der Ausgangslohnsumme nicht unterschreitet. Erreicht die Lohnsumme nicht dieses Ziel, vermindert sich der Verschonungsabschlag entsprechend dem Maß der Unterschreitung (§ 13a Abs. 1 Satz 5 ErbStG). Die Einhaltung der Lohnsumme unterscheidet danach bei begünstigtem Vermögen im Sinne des § 13b Abs. 1 ErbStG, wer die Verschonung erhält und wer nicht oder nur zum Teil. Damit führt die Lohnsummenregelung zu einer Binnendifferenzierung zwischen den Erwerbern begünstigten Vermögens. Zugleich gestaltet sie die Rahmenbedingungen der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen Erwerbern nicht betrieblichen und begünstigten Vermögens im Sinne des § 13b Abs. 1 ErbStG.

205

Der Maßstab für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Ungleichbehandlung ist strenger als der einer bloßen Willkürprüfung und entspricht dem oben für die Unterscheidung zwischen betrieblichem und nicht betrieblichem Vermögen herangezogenen. Die Lohnsummenklausel beeinflusst gezielt die freie unternehmerische Entscheidung über die Personalstruktur des Betriebs. Vor allem aber kann die Nichteinhaltung der Mindestlohnsumme bis hin zum völligen Wegfall des Verschonungsabschlags führen und so im Hinblick auf die fehlende Obergrenze für den Verschonungsabschlag zu erheblichen Ungleichheiten gegenüber jenen führen, die die Lohnsumme einhalten.

206

(2) Die durch die Lohnsummenregelung begründete Ungleichbehandlung verfolgt ein legitimes Ziel. Das Mittel der Mindestlohnsumme dient dem Zweck, die Erwerber betrieblichen Vermögens zur Erhaltung der Arbeitsplätze zu veranlassen, und kennzeichnet jene Betriebe, die mit der Einhaltung der Lohnsumme den Nachweis des Arbeitsplatzerhalts erbracht haben. Mit dieser Funktion verfolgt die Mindestlohnsumme einen legitimen Zweck und ist wesentlich für das übergeordnete zentrale Ziel der Verschonungsregelung, den unentgeltlichen Übergang von in personaler Verantwortung geführten Betrieben vor Liquiditätsproblemen zu bewahren, um deren Bestand und damit auch die Arbeitsplätze zu erhalten. Dass ein Instrument wie die Mindestlohnsumme von Verfassungs wegen dem Grunde nach geboten ist, um die Angemessenheit der Verschonung im Grundsatz sicherzustellen, wurde bereits festgestellt (s. oben 2. f cc (4)), beantwortet aber noch nicht die Frage, ob dieses Instrument in seiner konkreten Ausgestaltung gleichheitsgerecht ist. Dies bedarf einer gesonderten Prüfung.

207

(3) Die Bindung der Verschonung an die Einhaltung der Lohnsumme ist grundsätzlich geeignet, diesen Zweck zu erreichen, denn sie fördert angesichts des erheblichen Verschonungspotenzials zumindest für einen mittelfristigen Zeitraum die Erhaltung der Arbeitsplätze in einem Betrieb, der ganz oder in Teilen auf den Nachfolger übertragen wurde. Ein milderes Mittel, um den mit der Verschonungsregelung angestrebten Arbeitsplatzerhalt gleich wirksam zu sichern und nachzuweisen, ist nicht ersichtlich. Die Haltefrist (§ 13a Abs. 5 ErbStG) allein kann diese Aufgabe nicht erfüllen.

208

(4) Die Lohnsummenregelung genügt auch mit Blick auf die durch sie bewirkte Ungleichbehandlung den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne.

209

Die Lohnsummenregelung ist - abgesehen von der zu großzügigen Freistellungsklausel (dazu sogleich unter bb) - angemessen. Sie trägt dazu bei, dass Erwerber betrieblichen Vermögens gegenüber Erwerbern nicht betrieblichen Vermögens nicht überprivilegiert werden, wenn sie bei Einhaltung ihrer Vorgaben in den Genuss des Verschonungsabschlags gelangen. Die Lohnsummenregelung genügt im Grundsatz der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit, den unentgeltlichen Erwerb von Betrieben nicht ohne hinreichend gewichtigen Rechtfertigungsgrund und nicht ohne anspruchsvolle Nachweise zur Einhaltung dieser Rechtfertigung von der Erbschaft- und Schenkungsteuer zu befreien (s. oben 2. f cc (4)).

210

Dementsprechend werden diejenigen, welche die Mindestlohnsumme nicht einhalten, nicht unangemessen benachteiligt gegenüber jenen, denen dies gelingt, wenn sie infolgedessen trotz des Erwerbs begünstigten Vermögens keinen oder nur einen anteiligen Verschonungsabschlag erhalten. Die Lohnsummenregelung eröffnet den Erwerbern begünstigten Vermögens weder zu leicht und unkontrolliert den Weg zu einer umfänglichen Steuerverschonung, noch verlangt sie die Einhaltung untauglicher Vorgaben für das angestrebte Ziel des Arbeitsplatzerhalts, und führt so auch nicht zu einer unverhältnismäßigen Benachteiligung der Erwerber begünstigten Vermögens, die mangels Einhaltung der Mindestlohnsumme die Verschonung ganz oder teilweise verlieren.

211

(a) Die Entscheidung des Gesetzgebers für die Lohnsummenlösung anstelle einer strikten Bindung an den Erhalt der konkret vorhandenen Arbeitsplätze in dem übertragenen Betrieb liegt innerhalb seines insoweit weiten Gestaltungsspielraums. Zwar verlangt das enorme, bis zu einer völligen Freistellung von der Erbschaft- und Schenkungsteuer reichende Verschonungspotenzial des § 13a ErbStG die Bindung des Begünstigten an hinreichend strenge Prüfkriterien, welche die Erreichung der Verschonungsziele sicherstellen und dokumentieren (s. oben 2. f cc (4)). Der Spielraum des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung dieser Bedingungen ist jedoch groß. Es ist von Verfassungs wegen daher nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber in der die Unternehmensführung flexibler als eine starre Arbeitsplatzklausel anleitenden Lohnsumme einen hinreichend zuverlässigen Indikator für den Arbeitsplatzerhalt gesehen hat (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 33, 16/11107, S. 9). Dass § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG bei der Lohnsumme auf eine über den gesamten Lohnsummenzeitraum kumulierte und nicht auf eine jährliche Betrachtung abstellt, unterstreicht die bewusste Entscheidung des Gesetzgebers für eine die unternehmerische Dispositionsbefugnis schonende Regelung, die ihr gleichwohl die Eignung belässt, den Erhalt der Arbeitsplätze in der Summe zu sichern. Diese flexible Ausgestaltung lässt dem Unternehmer Spielraum, um auf betriebliche Bedürfnisse auch in Krisensituationen angemessen reagieren zu können. Sie begegnet so den Einwänden, die der Lohnsumme die Eignung zum Arbeitsplatzerhalt absprechen, weil dieses Instrument betriebsnotwendige Modernisierungs- und Rationalisierungsprozesse verhindere und so kontraproduktiv wirke. Hinzu kommt, dass die Einhaltung der Lohnsumme lediglich Bedingung für die Verschonungsgewährung ist, dem Betriebsinhaber aber nicht die Freiheit der Entscheidung nimmt, ganz oder teilweise (vgl. § 13a Abs. 1 Satz 5 ErbStG) darauf zu verzichten und einer etwaigen Betriebsgefährdung durch die Erbschaft- oder Schenkungsteuer dann gegebenenfalls mit einem Stundungsantrag nach § 28 ErbStG zu begegnen.

212

(b) Weitere Einwände gegen die Berechnungs- und Nachweismodalitäten der Lohnsummenregelung vermögen ihre Verfassungsmäßigkeit ebenfalls nicht in Frage zu stellen, da sie den Gestaltungs- und Typisierungsspielraum verkennen, der dem Gesetzgeber hier zusteht. Die Berechnung der Ausgangslohnsumme aus dem Durchschnitt der letzten fünf vor dem Zeitpunkt der Steuerentstehung endenden Wirtschaftsjahre (vgl. § 13a Abs. 1 Satz 3 ErbStG) soll konjunkturelle Schwankungen ausgleichen (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 33) und Manipulationen vermeiden (vgl. Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 13a Rn. 22 ; Meincke, ErbStG, 16. Aufl. 2012, § 13a Rn. 22) und ist damit sachlich gerechtfertigt.

213

bb) Die Freistellung aller Betriebe mit nicht mehr als 20 Beschäftigten vom Verschonungserfordernis der Lohnsummeneinhaltung verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

214

(1) Die Unterscheidung zwischen Betrieben mit weniger als 20 Beschäftigten und anderen Betrieben bewirkt Ungleichbehandlungen in zweifacher Hinsicht.

215

Nach § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG ist die Einhaltung der Mindestlohnsumme zur Erlangung des Verschonungsabschlags dann nicht geboten, wenn der Betrieb nicht mehr als 20 Beschäftigte hat. Diese Freistellung von der Lohnsummenpflicht privilegiert Erwerber von Betrieben mit wenig Beschäftigten zum einen gegenüber den Erwerbern von Betrieben oder Anteilen davon, die über 20 Arbeitnehmer beschäftigen und deshalb uneingeschränkt an die Lohnsumme gebunden sind, wenn sie den Verschonungsabschlag erhalten wollen. Zum anderen verschärft die Freistellung das Maß der Ungleichbehandlung der dadurch Privilegierten gegenüber den Erwerbern nicht betrieblichen Vermögens, da die durch § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG Begünstigten ohne die einschränkende Verpflichtung zur Einhaltung einer Mindestlohnsumme die Verschonung in Anspruch nehmen können, sofern sie die übrigen Bedingungen erfüllen.

216

(2) Die Privilegierung von Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten verfolgt insbesondere das Ziel der Verwaltungsvereinfachung; sie ist hierfür geeignet und erforderlich.

217

Die Freistellung von der Lohnsummenpflicht soll in erster Linie der Verwaltungsvereinfachung dienen. Nachdem in der Begründung des Regierungsentwurfs zum Erbschaftsteuerreformgesetz für die damals noch auf Betriebe mit nicht mehr als zehn Beschäftigten beschränkte Ausnahme von der Lohnsummenpflicht auf die Harmonisierung mit dem Kündigungsschutzrecht abgehoben worden war (vgl. dazu BTDrucks 16/7918, S. 33), wurde im weiteren Gesetzgebungsverfahren zum Erbschaftsteuerreformgesetz der Verzicht auf die Lohnsummenprüfung mit einer Vermeidung des Bürokratieaufwands für Bürger und Verwaltung begründet (vgl. Empfehlungen der Ausschüsse BRDrucks 4/1/08, S. 3 und S. 4; vgl. auch BRDrucks 4/08 [Beschluss], S. 1). Bei der dann rückwirkend zum 1. Januar 2009 eingeführten Änderung der Freistellungsklausel durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz wurde die Erhöhung auf nicht mehr als 20 Beschäftigte mit einem Hinweis auf die Folgen der weltweiten Wirtschaftskrise begründet, weshalb die Bedingungen der Verschonungsregelung "krisenfest und mittelstandsfreundlicher" ausgestaltet werden sollten, damit diese Betriebe "situationsgerecht auf die jeweilige Marktlage reagieren" könnten (vgl. BTDrucks 17/15, S. 20).

218

Sowohl die Verwaltungsvereinfachung für Behörden und Unternehmen als auch die Flexibilisierung der rechtlichen Rahmenbedingungen zur Förderung kleiner und mittlerer Betriebe sind legitime Ziele. Sie zu verfolgen, steht dem Gesetzgeber frei, ohne dass er mit verfassungsrechtlichen Wertungen oder Vorgaben in Konflikt geriete. Die Erweiterung der Ausnahme von der Lohnsummenpflicht auf Betriebe mit bis zu 20 Beschäftigten ist offensichtlich auch geeignet, dieses Ziel zu erreichen; ein gleich wirksames, zu geringeren Ungleichbehandlungen als beschrieben (s. oben (1)) führendes Mittel ist nicht ersichtlich.

219

(3) Die Regelung genügt jedoch nicht den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Erwerber von Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten werden durch die Freistellung von der Einhaltung der Mindestlohnsumme gegenüber den Erwerbern nicht begünstigten Vermögens unverhältnismäßig privilegiert. Die Regelung benachteiligt zudem unverhältnismäßig die Erwerber begünstigten Vermögens mit mehr als 20 Beschäftigten in den übertragenen Betrieben, welche die Mindestlohnsumme einhalten müssen, um den Verschonungsabschlag zu erlangen.

220

(a) Der Bundesfinanzhof hat in seinem Vorlagebeschluss eine Überprivilegierung der Erwerber begünstigten Vermögens gegenüber den Erwerbern nicht betrieblichen Vermögens vor allem deshalb angenommen, weil weit über 90 % aller Betriebe in Deutschland nicht mehr als 20 Beschäftigte aufwiesen und damit die Lohnsummenregelung im Regelfall für die steuerliche Verschonung nach §§ 13a und 13b ErbStG keine Rolle spiele. Dem wird, auch in verschiedenen in diesem Verfahren abgegebenen Stellungnahmen, entgegengehalten, dass über 80 % der Beschäftigten im Jahr 2008 in Betrieben tätig gewesen seien, für welche die Lohnsummenregelung Anwendung finde, und dass außerdem die größten Unternehmen, die weniger als 1 % aller Unternehmen ausmachten, rund 65 % der gesamten steuerbaren Unternehmensumsätze erwirtschafteten. Dieser Einwand geht an der Regelungskonzeption der §§ 13a und 13b ErbStG vorbei, indem er bei der Lohnsummenregelung statt der vom Gesetz vorgegebenen unternehmensbezogenen eine gesamtwirtschaftliche Betrachtung einnimmt. Die Verschonungsregelung soll für den Erwerber eines konkreten Unternehmens einen Anreiz setzen, die Arbeitsplätze in diesem Unternehmen zu erhalten. Dementsprechend kommt es auf die Verhältnisse in den konkreten Unternehmen und die Zahl der durch die Lohnsummenregelung erfassten Unternehmen, nicht hingegen auf den Anteil der dort Beschäftigten an der Gesamtzahl aller Beschäftigten an.

221

(b) Mit der Freistellung von der Einhaltung der Lohnsumme in § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG verzichtet der Gesetzgeber auf ein wesentliches Instrument zur Sicherstellung des für die Legitimierung der Verschonungsregelung elementaren Förderzwecks, nämlich den Erhalt der Arbeitsplätze. Die Erreichung dieses Ziels mit hinreichend wirkungsvollen Mitteln zu gewährleisten, ist der Gesetzgeber angesichts des Umfangs möglicher Verschonung von Verfassungs wegen verpflichtet (s. oben 2. f cc (4)).

222

In den Fällen, in denen der Betriebsnachfolger die Lohnsummen nach § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG nicht einhalten muss, um in den Genuss der Erbschaftsteuerverschonung zu gelangen, ist das Erreichen eines der zentralen Ziele der Verschonungsregelung jedenfalls nicht normativ abgesichert. Zwar müssen die Betriebsnachfolger auch ohne Lohnsummenbindung die Behaltensfrist nach § 13a Abs. 5 oder Abs. 8 Nr. 2 ErbStG einhalten, um den Verschonungsabschlag zu erhalten. Dies mag in vielen Fällen auch den Erhalt der Arbeitsplätze in den fortgeführten Betrieben sichern. Der Arbeitsplatzabbau ist in diesen Fällen aber jedenfalls nicht durch den Wegfall der Verschonung rechtlich sanktioniert.

223

Der Verzicht auf die Arbeitsplatzsicherung durch die Lohnsummenklausel in einer so großen Zahl von Fällen, wie sie durch die Freistellung von Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten erreicht wird, schwächt die rechtliche Absicherung zur Erreichung des Ziels der Arbeitsplatzerhaltung in ganz erheblichem Umfang. Hinreichend tragfähige Gründe, die es rechtfertigen könnten, von der Lohnsummenregel in einem solchen Ausmaß abzusehen, sind nicht ersichtlich. Insbesondere vermögen die mit der Freistellungsklausel verfolgten Ziele der Verwaltungsvereinfachung und Flexibilisierung diese Rechtfertigungsleistung ebenso wenig zu erbringen wie die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers.

224

(aa) Das gesetzgeberische Ziel, Unternehmen und Finanzverwaltung von dem Verwaltungsaufwand zu entlasten, der mit dem Nachweis der Einhaltung der Mindestlohnsumme, zumal über den beträchtlichen Zeitraum von fünf oder sieben Jahren, und ihrer Kontrolle nicht unerheblich ist, vermag zwar Ungleichbehandlungen in gewissem Umfang zu rechtfertigen. Die Freistellung von über 90 % aller Betriebe von der Verpflichtung zur Einhaltung der Mindestlohnsumme entzieht der Verschonungsregelung jedoch ihrerseits ein zentrales Rechtfertigungselement mit weitreichenden Folgen. Betriebe können danach fast flächendeckend den Verschonungsabschlag ohne Rücksicht auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen beanspruchen. Auf der anderen Seite ist der mit dem Nachweis und der Kontrolle der Mindestlohnsumme verbundene Verwaltungsaufwand nicht so hoch, wie teilweise geltend gemacht. Betriebe mit Arbeitnehmern müssen - wie auch der Bundesfinanzhof in dem Vorlagebeschluss hervorhebt - bereits unabhängig von Verpflichtungen oder Obliegenheiten aus dem Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht unter anderem aus arbeits-, ertragsteuer- und sozialversicherungsrechtlichen Gründen eine Lohnbuchhaltung führen. Ein Nachweis der Entwicklung der Lohnsummen dürfte danach auch kleineren Unternehmen ohne größeren zusätzlichen Aufwand möglich und damit zumutbar sein. Die Finanzämter müssen die Entwicklung der Betriebe bereits im Hinblick auf die Behaltensregelungen in § 13a Abs. 5 ErbStG überwachen. Eine zusätzliche Überwachung der Entwicklung der Lohnsummen dürfte keine verfassungsrechtlich erhebliche Steigerung des Bürokratieaufwands bei den Finanzämtern mit sich bringen. Gemessen an der großen Zahl der betroffenen Betriebe und der erheblichen Bedeutung des Verzichts auf das Einhalten der Mindestlohnsumme im Rahmen des Verschonungsabschlags überschreitet der Gesetzgeber mit der Freistellungsklausel in § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG seinen Gestaltungsspielraum.

225

(bb) Die großzügige Freistellung von der Lohnsummenpflicht kann auch nicht mit dem in den Gesetzesmaterialien ursprünglich dafür ins Feld geführten Bestreben gerechtfertigt werden, eine Harmonisierung mit den Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes herbeizuführen, das für Betriebe mit bis zu zehn Arbeitnehmern nach dessen § 23 Abs. 1 Satz 3 in wesentlichen Teilen nicht gilt. Es entbehrt zwar nicht einer gewissen Plausibilität, dass die mit der Freistellung kleiner Betriebe von Beschränkungen durch das Kündigungsschutzgesetz beabsichtigte Entlastung nicht durch den von der Lohnsummenregelung ausgehenden mittelbaren Zwang, Arbeitnehmer im Betrieb zu halten, konterkariert werden soll. Da es aber gerade eines der erklärten und zentralen Ziele der Verschonungsregelung ist, über die Lohnsummenbindung den Beschäftigtenstand eines Betriebs in der Summe zu halten, muss dieses Ziel nicht allein deswegen zurücktreten, um einen Gleichklang mit der Freistellung von den Bindungen des Kündigungsschutzgesetzes zu erhalten, zumal die Lohnsummenregelung ohnehin Kündigungen nicht ausschließt. Mit der Erweiterung der Befreiung des § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG auf Betriebe mit bis zu 20 Beschäftigten wurde die Anknüpfung an das Kündigungsschutzgesetz schließlich völlig aufgegeben. Es bleibt ausweislich der Begründung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags (s. oben (2)) allein das Ziel, die Flexibilität dieser Betriebe zu erhalten. Eine Privilegierung des beschriebenen Ausmaßes kann damit nicht gerechtfertigt werden.

226

(cc) Auch die Typisierungs- und Pauschalierungsbefugnisse des Gesetzgebers rechtfertigen die großzügige Befreiung von der Lohnsummenpflicht nicht.

227

Das Bundesverfassungsgericht erkennt zwar in ständiger Rechtsprechung als besondere sachliche Gründe für Ungleichbehandlungen im Rahmen steuergesetzlicher Be- und Entlastungsentscheidungen Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse an (vgl. nur BVerfGE 127, 224 <246> m.w.N.). Die Grenze einer zulässigen Typisierung ist aber dann überschritten, wenn die typisierende Vereinfachungsregelung dazu führt, dass die vom Gesetzgeber getroffene Entlastungsentscheidung in ihrem Regel-Ausnahme-Verhältnis in ihr Gegenteil verkehrt wird.

228

Das ist hier der Fall. Die Anwendung des § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG hat zur Konsequenz, dass die Lohnsummenregelung nur noch bei einem sehr geringen Teil der erbschaft- und schenkungsteuerbaren Unternehmensübergänge anwendbar ist. Es ist also nur noch ausnahmsweise bei einem Betriebsübergang die steuerliche Verschonung vom Arbeitsplatzerhalt abhängig. Der Arbeitsplatzerhalt sollte aber die wesentliche Bedingung für die Steuerbefreiung darstellen (s. oben 2. f cc (4)).

229

(c) Eine Freistellung von der Einhaltung der Mindestlohnsumme kann allerdings gerechtfertigt sein, soweit sie auf eine relativ kleine Gruppe von Betriebsübergängen begrenzt und diese Gruppe zudem so umschrieben wird, dass das Bedürfnis für eine solche Freistellung ein besonderes Gewicht besitzt. Das mag insbesondere dann der Fall sein, wenn die betroffenen Betriebe über eine so geringe Zahl an Beschäftigten verfügen, dass schon einzelne unkalkulierbare Wechsel in der Belegschaft - die sich über einen so langen Zeitraum, wie ihn die Lohnsummenfrist vorsieht, kaum völlig vermeiden lassen - die Einhaltung der Mindestlohnsumme ausschließen oder weitgehend unmöglich machen. Sofern der Gesetzgeber bei der Behebung der auch in anderem Zusammenhang festgestellten Gleichheitsverstöße im Grundsatz an dem gegenwärtigen Verschonungskonzept für die Besteuerung der Unternehmensnachfolge festhält, wird er die Freistellung von der Lohnsummenpflicht auf Betriebe mit einigen wenigen Beschäftigten begrenzen müssen.

230

c) Die Bestimmung über die Behaltensfrist in § 13a Abs. 5 ErbStG (im Falle der Vollverschonung § 13a Abs. 8 Nr. 2 ErbStG) ist im Grundsatz mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Der Senat teilt insoweit nicht die Auffassung des Bundesfinanzhofs, der die Behaltensfrist von fünf Jahren und im Falle der Vollverschonung von sieben Jahren angesichts des potentiellen Verschonungsumfangs für unangemessen kurz und den nur anteiligen Wegfall des Verschonungsabschlags bei vorzeitiger Betriebsveräußerung für zu großzügig hält. Der Gesetzgeber bewegt sich mit den beschriebenen Behaltensfristen im Rahmen seines Gestaltungsspielraums, zumal die Behaltensfrist in der Regel durch Lohnsummenregelung und Verwaltungsvermögenstest angemessen anspruchsvoll ergänzt wird. Unzulänglichkeiten in der Ausgestaltung dieser Instrumente führen jeweils dort zu Unvereinbarkeiten mit Art. 3 Abs. 1 GG (s. oben b bb und nachfolgend d), lassen aber die Verfassungsmäßigkeit der Behaltensfrist selbst unberührt. Einzelheiten zur Bestimmung schädlicher Verfügungen über das übergegangene unternehmerische Vermögen im Sinne des § 13a Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 bis 5 ErbStG wurden vom Bundesfinanzhof nicht für verfassungswidrig gehalten; der Senat sieht keinen Anlass, sie gleichwohl einer gesonderten verfassungsgerichtlichen Kontrolle zu unterziehen.

231

d) Die Regelung über das Verwaltungsvermögen in § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG ist nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, weil sie bei Vorliegen der übrigen Förderbedingungen die Erwerber von begünstigtem Vermögen selbst dann insgesamt in den Genuss des Verschonungsabschlags gelangen lässt, wenn es bis zu 50 % aus vom Gesetz als grundsätzlich nicht förderungswürdig angesehenem Verwaltungsvermögen besteht, ohne dass hierfür ein hinreichend tragfähiger Rechtfertigungsgrund erkennbar ist.

232

aa) Die Bestimmung über das Verwaltungsvermögen führt zu Ungleichbehandlungen in verschiedener Hinsicht.

233

(1) Die Inanspruchnahme des Verschonungsabschlags für begünstigtes Vermögen im Sinne des § 13b Abs. 1 ErbStG setzt neben der Einhaltung von Mindestlohnsumme und Behaltensfrist voraus, dass das erworbene Vermögen zu nicht mehr als 50 % aus Verwaltungsvermögen besteht (§ 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG).

234

Nach der gesetzlichen Grundentscheidung - also abgesehen von den mehrfach vorhandenen tatbestandlichen Erweiterungen, Ausnahmen und Gegenausnahmen - gehören zum Verwaltungsvermögen Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke, Kapitalgesellschaftsanteile unterhalb der Mindestbeteiligungsgrenze, Beteiligungen an gewerblichen oder freiberuflichen Personengesellschaften sowie Kapitalgesellschaftsanteile oberhalb der Mindestbeteiligungsgrenze, wenn bei diesen Gesellschaften das Verwaltungsvermögen mehr als 50 % beträgt, Wertpapiere und vergleichbare Forderungen sowie schließlich Kunstgegenstände und andere primär nicht betrieblich genutzte Objekte (vgl. § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 5 ErbStG; s. auch oben A. I. 1. d bb). Finanzmittel wie Geld oder Geschäftsguthaben zählten in dem für das Ausgangsverfahren des Vorlagebeschlusses maßgeblichen Jahr 2009 nach der Auslegung des Bundesfinanzhofs nicht zum Verwaltungsvermögen (zur Neuregelung im Jahr 2013 s. unten e dd).

235

Besteht an sich begünstigtes Vermögen zu mehr als 50 % aus Verwaltungsvermögen (bei der optionalen Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 Nr. 3 ErbStG zu mehr als 10 %), dann ist gemäß § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG der Erwerb insgesamt nicht begünstigt und zwar auch nicht insoweit, als das Vermögen nicht aus Verwaltungsvermögen besteht. Es kommt dann keine der Begünstigungen zur Anwendung; weder der Verschonungsabschlag nach § 13a Abs. 1 ErbStG, noch der Abzugsbetrag nach § 13a Abs. 2 ErbStG und auch nicht die Tarifermäßigung nach § 19a ErbStG können beansprucht werden. Liegt der Anteil des Verwaltungsvermögens am begünstigungsfähigen Vermögen dagegen bei höchstens 50 %, ist der gesamte Erwerb, einschließlich des Verwaltungsvermögens, begünstigt. In diesem Fall ist allerdings noch in einem weiteren Schritt gemäß § 13b Abs. 2 Satz 3 ErbStG zu prüfen, ob im Verwaltungsvermögen auch "junges Verwaltungsvermögen" enthalten ist, das dem Betrieb zum Besteuerungszeitpunkt weniger als zwei Jahre zugehört (§ 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG). Es ist für sich genommen nicht begünstigungsfähig, beeinträchtigt aber nicht die Verschonungsvoraussetzungen für das übrige begünstigungsfähige Vermögen. Überschreitet also das Verwaltungsvermögen einschließlich des jungen Verwaltungsvermögens insgesamt nicht den Anteil von 50 % am gemeinen Wert des Betriebs, liegt nur hinsichtlich des jungen Verwaltungsvermögens nicht begünstigtes Vermögen vor.

236

(2) Diese Regelung über das Verwaltungsvermögen nach § 13b Abs. 2 ErbStG führt zum einen zu einer Ungleichbehandlung zwischen Erwerbern von begünstigtem Vermögen, das bis zu 50 % aus eigentlich nicht begünstigungswürdigem Verwaltungsvermögen besteht und gleichwohl mit einem vollen Verschonungsabschlag bedacht wird, und den Erwerbern begünstigten Vermögens, das zu über 50 % aus Verwaltungsvermögen besteht und überhaupt nicht begünstigt wird. Zum anderen verschärft die Regelung über das Verwaltungsvermögen die hinter der Verschonung stehende Grundunterscheidung zwischen begünstigtem betrieblichen und nicht begünstigtem nichtbetrieblichen Vermögen dadurch, dass beim Übergang grundsätzlich begünstigten (Betriebs-)Vermögens in erheblichem Umfang nach dieser Grundentscheidung eigentlich nicht begünstigungsfähiges Vermögen wie betriebliches gefördert wird.

