Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss, 26. Sept. 2018 - 1 Ws 207/18

ECLI:ECLI:DE:POLGZWE:2018:0926.1WS207.18.00
bei uns veröffentlicht am26.09.2018

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Angeklagten wird Ziffer 1.a) der Verfügung der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 17. Juli 2018 aufgehoben und das Verfahren insoweit zur neuen Entscheidung an die Strafkammer zurückverwiesen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem Angeklagten darin entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse zur Last.

Gründe

I.

1

Der Beschwerdeführer, der sich seit dem 22. Dezember 2016 u. a. wegen Mordes in Untersuchungshaft befindet und durch noch nicht rechtskräftiges Urteil vom 26. Juni 2018 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe unter Feststellung der besonderen Schwere der Schuld verurteilt worden ist, beantragt, ihm eine Telefonerlaubnis für seine Familienangehörigen (Eltern, Bruder, Schwester, Nichte und Großeltern) zu erteilen. Mit der angefochtenen Entscheidung ist dies mit der Begründung abgelehnt worden, dass das Führen von Telefonaten durch einen Untersuchungsgefangenen mit Personen außerhalb der Justizvollzugsanstalt regelmäßig mit dem Zweck der Untersuchungshaft nicht vereinbar sei. Dies gelte auch nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens, da Revision eingelegt worden und nicht abschließend gewährleistet sei, dass erneut eine Hauptverhandlung mit Beweisaufnahme erforderlich werde. Im Übrigen bestehe kein besonderes berechtigtes Interesse an der Durchführung der Telefonate, da die Aufrechterhaltung des Kontaktes mit der Familie in ausreichendem Maße durch Besuchs - und Briefkontakte gewährleistet sei. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Beschwerdeführer.

II.

2

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

3

Nach § 119 Abs. 1 S. 1 StPO dürfen dem Angeklagten nur Beschränkungen auferlegt werden, sofern diese zur Abwehr einer Flucht-, Verdunklungs- oder Wie-derholungsgefahr (§§ 112, 112a StPO) erforderlich sind. Dies setzt konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Haftzwecks voraus (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Januar 2012 - 1 Ws 2/12), während die bloße Möglichkeit, dass ein Untersuchungsgefangener seine Freiheiten missbrauchen könnte, nicht ausreichend ist (vgl. KG, Beschluss vom 30. April 2014 - 4 Ws 36/14, juris Rn. 7). Mit der Neufassung des § 119 StPO wurde in erster Linie das Ziel verfolgt, die bislang von § 119 Abs. 3 Alt. 1 StPO a. F. nur allgemein angesprochenen und lediglich in der Untersuchungshaftvollzugsordnung näher ausgestalteten Beschränkungen für inhaftierte Beschuldigte aus dem Zweck der Untersuchungshaft heraus konkret und transparent im Text der Strafprozessordnung zu regeln. Eine inhaltliche Veränderung der möglichen Maßnahmen im Vergleich zu der bisherigen Rechtslage beabsichtigt die Neuregelung dagegen nicht. Klargestellt ist in § 119 Abs. 1 S. 1 StPO n. F. nunmehr, dass für die inhaftierten Beschuldigten keine standardmäßigen Beschränkungen gelten, sondern dass jede Beschränkung ausdrücklich festgelegt werden muss. Hierdurch soll erreicht werden, dass in jedem Einzelfall jede Beschränkung von dem Haftrichter auf ihre konkrete Erforderlichkeit geprüft und begründet wird (§ 34 StPO). Dadurch wird der Unschuldsvermutung Rechnung getragen mit der Folge, dass jede Beschränkung der Freiheit des inhaftierten Beschuldigten einer besonderen, im Einzelfall zu begründenden Rechtfertigung bedarf. Zudem wird durch die Neufassung berücksichtigt, dass die in Betracht kommenden Beschränkungen zum Teil mit erheblichen Einschränkungen der Grundrechte des Beschuldigten verbunden sind (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 9. Februar 2010 - 3 Ws 45/10, juris Rn. 17). Der insoweit zur alten Rechtslage vertretenen Ansicht, telefonische Kontakte des Untersuchungsgefangenen mit Personen außerhalb der Vollzugsanstalt widersprächen in der Regel dem Zweck der Untersuchungshaft und der Ordnung der Anstalt kann daher heute nicht mehr gefolgt werden (vgl. Posthoff in Gercke/Julius/Temming u.a., Strafprozessordnung, 5. Aufl., § 119 Rn. 17, juris). Die Anordnung von Beschränkungen kann allerdings nicht nur auf den oder die im Haftbefehl ausdrücklich genannten Haftgründe gestützt werden, sondern auch zur Abwehr aller anderen Gefahren, denen durch die Anordnung der Untersuchungshaft begegnet werden soll. Deshalb können Beschränkungen bei einem Haftbefehl, der nur mit der Fluchtgefahr begründet worden ist, auch auf die Verhinderung von Verdunkelungshandlungen gestützt werden (vgl. Senat, a. a. O.).

4

Die im angegriffenen Beschluss genannten Gründe zur Ablehnung der begehrten Telefonerlaubnisse tragen die Entscheidung nicht. Es ist vielmehr zu besorgen, dass sich die Kammer nicht in ausreichendem Umfang mit den oben genannten Grundsätzen auseinandergesetzt hat. Insoweit gilt im Beschwerdeverfahren bei laufender Hauptverhandlung zwar ein eingeschränkter Prüfungsmaßstab; denn das Tatgericht, welches den Angeklagten in der Hauptverhandlung unmittelbar erlebt hat, verfügt über die sachnäheren Erkenntnisse zu den maßgeblichen Beurteilungsfaktoren für die Gefahrprognose, welche im Rahmen der Haftgründe des § 112 Abs. 2 StPO vorzunehmen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 26. März 2018 - 1 Ws 48-50/18). Da sich die angegriffene Entscheidung jedoch nicht damit auseinandersetzt, ob im Falle der Gestattung der beantragten Telefonate konkret mit einer Gefährdung der Haftzwecke zu rechnen ist, war diese aufzuheben und das Verfahren - wegen einer fehlenden Entscheidungsgrundlage für das Beschwerdegericht - an die sachnähere Kammer zurückzuverweisen.

5

Die Kammer wird bei ihrer Entscheidung nunmehr auch zu berücksichtigen haben, dass bei Telefonaten mit nahen Familienangehörigen - wie hier mit Eltern, Geschwistern und Großeltern - im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG ein großzügigerer Maßstab angezeigt ist (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 22. Mai 2014, 1 Ws 153/14, juris). Telefongespräche mit Familienangehörigen werden in aller Regel zu gestatten sein, wobei es auf die Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ankommen wird, insbesondere die Dauer der Untersuchungshaft und die Intensität der Bindung an die betroffenen Familienangehörigen (vgl. Posthoff in: Gercke/Julius/Temming u.a., a. a. O., § 119 Rn. 17 juris).

