Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Urteil, 18. Sept. 2014 - 4 A 2948/11
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn der Kläger nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
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T a t b e s t a n d :
2Der nach eigenen Angaben somalische Kläger wurde am 3. März 2009 zusammen mit acht weiteren Personen in internationalen Gewässern im Golf von Aden von der Fregatte „Rheinland-Pfalz“ der deutschen Bundesmarine wegen des Verdachts eines (versuchten) seeräuberischen Angriffs auf das unter der Flagge von Antigua und Barbuda fahrende, einer deutschen Reederei gehörende Motorschiff „Courier“ aufgegriffen und in Gewahrsam genommen. Die Fregatte war Teil der Seestreitkräfte, die im Rahmen der Militäroperation „ATALANTA“ zur Abschreckung und Bekämpfung von seeräuberischen Handlungen und bewaffneten Raubüberfällen vor der Küste Somalias tätig waren bzw. sind. Der Operation „ATALANTA“ liegt eine vom Rat der EU beschlossene Gemeinsame Aktion (GA) 2008/851/GASP vom 10. November 2008 zugrunde. Diese beruht wiederum auf den Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom 2. Juni 2008 und 1838 (2008) vom 7. Oktober 2008 des UN-Sicherheitsrates.
3Unmittelbar nach den von der Fregatte an das Einsatzführungskommando der Bundeswehr gerichteten Sofortmeldungen trat am 4. März 2009 ein mit Vertretern des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg), des Auswärtigen Amtes (AA), des Bundesministeriums des Innern (BMI) und des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) besetztes ressortübergreifendes Entscheidungsgremium (RÜEG) zusammen. Das Treffen diente unter anderem dem Zweck abzuklären, ob eine Strafverfolgung der Piraterieverdächtigen in Deutschland erfolgen solle. Von einer Strafanzeige sah das RÜEG ab, da die Staatsanwaltschaft I. bereits zuvor Ermittlungen eingeleitet hatte. Als Ergebnis des Treffens wurde unter anderem festgehalten, dass das „AA … bemüht (ist), bis zum 10. März die notwendigen Absprachen für eine Übergabe an einen Drittstaat herbei zu führen“.
4Am 5. März 2009 wies das Auswärtige Amt den deutschen Botschafter in Nairobi an, die Übernahmebereitschaft der kenianischen Behörden zu eruieren. Dies solle entweder auf der Basis eines von der EU beabsichtigten Briefwechsels mit der Republik Kenia geschehen oder bilateral über eine eigene Verbalnote mit Bezugnahme auf den Anhang zu dem geplanten Briefwechsel. Der genannte Briefwechsel wurde in am 6. März 2009 durch die EU-Ratspräsidentschaft abgeschlossen. Er regelt im hier interessierenden Zusammenhang im Wesentlichen Folgendes:
53. Behandlung und Strafverfolgung von übergebenen Personen und Gerichtsverhandlungen gegen diese Personen
6a) Jede übergebene Person wird human behandelt und weder Folter noch grausamer, unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung oder Bestrafung ausgesetzt; sie wird angemessen untergebracht und verpflegt, erhält Zugang zu medizinischer Versorgung sowie Gelegenheit zu religiöser Betätigung.
7…
8b) Jede übergebene Person hat Anspruch auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist oder auf Entlassung.
9…
105. Aufzeichnungen und Mitteilungen
11…
12Ferner teilt Kenia der EUNAVFOR den Ort der Inhaftierung einer jeder im Rahmen dieses Briefwechsels übergebenen Person, jede Verschlechterung ihres körperlichen Zustands sowie alle Behauptungen über eine angeblich unangemessene Behandlung mit. Vertreter der EU und der EUNAVFOR erhalten Zugang zu allen im Rahmen dieses Briefwechsels übergebenen Personen, solange diese Personen inhaftiert sind, und haben das Recht, sie zu befragen.
13Im Rahmen der Verhandlungen über ein Durchführungsabkommen zu dem Briefwechsel machte das kenianische Außenministerium am 20. März 2009 in einem Positionspapier unter anderem deutlich, die Regierung benötige Unterstützung, um ihre Fähigkeit zur effektiven Prozessführung zu verbessern. Zudem sei zu berücksichtigen, dass sie ohne Unterstützung internationaler Partner nicht in der Lage sei, ihre im Briefwechsel eingegangenen Verpflichtungen zur Beachtung internationaler menschenrechtlicher Standards bei der Behandlung der Piraterieverdächtigen zu erfüllen. Eine erste Liste notwendiger Unterstützungen wurde bereits am 10. März 2009 überreicht.
14Im Zuge des eingeleiteten Ermittlungsverfahrens beantragte die Staatsanwaltschaft I. Haftbefehle gegen die neun Piraterieverdächtigen, die das Amtsgericht I. am 6. März 2009 erließ. Zugleich setzte die Staatsanwaltschaft I. ihre Prüfung fort, ob eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 153c StPO in Betracht komme. Zu diesem Zweck richtete sie am 7. März 2009 folgende Anfrage an die Bundesregierung. „Die von Ihnen übersandte Stellungnahme (Email vom 6. März 2009) ist nicht geeignet, eine positiv abschließende Entscheidung nach § 153c StPO zu ermöglichen. Sie erschöpft sich weitgehend in einer Zusammenfassung der Bestimmungen der Übereinkunft zwischen der Europäischen Union und Kenia. Die hiesigen Fragen wurden nicht beantwortet. Da aus logistischen Gründen das verbleibende Zeitfenster für ein Absehen von der Strafverfolgung nach § 153c StPO immer schmaler wird, möchte ich hiermit dringlich um Beantwortung der beiden nachfolgenden Fragen bitten: 1. Ist mit Blick auf den konkreten Fall eine Strafverfolgung nach kenianischem Recht zu erwarten?…… 2. Sieht sich die Bundesmarine in der Lage, die festgesetzten Personen nach Maßgabe der Übereinkunft der Europäischen Union mit Kenia an Kenia zu übergeben, wenn die Staatsanwaltschaft I. von einer Strafverfolgung nach § 153c StPO absieht?“
15Zur Beantwortung der Fragen und zur Beschlussfassung über eine eventuell anzustrebende Übergabe, falls kein Haftbefehl erlassen bzw. das Ermittlungsverfahren nach § 153c StPO eingestellt würde, trat das RÜEG am 7. März 2009 zu einer zweiten Sitzung zusammen. In einer Email des Auswärtigen Amtes heißt es dazu, dass RÜEG sollte vor einer Übergabe zusammentreten, um diese formell zu beschließen, damit alle Ressorts die Verantwortung für diese Entscheidung mittrügen. Gegenstand des Treffens war laut dem hierüber angefertigten Protokoll unter anderem:
16„3. Folgende Handlungsoptionen kommen in Betracht:
17a) Übergabe an Kenia (bei Absehen von Verfolgung gemäß § 153c Abs. 1 Nr. 1 StPO)
18b) Übergabe an die Bundespolizei in Djibouti und Überführung nach Deutschland
19c) Übergabe an die Bundespolizei in Mombasa und Überführung nach Deutschland.
20…
216. Zwischen den Ressorts besteht Einigkeit, dass bei einer Einstellung des Verfahrens eine Übergabe der Piraterieverdächtigen an Kenia anzustreben ist.
22….
238. Die Fragen der Justizbehörde der Freien und Hansestadt I. werden wie folgt beantwortet:
24…
25Antwort auf Frage 2:
26Die Deutsche Marine ist in der Lage, die in Gewahrsam genommenen Personen nach Maßgabe der Übereinkunft der EU mit Kenia an Kenia zu übergeben.“
27Im Laufe des 7. März 2009 stellte die Staatsanwaltschaft I. das Ermittlungsverfahren „vor dem Hintergrund der danach (d.h. nach den Antworten auf die gestellten Fragen) in Kenia gesicherten Strafverfolgung“ ein. Die ausgestellten Haftbefehle blieben in Kraft. Gegenüber dem BMVg teilte der Leiter der Staatsanwaltschaft I. mit, die Haftbefehle würden erst aufgehoben, wenn die Gewahrsamspersonen an die kenianischen Behörden übergeben worden und kenianische Haftbefehle ergangen seien.
28Mit einer Email vom selben Abend wies das Lagezentrum des AA die deutsche Botschaft in Nairobi an, die notwendigen Detailabsprachen zur Übergabe mit den kenianischen Behörden zu veranlassen. Das BMVg habe nach Absprache mit AA, BMI und BMJ nunmehr die Absicht, die mutmaßlichen Piraten an Kenia zu übergeben. Hinsichtlich des Einsatzführungskommandos wird mit Blick auf die Fregatte Rheinland-Pfalz Folgendes festgehalten:
29- setzt den Marsch der Fregatte nach Mombasa fort,
30- bereitet die Übergabe der mutmaßlichen Piraten und des Beweismaterials an kenianische Behörden vor,
31- hält die Option der geplanten Abholung der mutmaßlichen Piraten aus Djibouti planerisch offen.
32- Die Weisung an Ltr. EFS vom 6.3.2009 wird aufgehoben und durch diese neue Weisung ersetzt.
33Am 8. März 2009 (16.56 Uhr) wies das AA den deutschen Geschäftsträger in Nairobi an, am Montag (9. März 2009) bei Dienstbeginn ein schriftliches Übernahmeersuchen an die Republik Kenia einzureichen. Der Text der (allein) zwischen den beteiligten Ressorts der Bundesregierung abgestimmten Verbalnote wurde auf gleichem Wege zur Verfügung gestellt. In diesem Drahterlass wird u.a. ausgeführt, das Operational Headquarter der Mission (EUNAVFOR), im Folgenden OHQ, habe bisher kein Übernahmeersuchen gestellt, bereite sich aber auf eine Mitwirkung für und bei der Übergabe vor. Mit einem Drahtbericht vom selben Tage (19.43 Uhr) gab die Botschaft zu bedenken, die EU-Ratspräsidentschaft (Tschechien) in Nairobi um Unterstützung hinsichtlich des Übernahmeersuchens zu bitten. Die tschechische Botschafterin könne gegenüber dem kenianischen Außenminister bei einem für den nächsten Tag geplanten Mittagessen gegebenenfalls die Übernahme zusätzlich als Anliegen der EU darstellen.
34Mit Emails vom 8. März 2009 (11.52 und 20.19 Uhr) teilte das OHQ mit, es arbeite an einer Kontaktaufnahme mit kenianischen Behörden. Dies sei an einem Sonntag indes voraussichtlich schwierig. Der Rechtsberater des OHQ werde einen Brief an den Kommandanten der Fregatte Rheinland-Pfalz formulieren, der Informationen, Weisungen und Vorbereitungen auf die Übergabe der Gefangenen enthalte. Ein entsprechendes Schreiben vom 8. März 2009 wurde an den Rechtsberater an Bord der Fregatte gesandt. In diesem Schreiben heißt es u. a.:
35“After German authorities had made decision not to prosecute detained suspected pirates, since the African solution is available, OHQ is now planning their transfer to Kenya….. Since German authorities no longer pursue the prosecution in Germany, suspected pirates are detained by EUNAVFOR for hand over the detainees to a third country. CO of RHLP has responsibility of detainees because he is acting on his capacity of EUNAVFOR officer on site, not national representative.
36Decision to transfer detainees to any third country is made by OPCDR based on available evidence. OPCDR has made this decision today, 8th of March and approved transfer.
37OHQ will contact Kenyan authorities It should be noted that even when transfer agreement is in force, Kenyan authorities must accept the pirates to be handed over. This procedure, and arrangements, can take some time, so it is possible that detainees will have to be onboard waiting the decision. OHQ will do it´s outmost to conclude procedures as soon as possible. OPLAN does not put specific time limit for detention. …
38If detainees are to be transferred to Kenya, certain Kenyan forms must be used. These are part of draft SOP annexes. This SOP and annexes are attached to this message, so that preparations can be started as soon as possible. Please keep in mind that these are still drafts … Therefore they are provided already so that in case of transfer of detainees to Kenya evidence package will be as good as possible. “
39In einer weiteren Email vom 9. März 2009 (11.00 Uhr) weist der Rechtsberater des OHQ darauf hin, dass weiterhin die Unterschrift Kenias unter den Entwürfen für die Ausführungsbestimmungen zu dem Briefwechsel fehle.
40Am Morgen des 9. März 2009 überreichte der Ständige Vertreter des deutschen Botschafters in Kenia im kenianischen Außenministerium eine Verbalnote mit der Bitte um Übernahme der Piraterieverdächtigen. Im Text der Verbalnote heißt es:
41“The Embassy of the Federal Republic of Germany presents its compliments to the Ministry of Foreign Affairs of the Republic of Kenia and, with reference to the Exchange of Letters between the European Union and Kenya on the conditions and modalities for the transfer of persons suspected of having committed acts of piracy and detained by the European-Union-led NAVAL Force (EUNAVFOR) and previous contact between this Embassy and the Ministry of Foreign Affairs of Kenya, has the honour to request Kenya to accept the transfer of 9 (nine) Somali nationals detained by EUNAVFOR in connection with piracy and presently on board the German frigate RHEINLAND-PFALZ.
42…
43RHEINLAND-PFALZ is currently operating as part of EUNAVFOR, the European-led Naval Force contributing to the deterrence, prevention and repression of acts of piracy and armed robbery off the coast of Somalia, in accordance with Resolution 1816 (2008) and Resolution 1846 (2008) of the United Nations Security Council. …”
44Die Übergabe der Gewahrsamspersonen erfolgte am 10. März 2009 gegen 11.00 Uhr im Beisein des Ständigen Vertreters des Botschafters der Bundesrepublik Deutschland in Kenia und des Verteidigungsattachés, des Verbindungsbeamten des BKA sowie des früheren Honorarkonsuls der Bundesrepublik Deutschland in Mombasa an Bord der Fregatte Rheinland-Pfalz. Weitere (diplomatische) Vertreter – der EU, der Kommission, der Mission ATALANTA – waren nicht anwesend. Die ursprünglich beabsichtigte Teilnahme des Rechtsberaters der EUNAVFOR scheiterte daran, dass der geplante Flug abgesagt wurde. Bereits zuvor hatte das Auswärtige Amt die Botschaft Nairobi angewiesen, das Monitoring im Hinblick auf die neun Piraterieverdächtigen zu übernehmen.