237

bb) Die Kontrolle dieser gesetzgeberischen Differenzierung anhand des Art. 3 Abs. 1 GG folgt einem im Grundsatz großzügigen Maßstab, ohne jedoch bei einer bloßen Willkürkontrolle stehen zu bleiben. Die Bestimmung betrifft Einzelheiten der erbschaftsteuerlichen Behandlung des unentgeltlichen Unternehmensübergangs, bei der dem Gesetzgeber ein großer Ausgestaltungsspielraum zukommt. Andererseits kann die durch die 50 %-Regel des § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG bewirkte Ungleichbehandlung ein jeweils sehr erhebliches Ausmaß erreichen, weil der bei Einhaltung der Grenze geförderte Anteil von Verwaltungsvermögen am begünstigten Vermögen einerseits und der bei Überschreiten dieser Grenze nicht geförderte Anteil an eigentlich begünstigungsfähigem Vermögen andererseits mit jeweils bis zu 50 % in seiner Relation zum Gesamtbetriebsvermögen sehr groß und in der absoluten Höhe nicht begrenzt ist. Die Ungleichbehandlung ist danach potentiell gravierend, was einen großzügigeren Kontrollmaßstab ausschließt.

238

cc) Die sich aus der Verwaltungsvermögensregelung ergebenden Ungleichbehandlungen dienen legitimen Zielen. Mit der Bestimmung über das Verwaltungsvermögen will der Gesetzgeber überwiegend vermögensverwaltende Betriebe von der Verschonung ausnehmen, weil "Vermögen, das in erster Linie der weitgehend risikolosen Renditeerzielung dient und in der Regel weder die Schaffung von Arbeitsplätzen noch zusätzliche volkswirtschaftliche Leistungen bewirkt," nicht begünstigt werden soll (Begründung des Regierungsentwurfs zum Erbschaftsteuerreformgesetz BTDrucks 16/7918, S. 35 f.). Durch die nähere Umschreibung des danach als nicht förderungswürdig angesehenen Verwaltungsvermögens in § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG sollen zudem steuerliche Gestaltungen nach Möglichkeit ausgeschlossen werden, mit denen Steuerpflichtige Gegenstände, die üblicherweise in Form der privaten Vermögensverwaltung gehalten werden, wie etwa vermietete und verpachtete Grundstücke und Gebäude, Minderbeteiligungen an Kapitalgesellschaften oder Wertpapiere, ihrem Gewerbebetrieb als begünstigtes Betriebsvermögen zuordnen (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 35).

239

Die mit den Bestimmungen über das Verwaltungsvermögen verfolgten Ziele, grundsätzlich nur produktives Vermögen in dem dort umschriebenen Sinn zu fördern und Umgehungsstrategien zu unterbinden, sind legitim. Sie stehen im Einklang mit den Hauptzielen der Verschonungsregelung, den Bestand von in personaler Verantwortung geführten Betrieben in Deutschland zu erhalten und Arbeitsplätze trotz eines erbfallbedingten Wechsels des Betriebsinhabers zu sichern, und helfen zugleich, die Steuerentlastung hierauf zu konzentrieren, indem sie die Förderung nicht förderungswürdigen Vermögens zu vermindern suchen. Damit dient die Regelung über das Verwaltungsvermögen auch der Rechtfertigung der Grundunterscheidung zwischen begünstigtem und nicht begünstigtem Vermögen.

240

dd) Die Verwaltungsvermögensregelung ist zur Erreichung der vom Gesetzgeber verfolgten Ziele geeignet und erforderlich. Die Bestimmungen über das Verwaltungsvermögen sind im Grundsatz - ohne dass es insoweit auf Einzelheiten der Zuordnung bestimmter Vermögensbestandteile zum Verwaltungsvermögen im Sinne von § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG ankommt - geeignet, die damit verfolgten Ziele zu fördern. Mit der genauen normativen Umschreibung des Verwaltungsvermögens legt der Gesetzgeber fest, welche Vermögensbestandteile eines Betriebs er trotz Betriebszugehörigkeit für nicht förderungswürdig - weil nicht produktiv - und damit im Sinne eines der zentralen Ziele der Verschonungsregelung für nicht arbeitsplatzerhaltend hält. Hierbei steht ihm ein weiter Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zu. Indem der Gesetzgeber betriebliches Vermögen ab einem gewissen Anteil von Verwaltungsvermögen nicht mehr als förderungswürdig ansieht, auch wenn es Teil von begünstigtem Vermögen im Sinne des § 13b Abs. 1 ErbStG ist, wirkt er steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten und der vom Bundesfinanzhof in seinem Vorlagebeschluss kritisierten Privilegierung von Betriebsinhabern gegenüber Personen, die keine Betriebe besitzen, entgegen, die darin liegt, dass nur sie dazu in der Lage sind, der privaten Lebensführung dienende Vermögensgegenstände in Betriebsvermögen zu überführen (vgl. auch BTDrucks 16/7918, S. 35).

241

ee) Der Verwaltungsvermögensregelung fehlt es jedoch an der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne.

242

(1) Die mit dem Ausschluss des Verwaltungsvermögens von der Erbschaftsteuerverschonung verbundene Ungleichbehandlung gegenüber der Privilegierung begünstigten Vermögens ist allerdings im Grundsatz angemessen. Die Beschränkung der Steuerverschonung auf vom Gesetzgeber als förderungswürdig, weil produktiv und arbeitsplatzerhaltend angesehenes Vermögen und dessen präzise Festlegung zur Vermeidung unerwünschter steuerlicher Gestaltungen ruht im Ausgangspunkt auf hinreichend tragfähigen Rechtfertigungsgründen. Es ist nicht unangemessen, sondern dient im Gegenteil einer gerechten Differenzierung, das vom Gesetzgeber im Rahmen seines insoweit großen Einschätzungsspielraums als - gemessen an den Zielen der Verschonungsregelung - nicht förderungswürdig erkannte Vermögen von der steuerlichen Begünstigung auszunehmen.

243

(2) Die durch die Regelung über das Verwaltungsvermögen geschaffene Ungleichbehandlung ist jedoch unverhältnismäßig, soweit sie begünstigtes Vermögen im Sinne des § 13b Abs. 1 ErbStG mit einem Anteil von bis zu 50 % Verwaltungsvermögen insgesamt in den Genuss von Verschonungsabschlag, Abzugsbetrag (§ 13a Abs. 2 ErbStG) und Tarifbegrenzung (§ 19a ErbStG) gelangen lässt. Dadurch werden die Erwerber von begünstigtem Vermögen, das zu über 50 % aus Verwaltungsvermögen besteht und damit insgesamt aus der steuerlichen Verschonung herausfällt, unangemessen schlechter gestellt. Ein hinreichend tragfähiger Rechtfertigungsgrund für eine derart großzügige Einbeziehung vom Gesetz selbst als eigentlich nicht förderungswürdig angesehener Vermögensbestandteile ist vom Gesetzgeber nicht aufgezeigt und auch nicht erkennbar. Entsprechend führt die umfängliche Einbeziehung von bis zu 50 % Verwaltungsvermögen in die steuerliche Förderung im Vergleich zu den Erwerbern von Vermögen, das nicht begünstigt und generell vom Verschonungsabschlag ausgenommenen ist - also von nichtbetrieblichem Vermögen im weiteren Sinne - zu einer unverhältnismäßigen Privilegierung der Erwerber begünstigten Vermögens mit einem so hohen Anteil an Verwaltungsvermögen.

244

(a) Ausgehend davon, dass der Gesetzgeber das in § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG umschriebene Verwaltungsvermögen für grundsätzlich nicht förderungswürdig hält, ist nicht erkennbar, inwieweit die überschießende Wirkung der 50 %-Regelung des § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG dem Ziel dienen kann, die Verschonung auf förderungswürdiges Vermögen zu begrenzen und nicht förderungswürdiges Vermögen davon auszuschließen. Die Verschonung von 50 % an sich nicht begünstigungsfähigem Verwaltungsvermögen, weil dessen Anteil am Gesamtbetriebsvermögen nicht mehr als die Hälfte beträgt, ist ebenso wenig plausibel wie die Nichtverschonung bis zur Hälfte an sich begünstigungsfähigen betrieblichen Vermögens, weil das Gesamtbetriebsvermögen zu über 50 % aus Verwaltungsvermögen besteht. Allein der erklärte Wille des Gesetzgebers, dass "überwiegend vermögensverwaltende Betriebe … allgemein von den Verschonungen ausgenommen bleiben" sollten (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 35), vermag diese Diskrepanz sachlich nicht zu begründen. Das gesetzgeberische Ziel, Verwaltungsvermögen grundsätzlich von der Verschonung auszunehmen und steuerliche Gestaltungen zu unterbinden, wäre mit der Begrenzung des Förderungsausschlusses auf den jeweils festgestellten Anteil an Verwaltungsvermögen ohne solche Verwerfungen zu erreichen. Hinweise darauf, weshalb der Gesetzgeber billigend in Kauf nimmt, dass Verwaltungsvermögen, welches nach der Zielrichtung des Gesetzes gerade nicht begünstigt sein soll, dann doch in diesem Umfang privilegiert wird, finden sich in den Gesetzesmaterialien nicht.

245

Die Regelung in § 13b Abs. 2 Satz 3 ErbStG über das sogenannte junge Verwaltungsvermögen vermag zwar den Effekt der unangemessenen Überbegünstigung von Verwaltungsvermögen zu vermindern, schließt ihn aber, weil älteres Verwaltungsvermögen davon nicht erfasst wird, nicht aus. An der unverhältnismäßigen Schlechterstellung an sich förderungswürdigen Vermögens im Sinne des § 13b Abs. 1 ErbStG bei Überschreitung der 50 %-Schwelle durch Verwaltungsvermögen ändert die Klausel über junges Verwaltungsvermögen ohnehin nichts.

246

(b) Soweit die Regelung zum Verwaltungsvermögen das Ziel verfolgt, steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten in Bezug auf die Verlagerung von Vermögensgegenständen von der privaten in die betriebliche Vermögenssphäre zu unterbinden, vermag die 50 %-Regel dieses Ziel nur ungenügend zu fördern. Jedenfalls soweit ein Verwaltungsvermögensanteil von bis zu 50 % am Gesamtbetriebsvermögen begünstigt wird, schränkt die Bestimmung steuerliche Gestaltungen nicht ein. Die ausdrückliche Berücksichtigung von Verwaltungsvermögen bei der Verschonung in diesem doch erheblichen Umfang dürfte im Gegenteil die Verlagerung von privatem in betriebliches Vermögen innerhalb dieses 50 %-Sektors eher begünstigen. Erst jenseits der 50 %-Grenze unterbindet das Gesetz steuerliche Gestaltungen effektiv.

247

Die Regelung über junges Verwaltungsvermögen in § 13b Abs. 2 Satz 3 ErbStG dämpft zwar den Anreiz solcher Vermögensverlagerungen, indem kurzfristige Vermögensverschiebungen in das Betriebsvermögen in jedem Fall von den Begünstigungen ausgeschlossen sind. An der Unzulänglichkeit der 50 %-Regel im Hinblick auf steuerliche Gestaltungen im Übrigen ändert dies allerdings nichts.

248

(c) Die 50 %-Regel kann schließlich auch nicht mit Typisierungs- oder Pauschalierungserwägungen gerechtfertigt werden, zumal sie in einem Wertungswiderspruch zu der in § 13b Abs. 4 ErbStG angeordneten 15 %-Typisierung steht.

249

Ein spürbarer Verwaltungsvereinfachungseffekt durch die in der Festlegung zum Ausdruck kommende Typisierung, dass bei der Regelverschonung das begünstigte betriebliche Vermögen bis zu 50 % aus nicht betriebsnotwendigem Vermögen bestehen kann, ist nicht erkennbar. Zur Beantwortung der nach § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG maßgeblichen Frage, ob das begünstigte Vermögen zu mehr als 50 % aus Verwaltungsvermögen besteht, ist der Anteil des Verwaltungsvermögens am begünstigungsfähigen Vermögen ohnehin zu ermitteln (vgl. die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Anwendung des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts R E 13b.8 Abs. 1 ErbStR 2011).

250

Auch soweit der 50 %-Regel in § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG ein gewisser Verwaltungsvereinfachungseffekt dergestalt zugebilligt werden kann, dass bei eindeutig unterhalb der 50 %-Grenze liegenden Verwaltungsvermögensanteilen keine genauere rechnerische Zuordnung zu den konkreten Verwaltungsvermögenskategorien erfolgen muss, geht die damit verbundene Typisierung über das Maß an Ungleichbehandlung hinaus, das eine Typisierung im Grundsatz rechtfertigen kann. Steuergesetze betreffen in der Regel Massenvorgänge des Wirtschaftslebens. Sie müssen, um praktikabel zu sein, Sachverhalte, an die sie dieselben steuerrechtlichen Folgen knüpfen, typisieren und dabei in weitem Umfang die Besonderheiten des einzelnen Falles vernachlässigen. Die wirtschaftlich ungleiche Wirkung auf die Steuerzahler darf allerdings ein gewisses Maß nicht übersteigen. Vielmehr müssen die steuerlichen Vorteile der Typisierung im rechten Verhältnis zu der mit der Typisierung notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen (vgl. BVerfGE 120, 1 <30>; 122, 210 <231 ff.>; 126, 268 <278 f.>; 127, 224 <246>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 25. Juni 2014 - 1 BvR 668/10 und 2104/10 -, juris, Rn. 50).

251

Gemessen daran erweist sich die mit der 50 %-Typisierung verbundene Ungleichbehandlung als unverhältnismäßig. Die Regelung führt einerseits dazu, dass begünstigtes Vermögen, das nur bis zu einem Anteil von knapp unter 50 % die Begünstigungsvoraussetzungen erfüllt, insgesamt nicht steuerlich privilegiert wird. Andererseits lässt sie zu, dass in erheblichem Umfang Gegenstände der privaten Vermögensverwaltung dem begünstigten Vermögen "gewillkürt" zugeordnet werden können, welche dann nach Ablauf von zwei Jahren bis zum Wert des "echten" Betriebsvermögens ebenfalls begünstigt sind. Diese in ihrem prozentualen Umfang massiven und in der absoluten Höhe nicht begrenzten Ungleichheiten können nicht mit dem Hinweis auf verwaltungsvereinfachende Zuordnungserleichterungen gerechtfertigt werden, zumal nicht erkennbar ist, weshalb ein solcher Vereinfachungseffekt eine Pauschalierung in dieser Größenordnung erfordert.

252

Schließlich ist die in der 50 %-Regel des § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG zum Ausdruck kommende Typisierung nicht mit der in § 13b Abs. 4 ErbStG erfolgten Typisierungsentscheidung des Gesetzgebers in Einklang zu bringen. Der Bestimmung des § 13b Abs. 4 ErbStG liegt die Annahme zugrunde, dass jedes Unternehmen über nicht begünstigungsfähiges Verwaltungsvermögen im Umfang von 15 % des gesamten Betriebsvermögens verfügt. Die Begründung des Regierungsentwurfs zum Erbschaftsteuerreformgesetz spricht insoweit ausdrücklich von einer typisierenden pauschalierten Festlegung des begünstigten Betriebsvermögens auf 85 %. Sie geht davon aus, dass in den zu übertragenden Betrieben regelmäßig Vermögenspositionen vorhanden sein werden, die nicht dem originär betrieblichen Bereich zuzuordnen sind (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 36). Mit dieser Typisierungsentscheidung des Gesetzgebers in § 13b Abs. 4 ErbStG ist die 50 %-Typisierung in § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG nicht vereinbar. Geht der Gesetzgeber in § 13b Abs. 4 ErbStG davon aus, dass jedes Unternehmen nicht begünstigungsfähiges Verwaltungsvermögen im Umfang von 15 % des gesamten Betriebsvermögens hat, welches von der Begünstigung ausgeschlossen sein soll, dann ist es nicht erklärbar, weshalb nach § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG auch noch mehr als der dreifache Wert ohne weiteres als Folge einer Typisierungsregelung begünstigungsunschädlich übertragen werden kann (vgl. auch Blum, Bewertungsgleichmaß und Verschonungsregelungen, 2012, S. 211). Es erschließt sich zudem nicht, aus welchem Sachgrund der Gesetzgeber bei der optionalen Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 Nr. 4 ErbStG seine pauschalierte Annahme aufgibt, dass in jedem Betrieb ein Verwaltungsvermögensanteil von 15 % vorhanden ist und vollständig auf eine Besteuerung verzichtet.

253

e) Soweit das Gesetz besondere steuerliche Gestaltungen zulässt, die zu nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlungen führen, verstößt schon die gesetzliche Regelung gegen Art. 3 Abs. 1 GG (aa). Dies ist insbesondere der Fall bei Gestaltungen zur Ausnutzung der Befreiung von der Lohnsummenpflicht (bb), bei der Nutzung der 50 %-Regel des § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG für das Verwaltungsvermögen in Konzernstrukturen (cc) und bei Gestaltungen mit sogenannten Cash-Gesellschaften (dd).

254

aa) Steuergesetze, die entgegen ihrer Zwecksetzung steuermindernde Gestaltungen in erheblichem Umfang zulassen, können von Anfang an verfassungswidrig sein. Lässt ein Steuergesetz Gestaltungen durch den Steuerpflichtigen zu, die zu Steuerminderbelastungen führen, wie sie vom Gesetz erkennbar nicht bezweckt und gleichheitsrechtlich nicht zu rechtfertigen sind, erweist es sich insoweit als von Anfang an verfassungswidrig. Gerade im Steuerrecht ist das Bestreben verbreitet und im Grundsatz auch hinzunehmen (vgl. BVerfGE 9, 237 <249 f.>), die eigenen Rechtsverhältnisse im Rahmen der Privatautonomie so auszugestalten, dass Steuererleichterungen durch entsprechende Gestaltung der relevanten Tatbestandsmerkmale nach Möglichkeit in Anspruch genommen, oder in entsprechender Weise Steuerbelastungen vermieden werden. Sofern solche Gestaltungen keinen Missbrauch im Sinne von § 42 AO darstellen, sind sie zulässig und zu berücksichtigen. Sie können allerdings die Wirkung der jeweiligen gesetzlichen Regelung, die Anlass und Ziel dieser Gestaltung ist, in einer Weise einengen - bei steuerbegründenden Normen - oder ausdehnen - bei Steuerbefreiungen -, dass der Gesetzeszweck seine Tauglichkeit als Rechtfertigungsgrund einer Ungleichbehandlung verliert. Relevanz für die Gültigkeit einer Norm erlangen steuerliche Gestaltungen allerdings nur, wenn sie nicht ersichtlich auf den atypischen Einzelfall beschränkt sind; unerwünschte, wenn auch nicht rechtsmissbräuchliche Gestaltungen im Einzelfall berühren die Verfassungsmäßigkeit einer Norm nicht.

255

Ob der Gesetzgeber diese nach der Intention des Gesetzes unerwünschten Gestaltungen vorhersehen konnte, ist dabei unerheblich. Sofern sie durch die Fachgerichte nicht als missbräuchliche Gestaltungen im Sinne des § 42 AO sanktioniert werden, ist das Gesetz auch unter Berücksichtigung solcher Anwendungsmöglichkeiten Gegenstand verfassungsgerichtlicher Überprüfung. Die Finanzgerichte sind allerdings bei der Auslegung und Anwendung des § 42 AO nach Möglichkeit gehalten, mit Hilfe dieser Bestimmung über den Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten im Steuerrecht solchen Gestaltungspraktiken entgegen zu wirken, die sonst zur Verfassungswidrigkeit einer Norm führen (vgl. BVerfGE 22, 156 <161>; 29, 104 <118>). Die Erkennbarkeit und Vorhersehbarkeit derartiger zur Verfassungswidrigkeit der Norm führender Gestaltungen kann allerdings bei der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Folgen des festgestellten Verfassungsverstoßes, insbesondere im Hinblick auf die Anordnung einer zeitweisen Weitergeltung der Regelung berücksichtigt werden.

256

bb) §§ 13a und 13b ErbStG sind gleichheitswidrig, soweit sie die vom Bundesfinanzhof beanstandete Gestaltung zur Umgehung der Lohnsummenpflicht zulassen. Indem § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG es zulässt, dass durch vorherige Teilung des durch Schenkung oder Vererbung übertragenen Betriebs die Bindung an die Lohnsumme umgangen wird, obwohl der Betrieb ursprünglich über 20 Beschäftigte hatte, verstößt die Vorschrift gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

257

Bereits die Freistellung von Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten von der Pflicht zur Einhaltung der Mindestlohnsumme hat sich als unverhältnismäßige Privilegierung erwiesen (s. oben b bb (3)). Dies gilt erst recht, soweit § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG Gestaltungen zulässt, welche die unentgeltliche Übertragung von Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten ohne Einhaltung der Lohnsummenvorschrift ermöglichen. Dadurch wird die bereits für den gesetzlichen Regelfall festgestellte Unangemessenheit der Benachteiligung von Erwerbern betrieblichen Vermögens, die an die Lohnsumme gebunden sind, und von Erwerbern nicht begünstigten Vermögens verstärkt, deren Belastung mit der Erbschaftsteuer im Verhältnis zu den davon Verschonten noch weniger gerechtfertigt ist, wenn diese ohne hinreichende Rechtfertigung von der Einhaltung der Lohnsummenvorschrift freigestellt werden.

258

Der Bundesfinanzhof beanstandet in seinem Vorlagebeschluss, dass das Gesetz Gestaltungen offen stehe, die es in vielen Fällen ermöglichten, den Verschonungsabschlag auch bei Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten zu erhalten, ohne dass es für sie auf die Entwicklung der Lohnsummen und damit auch nicht auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen in dem Zeitraum nach dem Erwerb ankomme (vgl. BFHE 238, 241 <276 Rn. 145 ff.>). Er führt dazu als Gestaltungsbeispiel an, dass ein Betrieb mit mehr als 20 Beschäftigten vor der Verwirklichung des Steuertatbestands bei gleichen Beteiligungsverhältnissen in eine Besitzgesellschaft mit nicht mehr als 20 Beschäftigten, bei der das Betriebsvermögen konzentriert wird, und in eine Betriebsgesellschaft, deren Betriebsvermögen nach Berücksichtigung der Verbindlichkeiten keinen oder einen nur sehr geringen Steuerwert hat und die eine beliebige Zahl von Beschäftigten haben kann, aufgespalten wird. Die Anforderungen an die Entwicklung der Lohnsumme spielten dann bei der Besitzgesellschaft keine Rolle. Auch im Hinblick auf die Betriebsgesellschaft sei die Lohnsummenregelung mangels der Übertragung von werthaltigem Betriebsvermögen im Ergebnis unbeachtlich. Nach den Angaben des Bundesministeriums der Finanzen liegt die Zahl solcher Gestaltungsfälle jedenfalls über der für eine Beeinflussung der Gesetzeslage relevanten Bagatellgrenze.

259

cc) §§ 13a und 13b ErbStG sind gleichheitswidrig, soweit sie die vom Bundesfinanzhof beanstandeten Gestaltungen in Konzernstrukturen zur Umgehung der Verwaltungsvermögensgrenzwerte zulassen. Indem § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG bei mehrstöckigen Gesellschaftsbeteiligungen Gestaltungen zulässt, nach denen in solchen Konzernstrukturen trotz eines Gesamtanteils von über 50 % an Verwaltungsvermögen oder von über 10 % im Falle der Vollverschonung aus den verschiedenen Beteiligungsebenen ein Verschonungsabschlag gewährt wird, verstößt die Regelung gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

260

(1) Zum Verwaltungsvermögen gehören gemäß § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG unter anderem auch Beteiligungen an Gesellschaften im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 oder § 18 Abs. 4 EStG sowie Anteile an Kapitalgesellschaften, die nicht unter Nummer 2 fallen, wenn bei diesen Gesellschaften das Verwaltungsvermögen mehr als 50 % beträgt.

261

Danach werden Beteiligungen an dem durch Erbschaft oder Schenkung erworbenen Vermögen an (in- und ausländischen) Personen- und Kapitalgesellschaften - wenn bei letzteren die unmittelbare Beteiligung am Nennkapital mehr als 25 % beträgt - dem Verwaltungsvermögen zugeordnet, sofern auf der Ebene der Beteiligungsgesellschaft das Verwaltungsvermögen mehr als 50 % beträgt. Der Umfang der Beteiligung ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Die Beurteilung der Frage, ob bei einer Beteiligung die schädliche 50 %-Grenze des § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG überschritten ist, hat für jede Beteiligungsebene gesondert zu erfolgen. Da der Verwaltungsvermögenstest auf Ebene der Beteiligungsgesellschaften jeweils dem "Alles-oder-Nichts-Prinzip" folgt, ist die Beteiligung an einer Gesellschaft insgesamt nicht dem Verwaltungsvermögen zuzuordnen, wenn dort der Anteil an Verwaltungsvermögen 50 % oder weniger beträgt. Die Prüfung hat jeweils an der untersten Beteiligungsstufe zu beginnen. Bei mehrstufigen Konzernstrukturen kann dies zu einem Kaskadeneffekt führen. Als Folge der Einordnung einer Beteiligung auf unterer Stufe mit einem Verwaltungsvermögensanteil von bis zu 50 % entsteht insgesamt begünstigtes Vermögen, das auf der nächsthöheren Beteiligungsstufe vollständig als begünstigtes Vermögen gewertet wird, obwohl bei einer Gesamtbetrachtung des Konzerns der Verwaltungsvermögensanteil überwiegt.

262

Der Grenzwert von maximal 50 % Verwaltungsvermögen nach § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG auf der Ebene von Untergesellschaften gilt auch dann in dieser Höhe, wenn der Steuerpflichtige die vollständige Steuerbefreiung nach § 13a Abs. 8 ErbStG gewählt hat. Zwar darf bei der Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 Nr. 3 ErbStG in Verbindung mit § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG das Verwaltungsvermögen nicht mehr als 10 % betragen. Dieser Grenzwert bezieht sich allerdings nur auf die unmittelbar erworbenen wirtschaftlichen Einheiten des begünstigten Vermögens. Wenn in einer solchen wirtschaftlichen Einheit Anteile an Kapitalgesellschaften von mehr als 25 % oder Beteiligungen an Personengesellschaften (Untergesellschaften) gehalten werden, findet auf diese dagegen der höhere Grenzwert von 50 % für das Verwaltungsvermögen Anwendung (vgl. Weinmann, in: Moench/Weinmann, ErbStG, BewG, § 13b ErbStG Rn. 185 ; Hannes/Onderka, ZEV 2009, S. 11 <13 f.>; Hannes/Steger, ErbStB 2009, S. 113 <119>; Schulte/Birnbaum/Hinkers, BB 2009, S. 300 <302 f.>).

263

(2) Der Bundesfinanzhof hat in seinem Vorlagebeschluss unter Hinweis auf diese Regelungszusammenhänge beanstandet, dass der nach seiner Auffassung ohnehin schon verfassungswidrige Begünstigungsüberhang durch die Verwaltungsvermögensgrenze in Höhe von 50 % dadurch erweitert werde, dass sich durch eine einfache, durchaus verbreitete, mehrstufige Konzernstruktur der unter die Verschonungsregelung fallende Anteil des Verwaltungsvermögens am Konzernvermögen mit jeder weiteren Beteiligungsstufe deutlich erhöhen lasse, ohne dass dies der Gewährung der Steuervergünstigungen nach §§ 13a und 13b ErbStG entgegenstehe (vgl. BFHE 238, 241 <266 Rn. 102 ff.>). Danach wird ein Beteiligungserwerb noch steuerlich gefördert, bei dem im Ergebnis der Gesamtwert des auf allen Ebenen vorhandenen Verwaltungsvermögens den des "echten" Betriebsvermögens um das Fünfzehnfache übersteigt (vgl. BFHE 238, 241 <267 Rn. 112>), oder - in der Gestaltungsvariante - eine Vollverschonung auch noch bei einem Anteil von über 90 % Verwaltungsvermögen im Gesamtbetrieb gewährt wird (vgl. BFHE 238, 241 <267 Rn. 114>). Selbst wenn der Erblasser oder Schenker bewusst solche dem Erwerber steuergünstige Konzernstrukturen herbei führt, sieht der Bundesfinanzhof darin keine missbräuchlichen Gestaltungen im Sinne von § 42 AO, sondern die Folgen einer verfehlten Gesetzestechnik (vgl. BFHE 238, 241 <268 Rn. 116>).