6

Ergänzend wird zudem darauf hingewiesen, dass die Kammer bei ihrer Entscheidung nicht zu berücksichtigen hat, ob die Erlaubnis, Telefonate mit Personen außerhalb der Justizvollzugsanstalt zu führen, der Anstaltsordnung widerspricht (vgl. LG Dresden, Beschluss vom 6. September 2011 - 5 Qs 110/11, juris). Beschränkungen, die einem Beschuldigten in der Untersuchungshaft aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt auferlegt werden dürfen, sind (nunmehr) ausschließlich in den (Untersuchungshaft-) Vollzugsgesetzen der Länder geregelt (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 25. Januar 2010 - I Ws 385/09, 390/09, 22/10, juris Rn. 21), in Rheinland-Pfalz im Landesjustizvollzugsgesetz. Hierüber zu befinden, obliegt daher zunächst dem jeweiligen Anstaltsleiter (§§ 34, 37 LJVollzG).

III.

7

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO analog.

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Die durch ein Rechtsmittel anfechtbaren Entscheidungen sowie die, durch welche ein Antrag abgelehnt wird, sind mit Gründen zu versehen.

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(1) Soweit dies zur Abwehr einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr (§§ 112, 112a) erforderlich ist, können einem inhaftierten Beschuldigten Beschränkungen auferlegt werden. Insbesondere kann angeordnet werden, dass

1.
der Empfang von Besuchen und die Telekommunikation der Erlaubnis bedürfen,
2.
Besuche, Telekommunikation sowie der Schrift- und Paketverkehr zu überwachen sind,
3.
die Übergabe von Gegenständen bei Besuchen der Erlaubnis bedarf,
4.
der Beschuldigte von einzelnen oder allen anderen Inhaftierten getrennt wird,
5.
die gemeinsame Unterbringung und der gemeinsame Aufenthalt mit anderen Inhaftierten eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.
Die Anordnungen trifft das Gericht. Kann dessen Anordnung nicht rechtzeitig herbeigeführt werden, kann die Staatsanwaltschaft oder die Vollzugsanstalt eine vorläufige Anordnung treffen. Die Anordnung ist dem Gericht binnen drei Werktagen zur Genehmigung vorzulegen, es sei denn, sie hat sich zwischenzeitlich erledigt. Der Beschuldigte ist über Anordnungen in Kenntnis zu setzen. Die Anordnung nach Satz 2 Nr. 2 schließt die Ermächtigung ein, Besuche und Telekommunikation abzubrechen sowie Schreiben und Pakete anzuhalten.

(2) Die Ausführung der Anordnungen obliegt der anordnenden Stelle. Das Gericht kann die Ausführung von Anordnungen widerruflich auf die Staatsanwaltschaft übertragen, die sich bei der Ausführung der Hilfe durch ihre Ermittlungspersonen und die Vollzugsanstalt bedienen kann. Die Übertragung ist unanfechtbar.

(3) Ist die Überwachung der Telekommunikation nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 angeordnet, ist die beabsichtigte Überwachung den Gesprächspartnern des Beschuldigten unmittelbar nach Herstellung der Verbindung mitzuteilen. Die Mitteilung kann durch den Beschuldigten selbst erfolgen. Der Beschuldigte ist rechtzeitig vor Beginn der Telekommunikation über die Mitteilungspflicht zu unterrichten.

(4) Die §§ 148, 148a bleiben unberührt. Sie gelten entsprechend für den Verkehr des Beschuldigten mit

1.
der für ihn zuständigen Bewährungshilfe,
2.
der für ihn zuständigen Führungsaufsichtsstelle,
3.
der für ihn zuständigen Gerichtshilfe,
4.
den Volksvertretungen des Bundes und der Länder,
5.
dem Bundesverfassungsgericht und dem für ihn zuständigen Landesverfassungsgericht,
6.
dem für ihn zuständigen Bürgerbeauftragten eines Landes,
7.
dem oder der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, den für die Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz in den Ländern zuständigen Stellen der Länder und den Aufsichtsbehörden nach § 40 des Bundesdatenschutzgesetzes,
8.
dem Europäischen Parlament,
9.
dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte,
10.
dem Europäischen Gerichtshof,
11.
dem Europäischen Datenschutzbeauftragten,
12.
dem Europäischen Bürgerbeauftragten,
13.
dem Europäischen Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe,
14.
der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz,
15.
dem Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen,
16.
den Ausschüssen der Vereinten Nationen für die Beseitigung der Rassendiskriminierung und für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau,
17.
dem Ausschuss der Vereinten Nationen gegen Folter, dem zugehörigen Unterausschuss zur Verhütung von Folter und den entsprechenden Nationalen Präventionsmechanismen,
18.
den in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 4 genannten Personen in Bezug auf die dort bezeichneten Inhalte,
19.
soweit das Gericht nichts anderes anordnet,
a)
den Beiräten bei den Justizvollzugsanstalten und
b)
der konsularischen Vertretung seines Heimatstaates.
Die Maßnahmen, die erforderlich sind, um das Vorliegen der Voraussetzungen nach den Sätzen 1 und 2 festzustellen, trifft die nach Absatz 2 zuständige Stelle.

(5) Gegen nach dieser Vorschrift ergangene Entscheidungen oder sonstige Maßnahmen kann gerichtliche Entscheidung beantragt werden, soweit nicht das Rechtsmittel der Beschwerde statthaft ist. Der Antrag hat keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht kann jedoch vorläufige Anordnungen treffen.

(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch, wenn gegen einen Beschuldigten, gegen den Untersuchungshaft angeordnet ist, eine andere freiheitsentziehende Maßnahme vollstreckt wird (§ 116b). Die Zuständigkeit des Gerichts bestimmt sich auch in diesem Fall nach § 126.

(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.

(2) Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen

1.
festgestellt wird, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält,
2.
bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder
3.
das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde
a)
Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder
b)
auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder
c)
andere zu solchem Verhalten veranlassen,
und wenn deshalb die Gefahr droht, daß die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).

(3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder § 13 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 176c, 176d, 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.

(1) Ein Haftgrund besteht auch, wenn der Beschuldigte dringend verdächtig ist,

1.
eine Straftat nach den §§ 174, 174a, 176 bis 176d, 177, 178, 184b Absatz 2 oder nach § 238 Abs. 2 und 3 des Strafgesetzbuches oder
2.
wiederholt oder fortgesetzt eine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftat nach den §§ 89a, 89c Absatz 1 bis 4, nach § 125a, nach den §§ 224 bis 227, nach den §§ 243, 244, 249 bis 255, 260, nach § 263, nach den §§ 306 bis 306c oder § 316a des Strafgesetzbuches oder nach § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 10 oder Abs. 3, § 29a Abs. 1, § 30 Abs. 1, § 30a Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes oder nach § 4 Absatz 3 Nummer 1 Buchstabe a des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes
begangen zu haben, und bestimmte Tatsachen die Gefahr begründen, daß er vor rechtskräftiger Aburteilung weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen oder die Straftat fortsetzen werde, die Haft zur Abwendung der drohenden Gefahr erforderlich und in den Fällen der Nummer 2 eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten ist. In die Beurteilung des dringenden Verdachts einer Tatbegehung im Sinne des Satzes 1 Nummer 2 sind auch solche Taten einzubeziehen, die Gegenstand anderer, auch rechtskräftig abgeschlossener, Verfahren sind oder waren.

