Sozialgericht Detmold Urteil, 03. März 2015 - S 8 SO 259/12


Gericht
Tenor
Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 26.04.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2012 verurteilt, dem Kläger im Zeitraum vom 01.03.2012 bis 28.02.2013 Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII unter Berücksichtigung des Regelbedarfs nach der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren. Der Beklagte trägt 2/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten im vorliegenden Verfahren noch um die Gewährung der Regelleistung nach der Regelbedarfsstufe 1 im Zeitraum vom 01.03.2012 bis 28.02.2013.
3Der Kläger wurde am 00.00.1976 geboren. Er ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100 sowie den Nachteilsausgleichen G, aG, H und RF. Er lebt bei seinen Eltern in deren Eigenheim und ist beschäftigt in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Der Kläger bezieht seit 2003 Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, zunächst nach dem GSiG, später nach dem SGB XII. Im Rahmen dieser Leistungsgewährung wurden stets auch kopfanteilige Unterkunftskosten berücksichtigt.
4Am 08.08.2011 beantragte er die Fortzahlung der Leistungen. Mit Bescheid vom 28.09.2011 gewährte der Beklagte Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII für den Zeitraum von Oktober 2011 bis September 2012 unter Berücksichtigung des Regelsatzes der Regelbedarfsstufe 3 in Höhe von 291 EUR sowie Unterkunftskosten in Höhe von 121,70 EUR. Mit Bescheid vom 27.12.2011 wurden Leistungen unter Berücksichtigung des ab Januar 2012 erhöhten Regelsatzes von 299 EUR gewährt. Im Januar 2012 übersandte der Beklagte ein Nachprüfungsformular mit dem Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG betreffend die Unterkunftskosten und bat um Nachweis, ob ein wirksamer Miet- oder Untermietvertrag abgeschlossen worden sei. Nach Vorlage eines Mietvertrages gewährte der Beklagte mit Bescheid vom 26.04.2012 für den Zeitraum vom 01.03.2012 bis 28.02.2013 Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII unter Berücksichtigung des Regelsatzes der Regelbedarfsstufe 3 in Höhe von 299 EUR sowie Unterkunftskosten in Höhe von 229,20 EUR.
5Hiergegen legte der Kläger am 15.05.2012 Widerspruch ein. Bei der Bedarfsberechnung sei eine Kürzung wegen häuslicher Ersparnis vorgenommen worden; dies könne so nicht nachvollzogen werden. Die Höhe der bewilligten Hilfe zum Lebensunterhalt scheine zu niedrig. Soweit sich dieser aus dem Regelbedarfsermittlungsgesetz ergebe, erscheine dies verfassungswidrig. Das BSG habe mit Urteil vom 19.05.2009 entschieden, dass bei einer Empfängerin von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung der Regelsatz eines Haushaltsvorstandes zu zahlen sei. Dieser Vorgabe entspreche das Regelbedarfsermittlungsgesetz aber nicht. Weiter seien die zugrunde gelegten Unterkunftskosten nicht nachvollziehbar. Ausweislich des vorgelegten Mietvertrages sei eine Kaltmiete von 435 EUR nebst angemessenen Nebenkostenvorauszahlungen zu leisten. Diese seien bei der Bemessung der Unterkunftskosten zugrunde zu legen. Mit Widerspruchsbescheid vom 26.09.2012 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und verringerte den bis zum Ende des Bewilligungszeitraumes zu gewährenden Unterkunftskostenbetrag auf 102,14 EUR.
6Hiergegen hat der Kläger am 09.10.2012 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus: Die Kürzung wegen häuslicher Ersparnis sei weiter nicht nachvollziehbar. Die Höhe des bewilligten Regelsatzes erscheine zu niedrig. Soweit ein unterschiedlicher Regelbedarf im Regelbedarfsermittlungsgesetz vorgesehen sei für zwei erwachsene Leistungsberechtigte, die als Ehegatten, Lebenspartner etc. in einem gemeinsamen Haushalt leben und erwachsenen leistungsberechtigten Personen, die mit anderen Erwachsenen in einem Haushalt leben, sei eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung gegeben. Auch sei darauf hinzuweisen, dass im Falle einer Wohngemeinschaft nach derzeitiger Rechtslage allen Mitgliedern der Wohngemeinschaft die Regelbedarfsstufe 1 auszuzahlen sei. Die Unterkunftskosten seien entsprechend dem eingereichten Mietvertrag zu übernehmen.
