Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 04. Okt. 2010 - 4 Ws 184/10

published on 04/10/2010 00:00
Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 04. Okt. 2010 - 4 Ws 184/10
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Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - Ravensburg vom 20. Juli 2010 mit den Feststellungen

a u f g e h o b e n .

Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an die Strafvollstreckungskammer

z u r ü c k v e r w i e s e n .

Gründe

 
I.
Mit der angefochtenen Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer den Antrag des Gefangenen auf Feststellung, dass die Disziplinarmaßnahme des Anstaltsleiters der Justizvollzugsanstalt … vom 14. Oktober 2009 rechtswidrig gewesen ist, zurückgewiesen. Hierin wurde dem Antragsteller ein zweitägiger Arrest sowie eine Woche Freizeit- und TV-Sperre auferlegt, weil er einen Anstaltsbediensteten mit den Worten, dieser solle „die Schnauze halten bzw. ruhig sein“ beleidigt habe. Dies sei aus Anlass der Weigerung des Bediensteten geschehen, ihm Stifte auszuhändigen, die ihm mit einem Paket übersandt worden seien.
Gegen diese Entscheidung hat der Antragsteller Rechtsbeschwerde eingelegt. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts und rechtlichen Gehörs und erhebt die Aufklärungsrüge.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil es geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Entschlusses zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§ 116 Abs. 1 StVollzG). Das Rechtmittel dringt mit der Sachrüge durch.
1. Infolge zulässiger Bezugnahme (§ 115 Abs. 1 Satz 3 StVollzG) ist der Inhalt des Vermerks der … der JVA … vom 19. Oktober 2009 Gegenstand der Feststellungen des angefochtenen Beschlusses. Hiernach hat der Gefangene eingeräumt, dass es eine verbale Auseinandersetzung gegeben habe. Wenn er den Bediensteten beleidigt habe, tue es ihm leid. Darüber hinaus hat der Antragsteller im Schriftsatz seines damaligen Verteidigers vom 3. Mai 2010 (auf den gleichfalls wirksam Bezug genommen ist) vorgetragen, er habe sich zu der Äußerung hinreißen lassen, weil ihm die Aushändigung der Stifte zuvor von einem anderen Bediensteten genehmigt worden sei. Diese Feststellungen können sowohl für die Frage, ob überhaupt eine Disziplinarmaßnahme zu verhängen ist (vgl. § 102 Abs. 1 StVollzG; die Vorschriften des JVollzGB III Baden-Württemberg sind nicht anwendbar, da sie erst am 1. Januar 2010 und somit nach dem hier in Frage stehenden Vorfall in Kraft getreten sind) als auch für die Entscheidung, welche Sanktion zu verhängen ist, von Bedeutung sein. Die Strafvollstreckungskammer hätte sich deshalb dazu äußern müssen, ob sie zutreffen. Darüber hinaus ist die Feststellung, der Bedienstete „solle die Schnauze halten bzw. ruhig sein“, unklar. Es ist nicht eindeutig, ob der Gefangene sich genau in dieser Weise geäußert hat, was wegen des Wortes „beziehungsweise“ nur schwer vorstellbar ist. Nach dem Inhalt der Anzeige des Bediensteten vom 13. Oktober 2009, auf die gleichfalls Bezug genommen worden ist (Bl. 5 d. A.), war von „ruhig sein“ nicht die Rede.
2. Bei Beurteilung der Frage, ob die Äußerung des Antragstellers ein Verhalten gegenüber Vollzugsbediensteten darstellt, welches das geordnete Zusammenleben in der Vollzugsanstalt stört (§ 82 Abs. 1 Satz 2 StVollzG), ist das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 GG (freie Meinungsäußerung) zu berücksichtigen. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass durch die Disziplinarmaßnahmen zwar der schuldhafte Verstoß gegen die in § 82 Abs. 1 Satz 2 StVollzG nominierten Verhaltenspflichten sanktioniert wird, der Zweck der Disziplinarmaßnahme aber in der Sicherung der Voraussetzungen eines auf die Ziele des in § 2 StVollzG gerichteten Vollzuges liegt. Als grundrechtsbeschränkende Gesetze müssen die §§ 82, 102 ff StVollzG im Lichte der von ihnen eingeschränkten Grundrechte ausgelegt und angewendet werden (so BVerfG NStZ 1994, 300 [301]). Auch wenn das Verhalten des Antragstellers den Straftatbestand des § 185 StGB erfüllen sollte, ist hiermit nicht notwendig die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme verbunden. Es ist zu fragen, ob diese im Hinblick auf den genannten Vollzugszweck notwendig ist (BVerfG NStZ 1994, 357 [358]); Arloth, StVollzG, 2. Auflage, § 82 Rn. 3; kritisch Ullenbruch in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 5. Auflage, § 82 Rn. 3). Entsprechende Abwägungen hat die Strafvollstreckungskammer nicht vorgenommen.
3. Die Wertung der Strafvollstreckungskammer, bei der Beleidigung handele es sich deshalb um eine schwere Verfehlung im Sinne des § 103 Abs. 2 StVollzG, weil der Antragsteller bereits Anfang September 2009 einen Bediensteten beleidigt habe, kann schon deshalb keinen Bestand haben, weil nicht mitgeteilt wird, was der seinerzeitigen Beleidigung zugrunde lag und welche Sanktion verhängt worden ist. Auch kann der Einwand des Antragstellers, wegen dieser Beleidigung sei eine gerichtliche Überprüfung anhängig, nicht unberücksichtigt bleiben. Die Verfehlung kann nur dann schulderschwerend in Ansatz gebracht werden, wenn sie bestandkräftig ist.
Die Verhängung eines Arrestes als gravierendste Disziplinarmaßnahme (§ 103 Abs. 2 StVollzG) kommt somit allenfalls dann in Betracht, wenn die frühere Beleidigung feststeht. Für sich genommen kann eine Äußerung der in der angefochtenen Entscheidung geschilderten Art nicht als schwere Verfehlung im Sinne dieser Vorschrift gewertet werden. Sofern der Straftatbestand des § 185 StGB als gegeben angesehen wird, handelte es sich um eine Beleidigung an der unteren Grenze. Auch hätte die Strafvollstreckungskammer darlegen müssen, ob mildere Maßnahmen als die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme genügen (§ 102 Abs. 2 StVollzG) und ob eine Aussetzung zur Bewährung in Betracht gekommen wäre (§ 104 Abs. 2 StVollzG). Ferner sind bei der Verhängung einer Sanktion die allgemeinen Strafzwecke zu berücksichtigen, insbesondere spezial- und generalpräventive Aspekte. Allgemein ist dem Grundsatz der Schuldangemessenheit der Sanktion Rechnung zu tragen (so BVerfG NStZ 1994, 300 [301]).
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Lastenausgleichsgesetz - LAG