(2) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn die Voraussetzungen für den Erlaß eines Haftbefehls nach § 112 vorliegen und die Voraussetzungen für die Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls nach § 116 Abs. 1, 2 nicht gegeben sind.

(1) Soweit dies zur Abwehr einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr (§§ 112, 112a) erforderlich ist, können einem inhaftierten Beschuldigten Beschränkungen auferlegt werden. Insbesondere kann angeordnet werden, dass

1.
der Empfang von Besuchen und die Telekommunikation der Erlaubnis bedürfen,
2.
Besuche, Telekommunikation sowie der Schrift- und Paketverkehr zu überwachen sind,
3.
die Übergabe von Gegenständen bei Besuchen der Erlaubnis bedarf,
4.
der Beschuldigte von einzelnen oder allen anderen Inhaftierten getrennt wird,
5.
die gemeinsame Unterbringung und der gemeinsame Aufenthalt mit anderen Inhaftierten eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.
Die Anordnungen trifft das Gericht. Kann dessen Anordnung nicht rechtzeitig herbeigeführt werden, kann die Staatsanwaltschaft oder die Vollzugsanstalt eine vorläufige Anordnung treffen. Die Anordnung ist dem Gericht binnen drei Werktagen zur Genehmigung vorzulegen, es sei denn, sie hat sich zwischenzeitlich erledigt. Der Beschuldigte ist über Anordnungen in Kenntnis zu setzen. Die Anordnung nach Satz 2 Nr. 2 schließt die Ermächtigung ein, Besuche und Telekommunikation abzubrechen sowie Schreiben und Pakete anzuhalten.

(2) Die Ausführung der Anordnungen obliegt der anordnenden Stelle. Das Gericht kann die Ausführung von Anordnungen widerruflich auf die Staatsanwaltschaft übertragen, die sich bei der Ausführung der Hilfe durch ihre Ermittlungspersonen und die Vollzugsanstalt bedienen kann. Die Übertragung ist unanfechtbar.

(3) Ist die Überwachung der Telekommunikation nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 angeordnet, ist die beabsichtigte Überwachung den Gesprächspartnern des Beschuldigten unmittelbar nach Herstellung der Verbindung mitzuteilen. Die Mitteilung kann durch den Beschuldigten selbst erfolgen. Der Beschuldigte ist rechtzeitig vor Beginn der Telekommunikation über die Mitteilungspflicht zu unterrichten.

(4) Die §§ 148, 148a bleiben unberührt. Sie gelten entsprechend für den Verkehr des Beschuldigten mit

1.
der für ihn zuständigen Bewährungshilfe,
2.
der für ihn zuständigen Führungsaufsichtsstelle,
3.
der für ihn zuständigen Gerichtshilfe,
4.
den Volksvertretungen des Bundes und der Länder,
5.
dem Bundesverfassungsgericht und dem für ihn zuständigen Landesverfassungsgericht,
6.
dem für ihn zuständigen Bürgerbeauftragten eines Landes,
7.
dem oder der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, den für die Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz in den Ländern zuständigen Stellen der Länder und den Aufsichtsbehörden nach § 40 des Bundesdatenschutzgesetzes,
8.
dem Europäischen Parlament,
9.
dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte,
10.
dem Europäischen Gerichtshof,
11.
dem Europäischen Datenschutzbeauftragten,
12.
dem Europäischen Bürgerbeauftragten,
13.
dem Europäischen Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe,
14.
der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz,
15.
dem Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen,
16.
den Ausschüssen der Vereinten Nationen für die Beseitigung der Rassendiskriminierung und für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau,
17.
dem Ausschuss der Vereinten Nationen gegen Folter, dem zugehörigen Unterausschuss zur Verhütung von Folter und den entsprechenden Nationalen Präventionsmechanismen,
18.
den in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 4 genannten Personen in Bezug auf die dort bezeichneten Inhalte,
19.
soweit das Gericht nichts anderes anordnet,
a)
den Beiräten bei den Justizvollzugsanstalten und
b)
der konsularischen Vertretung seines Heimatstaates.
Die Maßnahmen, die erforderlich sind, um das Vorliegen der Voraussetzungen nach den Sätzen 1 und 2 festzustellen, trifft die nach Absatz 2 zuständige Stelle.

(5) Gegen nach dieser Vorschrift ergangene Entscheidungen oder sonstige Maßnahmen kann gerichtliche Entscheidung beantragt werden, soweit nicht das Rechtsmittel der Beschwerde statthaft ist. Der Antrag hat keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht kann jedoch vorläufige Anordnungen treffen.

(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch, wenn gegen einen Beschuldigten, gegen den Untersuchungshaft angeordnet ist, eine andere freiheitsentziehende Maßnahme vollstreckt wird (§ 116b). Die Zuständigkeit des Gerichts bestimmt sich auch in diesem Fall nach § 126.

Die durch ein Rechtsmittel anfechtbaren Entscheidungen sowie die, durch welche ein Antrag abgelehnt wird, sind mit Gründen zu versehen.

(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.

(2) Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen

1.
festgestellt wird, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält,
2.
bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder
3.
das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde
a)
Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder
b)
auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder
c)
andere zu solchem Verhalten veranlassen,
und wenn deshalb die Gefahr droht, daß die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).

(3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder § 13 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 176c, 176d, 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tenor

1. Die Haftbeschwerde des Angeklagten A. vom 20. März 2014 gegen den Haftfortdauerbeschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 18. März 2014 wird als unbegründet verworfen.

2. Auf die Beschwerde des Angeklagten A. wird der Beschluss der 3. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 30.1.2014 insoweit aufgehoben, als der Antrag auf Genehmigung von Telefonaten mit seiner Mutter alle zehn Tage abgelehnt wurde.

3. Die weitergehende Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 30.1.2014 wird als unbegründet verworfen.

4. Die Kosten des (Haft-)Beschwerdeverfahrens gegen den Beschluss vom 20. März 2014 und die dem Angeklagten hierbei entstandenen Auslagen hat der Angeklagte zu tragen.

5. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens gegen den Beschluss des Landgerichts vom 30.1.2014 hat der Angeklagte zu tragen, wobei jedoch die Gerichtsgebühr um 1/2 ermäßigt wird. Von seinen notwendigen Auslagen in diesem Verfahren trägt die Hälfte die Staatskasse.

Gründe

I.

Gegen den Angeklagten und weitere Mitangeklagte ist derzeit vor der 3. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung anhängig. In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth vom 29.5.2013 wird dem Angeklagten A. Steuerhinterziehung in 40 tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit Betrug in fünf tatmehrheitlichen Fällen und versuchter Betrug in weiteren vier tatmehrheitlichen Fällen zur Last gelegt, wobei sich der Angeklagte nach dem Anklagevorwurf einem Steuerschaden von 2.421.403,34 € ausgesetzt sieht. Die Anklage richtete sich ursprünglich gegen neun Angeklagte. Nach zwischenzeitlich erfolgten Abtrennungen und gesonderter Behandlung von vier Angeklagten sind nunmehr noch fünf Angeklagte mit acht Verteidigern vom führenden Verfahren betroffen.