45Im Anschluss an die Übergabe teilte das Auswärtige Amt auf eine entsprechende Anfrage der Deutschen Botschaft Nairobi mit, dass seiner Ansicht nach bei der am Folgetag stattfindenden Anhörung zur Haftprüfung ein „originärer deutscher Diplomat“ anwesend sein sollte. Die Teilnahme lediglich des BKA-Verbindungsbeamten reiche nicht aus. Im Anschluss an die gerichtliche Anhörung erging u.a. gegen den Kläger ein kenianischer Haftbefehl. Am 12. März 2009 wurde der von der vom Amtsgericht I. ausgestellte deutsche Haftbefehl aufgehoben.
46In einem ersten Bericht der Deutschen Botschaft vom 12. März 2009 zu den Möglichkeiten des Monitoring teilte der deutsche Botschafter unter Ziffer 7 (Zustände in Shimo La Tewa) folgendes mit:
47„Das Gefängnis ist sicher kein „Mustergefängnis“; dennoch ist es unter der Leitung der guten und reformbereiten Gefängnisleiterin besser als viele andere in Kenia.
48- Positiv: Seit Amtsantritt Kaninis hat sich äußerer Gefängniseindruck deutlich verbessert: freundlich gestrichen, Wandzeichnungen, Gefängnisbücherei (auch deutsche Bücher), mehr Ausgang, leichte Essensverbesserung, Werkstätte (Nähmaschinen, Schneidetische, Werkbänke), mehr Wärter (eins zu zehn, also 250 auf 2500 Gefangene), Rechtsberatung auf Gelände …, keine Misshandlungen durch Wärter (soweit uns Deutsche das mitteilen);
49- Negativ: Unerträgliche Hitze, Wasserleitung oft tagelang unterbrochen, völlige Überfüllung (Zellen etwa für 25 angelegt, von 60 belegt), Lärm, immer noch (für westliche Mägen) kaum genießbares Essen, völlig veraltete Sanitäranlagen, Ungeziefer; …
50- Untersuchungshäftlinge weitergehenden Beschränkungen unterworfen als bereits Verurteilte; diese haben etwas mehr Privilegien (Ausgangsstunden etc.);
51- Ich selbst war zuletzt Anfang Dezember in Shimo La Tewa, mit Gefängnisdirektorin sogar innerhalb des Sicherheitsbereiches unter den Gefangenen, dabei unangemeldeter Besuch Bibliothek, Küche, Freiganghof, Werkstätte, Duschanlagen, einige Zellen, Rechtsberatungszimmer. Eindruck einerseits erstaunlich positiv, allerdings kein Zweifel an Unerträglichkeit Hitze, Wassermangel, Unzulänglichkeit Ernährung, Hygiene (Läuse) und vor allem Überfüllung. …
52Fazit: Kenia bemüht sich, den im EU-Rahmenabkommen zugesicherten Standard – soweit landes- und kontinentüblich – nachzukommen. Natürlich ist Shimo La Tewa keine Haftanstalt Brüsseler Provenienz. Westliche Inhaftierte durchleben Albtraum (dennoch können wir auch für diese deutschen Bürger nicht viel mehr als Haftbesuche, Versorgung mit Zeitschriften, Augenscheinnahme, Gesundheitszustand, Kontaktierung Angehöriger und Vermittlung Anwälte sowie Ansprechen bei Generalstaatsanwalt unternehmen). Dennoch hebt sich Shimo La Tewa, nicht zuletzt seit Amtsantritt reformorientierter Leiterin, etwas über den Standard des Landes ab. Wassermangel, Überfüllung, Hitze, Mangel-Essen sind Alltagsphänomene in Kenia. Für somalische Häftlinge dürfte dies mindestens ebenso gelten.“
53Diese erste Einschätzung wird in einem Bericht des Rechtsberaters des OHQ über seinen Besuch in Mombasa vom 10. bis 15. März 2009 vom 17. März 2009 bestätigt. Er führt zunächst aus, dass die Tschechische Botschaft bereit gewesen wäre, ihrerseits eine Verbalnote zwecks Übernahme der Piraterieverdächtigen zu übergeben. Deshalb solle in dem nächsten Fall einer Festnahme von Piraterieverdächtigen die tschechische Botschaft informiert werden, falls eine Übergabe nach Kenia in Betracht komme. Im Hinblick auf den vorliegenden Fall wies der Rechtsberater darauf hin, dass er das Untersuchungsgefängnis nicht selbst besichtigt habe. Es handele sich nach seinen Informationen um ein typisches kenianisches Gefängnis. Dies bedeute, dass etwa 20 Gefangene in einer Zelle untergebracht seien, in der es ein Loch im Boden als Toilette und nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten gebe, sich zu waschen. Die kenianischen Behörden hätten deutlich gemacht, dass sie konkrete Hilfen bräuchten, um die Unterbringung der Gefangenen auf das im Briefwechsel geforderte Level zu bringen. Dies werde Zeit kosten, erste Schritte sollten jedoch möglichst bald eingeleitet werden. Auch für die Durchführung des Verfahrens brauche Kenia Unterstützung. Wichtig sei insoweit, dass dem Land hierbei keine Zusatzkosten entstünden.
54Nach einem ersten Zwischenbericht über einen Botschafterbesuch in der Haftanstalt Shimo La Tewa vom 21. April 2009, bei dem sich die betroffenen Somalier aggressiv gegeben hätten und Klage darüber führten, dass sie nicht nach Deutschland, sondern nach Kenia verbracht worden seien und Qualität und Quantität der Anstaltsverpflegung unzureichend seien, erfolgte ein weiterer Besuch am 23. Juli 2009. In dem Bericht heißt es zunächst, die Gefängnisleitung habe die somalischen Piraterieverdächtigen als schwierige Einzelgruppe in der Haftanstalt dargestellt. Es gebe Auseinandersetzungen und Raufereien innerhalb der Gruppe. Eine Phase des Hungerstreiks habe man (nur) durch Besserstellung bei der Essensversorgung beilegen können. Diese Unruhephase sei nicht zuletzt auf einen Besuch der tschechischen Ratspräsidentschaft zurückzuführen. Der Kontakt mit EU-Vertretern schüre Anliegen der Betroffenen. Die Haftbedingungen im Übrigen seien letztlich unverändert geblieben. Bemängelt wird weiterhin die Belegung der Zellen mit bis zu 60 Insassen bei unzureichenden Sanitäranlagen. Hinzu komme die Unterbrechung der Wasserversorgung sowie eine rudimentäre medizinische Versorgung. Das Essen sei wenig zufriedenstellend, es gebe jedoch bei den somalischen Piraterieverdächtigen Zugeständnisse (Reis mit Bohnen statt Maisbrei und unter anderem regelmäßige Bereitstellung von Tee. Im Übrigen seien derzeit Verbesserungen aufgrund der EU-Unterstützung geplant. Noch in diesem Jahr solle ein völliger Neubau der Küche erfolgen, danach eine grundlegende Sanierung von Wasserversorgung und Sanitäranlagen. In einem Bericht vom 29. Juli 2009 hält die britische EUNAVFOR-Koordinatorin mit Bezug auf die „German pirates“ fest, dass nach ihren Erkenntnissen einige von ihnen ernsthaft krank (u. a. Erkrankungen der Atemwege bis hin zu Tuberkulose) seien. Eine medizinische Behandlung werde jedoch davon abhängig gemacht, dass die Gefangenen sie selbst bezahlen könnten. Bezüglich eines („deutschen“) Piraten heißt es wörtlich: „ .. is so sick he is grey and sweating and cannot walk unaided – yesterday [i.e. in Court] he lay on the floor the whole time“. Das Gefängnispersonal weigere sich trotzdem, sie ins Krankenhaus zu bringen. Es habe erst einer richterlichen Anordnung bedurft, um dies zu ändern. Angesichts der Überbelegung der Zellen und des Umstandes, dass die Gefangenen teilweise nicht einmal Matatzen hätten, sondern auf dem Boden schlafen müssten, müsse rasche Abhilfe geschaffen werden. Seitens des AA wurde dieser Bericht als äußerst besorgniserregend eingestuft und die deutsche Botschaft um Überprüfung gebeten. Die Frage der Kosten der medizinischen Behandlung sei ungelöst – im Briefwechsel garantiere Kenia nur den Zugang hierzu, nicht aber die Kostenübernahme.
55Der nächste aktenkundige Besuch durch die deutsche Botschaft fand am 30. September 2009 statt. In diesem wird festgestellt, dass sich die Haftbedingungen der somalischen Piraterieverdächtigen durch die Einbindung einer lokalen Nichtregierungsorganisation (Muslime Education and Welfare Office, MEWA) verbessert hätten. Diese Organisation stelle die im kenianischen Gefängnisalltag üblicherweise von Familienangehörigen erbrachten Sachleistungen bereit. Dies habe zu einer Verbesserung der im Übrigen wenig zufriedenstellenden Nahrungsmittelversorgung geführt. Negativ bleibe anzumerken die relative Enge im Trakt der Untersuchungshäftlinge bei geringer Möglichkeit zum Ausgang, dies bei zunehmender Hitze und Schwüle. Der Bau einer neuen Küchenanlage sei begonnen, die Sanierung von Frischwasserversorgung und Brauchwasserentsorgung solle folgen.
56Ein weiterer Gefängnisbesuch erfolgte am 30. November 2009. Verbesserungen der Haftbedingungen würden sukzessive sichtbar: Der Bau einer neuen Küchenanlage sei im November fertig gestellt worden. Die grundlegende Sanierung von Frischwasserversorgung und Brauchwasserentsorgung habe begonnen. Negativ anzumerken bleibe weiterhin die relative Enge im Trakt der Untersuchungshäftlinge bei geringer Möglichkeit zur Beschäftigung und Ausgang, dies zum Zeitpunkt des Besuches bei erheblicher Hitze und Schwüle. Die Gefängnisleitung wies weiterhin auf die bestehende Belastung des Gefängnisalltages durch die Gruppe der Piraterieverdächtigen hin. Diese würden von Häftlingen und Personal aufmerksam beobachtet. Konkrete Maßnahmen könnten immer nur mit Bezug auf das Gefängnis insgesamt ergriffen werden. Im Gespräch mit den gefangenen Piraterieverdächtigen kristallisierte sich als Hauptanliegen erstmals die Beschleunigung der Gerichtsverfahren heraus. Ein weiterer Besuch am 8. April 2010 brachte keine wesentlich geänderten oder neuen Erkenntnisse. Mängel und Verbesserungen bewegten sich im bereits zuvor geschildeten Rahmen. Insbesondere bestätigte sich, dass die Klagen über den schleppenden Verfahrensverlauf und das fehlende Vertrauen in die kenianische Justiz zunahmen. Dies gilt ebenso für einen weiteren Besuch im Juni 2010. Spätere Besuche brachten keine wesentlichen neuen Erkenntnisse, sondern bestätigten die früheren Feststellungen und Tendenzen. Die Berichte aus dem Jahr 2011 verweisen dann auf Unverständnis darüber, dass die Zusammenarbeit mit der MEWA beendet wurde.
57Im Hinblick auf das Gerichtsverfahren lässt sich den Akten entnehmen, dass Anklageerhebung und Zeugenvernehmung zügig im April 2009 begannen und bis zum Herbst abgeschlossen waren. Nachdem der örtliche Magistrates Court sich für zuständig erklärt hatte, entschied die Berufungsinstanz (High Court) am 9. November 2010, Kenia sei für die Strafverfolgung nicht zuständig. Der zunächst mit der Revision befasste Court of Appeal in Mombasa erklärte sich im Juli 2011 für unzuständig. Das Verfahren wurde an den Court of Appeal in Nairobi weitergereicht. Dieser bestätigte am 19. Oktober 2012 die Zuständigkeit der kenianischen Justiz. Das weitere Verfahren vor dem Magistrates Court in Mombasa wurde mehrfach verschoben, weil die Akten des Verfahrens nicht auffindbar waren. Schließlich erfolgte eine erstinstanzliche Verurteilung (ohne Akten) aller neun Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren am 30. Juli 2013. Die Zeiten der Untersuchungshaft wurden nicht angerechnet. Bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht war es der Beklagten auf eine Anfrage des Senats vom 7. Juli 2014 nicht möglich festzustellen, ob dieses Urteil rechtskräftig geworden ist.
58Bereits am 29. Mai 2009 hat der Kläger Klage erhoben, mit der er die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Festnahme, seiner Überführung nach Kenia und seiner Übergabe an die kenianischen Strafverfolgungsbehörden begehrt hat. Mit rechtskräftig gewordenem Zwischenurteil vom 30. April 2010 hat das Verwaltungsgericht Köln die Zulässigkeit der Klage festgestellt.
59Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Festnahme durch die Besatzung der Fregatte „Rheinland-Pfalz“, das Festhalten an Bord in der Zeit vom 3. März 2009 bis 10. März 2009 und die Übergabe an die kenianischen Behörden am 10. März 2009 seien (völker-)rechtswidrig gewesen, was sich insbesondere aus einem völkerrechtlichen Gutachten des Prof. Dr. B. G. -M. vom 27. Mai 2009 ergebe. Die Maßnahmen verletzten auch Art. 6 EMRK. Dieser sei anwendbar, da der Briefwechsel zwischen der EU und Kenia vom 6. März 2009 auf die durch die EMRK eingeräumten Menschenrechte im Strafverfahren Bezug nehme, wozu insbesondere der Anspruch auf effektive Verteidigung unter Einschluss des Mindeststandards der EMRK zähle. Da im kenianischen Strafverfahren nur kenianische Anwälte auftreten dürften, seien diese Anforderungen nicht erfüllt. Diese Anwälte könnten offensichtlich die ihnen unbekannten Regelungen der EMRK nicht angemessen einfordern. Zudem existiere in Kenia die in Ziffer 3 f Abs. 4 des Briefwechsels vom 6. März 2009 vorgesehene Pflichtverteidigung nicht. Zudem genüge auch die absehbare Verfahrensdauer nicht europäischen Standards. Ferner habe Kenia die im Rahmen des Briefwechsels abgegebenen Zusicherungen im Hinblick auf die Haftbedingungen nicht erfüllt. Die Unterbringung des Klägers sei derart schlecht, dass sie als menschenrechtswidrig im Sinne des Briefwechsels angesehen werden müsse. Erst im Lauf der Inhaftierung des Klägers seien die Bedingungen im Gefängnis Shimo La Tewa infolge hoher Geldtransfers der EU und ihrer Mitgliedstaaten verbessert worden. Zum Zeitpunkt der Übergabe des Klägers seien sie wegen erheblicher Überbelegung der Haftzellen und unzumutbarer hygienischer Bedingungen unerträglich gewesen. Ihre Notdurft hätten die Inhaftierten in einen Eimer verrichten müssen, der nur einmal täglich geleert worden sei. Es hätten lediglich Matratzen – und dies in nicht ausreichender Zahl – als Schlafmöglichkeit zur Verfügung gestanden. Eine ausreichende medizinische Versorgung habe es ebenso wenig gegeben wie eine zumutbare Nahrungsmittelversorgung.