7Im Termin zur Erörterung des Sachverhaltes am 23.09.2014 haben die Beteiligten einen Teilvergleich betreffend die Kosten der Unterkunft und Heizung geschlossen und klargestellt, dass nunmehr lediglich noch die Frage der der Berechnung zugrunde zu legenden Regelbedarfsstufe streitig ist.
8Der Kläger beantragt nunmehr noch,
9den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 26.04.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2012 zu verurteilen, dem Kläger im Zeitraum vom 01.03.2012 bis 28.02.2013 Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren.
10Der Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Der Beklagte verweist auf seine Ausführungen im Bescheid und Widerspruchsbescheid sowie eine Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 16.02.2015 betreffend drei Urteile des BSG vom 23.07.2014 zu den Aktenzeichen B 8 SO 14/13 R, B 8 SO 12/13 R und B 8 SO 31/12 R zur Regelbedarfsstufe 3.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
14Entscheidungsgründe:
15Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid vom 26.04.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2012 insoweit beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG, als dem Kläger in diesem Bescheid Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII unter Berücksichtigung des Regelbedarfs der Regelbedarfsstufe 3 gewährt wurden. Der Kläger hat im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.03.2012 bis 28.02.2013 einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII unter Berücksichtigung des Regelbedarfs der Regelbedarfsstufe 1.
16Gemäß § 41 Abs. 1 S. 1 SGB XII ist älteren und dauerhaft erwerbsgeminderten Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen nach den §§ 82 bis 84 und 90 bestreiten können, auf Antrag Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu leisten. Die Leistungen umfassen gemäß § 42 Nr. 1 die Regelsätze nach den Regelbedarfsstufen der Anlage zu § 28; § 27 a Absatz 3 und Absatz 4 Satz 1 und 2 ist anzuwenden; § 29 Absatz 1 Satz 1 letzter Halbsatz und Absatz 2 bis 5 ist nicht anzuwenden. Gemäß der Anlage zu § 28 SGB XII beträgt der Regelsatz der Regelbedarfsstufe 1 seit dem 01.01.2012 monatlich 374 EUR und seit dem 01.01.2013 monatlich 382 EUR für eine erwachsene leistungsberechtigte Person, die als alleinstehende oder alleinerziehende Person einen eigenen Haushalt führt; dies gilt auch dann, wenn in diesem Haushalt eine oder mehrere weitere erwachsene Personen leben, die der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen sind. Leistungen der Regelbedarfsstufe 2 in Höhe von monatlich 337 EUR seit dem 01.01.2012 und 345 EUR ab dem 01.01.2013 werden für jeweils zwei erwachsene Leistungsberechtigte gewährt, die als Ehegatten, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führen. Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 3 in Höhe von 299 EUR ab dem 01.01.2012 und in Höhe von 306 EUR ab dem 01.01.2013 sind zu gewähren für eine erwachsene leistungsberechtigte Person, die weder einen eigenen Haushalt führt, noch als Ehegatte, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führt.
