Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 01. Juni 2016 - 12 E 433/16
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
1
G r ü n d e
2Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
3Die für die Aussetzung gemäß § 75 Satz 3 VwGO tragende Annahme des Verwaltungsgerichts, für die noch ausstehende Entscheidung des Beklagten über den Antrag der Klägerin auf Zustimmung zur Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses der Beigeladenen bestehe ein zureichender Grund, weil der Bezug der krankheitsbedingten Fehltage der Beigeladenen zu ihrer Schwerbehinderung durch eine arbeitsmedizinische Begutachtung zu klären sei, die noch nicht vorliege, wird durch das Beschwerdevorbringen nicht infrage gestellt.
4Nach der zuvor genannten Vorschrift setzt das Verwaltungsgericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten - verlängerbaren - Frist u. a. dann aus, wenn ein zureichender Grund dafür vorliegt, dass der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen worden ist. Der Grund muss objektiv vorliegen und darf nicht gegen die Rechtsordnung verstoßen. Außerdem muss er die wesentliche (Mit-)Ursache für die ausgebliebene Entscheidung sein.
5Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Januar 2004 - 7 B 58.03 -, juris Rn. 4, m. w. N.; OVG NRW, Beschluss vom 24. Juli 2014 - 1 E 822/14 -, juris Rn. 2.
6Gemessen daran ist hier ein sachlicher Grund für die Aussetzung zu bejahen, weil die Zustimmungsentscheidung des Beklagten aus einem zureichenden Grund noch nicht getroffen worden ist.
7Soweit die Klägerin mit der Beschwerde auf ihren Schriftsatz vom 11. Mai 2016 an die Beklagte verweist, den sie zu den Gerichtsakten gereicht hat, verhält sich dieser im Wesentlichen zur Notwendigkeit der Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses aus betriebswirtschaftlichen Gründen und nicht zu der vom Verwaltungsgericht als klärungsbedürftig angesehenen Frage nach den Ursachen der Fehlzeiten der Beigeladenen. Auf deren Klärung und den Zusammenhang mit der Schwerbehinderung der Beigeladenen kommt es jedoch entscheidend an. Darauf hat der Beklagte die Klägerin bereits im Juni 2015 hingewiesen.
8Um die nach §§ 85 ff. SGB IX erforderliche Ermessensentscheidung sachgerecht treffen zu können, muss das Integrationsamt anknüpfend an den Antrag des Arbeitgebers und von ihm ausgehend von Amts wegen all das ermitteln und sodann auch berücksichtigen, was erforderlich ist, um die gegensätzlichen Interessen des Arbeitgebers und des schwerbehinderten Arbeitnehmers gegeneinander abwägen zu können (§ 20 Abs. 1 Satz 1 SGB X).
9Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1995 - 5 C 24.93 -, juris Rn. 13 f; OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2011 - 12 A 2702/10 -, juris Rn. 3.
10Beruft sich der Arbeitgeber in seinem Antrag - wie hier - auf krankheitsbedingte Fehlzeiten, so hat das Integrationsamt die Richtigkeit dieser Angaben zu überprüfen und in seine Abwägung auch die Prognose über zukünftige Fehlzeiten mit einzubeziehen. Bei krankheitsbedingten Kündigungen ist das Integrationsamt verpflichtet, Ursachen und Folgen der Erkrankung, namentlich auch deren Bezug zur Schwerbehinderung, aufzuklären.
11Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1995
12- 5 C 24.93 -, juris Rn. 16 f.
13Dabei ist regelmäßig die Einholung eines ärztlichen Gutachtens erforderlich, weil weder der Schwerbehinderte noch das Integrationsamt selbst über die zur Beurteilung des eingeschränkten Leistungsvermögens erforderlichen medizinischen Kenntnisse und Erfahrungen verfügen.
14Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 31. Januar 2013
15- 12 B 12.860 -, juris Rn. 31.
16Da dieses Gutachten aus den vom Verwaltungsgericht aufgezeigten Gründen noch aussteht, ist objektiv für den Beklagten ein Hinderungsgrund gegeben, die Zustimmungsentscheidung zu erteilen. Ob darüber hinaus das gesamte Verfahren unter Berücksichtigung von § 88 Abs. 1 SGB IX im Bereich des Beklagten hätte gestrafft werden können, bedarf anlässlich der hier angegriffenen Aussetzungsentscheidung keiner Klärung.
17Die Kostenentscheidung folgt aus § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.
18Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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Ist über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 68 zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, daß über den Widerspruch noch nicht entschieden oder der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aus. Wird dem Widerspruch innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist stattgegeben oder der Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären.
Tenor
Ziffer 1 des angefochtenen Beschlusses wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
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Gründe:
2Die Beschwerde richtet sich bei verständiger Auslegung nur gegen Ziffer 1 des angefochtenen Beschlusses. Denn eine Beschwerde gegen Ziffer 2 des erstinstanzlichen Beschlusses wäre nach § 146 Abs. 2 VwGO bzw. dem darin zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken unzulässig.
