Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss, 18. Aug. 2016 - 1 Ws 179/16

ECLI:ECLI:DE:POLGZWE:2016:0818.1WS179.16.0A
bei uns veröffentlicht am18.08.2016

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss der 2. Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 28. Juni 2016 aufgehoben und dem Angeklagten auf seine Kosten Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen die Kostenentscheidung aus dem Urteil des Amtsgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 28. September 2015 gewährt. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die darin dem Angeklagte entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse zur Last.

Gründe

1

Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 28. September 2015 von dem Vorwurf der Trunkenheit im Verkehr „auf Kosten der Landeskasse“ freigesprochen worden. Die Staatsanwaltschaft hat kein Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt. Am 30. September 2015 hat der Verteidiger bei dem Amtsgericht beantragt, seine Gebühren und Auslagen gegen die Landeskasse festzusetzen. Mit Verfügung vom 10. März 2016 hat die Rechtspflegerin bei dem Amtsgericht den Verteidiger darauf hingewiesen, dass das Urteil keinen Ausspruch über die notwendigen Auslagen des Angeklagten enthalte mit der Folge, dass diese bei dem Angeklagten verblieben. Der Verteidiger hat sich mit Schriftsatz vom 1. April 2016 gegen diese Auffassung gewandt. Mit Beschluss vom 5. April 2016 hat das Amtsgericht seinen Kostenfestsetzungsantrag zurückgewiesen und die Entscheidung dem erteilten Hinweis entsprechend begründet. Dieser Beschluss ist dem Verteidiger am 21. April 2016 zugestellt worden. Mit einem am 28. April 2016 bei dem Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz seines Verteidigers hat der Angeklagte sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung aus dem Urteil eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einlegungsfrist beantragt. Zur Begründung hat der Verteidiger vorgetragen, er sei davon ausgegangen, dass die Kostenentscheidung in dem Urteil früher geübter Praxis folgend auch als Ausspruch über die notwendigen Auslagen seines Mandanten ausgelegt werde. Erst durch die Entscheidung über seinen Kostenfestsetzungsantrag, die er für falsch halte, habe er die Notwendigkeit erkannt, die Kostenentscheidung anzufechten. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht die sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung und den Wiedereinsetzungsantrag als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, der Verteidiger sei bereits durch den Hinweis der Rechtspflegerin auf sein irrtümliches Verständnis der Kostenentscheidung hingewiesen worden und hätte deshalb ab Zugang des Hinweises, der spätestens am 1. April 2016 erfolgt sei, binnen einer Woche den Wiedereinsetzungsantrag stellen müssen mit der Folge, dass sein Wiedereinsetzungsantrag verspätet gestellt worden sei. Gegen diese seinem Verteidiger am 5. Juli 2016 zugestellte Entscheidung hat der Angeklagte mit dem am 12. Juli 2016 bei dem Landgericht eingegangenen Schriftsatz seines Verteidigers sofortige Beschwerde eingelegt.

2

Die sofortige Beschwerde ist gegen den angefochtenen Beschluss, soweit der Wiedereinsetzungsantrag verworfen worden ist, gem. § 46 Abs. 3 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

3

Dem Angeklagten ist Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen die Kostenentscheidung aus dem Urteil des Amtsgerichts zu gewähren. Weder ihn noch seinen Verteidiger trifft hinsichtlich der Versäumung der Einlegungsfrist für die sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung ein Verschulden.

4

Zu Recht hat das Landgericht angenommen, dass der Verteidiger zunächst davon ausgehen durfte, die Kostenentscheidung betreffe auch die notwendigen Auslagen seines Mandanten. Dabei kann dahinstehen, ob der abweichenden Entscheidung der 1. Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 16. Februar 2016 (1 Qs 16/16) beizutreten ist. Aus dem Vermerk der Bezirksrevisorin des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 12. Mai 2016 ergibt sich nämlich, dass bis zu der vorgenannten Entscheidung des Landgerichts der Ausspruch „auf Kosten der Landeskasse“ in freisprechenden Urteilen von den Kostenbeamten des Amtsgerichts Frankenthal (Pfalz) auch auf die notwendigen Auslagen der Angeklagten bezogen wurde und zur Kostenfestsetzung gegen die Landekasse führte. Auf diese Praxis durfte sich der Verteidiger verlassen (vgl. Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 11. Juli 2013 – 6 K 20/12, Rn. 42, juris).