17Das BSG hat in den drei im Tatbestand bezeichneten Urteilen vom 23.07.2014 entschieden, dass die Vorschriften orientiert am Gesetzeszweck verfassungskonform dahingehend auszulegen sind, dass sich der Bedarf einer erwachsenen leistungsberechtigten Person nach der Regelbedarfsstufe 1 richtet, auch dann, wenn sie mit einer anderen Person in einer Haushaltsgemeinschaft lebt, ohne dass eine Partnerschaft im Sinne der Regelbedarfsstufe 2 besteht (vgl. BSG, Urteil vom 23.07.2014, Az.: B 8 SO 14/13 R). Die Regelbedarfsstufe 3 kommt im Falle des Zusammenlebens mit anderen (außerhalb von stationären Einrichtungen) erst zur Anwendung, wenn keinerlei eigenständige oder eine nur gänzlich unwesentliche Beteiligung an der Haushaltsführung vorliegt (BSG, a.a.O.). Ausschließlich in diesem Fall ist der Haushalt, in dem die leistungsberechtigte Person lebt, ein "fremder Haushalt". Dabei kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Begriff der eigenen Haushaltsführung sich an den individuellen Fähigkeiten der Haushaltsführung orientiert, da dies regelmäßig eine Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG von behinderten Menschen zur Folge hat (vgl. BSG, a.a.O.). Es ist nicht erkennbar, welche Kompensation sich auf der Bedarfsseite für behinderte Menschen mit Beeinträchtigungen, die sich auf die Fähigkeit einen Haushalt zu führen auswirken, durch das Zusammenleben mit einer anderen Person ergeben sollten (BSG, a.a.O.). Ein Sachverhalt, bei dem von einem fremden Haushalt auszugehen ist, wird dabei nur ausnahmsweise vorliegen (BSG, a.a.O.). Denn schon die von den zusammenlebenden Personen gewünschte und geförderte Beteiligung an der Haushaltsführung im Rahmen der jeweiligen körperlich und/oder geistigen Fähigkeiten und ein darauf abgestimmter Ablauf in der Haushaltsführung genügen (BSG, a.a.O.). Ob ein derartiger Sachverhalt vorliegt, wird nur dann zu prüfen sein, wenn diesbezüglich qualifizierter Vortrag des Beklagten erfolgt (BSG, a.a.O.). Die Beweislast liegt insofern beim Beklagten (BSG, a.a.O.). Dies gilt insbesondere auch beim Zusammenleben von Eltern mit ihren erwachsenen nicht erwerbsfähigen Kindern (BSG, Urteil vom 23.07.2014, Az.: B 8 SO 31/12 R). Es muss typisierend bei familienhaftem Zusammenleben von behinderten und nicht behinderten Menschen, gerade auch beim Zusammenleben von Eltern mit ihren behinderten erwachsenen Kindern, davon ausgegangen werden, dass die hilfebedürftige Person der Regelbedarfsstufe 1 unterfällt, ergänzt durch die gesetzliche Vermutungsregelung des § 39 Satz 1 1. Halbsatz SGB XII.
18Dieser überzeugenden Rechtsprechung des BSG schließt sich die Kammer an. Die Frage, ob der erwachsene schwerbehinderte Mensch einen eigenen Haushalt führt, ist im Lichte des Rechts des erwachsenen Schwerbehinderten zu sehen, einen eigenen Haushalt führen zu dürfen. Wie ein gesunder Erwachsener hat auch ein schwerbehinderter erwachsener Mensch das Recht auf einen eigenen Haushalt im Sinne eines eigenen privaten, häuslichen Umfeldes, das ausschließlich für ihn bereit gehalten wird und eben hierfür auch Kosten verursacht. Dabei kann für die Zuordnung zu einer Regelbedarfsstufe nicht entscheidend sein, in welchem Umfang die praktischen Tätigkeiten der Haushaltsführung selbst von dem behinderten Menschen verrichtet werden oder inwiefern diese durch andere, sei es durch einen bezahlten Integrationshelfer oder Pflegedienst oder eben durch die Eltern verrichtet werden. Entscheidend ist vielmehr, dass für den Leistungsberechtigten eine organisatorische Haushaltsführung stattfindet. Die Kammer vermag auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz dahingehend zu erkennen, dass durch eine Haushaltsführung in diesem Sinne ein geringerer Bedarf bestünde als für einen erwachsenen nichtbehinderten Leistungsberechtigten. So wird auch einem Leistungsberechtigten nach dem SGB II, der das 25. Lebensjahr vollendet hat, aber weiterhin mit seinen Eltern in einem gemeinsamen Haushalt wohnt, gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 2 SGB II aber nicht mehr Mitglied der Bedarfsgemeinschaft ist, der Regelsatz eines alleinstehenden Erwachsenen gewährt, ohne dass hinterfragt würde, ob er sich tatsächlich im Haushalt betätigt oder auch nur einen finanziellen Beitrag hierzu leistet. Würde man tatsächlich davon ausgehen, dass durch das Zusammenleben mit (erwerbsfähigen) erwachsenen Angehörigen eine Einsparung erfolgen würde, würde es zu einer echten Diskriminierung behinderter Menschen führen, wenn diese Einsparungen dort angerechnet würden, den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten dagegen belassen würden. Die Kammer kann sich gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um die Inklusion behinderter Menschen aber nicht vorstellen, dass der Gesetzgeber behinderte Menschen schlechter stellen wollte als Nichtbehinderte. Sicherlich werden behinderte Menschen regelmäßig die Regelsatzleistungen anders verwenden als nichtbehinderte Leistungsberechtigte; hier trägt der pauschale Regelsatz der Regelbedarfsstufe 1 aber bereits der Vielzahl der Lebenswirklichkeiten der Menschen Rechnung, die diesen aus vielen Durchschnittswerten ermittelten Betrag entsprechend ihren ganz persönlichen Bedürfnissen und Wünschen einsetzen können, ebenfalls ohne dass geprüft würde, ob der im RBEG für eine Abteilung ermittelte Wert überschritten wurde und möglicherweise an anderer Stelle etwas eingespart wurde. Für die Kammer ist auch unter Berücksichtigung der zur Berechnung des Regelsatzes ausweislich des RBEG gebildeten Abteilungen nicht erkennbar, woraus sich der geringere Bedarf ausgerechnet der schwerbehinderten Leistungsberechtigten ergeben soll.