Die Hauptverhandlung vor dem Landgericht gegen den Angeklagten hat am 7.10.2013 begonnen. Er befindet sich seit seiner Festnahme am 4.10.2012 zunächst aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Nürnberg vom 13.9.2012 in Untersuchungshaft. Am 19.3.2013 wurde dieser Haftbefehl durch den hier angegriffenen Haftbefehl des Amtsgerichts Nürnberg ersetzt.

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 22.1.2014 beantragte der Angeklagte Prüfung der Haft gemäß § 117 Abs. 1 StPO und Aufhebung des Haftbefehls mit der Begründung, eine ausreichende Förderung des Fortgangs des Verfahrens durch Bestimmung und Durchführung hinreichend häufiger Termine habe nicht stattgefunden.

Mit Beschluss der Strafkammer vom 18.3.2014 ist dieser Antrag auf Aufhebung (hilfsweise Außervollzugsetzung) abgelehnt worden. Auf die hierzu abgegebene Begründung im angefochtenen Beschluss wird Bezug genommen. Mit Schriftsatz vom 17.3.2014, eingegangen bei Gericht am 20.3.2014, hat der Angeklagte (Haft-) Beschwerde hiergegen eingelegt, der die Kammer mit Beschluss vom 25.3.2014 nicht abgeholfen hat. Auf die Beschwerdebegründung und die Gründe der Nichtabhilfeentscheidung wird hier ebenfalls Bezug genommen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

Mit weiterem Beschluss vom 30.1.2014 hat die Strafkammer Anträge des Angeklagten auf Genehmigung von Telefonaten mit seiner Mutter alle zehn Tage, sowie auf Aufhebung der Besuchsüberwachung abgelehnt.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten vom 21.2.2014, der die Kammer mit Beschluss vom 18.3.2014 nicht abgeholfen hat. Auch hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg Verwerfungsantrag wegen Unbegründetheit gestellt.

II.

1. Die (Haft-) Beschwerde ist zulässig. Es handelt sich um eine Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 18.3.2014, durch den der Antrag des Angeklagten auf Aufhebung des Haftbefehls zurückgewiesen worden ist.

2. Die Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, da die Haftvoraussetzungen des § 112 StPO weiterhin gegeben sind und auch die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht unverhältnismäßig ist. Auch mit Blick auf die sich aus dem Grundgesetz und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergebenden Anforderungen liegt ein Verstoß gegen das in Haftsachen geltende Beschleunigungsgebot nicht vor.

a) Es besteht weiterhin der - von der Verteidigung mit der Beschwerde nicht beanstandete - dringende Tatverdacht der bandenmäßigen Hinterziehung von Verbrauchssteuern in mehreren Fällen und des gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in mehreren Fällen und des Versuchs desselben in mehreren Fällen. Insoweit verweist der Senat auf die Beschlüsse vom 9.4.2013 (1 Ws 139/13) und vom 19.7.2013 (1 Ws 315/13). Nach herrschender Rechtsprechung (vgl. BGH NStZ-RR 2013, 86 m. w. N.) unterliegt die Bewertung des dringenden Tatverdachts während laufender Hauptverhandlung im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht. Die Ausführungen der Kammer in ihren Beschlüssen und Stellungnahmen im vorliegenden Verfahren geben dabei keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer im Laufe der andauernden Hauptverhandlung abgeschwächt oder in Frage gestellt wäre.

b) Auch Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) muss derzeit weiterhin bejaht werden. Auch hierzu verweist der Senat auf seine Ausführungen in den vorgenannten Beschlüssen in dieser Sache.

c) Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot in Haftsachen kann unter Berücksichtigung sämtlicher hier relevanter Umstände des Einzelfalles nicht festgestellt werden.

Der Senat hält hierbei folgende Verfahrenstatsachen für bedeutsam:

Der am 4.10.2012 festgenommene Angeklagte befindet sich seither ununterbrochen in Untersuchungshaft. Diese dauert folglich fast 19 Monate an. Der dem Angeklagten zur Last liegende Tatvorwurf erfasst sowohl eine Vielzahl von Taten, als auch eine erhebliche Steuerschadenssumme. Hinzu kommt, dass die Beteiligung mehrerer Mittäter mit wahrscheinlich auch bandenmäßiger Beteiligung vorliegt. Die Taten und die Ermittlungen erstreckten sich auf mehrere Staaten, waren äußerst komplex und erforderten erheblichen zeitlichen Aufwand. Die Ermittlungsakten nehmen daher einen erheblichen Umfang ein. Zudem wurden dem Gericht am 28.2.2014 erhebliche Mengen weiterer Unterlagen vorgelegt. Der Umfang der zu ermittelnden Taten und deren Komplexität, die Zahl der beteiligten Angeklagten sowie der Umfang der zu sichtenden Aktenbestandteile und Ermittlungsergebnisse machten von Anfang an deutlich, dass es sich bei vorliegendem Strafverfahren um ein sogenanntes Umfangsverfahren handelt, dessen Bearbeitung im Rahmen der Hauptverhandlung viele Verhandlungstage und eine längere Zeitdauer beanspruchen würde.

Angesichts der Anzahl der Taten, des entstandenen Schadens und des wahrscheinlichen Tatbildes ist bei erfolgtem Tatnachweis für den Angeklagten A. mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Dies wird auch daraus deutlich, dass die Strafkammer in der Sitzung vom 28.10.2013 kundgegeben hat, dass bei geständiger Einlassung des Angeklagten für ihn mit einer Gesamtfreiheitsstrafe zwischen sechs Jahren und sechs Jahren und neun Monaten gerechnet werden könne, wobei eine derartige Verständigung schließlich nicht zu Stande kam. Wegen der Anzahl der Beteiligten, insbesondere der (nunmehr nur noch acht, anfangs zwölf) Zahl der Verteidiger ist auch zu sehen, dass die terminliche Abstimmung auf besondere Schwierigkeiten stoßen kann. Zudem wurde hinsichtlich eines Mitangeklagten dem Gericht gegenüber erst in der Hauptverhandlung thematisiert, dass Probleme mit dessen Verhandlungsfähigkeit bestünden. Nach Erholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens wurde zunächst nur drei Stunden pro Verhandlungstag, später die in Anbetracht der gutachterlich festgestellten Erkrankung für möglich gehaltenen fünf Stunden täglich verhandelt. Der Beschwerdeführer und ein weiterer Mitangeklagter erklärten nach neun bzw. elf Verhandlungstagen, sie seien aufgrund fehlender Vorbereitung nicht in der Lage, sich zur Sache einzulassen; ähnliche Erklärungen erfolgten seitens der Verteidigung.

Während des Verfahrens fanden Abtrennungen bezüglich einzelner Mitangeklagter zu deren beschleunigter Behandlung statt, so dass das Verfahren nunmehr nur noch gegen fünf Angeklagte (mit acht Verteidigern) geführt wird.