60Der Kläger hat beantragt,
61festzustellen, dass seine Festnahme durch Kräfte der Bundesmarine in Wahrnehmung der Interessen der Beklagten im Rahmen der Operation ATALANTA am 3. März 2009 im Golf von Aden sowie die Übergabe an die Republik Kenia auf der (vermeintlichen) Rechtsgrundlage eines Briefwechsels des Rats der Europäischen Union mit der Republik Kenia zum Aktenzeichen Brüssel 5348/09 zur (dortigen kenianischen) Strafverfolgung rechtswidrig war, ferner
62die Sache gemäß § 100 Abs. 2 GG zur Klärung der völkerrechtlichen Vorfragen dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, insbesondere im Hinblick darauf, dass die hier zu Lasten des Klägers verletzten Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind und unmittelbar Rechten und Pflichten für den Einzelnen erzeugen.
63Die Beklagte hat beantragt,
64die Klage abzuweisen.
65Die Klage richte sich gegen den falschen Beklagten, da die Festnahme des Klägers und seine Übergabe an die kenianischen Behörden keine Maßnahmen deutscher Staatsgewalt seien. Beide Maßnahmen seien nach den Vorgaben der Gemeinsamen Aktion der EU 2008/851/GASP erfolgt und daher der EU zuzurechnen. Die Bundesmarine habe nicht national, sondern im Rahmen der EUNAVFOR gehandelt. Ihre Einsatzkräfte hätten der operativen Befehlsgewalt des Befehlshaber der EU (EUOPC) mit Sitz in Northwood (Großbritannien) unterlegen. Im Einsatzgebiet selbst würden die Kräfte vom Befehlshaber der EU-Einsatzstreitkräfte (EU-Force-Commander) geführt, der wiederum dem EUOPC unterstehe. Die Handlungen seien der EU auch dann zuzurechnen, wenn den deutschen Kräften der Zugriff auf mutmaßliche Piraten nicht derart vorgegeben sei, dass ein eigener Entscheidungsspielraum ausscheide. Deren Einschätzung müsse nämlich in Übereinstimmung mit der Befehlsgebung des EU-Force-Commander stehen, die wiederum mit der des EUOPC übereinstimmen müsse. Dies zeige, dass die operative Befehlsgewalt und Kontrolle von der EU effektiv ausgeübt werde. Unabhängig davon verstießen die streitgegenständlichen Maßnahmen auch nicht gegen menschenrechtliche oder grundrechtliche Gewährleistungen. Dies gelte selbst dann, wenn von der Ausübung deutscher Staatsgewalt auszugehen sei. In diesem Fall sei die Reichweite der Grundrechtsbindung unter Berücksichtigung von Art. 25 GG zu ermitteln und zu relativieren. Das Grundgesetz wolle völkerrechtlich erwünschten Maßnahmen der Pirateriebekämpfung auf Hoher See weitab von deutschem Hoheitsgebiet keinen grundrechtlichen Maßstäben unterwerfen, die deren Effektivität in Frage stellen würden. Kenia habe im Briefwechsel vom 6. März 2009 die Einhaltung internationaler Menschenrechtsnormen zugesichert. Solche Zusicherungen seien ein grundsätzlich geeignetes und wirksames Mittel, um die Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung auszuschließen. Die EU habe sich im Briefwechsel zudem umfangreiche Befugnisse und Möglichkeiten zur Kontrolle und Überwachung der Einhaltung der Zusicherungen einräumen lassen. Auf dieser Grundlage fänden seit der Übergabe etwa zweimonatlich regelmäßige Besuche von Angehörigen der Deutschen Botschaft bei den Piraterieverdächtigen im Gefängnis statt. Bei der Übergabe des Klägers habe demnach kein ernst zu nehmendes Risiko einer menschenrechtswidrigen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bestanden. Er habe nicht erwarten können, Verhältnisse wie in deutschen Gefängnissen vorzufinden.
66Mit seinem von der Beklagten insoweit angefochtenen Urteil vom 11. November 2011 hat das Verwaltungsgericht unter Abweisung der Klage im Übrigen festgestellt, dass die Übergabe des Klägers an die Republik Kenia zur Strafverfolgung rechtswidrig war. Die Übergabe sei der Beklagten zuzurechnen. Ob im Falle einer Einbettung nationaler Streitkräfte in einen multilateralen Streitkräfteeinsatz Maßnahmen dieser Streitkräfte dem Entsendestaat zugerechnet werden könnten, sei letztlich danach zu entscheiden, wer die effektive operative Befehlsgewalt habe. Hier habe sie zwar grundsätzlich bei der EUNAVFOR gelegen, jedoch sei festzustellen, dass es bei Übergabe des Klägers auf konkrete Befehle deutscher Stellen angekommen sei, die sich auf den Einsatz bezogen und maßgeblich auf den Einsatz eingewirkt hätten. Die Übergabe sei rechtswidrig gewesen. Die Beklagte habe zum maßgeblichen Zeitpunkt der Übergabe des Klägers an Kenia nicht die begründete Erwartung hegen dürfen, dass die Haftbedingungen im Gefängnis Shimo La Tewa, in dem der Kläger nach Wissen der Beklagten nach der Übergabe untergebracht werden sollte, den Anforderungen des Art. 3 EMRK und den im Briefwechsel vom 6. März 2009 von Kenia abgegebenen Zusicherungen entsprechen würde. Nach dem Bericht des deutschen Botschafters vom 12. März 2009 sei vielmehr von menschenunwürdigen Haftbedingungen auszugehen. Die Unterbringungsbedingungen im Zellentrakt der Haftanstalt seien unerträglich gewesen. Die Haftzellen seien in ganz erheblichem Maße überbelegt und mit völlig unzureichenden sanitären Anlagen ausgestattet gewesen. Berücksichtige man die angesichts des Wassermangels fehlenden Möglichkeiten der Körperpflege, die vorherrschende Ungezieferplage und die extremen Temperaturen müsse man von äußerst beengten, hygienisch unhaltbaren Zuständen ausgehen, die, wenn nicht sogar als erheblich gesundheitsgefährdend, jedenfalls aber als unerträglich und damit unmenschlich und entwürdigend anzusehen seien. Insoweit sei im Hinblick auf die menschenrechtlichen Mindeststandards auch keine Differenzierung zwischen Somaliern und Europäern vorzunehmen. Dass diese Mängel kurzfristig bis zur Übergabe des Klägers hätten beseitigt werden können, sei nicht zu erwarten gewesen. Dies belegten auch die späteren Besuchsberichte des deutschen Botschafters. Noch im Juli 2009 habe sich an den Haftbedingungen nichts Grundlegendes geändert.
67Mit ihrer vom Senat zugelassenen Berufung begehrt die Beklagte, die Klage insgesamt abzuweisen. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei die Übergabe des Klägers der Beklagten nicht zuzurechnen. Verantwortlich sei insoweit allein die EU. Die Übergabe habe im Rahmen der Gemeinsamen Aktion vom 10. November 2008 stattgefunden, die für die Beklagte verbindlich gewesen sei. Die politische Kontrolle und strategische Leitung der Operation ATALANTA habe das politische und sicherheitspolitische Komitee der EU (PSK) unter der Verantwortung des Rates der EU wahrgenommen. Die operative Befehlsgewalt über alle Soldaten der EU geführten Operation ATALANTA werde auf der Grundlage eines aus der Gemeinsamen Aktion abgeleiteten Operationsplans und ausführender Einsatzregeln durch den EU Operation Commander mit Sitz in Northwood ausgeübt. Konkret sei die Übergabe auch die alleinige Entscheidung dieses Hauptquartiers gewesen; die Bundesrepublik habe allein im Rahmen einer nationalen Vorfrage über die Strafverfolgung in Deutschland entschieden. Die alleinige Verantwortung der EU ergebe sich eindeutig aus der Email des Rechtsberaters des OHQ vom 8. März 2009 und werde in der am 19. April 2010 erlassenen sog. „Detention Policy“ klar bestätigt. Deutsche Stellen hätten hingegen keine Befehle zur Übergabe gegeben. Die Entscheidungen des RÜEG könnten als solche nicht verstanden werden. Gleiches gelte für die vom Verwaltungsgericht herangezogene Email des Einsatzführungsstabes vom 7. März 2009. Es habe sich um eine reine Information, nicht um einen Marschbefehl gehandelt. Der Einsatzführungsstab habe in erster Linie die Einstellungsentscheidung der Staatsanwaltschaft I. bekannt gegeben. Es sei auch nur darum gegangen, die Versorgungsfahrt nach Mombasa fortzusetzen. Eine Entscheidung, auf der Grundlage des Briefwechsels zwischen der EU und Kenia weiter vorzugehen, sei nicht getroffen worden. Auch die Einschaltung der Deutschen Botschaft im Vorfeld des Briefwechsels und die nachfolgende Übergabe der Verbalnote stellten keinen deutschen Hoheitsakt dar, sondern seien lediglich in Umsetzung des von der EU und Kenia unterzeichneten Briefwechsels erfolgt und vom Außenministerium der Republik Kenia ausdrücklich erbeten worden. Im Wortlaut werde auch Bezug genommen auf die EUNAVFOR-Mission. Gleiches gelte für den Umstand, dass bei der Übergabe am 10. März 2009 nur deutsche diplomatische Vertreter anwesend gewesen seien. Die Teilnahme des Rechtsberaters des OHQ sei lediglich daran gescheitert, dass der vorgesehene Flug abgesagt worden sei. Die alleinige Zuständigkeit der EU sei auch dem Kläger anhand der Gewahrsamsakte und der Registriernummern erkennbar gewesen. Hilfsweise sei festzustellen, dass die Übergabe jedenfalls nicht gegen menschenrechtliche Mindeststandards verstoßen habe. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts habe kein Anlass bestanden, an der Einhaltung der kenianischen Zusicherungen zu zweifeln. Hierbei komme es nicht darauf an, ob die Beklagte Kenntnis von Umständen hatte, die für eine Nichteinhaltung völkerrechtlicher Mindeststandards in Shimo La Tewa gesprochen hätten, sondern darauf, dass die Beklagte keine Veranlassung hatte, an der Einhaltung der Zusicherung zu zweifeln. Denn nach der Zusicherung seien nur die Verhältnisse maßgeblich, denen konkret der Kläger ausgesetzt sein werde, und nicht die allgemeinen Haftbedingungen insbesondere deutscher Staatsbürger, wie sie sich nach dem Bericht des deutschen Botschafters vom 12. März 2009 darstellten. Die allgemeinen Verhältnisse im Gefängnis Shimo La Tewa lägen zudem über dem allgemeinen Standard in Kenia; Wassermangel, Überfüllung, Hitze und Mangel-Essen seien Alltagsphänomene in Kenia und Somalia. Die nachfolgende positive Entwicklung der Haftanstalt sei ein Beleg dafür, dass die bei Abschluss des Briefwechsels gehegten Erwartungen berechtigt gewesen seien. Bezeichnend sei insoweit, dass sich die Häftlinge selbst nicht über Versorgung, Verpflegung und Unterbringung beschwert hätten. Schließlich habe das Verwaltungsgericht zu Unrecht nicht berücksichtigt, dass die menschenrechtlichen Standards „landestypisch“ gehandhabt werden könnten und konkret auch müssten.
68Die Beklagte beantragt,
69das angefochtene Urteil teilweise zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
70Der Kläger beantragt,
71die Berufung zurückzuweisen.
72Zur Begründung nimmt er Bezug auf sein erstinstanzliches Vorbringen. Insbesondere habe sich bestätigt, dass die Republik Kenia nicht in der Lage (gewesen) sei, das Strafverfahren innerhalb angemessener Frist zu einem Abschluss zu bringen.
73Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (insgesamt 23 Ordner) Bezug genommen.
74Entscheidungsgründe:
75Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
76Die Klage ist im noch anhängigen Umfang zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht festgestellt, dass die Übergabe des Klägers an die Republik Kenia der Beklagten zuzurechnen und rechtswidrig gewesen ist.
771.
78Entgegen der Auffassung der Beklagten war die Übergabe des Klägers ein Akt deutscher Staatsgewalt und damit der Beklagten zuzurechnen. Der Umstand, dass die beteiligten deutschen Hoheitsträger im Rahmen der nach Art. 14 EUV a. F. beschlossenen Gemeinsamen Aktion (GA) 2008/851/GASP vom 10. November 2008 (Amtsblatt L-301,33 ff.) tätig geworden sind, lässt im vorliegenden Fall die Verantwortung der Beklagten nicht entfallen.
791.1 Die Annahme der Beklagten, für die Übergabe des Klägers an Kenia sei allein die EU verantwortlich, lässt bereits außer Betracht, dass zum Zeitpunkt des Einsatzes im März 2009 eine Zurechnung der (völkerrechtlichen) Verantwortlichkeit auf die EU nicht ohne weiteres möglich war. Denn nach den damals geltenden Regelungen des Amsterdamer Vertrages - der Vertrag von Nizza hat die Regelungen des V. Titels des EUV a. F. unverändert gelassen - verfügte die EU als solche – anders als die EG – nicht über eine eigene Rechtspersönlichkeit. Ob trotz des Umstandes, dass die Mitgliedstaaten von einer Art. 281 EGV entsprechenden Regelung bewusst abgesehen hatten, die Annahme einer in der und durch die Praxis entstandenen Rechtspersönlichkeit zulässig war, war jedenfalls umstritten.
80Vgl. dazu Cremer, in: Callies/Ruffert, Kommentar zum EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 24 EUV Rn. 8 f.;Terhechte, in: Schwarze, EUV-Kommentar, 2. Aufl. 2009, Art. 24 Rn. 3; König, Berichte der deutschen Gesellschaft für Völkerrecht (BdGVR) 2010, 203, 233; Kreß, in: Weingärtner, Die Bundeswehr als Armee im Einsatz, 2010, S. 95, 106.