19Hiervon ausgehend sind dem nicht erwerbsfähigen Kläger Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach dem IV. Kapitel des SGB XII unter Berücksichtigung des Regelbedarfs der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren. Denn es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger keinen eigenen Haushalt im Sinne der oben erörterten Kriterien führt. Der Kläger lebt in einem eigenen privaten, nur für ihn bereitstehenden häuslichen Umfeld. Qualifizierter Vortrag des Beklagten, dass hier kein eigener Haushalt bestehen könnte, ist nicht erfolgt.
20Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt auch den im Erörterungstermin am 23.09.2014 geschlossenen Teilvergleich.

moreResultsText

Annotations
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.
(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.
(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.
(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.
(1) Leistungsberechtigt nach diesem Kapitel sind Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus Einkommen und Vermögen nach § 43 bestreiten können, wenn sie die Voraussetzungen nach Absatz 2, 3 oder 3a erfüllen.
(2) Leistungsberechtigt sind Personen nach Absatz 1 wegen Alters, wenn sie die Altersgrenze erreicht haben. Personen, die vor dem 1. Januar 1947 geboren sind, erreichen die Altersgrenze mit Vollendung des 65. Lebensjahres. Für Personen, die nach dem 31. Dezember 1946 geboren sind, wird die Altersgrenze wie folgt angehoben:
für den Geburtsjahrgang | erfolgt eine Anhebung um Monate | auf Vollendung eines Lebensalters von |
1947 | 1 | 65 Jahren und 1 Monat |
1948 | 2 | 65 Jahren und 2 Monaten |
1949 | 3 | 65 Jahren und 3 Monaten |
1950 | 4 | 65 Jahren und 4 Monaten |
1951 | 5 | 65 Jahren und 5 Monaten |
1952 | 6 | 65 Jahren und 6 Monaten |
1953 | 7 | 65 Jahren und 7 Monaten |
1954 | 8 | 65 Jahren und 8 Monaten |
1955 | 9 | 65 Jahren und 9 Monaten |
1956 | 10 | 65 Jahren und 10 Monaten |
1957 | 11 | 65 Jahren und 11 Monaten |
1958 | 12 | 66 Jahren |
1959 | 14 | 66 Jahren und 2 Monaten |
1960 | 16 | 66 Jahren und 4 Monaten |
1961 | 18 | 66 Jahren und 6 Monaten |
1962 | 20 | 66 Jahren und 8 Monaten |
1963 | 22 | 66 Jahren und 10 Monaten |
ab 1964 | 24 | 67 Jahren. |
(3) Leistungsberechtigt sind Personen nach Absatz 1 wegen einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung, wenn sie das 18. Lebensjahr vollendet haben, unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Absatz 2 des Sechsten Buches sind und bei denen unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann.
(3a) Leistungsberechtigt sind Personen nach Absatz 1, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, für den Zeitraum, in dem sie
- 1.
in einer Werkstatt für behinderte Menschen (§ 57 des Neunten Buches) oder bei einem anderen Leistungsanbieter (§ 60 des Neunten Buches) das Eingangsverfahren und den Berufsbildungsbereich durchlaufen oder - 2.
in einem Ausbildungsverhältnis stehen, für das sie ein Budget für Ausbildung (§ 61a des Neunten Buches) erhalten.