264

(3) Indem § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG es zulässt, dass auch Vermögen mit einem Verwaltungsvermögensanteil von im Ergebnis weit über 50 % nach §§ 13a und 13b ErbStG begünstigt wird, verstärkt die Vorschrift den ohnehin bereits im Hinblick auf die Grundform der 50 %-Regel in § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG festgestellten Gleichheitsverstoß.

265

(a) Im Ausgangspunkt ist das hinter § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG stehende Anliegen allerdings berechtigt, zur Bestimmung des förderungswürdigen Vermögens auch den durch Erbschaft oder Schenkung erworbenen Beteiligungsbesitz bei der Ermittlung des Verwaltungsvermögensanteils in den Blick zu nehmen. Dies ist erforderlich, um das Ziel des Gesetzgebers, nur überwiegend produktives Vermögen in den Genuss des Verschonungsabschlags gelangen zu lassen (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 35 und dazu bereits oben 3. d aa), vor Umgehungen zu bewahren, die es ansonsten gerade in Konzernstrukturen besonders leicht ermöglichten, Verwaltungsvermögen in Tochtergesellschaften auszugliedern.

266

(b) Dass Erben oder Beschenkte von Gesellschaftsbeteiligungen im Sinne von § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG bei entsprechender Beteiligungsstaffelung Betriebsvermögen zu 85 % oder sogar zu 100 % steuerbegünstigt erwerben können, obwohl es bei einer Gesamtbetrachtung zu weit über 50 % (oder bei der Optionsverschonung zu weit über 10 %) aus Verwaltungsvermögen besteht, führt zu einer gravierenden Ungleichbehandlung gegenüber jenen, die außerhalb einer solchen Beteiligungsstaffelung bei einer Überschreitung der 50 %- oder 10 %-Grenze ansonsten nicht in den Genuss einer Steuerverschonung kommen. Die Vorschrift verstärkt zudem die in der Grundregel über das Verwaltungsvermögen nach § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG angelegte Ungleichbehandlung zwischen begünstigtem und nicht begünstigtem Vermögen, weil sie zulässt, dass beim Übergang grundsätzlich begünstigten Vermögens in noch größerem Umfang, als nach dieser Grundentscheidung vorgesehen, eigentlich nicht begünstigungsfähiges Vermögen zum begünstigten gezählt wird (s. dazu bereits oben 3. d bb).

267

(c) Die Privilegierung gegenüber jenen Erben von grundsätzlich begünstigtem Vermögen, die zur Erlangung der Steuerverschonung strikt an die 50 %-Regel des § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG gebunden sind, ist nicht gerechtfertigt, weil die solchen Gestaltungen offene Norm damit keines der mit der Differenzierung zwischen produktivem und nicht produktivem Vermögen verfolgten legitimen Ziele in einem Maße fördert, das diese Ungleichbehandlungen aufwiegen könnte.

268

(aa) Sie sind hier noch weniger als bei der 50 %-Regel des § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG (s. oben 3. d ee (2)) durch das mit dem Ausschluss des Verwaltungsvermögens verfolgte Regelungsziel gerechtfertigt, die Verschonung auf förderungswürdiges Vermögen zu begrenzen und nicht förderungswürdiges Vermögen davon auszuschließen. Ausgehend davon, dass der Gesetzgeber das in § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG umschriebene Verwaltungsvermögen für grundsätzlich nicht förderungswürdig hält und sich dieses auch der Sache nach nicht von nicht begünstigten nichtbetrieblichen Vermögen unterscheidet, ist in den von § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG erfassten Beteiligungsfällen bei Konzernstrukturen noch weniger als im Grundfall der 50 %-Regelung des § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG (s. oben 3. d ee (2) (a)) erkennbar, inwieweit das hiernach mögliche Ergebnis, demzufolge erworbene Beteiligungen mit einem Gesamtanteil von weit über 50 % Verwaltungsvermögen begünstigt werden können, dem Ziel zu dienen vermag, die Verschonung auf förderungswürdiges Vermögen zu begrenzen. Ebenso wenig zu rechtfertigen ist im Übrigen das Ergebnis eines nach § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG nicht auszuschließenden gegenteiligen Kaskadeneffekts, der - insoweit allerdings nicht als Folge einer steuerlichen Gestaltung sondern ungewollt - dazu führen kann, dass in mehrfach gestuften Beteiligungsverhältnissen sich auf der für die Inanspruchnahme des Verschonungsabschlags maßgeblichen obersten Gesellschaftsstufe ein Verwaltungsvermögensanteil von über 50 % ergibt, obwohl der Anteil an solchem nicht förderungswürdigen Vermögen in der Summe aller Beteiligungen weit unter 50 % liegt.

269

(bb) Es liegt auf der Hand, dass die aufgezeigten schwerwiegenden Ungleichbehandlungen, die namentlich durch steuerliche Gestaltungen auf der Grundlage von § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG herbeigeführt werden können (vgl. BTDrucks 16/8547, S. 5 f. und BRDrucks 318/10, S. 152), auch nicht mit dem ursprünglichen Ziel dieser Bestimmung gerechtfertigt werden können, steuerliche Umgehungsgestaltungen in Bezug auf den Verwaltungsvermögenstest zu vermeiden. In der vorliegenden Form lädt die Norm zu solchen Gestaltungen geradezu ein (ähnlich bereits zu § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG oben 3. d ee (2) (b)).

270

(cc) Die durch § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG eröffneten Möglichkeiten, den zulässigen Verwaltungsvermögensanteil durch entsprechende Konzerngestaltungen zu erhöhen, sind weder unter Pauschalierungsgesichtspunkten noch durch Gründe der Verwaltungsvereinfachung gerechtfertigt. Die Verwaltungsvermögensquote muss, schon um § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG ordnungsgemäß anzuwenden, ohnehin auf der Ebene jeder Beteiligungsgesellschaft gesondert ermittelt werden. Selbst wenn eine Vereinfachung darin gesehen werden könnte, dass es nach der geltenden Rechtslage in eindeutigen Fällen, in denen ein Unter- oder Überschreiten der 50 %-Grenze des § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG offensichtlich ist, keiner genaueren Bestimmung der konkreten Verwaltungsvermögensquote bedarf, hätte sie doch kein solches Gewicht, das die erhebliche Besserstellung der Verschonung von Erwerben mit in der Summe weit über 50 % - oder bei der Vollverschonung weit über 10 % - Verwaltungsvermögen rechtfertigen könnte.

271

dd) §§ 13a und 13b ErbStG sind gleichheitswidrig, soweit sie die Begünstigung der vom Bundesfinanzhof angeführten "Cash-Gesellschaften" zulassen. Die Bestimmungen des § 13b Abs. 1 und 2 ErbStG in der bis zum Inkrafttreten des neu durch das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 26. Juni 2013 (BGBl I S. 1809) eingefügten § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4a ErbStG geltenden Fassung über die Abgrenzung zwischen begünstigtem Vermögen und nicht begünstigtem Verwaltungsvermögen verstoßen gegen Art. 3 Abs. 1 GG, indem sie rein vermögensverwaltende Gesellschaften, deren Vermögen ausschließlich aus Geldforderungen besteht - wie die sogenannte Cash-GmbH -, zum begünstigten Vermögen zählen.

272

(1) Unter einer "Cash-GmbH" ist nach der Darstellung des Bundesfinanzhofs in seinem Vorlagebeschluss eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu verstehen, deren Vermögen ausschließlich aus nicht zum Verwaltungsvermögen im Sinne des § 13b Abs. 2 ErbStG gehörenden Geldforderungen besteht (vgl. BFHE 238, 241 <268 Rn. 117>). Gemäß § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ErbStG zählen zwar Wertpapiere sowie vergleichbare Forderungen zum Verwaltungsvermögen, wenn sie nicht dem Hauptzweck des Gewerbebetriebs, eines Kreditinstitutes, eines Finanzdienstleistungsinstitutes oder eines Versicherungsunternehmens zuzurechnen sind. Geldforderungen wie etwa Sichteinlagen, Sparanlagen und Festgeldkonten bei Kreditinstituten sowie Forderungen aus Lieferungen und Leistungen und Forderungen an verbundene Unternehmen sowie Bargeld gehören nach Auffassung des Bundesfinanzhofs (vgl. BFHE 238, 241 <248 Rn. 38, 268 Rn. 117 und 271 Rn. 127>), die insoweit mit der herrschenden Auffassung im Schrifttum (s. dazu die Nachweise in BFHE 238, 241 <248 Rn. 38>) und der Praxis der Finanzverwaltung (vgl. R E 13b.17 Abs. 1 Satz 3 ErbStR 2011 und insbesondere H E 13b.17 der Hinweise zu den ErbStR 2011) übereinstimmt, nicht zu den Wertpapieren und sonstigen vergleichbaren Forderungen und sind somit kein Verwaltungsvermögen.

273

Damit konnten bis zum Wirksamwerden der Neuregelung des § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4a ErbStG zum 7. Juni 2013 - mithin in dem für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitraum - Anteile an einer zu mehr als 25 % vom Erblasser oder Schenker gehaltenen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (§ 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG), deren Vermögen ausschließlich aus Geldforderungen bestand, bei Beachtung der Behaltensregelung des § 13a Abs. 5 ErbStG weitgehend oder vollständig steuerfrei übertragen werden. Die für junges Verwaltungsvermögen nach § 13b Abs. 2 Satz 3 ErbStG vorgesehene Vorbesitzzeit galt für dieses Geldvermögen nicht, da gerade kein Verwaltungsvermögen vorlag. Der Bundesfinanzhof weist zudem darauf hin, dass es bei der Übertragung solcher GmbH-Anteile auf die Erreichung bestimmter Lohnsummen und somit die Erhaltung von Arbeitsplätzen nach dem Erwerb regelmäßig nicht ankomme, weil eine "Cash-GmbH" kaum je mehr als 20 Beschäftigte habe (vgl. BFHE 238, 241 <268 Rn. 117>). Dasselbe Ergebnis wie bei einer "Cash-GmbH" konnte nach den Ausführungen des Bundesfinanzhofs auch über eine lediglich vermögensverwaltende, aber gewerblich geprägte Personengesellschaft im Sinne des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG erreicht werden (vgl. BFHE 238, 241 <269 Rn. 119> unter Hinweis auf § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG).

274

(2) Soweit die durch das Gesetz eröffnete Gestaltungsmöglichkeit dazu eingesetzt wird, durch Einbringung an sich nicht begünstigten privaten Geldvermögens in eine "Cash-Gesellschaft" begünstigtes Betriebs- oder Gesellschaftsvermögen zu schaffen, begründet das eine Besserstellung dieses Geldvermögens gegenüber sonstigem nicht begünstigten, weil nicht betrieblichem Geldvermögen wie auch gegenüber sonstigem Verwaltungsvermögen. Die Zulassung von "Cash-Gesellschaften" verschärft zudem die Ungleichbehandlung zwischen begünstigtem und nicht begünstigtem Vermögen entsprechend der Grundunterscheidung der Verschonungsregelung, indem der Bereich begünstigten Vermögens insoweit unter Verzicht auf die eingrenzende Wirkung der Lohnsummenregelung ausgedehnt wird.

275

(3) Für die steuerliche Privilegierung von Geldvermögen in einer ausschließlich vermögensverwaltenden "Cash-Gesellschaft" sprechen offensichtlich keine Gründe von solchem Gewicht, dass sie die damit verbundene erhebliche - weil in Bezug auf das betroffene Geldvermögen vollständige und in der Höhe unbegrenzte - Besserstellung gegenüber sonstigem nicht betrieblichem Geldvermögen oder sonstigem Verwaltungsvermögen tragen könnten. Auf die Frage der Eignung oder Erforderlichkeit dieser Differenzierung kommt es daher nicht an.

276

Die mit den Bestimmungen über das Verwaltungsvermögen verfolgten legitimen Ziele, grundsätzlich nur produktives Vermögen in dem dort umschriebenen Sinn zu fördern und Umgehungsstrategien zu verhindern (s. oben 3. d cc), werden mit der gesetzlich nicht unterbundenen Zuordnung der "Cash-Gesellschaften" zum begünstigten Vermögen gerade nicht gefördert. Indem über die Figur der "Cash-Gesellschaften" das gesamte Geldvermögen dieser Unternehmen als steuerlich begünstigt behandelt wird, ohne Rücksicht darauf, ob es sich um für die Liquidität des Betriebs notwendige Finanzmittel handelt, wird dieses Geldvermögen gegenüber sonstigem, nicht in einen Betrieb eingebrachtem Geldvermögen wie auch gegenüber Verwaltungsvermögen ohne sachlichen Rechtfertigungsgrund substantiell besser gestellt. In eine ausschließlich vermögensverwaltende "Cash-Gesellschaft" eingebrachtes Geldvermögen ist im Allgemeinen ebenso wenig risikobehaftetes, produktives Betriebsvermögen wie das sonstige in § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG als grundsätzlich nicht förderungswürdig angesehene Verwaltungsvermögen. Der Erhalt solcher "Cash-Gesellschaften" dient in aller Regel auch nicht der Sicherung von Arbeitsplätzen, weil solche dort typischerweise nicht in nennenswerter Zahl vorhanden sind und deshalb bei deren Erwerb auch keine Bindung an die Lohnsummenregel besteht. Deshalb gibt es keine Rechtfertigung, sie dem Erwerb sonstigen begünstigten Vermögens gleich zu behandeln, dessen Verschonung von der Erbschaftsteuer dem Erhalt der Arbeitsplätze und dem Bestand von in personaler Verantwortung geführten Betrieben in Deutschland dienen soll (s. oben 2. c).

277

Die Gleichheitswidrigkeit der undifferenzierten und unbegrenzten steuerlichen Förderung von Geldvermögen, sofern es in einen als Personen- oder Kapitalgesellschaft organisierten Betrieb eingebracht ist, steht einer Ausgestaltung der Verschonungsregelung nicht entgegen, die der grundsätzlich für jeden Betrieb bestehenden Notwendigkeit liquider Mittel angemessen Rechnung trägt. Dies näher zu bestimmen, ist Aufgabe des Gesetzgebers, welcher dieser nunmehr mit dem neuen § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4a ErbStG nachgekommen ist, der allerdings nicht Gegenstand der Vorlage ist. Dabei steht ihm ein beträchtlicher Einschätzungs- und Typisierungsspielraum zu, der aber eben nicht die vollständige Freistellung jeglichen Geldvermögens in unbegrenzter Höhe und ohne Rücksicht auf möglicherweise auch nur typisierend angenommene betriebliche Erfordernisse trägt.

C.

I.

278

1. Die Bestimmungen über die Verschonung des unentgeltlichen Erwerbs begünstigten Vermögens von der Schenkung- und Erbschaftsteuer in §§ 13a und 13b ErbStG sind mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, soweit die Verschonung über den Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen hinausgreift, ohne eine Bedürfnisprüfung vorzusehen.

279

Gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen außerdem die Freistellung von der Pflicht zur Einhaltung der Lohnsummenregelung nach § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG als Voraussetzung der Verschonung, soweit sie für Betriebe mit bis zu 20 Beschäftigten gilt, und die Regelung über das Verwaltungsvermögen in § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG, soweit sie bei Vorliegen der übrigen Förderbedingungen begünstigtes Vermögen (vgl. § 13b Abs. 1 ErbStG) selbst dann insgesamt in den Genuss des Verschonungsabschlags gelangen lässt, wenn es bis zu 50 % aus vom Gesetz als grundsätzlich nicht förderungswürdig angesehenem Verwaltungsvermögen besteht.

280

§§ 13a und 13b ErbStG sind schließlich nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, soweit sie zu nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlungen führende steuerliche Gestaltungen zulassen oder jedenfalls bis zum 6. Juni 2013 zuließen, nämlich die exzessive Ausnutzung der Befreiung von der Lohnsummenpflicht durch die Aufspaltung in Besitz- und Betriebsgesellschaft, die Umgehung der 50 %-Regel des § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG für Verwaltungsvermögen durch Nutzung von Konzernstrukturen und die Begünstigung von Geldvermögen durch die Schaffung von "Cash-Gesellschaften".

281

2. Die festgestellten Verfassungsverstöße betreffen für sich genommen die §§ 13a und 13b ErbStG zwar jeweils nur in Teilbereichen, erfassen damit aber die gesamte Verschonungsregelung in ihrem Kern. Die Bestimmung über die Lohnsumme ist ein wesentlicher Baustein in dem Verschonungskonzept, mit dem der Gesetzgeber das Ziel des Arbeitsplatzerhalts sicherstellen will. Die Sicherung der Arbeitsplätze ist neben dem Schutz der in personaler Verantwortung geführten Betriebe in Deutschland der zentrale Rechtfertigungsgrund für die umfassende Steuerfreistellung betrieblichen Vermögens. Auch die Bestimmungen über das Verwaltungsvermögen sind ein wesentlicher Bestandteil der vom Gesetzgeber mit dem Erbschaftsteuerreformgesetz geschaffenen Verschonungsregelung für die unentgeltliche Betriebsübertragung. Die Notwendigkeit, zumindest eine Bedürfnisprüfung ab einer bestimmten Größenordnung übertragenen Vermögens einzuführen, um die Verhältnismäßigkeit der Ungleichbehandlung begünstigten Vermögens gegenüber nicht begünstigtem Vermögen zu wahren, betrifft die Verschonungsregelung für einen Teilbereich schließlich in ihrer Grundstruktur.

282

Mit den festgestellten Gleichheitsverstößen erweisen sich wichtige Bausteine der Gesamtregelung als verfassungswidrig. Ohne sie können die restlichen - nicht beanstandeten - Regelungsbestandteile der §§ 13a und 13b ErbStG nicht sinnvoll angewandt werden. Jedenfalls würde dies zu Ergebnissen führen, die vom Gesetzgeber so nicht gewollt sind (vgl. BVerfGE 8, 274 <301>). Ein verfassungsgemäßer Zustand kann daher nur durch eine umfassende Nachbesserung oder grundsätzliche Neukonzeption der Gesamtverschonungsregelung herbeigeführt werden. Die festgestellten Gleichheitsverstöße erfassen folglich die §§ 13a und 13b ErbStG insgesamt. Dies gilt für die Vorschriften in ihrer Ursprungsfassung des Erbschaftsteuerreformgesetzes vom 24. Dezember 2008 (BGBl I S. 3018), darüber hinaus aber auch für die Folgefassungen. Denn die Schließung der Gesetzeslücke betreffend die "Cash-Gesellschaften" durch den mit dem Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 26. Juni 2013 eingefügten § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4a ErbStG hat diesen Mangel zwar beseitigt, die Verfassungswidrigkeit der anderen Gestaltungsmöglichkeiten, der uneingeschränkten Begünstigung sehr großer Vermögen, der Lohnsummenregelung und der Verwaltungsvermögensgrenze im Übrigen aber unberührt gelassen.

283

Die Gesamtverfassungswidrigkeit der Besteuerung des Unternehmensübergangs nach Maßgabe der §§ 13a und 13b ErbStG bei Erbschaft und Schenkung erfasst notwendig auch die Besteuerung des unentgeltlichen Übergangs von nicht begünstigtem (Privat-)Vermögen. Entfallen nämlich die steuerbegünstigenden Vorschriften der §§ 13a und 13b ErbStG, könnten nicht stattdessen die allgemeinen Regeln über den erbschaftsteuerlichen Zugriff auf Erbe oder Schenkung auch für den Übergang von Betrieben Anwendung finden. Eine Belastung aller Unternehmensübergänge nach den allgemeinen erbschaftsteuerrechtlichen Grundsätzen ohne unternehmensspezifische Privilegierungen widerspräche offensichtlich dem in dem Steuerverschonungskonzept der §§ 13a und 13b ErbStG zum Ausdruck gekommenen - und im Grundsatz verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstandenden (dazu B. III. 2.) - Willen des Gesetzgebers. Auf der anderen Seite fehlt es für einen völligen Verzicht auf die Besteuerung des unentgeltlichen Erwerbs betrieblichen Vermögens im Falle der Verfassungswidrigkeit von §§ 13a und 13b ErbStG an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage wie auch an einem hinreichenden Rechtfertigungsgrund für eine derart umfassende Steuerbefreiung. Ohne eine vom Willen des Gesetzgebers getragene Besteuerungsregelung für Unternehmensübergänge ist eine lastengerechte Erhebung der Erbschaftsteuer in den übrigen Fällen jedoch ebenfalls nicht ohne Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG möglich.

284

Dem wird durch die Feststellung der Verfassungswidrigkeit des vom Bundesfinanzhof vorgelegten § 19 Abs. 1 ErbStG Rechnung getragen. Diese Regelung, welche die Besteuerung begünstigten wie nicht begünstigten Vermögens gleichermaßen betrifft, ist daher ebenfalls für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG zu erklären. Damit ist die Erhebung der Erbschaftsteuer auch für den Übergang von Privatvermögen blockiert.

II.

285

Allerdings bleibt es hier bei der bloßen Feststellung der Unvereinbarkeit der §§ 13a und 13b und des § 19 Abs. 1 ErbStG mit Art. 3 Abs. 1 GG. Zugleich wird die begrenzte Fortgeltung dieser Normen angeordnet und dem Gesetzgeber die Neuregelung binnen einer angemessenen Frist aufgegeben.

286

1. Die bloße Unvereinbarkeitserklärung einer verfassungswidrigen Norm ist regelmäßig geboten, wenn der Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten hat, den Verfassungsverstoß zu beseitigen. Das ist grundsätzlich bei Verletzungen des Gleichheitssatzes der Fall (vgl. BVerfGE 99, 280 <298>; 105, 73 <133>; 107, 27 <57>; 117, 1 <69>; 122, 210 <245>; 126, 400 <431>; stRspr). Stellt das Bundesverfassungsgericht die Unvereinbarkeit einer Norm mit Art. 3 Abs. 1 GG fest, folgt daraus in der Regel die Verpflichtung des Gesetzgebers, rückwirkend, bezogen auf den in der gerichtlichen Feststellung genannten Zeitpunkt, die Rechtslage verfassungsgemäß umzugestalten (vgl. etwa BVerfGE 105, 73 <133 f.> m.w.N.). Hierzu kann das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber eine Frist setzen (vgl. BVerfGE 117, 1 <70>). Gerichte und Verwaltungsbehörden dürfen die Norm im Umfang der festgestellten Unvereinbarkeit nicht mehr anwenden, laufende Verfahren sind auszusetzen (vgl. BVerfGE 73, 40 <101>; 105, 73 <134>; 126, 400 <431>).

287

Im Interesse einer verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung und eines gleichmäßigen Verwaltungsvollzugs für Zeiträume einer weitgehend schon abgeschlossenen Veranlagung hat das Bundesverfassungsgericht allerdings wiederholt die weitere Anwendbarkeit verfassungswidriger Normen für gerechtfertigt erklärt und dem Gesetzgeber eine Frist eingeräumt, um binnen angemessener Zeit verfassungsgemäße Regelungen zu erlassen (vgl. etwa BVerfGE 87, 153 <178>; 93, 121 <148 f.>; 123, 1 <38>; 125, 175 <258>).

288

2. a) Der Senat hält es danach für geboten, die §§ 13a und 13b in Verbindung mit § 19 Abs. 1 ErbStG lediglich für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG zu erklären und zugleich deren Fortgeltung anzuordnen.

289

Die aus einem solchen Ausspruch folgende Nichtanwendbarkeit der Bestimmungen, verbunden mit der Pflicht des Gesetzgebers zur - bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Senats - rückwirkenden Neuregelung brächte erhebliche haushaltswirtschaftliche Unsicherheiten und nach einer solchen Neuregelung gravierende verwaltungstechnische Probleme bei der dann gebotenen Rückabwicklung mit sich. Während der in diesem Fall regellosen Übergangszeit bis zur Neugestaltung der Bestimmungen könnten Erb- und Schenkungsfälle steuerrechtlich nicht abgewickelt werden.

290

Mangels gültiger Regelung bliebe während der Übergangszeit auch das Aufkommen aus der Erbschaft- und Schenkungsteuer nach Grund und Umfang im Unklaren. Die Erbschaft- und Schenkungsteuer leistet zwar nur einen untergeordneten Beitrag zum Gesamtsteueraufkommen. Als Steuer, deren Aufkommen ausschließlich den Ländern zufließt (Art. 106 Abs. 2 Nr. 2 GG), kommt ihr aber für die finanzielle Ausstattung der Länder erhebliche Bedeutung zu; in den Jahren 2012 und 2013 machte sie annähernd 30 % des Aufkommens an Ländersteuern aus (vgl. Tabellarische Übersicht der kassenmäßigen Steuereinnahmen nach Steuerarten und Gebietskörperschaften in den Kalenderjahren 2010 bis 2013 des Bundesministeriums der Finanzen).

291

Schwer erträglich wäre die Ungewissheit über den Inhalt der künftigen, dann mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Verkündung des Urteils in Kraft zu setzenden Regeln des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts aber vor allem für die Inhaber von Unternehmen und ihre künftigen Erben oder sonstigen Nachfolger. Sie haben ein berechtigtes Interesse an einer verlässlichen Rechtsgrundlage für die Nachfolgeplanung auch in steuerrechtlicher Hinsicht.

292

b) Mit Rücksicht auf die vorstehenden Erwägungen ordnet der Senat die Fortgeltung der für gleichheitswidrig befundenen Normen bis zu einer Neuregelung an. Die Fortgeltung der beanstandeten Vorschriften ist auch deshalb hinnehmbar, weil der Gesetzgeber mit der Einfügung des § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4a ErbStG durch das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 26. Juni 2013 eine der Hauptlücken für unerwünschte steuerliche Gestaltungen durch "Cash-Gesellschaften" weitgehend geschlossen hat. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Anordnung der Fortgeltung der verfassungswidrigen Normen keinen Vertrauensschutz gegen eine auf den Zeitpunkt der Verkündung dieses Urteils bezogene rückwirkende Neuregelung begründet, die einer exzessiven Ausnutzung gerade der als gleichheitswidrig befundenen Ausgestaltungen der §§ 13a und 13b ErbStG die Anerkennung versagt.

293

Der Gesetzgeber ist verpflichtet, eine Neuregelung spätestens bis zum 30. Juni 2016 zu treffen.

294

Die Entscheidung ist im Ergebnis und in der Begründung einstimmig ergangen; die weitere Begründung, die drei Mitglieder des Senats in ihrer abweichenden Meinung der Entscheidung beigefügt haben, bleibt hiervon unberührt.

Abw. Meinung

1

Wir stimmen der Entscheidung zu, sind aber der Ansicht, dass zu ihrer Begründung ein weiteres Element gehört: Das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG. Die Beurteilung der mit den angegriffenen Vorschriften bewirkten Ungleichbehandlungen im Lichte des Sozialstaatsprinzips sichert die Entscheidung weiter ab und macht ihre Gerechtigkeitsdimension erst voll sichtbar.

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1. Die Erbschaftsteuer ist ein Beitrag zur Herstellung sozialer Chancengleichheit, die sich in einer freien Ordnung nicht von selbst herstellt. Die freie Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik beruht auf der für den modernen Staat selbstverständlichen Annahme der rechtlichen Freiheit und Gleichheit aller Bürger. Mit dieser durch die Verfassung gewährleisteten Grundlegung des Gemeinwesens in der Freiheit und Besonderheit des Einzelnen werden gesellschaftliche Ordnungsbildung und Entwicklung weitgehend dem freien Spiel der Konkurrenz und sich hierbei bildender Unterscheidungen überlassen. Die rechtliche Gleichheit verbunden mit der individuellen Handlungs- und Erwerbsfreiheit und der Garantie des Eigentums entbindet eine weitreichende Dynamik und führt unweigerlich zur Entstehung materieller Ungleichheit unter den Bürgern. Dies ist gewollt und elementarer Inhalt einer freiheitlichen Rechtsordnung. Insoweit bedarf es aber eines Ausgleichs. Dies gilt insbesondere für die Eigentumsordnung, denn im Eigentum gerinnt die Ungleichheit der freigesetzten Gesellschaft zur Materie und wird Ausgangspunkt neuer Ungleichheiten (vgl. Sondervotum Böckenförde zur Vermögensteuer, BVerfGE 93, 149 <162 f.>).