Bislang haben folgende Termine im Rahmen der Hauptverhandlung stattgefunden:

7., 9. und 28.10., 11., 19. und 29.11., 19.12.2013, 20. und 29.1., 4., 6., 24. und 26.2., 5., 10., 12., 19., 24. und 26.3., 8., 9., 14., 16., 24., und 25.4.2014. Weitere ursprünglich angesetzte Termine vom 22.11.2013, 14.1., 22.1. und 12.2.2014 wurden ersatzlos aufgehoben. Einmal war ein Hilfsschöffe wegen eines vor Beginn der Hauptverhandlung bestehenden anderen Termins verhindert, einmal waren die beiden einzig in die Sache eingearbeiteten Staatsanwälte verhindert und am 12.2.2014 erfolgte Absetzung wegen einer Dienstbesprechung des Vorsitzenden in München.

Derzeit sind in Absprache mit den Verteidigern und der Staatsanwaltschaft folgende weiteren Termine bestimmt:

15.5., 21. und 23.5., 17., 18., 23., und 25.6., 15., 16., 21. und 23.7.2014.

d) Es gibt auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keinen allgemeinen Grundsatz des Inhalts, dass ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot schematisch an die Durchschnittszahl der Sitzungstage pro Woche anknüpft und bereits dann vorliegt, wenn in Haftsachen an durchschnittlich weniger als zwei Tagen in der Woche eine Hauptverhandlung stattfindet.

Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen gebietet zunächst bei absehbar umfangreichen Verfahren, bei denen sich der Angeklagte in Untersuchungshaft befindet, stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlungsplanung mit mehr als nur einem durchschnittlichen Hauptverhandlungstag pro Woche (BVerfG StV 2008, 198 m. w. N.). Die reine Durchschnittsfrequenz ist aber nur der Ausgangspunkt der Bewertung der Einhaltung des Beschleunigungsgrundsatzes. Dabei bleiben Unterbrechungszeiten wegen Urlaubs zunächst unberücksichtigt (vgl. BVerfG Be. v. 23.1.2008 Az. 2 BvR 2652/07 Rn. 53- nach juris; BVerfG StV 2013, 640). Der Verlauf eines sog. Umfangverfahrens hängt von einer Vielzahl festzustellender Parameter ab, die bei der Bewertung der Beschleunigung des Verfahrens zu berücksichtigen sind.

So kann es geboten sein, zu Beginn eines Verfahrens weiträumiger zu terminieren, weil etwa der Verlauf angekündigter Verständigungsgespräche, oder die Entwicklung der Verteidigungsstrategie mehrerer Verteidiger und das Einlassungsverhalten der Angeklagten nicht absehbar ist. Nach Durchführung komprimierter Hauptverhandlungssequenzen kann ein Zeitraum erforderlich werden, um im Rück- und Ausblick den Fortgang des Verfahrens zu überprüfen und die weitere Gestaltung zu planen, etwa auch um Fristen für weitere Beweisanträge zu setzen (vgl. BGHSt 51, 333, 344 f.; BGH NStZ 2007, 716; BGHSt 52, 355, 361; BGH NStZ 2010, 161 f.; s. auch BVerfG NJW 2010, 592 ff., 2036 f.). Relevant ist auch die Auslastung der Kammer durch - insbesondere bereits laufende - Haftverfahren. Andererseits kann es auch geboten sein im Laufe des Verfahrens, eine ursprünglich weitläufigere Terminierung zu verdichten.

Das Haftgericht ist daher gehalten, während laufender Hauptverhandlung die Verfahrensentwicklung kontrollierend im Auge zu behalten und die Terminierungsdichte laufend dynamisch an die aktuelle Prozesslage - unter Beachtung der Dauer der bereits vollzogenen Untersuchungshaft - anzupassen.

e) Für das vorliegende Verfahren folgt aus der Anwendung dieser Grundsätze, dass keine Verstöße gegen das Beschleunigungsgebot vorliegen.

Die Kammer hatte zwar in den ersten 21 Wochen vom 7.10.2013 bis 26.2.2014 nur an 18 Tagen Hauptverhandlungstermine angesetzt, von denen vier aus kurzfristig aufgetretenen dienstlichen Gründen, bzw. einmal wegen vor Hauptverhandlungsbeginn bereits geplanten Urlaubs eines Schöffen, abgesetzt werden mussten. Für eine weniger eng gestaffelte Terminierung zu Beginn der Hauptverhandlung aber gab es triftige Gründe, die in den speziellen Umständen des Falles ihre Ursache hatten und letztlich keine kausale Verlängerung des Verfahrens bewirken konnten. Wegen des besonderen Umfangs der Akten und des Beweismaterials, zu dem im Februar 2014 noch eine weitere Fülle von Unterlagen hinzukam, erklärten der Beschwerdeführer und ein weiterer Mitangeklagter, sie seien mit der Sichtung des Materials und der Vorbereitung auf die Beweisaufnahme und insbesondere ihrer eigenen Einlassung noch nicht fertig geworden. Es werde zwar eine Einlassung erfolgen, jedoch benötigten sie hierfür noch Zeit. Eine engere Terminierung hätte hier keine Förderung des Verfahrens und damit keine Beschleunigung erreicht. Vor erfolgter Einlassung, die die Angeklagten selbst gewünscht und angekündigt hatten, hätte ein schnelleres Voranschreiten in der Beweisaufnahme keine sinnvolle Förderung des Verfahrens bewirkt. Gerade in derart umfangreichen und komplexen Verfahren kann es geboten sein, zu Beginn weniger häufige Termine abzuhalten, um den Verfahrensbeteiligten genügend Gelegenheit zu geben, sich einzuarbeiten, die Einlassungen der anderen Verfahrensbeteiligten zu werten und somit zielgerichtet und sinnvoll die Beweisaufnahme mitgestalten zu können. So verhielt es sich offensichtlich hier - dies zeigt das Verhalten des Beschwerdeführers, aber auch zumindest eines weiteren Mitangeklagten.

Das besondere Bestreben der Kammer, eine Beschleunigung herbeizuführen zeigt auch die Abtrennung mehrerer Verfahren zur gesonderten (beschleunigten) Behandlung.

Zudem verhandelte die Kammer im Zeitraum von Oktober 2013 bis Mai 2014 eine weitere Vielzahl von Verfahren, bei denen es sich zumeist ebenfalls um eilbedürftige Haftsachen, Unterbringungssachen oder etwa wegen arrestierten Vermögens auch um beschleunigungsbedürftige Angelegenheiten handelte, und wird dies auch weiterhin tun. Dies geht aus einem Vermerk des Vorsitzenden der Kammer vom 9.5.2014 eindrucksvoll hervor.

Die oben dargestellte Verfügung zu den zukünftigen Terminen zeigt weiter, dass mehr als vier Verhandlungen pro Monat und mehr als eine Verhandlung pro Woche vorgesehen sind, also eine dichtere Terminierung im Verlauf der Fortsetzung der Hauptverhandlung erreicht wird. Dies gilt trotz zu erwartender Urlaube von Verfahrensbeteiligten und einer Vielzahl von Beteiligten und den hieraus auftretenden Terminierungsschwierigkeiten.