(4) Keinen Anspruch auf Leistungen nach diesem Kapitel hat, wer in den letzten zehn Jahren die Hilfebedürftigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat.
(1) Liegen die Ergebnisse einer bundesweiten neuen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe vor, wird die Höhe der Regelbedarfe in einem Bundesgesetz neu ermittelt.
(2) Bei der Ermittlung der bundesdurchschnittlichen Regelbedarfsstufen nach § 27a Absatz 2 sind Stand und Entwicklung von Nettoeinkommen, Verbraucherverhalten und Lebenshaltungskosten zu berücksichtigen. Grundlage hierfür sind die durch die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe nachgewiesenen tatsächlichen Verbrauchsausgaben unterer Einkommensgruppen.
(3) Für die Ermittlung der Regelbedarfsstufen beauftragt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales das Statistische Bundesamt mit Sonderauswertungen, die auf der Grundlage einer neuen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe vorzunehmen sind. Sonderauswertungen zu den Verbrauchsausgaben von Haushalten unterer Einkommensgruppen sind zumindest für Haushalte (Referenzhaushalte) vorzunehmen, in denen nur eine erwachsene Person lebt (Einpersonenhaushalte), sowie für Haushalte, in denen Paare mit einem Kind leben (Familienhaushalte). Dabei ist festzulegen, welche Haushalte, die Leistungen nach diesem Buch und dem Zweiten Buch beziehen, nicht als Referenzhaushalte zu berücksichtigen sind. Für die Bestimmung des Anteils der Referenzhaushalte an den jeweiligen Haushalten der Sonderauswertungen ist ein für statistische Zwecke hinreichend großer Stichprobenumfang zu gewährleisten.
(4) Die in Sonderauswertungen nach Absatz 3 ausgewiesenen Verbrauchsausgaben der Referenzhaushalte sind für die Ermittlung der Regelbedarfsstufen als regelbedarfsrelevant zu berücksichtigen, soweit sie zur Sicherung des Existenzminimums notwendig sind und eine einfache Lebensweise ermöglichen, wie sie einkommensschwache Haushalte aufweisen, die ihren Lebensunterhalt nicht ausschließlich aus Leistungen nach diesem oder dem Zweiten Buch bestreiten. Nicht als regelbedarfsrelevant zu berücksichtigen sind Verbrauchsausgaben der Referenzhaushalte, wenn sie bei Leistungsberechtigten nach diesem Buch oder dem Zweiten Buch
- 1.
durch bundes- oder landesgesetzliche Leistungsansprüche, die der Finanzierung einzelner Verbrauchspositionen der Sonderauswertungen dienen, abgedeckt sind und diese Leistungsansprüche kein anrechenbares Einkommen nach § 82 oder § 11 des Zweiten Buches darstellen oder - 2.
nicht anfallen, weil bundesweit in einheitlicher Höhe Vergünstigungen gelten.
(5) Die Summen der sich nach Absatz 4 ergebenden regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben der Referenzhaushalte sind Grundlage für die Prüfung der Regelbedarfsstufen, insbesondere für die Altersabgrenzungen bei Kindern und Jugendlichen. Die nach Satz 1 für die Ermittlung der Regelbedarfsstufen zugrunde zu legenden Summen der regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben aus den Sonderauswertungen sind jeweils mit der sich nach § 28a Absatz 2 ergebenden Veränderungsrate entsprechend fortzuschreiben. Die sich durch die Fortschreibung nach Satz 2 ergebenden Summenbeträge sind jeweils bis unter 0,50 Euro abzurunden sowie von 0,50 Euro an aufzurunden und ergeben die Regelbedarfsstufen (Anlage).
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die
- 1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, - 2.
erwerbsfähig sind, - 3.
hilfebedürftig sind und - 4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
- 1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, - 2.
Ausländerinnen und Ausländer, - a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder - b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
- 3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.
(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören
- 1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, - 2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils, - 3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten - a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte, - b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner, - c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
- 4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.
(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner
- 1.
länger als ein Jahr zusammenleben, - 2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben, - 3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder - 4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.
(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,
- 1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder - 2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
(4a) (weggefallen)
(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.
(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,
- 1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben, - 2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz - a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder - b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
- 3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.
Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).
(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.
(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.
(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.
(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.