81Die überwiegende Auffassung ging bis zum Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon, der ausdrücklich (auch) die Europäische Union mit Rechtspersönlichkeit ausstattete (Art. 47 EUV), davon aus, dass diese nicht Völkerrechtssubjekt sei, da es an dem hierfür erforderlichen Willen der sie tragenden Mitgliedstaaten fehle. Dies könne durch praktisches Handeln, das möglicherweise den Rechtsschein eines eigenständigen Handelns der Union erwecke, nicht ersetzt werden, zumal das Auftreten der Union nicht eindeutig auf eine Eigenständigkeit hindeute.
82Vgl. Cremer, in: Callies/Ruffert, Kommentar zum EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 24 EUV Rn. 8 f.; König, BdGVR 2010, 203, 233.
83Hierfür spricht nicht zuletzt, dass durch die Erklärung Nr. 4 zu Art. 24 und Art. 38 EUV zur Schlussakte zum Vertrag von Amsterdam ausdrücklich klargestellt wurde, dass die der Union mit Art. 24 EUV eingeräumte Möglichkeit, Übereinkünfte für die Mitgliedstaaten abzuschließen, keine Übertragung von Zuständigkeiten von den Mitgliedstaaten auf die Union bedeuten sollte. Insbesondere war eine – für die Annahme von völkerrechtlicher Rechtspersönlichkeit konstitutive – Übertragung von Hoheitsrechten weder insoweit noch hinsichtlich der gemeinsamen Aktionen vorgesehen.
84Vgl. König, BdGVR 2010, 203, 232 ff.; für die völkerrechtliche Verbindlichkeit gemeinsamer Aktionen als im Ansatz Völkervertragsrecht vgl. Terhechte, a. a. O. Art. 11 Rn. 2 Art. 14 Rn. 2.
85Die Anerkennung einer eigenen Rechtspersönlichkeit der EU in Bezug auf die GASP begegnete vor diesem Hintergrund aus deutscher Perspektive auch verfassungsrechtlichen Bedenken. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedarf die Übertragung von Hoheitsrechten einer gesetzlichen Grundlage, um innerstaatlich beachtlich zu sein, wobei dieses verfassungsrechtliche Erfordernis strikt auszulegen ist.
86BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 1981- 2 BvR 1107/77 u.a. - BVerfGE 58, 1; vgl. auch Braun/Plate, DÖV 2010, 203, 205 ff.
87Angesichts dessen könnte eine etwaige völkerrechtliche Praxis, die sich neben dem Vertragstext und dem deutschen Zustimmungsgesetz entwickelt hat, nicht ausgereicht haben, um eine eigenständige Rechtspersönlichkeit zu begründen.
88Aufgrund der jedenfalls bis zum Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon intergouvernementalen Ausgestaltung mit Einstimmigkeitserfordernis bestand auch keine zwingende Notwendigkeit, die EU als eigenständiges Zuordnungssubjekt des in einer Gemeinsamen Aktion formalisierten gemeinsamen Handelns im Rahmen der EU anzusehen. Es bestand ohne weiteres die Möglichkeit, die einzelnen Mitgliedstaaten als Rechtssubjekte heranzuziehen. Gleiches galt auch für die im Rahmen der GASP geschlossenen Verträge, etwa den hier in Rede stehenden Briefwechsel zwischen der EU und der Republik Kenia.
89Vgl. dazu allgemein Terhechte, a. a. O. Art. 24 Rn. 3; König, BdGVR 2010, 203, 239; Cremer, in: Callies/Ruffert, Kommentar zum EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 37 EUV Rn. 4 m. w. N., auch auf die Vorauflage.
90In dieser Weise als gemeinsames Abkommen der Mitgliedstaaten ist der Briefwechsel nicht zuletzt von der Beklagten auch behandelt worden. Aus dem darin ausdrücklich der EU überantworteten Monitoring hat keiner der Beteiligten, namentlich nicht die Beklagte, den Schluss gezogen, dieses könne nicht von den Mitgliedstaaten durchgeführt werden. Tatsächlich wurde es hier jedenfalls zunächst allein von der Beklagten übernommen; zum Zeitpunkt der hier interessierenden Übergabe wurde eine exakte Zuordnung auch intern letztlich für überflüssig gehalten. Dies galt auch für den Vertragspartner. Der Rechtsberater des OHQ hält in seinem Bericht vom 17. März 2009 ausdrücklich fest, dass es für Kenia nicht besonders wichtig sei, ob die EU-Kommission, Mitgliedstaaten oder die Präsidentschaft handele. Die Unterscheidung verschiedener EU-Organe sei für nahezu alle kenianischen Behörden ziemlich unklar. (vgl. etwa auch BA 14 S. 280 f.). Insoweit dürfte es jedenfalls im Hinblick auf die Republik Kenia auch an einem Rechtsschein gefehlt haben, der zur Grundlage für eine aus der Praxis entstandene Rechtspersönlichkeit gemacht werden könnte.
911.2 Unabhängig davon ist die Übergabe des Klägers auch bei – im Folgenden unterstellter – Annahme der Völkerrechtsfähigkeit der EU zum damaligen Zeitpunkt nach den hier festzustellenden konkreten Umständen des Einzelfalls schon deshalb der Beklagten zuzurechnen, weil sie ausweislich der vorgelegten Verwaltungsvorgänge letztlich alleinverantwortlich durch deutsche staatliche Stellen initiiert und umgesetzt wurde. Insoweit kann dahinstehen, ob die Bundeswehr-Fregatte „Rheinland-Pfalz“ grundsätzlich der operativen Befehlsgewalt des OHQ der EUNAVFOR unterstand.
92Bereits bei der Sitzung des RÜEG am 4. März 2009 wurde deutlich, dass die beteiligten Ressorts die Übergabe an Kenia favorisierten und zwar unabhängig davon, ob der erst am 6. März 2009 geschlossene Briefwechsel der EU mit Kenia überhaupt zustande kommen würde. Das AA wurde beauftragt, bilateral die Möglichkeit einer Übergabe zu klären. Tatsächlich wurden die Weichen für die dann erfolgte Übergabe bereits bei einem Treffen des deutschen Botschafters mit dem kenianischen Außenminister am 5. März 2009 sowie bei einem Dialog zwischen dem ständigen Vertreter des deutschen Botschafters und dem Leiter der Europaabteilung des kenianischen Außenministeriums am 6. März 2009 gestellt – und zwar gerade anlässlich der Unterzeichnung des Briefwechsels. Deshalb hätte ohne weiteres die Möglichkeit der Einbeziehung der anwesenden EU-Ratspräsidentschaft bestanden. Dies war indes offenbar nicht gewollt.
93Wie das Verwaltungsgericht zu Recht hervorgehoben hat, lässt sich dann und folgerichtig dem Protokoll der Sitzung des RÜEG vom 7. März 2014 die grundsätzliche Entscheidung der beteiligten Ministerien entnehmen, den Kläger an Kenia zu übergeben. Unter Ziffer 3. des Protokolls wird die Übergabe der Piraterieverdächtigen an Kenia ausdrücklich als Handlungsoption festgehalten. Dies kann angesichts der Zusammensetzung des Gremiums, das außerhalb des Rahmens der EUNAVFOR-Mission steht, lediglich als entsprechende Handlungsmöglichkeit der Bundesregierung verstanden werden. Demgemäß heißt es dann unter Ziffer 6. des Protokolls, es bestehe zwischen den Ressorts Einigkeit, eine solche Übergabe anzustreben. Dass dies gleichwohl – wie die Beklagte im gerichtlichen Verfahren geltend macht – kein Handeln oder Bestreben der Beklagten, sondern eines an dem RÜEG nicht beteiligten Dritten - der EU - sein sollte, ist nicht ersichtlich. Im Gegenteil hatte zumindest das AA im Vorfeld der Sitzung deutlich gemacht, dass eine Beschlussfassung im RÜEG notwendig sei, um alle beteiligten Ressorts in die Verantwortung für die Übergabeentscheidung zu nehmen. Hierfür hätte kein Anlass bestanden, wenn die Beklagte für das weitere Vorgehen nach vorläufiger Einstellung des Ermittlungsverfahrens ohnehin nicht mehr zuständig gewesen wäre. Zudem lässt sich die nunmehr vertretene Position nicht mit der gegenüber den I1. Justizbehörden eingenommenen vereinbaren, wonach die deutsche Marine zur Übergabe an kenianische Behörden in der Lage sei. Träfe es zu, dass die alleinige Entscheidungsgewalt der EU zukam und sich diese auch – ohne dass die Beklagte dies hätte verhindern können – für eine Freilassung hätte entscheiden können, wäre dies zumindest eine Irreführung der zuständigen Staatanwaltschaft gewesen. Denn nach dem Kontext kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die Staatsanwaltschaft I. die Einstellung des deutschen Ermittlungsverfahrens davon abhängig machte, dass tatsächlich eine Strafverfolgung in Kenia erfolgen würde. Dies musste der Beklagten aus dem Inhalt des Schreibens vom 7. März 2009 – insbesondere der Frage 1 – klar gewesen sein. Insofern hat sie mit ihrer Antwort eine Garantie für die Übergabe abgegeben, was sie wiederum nicht gekonnt hätte, wenn das weitere Verfahren nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens nicht mehr in ihrer Hand gelegen hätte. Anhaltspunkte hierfür sind indes nicht ersichtlich. Der Senat vermag deshalb nicht zu unterstellen, dass die damalige Ausgangslage in dem in der Berufungsbegründung vertretenen Sinne zu beurteilen ist.
94Dass tatsächlich die Beklagte eine eigene Entscheidung zur Übergabe getroffen hat, die in der Folgezeit umzusetzen war, bestätigt der weitere Geschehensablauf. Noch am Abend des 7. März 2009 - unmittelbar nach der vorläufigen Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft I. - wies das Auswärtige Amt die Deutsche Botschaft in Nairobi an, die notwendigen Absprachen mit der Republik Kenia für die beabsichtigte Übergabe zu treffen. Zugleich brachte das BMVg die - eigene - Absicht zum Ausdruck, die mutmaßlichen Piraten an Kenia zu übergeben. Hierin fügt sich auch der weitere Inhalt der vom Verwaltungsgericht als „Marschbefehl“ herangezogenen Email vom 7. März 2009 ein. Soweit die Beklagte in der Berufungsbegründung deren Inhalt als „Mitteilung, keine Entscheidung“ herabstufen will, geht sie an deren Inhalt vorbei. Schon im Betreff (Thema) wird der Befehlscharakter deutlich, denn dort heißt es „Eilt sehr - Enthält Weisung“. Dies kann sich inhaltlich letztlich nur auf die Nr. 3 beziehen. Danach wird EinsFüKdo angewiesen:
95- Setzt Marsch der Fregatte Rheinland-Pfalz nach Mombasa weiter fort,
96- Bereitet die Übergabe der mutmaßlichen Piraten und des Beweismaterials an die kenianischen Behörden vor.
97Dass insoweit nur von einer Vorbereitung der Übergabe die Rede war, erschließt sich wiederum aus dem Umstand, dass noch die Zustimmung Kenias und die entsprechenden Handlungen des AA abzuwarten waren. Demgegenüber sind Anhaltspunkte dafür, dass damit der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angeführte, am 7. März 2009 jedenfalls noch ausstehende Übergabebefehl durch das OHQ angesprochen sein könnte, nicht zu erkennen. Insbesondere lässt sich dies kaum mit der unter Nr. 2 der Mail zum Ausdruck gebrachten Absicht des BMVg zur Übergabe vereinbaren. Im Übrigen hätte das BMVg – sein Verständnis eines Drittgewahrsams und der Rolle der Besatzung als EUNAVFOR-Soldaten als richtig unterstellt – auch insoweit kein Weisungsrecht mehr gehabt. Die Anordnung zur Vorbereitung der Übergabe hätte vielmehr allein das OHQ zu treffen gehabt. Dieses gehörte indes nicht einmal zu den Empfängern der Email.
98Etwaige Zweifel am (beabsichtigten) Rechtscharakter des „Marschbefehls“ beseitigt schließlich die Nr. 8 der Email: „Die Weisung Ltr EFS vom 6.3.09 (19:00) wird aufgehoben und durch diese neue Weisung ersetzt.“ Die genannte Weisung vom 6. März 2009 enthielt den Befehl, deutsche Haftbefehle zu vollstrecken bzw. dies zu unterstützen.
99Der innerstaatlich determinierte Geschehensablauf wird durch die am Folgetag präzisierten Weisungen an die Deutsche Botschaft in Nairobi fortgeführt. Mit Erlass vom 8. März 2009 wurde die Botschaft durch das AA angewiesen, am Folgetag bei Dienstbeginn das schriftliche Übernahmeersuchen per Verbalnote beim kenianischen Außenministerium einzureichen. Der Text dieser Verbalnote war zuvor mit den übrigen beteiligten Ressorts der Bundesregierung abgestimmt worden, nicht aber mit der EU bzw. der EUNAVFOR. Der Text der Verbalnote lässt auch keinen Zweifel daran, dass es die Bundesrepublik Deutschland ist, die im eigenen Namen die Republik Kenia um die Übernahme der Piraterieverdächtigen ersucht. Ihm ist an keiner Stelle zu entnehmen, dass die Beklagte dabei in Vertretung der oder für die EU oder die EUNAVFOR handelt oder zu handeln beabsichtigt. Zusätze, die ein solches Handeln im fremden Namen anzeigen könnten, fehlen. Dem Umstand, dass im Text der Verbalnote auf die EU-Mission ATALANTA hingewiesen und auf ein Gewahrsam der EUNAVFOR Bezug genommen wird, kommt hingegen insoweit keine für die Übergabe selbst ausschlaggebende Bedeutung zu. Denn der Hinweis auf die Rahmenbedingungen ändert nichts daran, dass das Übernahmeersuchen ausdrücklich von der und für die Bundesrepublik Deutschland gestellt wurde. Den vorliegenden Verwaltungsvorgängen lässt sich auch nicht entnehmen, dass die EU an die Beklagte mit der Bitte um Tätigwerden in ihrem Namen herangetreten wäre. Im Gegenteil findet sich nur der Hinweis, dass das OHQ sich auf eine „Mitwirkung vorbereite und bisher kein Übernahmeersuchen gestellt habe“. Auch die Deutsche Botschaft in Nairobi gab lediglich zu bedenken, die EU-Ratspräsidentschaft „um Unterstützung“ zu bitten. Sie könne die Übernahme gegebenenfalls zusätzlich als Anliegen der EU darstellen (Hervorhebung durch den Senat). Hieraus folgt wiederum im Umkehrschluss, dass sie jedenfalls primär ein deutsches Anliegen war, das entsprechend von deutschen staatlichen Stellen auch eigenverantwortlich verfolgt wurde.