3

Das Grundgesetz hat mit seiner Verpflichtung aller öffentlicher Gewalt auf das Sozialstaatsprinzip die Ausrichtung auf soziale Gerechtigkeit zu einem leitenden Prinzip aller staatlichen Maßnahmen erhoben (vgl. BVerfGE 5, 85 <198>, auch BVerfGE 52, 303 <348>; 134, 1 <14 f. Rn. 41 f.>). Die Erbschaftsteuer dient deshalb nicht nur der Erzielung von Steuereinnahmen, sondern ist zugleich ein Instrument des Sozialstaats, um zu verhindern, dass Reichtum in der Folge der Generationen in den Händen weniger kumuliert und allein aufgrund von Herkunft oder persönlicher Verbundenheit unverhältnismäßig anwächst. Dass hier auch in Blick auf die gesellschaftliche Wirklichkeit eine Herausforderung liegt, zeigt die Entwicklung der tatsächlichen Vermögensverteilung. Verwies schon Böckenförde in seinem Sondervotum für das Jahr 1993 darauf, dass 18,4 % der privaten Haushalte über 60 % des gesamten Nettogeldvermögens verfügten (BVerfGE 93, 149 <164>), lag dieser Anteil bereits im Jahr 2007 in den Händen von nur noch 10 % (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Lebenslagen in Deutschland - Armuts- und Reichtumsberichterstattung der Bundesregierung, Aktualisierung der Berichterstattung über die Verteilung von Einkommen und Vermögen in Deutschland, Endbericht, 2011, S. 138). Gerade die Konzentration des Vermögens im obersten Dezil ist im vergangenen Jahrzehnt stark gestiegen, wobei das wahre Ausmaß an Ungleichheit bei der Verteilung des Vermögens auch mit diesen Zahlen noch nicht voll erfasst ist, weil die Haushalte mit dem besonders großen Vermögen mangels von den Betroffenen zu erlangender Zahlen nicht berücksichtigt werden konnten (Nachweise in: DIW Wochenbericht 9 [2014], S. 151 <154 f.>). Demgegenüber verfügten rund 28 % der erwachsenen Bevölkerung im Jahr 2012 über kein beziehungsweise ein negatives Vermögen, wobei dieser Anteil seit dem Jahr 2002 ebenfalls signifikant angestiegen ist (vgl. DIW Wochenbericht 9 [2014], S. 151 <153>). Der für die Vermögensverteilung international herangezogene Gini-Koeffizient ist entsprechend von 0,62 im Jahr 1993 auf 0,78 im Jahr 2012 gestiegen, sodass Deutschland gegenwärtig innerhalb der Eurozone den höchsten Grad an Ungleichheit bei der Verteilung des Vermögens aufweist. Als Ursache für die wachsende Ungleichheit lässt sich nach der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ausmachen, dass gerade die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen im Vergleich zu den Arbeitnehmerentgelten überdurchschnittlich gestiegen sind (vgl. DIW Wochenbericht 9 [2014], S. 151 <157 f.>).

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Die Erbschaftsteuer bestimmt und beschränkt in Blick hierauf den Inhalt des in Art. 14 Abs. 1 GG garantierten Erbrechts. Sie wirkt damit der Gefahr entgegen, dass durch eine zunehmende Ungleichverteilung von Mitteln die Chancen auf gesellschaftliche wie politische Teilhabe auseinanderdriften und sich so letztlich Einfluss und Macht zunehmend unabhängig von individueller Leistung verfestigen und an Herkunft gebunden sind. Mit diesem Zweck ist die Erbschaftsteuer ein Instrument, mit dem der Staat ungleichen Lebenschancen entgegenwirkt. Der mit ihr ins Werk gesetzte Ausgleich trägt dazu bei, dass persönliche Freiheitswahrnehmung und Fähigkeiten nicht nur abstrakt, sondern real die Grundlage unserer Ordnung bleiben und sich so Freiheit und Gleichheit auch in der Lebenswirklichkeit verbinden.

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2. Die Schaffung eines Ausgleichs sich sonst verfestigender Ungleichheiten liegt in der Verantwortung der Politik - nicht aber in ihrem Belieben. Mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG nimmt das Grundgesetz den Gesetzgeber in die Pflicht, für einen Ausgleich der sozialen Gegensätze und damit für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen (vgl. BVerfGE 22, 180 <204>). Ungeachtet der hier nicht zu entscheidenden Frage, ob beziehungsweise unter welchen Umständen der Gesetzgeber auf die Erhebung einer Erbschaftsteuer verzichten könnte, trägt er dieser Pflicht mit der Erbschaftsteuer jedenfalls im Rahmen des geltenden Steuer- und Sozialsystems Rechnung. Dies wirkt sich auch auf die Anforderungen an deren Ausgestaltung aus. Begründet er durch Befreiungen, wie sie im vorliegenden Verfahren zu beurteilen sind, Ungleichbehandlungen, unterliegen diese einer umso größeren Rechtfertigungslast, je mehr sie geeignet sind, soziale Ungleichheiten zu verfestigen.

6

Wie der Senat schon für die Gleichheitsprüfung betont, belässt die Verfassung dem Gesetzgeber dabei freilich einen weiten Spielraum. Der Gesetzgeber ist insoweit aber auch aufgrund seiner Bindung an Art. 20 Abs. 1 GG nicht nur berechtigt, Ererbtes und Schenkungen steuerlich zu belasten, sondern auch besonderen Rechtfertigungsanforderungen unterworfen, je mehr von dieser Belastung jene ausgenommen werden, die unter marktwirtschaftlichen Bedingungen leistungsfähiger sind als andere. Die vom Senat entwickelten Rechtfertigungsanforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG für die privilegierende Befreiung von unternehmerischen Vermögen von der Erbschaftsteuer erhalten hierdurch eine weitere verfassungsrechtliche Grundierung. So hat es auch eine sozialstaatliche Dimension, wenn - wie in der Entscheidung im Einzelnen dargelegt - Verschonungsregeln so gestaltet sein müssen, dass mit ihrer Hilfe nicht zugleich auch im großen Umfang nicht unternehmerisches Privatvermögen der Erbschaftsteuer entzogen werden kann oder durch Gestaltungsmöglichkeiten die gemeinnützigen wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Ziele der Befreiungen umgangen werden können. Eine solche sozialstaatliche Dimension hat vor allem aber auch der vom Senat anerkannte zunehmende Rechtfertigungsbedarf in Abhängigkeit von dem Maß der Ungleichbehandlung und damit dem Umfang des verschonten Vermögens. Werden gerade diejenigen verschont, die als erfolgreiche Unternehmer über die größten Vermögen und damit auch über erheblichen Einfluss auf das Gemeinwesen verfügen, und wird gerade ihnen ermöglicht, dieses Vermögen unter Befreiung der sonst nach Leistungsfähigkeit auferlegten Lasten an Dritte, insbesondere an Familienmitglieder, weiterzureichen, ohne dass diese hierfür eigene Leistung oder Fähigkeiten eingebracht hätten, verfestigt und verstärkt dies die ökonomische Ungleichheit. Die in der Entscheidung entwickelten Maßgaben tragen demgegenüber dazu bei, dass Verschonungsregelungen nicht zur Anhäufung und Konzentration größter Vermögen in den Händen Weniger führen.

7

Zu Recht allerdings hebt die Entscheidung hervor, dass auch bei dem Erwerb sehr großer und größter Vermögen Steuerbefreiungen gerechtfertigt sein können. Dies verlangt aber, dass die Verschonung im Einzelfall zur Erhaltung von Arbeitsplätzen oder sonst zum gemeinen Wohl und damit zur Verwirklichung des Sozialstaates tatsächlich erforderlich ist. Nur dann ist die durch sie begründete Ungleichbehandlung gerechtfertigt. Das Sozialstaatsprinzip strahlt so in den Gleichheitssatz hinein.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

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Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt die Klägerin.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit von Schlüsselzuweisungen nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 Satz 2 (Zentrale-Orte-Ansatz) des Landesfinanzausgleichsgesetzes – LFAG – für das Haushaltsjahr 2013.

2

Nach der Grundkonzeption des Landesfinanzausgleichgesetzes wird der Finanzbedarf einer Gemeinde im Wesentlichen durch die Zahl der Einwohner bestimmt, für die kommunale Einrichtungen vorgehalten und Leistungen erbracht werden müssen. Dieser Systematik entsprechend stellt der Gesetzgeber zur Festsetzung der für die Bemessung der Schlüsselzuweisung B2 maßgeblichen Bedarfsmesszahl auf die Zahl der Einwohner ab, die zu einem bestimmten Stichtag mit ihrer Hauptwohnung den melderechtlichen Vorschriften unterliegen (§ 11 Abs. 3 i. V. m. § 29 Abs. 1 LFAG).

3

Der Hauptansatz wird zum Ausgleich besonderer Belastungen durch so genannte Leistungsansätze ergänzt. Das Landesfinanzausgleichsgesetz von Rheinland-Pfalz geht von einem raumordnerischen Ansatz in Form des Leistungsansatzes für Zentrale-Orte aus. Der so genannte „Zentrale-Orte-Ansatz" nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG orientiert sich an der Bevölkerung im Umland (Verflechtungsbereiche) zentraler Orte (Grund-, Mittel- und Oberzentren) und differenziert dabei zwischen Einwohnern im Nah-, Mittel- und Regionalbereich. Die Mitnutzung der Leistungen zentraler Orte durch die Einwohner im Verflechtungsbereich stellt einen externen Effekt dar. Da die Inanspruchnahme der öffentlichen Güter des Ortes mit zentralörtlicher Funktion durch das Umland nicht anderweitig abgegolten wird, erfolgt eine Berücksichtigung von Sondereinwohnern beim zentralen Ort. Existieren dabei für den Verflechtungsbereich dergleichen Zentralitätsstufe mehrere zentrale Orte, wird die Einwohnerzahl des Verflechtungsbereichs im Verhältnis der Einwohnerzahlen der zentralen Orte zueinander aufgeteilt (vgl. § 11 Abs. 4 Nr. 2 S. 2 LFAG).

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Im Landesentwicklungsprogramm (LEP) IV, das unter dem 14. Oktober 2008 durch Rechtsverordnung für verbindlich erklärt wurde und am 28. November 2008 in Kraft getreten ist, ist unter Nummer 3.1.1 „Zentrenstruktur, Mittelbereiche und mittelzentrale Verbünde“ als Ziel (Z) 39 „Zentrale-Orte-Struktur“ festgelegt, dass Gemeinden, die allein für einen Verflechtungsbereich (Mittelbereich) eine vollständige Versorgung der mittelzentralen Funktionen leisten, als Mittelzentren (MZ) ausgewiesen werden und insbesondere im ländlichen Raum in dieser Funktion zu stärken und zu sichern (Sicherungsfunktion) sind. Als Z 40 ist in dieser Nummer festgelegt, dass es sich um einen „mittelzentralen Verbund kooperierender Zentren“ handelt, wenn innerhalb eines Mittelbereiches mehrere zentrale Orte der mittel- und oberzentralen Stufe (Mittel- und Oberzentren) einen Beitrag zur mittelzentralen Versorgung leisten. Die bisherige Differenzierung nach Mittelzentren im Grundnetz oder Ergänzungsnetz sowie von gemeinsamen Mittelzentren entfällt (siehe LEP IV, Begründung zu Z 35 bis Z 40, S. 90, linke Spalte oben).

5

Gemäß Z 45 der Nummer 3.1.2 „Interkommunale Zusammenarbeit und Finanzausgleich“ des LEP IV ist in den ländlichen Räumen – insbesondere in den Räumen ohne eine hohe Zentrenerreichbarkeit – die Daseinsvorsorge in den zentralen Orten (insb. Mittelzentren) zu sichern und weiterzuentwickeln. Dazu sind diese zentralen Orte innerhalb der Mittelbereiche des ländlichen Raums zu intensiver Zusammenarbeit verpflichtet, um dies in einer möglichen Funktionsteilung zu erreichen (Kooperationsgebot). Auch für weitere Aufgabenbereiche von überörtlicher Bedeutung können interkommunal abgestimmte Handlungskonzepte erarbeitet werden.

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Zu den Mittelbereichen (Z 40) gehört der Verdichtungsraum Landstuhl; als kooperierende Zentren sind die Städte Landstuhl und Ramstein-Miesenbach ausgewiesen. Im LEP III, das von dem LEP IV abgelöst wurde, war die Stadt Landstuhl als ein Mittelzentrum im Grundnetz (LEP III, S.40) ausgewiesen. Die Stadt Ramstein-Miesenbach wurde im LEP III im Zusammenhang mit einer mittelzentralen Funktion nicht erwähnt.

7

Nach Z 49 der Nummer 3.1.2 „Interkommunale Zusammenarbeit und Finanzausgleich“ im LEP IV sind Regelungen für den zentralörtlichen Ansatz im Landesfinanzausgleichsgesetz, insbesondere in Bezug auf den mittelzentralen Verbund, zu prüfen. Die Mittelzentren und kooperierenden Zentren im mittelzentralen Verbund (bisher: Mittelzentren im Grund- und Ergänzungsnetz gemäß LEP III) werden bis zu einer abschließenden Neuregelung wie bisher behandelt. Im folgenden LEP sei zu prüfen, welche Gemeinden aufgrund ihrer mittelzentralen Aufgaben weiterhin als kooperierende Zentren einem mittelzentralen Verbund zuzurechnen sein werden.

8

Bei Änderungen des Landesfinanzausgleichsgesetzes im Jahre 2009 wurden keine Korrekturen zur Anpassung des finanzausgleichsrechtlichen Zuweisungssystems in Bezug auf den Ansatz für zentrale Orte vorgenommen.

9

Am 16. Juli 2012 hatte die Verbandsgemeinde Landstuhl gegen die Festsetzung der Schlüsselzuweisungen Klage erhoben, mit dem Ziel einer Neufestsetzung der Schlüsselzuweisungen für das Jahr 2011, weil der Leistungsansatz für zentrale Orte nicht zwischen Landstuhl und der Stadt Ramstein-Miesenbach aufgeteilt werden dürfe.

10

Mit Urteilen vom 3. Juni 2013 – 3 K 312/13.NW und 3 K 641/12.NW – verpflichtete das Gericht den Beklagten, unter Abänderung des Bescheides des Ministeriums des Innern, für Sport und Infrastruktur Rheinland-Pfalz vom 19. Juli 2011 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über die Festsetzung der Schlüsselzuweisung für das Haushaltsjahr 2011 für die Verbandsgemeinde Landstuhl zu entscheiden, weil sich die Umsetzung des grundsätzlich zulässigen raumordnerischen Ansatzes des Landesfinanzausgleichsgesetzes mit der Einstufung der Stadt Ramstein-Miesenbach in Z 40 des LEP IV als kooperierendes Mittelzentrum in dem Verdichtungsraum Landstuhl als fehlerhaft erweise.

11

Ein Rechtsmittel wurde gegen die Urteile seitens des Beklagten nicht eingelegt, weil nach Einschätzung des Ministeriums für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung sowie des Ministeriums des Innern, für Sport und Infrastruktur die Urteile aus fachlicher und juristischer Sicht nachvollziehbar seien und ein Berufungsverfahren als wenig erfolgversprechend bewertet werde (s. Bl. 80 VA).

12

Mit Bescheid vom 15. Juli 2013 wurden die Schlüsselzuweisungen für die Klägerin für das Jahr 2013 unter der Einschränkung festgesetzt, dass die Festsetzung der Schlüsselzuweisungen B2, soweit es den Leistungsansatz für zentrale Orte gemäß § 11 Abs.4 Nr. 2 LFAG betreffe, zunächst nur vorläufig unter dem Vorbehalt einer späteren abschließenden Entscheidung ergehe. Diese vorläufige Festsetzung erfolgte vor dem Hintergrund der Urteile des Verwaltungsgerichts Neustadt vom 3. Juni 2013 – 3 K 312/13.NW und 3 K 641/12.NW –.

13

Der Beklagte teilte mit Schreiben vom 22. Juli 2013 der Klägerin mit, dass in Kürze ein endgültiger Festsetzungsbescheid nebst korrigierten Berechnungsbögen ergehen werde und von einer nach § 30 Abs. 2 LFAG möglichen Berichtigung der Schlüsselzuweisungsbescheide der Jahre 2010 bis 2012 sowie mit einer damit einhergehenden Rückforderung zu viel gezahlter Schlüsselzuweisungen B2 von jährlich rund 100.000,-- € bis 115.000,-- € abgesehen werde, da die Berechnung des Leistungsansatzes für zentrale Orte nicht auf unrichtigen Angaben der Klägerin bzw. der Stadt Ramstein-Miesenbach, sondern auf den (fehlerhaften) landesplanerischen Festsetzungen im LEP IV beruhten.

14

Mit Bescheid vom 9. September 2013 wurden die vorläufigen Festsetzungsbescheide aufgehoben und die Schlüsselzuweisungen endgültig festgesetzt. Nachdem die Urteile des Verwaltungsgerichts Neustadt vom 3. Juni 2013 rechtskräftig geworden seien, sei bei der Aufteilung des Leistungsansatzes für zentrale Orte im Verflechtungsbereich Landstuhl gemäß § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG nur die Stadt Landstuhl als Mittelzentrum zu berücksichtigen. Es sei nach den genannten Urteilen von einer teilweisen Unwirksamkeit der Z 40 des LEP IV auszugehen, soweit darin die Stadt Ramstein-Miesenbach als kooperierendes Zentrum im mittelzentralen Verbund des Verdichtungsraums Landstuhl eingestuft werde.

15

Die Klägerin hat am 16. April 2014 Klage erhoben gegen den vorläufigen Festsetzungsbescheid vom 15. Juli 2013 und den endgültigen Festsetzungsbescheid vom 9. September 2013 – beide ohne Rechtsmittelbelehrung –, weil ein Leistungsansatz für die Stadt Ramstein-Miesenbach als kooperierendes Mittelzentrum im mittelzentralen Verbund des Verdichtungsraums Landstuhl (§ 11 Abs. 4 Nr. 2 Satz 2 LFAG) nicht gewährt worden sei. Zahlenmäßig bedeute die Nichtanerkennung der mittelzentralen Funktion der Stadt Ramstein-Miesenbach für die Klägerin ein Minus an Schlüsselzuweisungen B2 sowie an Investitionsschlüsselzuweisungen für das Jahr 2013 in Höhe von 120.768,-- €. Davon würde auf die Klägerin ein Betrag von 37.862,-- € und auf die Stadt Ramstein-Miesenbach von 82.906,--€ entfallen.

16

Sie ist der Auffassung, der Beklagte habe bei der Festsetzung der Schlüsselzuweisungen nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG den LEP IV in seiner aktuellen Fassung zugrunde zu legen. Die Urteile des Verwaltungsgerichts Neustadt vom 3. Juni 2013 würden nur zwischen den Beteiligten wirken, hierzu gehöre die Klägerin nicht. Sie sei zu den seinerzeitigen Verfahren nicht beigeladen worden, obwohl sie notwendig beizuladen gewesen wäre. Eine inzidente Normprüfung, wie sie das Verwaltungsgericht im Rahmen der Klage über die Festsetzung und Höhe der Schlüsselzuweisungen für die Stadt Landstuhl seinerzeit vorgenommen habe, könne nicht zu einer allgemein-verbindlichen Unwirksamkeit bzw. gerichtlichen Verwerfung der Z 40 des LEP IV führen, soweit dort auch die Stadt Ramstein-Miesenbach als kooperierendes Zentrum im mittelzentralen Verbund des Verdichtungsraums Landstuhl ausgewiesen sei. Die Folgen der Entscheidung würden bei einer Inzidentkontrolle regelmäßig nur die Prozessparteien für den Einzelfall binden, nicht aber Dritte. Der Beklagte habe damals auf ein Rechtsmittel gegen die verwaltungsgerichtlichen Urteile vom 3. Juni 2013 verzichtet, weil es ihm wohl im Ergebnis gleichgültig gewesen sei, ob der Leistungsansatz nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG zwischen der Klägerin und Landstuhl aufgeteilt werde oder vollständig an Landstuhl gehe. Der Beklagte hätte bei der endgültigen Festsetzung der Schlüsselzuweisungen B2 für die Klägerin folglich weiter die mittelzentrale Funktion der Stadt Ramstein-Miesenbach im Verflechtungsraum Landstuhl zugrunde legen müssen, wie sie in Z 40 des LEP IV unverändert ausgewiesen sei.

17

Dem Beklagten stehe auch keine Normverwerfungskompetenz zu, die angesichts des in Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz – GG – verankerten Grundsatzes der Gesetzesbindung der Verwaltung und dem damit verbundenen Auftrag zur Gesetzesanwendung (wenn überhaupt) grundsätzlich nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zugelassen werde, die hier nicht vorlägen.

18

Eine behördliche Normverwerfungskompetenz würde hier ferner zu einer Verletzung des Vertrauensschutzgrundsatzes (Art. 20 Abs. 3 GG) führen, dessen Schutzbereich auch die Klägerin als Gemeinde erfasse. Durch ihren Haushalt für das Jahr 2013 habe die Klägerin ihr Vertrauen, kooperierendes Mittelzentrum zu sein und entsprechende Schlüsselzuweisungen zu erhalten, betätigt. Durch die in Widerspruch zur Gesetzeslage – der nach wie vor bestehenden Einstufung der Klägerin als kooperierendes Mittelzentrum im LEP IV – erfolgte Verweigerung dieser Schlüsselzuweisungen sei sie in diesem Vertrauen enttäuscht worden.

19

Der Klägerin komme aber auch nach dem LEP IV zu Recht die Funktion als kooperierendes Mittelzentrum im Verflechtungsbereich Landstuhl zu.

20

Ein Verstoß gegen das planungsrechtliche Abwägungsgebot bzw. das interkommunale Gleichheitsgebot im Zentrale-Orte-System könne nicht darin gesehen werden, dass Kriterien für eine Gewichtung der einzelnen als zum Mindeststandard gehörenden in Tabelle 5 des LEP IV aufgelisteten Einrichtungen für die Einstufung in das Zentrale-Orte-System nicht einzeln und buchhalterisch aufgelistet seien. Sie ergäben sich bisher aus den verschiedenen Aspekten und Anforderungen in einer Gesamtschau im Rahmen des Zentrale-Orte-Konzepts; damit könne der Besonderheit der Verflechtungsräume und deren Entwicklung Rechnung getragen werden. Eine solche Ausgestaltung liege im raumordnerischen Planungsermessen der Planungsbehörden, die nach § 8 Landesplanungsgesetz – LPlG – dabei die umfangreichen Anforderungen an die Aufstellung des LEP IV zu beachten hätten; das LEP IV sei dann durch Rechtsverordnung der Landesregierung für verbindlich erklärt worden.

21

Im Übrigen würden die Vorhaltungen an Einrichtungen in der Stadt Ramstein-Miesenbach die Anforderungen und Voraussetzungen für die Einstufung als Mittelzentrum erfüllen, so dass der Einwand, das LEP IV enthalte keine verlässlichen Gewichtungsvorgaben für die einzelnen zum Mindeststandard gehörenden Einrichtungen für die Einstufung einer Gemeinde als – kooperierendes – Mittelzentrum ins Leere gehe.

22

Die Klägerin beantragt,

23

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 15. Juli 2013 und des Bescheides vom 9. September 2013 zu verpflichten, gegenüber der Klägerin die Schlüsselzuweisungen B2 für das Haushaltsjahr 2013 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts hinsichtlich des Leistungsansatzes für zentrale Orte nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG neu festzusetzen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

26

Zutreffend sei, dass dem Beklagten grundsätzlich keine Normverwerfungskompetenz zustehe. Allerdings erkenne die Rechtsprechung eine solche Kompetenz an, wenn ein Verwaltungsgericht eine Norm in einem Parallelverfahren als ungültig behandelt habe (OVG RP, Beschluss vom 14. Mai 2013 – 8 A 10043/13 –, juris, Rn. 7; OVG NRW, Urteil vom 30. Juni 2005 – 20 A 3988/03 –, NuR 2006, 191f.). Genau dies sei hier der Fall.

27

Er habe sich die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts Neustadt aus den Urteilen vom 3. Juni 2013 (3 K 312/13.NW und 3 K 641/12.NW) zu eigen gemacht und halte seine frühere Rechtsauffassung nicht mehr aufrecht. Dies beruhe darauf, dass die gerichtliche Entscheidung als nachvollziehbar und rechtlich überzeugend erachtet werde.

28

Selbst bei Anerkennung der Tatsache, dass ein kooperierendes Mittelzentrum keine so umfassende Ausstattung wie ein monozentrales Mittelzentrum haben müsse und insoweit mit dem weiteren Mittelzentrum – hier der Stadt Landstuhl – gemeinsam eine möglichst umfassende Versorgung der Bevölkerung sicherstellen solle, sei die im LEP IV erfolgte Einstufung der Stadt Ramstein-Miesenbach als kooperierendes Mittelzentrum zu Unrecht erfolgt, wie das Verwaltungsgericht überzeugend festgestellt habe. Hinzu komme, dass derzeit kaum erkennbar sei, wie die Klägerin entgegen der in G 46 des LEP IV verankerten Kooperationsempfehlung mit dem benachbarten Mittelzentrum Landstuhl im Bereich der Einrichtungen von mittelzentraler Bedeutung kooperiere. Es liege lediglich eine entsprechende Vereinbarung für das Hallenbad „Azur“ zwischen der Verbandsgemeinde Landstuhl und der Verbandsgemeinde Ramstein-Miesenbach sowie eine Vereinbarung für den Schulzweckverband IGS (Integrierte Gesamtschule) zwischen der Verbandsgemeinde Landstuhl und dem Landkreis Kaiserslautern vor. Dies werde durch eine Rückmeldung im Zuge einer Umfrage für die Erstellung des Raumordnungsberichtes 2013 belegt.

29

Die Beigeladenen beantragen,

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die Klage abzuweisen, soweit die Klägerin beantragt, den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 15. Juli 2013 und des Bescheides vom 9. September 2013 zu verpflichten, gegenüber der Klägerin die Schlüsselzuweisung B2 für das Haushaltsjahr 2013 im Hinblick auf § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu festzusetzen.

31

Sie sind der Auffassung, dass der Klägerin die nach § 42 Abs. 2 VerwaltungsgerichtsordnungVwGO – erforderliche Klagebefugnis fehle. Den Leistungsansatz nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG könne nur die Gemeinde beanspruchen und gegebenenfalls einklagen, der die geltend gemachte Funktion im Zentrale-Orte-System zukomme. Hier gehe es um die mittelzentrale Funktion der Stadt Ramstein-Miesenbach, nicht aber der Verbandsgemeinde Ramstein-Miesenbach. Klagebefugt sei zur Geltendmachung des Leistungsansatzes nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG daher nur die Stadt Ramstein-Miesenbach gewesen.

32

Soweit in Bezug auf § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG das Bestehen eines unmittelbar wechselbezüglichen Rechtsverhältnisses in Betracht komme, könne ein einheitliches Rechtsverhältnis mit den mit einer notwendigen Beiladung verbundenen Rechtsfolgen nur entstehen, soweit das Verwaltungsgericht der Klage entgegen seines Urteils vom 3. Juni 2013 – 3 K 641/12.NW und entgegen seiner Rechtsauffassung, der sich der Beklagte angeschlossen habe, mit der Folge stattgeben würde, dass die Beigeladenen den ihnen für ihren Mittelbereich allein zu stehenden Leistungsansatz für „Zentrale Orte“ mit der Klägerin nach Maßgabe der finanzausgleichsrechtlichen Verteilungsregelung des § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG wegen der durch das LEP IV neu eingeführten Zuordnungskategorie des kooperierenden Mittelzentrums und der aus diesem Anlass vorgenommenen Einstufung der verbandsangehörigen Stadt der Klägerin als Mittelzentrum teilen müssten. Dies sei aber nach diesseitiger Rechtsauffassung sowohl aus raumplanungs- als auch aus finanzverfassungsrechtlichen Gründen ausgeschlossen. Dabei sei unerheblich, dass den Urteilen des Verwaltungsgerichts Neustadt vom 3. Juni 2013 keine Bindungswirkung gegenüber der Klägerin bzw. der verbandsangehörigen Stadt Ramstein-Miesenbach beizumessen sei.

33

Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt habe, sei die landesplanerische Ausweisung der Stadt Ramstein-Miesenbach als Mittelzentrum schon deshalb unwirksam, weil das LEP IV keine verlässlichen Gewichtungsvorgaben für die einzelnen zum Mindeststandard gehörenden Einrichtungen für die Einstufung einer Gemeinde als kooperierendes Mittelzentrum enthalte. Dies gelte unverändert auch für den streitgegenständlichen Schlüsselzuweisungsbescheid.

34

Durch die Veränderung der landesplanerischen Einstufungsmaßstäbe im LEP IV gegenüber denen nach LEP III sei nicht durch den Landesgesetzgeber, sondern durch den Planungsträger eine Systemverschiebung im gesetzlichen Regelungswerk ausgelöst worden, die zu einer nicht systemkonformen Verschiebung der finanzausgleichsrechtlichen Verteilung führe, ohne dass der Landesgesetzgeber dafür die Maßstäbe festgelegt habe. Dies habe er aufgrund einer dynamischen Verweisung dem Landesplanungsträger überlassen, der dieser Aufgabe aber im Rahmen des bestehenden LEP IV nicht gerecht geworden sei.