Bei einer zusammenfassenden Bewertung der vorstehenden Gesichtspunkte besteht kein Zweifel daran, dass trotz der erheblichen Dauer der bislang bereits vollzogenen Untersuchungshaft den Anforderungen des Beschleunigungsgebotes hier Genüge getan ist.

Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft verstößt auch im Hinblick auf die zu erwartende Strafe und unter Berücksichtigung einer etwaigen Aussetzung zur Vollstreckung nach teilweiser Vollstreckung unter Anrechnung der Untersuchungshaft auch im Übrigen nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

3. Die Beschwerde gegen die Beschränkungen der Untersuchungshaft (§ 119 StPO) hatte dagegen teilweise Erfolg.

a) Nach § 119 Abs. 1 StPO dürfen derartige Beschränkungen, wie hier konkret bezüglich gestatteter Telefonate und der Überwachung von Besuchen, nur auferlegt werden, sofern dies zur Abwehr einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr erforderlich ist. Das bedeutet, dass der Haftrichter, der für Entscheidungen nach § 119 Abs. 1 StPO zuständig ist, nur solche Argumente für Beschränkungen heranziehen darf, die aus Haftgründen, wenn auch aus solchen, die nicht im konkreten Haftbefehl aufgeführt sind, Berücksichtigung finden dürfen.

Seit 1.9.2006 (vgl. BGBl I 2863) ist das Recht des Haftvollzugs ausschließlich Ländersache (vgl. Darstellung in Meyer-Goßner StPO, 57. Aufl. § 119 Rn. 2). In dem für Bayern mit Erlass vom 20.12.2011 (GVBl S. 678) geltenden Untersuchungshaftvollzugsgesetz (UVollzG) sind Möglichkeiten zu weiteren Beschränkungen aus Gründen der Sicherheit und Ordnung durch den Anstaltsleiter, wie sie früher in § 119 Abs. 3 StPO a. F. geregelt waren, eröffnet.

Die Ablehnung der Gewährung von Telefonanrufen an die Mutter alle zehn Tage wurde vom Landgericht nicht auf Erforderlichkeit aus Haftgründen gestützt. Solche Gründe sind hier auch nicht ersichtlich.

Zwar widerstreitet das Begehren eines Untersuchungsgefangenen auf Kontakte per Telekommunikation mit Personen außerhalb der Justizvollzugsanstalt in der Regel den Zwecken der Untersuchungshaft allgemein. Jedoch ist bei Telefonaten mit nahen Familienangehörigen im Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG ein großzügigerer Maßstab angezeigt (vgl. Meyer-Goßner StPO 57. Auf. § 119 Rn. 13).

Vorstehend ist insbesondere zu berücksichtigen, dass sich der Beschwerdeführer bislang bereits ein Jahr und sieben Monate in Untersuchungshaft befindet und Telefonate mit seiner Mutter gewünscht werden. Da den Gefahren eventueller Verdunkelung durch Überwachung der Telefongespräche ausreichend entgegengewirkt werden kann, sieht der Senat keine sich aus dem Prüfprogramm des § 119 Abs. 1 StPO ergebenden Gründe für eine Versagung der gewünschten Gespräche mit der Mutter alle zehn Tage.

Insoweit war der angefochtene Beschluss daher aufzuheben. Eine Entscheidung auf Gewährung der Telefonate jedoch konnte durch den Senat nicht ergehen, da eine Erstentscheidung nach dem UHaftVollzG durch den zuständigen Anstaltsleiter unter Berücksichtigung der Sicherheit und Ordnung der Justizvollzugsanstalt noch aussteht.

b) Unbegründet ist jedoch die Beschwerde, soweit sie Aufhebung der Besuchskontrolle begehrt. Diesbezüglich stützt sich der ablehnende Beschluss der Strafkammer auf Verdunkelungsgefahr. Angesichts der Vielzahl von an den dem Angeklagten vorgeworfenen Straftaten Beteiligten und der ihm zur Last gelegten bandenmäßigen Struktur liegt die Gefahr verdunkelnder Handlungsweisen bei unkontrollierten Besuchen hier sehr nahe. Auch nach Ansicht des Senats können daher weder bei Besuchen, noch - sofern diese zukünftig gestattet werden - bei Telefonaten mit der Mutter des Angeklagten Kontrollen unterbleiben.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 473 Abs. 1 und 467 (analog) StPO.

Tenor

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftfortdauerbeschluss des Landgerichts Schwerin vom 07.10.2009 wird als unbegründet verworfen.

Die Beschlüsse des Landgerichts Schwerin vom 10.11.2009 und 3.12.2009 werden aufgehoben. Damit entfallen zugleich die in dem Aufnahmeersuchen des Amtsgerichts Oranienburg vom 27.03.2009 für den Vollzug der Untersuchungshaft "durch die Untersuchungshaftvollzugsordnung allgemein getroffenen Regelungen".

Gründe

I.

1.

1

Das Amtsgericht Parchim erließ am 31.07.2008 (Az.: 3 Gs 100/08) gegen den Angeklagten Ergreifungshaftbefehl wegen des Verdachtes des Betruges (im besonders schweren Fall). Der am 26.03.2009 festgenommene Angeklagte befand sich zunächst aufgrund eines nach § 230 Abs. 2 StPO erlassenen Haftbefehls des Amtsgerichts Brandenburg/Havel vom 17.07.2008 seit dem 27.03.2009 in der JVA Neuruppin-Wulkow, seit dem 30.03.2009 in der JVA Brandenburg/Havel und seit dem 04.09.2009 in der JVA Bützow ununterbrochen in Haft. In vorliegender Sache war Überhaft notiert. Nach Abschluss der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Brandenburg/Havel am 07.08.2009 wurde der dortige Haftbefehl gegenstandslos. Seit dem 08.08.2009 wird der Haftbefehl des Amtsgerichts Parchim in vorliegender Sache vollstreckt. Mit nicht rechtskräftigem Urteil vom 08.09.2009 (Az.: 3 Ls 169/09) verurteilte das Amtsgericht Parchim den Angeklagten wegen Betruges in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten und ordnete gem. § 268 b StPO die Fortdauer der Untersuchungshaft an. Mit Beschluss vom 17.09.2009 hat das Amtsgericht Parchim den zugleich mit der Berufungseinlegung gestellten Antrag auf mündliche Haftprüfung vom 11.09.2009 zurückgewiesen und den Haftbefehl mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass der Haftgrund der Fluchtgefahr bestehe. Auf die dagegen eingelegte "sofortige Beschwerde" des Verteidigers vom 22.09.2009 hat das Landgericht Schwerin mit Beschluss vom 07.10.2009 (Az.: 41 Ns 180/09) den Antrag des Angeklagten auf mündliche Haftprüfung in einen solchen auf Aufhebung des Haftbefehls umgedeutet, diesen zurückgewiesen und den Haftbefehl des Amtsgerichts Parchim vom 31.07.2008 nach Maßgabe des Beschlusses vom 17.09.2009 aufrechterhalten. Hiergegen wendet sich die Beschwerde des Angeklagten vom 20.12.2009.

2.

2

Die Beschwerde ist unbegründet.

3

Das Fehlen einer Nichtabhilfeentscheidung hindert das Beschwerdegericht nicht an einer eigenen Sachentscheidung (Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 306 Rdz. 10 m.w.N.).

