Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Urteil, 19. Sept. 2012 - 3 K 502/11
Gericht
Tatbestand
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Die Antragstellerin wendet sich gegen die Gültigkeit der Satzung des Antragsgegners über die Erhebung von Benutzungsentgelten für die Inanspruchnahme von Rettungsdienstleistungen.
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Der Kreistag des Antragsgegners beschloss am 15. Juni 2011 die Satzung über die Benutzungsentgelte für den Rettungsdienst (Rettungsdienstentgeltsatzung – im Folgenden: RettDEntgS), die am Folgetag ausgefertigt und am 20. Juli 2012 im Amtsblatt des Antragsgegners bekannt gemacht wurde. Nach § 3 Abs. 1 RettDEntgS werden die Entgelte für die Inanspruchnahme des Rettungsdienstes vom Antragsgegner durch Rechnung festgesetzt. Mit der am 16. Mai 2012 beschlossenen 1. Änderung der Rettungsdienstentgeltssatzung, die am 17. Mai ausgefertigt und am 13. Juni im Amtsblatt bekannt gemacht wurde, wurden die Entgeltsätze in § 5 Abs. 2 RettDEntgS geändert.
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Mit dem am gestellten Normenkontrollantrag macht die Antragstellerin geltend, das Oberverwaltungsgericht sei, auch wenn mit der Satzung privatrechtliche Entgelte erhoben würden, zuständig, weil die einseitige Bestimmung der Entgelte mittels der Satzung öffentlich-rechtlicher Natur und erst die Entgelterhebung auf der Grundlage der Satzung privatrechtlich ausgestaltet sei. Zudem habe der Landkreis die Möglichkeit, die Entgelte nach den Bestimmungen über die Vollstreckung privatrechtlicher Geldforderungen im Verwaltungszwangsverfahren einzuziehen. Unterläge eine privatrechtlich ausgestaltete Entgelterhebung nicht dem Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO, so habe es der Träger des Rettungsdienstes in der Hand, bei identischen Kalkulationsgrundlagen und Rahmenbedingungen allein durch die Ausgestaltung der Entgelterhebung eine Normenkontrolle durch das Oberverwaltungsgericht gänzlich auszuschließen. Zudem sei denkbar, dass der Träger wegen seiner Kosten eine Gebührenerhebung und wegen der Kosten der Leistungserbringer eine privatrechtliche Ausgestaltung wähle, so dass divergierende Entscheidungen zu befürchten seien. Der Antrag sei auch in der Sache begründet, weil die vom Antragsgegner für die Bemessung der Gebührensätze berücksichtigten Kosten den auf der Grundlage einer bedarfsgerechten und leistungsfähigen Organisation und einer wirtschaftlichen und sparsamen Betriebsführung berücksichtigungsfähigen Aufwand überschritten, weil der Antragsgegner die Leistungen z. T. selbst erbringe, obwohl er sich geeigneter Leistungserbringer bedienen solle und die Kosten für die eigene Einsatzleitstelle der Höhe nach nicht notwendig seien, weil anstelle der z. Zt. im Land Sachsen-Anhalt vorhandenen 14 Einsatzleitstellen nach Auffassung der Kostenträger vier Leitstellen ausreichend seien.
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Die Antragstellerin beantragt,
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die Satzung des Landkreises (...) über die Benutzungsentgelte für den Rettungsdienst (Rettungsdienstentgeltsatzung) vom 16. Juni 2011 für unwirksam zu erklären,
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hilfsweise festzustellen, dass die Satzung des Landkreises (...) über die Benutzungsentgelte für den Rettungsdienst (Rettungsdienstentgeltsatzung) vom 16. Juni 2011 unwirksam gewesen ist.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Er meint, der Normenkontrollantrag sei unzulässig, weil die Antragstellerin nicht geltend machen könne, durch die Satzung oder ihre Anwendung in eigenen Rechten verletzt zu sein. Im Übrigen sei die Satzung auch inhaltlich nicht zu beanstanden.
Entscheidungsgründe
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Der Normenkontrollantrag ist unzulässig.