35

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zur Gerichtsakte gereichte Verwaltungsakte und Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Gerichtsakten 3 K 641/12.NW und 3 K 312/13.NW, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen. Des Weiteren wird Bezug genommen auf die Niederschrift vom 27. Mai 2015.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig (I.), aber unbegründet (II.).

I.

37

Der Klägerin fehlt nicht die nach § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis zur Erhebung der Klage, mit der sie die Abänderung des Festsetzungsbescheides vom 15. Juli 2013 und vom 9. September 2013 sowie die Verpflichtung des Beklagten begehrt, die Schlüsselzuweisungen B2 für das Haushaltsjahr 2013 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts im Hinblick auf den Zentrale-Orte-Ansatz nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG neu festzusetzen (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

38

Die Schlüsselzuweisungen stehen nach der gesetzlichen Regelung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 9 Abs. 2 Nr. 2 LFAG den Verbandsgemeinden als Gläubiger zu. Dies folgt aus der besonderen gesetzlichen Regelung, dass der jeweilige Leistungsansatz nach § 11 Abs. 5 Satz 1 LFAG der Verbandsgemeinde gewährt wird. Nach § 11 Abs. 5 Satz 2 LFAG hat die Verbandsgemeinde zwar den auf den Leistungsansatz der Ortsgemeinde entfallenden Teilbetrag der Schlüsselzuweisungen im Falle des Absatzes 4 Nr. 2 zu 70 v. H. an die Ortsgemeinde weiterzuleiten, der restliche Teilbetrag von 30 v. H. steht aber der Verbandsgemeinde zu. Sowohl die Ortsgemeinde als auch die Verbandsgemeinde sind somit von dem Zentrale-Orte-Ansatz nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG in ihrer Finanzausstattung betroffen. Die Versagung des Leistungsansatzes nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG betrifft daher sowohl die Ortsgemeinde als auch die Verbandsgemeinde in eigenen Rechten im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO. Die Klagebefugnis der Verbandsgemeinde ist damit gegeben (vgl. OVG RP, Urteil vom 8. Juni 2004 – 7 A 11227/03.OVG –).

II.

39

Die Klage ist unbegründet, weil die Klägerin keinen Anspruch hat, dass der Beklagte die für das Haushaltsjahr 2013 festgesetzte Schlüsselzuweisung unter Abänderung des Bescheides vom 15. Juli 2013 und des Festsetzungsbescheides vom 9. September 2013 im Hinblick auf den Zentrale-Orte-Ansatz nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG neu festsetzt.

40

1. Der Beklagte hat zu Recht in den angefochtenen Festsetzungsbescheiden der Klägerin keine Schlüsselzuweisungen nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG (Zentrale-Orte-Ansatz) gewährt.

41

Er hat sich dabei auf die Urteile des Gerichts vom 3. Juni 2013 (3 K 312/13.NW, 3 K 641/12.NW) gestützt, in denen die Unwirksamkeit der Festsetzung Z 40 des LEP IV – Einstufung der Stadt Ramstein-Miesenbach als mittelzentraler Ort im Verdichtungsraum Landstuhl – festgestellt wurde. Da die Stadt Ramstein-Miesen-bach in den damaligen Klageverfahren nicht beigeladen war, erzeugen jene Urteile weder gegenüber der Stadt Ramstein-Miesenbach noch gegenüber der Klägerin gemäß § 121 Nr. 1 VwGO Rechtskraft.

42

Der Beklagte beruft sich bei seiner Entscheidung, die Stadt Ramstein-Miesenbach nicht als mittelzentralen Ort im Verdichtungsraum Landstuhl anzuerkennen, aber auch nicht auf die Rechtskraft jener Urteile, sondern auf eine ihm wegen dieser rechtskräftigen Urteile ausnahmsweise zustehenden Normverwerfungskompetenz, die die Klägerin indessen als nicht gegeben ansieht.

43

Es kann dahin stehen, ob der Beklagte sich bei der vorgenommenen Festsetzung der Schlüsselzuweisungen auf die Urteile des Gerichts vom 3. Juni 2013 berufen durfte, weil ihm aufgrund dieser ausnahmsweise eine Normverwerfungskompetenz zustehe, wie er gestützt auf Rechtsprechung des OVG Rheinland-Pfalz und des Bundesverwaltungsgerichts meint. Denn bei Anerkennung einer Normverwerfungskompetenz hat das Gericht zu prüfen, ob die Normverwerfung materiell rechtmäßig ist. Steht dem Beklagten in Folge der Urteile vom 3. Juni 2013 keine Normverwerfungskompetenz zu, prüft das Gericht die angefochtenen Bescheide ebenfalls auf ihre materielle Rechtmäßigkeit hin. Dem Gericht obliegt also in jedem Fall die Prüfung, ob die Versagung eines Zentrale-Orte-Ansatzes nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG im Hinblick auf die Stadt Ramstein-Miesenbach materiell rechtmäßig ist.

44

2. Der grundsätzliche Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Schlüsselzuweisung folgt aus Art. 49 Abs. 6 Satz 1 Landesverfassung Rheinland-Pfalz – LV – i. V. m. §§ 5 ff. LFAG (vgl. VGH RP, Urteil vom 14. Februar 2012 – VGH N 3/11 –, LKRZ 2012, 136 ff. = NVwZ 2012, 1034 ff.).

45

Aus Art. 49 Abs. 6 Satz 1 LV ergibt sich die verfassungsrechtliche Verpflichtung des Beklagten, den Kommunen die zur Erfüllung ihrer eigenen und der übertragenen Aufgaben erforderlichen Mittel im Wege des Lasten- und Finanzausgleichs zu sichern (hierzu VGH RP, Urteil vom 25. Januar 2006 – VGH B 1/05 –, NVwZ 2006, 1050 ff. = ESOVGRP). Daraus folgt, dass der Beklagte jeder Gemeinde Finanzmittel im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften gewähren muss. Die §§ 5 ff. LFAG regeln die Finanzzuweisungen innerhalb des Steuerverbundes. Dabei stellt die Gewährung der Schlüsselzuweisung B2 gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 2 LFAG nach Funktion und Umfang ein zentrales Element des kommunalen Finanzausgleichs dar. Mit ihr wird den kommunalen Gebietskörperschaften die Hälfte des Unterschiedsbetrages zwischen der Bedarfsmesszahl und der Finanzkraftmesszahl gewährt, die nach einem in den §§ 11, 12 LFAG geregelten Verfahren errechnet werden. Zur Bestimmung der Bedarfsmesszahl wird der so genannte Gesamtansatz mit einem einheitlichen Grundbetrag gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 LFAG vervielfacht. Der maßgebliche Gesamtansatz setzt sich nach § 11 Abs. 1 Satz 2 LFAG aus der Summe des Hauptansatzes gemäß § 11 Abs. 3 LFAG und der Leistungsansätze gemäß § 11 Abs. 4 LFAG zusammen.

46

3. Die Klägerin kann im Rahmen der Schlüsselzuweisungen keinen Leistungsansatz als mittelzentraler Ort im Verdichtungsraum Landstuhl nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG beanspruchen.

47

Ein solcher Leistungsansatz ist nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG für zentrale Orte vorgesehen. Danach beträgt dieser Ansatz a) für den Nahbereich 3,85 v. H., b) für den Mittelbereich 1,10 v. H. und c) für den Regionalbereich 0,33 v. H. der Einwohnerzahl des Verflechtungsbereichs; zum Verflechtungsbereich gehören der zentrale Ort und das Gebiet, für das nach dem LEP oder dem regionalen Raumordnungsplan (ROP) von dem zentralen Ort kommunale Einrichtungen vorgehalten werden sollen. Sind für einen Verflechtungsbereich der gleichen Zentralitätsstufe mehrere zentrale Orte ausgewiesen, so wird die Einwohnerzahl des Verflechtungsbereichs im Verhältnis der Einwohnerzahl dieser zentralen Orte aufgeteilt.

48

a. Dieser raumordnerische Ansatz im Landesfinanzausgleichsgesetz durch Bezugnahme auf die Ausweisungen im LEP begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

49

Zwar handelt es sich um eine dynamische Verweisung, da § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG den Begriff „zentrale Orte“ verwendet, ohne ausdrücklich auf das LEP in seiner im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Landesfinanzausgleichgesetzes geltenden Fassung zu verweisen (vgl. zu Verweisungsregelungen im Sinne einer statischen Verweisung z.B. §§ 25 ff BauNVO). Auch aus Satz 3 des § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG ergibt sich, dass die Zentrale-Orte-Funktion einer Gemeinde dem jeweils geltenden LEP zu entnehmen ist. Denn nach dieser Regelung bestimmt das für die Raumordnung und Landesplanung zuständige Ministerium die zentralen Orte und ihre Verflechtungsbereiche, wenn solche im LEP nicht ausgewiesen sind oder aber fortgeschrieben werden sollen. Diese Verweisung des § 11 Abs. 4 LFAG auf landesplanerische Festsetzungen unterliegt hier keinen durchgreifenden Zweifeln an ihrer Verfassungsmäßigkeit, weil der Gesetzgeber des Landesfinanzausgleichsgesetzes auf andere landesrechtliche (Gesetzes-)Normen, die für die Aufstellung des LEP maßgeblich sind, Bezug nimmt (§ 7 LPlG i.V.m. LEP; vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. März 1978 – 1 BvR 786/70 u.a. –, BVerfGE 47, 285; juris, Rn. 60 - 62).

50

Auch unter Berücksichtigung der Anforderungen aus Art. 49 Abs. 6 LV und des Gebots zur Gleichbehandlung ist es dem Landesgesetzgeber grundsätzlich nicht verwehrt, auf die Entscheidungen der zuständigen Raumordnungsbehörde hinsichtlich der raumordnerischen Einstufung einer Gemeinde zurückzugreifen, so dass die Verweisung des Gesetzgebers in § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG auf das LEP nicht zu beanstanden ist. Darüber hinaus wurde in § 11 Abs. 4 Nr. 2 Satz 3 LFAG Vorsorge getroffen, falls im LEP die zentralen Orte nicht ausgewiesen sind oder eine inhaltliche Fortschreibung des Zentrale-Orte-Prinzips ansteht; in diesem Fall bestimmt das für die Raumordnung und Landesplanung zuständige Ministerium die zentralen Orte und ihre Verflechtungsbereiche, wobei es hierbei angesichts des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums und seiner Bindung an den Gleichheitssatz wiederum objektive Gesichtspunkte zugrunde zu legen hat.

51

b. Die Umsetzung des grundsätzlich zulässigen raumordnerischen Ansatzes des Landesfinanzausgleichsgesetzes erweist sich mit der Einstufung der zur Klägerin gehörenden Stadt Ramstein-Miesenbach in Z 40 des LEP IV als kooperierendes Mittelzentrum in dem Verdichtungsraum Landstuhl als fehlerhaft. Dies wirkt sich auf die hier streitige endgültige Festsetzung der Schlüsselzuweisung ohne einen Leistungsansatz nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG für eine mittelzentrale Funktion der Stadt Ramstein-Miesenbach zu Lasten der Klägerin aus.

52

Nach § 11 Abs. 4 LFAG wird der Hauptansatz im Hinblick auf Mehrbelastungen, die nicht in der Einwohnerzahl zum Ausdruck kommen, ergänzt um Leistungsansätze, wie z. B. den Ansatz für zentrale Orte. Der Ansatz für zentrale Orte wird danach den Gebietskörperschaften gewährt, denen in ihrer Funktion als zentraler Ort Mehrbelastungen entstehen für kommunale Einrichtungen, die sie für den Verdichtungsbereich vorhalten und die deshalb maßgeblich zur Ausweisung einer entsprechenden Zentralitätsstufe geführt haben. Da mit diesem Leistungsansatz besondere Belastungen des Ortes ausgeglichen werden, knüpft er an den Ist-Zustand des Ortes an; er ist hingegen, auch wenn er nicht zweckgebunden ist (vgl. § 18 LFAG), nicht dazu bestimmt, die Finanzierung einer angestrebten Ausstattung des Ortes mit Einrichtungen zu ermöglichen.

53

Die Einordnung einer Gemeinde in das Zentrale-Orte-Konzept eines LEP unter-liegt dabei dem planungsrechtlichen Abwägungsgebot, das als Ausfluss des Rechtsstaatsgebots bei jeder staatlichen Planung und damit auch bei der Aufstellung eines durch Rechtsverordnung für verbindlich erklärten LEP zu beachten ist. Bei der Aufstellung eines LEP sind nach § 6 Abs. 1 LPlG die Grundsätze der Raumordnung gegeneinander und untereinander abzuwägen, wobei sonstige öffentliche Belange sowie private Belange zu berücksichtigen sind, soweit sie auf der jeweiligen Planungsebene erkennbar und von Bedeutung sind. Die Ermächtigung zur (Raum-)Planung umfasst dabei notwendig die Einräumung planerischer Gestaltungsfreiheit. Diese erstreckt sich auf alle für die Planung relevanten Gesichtspunkte zur Verwirklichung der gesetzlich vorgegebenen Planungsaufgabe sowie zur Bewältigung der aufgeworfenen Probleme und Interessenkonflikte, unterliegt jedoch – wie jede staatliche Planung – den rechtsstaatlichen Bindungen des Abwägungsgebots und ist hinsichtlich dessen Beachtung gerichtlicher Kontrolle zugänglich. Angesichts des gesetzlich eröffneten Gestaltungsspielraums des Planungsträgers kann dessen Entscheidung allerdings nur daraufhin überprüft werden, ob die Grenzen des Abwägungsgebots eingehalten worden sind. Eine Verletzung des Abwägungsgebots liegt vor, wenn eine sachgerechte Abwägung überhaupt nicht stattgefunden hat (Abwägungsausfall), wenn in die Abwägung an Belangen nicht das eingestellt wurde, was in sie eingestellt werden musste (Abwägungsdefizit), oder wenn die genannten Gewichtungsvorgaben nicht beachtet wurden (Abwägungsfehleinschätzung).

54

Bei der diesen Abwägungsgrundsätzen unterliegenden Planungsentscheidung nach §§ 5, 6 LPlG geht es vom rechtlichen Anspruch her nicht darum, einen aktuell faktisch vorhandenen Zustand statistisch zu ermitteln oder einen in der Lebenswirklichkeit in den Gemeinden eingetretenen Zustand lediglich zu beschreiben und dann durch die Einordnung der jeweiligen Kommune „nachzuvollziehen“ oder mit Blick auf die ergänzenden Mittelzuweisungen an die Mittelzentren (§ 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG) zu „belohnen“. Planung stellt vielmehr den Versuch dar, eine in Bezug auf das jeweilige „Planungsthema“ – hier die Grundsätze der Raumordnung im Kontext der Siedlungsentwicklung – in die Zukunft gerichtete, mit prognosetypischen Unwägbarkeiten behaftete Ordnungsvorstellung zu konkretisieren. Daher kann es nicht nur Aufgabe der planenden Stelle sein, ihre Ordnungsvorstellung anknüpfend an den Status quo wiederzugeben. Die Planung ist vielmehr von ihrem Sinn her gerichtet auf die Entwicklung eines Konzepts zur Verwirklichung der mit ihr angestrebten Ziele (so OVG Saarland, Urteil vom 27. November 2008 – 2 C 120/07 –, AS RP-SL 37, 44, 54f.).

55

Die rahmenrechtliche Planung lässt damit in der Regel noch Raum für eigene Abwägungsentscheidungen anderer Planungsträger und formuliert Ziele für künftige Entwicklungen, so dass damit Schwerpunkte gesetzt werden dürfen und sollen. Dies gilt auch für die Ausgestaltung des Zentrale-Orte-Prinzips in Umsetzung des § 7 Abs. 1 LPlG, die auf der Ebene eines LEP gekennzeichnet ist vom Ineinandergreifen der darin formulierten allgemeinen Kriterien für die Ausweisung der zentralen Orte der Grundversorgung (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LPlG) in den regionalen Raumordnungsplänen einerseits und abschließender Festlegungen der zentralen Orte für die Ober- und Mittelzentren (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LPlG) andererseits.

56

Der rheinland-pfälzische Landesgesetzgeber hat sich in der Landesplanung von Anfang an grundsätzlich für dieses "Zentrale-Orte-Prinzip" entschieden und daran festgehalten. Hieran hat sich durch die Ablösung des LEP III durch das LEP IV nichts Grundlegendes geändert.

57

Im LEP III waren vorgesehen Oberzentren, Mittelzentren, bei denen wiederum differenziert wurde zwischen Mittelzentren des Grundnetzes und Mittelzentren des Ergänzungsnetzes, sowie Grundzentren. Nach Nummer 2.4.3.5 LEP III (S. 36) waren Mittelzentrum im Grundnetz – wie Landstuhl – Standorte für gehobene Einrichtungen im wirtschaftlichen, kulturellen, sozialen und politischen Bereich und für weitere private Dienstleistungen. Sie verfügten über eine vollständige mittelzentrale Ausstattung und stellten als Versorgungsschwerpunkte ihres jeweiligen Verflechtungsbereichs das Rückgrat dieser Versorgungsebene dar. Grundzentren – wie Ramstein-Miesenbach mangels anderer Einordnung – waren nach Nummer 2.4.3.7 LEP III (S. 41) vorrangig Standorte zur Konzentration von Einrichtungen der überörtlichen Grundversorgung mit Gütern und Dienstleistungen, soweit dies für deren Tragfähigkeit und zur Entwicklung des Nahbereiches erforderlich war.

58

An dieser Klassifizierung Ober-, Mittel- und Grundzentren hat das LEPIV zunächst festgehalten. Eingeführt wurden aber mittelzentrale Verbünde. Gemäß Z39 LEP IV (S. 86) werden Gemeinden, die allein für einen Verflechtungsbereich (Mittelbereich) eine vollständige Versorgung der mittelzentralen Funktionen leisten, als Mittelzentren (MZ) ausgewiesen und sind insbesondere im ländlichen Raum in dieser Funktion zu stärken und zu sichern (Sicherungsfunktion). Leisten innerhalb eines Mittelbereiches mehrere zentrale Orte der mittel- und oberzentralen Stufe (Mittel- und Oberzentren) einen Beitrag zur mittelzentralen Versorgung, so handelt es sich um einen sogenannten „mittelzentralen Verbund kooperierender Zentren“ (Z40 LEP IV, S. 86).

59

Zu einem Mittelbereich – Verdichtungsraum zählt nach Z 40 des LEP IV (S. 87) Landstuhl und hierzu als kooperierendes Mittelzentrum die Stadt Ramstein-Miesenbach.

60

Dieses Zentrale-Orte-Konzept des LEP IV dient der Sicherung der Daseinsvorsorge und der Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen in allen Landesteilen über eine zentralörtliche Versorgungsstruktur. Dabei hat die zentralörtliche Funktion einerseits eine raumbezogene Funktion (Mittel- und Nahbereich), die andererseits über die Bündelungen der zentralörtlichen Einrichtungen im zentralen Ort ausgeübt wird (vgl. Erläuterung zu Z 35 bis Z 40 des LEP IV, S. 86).

61

Die zentralörtlichen Einrichtungen zu benennen, die die Landesplanung zur Erfüllung des übergreifenden Versorgungsauftrags eines Mittelzentrums für erforderlich oder wünschenswert ansieht, ist die Landesplanung grundsätzlich befugt, aber wegen des planungsrechtlichen Abwägungsgebots auch verpflichtet. Im Orientierungsrahmen der Tabelle 5 des LEP IV sind zwar Ausstattungskriterien für ein Mittelzentrum formuliert, aber nicht als Merkmale einer Anspruchsgrundlage in dem Sinne, dass bei Erfüllung der Anforderungen gleichsam automatisch ein Rechtsanspruch der Gemeinde gegen die Landesplanungsstelle bestünde, ebenfalls als Mittelzentrum festgelegt zu werden.

62

Nach Tabelle 5 „Orientierungsrahmen für Mindestversorgungsstandards in Bereichen mit unterschiedlicher zentralörtlicher Funktion“ des LEPIV hat ein Oberzentrum mindestens ca. 100.000 Einwohner und soll neben der Maximalversorgung im Gesundheitsbereich, zentralen Kultureinrichtungen (Theater/Orchester) und Sportstätten auch über einen IC/ICE-Haltepunkt und Fachhochschulen/Universitäten/ Forschungseinrichtungen verfügen. In Abgrenzung hierzu ist die Daseinsvorsorge in Mittelzentren (MZ) regelmäßig durch die Vorhaltung folgender Einrichtungen gekennzeichnet: Krankenhaus (Grundversorgung), Fachärztehaus, qualifizierte öffentliche Bibliothek als Einrichtung der Weiterbildung, Gymnasium/integrierte Gesamtschule (mit Ganztagsangebot) mit Abschluss Hochschulreife, berufsbildende Schule, behördliche Einrichtungen wie Amtsgericht, Finanzamt oder Agentur für Arbeit sowie Bahnhof und Haltepunkt (RLP-Taktverkehr). Im Mittelbereich/mittelzentraler Funktionsraum (MB) genügen dezentrale stationäre Pflegeeinrichtungen statt eines Fachärztehauses. Anzustreben ist hier als verbindliche Ausstattung das Vorhandensein einer Volkshochschule und/oder Ortsstelle einer anerkannten Landesorganisation, an Behörden bzw. Gerichten als verbindliche Ausstattung ein Amtsgericht, ein Finanzamt und eine Agentur für Arbeit. Dieser Orientierungsrahmen der Mindestversorgungsstandards ist bei der Zuordnung der Orte zu den einzelnen Zentralitätsstufen des LEPIV von dem Verordnungsgeber zu beachten.

63

Dem Beklagten folgend ist festzustellen, dass nicht eine rein nummerische Betrachtungsweise anhand dieser Tabelle für die Einordnung in das Zentrale-Orte-System des LEPIV ausschlaggebend sein kann, wobei allerdings auch nach Auffassung des Beklagten das Vorhandensein nur einer dieser Einrichtungen nicht ausreichend ist. Wie viele und welche der im Orientierungsrahmen der Tabelle 5 als für die Mindestversorgung aufgelisteten Einrichtungen ein Ort für die Einstufung in eine bestimmte Zentralitätsstufe vorzuhalten hat, lässt sich der Begründung/Erläuterung zu Z 35 bis Z 40 des LEP IV nicht entnehmen. Eine Gewichtung der in dem Orientierungsrahmen genannten der Mindestversorgung dienenden Einrichtungen nach Qualitätsstufen wurde ebenfalls nicht vorgenommen. Die Frage, welche Standards für die Funktionszuweisung eines Ortes im Zentrale-Orte-System erfüllt sein müssten, ist – so der Beklagte in der mündlichen Verhandlung des Gerichts – zurzeit immer noch in der Diskussion (vgl.hierzu auch S. 3 der Niederschrift vom 3. Juni 2013 in dem Verfahren 3 K 312/13.NW).

64

Festzustellen ist damit, dass der LEP IV keine Gewichtungsvorgaben für die einzelnen zum Mindeststandard gehörenden Einrichtungen für die Einstufung einer Gemeinde als – kooperierendes – Mittelzentrum enthält. Sind noch nicht einmal die bei der Zuordnung der einzelnen Gemeinden in das Zentrale-Orte-System maßgeblichen Kriterien nach der Tabelle 5 des LEP IV in ihrer Gewichtung zu erkennen, so ist die gemäß § 6 LPlG vorzunehmende Abwägung im Rahmen der Einstufung nicht nachvollziehbar und als in sich nicht stimmig zu werten. Dies betrifft auch den vorliegenden Fall.

65

Die beigeladene Stadt Landstuhl war bereits im Regionalen Raumordnungsplan Westpfalz 2004 nach den Vorgaben im LEPIII als Mittelzentrum im Grundnetz ausgewiesen, die Stadt Ramstein-Miesenbach hingegen nur als Grundzentrum (Nr. 2.1 des Plans, S. 6f.). Im folgenden Regionalen Raumordnungsplan Westpfalz IV – rechtsverbindlich seit dem 6. August 2012 – (ROP IV) sind in Konkretisierung des LEPIV dann beide Orte – ohne Begründung – als kooperierende Mittelzentren (mittelzentrale Verbünde) ausgewiesen (Kapitel II.1.1 des Plans, S. 14).

66

Zu dem Einwand der Klägerin, die Stadt Ramstein-Miesenbach sei in der Teilfortschreibung 2014 des ROP IV (veröffentlicht im Staatsanzeiger Rheinland-Pfalz vom 16. März 2015, Nr. 9, S. 285) immer noch als „Mittelzentrum“ ausgewiesen, ist auf Folgendes hinzuweisen: Aus der textlichen Fortschreibung des ROP IV geht eindeutig hervor, dass vor allem das Kapitel II.3.2 „Energie“ des ROP IV Westpfalz durch die Teilfortschreibung in Kapitel II.3.2. „Erneuerbare Energien“ geändert wurde. Hingegen handelt es sich laut Legende zu der in dieser Teilfortschreibung des ROP IV enthaltenen Karte 8 bei der Darstellung von Ramstein-Miesenbach als „Mittelzentrum, Kooperation freiwillig (N)“ um eine „nachrichtliche Übernahme aus LEP IV Rheinland-Pfalz“.

67

Für die Einstufung der Stadt Ramstein-Miesenbach als kooperierendes Mittelzentrum fehlt im LEPIV unter Nummer 3.1 „Zentrale-Orte-Struktur“ und der Begründung/Erläuterung zu Z 35 bis Z 40 der Nummer 3.1.1 LEP IV eine Aussage.

68

Maßgebend für die Ausweisung der Stadt Ramstein-Miesenbach als kooperierendes Mittelzentrum muss die Wahrnehmung mittelzentraler Funktionen im Bereich der Daseinsvorsorge sein. Die Voraussetzungen zur Wahrnehmung einer mittelzentralen Funktion werden – wie aufgezeigt – in dem LEP IV nicht definiert. So heißt es auch in der Begründung zur Entwurfsfassung für das Anhörungs- und Beteiligungsverfahren „Zweite Teilfortschreibung LEP IV Z31, Z39, Z40, Z61 und Z92“, in der unter anderem die Ausweisung der Stadt Ramstein-Miesenbach in Folge der Urteile der Kammer vom 3. Juni 2013 nicht mehr als Mittelzentrum in einem „mittelzentralen Verbund kooperierender Zentren“ ausgewiesen werden soll, dass eine umfassende Überarbeitung der Regelungen im „Kapitel III., Sicherung der Daseinsvorsorge, Abschnitt 3.1 Zentrale-Orte-Struktur“ erfolgen solle. Dies sei aber für einen späteren Zeitpunkt beabsichtigt, um die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Untersuchung auf Bundesebene prüfen und berücksichtigen zu können.

69

In diesem Sinne hat sich auch der in der mündlichen Verhandlung anwesend gewesene Vertreter des Ministeriums für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung geäußert. Danach enthalte die Tabelle 5 des LEP IV eine exemplarische Aufzählung von Einrichtungen, die für die Einstufung von Orten eine Bedeutung haben könnten, ohne dass aber die aufgezählten Einrichtungen als gleichgewichtig anzusehen seien. Die Konzeption für die Zentrale-Orte-Struktur sei 2008 auch im Hinblick auf die bereits angelaufene Gebietsreform auf einen späteren Zeitpunkt verschoben worden. Man habe bei der Orte-Einstufung 2008 eine Einzelfallbewertung vorgenommen.

70

Maßgeblich war bei dieser Einzelfallbetrachtung für den Beklagten zunächst das Vorhandensein folgender Ausstattungsmerkmale: ein Gymnasium, die Außenstelle einer Volkshochschule – der Kreisvolkshochschule Kaiserslautern – und ein Bahn-hof. Auch das bestehende Hallenbad sei Bestandteil des mittelzentralen Ausstattungskataloges.