4

Der Angeklagte ist der im Haftbefehl des Amtsgerichts Parchim vom 31.07.2008 aufgeführten Taten dringend verdächtig. Insoweit wird auf die Gründe des Urteils des Amtsgerichts Parchim vom 08.09.2009 zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Der Angeklagte hat die Taten eingeräumt und seine Berufung gegen das Urteil auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.

5

Bei dem Beschwerdeführer besteht auch die in dem angefochtenen Beschluss angenommene Fluchtgefahr gem. § 112 Abs. 1 Nr. 2 StPO. Fluchtgefahr liegt vor, wenn die Würdigung der Umstände des Einzelfalles es wahrscheinlicher macht, dass sich der Angeklagte dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 112 Rn. 17 m. w. N.). Das Sich-Entziehen bezeichnet ein Verhalten, das den Erfolg hat, dass der Fortgang des Strafverfahrens wenigstens vorübergehend durch Aufhebung der Bereitschaft des Angeklagten verhindert wird, für Ladungen und Vollstreckungsmaßnahmen zur Verfügung zu stehen. Die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit des Sich-Entziehens erfordert die Berücksichtigung aller Umstände des Falles, insbesondere der Art der dem Angeklagten vorgeworfenen Taten, der Persönlichkeit des Angeklagten, seiner Lebensverhältnisse, seines Vorlebens und seines Verhaltens vor und nach der Tat, wobei die für und gegen eine Flucht sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen sind (Meyer-Goßner, a.a.O., Rn. 18 m. w. N.).

6

Gemessen an Vorstehendem sprechen hier gewichtige Gründe für die Annahme von Fluchtgefahr:

a)

7

Bereits die in vorliegender Sache zu erwartende Strafe bietet nach Auffassung des Senates für den Angeklagten einen erheblichen Fluchtanreiz. Der Angeklagte ist erstinstanzlich zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt worden.

8

Hinzu kommt, dass der Angeklagte mit Urteil des Amtsgerichts Brandenburg/Havel vom 07.08.2009 (25 Ds 490 Js 38834/07) wegen Diebstahls im besonders schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten - wenn auch noch nicht rechtskräftig - verurteilt worden ist. Auch dieser Umstand erhöht die Fluchtgefahr, zumal der Angeklagte aufgrund der vorgenannten Verurteilung und der hier verfahrensgegenständlichen Straftaten mit dem Widerruf der zur Bewährung ausgesetzten Vollstreckung der mit Urteil des Amtsgerichts Zehdenick vom 15.07.2008 (Az.: 387 Js 27572/06, 42 Ds 89/06) gegen ihn verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten rechnen muss.

9

In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass der gem. § 230 Abs. 2 StPO durch das Amtsgericht Brandenburg/Havel in dem o.g. Verfahren erlassene Haftbefehl nach Aktenlage nicht etwa aufgehoben worden ist, weil im dortigen Verfahren kein dringender Tatverdacht mehr gegen ihn bestünde. Vielmehr ist der Haftbefehl nach Abschluss der Hauptverhandlung am 7.08.2009 gegenstandlos geworden.

b)

10

Nach Aktenlage verfügt der Angeklagte nicht über einen festen Wohnsitz. Seit dem Jahre 2002 wohnte er nicht mehr unter der in der Gewerbeanmeldung vom 07.09.2005 angegebenen Anschrift A. D. 00, B. an der H.. Unter der aus seinem bei der Begehung der Straftaten vorgelegten Personalausweis ersichtlichen Anschrift in der G. D.str. 00 a, W. konnte der Angeklagte nicht angetroffen werden. Die durchgeführten polizeilichen Ermittlungen ergaben keine aktuelle Wohnanschrift des Angeklagten. Als Wohnsitz gibt er in der Haftbeschwerde nunmehr eine Wohnung im Haus seiner Eltern an.

c)

11

Hinzu kommt, dass der Angeklagte im Zusammenhang mit einem Einbruch in einen Motorradclub, der Gegenstand des Strafverfahrens vor dem Amtsgericht Brandenburg/ Havel ist, von dessen Mitgliedern bedrängt wird. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts Parchim in seinem Urteil vom 8.09.2009 war der Angeklagte Mitglied des Motorradclubs "S. T. MC" in Brandenburg. Im August 2006 kam es zu einem Einbruch in das Clubhaus und zum Diebstahl eines Betrages von mindestens 5.000,- €. Die Mitglieder des Motorradclubs verdächtigen den Angeklagten der Tat und setzten ihn wenige Tage später massiv unter Druck. Um ein Geständnis des Angeklagten zu erlangen, wurde er am 19.08.2006 eingesperrt, bedroht, genötigt und misshandelt, so dass er erhebliche Verletzungen erlitt. Schließlich gelang ihm am Folgetag die Flucht. Mehrere Mitglieder des Motorradclubs wurden deswegen durch das Landgericht Potsdam rechtskräftig verurteilt. Seit den Ereignissen im Zusammenhang mit dem Einbruch in den Motorradclub versteckt sich der Angeklagte aus Angst vor weiteren Repressalien vor dessen Mitgliedern.

d)

12

Demgegenüber wirken sich die familiären Bindungen des Angeklagten (nach dem Inhalt der Beschwerdeschrift ist er alleinerziehender Vater einer Tochter) allenfalls in minderem Umfang fluchthemmend aus, zumal seine Tochter derzeit bei einer Pflegefamilie lebt. Sowohl die Beziehung zu seiner Tochter als auch zu seiner Verlobten, der Kindesmutter, haben ihn in der Vergangenheit nicht davon abhalten können, sich dem vorliegenden Strafverfahren über einen Zeitraum von ca. 8 Monaten zu entziehen.

e)

13

Soweit der Angeklagte vorbringt, dass er einen festen Arbeitsplatz in seiner eigenen Firma habe, vermag ihn dies ebenfalls nicht von einer Flucht abzuhalten. Auch nach Bewertung des Senates bestehen nach Aktenlage erhebliche Zweifel daran, ob diese Firma tatsächlich existiert. So hat der Angeklagte bei seiner Tat vom 29.04.2008 eine Gewerbeanmeldung vom 07.09.2005 vorgelegt. Nach dieser soll er Inhaber einer Firma mit Sitz in B./ H., A. D. 41 sein. Bei seiner Tat vom 11.06.2008 verwendete der Angeklagte hingegen einen Stempel, der ihn als Inhaber einer Fa. A & r B. in 00000 T., B.str. 00 auswies. Zudem machte er bei Abschluss der jeweiligen Mietverträge über die Baumaschinen falsche Angaben über die Baustellen, auf denen die Maschinen verwendet werden sollten.

14

Vor dem Hintergrund der wenigen geringgewichtigen fluchthemmenden Gesichtspunkte erscheint es unwahrscheinlich, dass sich der Angeklagte auch ohne den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft dem weiteren Strafverfahren zur Verfügung halten wird.

15

Im Hinblick auf die Schwere der Taten und der deswegen zu erwartenden hohen Strafe ist der weitere Vollzug der Untersuchungshaft auch ohne Weiteres verhältnismäßig (§ 112 Abs. 1 S. 2 StPO).