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1) Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet, weil es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art i. S. d. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO handelt. Denn die §§ 6, 33 Abs. 3 Nr. 6 Alt. 2 LKO, 12 Abs. 3 Satz 4 RettDG LSA, aus denen der Antragsgegner seine Befugnis zum Erlass der Satzung herleitet, berechtigen und verpflichten ausschließlich einen Träger hoheitlicher Gewalt. Eine Verweisung des Rechtsstreits an eine andere Gerichtsbarkeit auf der Grundlage des § 17 a Abs. 2 GVG kommt daher nicht in Betracht (OVG Brandenburg, Urt. v. 29.06.2000 – 4 D 35/98.NE – Rdnr. 43
; wohl auch: VGH Bad.-Württ., Urt. v. 14.12.2011 – 3 S 2611/09 – Rdnrn. 21 und 29 ; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 24.03.2010 – OVG 9 A 4/09 – ; a. A. Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Auflage, zu § 47 Rdnr. 61)
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2) Der Normenkontrollantrag ist unzulässig, weil das Oberverwaltungsgericht gemäß § 47 Abs. 1 VwGO auf Antrag über die Gültigkeit einer im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschrift nur im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit entscheidet. Die Beschränkung der Befugnis zur Normenkontrolle auf die Gegenstände, die im Rahmen der Gerichtsbarkeit liegen, soll sicherstellen, dass die Oberverwaltungsgerichte nur über die Gültigkeit von Normen allgemein verbindlich (§ 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO) entscheiden, wenn Rechtsstreitigkeiten, die aus dem Vollzug der Satzung herrühren können, in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit fallen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 27.05.1995 – 7 NB 1/95 – Rdnr. 21
).
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Rechtsstreitigkeiten, die aus dem Vollzug der Rettungsdienstentgeltsatzung (RettDEntgS) des Antragsgegners herrühren können, fallen nicht in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit, weil die Entgelte für die Inanspruchnahme von Rettungsdienstleistungen nicht öffentlich-rechtlich durch die Erhebung von Gebühren, sondern - als privatrechtliche Entgelte - durch Rechnung geltend gemacht werden. Denn nach § 3 Abs. 1 Satz 1 RettDEntgS werden die Entgelte vom Landkreis (...) durch Rechnung festgesetzt. Die Entgeltrechnung wird dem Entgeltschuldner übersandt (§ 3 Abs. 1 Satz 2 RettDEntgS). Die Fälligkeit entsteht 4 Wochen nach Bekanntgabe der Entgeltrechnung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 RettDEntgS). Wenn die Entgelte durch Rechnung geltend gemacht werden, so ergibt sich hieraus, dass der Antragsgegner das Entgelt nach Maßgabe der in § 5 RettDEntgS bestimmten Tarife privatrechtlich gegenüber den Entgeltschuldnern geltend macht. Das stellt auch die Antragstellerin nicht in Abrede. Sie selbst verweist darauf, dass der Antragsgegner auf der Grundlage der Satzung in privatrechtlicher Form durch Rechnungen Ansprüche geltend mache und allein die AOK Sachsen-Anhalt monatlich etwa 1.000 bis 1.300 Rechnungen erhalte.
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Streitigkeiten aus dem Vollzug der Satzung fallen auch nicht deshalb in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit, weil dem Antragsgegner mit der Verordnung über die Vollstreckung privatrechtlicher Geldforderungen im Verwaltungszwangsverfahren (PrivVollstrVO) vom 27. September 1995 (GVBl. LSA S. 257), zuletzt geändert durch Verordnung vom 01. Juli 2004 (GVBl. LSA S. 358), die Möglichkeit eröffnet ist, privatrechtliche Geldforderungen aus der Inanspruchnahme von Leistungen der Krankentransporte und Krankenanstalten (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 PrivVollstrVO) im Verwaltungszwangsverfahren zu vollstrecken. Denn nach § 61 Abs. 2 Satz 1 VwVG LSA ist die Vollstreckung einzustellen, sobald der Vollstreckungsschuldner bei der Vollstreckungsbehörde Einwendungen gegen die Forderung erhebt. Ist die Vollstreckung eingestellt worden, so kann sie nur nach Maßgabe der Zivilprozessordnung fortgesetzt werden (§ 61 Abs. 2 Satz 2 VwVG LSA).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.