71

Nach den Hinweisen zu Nummer 2.4.3.7 des LEP III (S. 45) konnte allerdings ein Grundzentrum in der Regel auch Sport- und Freizeiteinrichtungen, Einrichtungen des Dienstleistungsbereichs vorhalten, gelegentlich aber auch Standort einer weiterführenden Schule sein. Das Vorhandensein dieser Ausstattungsmerkmale führte unter der Geltung des LEP III nicht zur Ausweisung der Stadt Ramstein-Miesenbach als Mittelzentrum im Ergänzungsnetz, wobei Mittelzentren im Ergänzungsnetz die Versorgung im jeweiligen Mittelbereich ergänzten und die langfristige Sicherung vorhandener zentralörtlicher Einrichtungen in den benachbarten Ober- und Mittelzentren des Grundnetzes berücksichtigten (s. S. 36 LEP III). Unter dem LEP IV wurde die Stadt Ramstein-Miesenbach wegen dieser – bisher grundzentrentypischen – Einrichtungen aufgrund der Tabelle 5 des LEP IV (Orientierungsrahmen) ohne weitere Begründung oder Erläuterung als Mittelzentrum eingestuft. Mit der Existenz der aufgezählten Einrichtungen erfüllt die Stadt Ramstein-Miesenbach aber nur einen Teil des in diesem Orientierungsrahmen wiedergegebenen Mindestversorgungsstandards, ohne dass die Bedeutung der einzelnen Einrichtungen für die mittelzentrale Funktion konkret nachvollziehbar dargelegt wurde, weil über die Gewichtung der einzelnen Merkmale der Tabelle 5 derzeit noch immer diskutiert wird. Danach ist die der Stadt Ramstein-Miesenbach durch Hochstufung von einem Grundzentrum – mit überörtlicher Grundversorgung – zugewiesene Funktion als kooperierendes Mittelzentrum mangels festgelegter Kriterien nicht nachvollziehbar, ohne dass der Frage des tatsächlichen Kooperationsumfangs nachgegangen werden müsste.

72

Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung auf die Existenz folgender nach ihrer Ansicht mittelzentraler Ausstattungsmerkmale der Stadt Ramstein-Miesenbach hingewiesen: Gymnasium mit ca. 1.000 Schülern, Realschule Plus mit ca. 450 Schülern, Volkshochschule, Freizeitschwimmbad mit Wettkampfbahn, das auch von den Schulen genutzt werde, Sportanlage ebenfalls mit einer Nutzung durch Schulen, Arztpraxen einschließlich Fachärztehaus sowie eine private an eine Praxis angegliederte HNO-Klinik, Bahnhof und ein weiterer Bahnhaltepunkt, VRN-Anschluss sowie zentraler Anschluss an den ÖPNV, diverse Einkaufsmöglichkeiten. Des Weiteren sei ein Industriegebiet (Industriezentrum Westrich) mit Ausstrahlung in den Raum (70 %ige Belegung) vorhanden, das mit Fördermittel geschaffen worden sei und von der Fördergemeinschaft Kaiserslautern als Schwerpunktgebiet beworben werde. Schließlich will die Klägerin die Air Base Ramstein der US-Luftstreitkräfte als Kriterium für ihre Einstufung als mittelzentraler Ort berücksichtigt wissen. Die zivile Militärgemeinde sei in das Gemeindeleben integriert, die gemeindliche Infrastruktur werde von Militärangehörigen genutzt, aber auch zum Teil (Straßen) beschädigt. Die Air Base Ramstein-Miesenbach verursache ihr schließlich Personalkosten, da sie dort einen Informationsstand mit drei Beschäftigten unterhalte.

73

Diese von der Klägerin zur Berechtigung ihrer Einstufung als mittelzentraler Ort im Verdichtungsraum Landstuhl aufgezählten Einrichtungen bzw. ihre Vorläufer, wie z. B. die Duale Oberschule, aus der nach einer Schulstrukturreform die Realschule Plus hervorging, existierten aber – überwiegend – bereits vor 2008, als die Stadt Ramstein-Miesenbach im LEP III noch als Grundzentrum, d. h. als Standort zur Konzentration von Einrichtungen der überörtlichen Grundversorgung mit Gütern und Dienstleistungen, soweit dies für deren Tätigkeit und zur Entwicklung des Nahbereiches erforderlich war, ausgewiesen war.

74

Mangels sich aus dem LEP IV ergebender Kriterien für eine Gewichtung der einzelnen als zum Mindeststandard gehörenden in Tabelle 5 des LEP IV aufgelisteten Einrichtungen sowie sonstiger dort nicht aufgelisteter Einrichtungen und Dienstleistungen kann die Einstufung der Stadt Ramstein-Miesenbach in das Zentrale-Orte-System des LEP IV anhand der oben wiedergegebenen klägerischen Aufzählung an vorhandenen Einrichtungen nicht nachvollzogen werden. Die Einstufung der Stadt Ramstein-Miesenbach ist damit nicht nachvollziehbar und nicht schlüssig und demzufolge abwägungsfehlerhaft. Der Abwägungsfehler führt zu einer teilweisen Unwirksamkeit der Z 40 des LEP IV, soweit hierin die Einstufung der Stadt Ramstein-Miesenbach als kooperierendes Zentrum im mittelzentralen Verbund des Verdichtungsraums Landstuhl erfolgte.

75

Hieran vermag auch das Vorbringen der Klägerin, die Stadt Ramstein-Miesenbach habe mit der Zuweisung einer „besonderen Funktion Verteidigungsinfrastruktur“ eine herausgehobene Aufgabenstellung wahrzunehmen, nichts zu ändern. Die Klägerin bezieht sich insoweit auf Z 29, Nr. 2.4 Unterabschnitt 2.4.1 LEP IV (S. 75), wo es heißt, „ergänzend zu den zentralörtlichen Funktionen werden weitere landesweit bedeutsame infrastrukturelle Funktionen festgelegt: Die Stadt Ramstein-Miesenbach sowie ihre Umlandgemeinden haben die besondere Funktion >>Verteidigungsstruktur<<“.

76

Es erscheint trotz dieser nur ergänzenden Zuweisung der Funktion >>Verteidigungsstruktur<< nicht ausgeschlossen, dass das Vorhandensein dieser Verteidigungsinfrastruktur zumindest mit maßgeblich für die seinerzeitige Einstufung der Stadt Ramstein-Miesenbach als – kooperierendes – Mittelzentrum gewesen war. Die Verteidigungsinfrastruktur betrifft aber nicht die zentralörtliche Funktion der Stadt Ramstein-Miesenbach. Die hier in Rede stehende Verteidigungsinfrastruktur wirkt weit über den Verdichtungsbereich Landstuhl hinaus. Es handelt sich bei der US Air Base Ramstein um den größten NATO-Flugplatz in Europa, auf dem neben dem Hauptquartier der US-Luftstreitkräfte in Europa (USAFE) seit März 1973 das NATO-Hauptquartier der alliierten Luftstreitkräfte in Europa-Nord untergebracht ist. Dieser militärischen Einrichtung kommt damit eine internationale Bedeutung zu, die aber keinen Einfluss auf die Ausweisung der Stadt Ramstein-Miesenbach als kooperierendes Mittelzentrum haben darf.

77

Denn nach „III. Sicherung und Entwicklung der Daseinsvorsorge – Leitbild Daseinsvorsorge“ des LEP IV (S. 83) bilden in einzelnen Teilbereichen – unabhängig von der Lage in ländlichen oder verdichteten Räumen – ausreichend ausgestattete Mittelzentren den alleinigen Versorgungsschwerpunkt eines Mittelbereichs. Danach ist die Sicherung eines qualitativ hohen und in zumutbarer Erreichbarkeit verfügbaren Angebots an öffentlichen und privaten Versorgungseinrichtungen in anderen Teilräumen nur in Kooperation von mehreren Gemeinden langfristig sicherzustellen; diese Räume sind als >>mittelzentraler Verbund kooperierender Zentren<< gekennzeichnet. Hieraus folgt, dass maßgeblich für die Einreihung in das Zentrale-Orte-System des LEP IV die Ausstattung einer Gemeinde mit von ihren Einwohnern und den Bewohnern ihres räumlichen Umfeldes zu nutzenden Einrichtungen ist, weswegen auch die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich und ausführlich die vorhandenen kommunalen und privaten Einrichtungen in der Stadt Ramstein-Miesenbach aufgezählt und beschrieben hat. Diese allgemein zugänglichen Einrichtungen bestimmen die Funktion eines Ortes. Zu diesen der Allgemeinheit zur Verfügung stehenden Einrichtungen einer Gemeinde und in einer Gemeinde zählt nicht eine militärische Einrichtung wie hier die Air Base Ramstein der US-Luftstreitkräfte.

78

Aufgrund des Grundsatzes der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) kommt es dem Gericht nicht zu, hier anhand der von der Klägerin benannten Einrichtungen und angebotenen Dienstleistungen in der Stadt Ramstein-Miesenbach die Funktion dieser Stadt im Zentrale-Orte-System des LEPIV zu definieren. Das Gericht darf nur die Beachtung des Abwägungsgebots in einem Landesentwicklungsprogramm anhand einer vom Verordnungsgeber vorgegebenen Konzeption überprüfen, nicht aber eine Konzeption entwickeln. Diese Aufgabe obliegt dem für das LEP zuständigen Verordnungsgeber, der nach den Angaben des Beklagten 2008 eine Konzeption für die Zentralität der Orte auf einen späteren Zeitpunkt verschoben hatte und eine solche Konzeption zurzeit noch entwickelt.

79

c. Wegen des raumplanerischen Ansatzes des § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG hat die Einstufung eines Ortes in das Zentrale-Orte-System nicht nur in raumplanerischer Hinsicht Bedeutung (z. B. Stichwort: großflächiger Einzelhandel), sondern hat Auswirkungen auf die finanzielle Ausstattung des Ortes.

80

Die fehlerhafte Zuordnung eines Ortes in einen mittelzentralen Verbund kooperierender Zentren wirkt sich wegen der Verteilungsregelung in § 11 Abs. 4 Nr. 2 Satz 2 LFAG auf die Finanzausstattung aus, und zwar auf alle zentralen Orte gleicher Zentralitätsstufe in dem Verbund (Verflechtungsbereich). Denn der Leistungsansatz nach Satz 1 des § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG ist aufzuteilen auf mehrere zentrale Orte der gleichen Zentralitätsstufe in einem Verflechtungsbereich. Da mit der Vorhaltung von Einrichtungen mittelzentraler Bedeutung und der sich daraus ergebenden Wahrnehmung raumfunktioneller Aufgaben eine entsprechende finanzielle Belastung verbunden ist, die gerade durch den Leistungsansatz für zentrale Orte nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG ausgeglichen werden soll, liegt in einer fehlerhaften Zuweisung eines Ortes innerhalb des Zentrale-Orte-Systems des LEP IV ein sich im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs auswirkender Verstoß gegen das interkommunale Gleichbehandlungsgebot.

81

Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Kommunen ist für das Finanzausgleichsystem in Art. 49 Abs. 6 LV verankert. Danach gilt es, die finanziellen Belange der Kommunen gerecht auszugleichen, wobei die Maßstäbe, denen der Finanzausgleich folgen soll, nicht in Widerspruch zueinander stehen und auch nicht ohne einleuchtenden Grund verlassen werden dürfen (vgl. VGH RP, Urteil vom 14. Februar 2012 – VGH N 3/11 –, NVwZ 2012, 1034; Urteil vom 25. Januar 2006 – VGH B 1/05 –, AS RP-SL 33, 66, 70f.). Diesem Ziel dient § 11 Abs. 4 Nr. 2 Satz 1 LFAG, wonach grundsätzlich für die Bewilligung eines Leistungsansatzes für zentrale Orte die Einstufung einer Kommune im LEP maßgebend ist. Aufgrund dieses Regelungszusammenhangs hat der Verordnungsgeber aber bereits bei der Abwägung der Ziele im Zusammenhang mit der Zentrale-Orte-Struktur die finanziellen Folgen einer Einstufung auf den Finanzausgleich in den Blick zu nehmen.

82

Dies hat der Verordnungsgeber des LEP IV im Ansatz getan. Denn er hat bei Erlass des LEP IV augenscheinlich selbst daran gezweifelt, dass seine Planungsentscheidung mit dem bisherigen Finanzausgleichssystem in Einklang steht, hält es aber für eine Übergangszeit für gerechtfertigt, gleichwohl die Maßstäbe des § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG anzuwenden. Denn nach Z 49 des LEP IV sollen die Regelungen für den zentralörtlichen Ansatz im Landesfinanzausgleichsgesetz in Bezug auf den mittelzentralen Verbund einer Überprüfung unterzogen werden; bis zu einer abschließenden Neuregelung des Finanzausgleichs sollen die Mittelzentren und kooperierenden Zentren im mittelzentralen Verbund (bisher: Mittelzentren im Grund- und Ergänzungsnetz gemäß LEP III) aber wie bisher behandelt werden und die gesetzliche Verteilungsregelung des § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG soll weiterhin anwendbar sein. Durch ein derartiges Ziel im LEP IV können angesichts des Grundsatzes des Vorrangs des Gesetzes die gesetzlichen Vorgaben des Landesfinanzausgleichsgesetzes sowie der hierdurch vermittelte Anspruch auf eine dem interkommunalen Gleichheitsgebot genügende Teilhabe am Finanzausgleich jedoch nicht in Frage gestellt werden (vgl. VG Koblenz, Urteil vom 10. April 2012 – 1 K 148/12.KO –).

83

Das durch den Grundsatz der Gleichbehandlung der Kommunen (Art. 49 Abs. 6 LV) vorgegebene Ziel, gleichmäßige Maßstäbe für die Bemessung des Leistungsansatzes „Zentrale Orte“ zu finden, wird hier durch die Einbeziehung der Stadt Ramstein-Miesenbach als kooperierendes Mittelzentrum im Verbund innerhalb des Verdichtungsraums Landstuhl verfehlt (s. obige Ausführungen). Die Stadt Ramstein-Miesenbach, aber auch die Klägerin würden zum einen (nach den obigen Ausführungen) unberechtigt finanzielle Leistungen als kooperierendes Mittelzentrum im Verbund nach dem Leistungsansatz des § 11 Abs. 4 Nr. 2 Sätze 1 und 2 LFAG erhalten. Zum anderen würden die Beigeladenen hierdurch benachteiligt, weil sie die Mittel nach diesem Leistungsansatz, die dem Verdichtungsbereich Landstuhl insgesamt zustehen, systemwidrig mit der Klägerin teilen müssten.

84

Soweit für die Einstufung der Stadt Ramstein-Miesenbach auch die Funktion >>Verteidigungsstruktur<< maßgeblich gewesen sein sollte, ist im Rahmen des Landesfinanzausgleichgesetzes zudem auf Folgendes hinzuweisen: Für Belastungen, die der Stadt Ramstein-Miesenbach als Standort ausländischer Stationierungskräfte entstehen und die sie auch über den Leistungsansatz des § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG ausgeglichen sehen will, gilt, dass derartige Belastungen durch den Stationierungsansatz nach § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG ausgeglichen werden. Würde die Anwesenheit von ausländischen Stationierungskräften die Einstufung eines Ortes als mittelzentraler Ort mit rechtfertigen und zu einem Leistungsansatz „Zentrale Orte“ nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG beitragen, würden die Belastungen durch die ausländischen Stationierungskräfte letztlich zweimal berücksichtigt und damit überkompensiert.

85

4. Die Klägerin kann sich gegenüber dem beklagten Land wegen der Bindung an das Gemeinwohl und den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht auf Vertrauensschutz berufen, um den Leistungsansatz nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG für das Haushaltsjahr 2013 zu erhalten (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Mai 1980 – 5 C 11/78 –, juris, Rn. 24 m. w. Nachw.; Urteil vom 17. September 1970 – II C 48/68 –, BVerwGE 36, 108 ff. und juris, Rn. 42; OVG RP, Urteil vom 17. November 1987 –7 A 21/87 –, AS 22, 39 [41]).

III.

86

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Da die Beigeladenen mit ihrer Antragstellung ein eigenes Kostenrisiko eingegangen sind, entspricht es der Billigkeit der Klägerin die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen.

87

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO.

88

Beschluss

89

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 120.768,-- € festgesetzt (§§ 52, 63 Abs. 2 GKG).

90

Gegen die Festsetzung des Streitwertes steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen nach Maßgabe des § 68 Abs. 1 GKG dieBeschwerde an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,00 € übersteigt oder das Gericht die Beschwerde zugelassen hat.

91

Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung zur Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, eingelegt wird; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

92

Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße, Robert-Stolz-Str. 20, 67433 Neustadt, schriftlich, in elektronischer Form oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen.

93

Die elektronische Form wird durch eine qualifiziert signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der Landesverordnung über den elektronischen Rechtsverkehr mit den öffentlich-rechtlichen Fachgerichtsbarkeiten vom 9. Januar 2008 (GVBl. S. 33) in der jeweils geltenden Fassung zu übermitteln ist.

(1) Als Steuereinnahmen eines Landes gelten die ihm im Ausgleichsjahr zugeflossenen Einnahmen

1.
aus seinem Anteil an der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer;
2.
aus seinem Anteil an der Gewerbesteuerumlage nach § 6 des Gemeindefinanzreformgesetzes;
3.
aus der Vermögensteuer, der Erbschaftsteuer, der Biersteuer, der Steuern nach dem Rennwett- und Lotteriegesetz mit Ausnahme der Totalisatorsteuer, der Feuerschutzsteuer und der Spielbankabgabe mit Ausnahme der Sonderabgabe und der Troncabgabe;
4.
nach dem Gesetz zur Regelung der finanziellen Kompensation zugunsten der Länder infolge der Übertragung der Ertragshoheit der Kraftfahrzeugsteuer auf den Bund.
Als Steuereinnahme eines Landes gilt ebenfalls seine Steuerkraftzahl der Grunderwerbsteuer im Ausgleichsjahr. Als Steuerkraftzahlen werden für die einzelnen Länder die Beträge angesetzt, die sich ergeben, wenn die im Bundesgebiet insgesamt im Ausgleichsjahr aufgekommene Grunderwerbsteuer im Verhältnis der dem Aufkommen zu Grunde liegenden länderweisen Steuerbemessungsgrundlagen der Grunderwerbsteuer verteilt wird. Für Fälle der Pauschalbesteuerung nach § 12 des Grunderwerbsteuergesetzes ist zur Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage der Pauschalbetrag durch den Steuersatz zu dividieren, der zum Zeitpunkt des pauschaliert besteuerten Rechtsvorgangs gültig war. Als Steuereinnahmen eines Landes gelten ferner die sich nach § 2 entsprechend seinem Einwohneranteil für das Ausgleichsjahr ergebenden Anteile der Umsatzsteuer.

(2) Den Steuereinnahmen der Länder nach Absatz 1 werden 33 Prozent des Aufkommens aus der Förderabgabe nach § 31 des Bundesberggesetzes hinzugesetzt.

(3) Die Einnahmen nach den Absätzen 1 und 2 werden in den Ländern gekürzt, in denen die Veränderungsrate der Steuereinnahmen nach Absatz 1 Satz 1 bis 4 je Einwohner im Ausgleichsjahr gegenüber dem dem Ausgleichsjahr vorausgehenden Kalenderjahr die entsprechende Veränderungsrate der Ländergesamtheit übersteigt. Dabei sind die Einwohnerzahlen maßgebend, die das Statistische Bundesamt jeweils zum 30. Juni des Ausgleichsjahres und des dem Ausgleichsjahr vorausgehenden Kalenderjahres festgestellt hat. Der Kürzungsbetrag wird auf 12 Prozent des Betrages festgesetzt, der sich ergibt, wenn die Veränderungsrate der Steuereinnahmen eines Landes nach Absatz 1 Satz 1 bis 4 je Einwohner im Ausgleichsjahr, soweit sie die entsprechende Veränderungsrate der Ländergesamtheit übersteigt, vervielfacht wird mit den Steuereinnahmen des Landes nach Absatz 1 Satz 1 bis 4 je Einwohner des dem Ausgleichsjahr vorausgehenden Kalenderjahres sowie mit der Einwohnerzahl des Ausgleichsjahres.

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Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt die Klägerin.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit von Schlüsselzuweisungen nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 Satz 2 (Zentrale-Orte-Ansatz) des Landesfinanzausgleichsgesetzes – LFAG – für das Haushaltsjahr 2013.

2

Nach der Grundkonzeption des Landesfinanzausgleichgesetzes wird der Finanzbedarf einer Gemeinde im Wesentlichen durch die Zahl der Einwohner bestimmt, für die kommunale Einrichtungen vorgehalten und Leistungen erbracht werden müssen. Dieser Systematik entsprechend stellt der Gesetzgeber zur Festsetzung der für die Bemessung der Schlüsselzuweisung B2 maßgeblichen Bedarfsmesszahl auf die Zahl der Einwohner ab, die zu einem bestimmten Stichtag mit ihrer Hauptwohnung den melderechtlichen Vorschriften unterliegen (§ 11 Abs. 3 i. V. m. § 29 Abs. 1 LFAG).

3

Der Hauptansatz wird zum Ausgleich besonderer Belastungen durch so genannte Leistungsansätze ergänzt. Das Landesfinanzausgleichsgesetz von Rheinland-Pfalz geht von einem raumordnerischen Ansatz in Form des Leistungsansatzes für Zentrale-Orte aus. Der so genannte „Zentrale-Orte-Ansatz" nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG orientiert sich an der Bevölkerung im Umland (Verflechtungsbereiche) zentraler Orte (Grund-, Mittel- und Oberzentren) und differenziert dabei zwischen Einwohnern im Nah-, Mittel- und Regionalbereich. Die Mitnutzung der Leistungen zentraler Orte durch die Einwohner im Verflechtungsbereich stellt einen externen Effekt dar. Da die Inanspruchnahme der öffentlichen Güter des Ortes mit zentralörtlicher Funktion durch das Umland nicht anderweitig abgegolten wird, erfolgt eine Berücksichtigung von Sondereinwohnern beim zentralen Ort. Existieren dabei für den Verflechtungsbereich dergleichen Zentralitätsstufe mehrere zentrale Orte, wird die Einwohnerzahl des Verflechtungsbereichs im Verhältnis der Einwohnerzahlen der zentralen Orte zueinander aufgeteilt (vgl. § 11 Abs. 4 Nr. 2 S. 2 LFAG).

4

Im Landesentwicklungsprogramm (LEP) IV, das unter dem 14. Oktober 2008 durch Rechtsverordnung für verbindlich erklärt wurde und am 28. November 2008 in Kraft getreten ist, ist unter Nummer 3.1.1 „Zentrenstruktur, Mittelbereiche und mittelzentrale Verbünde“ als Ziel (Z) 39 „Zentrale-Orte-Struktur“ festgelegt, dass Gemeinden, die allein für einen Verflechtungsbereich (Mittelbereich) eine vollständige Versorgung der mittelzentralen Funktionen leisten, als Mittelzentren (MZ) ausgewiesen werden und insbesondere im ländlichen Raum in dieser Funktion zu stärken und zu sichern (Sicherungsfunktion) sind. Als Z 40 ist in dieser Nummer festgelegt, dass es sich um einen „mittelzentralen Verbund kooperierender Zentren“ handelt, wenn innerhalb eines Mittelbereiches mehrere zentrale Orte der mittel- und oberzentralen Stufe (Mittel- und Oberzentren) einen Beitrag zur mittelzentralen Versorgung leisten. Die bisherige Differenzierung nach Mittelzentren im Grundnetz oder Ergänzungsnetz sowie von gemeinsamen Mittelzentren entfällt (siehe LEP IV, Begründung zu Z 35 bis Z 40, S. 90, linke Spalte oben).

5

Gemäß Z 45 der Nummer 3.1.2 „Interkommunale Zusammenarbeit und Finanzausgleich“ des LEP IV ist in den ländlichen Räumen – insbesondere in den Räumen ohne eine hohe Zentrenerreichbarkeit – die Daseinsvorsorge in den zentralen Orten (insb. Mittelzentren) zu sichern und weiterzuentwickeln. Dazu sind diese zentralen Orte innerhalb der Mittelbereiche des ländlichen Raums zu intensiver Zusammenarbeit verpflichtet, um dies in einer möglichen Funktionsteilung zu erreichen (Kooperationsgebot). Auch für weitere Aufgabenbereiche von überörtlicher Bedeutung können interkommunal abgestimmte Handlungskonzepte erarbeitet werden.

6

Zu den Mittelbereichen (Z 40) gehört der Verdichtungsraum Landstuhl; als kooperierende Zentren sind die Städte Landstuhl und Ramstein-Miesenbach ausgewiesen. Im LEP III, das von dem LEP IV abgelöst wurde, war die Stadt Landstuhl als ein Mittelzentrum im Grundnetz (LEP III, S.40) ausgewiesen. Die Stadt Ramstein-Miesenbach wurde im LEP III im Zusammenhang mit einer mittelzentralen Funktion nicht erwähnt.

7

Nach Z 49 der Nummer 3.1.2 „Interkommunale Zusammenarbeit und Finanzausgleich“ im LEP IV sind Regelungen für den zentralörtlichen Ansatz im Landesfinanzausgleichsgesetz, insbesondere in Bezug auf den mittelzentralen Verbund, zu prüfen. Die Mittelzentren und kooperierenden Zentren im mittelzentralen Verbund (bisher: Mittelzentren im Grund- und Ergänzungsnetz gemäß LEP III) werden bis zu einer abschließenden Neuregelung wie bisher behandelt. Im folgenden LEP sei zu prüfen, welche Gemeinden aufgrund ihrer mittelzentralen Aufgaben weiterhin als kooperierende Zentren einem mittelzentralen Verbund zuzurechnen sein werden.

8

Bei Änderungen des Landesfinanzausgleichsgesetzes im Jahre 2009 wurden keine Korrekturen zur Anpassung des finanzausgleichsrechtlichen Zuweisungssystems in Bezug auf den Ansatz für zentrale Orte vorgenommen.

9

Am 16. Juli 2012 hatte die Verbandsgemeinde Landstuhl gegen die Festsetzung der Schlüsselzuweisungen Klage erhoben, mit dem Ziel einer Neufestsetzung der Schlüsselzuweisungen für das Jahr 2011, weil der Leistungsansatz für zentrale Orte nicht zwischen Landstuhl und der Stadt Ramstein-Miesenbach aufgeteilt werden dürfe.

10

Mit Urteilen vom 3. Juni 2013 – 3 K 312/13.NW und 3 K 641/12.NW – verpflichtete das Gericht den Beklagten, unter Abänderung des Bescheides des Ministeriums des Innern, für Sport und Infrastruktur Rheinland-Pfalz vom 19. Juli 2011 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über die Festsetzung der Schlüsselzuweisung für das Haushaltsjahr 2011 für die Verbandsgemeinde Landstuhl zu entscheiden, weil sich die Umsetzung des grundsätzlich zulässigen raumordnerischen Ansatzes des Landesfinanzausgleichsgesetzes mit der Einstufung der Stadt Ramstein-Miesenbach in Z 40 des LEP IV als kooperierendes Mittelzentrum in dem Verdichtungsraum Landstuhl als fehlerhaft erweise.

11

Ein Rechtsmittel wurde gegen die Urteile seitens des Beklagten nicht eingelegt, weil nach Einschätzung des Ministeriums für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung sowie des Ministeriums des Innern, für Sport und Infrastruktur die Urteile aus fachlicher und juristischer Sicht nachvollziehbar seien und ein Berufungsverfahren als wenig erfolgversprechend bewertet werde (s. Bl. 80 VA).

12

Mit Bescheid vom 15. Juli 2013 wurden die Schlüsselzuweisungen für die Klägerin für das Jahr 2013 unter der Einschränkung festgesetzt, dass die Festsetzung der Schlüsselzuweisungen B2, soweit es den Leistungsansatz für zentrale Orte gemäß § 11 Abs.4 Nr. 2 LFAG betreffe, zunächst nur vorläufig unter dem Vorbehalt einer späteren abschließenden Entscheidung ergehe. Diese vorläufige Festsetzung erfolgte vor dem Hintergrund der Urteile des Verwaltungsgerichts Neustadt vom 3. Juni 2013 – 3 K 312/13.NW und 3 K 641/12.NW –.

13

Der Beklagte teilte mit Schreiben vom 22. Juli 2013 der Klägerin mit, dass in Kürze ein endgültiger Festsetzungsbescheid nebst korrigierten Berechnungsbögen ergehen werde und von einer nach § 30 Abs. 2 LFAG möglichen Berichtigung der Schlüsselzuweisungsbescheide der Jahre 2010 bis 2012 sowie mit einer damit einhergehenden Rückforderung zu viel gezahlter Schlüsselzuweisungen B2 von jährlich rund 100.000,-- € bis 115.000,-- € abgesehen werde, da die Berechnung des Leistungsansatzes für zentrale Orte nicht auf unrichtigen Angaben der Klägerin bzw. der Stadt Ramstein-Miesenbach, sondern auf den (fehlerhaften) landesplanerischen Festsetzungen im LEP IV beruhten.