(1) Gegen die gerichtliche Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist die Rechtsbeschwerde zulässig, wenn es geboten ist, die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. (2) Die Re

Annotations

(1) Gegen die gerichtliche Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist die Rechtsbeschwerde zulässig, wenn es geboten ist, die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen.

(2) Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, daß die Entscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe. Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

(3) Die Rechtsbeschwerde hat keine aufschiebende Wirkung. § 114 Abs. 2 gilt entsprechend.

(4) Für die Rechtsbeschwerde gelten die Vorschriften der Strafprozeßordnung über die Beschwerde entsprechend, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt.

(1) Das Gericht entscheidet ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Der Beschluss stellt den Sach- und Streitstand seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt zusammen. Wegen der Einzelheiten kann auf in der Gerichtsakte befindliche Dokumente, die nach Herkunft und Datum genau zu bezeichnen sind, verwiesen werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt. Das Gericht kann von einer Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.

(1a) Das Gericht kann anordnen, dass eine Anhörung unter Verzicht auf die persönliche Anwesenheit des Gefangenen zeitgleich in Bild und Ton in die Vollzugsanstalt und das Sitzungszimmer übertragen wird. Eine Aufzeichnung findet nicht statt. Die Entscheidung nach Satz 1 ist nicht anfechtbar.

(2) Soweit die Maßnahme rechtswidrig und der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht die Maßnahme auf. Ist die Maßnahme schon vollzogen, kann das Gericht auch aussprechen, daß und wie die Vollzugsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat, soweit die Sache spruchreif ist.

(3) Hat sich die Maßnahme vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, spricht das Gericht auf Antrag aus, daß die Maßnahme rechtswidrig gewesen ist, wenn der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(4) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung der Maßnahme rechtswidrig und der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Vollzugsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Anderenfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(5) Soweit die Vollzugsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob die Maßnahme oder ihre Ablehnung oder Unterlassung rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(1) Verstößt ein Gefangener schuldhaft gegen Pflichten, die ihm durch dieses Gesetz oder auf Grund dieses Gesetzes auferlegt sind, kann der Anstaltsleiter gegen ihn Disziplinarmaßnahmen anordnen.

(2) Von einer Disziplinarmaßnahme wird abgesehen, wenn es genügt, den Gefangenen zu verwarnen.

(3) Eine Disziplinarmaßnahme ist auch zulässig, wenn wegen derselben Verfehlung ein Straf- oder Bußgeldverfahren eingeleitet wird.

(1) Der Gefangene hat sich nach der Tageseinteilung der Anstalt (Arbeitszeit, Freizeit, Ruhezeit) zu richten. Er darf durch sein Verhalten gegenüber Vollzugsbediensteten, Mitgefangenen und anderen Personen das geordnete Zusammenleben nicht stören.

(2) Der Gefangene hat die Anordnungen der Vollzugsbediensteten zu befolgen, auch wenn er sich durch sie beschwert fühlt. Einen ihm zugewiesenen Bereich darf er nicht ohne Erlaubnis verlassen.