II.

1.

16

Nach der am 26.03.2009 erfolgten Festnahme und der Verkündung des Haftbefehls durch das Amtsgericht Oranienburg wurde der Angeklagte zunächst in die JVA Neuruppin-Wulkow aufgenommen. Nach dem Aufnahmeersuchen sollten für den Angeklagten die durch die UVollzO allgemein getroffenen Regelungen gelten. Besondere Anordnungen wurden nicht getroffen. Mit Schreiben vom 13.09.2009 beantragte der Angeklagte die Aufhebung der Brief- bzw. Postkontrolle. Dies hat das Landgericht Schwerin mit Beschluss vom 07.10.2009 abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass aufgrund der vom Angeklagten eingeräumten Verstrickung in die organisierte Kriminalität kein Anlass bestehe, die Briefkontrolle aufzuheben.

17

Mit Antrag vom 12.10.2009 hat der Angeklagte eine unbeschränkte Telefonerlaubnis für Telefonate mit seiner Verlobten, seinem Verteidiger sowie einer Frau M. beantragt. Mit angefochtenem Beschluss vom 10.11.2009 hat das Landgericht Schwerin die beantragte Telefonerlaubnis abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die durch den Angeklagten begehrte generelle Telefonerlaubnis den Anstaltszweck gefährde und die Anstaltsordnung in unzumutbarer Weise gefährden würde. Hiergegen wendet sich die als Beschwerde zu wertende "sofortige Beschwerde" des Angeklagten vom 19.11.2009.

18

Mit Schreiben vom 19.11.2009 hat der Angeklagte schließlich beantragt, die Postüberwachung einzustellen. Diesen Antrag hat das Landgericht Schwerin mit Beschluss vom 03.12.2009 mit der Begründung abgelehnt, dass die Postkontrolle gem. Nr. 30 Ziff. 1 UVollzO an den Status als Untersuchungsgefangener gebunden sei. Den vorgenannten Beschluss greift der Angeklagte mit seiner Beschwerde vom 16.12.2009 an.

2.

19

Die Beschwerden des Angeklagten haben - wegen der Änderung der Rechtslage zum 1.01.2010 aufgrund des Gesetzes zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29.07.2009 - in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg, weil Gründe der Untersuchungshaft die Versagung der Telefonerlaubnis und die Fortdauer der Postkontrolle nicht länger rechtfertigen und die Entscheidung darüber, ob zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt derartige Einschränkungen erforderlich sind, originär der Haftanstalt obliegt.

a)

20

Zwar war das Landgericht Schwerin seinerzeit zum Erlass der angefochtenen Beschlüsse zuständig (§ 119 Abs. 6 StPO in der bis zum 31.12.2009 geltenden Fassung). Auch entsprachen die angefochtenen Beschlüsse der zum Zeitpunkt ihres Erlasses geltenden Rechtslage (vgl. Nr. 30 Ziff. 1 UVollzO (Postkontrolle); Nr. 38 UVollzO sowie Senatsbeschluss vom 24.07.2007 - I Ws 403/07 - (Telefonerlaubnis).

b)

21

Der Senat als Beschwerdegericht hat jedoch, da es sich bei den Regelungen über Beschränkungen, die Beschuldigten in der Untersuchungshaft auferlegt werden dürfen, um Verfahrensrecht handelt, auf der Grundlage der seit dem 1.01.2010 geltenden Rechtslage zu entscheiden. Diese hat sich, nachdem sich die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach der Föderalismusreform gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG allein "auf das gerichtliche Verfahren (ohne das Recht des Untersuchungshaftvollzugs) erstreckt, dahingehend geändert, dass durch die StPO als Bundesrecht nunmehr lediglich noch die Beschränkungen geregelt werden, die der Zweck der Untersuchungshaft als solche erfordert. Beschränkungen, die Beschuldigten in der Untersuchungshaft aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt auferlegt werden dürfen, sind nunmehr ausschließlich in den Untersuchungshaftvollzugsgesetzen der Länder geregelt (Art. 125 a Abs. 1 Satz 2 GG), in Mecklenburg-Vorpommern im UVollzG M-V vom 17.12.2009 (GVBl. M-V 2009, 763). Hierüber zu befinden, obliegt zunächst der jeweiligen Haftanstalt (§ 3 Abs. 1 UVollzG M-V).

c)

22

Gem. § 119 Abs. 1 S. 1, 2 StPO in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29.07.2009 können in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten haftrichterliche Beschränkungen nur dann auferlegt werden, insbesondere angeordnet werden, dass die Telekommunikation der Erlaubnis bedarf (§ 119 Abs. 1 S. 2 Ziff. 1 StPO) sowie Telekommunikation sowie der Schrift- und Paketverkehr zu überwachen sind (§ 119 Abs. 1 S. 2 Ziff. 2 StPO), wenn und soweit dies zur Abwehr einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr (§§ 112, 112 a StPO) erforderlich ist. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht mehr vor.

(1)

23

Der Senat teilt zwar die Einschätzung des Landgerichts in dessen (nicht angegriffenen) Beschluss vom 7.10.2009, dass nach den eigenen Angaben des Angeklagten eine Verstrickung in die organisierte Kriminalität vorliegt. Auch besteht bei dem Angeklagten nach dem Vorgesagten Fluchtgefahr. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass zur Abwendung allein dieser Gefahr eine Einschränkung bzw. Überwachung der Post und der Telekommunikation des Untersuchungsgefangenen erforderlich ist. Es liegen derzeit keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Angeklagte den Briefverkehr oder Telefonate dazu mißbrauchen könnte, seine Flucht aus der Haft zu planen und/oder vorzubereiten.

(2)

24

Verdunkelungsgefahr scheidet als Grund für derartige Beschränkungen schon deshalb aus, weil der Angeklagte geständig und der Schuldspruch des gegen ihn ergangenen Urteils bereits rechtskräftig ist, aber auch deshalb, weil seine Inhaftierung nicht mit diesem Haftgrund gerechtfertigt worden ist. Allein die Tatsache, dass der Angeklagte "in organisierte Kriminalität" verstrickt ist, begründet im vorliegenden Verfahren keine Verdunkelungsgefahr, solange es nicht zu konkreten Vertuschungshandlungen gekommen ist oder bestimmte Tatsachen den dringenden Verdacht begründen, es werde dazu kommen (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO). Auch dafür ist jedoch zur Zeit nichts ersichtlich.

d)

25

Soweit nach den §§ 32 ff. UVollzG M-V sowohl die Telekommunikation als auch der Schrift- und Paketverkehr zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt (§ 42 UVollzG M-V) Beschränkungen unterworfen werden können, setzt dies entsprechende Anordnungen bzw. Entscheidungen der Anstaltsleitung voraus, die hier bislang nicht vorliegen. Die Anstaltsleitung wird deshalb über die Anträge des Beschuldigten auf Gestattung von Telefongesprächen und Aufhebung der Postkontrolle originär zu entscheiden haben.

(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.

(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.

(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er

1.
die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder
2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.

(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.