100Im Übrigen wäre die tschechische Ratspräsidentschaft, wie sich aus dem Bericht des Rechtsberaters des OHQ vom 17. März 2009 ergibt, bereit und in der Lage (gewesen), eine eigene Verbalnote an das Außenministerium zwecks Übergabe zu richten. Eine entsprechende Anfrage hat es aber offenbar nicht gegeben. Angesichts dessen ist auch nicht ersichtlich, auf welchem Wege es zu einer Vertretungsbefugnis der Bundesrepublik Deutschland für die EU hätte kommen können. Bitten der Vertretungsberechtigten, geschweige denn Bevollmächtigungen sind den vorliegenden Verwaltungsvorgängen nicht zu entnehmen und werden von der Beklagten auch nicht substantiiert dargelegt. Eine Eilzuständigkeit nach Art. 14 Abs. 6 EUV a. F., wie sie die Beklagte hilfsweise in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angeführt hat, scheitert bereits daran, dass die Ratspräsidentschaft handlungsfähig und –bereit war. Im Übrigen besagt die Regelung nichts darüber, wem ein entsprechendes Handeln zuzurechnen ist.
101Das objektive Erscheinungsbild eines von deutschen Stellen eigenverantwortlich betriebenen Vorgangs wird schließlich dadurch abgerundet, dass bei der Übergabe der Piraterieverdächtigen am 10. März 2009 selbst neben der Besatzung der Fregatte Rheinland-Pfalz ausschließlich deutsche Diplomaten und ein Vertreter des Bundeskriminalamts anwesend waren. Dass diese in einer anderen Funktion als derjenigen der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland tätig geworden sein könnten, ist weder dargelegt noch aus den Umständen ersichtlich. Im Gegenteil zeigen die nachfolgenden Berichte und Weisungen, die zwischen dem AA und der Deutschen Botschaft gewechselt wurden, dass es sich auch insoweit um ein letztlich autonomes Vorgehen deutscher Stellen handelte. Im Hinblick auf den für den nächsten Tag angesetzten Haftprüfungstermin wird ausdrücklich hervorgehoben, dass dort ein Vertreter der Deutschen Botschaft und nicht lediglich der Verbindungsbeamte des BKA anwesend sein solle.
102Insgesamt finden sich damit keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass sich die beteiligten deutschen Stellen im vorliegenden Fall lediglich als ausführendes Organ anderer Institutionen gesehen haben könnten, geschweige denn, dass dies objektiv der Fall gewesen wäre. Insoweit sei abschließend angemerkt, dass man auch auf Seiten der Beklagten ursprünglich der Ansicht war, bei der Übergabe des Klägers an Kenia eigenverantwortlich gehandelt zu haben. In einem Drahtbericht des Ständigen Vertreters des deutschen Botschafters vom 8. April 2009 im Zusammenhang mit dem späteren Fall einer von der deutschen Fregatte „Spessart“ aufgegriffenen Gruppe Piraterieverdächtiger heißt es: „Habe gerade mit (Rechtsberater) gesprochen. Seine Haltung sei Weisungslage (aus Brüssel): Kein Übergabeversuch ohne schriftliche Übernahmeerklärung der kenianischen Regierung. Ich habe ihm die Lage eingehend erklärt, auch das Beispiel der Piraterieverdächtigen der MV Courier. Habe ihm gesagt, wir würden vom Außenministerium mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nichts bekommen. Er zieht sich auf seine Weisungslage zurück. Problem: Er ist sozusagen der EU Vertreter. Ein solcher fehlte bekanntlich beim MV Courier Fall.“
103Vgl. dazu auch Bericht des Rechtsberaters des OHQ vom 17. März 2009: „Process went very smoothly because German diplomatic Staff in Kenya has done all practical arrangements.“ (BA 7, 819); Kreß, a. a. O., S. 107 f.
1041.3 An der Zurechenbarkeit der Übergabe des Klägers an die kenianischen Behörden am 10. März 2009 zur Beklagten ändert sich vorliegend auch dann nichts, wenn man mit der Beklagten davon ausgeht, dass hierfür grundsätzlich die EUNAVFOR bzw. die EU zuständig war.
1051.3.1 Dies gilt schon deshalb, weil sich nicht feststellen lässt, dass die Übergabe tatsächlich kausal auf einem diesen Institutionen zurechenbaren eigenen Handeln beruhte. Ein auf dieser Ebene begonnener, parallel zum oben dargestellten nationalen Vorgehen ablaufender Prozess war jedenfalls bis zum 10. März 2009 nicht abgeschlossen.
106Aus den vorliegenden Verwaltungsvorgängen ergibt sich zwar, dass das OHQ grundsätzlich von einer bestehenden Zuständigkeit ausging. Dies folgt namentlich aus der Stellungnahme des Rechtsberaters des OHQ vom 8. März 2009, mit der Entscheidung der deutschen Behörden, keine Strafverfolgung in Deutschland durchzuführen, sei von einem Gewahrsam der EUNAVFOR zum Zwecke der Übergabe an Drittstaaten auszugehen. Auch lässt sich dieser Mitteilung entnehmen, dass eine entsprechende Transferentscheidung im Grundsatz getroffen wurde. Indes macht sie zugleich deutlich, dass damit das Verfahren nur in Gang gesetzt, nicht aber beendet war. Dies ergibt sich bereits daraus, dass sich die mitgeteilte Entscheidung auf einen Transfer „to any third country“ bezieht, ohne bereits ein konkretes Land zu bezeichnen. Im Hinblick auf eine eventuelle Übergabe beabsichtigte das OHQ im Übrigen, mit den kenianischen Behörden Kontakt aufzunehmen, damit diese die notwendige Zustimmung zur Übergabe erteilten. In dem Schreiben wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dies einige Zeit in Anspruch nehmen könne, zumal noch die Ausführungsbestimmungen zum Briefwechsel zu verhandeln seien. Die erforderlichen Papiere seien bis jetzt noch im Entwurfsstadium. Die vorläufigen Dokumente würden trotzdem bereits übermittelt, damit „im Falle einer Übergabe“ (Hervorhebung durch den Senat) die Unterlagen „so gut wie möglich“ seien. Damit enthält dieses Schreiben - unabhängig von der Frage, ob es sich hierbei um einen vom OHQ erteilten Marschbefehl handeln könnte, wie die Beklagte meint - jedenfalls keine Anweisung zur Übergabe an die kenianischen Behörden. Daran hatte sich ausweislich einer weiteren Stellungnahme des Rechtsberaters auch am Folgetag nichts geändert. Bei den noch offenen Fragen handelte es sich aus der Sicht der EU um echte Bedingungen, nicht lediglich um technische Details, wie der spätere Fall der Fregatte „Spessart“ bestätigt. Dort verweigerte die EU die Übergabe unter Hinweis auf die noch fehlende schriftliche Übernahmezusage Kenias. Eine solche hat es hier nie gegeben, so dass danach die Voraussetzungen für eine Übergabe aus Sicht der und durch die EU am 10. März 2009 jedenfalls noch nicht vorlagen.
107Dementsprechend ist nicht ersichtlich, dass es den nach dem Inhalt der Schreiben vom 8. und 9. März 2009 jedenfalls noch erforderlichen Übergabebefehl seitens des OHQ später gegeben hätte. Die von der Beklagten als entsprechende Weisung bzw. Überstellungsbefehl gewertete Stellungnahme an den militärischen EU-Verbund (Combined Task Force) vom 9. März 2009 – die sich weder in den erstinstanzlich übersandten Akten des BMVg und des Einsatzführungsstabes noch in denjenigen des AA findet, sondern lediglich in der am 2. Juli 2014 übersandten, den Zeitraum ab dem 4. Februar 2011 umfassenden Beiakte 23 – enthält eine solche Anordnung nicht. Die Beklagte zitiert hieraus nur selektiv. Nach der von ihr angeführten Passage heißt es nämlich (erneut): „The handover will take place in Mombassa as soon as all evidence and statements are ready to be delivered from RHLP to Kenyan authorities in accordance with OHQ guidance. We should not be surprised if this process takes longer than we would like …. The transfer of the nine suspect pirates to Kenyan Authorities is dependant on a coherent evidence trail and political will on the part of the Kenyans to accept suspect pirates for prosecution. Until both these are achieved it is important that the RHLP remains flexible. She should not commit to enter Mombassa until clear way ahead for the detainees has been agreed.” (GA S. 425 f. – Hervorhebung durch den Senat). Bis zur Übergabe war dies - wie ausgeführt - nicht der Fall. Hinzu kommt, dass dieses Schreiben offenbar jedenfalls nicht direkt an die Besatzung der Fregatte Rheinland-Pfalz gerichtet war.
108Entgegen der Auffassung der Beklagten führt auch das Memorandum vom 19. April 2010 zu keiner anderen Bewertung. Abgesehen davon, dass dieses über ein Jahr nach den hier interessierenden Ereignissen verfasst wurde, bringt es allein durch seine Existenz, konkret aber durch seinen Inhalt lediglich zum Ausdruck, dass selbst ein Jahr später noch Unklarheiten bezüglich der genauen Aufgabenverteilung bestanden bzw. Mitgliedstaaten Zuständigkeiten ohne Rücksicht auf den aus Sicht der EUNAVFOR einzuhaltenden Rechtsrahmen wahrnahmen. Im Übrigen ändert es auch nichts daran, dass ein möglicherweise nach der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP erforderliches Verfahren tatsächlich nicht zu Ende geführt wurde, sondern durch das Verhalten der Beklagten überholt wurde. Damit fehlt es jedenfalls hier an einer Möglichkeit, die konkrete Übergabe der EU/der EUNAVFOR zuzuordnen. Ihr Verhalten kann – anders als dasjenige der deutschen Beteiligten – vielmehr hinweggedacht werden, ohne dass sich etwas an dem tatsächlichen und rechtlichen Übergabegeschehen änderte.
109Angesichts dessen kann hier auch dahinstehen, ob in einem Schreiben des Rechtsberaters des OHQ an den Rechtsberater auf der Fregatte „Rheinland-Pfalz“ überhaupt ein Marschbefehl zur Übergabe der Piraterieverdächtigen an Kenia gesehen werden kann. Es ist nicht ersichtlich, dass dem Rechtsberater insoweit eine Kommandogewalt hinsichtlich der deutschen Fregatte zugestanden hätte. Zudem hat das Verwaltungsgericht auch zu Recht festgestellt, dass der Inhalt der Entscheidung des OHQ nicht darauf schließen lässt, dass dieses einen eigenen Beschluss über eine grundsätzlich bestehende Möglichkeit der Übergabe getroffen hätte. In der Verwendung des Wortes „approve“ kommt vielmehr zum Ausdruck, dass einer bereits getroffenen Entscheidung zugestimmt wird. Nach Lage der Dinge kann dies allein die oben dargestellte deutsche Entscheidung zur Übergabe an die kenianischen Behörden gewesen sein.
1101.3.2 Selbst wenn man aber unterstellte, die EU habe einen wesentlichen Beitrag zur Übergabe des Klägers an Kenia geleistet, bliebe es dabei, dass die Bundesrepublik Deutschland als handelnder Mitgliedstaat wie auch sonst bei dem Vollzug von Gemeinschafts- bzw. Unionsrecht für diesen Vollzug (mit-)verantwortlich wäre.
111Grundsätzlich besteht nach allgemeinem Völkerrecht im Rahmen internationaler Organisationen die Möglichkeit, dass die Bindung an deutsches Recht durch eine Bindung an das Recht der internationalen Organisation ersetzt wird und damit auch die alleinige Verantwortlichkeit auf die internationale Organisation übergeht. Die Rechtmäßigkeit einer Handlung im Rahmen der Internationalen Organisation kann dann nicht von einzelstaatlichen Gerichten aufgrund einer Zuordnung zu den nationalen Stellen geprüft werden.
112BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 1981 - 2 BvR 1107/77 u.a. - BVerfGE 58, 1.
113Dem Gemeinschafts-, jetzt Unionsrecht ist eine solche Lösung jedoch fremd. Jedenfalls dann, wenn es nicht (nur) von Unionsorganen, sondern (auch) durch die Mitgliedstaaten vollzogen wird, kommen grundsätzlich beide Rechtsordnungen bei Anwendungsvorrang des Unionsrechts parallel zur Anwendung. Der Rechtsschutz obliegt dabei im Regelfall dezentral den mitgliedstaatlichen Gerichten. Dies ist für den Bereich des Gemeinschaftsrechts seit jeher ohne weiteres anerkannt. So werden etwa beim Vollzug von Verordnungen durch die Mitgliedstaaten selbst dann innerstaatliche Rechtsträger oder Behörden als richtiger Klagegegner angesehen, wenn die Verordnung den Mitgliedstaaten keinerlei Umsetzungsspielraum belässt, der Inhalt der Verwaltungsentscheidung durch die mitgliedsstaatliche Behörde also vollständig festgelegt ist.
114Vgl. dazu nur BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1974 - 2 BvL 52/71 -, BVerfGE 37, 271.
115Damit besteht hier jedoch grundsätzlich keine alternative, sondern eine gestufte Verantwortlichkeit. Es ist nicht zu erkennen, warum dies im Bereich der GASP dann anders sein sollte, wenn hier tatsächlich Hoheitsrechte auf die Europäische Union übertragen und von ihr wahrgenommen wurden. Im Gegenteil wird das Unionsrecht in einem noch stärkeren Maße als das klassische Gemeinschaftsrecht durch die Mitgliedstaaten umgesetzt. Dies wird im Rahmen des hier anwendbaren Art. 14 EUV, der der Gemeinsamen Aktion vom 10. November 2008 (2008/851/GASP) zugrunde lag, dadurch verdeutlicht, dass diese für die, aber nicht in den Mitgliedstaaten verbindlich ist. Angesichts dessen besteht jedoch kein Grund, im Bereich der GASP die Frage der Verantwortlichkeiten anders zu beantworten als im übrigen Unionsrecht. Vielmehr ist in Parallelität zum dortigen Verständnis davon auszugehen, dass die mitgliedsstaatlichen Gerichte für den Rechtsschutz gegen mitgliedsstaatliche Vollzugsakte zuständig sind. Diese Parallelität gilt entsprechend für das anwendbare Recht. Der Vollzug erfolgt nach den Regeln des mitgliedsstaatlichen Rechts, soweit nicht vorrangig anwendbares Unionsrecht entgegensteht.