(3) Seinen Haftraum und die ihm von der Anstalt überlassenen Sachen hat er in Ordnung zu halten und schonend zu behandeln.

(4) Der Gefangene hat Umstände, die eine Gefahr für das Leben oder eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit einer Person bedeuten, unverzüglich zu melden.

Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugsziel). Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten.

(1) Der Gefangene hat sich nach der Tageseinteilung der Anstalt (Arbeitszeit, Freizeit, Ruhezeit) zu richten. Er darf durch sein Verhalten gegenüber Vollzugsbediensteten, Mitgefangenen und anderen Personen das geordnete Zusammenleben nicht stören.

(2) Der Gefangene hat die Anordnungen der Vollzugsbediensteten zu befolgen, auch wenn er sich durch sie beschwert fühlt. Einen ihm zugewiesenen Bereich darf er nicht ohne Erlaubnis verlassen.

(3) Seinen Haftraum und die ihm von der Anstalt überlassenen Sachen hat er in Ordnung zu halten und schonend zu behandeln.

(4) Der Gefangene hat Umstände, die eine Gefahr für das Leben oder eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit einer Person bedeuten, unverzüglich zu melden.

Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung öffentlich, in einer Versammlung, durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) oder mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(1) Die zulässigen Disziplinarmaßnahmen sind:

1.
Verweis,
2.
die Beschränkung oder der Entzug der Verfügung über das Hausgeld und des Einkaufs bis zu drei Monaten,
3.
die Beschränkung oder der Entzug des Lesestoffs bis zu zwei Wochen sowie des Hörfunk- und Fernsehempfangs bis zu drei Monaten; der gleichzeitige Entzug jedoch nur bis zu zwei Wochen,
4.
die Beschränkung oder der Entzug der Gegenstände für eine Beschäftigung in der Freizeit oder der Teilnahme an gemeinschaftlichen Veranstaltungen bis zu drei Monaten,
5.
die getrennte Unterbringung während der Freizeit bis zu vier Wochen,
6.
(weggefallen)
7.
der Entzug der zugewiesenen Arbeit oder Beschäftigung bis zu vier Wochen unter Wegfall der in diesem Gesetz geregelten Bezüge,
8.
die Beschränkung des Verkehrs mit Personen außerhalb der Anstalt auf dringende Fälle bis zu drei Monaten,
9.
Arrest bis zu vier Wochen.

(2) Arrest darf nur wegen schwerer oder mehrfach wiederholter Verfehlungen verhängt werden.

(3) Mehrere Disziplinarmaßnahmen können miteinander verbunden werden.

(4) Die Maßnahmen nach Absatz 1 Nr. 3 bis 8 sollen möglichst nur angeordnet werden, wenn die Verfehlung mit den zu beschränkenden oder zu entziehenden Befugnissen im Zusammenhang steht. Dies gilt nicht bei einer Verbindung mit Arrest.

Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung öffentlich, in einer Versammlung, durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) oder mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(1) Verstößt ein Gefangener schuldhaft gegen Pflichten, die ihm durch dieses Gesetz oder auf Grund dieses Gesetzes auferlegt sind, kann der Anstaltsleiter gegen ihn Disziplinarmaßnahmen anordnen.

(2) Von einer Disziplinarmaßnahme wird abgesehen, wenn es genügt, den Gefangenen zu verwarnen.

(3) Eine Disziplinarmaßnahme ist auch zulässig, wenn wegen derselben Verfehlung ein Straf- oder Bußgeldverfahren eingeleitet wird.

(1) Disziplinarmaßnahmen werden in der Regel sofort vollstreckt.

(2) Eine Disziplinarmaßnahme kann ganz oder teilweise bis zu sechs Monaten zur Bewährung ausgesetzt werden.

(3) Wird die Verfügung über das Hausgeld beschränkt oder entzogen, ist das in dieser Zeit anfallende Hausgeld dem Überbrückungsgeld hinzuzurechnen.

(4) Wird der Verkehr des Gefangenen mit Personen außerhalb der Anstalt eingeschränkt, ist ihm Gelegenheit zu geben, dies einer Person, mit der er im Schriftwechsel steht oder die ihn zu besuchen pflegt, mitzuteilen. Der Schriftwechsel mit den in § 29 Abs. 1 und 2 genannten Empfängern, mit Gerichten und Justizbehörden in der Bundesrepublik sowie mit Rechtsanwälten und Notaren in einer den Gefangenen betreffenden Rechtssache bleibt unbeschränkt.

(5) Arrest wird in Einzelhaft vollzogen. Der Gefangene kann in einem besonderen Arrestraum untergebracht werden, der den Anforderungen entsprechen muß, die an einen zum Aufenthalt bei Tag und Nacht bestimmten Haftraum gestellt werden. Soweit nichts anderes angeordnet wird, ruhen die Befugnisse des Gefangenen aus den §§ 19, 20, 22, 37, 38, 68 bis 70.