14

Mit Bescheid vom 9. September 2013 wurden die vorläufigen Festsetzungsbescheide aufgehoben und die Schlüsselzuweisungen endgültig festgesetzt. Nachdem die Urteile des Verwaltungsgerichts Neustadt vom 3. Juni 2013 rechtskräftig geworden seien, sei bei der Aufteilung des Leistungsansatzes für zentrale Orte im Verflechtungsbereich Landstuhl gemäß § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG nur die Stadt Landstuhl als Mittelzentrum zu berücksichtigen. Es sei nach den genannten Urteilen von einer teilweisen Unwirksamkeit der Z 40 des LEP IV auszugehen, soweit darin die Stadt Ramstein-Miesenbach als kooperierendes Zentrum im mittelzentralen Verbund des Verdichtungsraums Landstuhl eingestuft werde.

15

Die Klägerin hat am 16. April 2014 Klage erhoben gegen den vorläufigen Festsetzungsbescheid vom 15. Juli 2013 und den endgültigen Festsetzungsbescheid vom 9. September 2013 – beide ohne Rechtsmittelbelehrung –, weil ein Leistungsansatz für die Stadt Ramstein-Miesenbach als kooperierendes Mittelzentrum im mittelzentralen Verbund des Verdichtungsraums Landstuhl (§ 11 Abs. 4 Nr. 2 Satz 2 LFAG) nicht gewährt worden sei. Zahlenmäßig bedeute die Nichtanerkennung der mittelzentralen Funktion der Stadt Ramstein-Miesenbach für die Klägerin ein Minus an Schlüsselzuweisungen B2 sowie an Investitionsschlüsselzuweisungen für das Jahr 2013 in Höhe von 120.768,-- €. Davon würde auf die Klägerin ein Betrag von 37.862,-- € und auf die Stadt Ramstein-Miesenbach von 82.906,--€ entfallen.

16

Sie ist der Auffassung, der Beklagte habe bei der Festsetzung der Schlüsselzuweisungen nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG den LEP IV in seiner aktuellen Fassung zugrunde zu legen. Die Urteile des Verwaltungsgerichts Neustadt vom 3. Juni 2013 würden nur zwischen den Beteiligten wirken, hierzu gehöre die Klägerin nicht. Sie sei zu den seinerzeitigen Verfahren nicht beigeladen worden, obwohl sie notwendig beizuladen gewesen wäre. Eine inzidente Normprüfung, wie sie das Verwaltungsgericht im Rahmen der Klage über die Festsetzung und Höhe der Schlüsselzuweisungen für die Stadt Landstuhl seinerzeit vorgenommen habe, könne nicht zu einer allgemein-verbindlichen Unwirksamkeit bzw. gerichtlichen Verwerfung der Z 40 des LEP IV führen, soweit dort auch die Stadt Ramstein-Miesenbach als kooperierendes Zentrum im mittelzentralen Verbund des Verdichtungsraums Landstuhl ausgewiesen sei. Die Folgen der Entscheidung würden bei einer Inzidentkontrolle regelmäßig nur die Prozessparteien für den Einzelfall binden, nicht aber Dritte. Der Beklagte habe damals auf ein Rechtsmittel gegen die verwaltungsgerichtlichen Urteile vom 3. Juni 2013 verzichtet, weil es ihm wohl im Ergebnis gleichgültig gewesen sei, ob der Leistungsansatz nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG zwischen der Klägerin und Landstuhl aufgeteilt werde oder vollständig an Landstuhl gehe. Der Beklagte hätte bei der endgültigen Festsetzung der Schlüsselzuweisungen B2 für die Klägerin folglich weiter die mittelzentrale Funktion der Stadt Ramstein-Miesenbach im Verflechtungsraum Landstuhl zugrunde legen müssen, wie sie in Z 40 des LEP IV unverändert ausgewiesen sei.

17

Dem Beklagten stehe auch keine Normverwerfungskompetenz zu, die angesichts des in Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz – GG – verankerten Grundsatzes der Gesetzesbindung der Verwaltung und dem damit verbundenen Auftrag zur Gesetzesanwendung (wenn überhaupt) grundsätzlich nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zugelassen werde, die hier nicht vorlägen.

18

Eine behördliche Normverwerfungskompetenz würde hier ferner zu einer Verletzung des Vertrauensschutzgrundsatzes (Art. 20 Abs. 3 GG) führen, dessen Schutzbereich auch die Klägerin als Gemeinde erfasse. Durch ihren Haushalt für das Jahr 2013 habe die Klägerin ihr Vertrauen, kooperierendes Mittelzentrum zu sein und entsprechende Schlüsselzuweisungen zu erhalten, betätigt. Durch die in Widerspruch zur Gesetzeslage – der nach wie vor bestehenden Einstufung der Klägerin als kooperierendes Mittelzentrum im LEP IV – erfolgte Verweigerung dieser Schlüsselzuweisungen sei sie in diesem Vertrauen enttäuscht worden.

19

Der Klägerin komme aber auch nach dem LEP IV zu Recht die Funktion als kooperierendes Mittelzentrum im Verflechtungsbereich Landstuhl zu.

20

Ein Verstoß gegen das planungsrechtliche Abwägungsgebot bzw. das interkommunale Gleichheitsgebot im Zentrale-Orte-System könne nicht darin gesehen werden, dass Kriterien für eine Gewichtung der einzelnen als zum Mindeststandard gehörenden in Tabelle 5 des LEP IV aufgelisteten Einrichtungen für die Einstufung in das Zentrale-Orte-System nicht einzeln und buchhalterisch aufgelistet seien. Sie ergäben sich bisher aus den verschiedenen Aspekten und Anforderungen in einer Gesamtschau im Rahmen des Zentrale-Orte-Konzepts; damit könne der Besonderheit der Verflechtungsräume und deren Entwicklung Rechnung getragen werden. Eine solche Ausgestaltung liege im raumordnerischen Planungsermessen der Planungsbehörden, die nach § 8 Landesplanungsgesetz – LPlG – dabei die umfangreichen Anforderungen an die Aufstellung des LEP IV zu beachten hätten; das LEP IV sei dann durch Rechtsverordnung der Landesregierung für verbindlich erklärt worden.

21

Im Übrigen würden die Vorhaltungen an Einrichtungen in der Stadt Ramstein-Miesenbach die Anforderungen und Voraussetzungen für die Einstufung als Mittelzentrum erfüllen, so dass der Einwand, das LEP IV enthalte keine verlässlichen Gewichtungsvorgaben für die einzelnen zum Mindeststandard gehörenden Einrichtungen für die Einstufung einer Gemeinde als – kooperierendes – Mittelzentrum ins Leere gehe.

22

Die Klägerin beantragt,

23

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 15. Juli 2013 und des Bescheides vom 9. September 2013 zu verpflichten, gegenüber der Klägerin die Schlüsselzuweisungen B2 für das Haushaltsjahr 2013 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts hinsichtlich des Leistungsansatzes für zentrale Orte nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG neu festzusetzen.

24

Der Beklagte beantragt,

25

die Klage abzuweisen.

26

Zutreffend sei, dass dem Beklagten grundsätzlich keine Normverwerfungskompetenz zustehe. Allerdings erkenne die Rechtsprechung eine solche Kompetenz an, wenn ein Verwaltungsgericht eine Norm in einem Parallelverfahren als ungültig behandelt habe (OVG RP, Beschluss vom 14. Mai 2013 – 8 A 10043/13 –, juris, Rn. 7; OVG NRW, Urteil vom 30. Juni 2005 – 20 A 3988/03 –, NuR 2006, 191f.). Genau dies sei hier der Fall.

27

Er habe sich die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts Neustadt aus den Urteilen vom 3. Juni 2013 (3 K 312/13.NW und 3 K 641/12.NW) zu eigen gemacht und halte seine frühere Rechtsauffassung nicht mehr aufrecht. Dies beruhe darauf, dass die gerichtliche Entscheidung als nachvollziehbar und rechtlich überzeugend erachtet werde.

28

Selbst bei Anerkennung der Tatsache, dass ein kooperierendes Mittelzentrum keine so umfassende Ausstattung wie ein monozentrales Mittelzentrum haben müsse und insoweit mit dem weiteren Mittelzentrum – hier der Stadt Landstuhl – gemeinsam eine möglichst umfassende Versorgung der Bevölkerung sicherstellen solle, sei die im LEP IV erfolgte Einstufung der Stadt Ramstein-Miesenbach als kooperierendes Mittelzentrum zu Unrecht erfolgt, wie das Verwaltungsgericht überzeugend festgestellt habe. Hinzu komme, dass derzeit kaum erkennbar sei, wie die Klägerin entgegen der in G 46 des LEP IV verankerten Kooperationsempfehlung mit dem benachbarten Mittelzentrum Landstuhl im Bereich der Einrichtungen von mittelzentraler Bedeutung kooperiere. Es liege lediglich eine entsprechende Vereinbarung für das Hallenbad „Azur“ zwischen der Verbandsgemeinde Landstuhl und der Verbandsgemeinde Ramstein-Miesenbach sowie eine Vereinbarung für den Schulzweckverband IGS (Integrierte Gesamtschule) zwischen der Verbandsgemeinde Landstuhl und dem Landkreis Kaiserslautern vor. Dies werde durch eine Rückmeldung im Zuge einer Umfrage für die Erstellung des Raumordnungsberichtes 2013 belegt.

29

Die Beigeladenen beantragen,

30

die Klage abzuweisen, soweit die Klägerin beantragt, den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 15. Juli 2013 und des Bescheides vom 9. September 2013 zu verpflichten, gegenüber der Klägerin die Schlüsselzuweisung B2 für das Haushaltsjahr 2013 im Hinblick auf § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu festzusetzen.

31

Sie sind der Auffassung, dass der Klägerin die nach § 42 Abs. 2 VerwaltungsgerichtsordnungVwGO – erforderliche Klagebefugnis fehle. Den Leistungsansatz nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG könne nur die Gemeinde beanspruchen und gegebenenfalls einklagen, der die geltend gemachte Funktion im Zentrale-Orte-System zukomme. Hier gehe es um die mittelzentrale Funktion der Stadt Ramstein-Miesenbach, nicht aber der Verbandsgemeinde Ramstein-Miesenbach. Klagebefugt sei zur Geltendmachung des Leistungsansatzes nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG daher nur die Stadt Ramstein-Miesenbach gewesen.

32

Soweit in Bezug auf § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG das Bestehen eines unmittelbar wechselbezüglichen Rechtsverhältnisses in Betracht komme, könne ein einheitliches Rechtsverhältnis mit den mit einer notwendigen Beiladung verbundenen Rechtsfolgen nur entstehen, soweit das Verwaltungsgericht der Klage entgegen seines Urteils vom 3. Juni 2013 – 3 K 641/12.NW und entgegen seiner Rechtsauffassung, der sich der Beklagte angeschlossen habe, mit der Folge stattgeben würde, dass die Beigeladenen den ihnen für ihren Mittelbereich allein zu stehenden Leistungsansatz für „Zentrale Orte“ mit der Klägerin nach Maßgabe der finanzausgleichsrechtlichen Verteilungsregelung des § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG wegen der durch das LEP IV neu eingeführten Zuordnungskategorie des kooperierenden Mittelzentrums und der aus diesem Anlass vorgenommenen Einstufung der verbandsangehörigen Stadt der Klägerin als Mittelzentrum teilen müssten. Dies sei aber nach diesseitiger Rechtsauffassung sowohl aus raumplanungs- als auch aus finanzverfassungsrechtlichen Gründen ausgeschlossen. Dabei sei unerheblich, dass den Urteilen des Verwaltungsgerichts Neustadt vom 3. Juni 2013 keine Bindungswirkung gegenüber der Klägerin bzw. der verbandsangehörigen Stadt Ramstein-Miesenbach beizumessen sei.

33

Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt habe, sei die landesplanerische Ausweisung der Stadt Ramstein-Miesenbach als Mittelzentrum schon deshalb unwirksam, weil das LEP IV keine verlässlichen Gewichtungsvorgaben für die einzelnen zum Mindeststandard gehörenden Einrichtungen für die Einstufung einer Gemeinde als kooperierendes Mittelzentrum enthalte. Dies gelte unverändert auch für den streitgegenständlichen Schlüsselzuweisungsbescheid.

34

Durch die Veränderung der landesplanerischen Einstufungsmaßstäbe im LEP IV gegenüber denen nach LEP III sei nicht durch den Landesgesetzgeber, sondern durch den Planungsträger eine Systemverschiebung im gesetzlichen Regelungswerk ausgelöst worden, die zu einer nicht systemkonformen Verschiebung der finanzausgleichsrechtlichen Verteilung führe, ohne dass der Landesgesetzgeber dafür die Maßstäbe festgelegt habe. Dies habe er aufgrund einer dynamischen Verweisung dem Landesplanungsträger überlassen, der dieser Aufgabe aber im Rahmen des bestehenden LEP IV nicht gerecht geworden sei.

35

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zur Gerichtsakte gereichte Verwaltungsakte und Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Gerichtsakten 3 K 641/12.NW und 3 K 312/13.NW, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen. Des Weiteren wird Bezug genommen auf die Niederschrift vom 27. Mai 2015.

Entscheidungsgründe

36

Die Klage ist zulässig (I.), aber unbegründet (II.).

I.

37

Der Klägerin fehlt nicht die nach § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis zur Erhebung der Klage, mit der sie die Abänderung des Festsetzungsbescheides vom 15. Juli 2013 und vom 9. September 2013 sowie die Verpflichtung des Beklagten begehrt, die Schlüsselzuweisungen B2 für das Haushaltsjahr 2013 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts im Hinblick auf den Zentrale-Orte-Ansatz nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG neu festzusetzen (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

38

Die Schlüsselzuweisungen stehen nach der gesetzlichen Regelung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 9 Abs. 2 Nr. 2 LFAG den Verbandsgemeinden als Gläubiger zu. Dies folgt aus der besonderen gesetzlichen Regelung, dass der jeweilige Leistungsansatz nach § 11 Abs. 5 Satz 1 LFAG der Verbandsgemeinde gewährt wird. Nach § 11 Abs. 5 Satz 2 LFAG hat die Verbandsgemeinde zwar den auf den Leistungsansatz der Ortsgemeinde entfallenden Teilbetrag der Schlüsselzuweisungen im Falle des Absatzes 4 Nr. 2 zu 70 v. H. an die Ortsgemeinde weiterzuleiten, der restliche Teilbetrag von 30 v. H. steht aber der Verbandsgemeinde zu. Sowohl die Ortsgemeinde als auch die Verbandsgemeinde sind somit von dem Zentrale-Orte-Ansatz nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG in ihrer Finanzausstattung betroffen. Die Versagung des Leistungsansatzes nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG betrifft daher sowohl die Ortsgemeinde als auch die Verbandsgemeinde in eigenen Rechten im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO. Die Klagebefugnis der Verbandsgemeinde ist damit gegeben (vgl. OVG RP, Urteil vom 8. Juni 2004 – 7 A 11227/03.OVG –).

II.

39

Die Klage ist unbegründet, weil die Klägerin keinen Anspruch hat, dass der Beklagte die für das Haushaltsjahr 2013 festgesetzte Schlüsselzuweisung unter Abänderung des Bescheides vom 15. Juli 2013 und des Festsetzungsbescheides vom 9. September 2013 im Hinblick auf den Zentrale-Orte-Ansatz nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG neu festsetzt.

40

1. Der Beklagte hat zu Recht in den angefochtenen Festsetzungsbescheiden der Klägerin keine Schlüsselzuweisungen nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG (Zentrale-Orte-Ansatz) gewährt.

41

Er hat sich dabei auf die Urteile des Gerichts vom 3. Juni 2013 (3 K 312/13.NW, 3 K 641/12.NW) gestützt, in denen die Unwirksamkeit der Festsetzung Z 40 des LEP IV – Einstufung der Stadt Ramstein-Miesenbach als mittelzentraler Ort im Verdichtungsraum Landstuhl – festgestellt wurde. Da die Stadt Ramstein-Miesen-bach in den damaligen Klageverfahren nicht beigeladen war, erzeugen jene Urteile weder gegenüber der Stadt Ramstein-Miesenbach noch gegenüber der Klägerin gemäß § 121 Nr. 1 VwGO Rechtskraft.

42

Der Beklagte beruft sich bei seiner Entscheidung, die Stadt Ramstein-Miesenbach nicht als mittelzentralen Ort im Verdichtungsraum Landstuhl anzuerkennen, aber auch nicht auf die Rechtskraft jener Urteile, sondern auf eine ihm wegen dieser rechtskräftigen Urteile ausnahmsweise zustehenden Normverwerfungskompetenz, die die Klägerin indessen als nicht gegeben ansieht.

43

Es kann dahin stehen, ob der Beklagte sich bei der vorgenommenen Festsetzung der Schlüsselzuweisungen auf die Urteile des Gerichts vom 3. Juni 2013 berufen durfte, weil ihm aufgrund dieser ausnahmsweise eine Normverwerfungskompetenz zustehe, wie er gestützt auf Rechtsprechung des OVG Rheinland-Pfalz und des Bundesverwaltungsgerichts meint. Denn bei Anerkennung einer Normverwerfungskompetenz hat das Gericht zu prüfen, ob die Normverwerfung materiell rechtmäßig ist. Steht dem Beklagten in Folge der Urteile vom 3. Juni 2013 keine Normverwerfungskompetenz zu, prüft das Gericht die angefochtenen Bescheide ebenfalls auf ihre materielle Rechtmäßigkeit hin. Dem Gericht obliegt also in jedem Fall die Prüfung, ob die Versagung eines Zentrale-Orte-Ansatzes nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG im Hinblick auf die Stadt Ramstein-Miesenbach materiell rechtmäßig ist.

44

2. Der grundsätzliche Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Schlüsselzuweisung folgt aus Art. 49 Abs. 6 Satz 1 Landesverfassung Rheinland-Pfalz – LV – i. V. m. §§ 5 ff. LFAG (vgl. VGH RP, Urteil vom 14. Februar 2012 – VGH N 3/11 –, LKRZ 2012, 136 ff. = NVwZ 2012, 1034 ff.).

45

Aus Art. 49 Abs. 6 Satz 1 LV ergibt sich die verfassungsrechtliche Verpflichtung des Beklagten, den Kommunen die zur Erfüllung ihrer eigenen und der übertragenen Aufgaben erforderlichen Mittel im Wege des Lasten- und Finanzausgleichs zu sichern (hierzu VGH RP, Urteil vom 25. Januar 2006 – VGH B 1/05 –, NVwZ 2006, 1050 ff. = ESOVGRP). Daraus folgt, dass der Beklagte jeder Gemeinde Finanzmittel im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften gewähren muss. Die §§ 5 ff. LFAG regeln die Finanzzuweisungen innerhalb des Steuerverbundes. Dabei stellt die Gewährung der Schlüsselzuweisung B2 gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 2 LFAG nach Funktion und Umfang ein zentrales Element des kommunalen Finanzausgleichs dar. Mit ihr wird den kommunalen Gebietskörperschaften die Hälfte des Unterschiedsbetrages zwischen der Bedarfsmesszahl und der Finanzkraftmesszahl gewährt, die nach einem in den §§ 11, 12 LFAG geregelten Verfahren errechnet werden. Zur Bestimmung der Bedarfsmesszahl wird der so genannte Gesamtansatz mit einem einheitlichen Grundbetrag gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 LFAG vervielfacht. Der maßgebliche Gesamtansatz setzt sich nach § 11 Abs. 1 Satz 2 LFAG aus der Summe des Hauptansatzes gemäß § 11 Abs. 3 LFAG und der Leistungsansätze gemäß § 11 Abs. 4 LFAG zusammen.

46

3. Die Klägerin kann im Rahmen der Schlüsselzuweisungen keinen Leistungsansatz als mittelzentraler Ort im Verdichtungsraum Landstuhl nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG beanspruchen.

47

Ein solcher Leistungsansatz ist nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG für zentrale Orte vorgesehen. Danach beträgt dieser Ansatz a) für den Nahbereich 3,85 v. H., b) für den Mittelbereich 1,10 v. H. und c) für den Regionalbereich 0,33 v. H. der Einwohnerzahl des Verflechtungsbereichs; zum Verflechtungsbereich gehören der zentrale Ort und das Gebiet, für das nach dem LEP oder dem regionalen Raumordnungsplan (ROP) von dem zentralen Ort kommunale Einrichtungen vorgehalten werden sollen. Sind für einen Verflechtungsbereich der gleichen Zentralitätsstufe mehrere zentrale Orte ausgewiesen, so wird die Einwohnerzahl des Verflechtungsbereichs im Verhältnis der Einwohnerzahl dieser zentralen Orte aufgeteilt.

48

a. Dieser raumordnerische Ansatz im Landesfinanzausgleichsgesetz durch Bezugnahme auf die Ausweisungen im LEP begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

49

Zwar handelt es sich um eine dynamische Verweisung, da § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG den Begriff „zentrale Orte“ verwendet, ohne ausdrücklich auf das LEP in seiner im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Landesfinanzausgleichgesetzes geltenden Fassung zu verweisen (vgl. zu Verweisungsregelungen im Sinne einer statischen Verweisung z.B. §§ 25 ff BauNVO). Auch aus Satz 3 des § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG ergibt sich, dass die Zentrale-Orte-Funktion einer Gemeinde dem jeweils geltenden LEP zu entnehmen ist. Denn nach dieser Regelung bestimmt das für die Raumordnung und Landesplanung zuständige Ministerium die zentralen Orte und ihre Verflechtungsbereiche, wenn solche im LEP nicht ausgewiesen sind oder aber fortgeschrieben werden sollen. Diese Verweisung des § 11 Abs. 4 LFAG auf landesplanerische Festsetzungen unterliegt hier keinen durchgreifenden Zweifeln an ihrer Verfassungsmäßigkeit, weil der Gesetzgeber des Landesfinanzausgleichsgesetzes auf andere landesrechtliche (Gesetzes-)Normen, die für die Aufstellung des LEP maßgeblich sind, Bezug nimmt (§ 7 LPlG i.V.m. LEP; vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. März 1978 – 1 BvR 786/70 u.a. –, BVerfGE 47, 285; juris, Rn. 60 - 62).

50

Auch unter Berücksichtigung der Anforderungen aus Art. 49 Abs. 6 LV und des Gebots zur Gleichbehandlung ist es dem Landesgesetzgeber grundsätzlich nicht verwehrt, auf die Entscheidungen der zuständigen Raumordnungsbehörde hinsichtlich der raumordnerischen Einstufung einer Gemeinde zurückzugreifen, so dass die Verweisung des Gesetzgebers in § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG auf das LEP nicht zu beanstanden ist. Darüber hinaus wurde in § 11 Abs. 4 Nr. 2 Satz 3 LFAG Vorsorge getroffen, falls im LEP die zentralen Orte nicht ausgewiesen sind oder eine inhaltliche Fortschreibung des Zentrale-Orte-Prinzips ansteht; in diesem Fall bestimmt das für die Raumordnung und Landesplanung zuständige Ministerium die zentralen Orte und ihre Verflechtungsbereiche, wobei es hierbei angesichts des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums und seiner Bindung an den Gleichheitssatz wiederum objektive Gesichtspunkte zugrunde zu legen hat.

51

b. Die Umsetzung des grundsätzlich zulässigen raumordnerischen Ansatzes des Landesfinanzausgleichsgesetzes erweist sich mit der Einstufung der zur Klägerin gehörenden Stadt Ramstein-Miesenbach in Z 40 des LEP IV als kooperierendes Mittelzentrum in dem Verdichtungsraum Landstuhl als fehlerhaft. Dies wirkt sich auf die hier streitige endgültige Festsetzung der Schlüsselzuweisung ohne einen Leistungsansatz nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG für eine mittelzentrale Funktion der Stadt Ramstein-Miesenbach zu Lasten der Klägerin aus.

52

Nach § 11 Abs. 4 LFAG wird der Hauptansatz im Hinblick auf Mehrbelastungen, die nicht in der Einwohnerzahl zum Ausdruck kommen, ergänzt um Leistungsansätze, wie z. B. den Ansatz für zentrale Orte. Der Ansatz für zentrale Orte wird danach den Gebietskörperschaften gewährt, denen in ihrer Funktion als zentraler Ort Mehrbelastungen entstehen für kommunale Einrichtungen, die sie für den Verdichtungsbereich vorhalten und die deshalb maßgeblich zur Ausweisung einer entsprechenden Zentralitätsstufe geführt haben. Da mit diesem Leistungsansatz besondere Belastungen des Ortes ausgeglichen werden, knüpft er an den Ist-Zustand des Ortes an; er ist hingegen, auch wenn er nicht zweckgebunden ist (vgl. § 18 LFAG), nicht dazu bestimmt, die Finanzierung einer angestrebten Ausstattung des Ortes mit Einrichtungen zu ermöglichen.

53

Die Einordnung einer Gemeinde in das Zentrale-Orte-Konzept eines LEP unter-liegt dabei dem planungsrechtlichen Abwägungsgebot, das als Ausfluss des Rechtsstaatsgebots bei jeder staatlichen Planung und damit auch bei der Aufstellung eines durch Rechtsverordnung für verbindlich erklärten LEP zu beachten ist. Bei der Aufstellung eines LEP sind nach § 6 Abs. 1 LPlG die Grundsätze der Raumordnung gegeneinander und untereinander abzuwägen, wobei sonstige öffentliche Belange sowie private Belange zu berücksichtigen sind, soweit sie auf der jeweiligen Planungsebene erkennbar und von Bedeutung sind. Die Ermächtigung zur (Raum-)Planung umfasst dabei notwendig die Einräumung planerischer Gestaltungsfreiheit. Diese erstreckt sich auf alle für die Planung relevanten Gesichtspunkte zur Verwirklichung der gesetzlich vorgegebenen Planungsaufgabe sowie zur Bewältigung der aufgeworfenen Probleme und Interessenkonflikte, unterliegt jedoch – wie jede staatliche Planung – den rechtsstaatlichen Bindungen des Abwägungsgebots und ist hinsichtlich dessen Beachtung gerichtlicher Kontrolle zugänglich. Angesichts des gesetzlich eröffneten Gestaltungsspielraums des Planungsträgers kann dessen Entscheidung allerdings nur daraufhin überprüft werden, ob die Grenzen des Abwägungsgebots eingehalten worden sind. Eine Verletzung des Abwägungsgebots liegt vor, wenn eine sachgerechte Abwägung überhaupt nicht stattgefunden hat (Abwägungsausfall), wenn in die Abwägung an Belangen nicht das eingestellt wurde, was in sie eingestellt werden musste (Abwägungsdefizit), oder wenn die genannten Gewichtungsvorgaben nicht beachtet wurden (Abwägungsfehleinschätzung).

54

Bei der diesen Abwägungsgrundsätzen unterliegenden Planungsentscheidung nach §§ 5, 6 LPlG geht es vom rechtlichen Anspruch her nicht darum, einen aktuell faktisch vorhandenen Zustand statistisch zu ermitteln oder einen in der Lebenswirklichkeit in den Gemeinden eingetretenen Zustand lediglich zu beschreiben und dann durch die Einordnung der jeweiligen Kommune „nachzuvollziehen“ oder mit Blick auf die ergänzenden Mittelzuweisungen an die Mittelzentren (§ 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG) zu „belohnen“. Planung stellt vielmehr den Versuch dar, eine in Bezug auf das jeweilige „Planungsthema“ – hier die Grundsätze der Raumordnung im Kontext der Siedlungsentwicklung – in die Zukunft gerichtete, mit prognosetypischen Unwägbarkeiten behaftete Ordnungsvorstellung zu konkretisieren. Daher kann es nicht nur Aufgabe der planenden Stelle sein, ihre Ordnungsvorstellung anknüpfend an den Status quo wiederzugeben. Die Planung ist vielmehr von ihrem Sinn her gerichtet auf die Entwicklung eines Konzepts zur Verwirklichung der mit ihr angestrebten Ziele (so OVG Saarland, Urteil vom 27. November 2008 – 2 C 120/07 –, AS RP-SL 37, 44, 54f.).

55

Die rahmenrechtliche Planung lässt damit in der Regel noch Raum für eigene Abwägungsentscheidungen anderer Planungsträger und formuliert Ziele für künftige Entwicklungen, so dass damit Schwerpunkte gesetzt werden dürfen und sollen. Dies gilt auch für die Ausgestaltung des Zentrale-Orte-Prinzips in Umsetzung des § 7 Abs. 1 LPlG, die auf der Ebene eines LEP gekennzeichnet ist vom Ineinandergreifen der darin formulierten allgemeinen Kriterien für die Ausweisung der zentralen Orte der Grundversorgung (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LPlG) in den regionalen Raumordnungsplänen einerseits und abschließender Festlegungen der zentralen Orte für die Ober- und Mittelzentren (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LPlG) andererseits.