5

Jedenfalls durch den von dieser Praxis abweichenden Hinweis der Rechtspflegerin ist dieser Vertrauenstatbestand nach Auffassung des Senats noch nicht aufgehoben worden. Zwar muss der Rechtsanwalt seine Tätigkeit grundsätzlich gerichtlichen Hinweisen folgend auch dann anpassen, wenn er den Hinweis für unrichtig halten durfte (BGH, Urteil vom 25. Juni 1974 – VI ZR 18/73, Rn. 12, juris); hier ging es aber nicht um irgendeine Rechtsauffassung des Verteidigers, sondern um das Vertrauen auf eine über längere Zeit bei diesem Gericht geübte Praxis. In diesem Fall gebietet die von ihm zu beachtende Sorgfaltspflicht dem Rechtsanwalt erst dann, seine Tätigkeit dem Hinweis folgend auszurichten, wenn mit dem Hinweis die Erklärung verbunden ist, dass der bisher geübten Praxis nicht mehr gefolgt wird; andernfalls kann er noch von einem Versehen ausgehen. Nimmt ein Gericht von einer länger geübten Rechtspraxis Abstand, sollten die Anforderungen an einen Wiedereinsetzungsantrag und den Zeitpunkt für dessen Stellung im Hinblick auf die Justizgewährleistungsgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG nicht besonders streng ausgelegt werden.

6

Die Kostenentscheidung folgt §§ 467 Abs. 1, 473 Abs. 7 StPO.

7

Mit der Gewährung der Wiedereinsetzung ist dem angefochtenen Beschluss, soweit die sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung aus dem Urteil des Amtsgerichts als unzulässig verworfen worden ist, die Grundlage entzogen worden mit der Folge, dass das Landgericht über das Rechtsmittel neu zu entscheiden hat. Dem Senat ist insoweit eine eigene Sachentscheidung verwehrt (§ 310 StPO).

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(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels

Strafprozeßordnung - StPO | § 467 Kosten und notwendige Auslagen bei Freispruch, Nichteröffnung und Einstellung


(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zu

Strafprozeßordnung - StPO | § 46 Zuständigkeit; Rechtsmittel


(1) Über den Antrag entscheidet das Gericht, das bei rechtzeitiger Handlung zur Entscheidung in der Sache selbst berufen gewesen wäre. (2) Die dem Antrag stattgebende Entscheidung unterliegt keiner Anfechtung. (3) Gegen die den Antrag verwerfende E

Strafprozeßordnung - StPO | § 310 Weitere Beschwerde


(1) Beschlüsse, die von dem Landgericht oder von dem nach § 120 Abs. 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständigen Oberlandesgericht auf die Beschwerde hin erlassen worden sind, können durch weitere Beschwerde angefochten werden, wenn sie 1. eine Ver

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Diese Entscheidung wird zitiert Tenor 1. Der Antrag der Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen die Kostenentscheidung des Urteils der 3. Strafkammer des Lan

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(1) Über den Antrag entscheidet das Gericht, das bei rechtzeitiger Handlung zur Entscheidung in der Sache selbst berufen gewesen wäre.

(2) Die dem Antrag stattgebende Entscheidung unterliegt keiner Anfechtung.

(3) Gegen die den Antrag verwerfende Entscheidung ist sofortige Beschwerde zulässig.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.

(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.

(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er

1.
die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder
2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.

(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.

(1) Beschlüsse, die von dem Landgericht oder von dem nach § 120 Abs. 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständigen Oberlandesgericht auf die Beschwerde hin erlassen worden sind, können durch weitere Beschwerde angefochten werden, wenn sie

1.
eine Verhaftung,
2.
eine einstweilige Unterbringung oder
3.
einen Vermögensarrest nach § 111e über einen Betrag von mehr als 20 000 Euro
betreffen.

(2) Im übrigen findet eine weitere Anfechtung der auf eine Beschwerde ergangenen Entscheidungen nicht statt.