3Gemäß § 75 Satz 3 VwGO setzt das Verwaltungsgericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten – verlängerbaren – Frist u. a. dann aus, wenn ein zureichender Grund dafür vorliegt, dass über den Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt noch nicht entschieden worden ist. Der Grund muss objektiv vorliegen und darf nicht gegen die Rechtsordnung verstoßen.
4Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. Januar 2004 – 7 B 58.03 ‑, ZOV 2004, 93 = juris, Rn. 4 und vom 23. Juli 1991 – 3 C 56.90 – NVwZ 1991, 1180 = juris, Rn. 10; Nds. OVG, Beschluss vom 25. März 2014 – 7 OB 7/14 ‑, GewArch 2014, 207 = juris, Rn. 3.
5Außerdem muss er die wesentliche (Mit-)Ursache für die ausgebliebene Widerspruchsentscheidung sein.
6Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 26. November 2010 – 4 S 2071/10 ‑, NVwZ-RR 2011, 224 = juris, Rn. 3.
7Diese Voraussetzungen sind vorliegend ungeachtet des Beschwerdevorbringens nicht erfüllt. Das Verwaltungsgericht hat einen zureichenden Grund hier mit der Erwägung angenommen, im gerichtlichen Verfahren habe sich herausgestellt, der von der Beklagten eingeschaltete Gutachter sei aus näher dargelegten Gründen kein geeigneter Sachverständiger gewesen. Die Weigerung des Klägers, an der Prüfung der Notwendigkeit und wirtschaftlichen Angemessenheit der in Rede stehenden Aufwendungen für ärztliche Leistungen mitzuwirken, sei daher als wichtiger Grund im Sinne von § 65 Abs. 1 Nr. 2 SGB I anzuerkennen; es sei möglich, dass der Kläger gegenüber einem anderen Arzt (gemeint: Amtsarzt) mitwirken werde.
8Der vom Verwaltungsgericht angeführte Grund war für das Nichtentscheiden über den Widerspruch bereits nicht (mit-)ursächlich. Das ergibt sich schon aus dem Umstand, dass sich die dem erstinstanzlichen Beschluss zu Grunde gelegte mangelnde Eignung des von der Beklagten herangezogenen Gutachters erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren herausgestellt hat. Die Beklagte hat demnach nicht deshalb über den Widerspruch des Klägers nicht entschieden, weil sie selbst die mangelnde Eignung des Gutachters erkannt und daraus etwa den Schluss gezogen hätte, eine erneute, mehr Zeit beanspruchende Begutachtung, z. B. durch einen Amtsarzt, sei angezeigt. Dies korrespondiert mit den Erfahrungen des Senats mit der für die Beklagte handelnden Postbeamtenkrankenkasse in anderen Fällen (vgl. Urteile vom 12. September 2012 – 1 2333/09 - und vom 18. April 2013 ‑ 1 A 2426/10 ‑). Danach ignoriert die Beklagte in Fällen, in denen die Postbeamtenkrankenkasse für sie handelt, jedenfalls in von dieser als problematisch eingestuften Fällen schlichtweg ihre gesetzliche Verpflichtung, über erhobene Widersprüche zu entscheiden.
9Vorsorglich weist der Senat auf Folgendes hin: Das Klageverfahren enthebt die Beklagte nicht von der Verpflichtung zur Verbescheidung des erhobenen Widerspruchs sowie einer im Vorfeld erforderlichen sorgfältigen Ermittlung des Sachverhalts z. B. durch Einholung eines amtsärztlichen Gutachtens. Auf die Aussetzung des Verfahrens nach § 75 Satz 3 VwGO kommt es insoweit nicht an. Soweit der Kläger im vorliegenden Beschwerdeverfahren sich unter Hinweis auf „unstreitige“ Gebührenpositionen dagegen verwahrt, dass auch diese Gegenstand einer gutachterlichen Befassung und nachfolgenden behördlichen und später gerichtlichen Bewertung werden könnten, verweist der Senat auf seinen Beschluss vom 27. Mai 2013 – 1 A 2782/11 ‑, NWVBl 2013, 442 = NVwZ-RR 2013, 745 = DÖD 2013, 239 = juris, insbes. Rn. 23 ff. = NRWE.
10Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
11Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
(1) Die Behörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen; an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden.
(2) Die Behörde hat alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen.
(3) Die Behörde darf die Entgegennahme von Erklärungen oder Anträgen, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, nicht deshalb verweigern, weil sie die Erklärung oder den Antrag in der Sache für unzulässig oder unbegründet hält.
(1) Die Bundesregierung berichtet den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes einmal in der Legislaturperiode, mindestens jedoch alle vier Jahre, über die Lebenslagen der Menschen mit Behinderungen und der von Behinderung bedrohten Menschen sowie über die Entwicklung ihrer Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gesellschaft. Die Berichterstattung zu den Lebenslagen umfasst Querschnittsthemen wie Gender Mainstreaming, Migration, Alter, Barrierefreiheit, Diskriminierung, Assistenzbedarf und Armut. Gegenstand des Berichts sind auch Forschungsergebnisse über Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit staatlicher Maßnahmen und der Leistungen der Rehabilitationsträger für die Zielgruppen des Berichts.
(2) Die Verbände der Menschen mit Behinderungen werden an der Weiterentwicklung des Berichtskonzeptes beteiligt.
(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.
(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.