116Vgl. zum ganzen Walter/Ungern-Sternberg, DÖV 2012, 861, 862 f.; im Ergebnis auch Ladiges, NZWehrR 2012, 56, 62.
117Vorstehendes gilt umso mehr, als sonst – anders als im Gemeinschaftsrecht – keinerlei Rechtsschutz vorhanden (gewesen) wäre. Maßnahmen der GASP waren nach Art. 5 EUV i. V. m. Art. 46 EUV (jeweils Fassung Amsterdam) nicht der Kontrolle durch den EUGH unterworfen. Die Übertragung von Hoheitsrechten ist jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von vornherein nur dann zulässig und innerstaatlich wirksam, wenn jedenfalls vergleichbare Vorkehrungen zur Rechtswahrung bestehen.
118BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 1981 - 2 BvR 1107/77 u.a. - BVerfGE 58, 1; Esser/G. , JR 2010, 513, 515 m. w. N.; König, BdGVR 2010, 203, 234.
119Diese (potentiellen) Rechtsverstöße lassen sich hier indes (nur) durch ein Verständnis im Sinne einer geteilten Verantwortung vermeiden. Diese Auslegung dürfte vor dem Hintergrund von Art. 3, 6 EMRK und Art. 1, 19 Abs. 4, 20 GG jedenfalls dann zwingend sein, wenn - wie hier - unmittelbar die Verletzung fundamentaler Freiheitsrechte im Raum steht.
1201.4 Unabhängig hiervon führt auch eine völkerrechtliche Betrachtung, wie sie im Ansatz das Verwaltungsgericht vorgenommen hat, zu keinem anderen Ergebnis.
1211.4.1 Die hierauf bezogene Argumentation der Beklagten übersieht bereits, dass in diesem Fall nach völkerrechtlichen Zurechnungskriterien der Auslandseinsatz der Bundeswehr ausschließlich als Handlung einer internationalen Organisation gelten müsste. Das Grundgesetz erlaubt jedoch nur unter engen, hier nicht ohne Weiteres gegebenen Voraussetzungen, von einer entsprechenden Nichtgeltung deutscher Grundrechte für einen Bundeswehreinsatz auszugehen. Im Regelfall kann sich deutsche Staatsgewalt nicht durch einen Verweis auf internationale Organisationen oder Aufträge ihren verfassungsrechtlichen Bindungen entziehen.
122Vgl. Globke, JZ 2012, 370 f.; Thym, DÖV 2010, 621, 628 f.; vgl. auch Esser/G. , JR 2010, 513, 515, 518; Wiefelspütz, NZWehrR 2009, 133, 145; König, BdGVR 2010, 203, 233.
1231.4.2 Selbst wenn man indes hiervon absähe und die grundsätzliche Möglichkeit einer fehlenden Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der Einbindung in eine Befehlsstruktur der EU annähme, lagen die völkerrechtlichen Voraussetzungen für eine (ausschließliche) Verantwortung der beteiligten Internationalen Organisation – hier EU und/oder UN – nicht vor. Nach Art. 7 der „Draft articles on the Responsability of International Organisations“ der International Law Commission (ILC) ist eine Internationale Organisation für das rechtswidrige Verhalten eines ihr zur Verfügung gestellten staatlichen Hoheitsträgers (nur) dann verantwortlich, wenn sie dessen konkretes Handeln effektiv unter Kontrolle hatte. Diesen bereits völkergewohnheitsrechtlichen Grundsatz,
124vgl. Aust, DVBl 2012, 484, 489; Salomon, NordÖR 2012, 124, 125 f.,
125hat der EGMR in seiner von der Beklagten herangezogenen Entscheidung allerdings in wohl modifizierte Form („Ultimate Authority and Control - UAAC“) zugrunde gelegt. Der EGMR richtet das Augenmerk dabei in globalerer Betrachtung auf die Gesamtverantwortung für eine Operation – auf die einzelne Handlung scheint es hingegen nicht (mehr) anzukommen.
126EGMR, Entscheidung vom 2. Mai 2007 – 71412/01 (Behrami u.a.) –, NVwZ 2008, 645.
127Welcher Meinung zu folgen ist, kann hier offen bleiben, da es in beiden Fällen bei der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit der Beklagten bleibt.
128Näher dazu Salomon, NordÖR 2012, 125 f.; Esser/G. , JR 2010, 513, 515 f.; König, BdGVR 2010, 203, 231 ff.; offen Kreß, a. a. O., S. 106 f.
1291.4.2.1 Die Übergabe des Klägers an Kenia kann der UN nach den Grundsätzen der Behrami-Rechtsprechung nicht zugerechnet werden. Soweit der EGMR maßgeblich berücksichtigte, dass die UAAC im Fall des NATO-Einsatzes im Kosovo bei dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gelegen habe und deswegen eine Verantwortlichkeit der handelnden Staaten nach der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht in Betracht komme, steht einer Übertragung hier bereits entgegen, dass die einschlägigen Resolutionen des UN-Sicherheitsrates die Mitgliedstaaten lediglich zur Pirateriebekämpfung auch in den Hoheitsgewässern und auf dem Festland Somalias ermächtigen sollten. Die hier in Rede stehenden Maßnahmen auf Hoher See sind dagegen – wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat – bereits durch das Seerechtsübereinkommen selbst gedeckt. Einer Ermächtigung durch den Sicherheitsrat auf der Grundlage von Kapitel 7 der UN-Charta bedurfte es nicht.
130König, BdGVR 2010, 203, 227; Weingärtner in: ders. (Hrsg), Die Bundeswehr als Armee im Einsatz, 2010, S. 12; Kreß a. a. O., S. 95, 100; Petrig, Arrest, Detention and Transfer of Piracy Suspects: A Human Rights Analysis, Dissertation Universität Basel 2013, S. 148 f.
131Zudem ist weder geltend gemacht noch ersichtlich, dass es im Hinblick auf die Pirateriebekämpfung eine mit dem Einsatz im Kosovo vergleichbare, beim Sicherheitsrat der UN endende Befehlskette gegeben hätte – geschweige denn eine Organisationsstruktur, die der UN eine maßgebliche operative Rolle ermöglicht hätte. Allein der Umstand, dass es – wie die Beklagte geltend gemacht hat – Berichtspflichten gegenüber dem Sicherheitsrat gegeben haben mag, begründet jedenfalls keine Einwirkungsmöglichkeit im Hinblick auf konkrete operative Eingriffe, allenfalls erlauben sie eine nachträgliche Überwachung.
132Selbst wenn man indes auch hiervon absieht, kommt es nach den Grundsätzen der Behrami-Rechtsprechung nicht in Betracht, die handelnden Vertragsstaaten von der Bindung an die EMRK zu befreien, da diese - wie ausgeführt - jedenfalls eine maßgebliche eigenverantwortliche Rolle innerhalb der Operation hatten; konkret hat hier die Beklagte durch eigene hoheitliche Maßnahmen entscheidend auf sie eingewirkt.
133EGMR, Entscheidung vom 2. Mai 2007 – 71412/ 01 (Behrami u.a.) –, NVwZ 2008, 645, Rn. 138 ff.
1341.4.2.2 Eine Zurechnung an die EU erlauben diese Grundsätze der Behrami-Rechtsprechung bereits von vornherein nicht. Der EGMR begründet seine Entscheidung nämlich tragend mit dem Gewaltmonopol der UN und deren herausragender Rolle für die Wahrung des Weltfriedens. Eine vergleichbare Rolle kommt der EU indes nicht zu.
135Unabhängig davon lässt sich für die der Operation zugrunde liegende Gemeinsame Aktion 2008/851/GASP zwar feststellen, dass diese in Art. 2, 3 und 7 die Voraussetzungen für eine enge Führung der Mitgliedstaaten im Sinne des Konzepts der UAAC geschaffen hat. Dies ändert indes nichts daran, dass diese im Rahmen der gemeinsamen Aktion weiterhin – wie der vorliegende Fall zeigt – über maßgebliche eigene Entscheidungsbefugnisse verfügten. Dies hat das Verwaltungsgericht im Einzelnen und zutreffend ausgeführt, ergibt sich im Übrigen aber auch aus den obigen Ausführungen zu 1.2 sowie 1.3. Die effektive und letzte Kontrolle über den Einsatz lag zu jeder Zeit bei den teilnehmenden Mitgliedstaaten, wie sich nicht zuletzt aus der „Detention policy“ ergibt. Diese geht von einer vollen Kommandogewalt der Mitgliedstaaten über ihre eingebrachten Streitkräfte und von einem fallweisen, jederzeit revisiblen Übergang der Kommandogewalt auf das OHQ im Einzelfall aus. Im Hinblick auf die Übergabeentscheidung manifestiert sich dies schlagend darin, dass jedenfalls in der (weiteren) Praxis beide Beteiligten (EUNVFOR und handelnder Staat) zustimmen mussten.
136Salomon, NordÖR 2012, 1124, 125 f.; allgemein auch Petrig, a. a. O., S. 87 ff, 104.
1371.4.3 Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der EU besteht erst recht, wenn die Maßstäbe der ILC zugrunde gelegt werden. Danach ist maßgeblich, ob der nationale Hoheitsträger in Bezug auf die konkrete Handlung effektiv von der Internationalen Organisation gesteuert wurde. Wie ausgeführt, lag die Kontrolle über die konkrete Übergabe des Klägers an Kenia durchgängig bei der Beklagten.
1381.5 Selbst wenn man indes mit der Beklagten annähme, die konkrete Entscheidung, den Kläger an Kenia zu übergeben, habe die EU autonom getroffen, bliebe eine den Feststellungsantrag rechtfertigende Verantwortung der Beklagten für das Geschehen bestehen. Denn die Übergabe war jedenfalls zwangsläufige Folge ihrer Entscheidung, ihr Vorrecht auf eine Strafverfolgung in Deutschland nicht wahrzunehmen. Dass dies auch den Entscheidungsträgern bewusst war, ergibt sich zum einen aus dem Protokoll der Sitzung des RÜEG vom 7. März 2009, zum anderen aus der Mitteilung gegenüber der Staatsanwaltschaft I. , die deutsche Marine könne die Übergabe gewährleisten. Diese Garantieerklärung kann nur bedeuten, dass die Übergabe an Kenia nicht nur die einzige Handlungsalternative war, die nach Einstellung des deutschen Ermittlungsverfahrens übrig blieb, sondern dass insoweit ein Automatismus bestand. Angesichts dessen muss sich die Beklagte die zwangsläufige Folge ihrer bewussten Entscheidung, ihr Recht des ersten Zugriffs nicht wahrzunehmen, ebenfalls zurechnen lassen. Auch wenn damit Anknüpfungspunkt der Verantwortung der Beklagten die vorgelagerte Entscheidung über ein Absehen von deutscher Strafverfolgung ist, ist auch die Rechtswidrigkeit der von dieser Entscheidung notwendig umfassten Konsequenz ihr gegenüber feststellungsfähig, zumal erst diese den Kläger unmittelbar betraf. Dies gilt jedenfalls in der vorliegenden Fallkonstellation, in der die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Übergabe selbst gegenüber der EU zum damaligen Zeitpunkt mangels Zuständigkeit des EuGH oder eines anderen Gerichts ausgeschlossen war.
1392. Die nach alledem der Beklagten zurechenbare Übergabe des Klägers an die kenianischen Behörden zum Zwecke der Strafverfolgung am 10. März 2009 war rechtswidrig. Das ergibt sich schon daraus, dass eine Ermächtigungsgrundlage hierfür weder dargelegt noch ersichtlich ist. Unabhängig davon war - wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat - zum maßgeblichen Zeitpunkt der Übergabe nicht hinreichend sichergestellt, dass keine menschenrechtswidrige Behandlung des Klägers erfolgen würde. Das war auch tatsächlich nicht der Fall.
1402.1. Die Übergabe des Klägers an Kenia bedurfte als Eingriff in seine Freiheitsrechte einer hinreichend bestimmten Ermächtigungsgrundlage. Anders als für Auslieferungsfälle, die auf dem Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) basieren, fehlt es indes für die schlichte Übergabe an einer solchen gesetzlichen Grundlage.
141Zur fehlenden analogen Anwendbarkeit des IRG Kreß, a. a. O., S. 117 f.
142Der Umstand allein, dass die Übergabe völkerrechtlich nicht zu beanstanden, sondern durch Art. 100, 105 Seerechtsübereinkommen (SRÜ) gedeckt sein dürfte,
143vgl. Petrig, a. a. O., S. 318 ff.; a. A. G. -Lescarno, Gerichtsakte S. 62 f.: Art. 105 SRÜ solle eine Überstellung an Drittstaaten gerade ausschließen.
144bedeutet nicht, dass die verfassungsrechtlich erforderliche Rechtsgrundlage vorliegt. Allerdings sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegebenenfalls Modifikationen hinsichtlich der inhaltlichen Anforderungen, insbesondere im Hinblick auf die erforderliche Bestimmtheit und das „Normenprogramm“, denkbar.
145Vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 1987 - 2 BvR 624/83 u.a. -, BVerfGE 77, 170, 231 f.; Aust, DVBl. 2012, 484, 489.
146Selbst unter diesen Einschränkungen lassen sich die Art. 100, 105 SRÜ jedoch nicht als Rechtsgrundlage heranziehen. Eine Befugnis zur Übergabe enthält Art. 105 SRÜ nicht, im Gegenteil regelt Art. 105 S. 2 SRÜ ausschließlich die (gerichtliche) Zuständigkeit des aufbringenden Staates. Art. 100 SRÜ wiederum begründet lediglich eine Kooperationspflicht der Staaten, lässt jedoch nicht erkennen, dass diese in einer Übergabe bestehen könnte oder müsste - und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen dies stünde. Für eine tragfähige Ermächtigungsgrundlage ist dies jedenfalls nicht bestimmt genug.