56

Der rheinland-pfälzische Landesgesetzgeber hat sich in der Landesplanung von Anfang an grundsätzlich für dieses "Zentrale-Orte-Prinzip" entschieden und daran festgehalten. Hieran hat sich durch die Ablösung des LEP III durch das LEP IV nichts Grundlegendes geändert.

57

Im LEP III waren vorgesehen Oberzentren, Mittelzentren, bei denen wiederum differenziert wurde zwischen Mittelzentren des Grundnetzes und Mittelzentren des Ergänzungsnetzes, sowie Grundzentren. Nach Nummer 2.4.3.5 LEP III (S. 36) waren Mittelzentrum im Grundnetz – wie Landstuhl – Standorte für gehobene Einrichtungen im wirtschaftlichen, kulturellen, sozialen und politischen Bereich und für weitere private Dienstleistungen. Sie verfügten über eine vollständige mittelzentrale Ausstattung und stellten als Versorgungsschwerpunkte ihres jeweiligen Verflechtungsbereichs das Rückgrat dieser Versorgungsebene dar. Grundzentren – wie Ramstein-Miesenbach mangels anderer Einordnung – waren nach Nummer 2.4.3.7 LEP III (S. 41) vorrangig Standorte zur Konzentration von Einrichtungen der überörtlichen Grundversorgung mit Gütern und Dienstleistungen, soweit dies für deren Tragfähigkeit und zur Entwicklung des Nahbereiches erforderlich war.

58

An dieser Klassifizierung Ober-, Mittel- und Grundzentren hat das LEPIV zunächst festgehalten. Eingeführt wurden aber mittelzentrale Verbünde. Gemäß Z39 LEP IV (S. 86) werden Gemeinden, die allein für einen Verflechtungsbereich (Mittelbereich) eine vollständige Versorgung der mittelzentralen Funktionen leisten, als Mittelzentren (MZ) ausgewiesen und sind insbesondere im ländlichen Raum in dieser Funktion zu stärken und zu sichern (Sicherungsfunktion). Leisten innerhalb eines Mittelbereiches mehrere zentrale Orte der mittel- und oberzentralen Stufe (Mittel- und Oberzentren) einen Beitrag zur mittelzentralen Versorgung, so handelt es sich um einen sogenannten „mittelzentralen Verbund kooperierender Zentren“ (Z40 LEP IV, S. 86).

59

Zu einem Mittelbereich – Verdichtungsraum zählt nach Z 40 des LEP IV (S. 87) Landstuhl und hierzu als kooperierendes Mittelzentrum die Stadt Ramstein-Miesenbach.

60

Dieses Zentrale-Orte-Konzept des LEP IV dient der Sicherung der Daseinsvorsorge und der Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen in allen Landesteilen über eine zentralörtliche Versorgungsstruktur. Dabei hat die zentralörtliche Funktion einerseits eine raumbezogene Funktion (Mittel- und Nahbereich), die andererseits über die Bündelungen der zentralörtlichen Einrichtungen im zentralen Ort ausgeübt wird (vgl. Erläuterung zu Z 35 bis Z 40 des LEP IV, S. 86).

61

Die zentralörtlichen Einrichtungen zu benennen, die die Landesplanung zur Erfüllung des übergreifenden Versorgungsauftrags eines Mittelzentrums für erforderlich oder wünschenswert ansieht, ist die Landesplanung grundsätzlich befugt, aber wegen des planungsrechtlichen Abwägungsgebots auch verpflichtet. Im Orientierungsrahmen der Tabelle 5 des LEP IV sind zwar Ausstattungskriterien für ein Mittelzentrum formuliert, aber nicht als Merkmale einer Anspruchsgrundlage in dem Sinne, dass bei Erfüllung der Anforderungen gleichsam automatisch ein Rechtsanspruch der Gemeinde gegen die Landesplanungsstelle bestünde, ebenfalls als Mittelzentrum festgelegt zu werden.

62

Nach Tabelle 5 „Orientierungsrahmen für Mindestversorgungsstandards in Bereichen mit unterschiedlicher zentralörtlicher Funktion“ des LEPIV hat ein Oberzentrum mindestens ca. 100.000 Einwohner und soll neben der Maximalversorgung im Gesundheitsbereich, zentralen Kultureinrichtungen (Theater/Orchester) und Sportstätten auch über einen IC/ICE-Haltepunkt und Fachhochschulen/Universitäten/ Forschungseinrichtungen verfügen. In Abgrenzung hierzu ist die Daseinsvorsorge in Mittelzentren (MZ) regelmäßig durch die Vorhaltung folgender Einrichtungen gekennzeichnet: Krankenhaus (Grundversorgung), Fachärztehaus, qualifizierte öffentliche Bibliothek als Einrichtung der Weiterbildung, Gymnasium/integrierte Gesamtschule (mit Ganztagsangebot) mit Abschluss Hochschulreife, berufsbildende Schule, behördliche Einrichtungen wie Amtsgericht, Finanzamt oder Agentur für Arbeit sowie Bahnhof und Haltepunkt (RLP-Taktverkehr). Im Mittelbereich/mittelzentraler Funktionsraum (MB) genügen dezentrale stationäre Pflegeeinrichtungen statt eines Fachärztehauses. Anzustreben ist hier als verbindliche Ausstattung das Vorhandensein einer Volkshochschule und/oder Ortsstelle einer anerkannten Landesorganisation, an Behörden bzw. Gerichten als verbindliche Ausstattung ein Amtsgericht, ein Finanzamt und eine Agentur für Arbeit. Dieser Orientierungsrahmen der Mindestversorgungsstandards ist bei der Zuordnung der Orte zu den einzelnen Zentralitätsstufen des LEPIV von dem Verordnungsgeber zu beachten.

63

Dem Beklagten folgend ist festzustellen, dass nicht eine rein nummerische Betrachtungsweise anhand dieser Tabelle für die Einordnung in das Zentrale-Orte-System des LEPIV ausschlaggebend sein kann, wobei allerdings auch nach Auffassung des Beklagten das Vorhandensein nur einer dieser Einrichtungen nicht ausreichend ist. Wie viele und welche der im Orientierungsrahmen der Tabelle 5 als für die Mindestversorgung aufgelisteten Einrichtungen ein Ort für die Einstufung in eine bestimmte Zentralitätsstufe vorzuhalten hat, lässt sich der Begründung/Erläuterung zu Z 35 bis Z 40 des LEP IV nicht entnehmen. Eine Gewichtung der in dem Orientierungsrahmen genannten der Mindestversorgung dienenden Einrichtungen nach Qualitätsstufen wurde ebenfalls nicht vorgenommen. Die Frage, welche Standards für die Funktionszuweisung eines Ortes im Zentrale-Orte-System erfüllt sein müssten, ist – so der Beklagte in der mündlichen Verhandlung des Gerichts – zurzeit immer noch in der Diskussion (vgl.hierzu auch S. 3 der Niederschrift vom 3. Juni 2013 in dem Verfahren 3 K 312/13.NW).

64

Festzustellen ist damit, dass der LEP IV keine Gewichtungsvorgaben für die einzelnen zum Mindeststandard gehörenden Einrichtungen für die Einstufung einer Gemeinde als – kooperierendes – Mittelzentrum enthält. Sind noch nicht einmal die bei der Zuordnung der einzelnen Gemeinden in das Zentrale-Orte-System maßgeblichen Kriterien nach der Tabelle 5 des LEP IV in ihrer Gewichtung zu erkennen, so ist die gemäß § 6 LPlG vorzunehmende Abwägung im Rahmen der Einstufung nicht nachvollziehbar und als in sich nicht stimmig zu werten. Dies betrifft auch den vorliegenden Fall.

65

Die beigeladene Stadt Landstuhl war bereits im Regionalen Raumordnungsplan Westpfalz 2004 nach den Vorgaben im LEPIII als Mittelzentrum im Grundnetz ausgewiesen, die Stadt Ramstein-Miesenbach hingegen nur als Grundzentrum (Nr. 2.1 des Plans, S. 6f.). Im folgenden Regionalen Raumordnungsplan Westpfalz IV – rechtsverbindlich seit dem 6. August 2012 – (ROP IV) sind in Konkretisierung des LEPIV dann beide Orte – ohne Begründung – als kooperierende Mittelzentren (mittelzentrale Verbünde) ausgewiesen (Kapitel II.1.1 des Plans, S. 14).

66

Zu dem Einwand der Klägerin, die Stadt Ramstein-Miesenbach sei in der Teilfortschreibung 2014 des ROP IV (veröffentlicht im Staatsanzeiger Rheinland-Pfalz vom 16. März 2015, Nr. 9, S. 285) immer noch als „Mittelzentrum“ ausgewiesen, ist auf Folgendes hinzuweisen: Aus der textlichen Fortschreibung des ROP IV geht eindeutig hervor, dass vor allem das Kapitel II.3.2 „Energie“ des ROP IV Westpfalz durch die Teilfortschreibung in Kapitel II.3.2. „Erneuerbare Energien“ geändert wurde. Hingegen handelt es sich laut Legende zu der in dieser Teilfortschreibung des ROP IV enthaltenen Karte 8 bei der Darstellung von Ramstein-Miesenbach als „Mittelzentrum, Kooperation freiwillig (N)“ um eine „nachrichtliche Übernahme aus LEP IV Rheinland-Pfalz“.

67

Für die Einstufung der Stadt Ramstein-Miesenbach als kooperierendes Mittelzentrum fehlt im LEPIV unter Nummer 3.1 „Zentrale-Orte-Struktur“ und der Begründung/Erläuterung zu Z 35 bis Z 40 der Nummer 3.1.1 LEP IV eine Aussage.

68

Maßgebend für die Ausweisung der Stadt Ramstein-Miesenbach als kooperierendes Mittelzentrum muss die Wahrnehmung mittelzentraler Funktionen im Bereich der Daseinsvorsorge sein. Die Voraussetzungen zur Wahrnehmung einer mittelzentralen Funktion werden – wie aufgezeigt – in dem LEP IV nicht definiert. So heißt es auch in der Begründung zur Entwurfsfassung für das Anhörungs- und Beteiligungsverfahren „Zweite Teilfortschreibung LEP IV Z31, Z39, Z40, Z61 und Z92“, in der unter anderem die Ausweisung der Stadt Ramstein-Miesenbach in Folge der Urteile der Kammer vom 3. Juni 2013 nicht mehr als Mittelzentrum in einem „mittelzentralen Verbund kooperierender Zentren“ ausgewiesen werden soll, dass eine umfassende Überarbeitung der Regelungen im „Kapitel III., Sicherung der Daseinsvorsorge, Abschnitt 3.1 Zentrale-Orte-Struktur“ erfolgen solle. Dies sei aber für einen späteren Zeitpunkt beabsichtigt, um die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Untersuchung auf Bundesebene prüfen und berücksichtigen zu können.

69

In diesem Sinne hat sich auch der in der mündlichen Verhandlung anwesend gewesene Vertreter des Ministeriums für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung geäußert. Danach enthalte die Tabelle 5 des LEP IV eine exemplarische Aufzählung von Einrichtungen, die für die Einstufung von Orten eine Bedeutung haben könnten, ohne dass aber die aufgezählten Einrichtungen als gleichgewichtig anzusehen seien. Die Konzeption für die Zentrale-Orte-Struktur sei 2008 auch im Hinblick auf die bereits angelaufene Gebietsreform auf einen späteren Zeitpunkt verschoben worden. Man habe bei der Orte-Einstufung 2008 eine Einzelfallbewertung vorgenommen.

70

Maßgeblich war bei dieser Einzelfallbetrachtung für den Beklagten zunächst das Vorhandensein folgender Ausstattungsmerkmale: ein Gymnasium, die Außenstelle einer Volkshochschule – der Kreisvolkshochschule Kaiserslautern – und ein Bahn-hof. Auch das bestehende Hallenbad sei Bestandteil des mittelzentralen Ausstattungskataloges.

71

Nach den Hinweisen zu Nummer 2.4.3.7 des LEP III (S. 45) konnte allerdings ein Grundzentrum in der Regel auch Sport- und Freizeiteinrichtungen, Einrichtungen des Dienstleistungsbereichs vorhalten, gelegentlich aber auch Standort einer weiterführenden Schule sein. Das Vorhandensein dieser Ausstattungsmerkmale führte unter der Geltung des LEP III nicht zur Ausweisung der Stadt Ramstein-Miesenbach als Mittelzentrum im Ergänzungsnetz, wobei Mittelzentren im Ergänzungsnetz die Versorgung im jeweiligen Mittelbereich ergänzten und die langfristige Sicherung vorhandener zentralörtlicher Einrichtungen in den benachbarten Ober- und Mittelzentren des Grundnetzes berücksichtigten (s. S. 36 LEP III). Unter dem LEP IV wurde die Stadt Ramstein-Miesenbach wegen dieser – bisher grundzentrentypischen – Einrichtungen aufgrund der Tabelle 5 des LEP IV (Orientierungsrahmen) ohne weitere Begründung oder Erläuterung als Mittelzentrum eingestuft. Mit der Existenz der aufgezählten Einrichtungen erfüllt die Stadt Ramstein-Miesenbach aber nur einen Teil des in diesem Orientierungsrahmen wiedergegebenen Mindestversorgungsstandards, ohne dass die Bedeutung der einzelnen Einrichtungen für die mittelzentrale Funktion konkret nachvollziehbar dargelegt wurde, weil über die Gewichtung der einzelnen Merkmale der Tabelle 5 derzeit noch immer diskutiert wird. Danach ist die der Stadt Ramstein-Miesenbach durch Hochstufung von einem Grundzentrum – mit überörtlicher Grundversorgung – zugewiesene Funktion als kooperierendes Mittelzentrum mangels festgelegter Kriterien nicht nachvollziehbar, ohne dass der Frage des tatsächlichen Kooperationsumfangs nachgegangen werden müsste.

72

Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung auf die Existenz folgender nach ihrer Ansicht mittelzentraler Ausstattungsmerkmale der Stadt Ramstein-Miesenbach hingewiesen: Gymnasium mit ca. 1.000 Schülern, Realschule Plus mit ca. 450 Schülern, Volkshochschule, Freizeitschwimmbad mit Wettkampfbahn, das auch von den Schulen genutzt werde, Sportanlage ebenfalls mit einer Nutzung durch Schulen, Arztpraxen einschließlich Fachärztehaus sowie eine private an eine Praxis angegliederte HNO-Klinik, Bahnhof und ein weiterer Bahnhaltepunkt, VRN-Anschluss sowie zentraler Anschluss an den ÖPNV, diverse Einkaufsmöglichkeiten. Des Weiteren sei ein Industriegebiet (Industriezentrum Westrich) mit Ausstrahlung in den Raum (70 %ige Belegung) vorhanden, das mit Fördermittel geschaffen worden sei und von der Fördergemeinschaft Kaiserslautern als Schwerpunktgebiet beworben werde. Schließlich will die Klägerin die Air Base Ramstein der US-Luftstreitkräfte als Kriterium für ihre Einstufung als mittelzentraler Ort berücksichtigt wissen. Die zivile Militärgemeinde sei in das Gemeindeleben integriert, die gemeindliche Infrastruktur werde von Militärangehörigen genutzt, aber auch zum Teil (Straßen) beschädigt. Die Air Base Ramstein-Miesenbach verursache ihr schließlich Personalkosten, da sie dort einen Informationsstand mit drei Beschäftigten unterhalte.

73

Diese von der Klägerin zur Berechtigung ihrer Einstufung als mittelzentraler Ort im Verdichtungsraum Landstuhl aufgezählten Einrichtungen bzw. ihre Vorläufer, wie z. B. die Duale Oberschule, aus der nach einer Schulstrukturreform die Realschule Plus hervorging, existierten aber – überwiegend – bereits vor 2008, als die Stadt Ramstein-Miesenbach im LEP III noch als Grundzentrum, d. h. als Standort zur Konzentration von Einrichtungen der überörtlichen Grundversorgung mit Gütern und Dienstleistungen, soweit dies für deren Tätigkeit und zur Entwicklung des Nahbereiches erforderlich war, ausgewiesen war.

74

Mangels sich aus dem LEP IV ergebender Kriterien für eine Gewichtung der einzelnen als zum Mindeststandard gehörenden in Tabelle 5 des LEP IV aufgelisteten Einrichtungen sowie sonstiger dort nicht aufgelisteter Einrichtungen und Dienstleistungen kann die Einstufung der Stadt Ramstein-Miesenbach in das Zentrale-Orte-System des LEP IV anhand der oben wiedergegebenen klägerischen Aufzählung an vorhandenen Einrichtungen nicht nachvollzogen werden. Die Einstufung der Stadt Ramstein-Miesenbach ist damit nicht nachvollziehbar und nicht schlüssig und demzufolge abwägungsfehlerhaft. Der Abwägungsfehler führt zu einer teilweisen Unwirksamkeit der Z 40 des LEP IV, soweit hierin die Einstufung der Stadt Ramstein-Miesenbach als kooperierendes Zentrum im mittelzentralen Verbund des Verdichtungsraums Landstuhl erfolgte.

75

Hieran vermag auch das Vorbringen der Klägerin, die Stadt Ramstein-Miesenbach habe mit der Zuweisung einer „besonderen Funktion Verteidigungsinfrastruktur“ eine herausgehobene Aufgabenstellung wahrzunehmen, nichts zu ändern. Die Klägerin bezieht sich insoweit auf Z 29, Nr. 2.4 Unterabschnitt 2.4.1 LEP IV (S. 75), wo es heißt, „ergänzend zu den zentralörtlichen Funktionen werden weitere landesweit bedeutsame infrastrukturelle Funktionen festgelegt: Die Stadt Ramstein-Miesenbach sowie ihre Umlandgemeinden haben die besondere Funktion >>Verteidigungsstruktur<<“.

76

Es erscheint trotz dieser nur ergänzenden Zuweisung der Funktion >>Verteidigungsstruktur<< nicht ausgeschlossen, dass das Vorhandensein dieser Verteidigungsinfrastruktur zumindest mit maßgeblich für die seinerzeitige Einstufung der Stadt Ramstein-Miesenbach als – kooperierendes – Mittelzentrum gewesen war. Die Verteidigungsinfrastruktur betrifft aber nicht die zentralörtliche Funktion der Stadt Ramstein-Miesenbach. Die hier in Rede stehende Verteidigungsinfrastruktur wirkt weit über den Verdichtungsbereich Landstuhl hinaus. Es handelt sich bei der US Air Base Ramstein um den größten NATO-Flugplatz in Europa, auf dem neben dem Hauptquartier der US-Luftstreitkräfte in Europa (USAFE) seit März 1973 das NATO-Hauptquartier der alliierten Luftstreitkräfte in Europa-Nord untergebracht ist. Dieser militärischen Einrichtung kommt damit eine internationale Bedeutung zu, die aber keinen Einfluss auf die Ausweisung der Stadt Ramstein-Miesenbach als kooperierendes Mittelzentrum haben darf.

77

Denn nach „III. Sicherung und Entwicklung der Daseinsvorsorge – Leitbild Daseinsvorsorge“ des LEP IV (S. 83) bilden in einzelnen Teilbereichen – unabhängig von der Lage in ländlichen oder verdichteten Räumen – ausreichend ausgestattete Mittelzentren den alleinigen Versorgungsschwerpunkt eines Mittelbereichs. Danach ist die Sicherung eines qualitativ hohen und in zumutbarer Erreichbarkeit verfügbaren Angebots an öffentlichen und privaten Versorgungseinrichtungen in anderen Teilräumen nur in Kooperation von mehreren Gemeinden langfristig sicherzustellen; diese Räume sind als >>mittelzentraler Verbund kooperierender Zentren<< gekennzeichnet. Hieraus folgt, dass maßgeblich für die Einreihung in das Zentrale-Orte-System des LEP IV die Ausstattung einer Gemeinde mit von ihren Einwohnern und den Bewohnern ihres räumlichen Umfeldes zu nutzenden Einrichtungen ist, weswegen auch die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich und ausführlich die vorhandenen kommunalen und privaten Einrichtungen in der Stadt Ramstein-Miesenbach aufgezählt und beschrieben hat. Diese allgemein zugänglichen Einrichtungen bestimmen die Funktion eines Ortes. Zu diesen der Allgemeinheit zur Verfügung stehenden Einrichtungen einer Gemeinde und in einer Gemeinde zählt nicht eine militärische Einrichtung wie hier die Air Base Ramstein der US-Luftstreitkräfte.

78

Aufgrund des Grundsatzes der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) kommt es dem Gericht nicht zu, hier anhand der von der Klägerin benannten Einrichtungen und angebotenen Dienstleistungen in der Stadt Ramstein-Miesenbach die Funktion dieser Stadt im Zentrale-Orte-System des LEPIV zu definieren. Das Gericht darf nur die Beachtung des Abwägungsgebots in einem Landesentwicklungsprogramm anhand einer vom Verordnungsgeber vorgegebenen Konzeption überprüfen, nicht aber eine Konzeption entwickeln. Diese Aufgabe obliegt dem für das LEP zuständigen Verordnungsgeber, der nach den Angaben des Beklagten 2008 eine Konzeption für die Zentralität der Orte auf einen späteren Zeitpunkt verschoben hatte und eine solche Konzeption zurzeit noch entwickelt.

79

c. Wegen des raumplanerischen Ansatzes des § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG hat die Einstufung eines Ortes in das Zentrale-Orte-System nicht nur in raumplanerischer Hinsicht Bedeutung (z. B. Stichwort: großflächiger Einzelhandel), sondern hat Auswirkungen auf die finanzielle Ausstattung des Ortes.

80

Die fehlerhafte Zuordnung eines Ortes in einen mittelzentralen Verbund kooperierender Zentren wirkt sich wegen der Verteilungsregelung in § 11 Abs. 4 Nr. 2 Satz 2 LFAG auf die Finanzausstattung aus, und zwar auf alle zentralen Orte gleicher Zentralitätsstufe in dem Verbund (Verflechtungsbereich). Denn der Leistungsansatz nach Satz 1 des § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG ist aufzuteilen auf mehrere zentrale Orte der gleichen Zentralitätsstufe in einem Verflechtungsbereich. Da mit der Vorhaltung von Einrichtungen mittelzentraler Bedeutung und der sich daraus ergebenden Wahrnehmung raumfunktioneller Aufgaben eine entsprechende finanzielle Belastung verbunden ist, die gerade durch den Leistungsansatz für zentrale Orte nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG ausgeglichen werden soll, liegt in einer fehlerhaften Zuweisung eines Ortes innerhalb des Zentrale-Orte-Systems des LEP IV ein sich im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs auswirkender Verstoß gegen das interkommunale Gleichbehandlungsgebot.

81

Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Kommunen ist für das Finanzausgleichsystem in Art. 49 Abs. 6 LV verankert. Danach gilt es, die finanziellen Belange der Kommunen gerecht auszugleichen, wobei die Maßstäbe, denen der Finanzausgleich folgen soll, nicht in Widerspruch zueinander stehen und auch nicht ohne einleuchtenden Grund verlassen werden dürfen (vgl. VGH RP, Urteil vom 14. Februar 2012 – VGH N 3/11 –, NVwZ 2012, 1034; Urteil vom 25. Januar 2006 – VGH B 1/05 –, AS RP-SL 33, 66, 70f.). Diesem Ziel dient § 11 Abs. 4 Nr. 2 Satz 1 LFAG, wonach grundsätzlich für die Bewilligung eines Leistungsansatzes für zentrale Orte die Einstufung einer Kommune im LEP maßgebend ist. Aufgrund dieses Regelungszusammenhangs hat der Verordnungsgeber aber bereits bei der Abwägung der Ziele im Zusammenhang mit der Zentrale-Orte-Struktur die finanziellen Folgen einer Einstufung auf den Finanzausgleich in den Blick zu nehmen.

82

Dies hat der Verordnungsgeber des LEP IV im Ansatz getan. Denn er hat bei Erlass des LEP IV augenscheinlich selbst daran gezweifelt, dass seine Planungsentscheidung mit dem bisherigen Finanzausgleichssystem in Einklang steht, hält es aber für eine Übergangszeit für gerechtfertigt, gleichwohl die Maßstäbe des § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG anzuwenden. Denn nach Z 49 des LEP IV sollen die Regelungen für den zentralörtlichen Ansatz im Landesfinanzausgleichsgesetz in Bezug auf den mittelzentralen Verbund einer Überprüfung unterzogen werden; bis zu einer abschließenden Neuregelung des Finanzausgleichs sollen die Mittelzentren und kooperierenden Zentren im mittelzentralen Verbund (bisher: Mittelzentren im Grund- und Ergänzungsnetz gemäß LEP III) aber wie bisher behandelt werden und die gesetzliche Verteilungsregelung des § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG soll weiterhin anwendbar sein. Durch ein derartiges Ziel im LEP IV können angesichts des Grundsatzes des Vorrangs des Gesetzes die gesetzlichen Vorgaben des Landesfinanzausgleichsgesetzes sowie der hierdurch vermittelte Anspruch auf eine dem interkommunalen Gleichheitsgebot genügende Teilhabe am Finanzausgleich jedoch nicht in Frage gestellt werden (vgl. VG Koblenz, Urteil vom 10. April 2012 – 1 K 148/12.KO –).

83

Das durch den Grundsatz der Gleichbehandlung der Kommunen (Art. 49 Abs. 6 LV) vorgegebene Ziel, gleichmäßige Maßstäbe für die Bemessung des Leistungsansatzes „Zentrale Orte“ zu finden, wird hier durch die Einbeziehung der Stadt Ramstein-Miesenbach als kooperierendes Mittelzentrum im Verbund innerhalb des Verdichtungsraums Landstuhl verfehlt (s. obige Ausführungen). Die Stadt Ramstein-Miesenbach, aber auch die Klägerin würden zum einen (nach den obigen Ausführungen) unberechtigt finanzielle Leistungen als kooperierendes Mittelzentrum im Verbund nach dem Leistungsansatz des § 11 Abs. 4 Nr. 2 Sätze 1 und 2 LFAG erhalten. Zum anderen würden die Beigeladenen hierdurch benachteiligt, weil sie die Mittel nach diesem Leistungsansatz, die dem Verdichtungsbereich Landstuhl insgesamt zustehen, systemwidrig mit der Klägerin teilen müssten.

84

Soweit für die Einstufung der Stadt Ramstein-Miesenbach auch die Funktion >>Verteidigungsstruktur<< maßgeblich gewesen sein sollte, ist im Rahmen des Landesfinanzausgleichgesetzes zudem auf Folgendes hinzuweisen: Für Belastungen, die der Stadt Ramstein-Miesenbach als Standort ausländischer Stationierungskräfte entstehen und die sie auch über den Leistungsansatz des § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG ausgeglichen sehen will, gilt, dass derartige Belastungen durch den Stationierungsansatz nach § 11 Abs. 4 Nr. 1 LFAG ausgeglichen werden. Würde die Anwesenheit von ausländischen Stationierungskräften die Einstufung eines Ortes als mittelzentraler Ort mit rechtfertigen und zu einem Leistungsansatz „Zentrale Orte“ nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG beitragen, würden die Belastungen durch die ausländischen Stationierungskräfte letztlich zweimal berücksichtigt und damit überkompensiert.

85

4. Die Klägerin kann sich gegenüber dem beklagten Land wegen der Bindung an das Gemeinwohl und den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht auf Vertrauensschutz berufen, um den Leistungsansatz nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 LFAG für das Haushaltsjahr 2013 zu erhalten (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Mai 1980 – 5 C 11/78 –, juris, Rn. 24 m. w. Nachw.; Urteil vom 17. September 1970 – II C 48/68 –, BVerwGE 36, 108 ff. und juris, Rn. 42; OVG RP, Urteil vom 17. November 1987 –7 A 21/87 –, AS 22, 39 [41]).

III.

86

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Da die Beigeladenen mit ihrer Antragstellung ein eigenes Kostenrisiko eingegangen sind, entspricht es der Billigkeit der Klägerin die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen.

87

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO.

88

Beschluss

89

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 120.768,-- € festgesetzt (§§ 52, 63 Abs. 2 GKG).

90

Gegen die Festsetzung des Streitwertes steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen nach Maßgabe des § 68 Abs. 1 GKG dieBeschwerde an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,00 € übersteigt oder das Gericht die Beschwerde zugelassen hat.

91

Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung zur Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, eingelegt wird; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

92

Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße, Robert-Stolz-Str. 20, 67433 Neustadt, schriftlich, in elektronischer Form oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen.

93

Die elektronische Form wird durch eine qualifiziert signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der Landesverordnung über den elektronischen Rechtsverkehr mit den öffentlich-rechtlichen Fachgerichtsbarkeiten vom 9. Januar 2008 (GVBl. S. 33) in der jeweils geltenden Fassung zu übermitteln ist.