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(1) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit
- 1.
von Satzungen, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs erlassen worden sind, sowie von Rechtsverordnungen auf Grund des § 246 Abs. 2 des Baugesetzbuchs - 2.
von anderen im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften, sofern das Landesrecht dies bestimmt.
(2) Den Antrag kann jede natürliche oder juristische Person, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden, sowie jede Behörde innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift stellen. Er ist gegen die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung zu richten, welche die Rechtsvorschrift erlassen hat. Das Oberverwaltungsgericht kann dem Land und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, deren Zuständigkeit durch die Rechtsvorschrift berührt wird, Gelegenheit zur Äußerung binnen einer zu bestimmenden Frist geben. § 65 Abs. 1 und 4 und § 66 sind entsprechend anzuwenden.
(2a) (weggefallen)
(3) Das Oberverwaltungsgericht prüft die Vereinbarkeit der Rechtsvorschrift mit Landesrecht nicht, soweit gesetzlich vorgesehen ist, daß die Rechtsvorschrift ausschließlich durch das Verfassungsgericht eines Landes nachprüfbar ist.
(4) Ist ein Verfahren zur Überprüfung der Gültigkeit der Rechtsvorschrift bei einem Verfassungsgericht anhängig, so kann das Oberverwaltungsgericht anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des Verfahrens vor dem Verfassungsgericht auszusetzen sei.
(5) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet durch Urteil oder, wenn es eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, durch Beschluß. Kommt das Oberverwaltungsgericht zu der Überzeugung, daß die Rechtsvorschrift ungültig ist, so erklärt es sie für unwirksam; in diesem Fall ist die Entscheidung allgemein verbindlich und die Entscheidungsformel vom Antragsgegner ebenso zu veröffentlichen wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre. Für die Wirkung der Entscheidung gilt § 183 entsprechend.
(6) Das Gericht kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.
(1) Der Verwaltungsrechtsweg ist in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten auf dem Gebiet des Landesrechts können einem anderen Gericht auch durch Landesgesetz zugewiesen werden.
(2) Für vermögensrechtliche Ansprüche aus Aufopferung für das gemeine Wohl und aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung sowie für Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten, die nicht auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag beruhen, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben; dies gilt nicht für Streitigkeiten über das Bestehen und die Höhe eines Ausgleichsanspruchs im Rahmen des Artikels 14 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Die besonderen Vorschriften des Beamtenrechts sowie über den Rechtsweg bei Ausgleich von Vermögensnachteilen wegen Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte bleiben unberührt.
(1) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit
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von Satzungen, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs erlassen worden sind, sowie von Rechtsverordnungen auf Grund des § 246 Abs. 2 des Baugesetzbuchs - 2.
von anderen im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften, sofern das Landesrecht dies bestimmt.
(2) Den Antrag kann jede natürliche oder juristische Person, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden, sowie jede Behörde innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift stellen. Er ist gegen die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung zu richten, welche die Rechtsvorschrift erlassen hat. Das Oberverwaltungsgericht kann dem Land und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, deren Zuständigkeit durch die Rechtsvorschrift berührt wird, Gelegenheit zur Äußerung binnen einer zu bestimmenden Frist geben. § 65 Abs. 1 und 4 und § 66 sind entsprechend anzuwenden.
(2a) (weggefallen)
(3) Das Oberverwaltungsgericht prüft die Vereinbarkeit der Rechtsvorschrift mit Landesrecht nicht, soweit gesetzlich vorgesehen ist, daß die Rechtsvorschrift ausschließlich durch das Verfassungsgericht eines Landes nachprüfbar ist.
(4) Ist ein Verfahren zur Überprüfung der Gültigkeit der Rechtsvorschrift bei einem Verfassungsgericht anhängig, so kann das Oberverwaltungsgericht anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des Verfahrens vor dem Verfassungsgericht auszusetzen sei.
(5) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet durch Urteil oder, wenn es eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, durch Beschluß. Kommt das Oberverwaltungsgericht zu der Überzeugung, daß die Rechtsvorschrift ungültig ist, so erklärt es sie für unwirksam; in diesem Fall ist die Entscheidung allgemein verbindlich und die Entscheidungsformel vom Antragsgegner ebenso zu veröffentlichen wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre. Für die Wirkung der Entscheidung gilt § 183 entsprechend.
(6) Das Gericht kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.
(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.