147Vgl. dazu auch König, BdGVR 2010, 203, 226 ff.;
148Hinzu kommt, dass Art. 100 SRÜ nach Sinn und Zweck den vorliegenden Sachverhalt nicht erfasst. Zum einen hätte die Beklagte den Vorfall nach nationalem Recht verfolgen können, ohne dass dies in irgendeiner Weise Rechte Kenias berührt hätte. Zum anderen war allen Beteiligten klar, dass sich Kenia nicht aus einem originär eigenen Interesse, sondern auf Veranlassung der EU und ihrer Mitgliedstaaten zur Strafverfolgung bereit erklärt hatte, wenn es damit auch Fernziele wie die fremdfinanzierte Verbesserung der eigenen Haftanstalten und einen allgemeine Prestigegewinn verbunden haben mag. Dies kommt deutlich in der Einschätzung des deutschen Botschafters in Nairobi zum Ausdruck, wonach Kenia „uns“ mit der Übernahme einen Gefallen getan habe.
149vgl. auch die Stellungnahme des AA vom 5. März 2009: „Ich habe leichte Bedenken hinsichtlich der Formulierung für Botschaft Nairobi: Es soll Übergabe der neun Männe „angeboten“ werden. Das impliziert ein originäres kenianisches Interesse an der Strafverfolgung, was wohl nicht besteht. Besser aus meiner Sicht: „Bereitschaft zur Übernahme erfragen“.“(BA 14 S. 204).
150Auch die von der Beklagten angeführten Art. 12 GA vom 10. November 2008 i. V. m. dem Briefwechsel zwischen der EU und Kenia bilden keine taugliche Ermächtigungsgrundlage. Die Gemeinsame Aktion der GASP war jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt eine zwischenstaatliche Kooperationsform, die allein für die beteiligten Staaten verbindlich war, ohne dass Rechtsakte in diesem Rahmen Durchgriffswirkung auf den Einzelnen hätten entfalten können. Dies gilt in verstärktem Maße für den Briefwechsel, der bereits die Anforderungen an die notwendige Formalität eines in Individualrechte eingreifenden Rechtsaktes nicht einhalten kann. Im Übrigen fehlt es (zumindest) an einem deutschen Zustimmungsgesetz, das ggf. als Rechtsgrundlage für seine innerstaatliche Anwendung dienen könnte.
151Vgl. Aust, DVBl. 2012, 484, 489 f.; auch Kreß, a. a. O., S. 118, der aber offenbar eine Ermächtigungsgrundlage nicht für erforderlich hält.
1522.2 Unabhängig davon hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass die Beklagte vorliegend die materiellen Mindestschutzstandards nicht hinreichend beachtet und den Kläger der realen Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung ausgesetzt hat.
1532.2.1 Das Verwaltungsgericht hat dabei die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Auslieferungsfällen zugrunde gelegt, wonach die Gerichte bei einer Entscheidung über die Zulässigkeit einer Auslieferung zur Strafverfolgung im Wesentlichen nur zu prüfen haben, ob einer Auslieferung die Verletzung des völkerrechtlichen Mindeststandards entgegenstehen. Dagegen ist nicht zu prüfen, ob die vom Grundgesetz garantierten Grundrechte vollständig gewahrt werden. Insofern bedürfe es einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung und damit einer einer Beschränkung verfassungsrechtlicher Gewährleistungen auf ihren Wesensgehalt. Eine Absenkung der Standards ist vorliegend indes nicht sachgerecht. Denn die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beruht maßgeblich auf dem Gedanken, die Rücknahme des unbedingten Geltungsanspruchs der deutschen Grundrechte sei zugunsten der Funktionsfähigkeit des im gegenseitigen Interesse bestehenden zwischenstaatlichen Auslieferungsverkehrs und der Achtung des Interesses des Empfangsstaates an der mit dem Auslieferungsersuchen zum Ausdruck kommenden eigenen Strafverfolgung vertretbar.
154Etwa BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2005 - 2 BvR 2259/04 -, BVerfGE 113, 154, 163; vgl. auch Roeser, EuGRZ 2009,177,196 m. w. N.
155Diese Überlegungen kommen hier jedoch nicht zum Tragen. Die Übergabe erfolgte – anders als in Auslieferungsfällen – gerade nicht im Interesse des Aufnahmestaates. Ein Bezug zum „Austauschgedanken“ besteht nicht. Etwaige Einschränkungen des Menschenrechtsschutzes im Hinblick auf die Achtung des innerstaatlichen Rechts des Empfangsstaates müssen deshalb von vornherein außer Betracht bleiben.
156Legt man demgemäß die in der Rechtsprechung der deutschen Straf(vollzugs)gerichte und der Verfassungsgerichte entwickelten allgemeinen Maßstäbe für eine menschenwürdige Unterbringung von Strafgefangenen vor dem Hintergrund von Art. 3 EMRK zu Grunde, stand deren Einhaltung von vornherein außerhalb des Erwartbaren. Danach steht etwa jedem Gefangenen eine Mindestzellgröße von 4-5 m² zu, eine gemeinsame Unterbringung ist nur bei baulich abgetrennten sanitären Einrichtungen zulässig, eine Abtrennung etwa durch Vorhänge oder spanische Wände reicht nicht aus.
157Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. November 2007 - 2 BvR 2354/04 -, juris; EGMR, Urteil vom 30. Januar 2008 - Nr. 20877/04 (Testa/Kroatien) -; VerfGH Berlin, Beschluss vom 3. November 2009 - 184/07 -, juris; BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2005 – V Ars (Vollz) 54/05 -, BGHSt 50, 234; OLG Hamm, Urteil vom 10. Dezember 2010 - 11 U 125/10 u. a. -, juris; Beschluss vom 25. März 2009 - 11 W 106/08 -, NStZ-RR 2009, 326 f.
158Diese Anforderungen erfüllten die Zustände in Shimo La Tewa zum Zeitpunkt der Übergabe ersichtlich nicht. Es fehlte bereits die Möglichkeit der baulichen Abtrennung der Sanitäranlagen. Im Übrigen waren nicht einmal die abgesenkten Mindestanforderungen erfüllt (dazu sogleich).
1592.2.2 Selbst wenn man indes, wie es das Verwaltungsgericht getan hat, die in Auslieferungsfällen anzulegenden Maßstäbe auf die vorliegende Übergabe überträgt, bleibt diese rechtswidrig. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben Gerichte bei einer Entscheidung über die Zulässigkeit einer Auslieferung zur Strafverfolgung zu prüfen, ob ihr die Verletzung des nach Art. 25 GG in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandards sowie der unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze ihrer öffentlichen Ordnung entgegenstehen.
160Vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. April 2004 - 2 BvR 253/04 -, juris; Beschluss vom 20. Dezember 2007 - 2 BvR 1996/07 -, juris; Beschluss vom 31. März 1987 - 2 BvM 2/86 -, BVerfGE 75, 1 ff.; Beschluss vom 6. Juli 2005 - 2 BvR 2559/04 -, BVerfGE 113, 154; Beschluss vom 25. März 1981 - 2 BvR 1258/79 -, BVerfGE 57, 9; Beschluss vom 24. Juni 2003 - 2 BvR 685/03 -, BVerfGE 108, 122.
161Im Ergebnis gleiche Anforderungen sind nach Art. 3 EMRK anzulegen, der in allen Auslieferungsfällen uneingeschränkt Anwendung findet.
162EGMR, Urteil vom 15. November 1996 - 70/ 1995/576/662 (Chahal/Großbritannien) -, NVwZ 1997, 1093; Urteil vom 7. Juli 1989 - Nr. 1/1989/ 161/217 (Soering) -, NJW 1990, 2183; umfassend Lorz/Sauer, EuGRZ 2010, 389, 391 ff.
163Diese Grundsätze stehen jedenfalls Handlungen entgegen, mit der der ausliefernde Staat dazu beitragen würde, dass der Ausgelieferte der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe ausgesetzt würde. Die Ächtung solcher Behandlungen gehört zum festen Mindestbestand des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes (Art. 3 EMRK und Art. 7 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte – IPBPR). Dementsprechend haben sich die Beklagte und die EU die Beachtung dieser Anforderungen in Art. 12 Abs. 2 der GA 2008/851/GASP als Bedingung für den Abschluss von Übernahmevereinbarungen gesetzt. Der hier in Rede stehende Briefwechsel zwischen der EU und der Republik Kenia übernimmt und präzisiert diese Gewährleistungen, insbesondere indem er ausdrücklich die Pflicht zu angemessener Unterbringung und Verpflegung der zu Übergebenden sowie den Anspruch jeder übergebenden Person auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist statuiert.
1642.2.2.1 Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Übergabe des Klägers an die kenianischen Behörden durfte die Beklagte nicht davon ausgehen, dass tatsächlich keine gegen diese Grundsätze verstoßende Behandlung des Klägers erfolgen würde. Hierzu reichte es namentlich nicht aus, dass die Republik Kenia die Einhaltung dieser Standards völkerrechtlich verbindlich zugesichert hat. Zwar ist eine solche Zusicherung grundsätzlich geeignet, Bedenken hinsichtlich der Einhaltung völkerrechtlicher Mindeststandards auszuräumen.
165Vgl. dazu umfassend Schneider, EuGRZ 2014, 168 ff.; Lorz/Sauer, EuGRZ 2010, 389, 402 ff.; BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 2007 - 2 BvQ 51/07 -, juris; EGMR, Entscheidung vom 28. Februar 2008 - 37201/06 (Saadi/ Italien) - NVwZ 2008, 1330, 1333; Entscheidung vom 16. Oktober 2006 - 1101/04 (G.S.B.O./Deutschland) - BeckRS 2008, 06601; Urteil vom 15. November 1996 - 70/1995/576/662 (Chahal/ Großbritannien) -, NVwZ 1997, 1093; Alleweldt, NVwZ 1997, 1078, 1079 m. w. N.
166Hierauf kann sich die Beklagte vorliegend jedoch nicht berufen. Denn ihr war bekannt oder hätte jedenfalls bekannt sein müssen, dass die Zustände in kenianischen Haftanstalten jedenfalls am 10. März 2009 die geforderte menschenwürdige Behandlung nicht ermöglichten.
167BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 2007 - 2 BvR 1996/07 -, juris (Rn. 23); EGMR, Entscheidung vom 10. Mai 2010 - Nr. 41015/04 (Kaboulov/Ukraine); Entscheidung vom 19. September 2008 - Nr. 8320/04 (Ryabikin/Russland) -; Lorz/Sauer, EuGRZ 2010, 389, 395 ff., 402 ff.
168Der Beklagten war ausweislich des Botschaftsberichtes vom 12. März 2009, der auf Feststellungen aus Dezember 2008 Bezug nimmt, bekannt, dass in der einzig realistisch in Betracht kommende Haftanstalt Shimo La Tewa dieser völkerrechtliche Mindeststandard nicht eingehalten wurde. In diesem Bericht wird unter anderem festgehalten, dass dort unerträgliche Hitze herrsche, Wasserleitungen oft tagelang unterbrochen seien, die Anstalt völlig überfüllt sei, so dass in den für 25 Personen angelegten Zellen teils 60 Personen untergebracht seien, sowie teils fehlende, teils völlig unzureichende sanitären Anlagen den Alltag prägten. Hinzu kam ein jedenfalls für westliche Mägen kaum genießbares Essen und Ungeziefer. Die hieraus vom Verwaltungsgericht gezogenen Schlussfolgerungen, es müsse von höchst beengten, hygienisch unhaltbaren Zuständen ausgegangen werden, die sich wohl bereits als gesundheitsgefährdend, jedenfalls aber als unerträglich und damit unmenschlich und entwürdigend anzusehen seien, sind ohne weiteres nachvollziehen.
169Zustimmend auch Salomon, NordÖR 2012, 127; Ladiges, NZWehrR 2012, 56, 63; dass unzumutbare Haftbedingung unter die Rechtsprechung des BVerfG sowie unter Art. 3 EMRK zu subsumieren sind, entspricht auch der Rechtsprechung: vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2005 - 2 BvR 2259/04 -, BVerfGE 113, 154, pointiert in abw. Meinung S. 163; EGMR, Urteil vom 7. Juli 1989 - Nr. 1/1989/161/217 (Soering) -, NJW 1990, 2183; Entscheidung vom 10. Mai 2010 - Nr. 41015/04 (Kaboulov/Ukraine); umfassend Petrig, a. a. O., S. 342 ff..
170Dass insofern noch fast fünf Monate später keine entscheidende Verbesserung eingetreten war, zeigt nicht nur der Botschaftsbericht vom 23. Juli 2009 auf. Zwar wird von leichten Verbesserungen in der Versorgung berichtet - die allerdings auf einem Hungerstreik beruhten - jedoch hat sich an der Unterbringung selbst nichts geändert. Noch plastischer ergibt sich dies aus dem vom AA selbst als „alarmierend“ eingeschätzten Bericht der britischen EUNVFOR-Koordinatorin vom 29. Juli 2009. Darin wird nicht nur von einer Vielzahl von Erkrankungen aufgrund der Haftbedingungen bis hin zu Tuberkulose berichtet, sondern auch bestätigt, dass nicht einmal Matratzen für jeden übergebenen Häftling vorhanden waren. Trotz der verbreiteten Erkrankungen der Atemwege mussten die Piraterieverdächtigen vielmehr teilweise auf dem Boden schlafen. Hinzu kommt, dass eine medizinische Behandlung offenbar überwiegend nicht bzw. nur auf gerichtliche Anordnung erfolgte. Die Kostenfrage war jedenfalls nicht in dem Sinne geklärt, dass eine Behandlung in jedem Fall zunächst gewährt worden wäre. Im Gegenteil hält das AA diese Frage für offen, da im Briefwechsel nur der Zugang zu medizinischer Behandlung, nicht aber deren Kostenfreiheit geregelt sei.
171Auch dies lässt erkennen, dass selbst fast fünf Monate nach Unterzeichnung des Briefwechsels und der Übergabe der ersten Piraterieverdächtigen Grundstandards nicht eingehalten waren. Schon deshalb lässt sich dieser Einschätzung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht entgegenhalten, dass sich das Verwaltungsgericht lediglich auf allgemeine Bedingungen in der Haftanstalt bezogen habe, während es für die vorliegende Frage allein darauf ankomme, wie die Piraterieverdächtigen untergebracht würden. Zwar trifft es zu, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des EGMR nicht die allgemeinen Zustände ausschlaggebend sind, sondern konkret diejenigen, die der Betroffene zu erwarten hat.
172Schneider, EuGRZ 2014, 168 ff.; Roeser, EuGRZ 2009, 177, 196; BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2005 - 2 BvR 2259/04 -, BVerfGE 113, 154; EGMR, Entscheidung vom 28. Februar 2008 - 37201/06 (Saadi/Italien) NVwZ 2008, 1330, 1331ff.; vom 16. Oktober 2006 - 1101/04 -, juris (Rn. 40 ff.) und vom 10. Mai 2010 - Nr. 41015/04 (Kaboulov/Ukraine); Lorz/Sauer, EuGRZ 2010, 389, 395 ff.
173Dies führt vorliegend jedoch zu keiner anderen Einschätzung. Es war zum Zeitpunkt der Übergabe realistischerweise nicht zu erwarten, dass die Piraterieverdächtigen unter erheblich besseren Bedingungen untergebracht würden als die übrigen Gefangenen.
174Dazu allgemein EGMR, Entscheidung vom 10. Mai 2010 – Nr. 41015/04 (Kaboulov/Ukraine) -; Entscheidung vom 19. September 2008 - Nr. 8320/04 (Ryabikin/Russland) -; Lorz/Sauer, EuGRZ 2010, 389, 397 ff. m. w. N.
175Worauf die Beklagte eine entsprechende Erwartung stützen will, bleibt offen. Auch auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Vertreter der Beklagten hierzu nichts Konkretes vortragen können. Allein der Umstand, dass die Piraterieverdächtigen getrennt von den übrigen Gefangenen untergebracht werden sollten und wurden, reichte angesichts der bekannten Zustände nicht aus. Es ist weder geltend gemacht noch ersichtlich, dass die Haftanstalt über einen „privilegierten“ Trakt verfügen könnte.
176In diesem Sinne auch Salomon, NordÖR 2012, 126.
177Im Gegenteil ist bereits dem Botschaftsbericht vom 12. März 2009 zu entnehmen, dass die Situation der Untersuchungsgefangenen sogar schlechter ist als die der bereits Verurteilten. Untersuchungshäftlinge unterliegen demnach weitergehenden Beschränkungen als bereits Verurteilte; diese hätten etwas mehr Privilegien (Ausgangsstunden ect.). Eine Vorzugsbehandlung der Piraterieverdächtigen ließ sich auch bei den folgenden Besuchen im Gefängnis nicht feststellen, die Feststellung räumlicher Enge und unerträglicher Hitze etwa wird gerade für den Trakt der Untersuchungshäftlinge mehrfach hervorgehoben. Auch das ungenießbare Essen und die offenbar auch mangelhafte Versorgung mit Getränken prägt die ersten Erfahrungsberichte. So mussten die Piraterieverdächtigen die Versorgung mit Tee durch einen Hungerstreik erzwingen. Der Bericht der britischen EUNAVFOR-Koordinatorin vom 29. Juli 2009 lässt zudem fundamentale Mängel in der medizinischen Versorgung erkennen, die teilweise zu schweren Erkrankungen der Piraterieverdächtigen führten. Im Übrigen wird an verschiedenen Stellen hervorgehoben, dass eine Vorzugsbehandlung der ausländischen Gefangenen nicht erfolgen könne, um die Sicherheitslage im Gefängnis durch die sich zurückgesetzt fühlenden einheimischen Gefangenen nicht zu gefährden (vgl. etwa Botschaftsbericht vom 30. November 2009, BA 19 S. 587).
178Hinzu kommt, dass die Beklagte hätte berücksichtigen müssen, dass die Haftbedingungen in Kenia üblicherweise durch familiäre Unterstützung der Inhaftierten erträglicher gemacht werden. Solche Hilfen waren für den Kläger indes nicht zu erwarten. Grundlegendere Verbesserungen in der Versorgung erfolgten erst in der zweiten Jahreshälfte durch die Einbindung einer lokalen Nichtregierungsorganisation, die die sonst familiären Unterstützungsleistungen übernahm.
179Auch den vorgelegten Verwaltungsvorgängen lässt sich entnehmen, dass nicht nur von vielen Seiten im Vorfeld der Übergabe Zweifel an der Einhaltung der zugesicherten Schutzstandards geäußert haben, sondern dass die Beteiligten sogar expliziert wussten, dass sie jedenfalls nicht ad hoc der Fall sein würde.
180Vgl. dazu auch Salomon, NordÖR 2012, 124 ff. m. w. N.; König, BdGVR 2010, 203, 240; Kress, a. a. O., S. 119 f.
181Solche Hinweise finden sich beispielsweise in der Email des Rechtsberaters an Bord der Fregatte „Rheinland-Pfalz“ vom 7. März 2009, noch deutlicher indes im Bericht des Rechtsberaters des OHQ vom 17. März 2009. Die kenianische Regierung wiederum hatte bereits am 10. März 2009 einen umfangreichen Anforderungskatalog mit Bitten um Unterstützung der EU übergeben, der am 20. März 2009 noch erweitert wurde. In diesen Schreiben bringt das kenianische Außenministerium klar zum Ausdruck, dass Kenia nicht in der Lage ist, die zugesagten Standards insbesondere im Bezug auf die Menschenrechte ohne Unterstützung internationaler Partner einzuhalten. Das war auch der EU und ihren Mitgliedstaaten bekannt, wie sich nicht zuletzt aus der Regelung unter Ziffer 6 des Briefwechsels ergibt, in dem die EU ausdrücklich Hilfe bei der Erfüllung der kenianischen Verpflichtungen zusagte. Solche Hilfen waren bis zum 10. März 2009 nicht erfolgt; eine Verbesserung der bekannten Unterbringungsbedingungen war auch nicht ad hoc denkbar. Menschenwürdige Haftbedingungen konnten daher allenfalls in nicht absehbarer Zukunft erwartet werden. Insofern kann dahinstehen, ob sich an der Einschätzung etwas ändern könnte, wenn es nur um einen Anpassungszeitraum von wenigen Tagen gegangen wäre.
182Insoweit ablehnend allerdings OLG Hamm, Beschluss vom 25. März 2009 - 11 W 106/08 -, juris (Rn. 33).
183Dieser Befund wird durch zahlreiche allgemeine und unabhängige Berichte verschiedener Menschenrechtsorganisationen und –behörden aus der Zeit von 2007 bis 2009 bestätigt, die fundamentale und systemische Mängel im kenianischen Strafvollzug aufzeigen.
184Vgl. dazu näher Salomon, NordÖR 2012, 124 ff. m. w. N.; König, BdGVR 2010, 203, 240; Kress, a. a. O., S. 119 f.
185In diesem Zusammenhang hätte schließlich der von der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung angeführte Bericht der kenianischen Menschenrechtsbehörde Anlass zu durchgreifenden Zweifeln an der Einhaltung der Zusagen geben müssen, gerade weil darin die - unhaltbaren - Haftbedingungen in den Jahren 2007/2009 als „hoher Standard“ gewertet wurden.
186Angesichts dessen ist im Hinblick auf die zu erwartende Behandlung des Klägers zudem der bereits im Botschaftsbericht vom 12. März 2009 angeführte Umstand zu berücksichtigen, dass die Vertreter der Deutschen Botschaft selbst auf die Haftbedingungen der deutschen Gefangenen allenfalls geringen Einfluss hatten. Vor diesem Hintergrund durfte die Beklagte auch nicht erwarten, dass sie auf die Haftbedingungen der Piraterieverdächtigen im Nachhinein nennenswert würde einwirken können, zumal die Botschaft mehrfach davor warnte, beim Monitoring zu genau hinzuschauen. Das hätte eine vorherige sorgfältige Prüfung erforderlich gemacht. Es ist indes nicht zu erkennen, dass sich die Beklagte vor der Übergabe in ausreichendem Maße um die Einhaltung der erforderlichen Mindeststandards gekümmert hätte. Im Gegenteil haben die Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt, da sie für die Übergabe nicht zuständig gewesen seien, seien Ermittlungen nicht erforderlich gewesen.
187Zum erforderlichen Ermittlungsaufwand vor Überstellung Schneider, EuGRZ 2014, 168 ff.; BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2005 - 2 BvR 2259/04 -, BVerfGE 113, 154; EGMR, Entscheidung vom 16. Oktober 2006 - 1101/04 -, juris (Rn. 40 ff.); Entscheidung vom 19. September 2008 - Nr. 8320/04 (Ryabikin/Russland) -; Lorz/Sauer, EuGRZ 2010, 389, 390, 395 ff., 401 ff. m. w. N. insbesondere aus der Rechtsprechung des EGMR.
188Soweit die Beklagte im Berufungsverfahren geltend gemacht hat, es müsse berücksichtigt werden, dass die Zustände im Gefängnis möglicherweise für deutsche Gefangene unerträglich seien (der deutsche Botschafter spricht ausdrücklich von einem „Albtraum“), dies jedoch für die somalischen Piraterieverdächtigen nicht gelten könne, weil diese Zustände für sie „Alltag“ seien, vermag dies eine andere Einschätzung ebenfalls nicht zu begründen. Durch den Briefwechsel wurden ausdrücklich Menschenrechtsgewährleistungen eingefordert und zwar konkret für die Piraterieverdächtigen, die – wie alle Beteiligten wussten – jedenfalls typischerweise nicht aus Europa kamen. Von einem „Einheimischenabschlag“ hinsichtlich der menschenwürdigen Behandlung ist indes an keiner Stelle die Rede. Im Falle einer Strafverfolgung in Deutschland hätte ein Mindeststandard ebenfalls nicht mit Hinweis auf die Lebensumstände in Somalia oder Kenia unterschritten werden dürfen.
189Vgl. in diesem Zusammenhang EGMR, Entscheidung vom 28. Februar 2008 – 37201/06 (Saadi/ Italien) -, NVwZ 2008, 1330, 1331; und vom 7. Juli 2011 - 55721/07 (Al-Skeini u.a./Vereinigtes Königreich) -, NJW 2012, 283, 286.
190Ebenso wenig verfängt der Hinweis darauf, die Betroffenen hätten sich bei den Monitoring-Besuchen über die Haftbedingungen nicht beschwert und deshalb könne nicht von menschenrechtswidrigen Zuständen gesprochen werden. Abgesehen davon, dass dieser Schluss bereits grundsätzlich unzulässig sein dürfte, weil die Menschenwürde unverzichtbar ist, trifft schon seine Prämisse nicht zu. Klagen über die Essensversorgung wurden bereits beim ersten Botschafterbesuch im April 2009 geführt, kleinere Verbesserungen (Tee) mit Hungerstreiks erzwungen. Diese – wie es die Beklagte tut – auf die Garantien in dem Briefwechsel vom 6. März 2009 zurückzuführen, geht an den Tatsachen vorbei.
191Abschließend und ergänzend weist der Senat – wie schon das Verwaltungsgericht – darauf hin, dass vorliegend nicht die heute herrschenden Zustände im Gefängnis Shimo La Tewa maßgeblich sind. Unzweifelhaft hat es ab der zweiten Jahreshälfte 2009 Verbesserungen gegeben, die heute eine menschenwürdige Unterbringung zumindest möglich erscheinen lassen.
1922.2.2.2 Unabhängig hiervon durfte die Beklagte nicht ohne weiteres darauf vertrauen, dass Kenia in der Lage sein würde, die Strafverfahren innerhalb angemessener Frist zu einem Abschluss zu bringen. Denn zum Zeitpunkt des Abschlusses des Briefwechsels mit Kenia und der Übergabe des Klägers war bekannt, dass die kenianische Justiz „hoffnungslos überlastet“ war.
193Vgl. Salomon, NordÖR 2012, 124 ff. m. w. N.
194Zweifel an der Effizienz der kenianischen Gerichtsbarkeit durchziehen dementsprechend das gesamte Verfahren, wesentliche Teile der Strafverfolgung wurden von Beginn an von deutscher Seite geleistet. Auch in diesem Zusammenhang hatte Kenia im Übrigen bereits am 10. März 2009 offiziell einen umfangreichen „Wunschzettel“ übergeben, aus dem zumindest zu schließen ist, dass sich Kenia selbst nicht ohne Hilfe in der Lage sah, die Verfahren zeitlich und materiell angemessen zu erledigen.
195Vgl. dazu allgemein auch Salomon, NordÖR 2012, 124 ff. m. w. N.
196Vorliegend hat es bis zu einem erstinstanzlichen Urteil etwa vier Jahre und vier Monate gedauert, wobei sich die Dauer des Verfahrens nach den vorliegenden Unterlagen jedenfalls nicht ohne weiteres erklärt. Insbesondere die Dauer des Zwischenverfahrens bezüglich der Zuständigkeit kenianischer Gerichte von nahezu drei Jahren mit immer wieder verschobenen Verkündungsterminen lässt indes darauf schließen, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit betrieben wurde. Dieses Problem war offenbar auch der Beklagten bekannt – noch in der Klageerwiderung wird das Verfahren einschließlich der langen Auseinandersetzung um Zuständigkeitsfragen als für kenianische Verhältnisse normal und damit im Einklang mit den Zusagen im Briefwechsel bezeichnet (GA S. 339 ff). Hinzu kommt, dass nach Ergehen der letztinstanzlichen Entscheidung zur Zuständigkeit kenianischer Gerichte ein Weiterführen des Strafprozesses zunächst über geraume Zeit daran scheiterte, dass Akten nicht mehr auffindbar waren. Damit bestätigte sich die von Beginn an bestehende Befürchtung, die kenianische Justiz sei diesen Verfahren organisatorisch nicht gewachsen.
197Diese Verzögerungen wiegen um so schwerer, als nach kenianischem Recht grundsätzlich die Dauer der Untersuchungshaft nicht auf die Dauer der Strafhaft angerechnet wird – dies war auch bei der Verurteilung des Klägers zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren nicht der Fall. Die tatsächliche Haft des Klägers hat sich durch die Dauer des Verfahrens selbst damit nahezu verdoppelt. Auch vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der desaströsen Haftbedingungen war die Übergabe damit konkret rechtswidrig.
198Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
199Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Urteil, 18. Sept. 2014 - 4 A 2948/11
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Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
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(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.
(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.
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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
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Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.
(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.
(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.