Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 27. Jan. 2006 - 4 Ws 18/2006; 4 Ws 18/06

bei uns veröffentlicht am27.01.2006

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Heilbronn vom 07. Dezember 2005 wird als unbegründet

v e r w o r f e n.

Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten ihres Rechtsmittels.

Gründe

 
1.
Das Amtsgericht Heilbronn erließ am 01. Juli 2003 gegen die Angeklagte einen Strafbefehl über 20 Tagessätze zu je 20 Euro wegen (gemeinschaftlichen) Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte. In der auf ihren Einspruch anberaumten Hauptverhandlung vom 13. November 2003 verurteilte das Amtsgericht sie wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, sah jedoch, da sich die Angeklagte in einem vermeidbaren Verbotsirrtum befunden habe, gemäß § 113 Abs. 4 Satz 1 StGB wegen geringer Schuld von ihrer Bestrafung ab. Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte am 20. November 2003 durch Schriftsatz ihres Verteidigers ein unbenanntes Rechtsmittel eingelegt, welches nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist als Berufung zu behandeln war. Die Strafkammer hat mit Beschluss vom 07. Dezember 2005 die Annahme der Berufung abgelehnt und sie als offensichtlich unbegründet verworfen (§ 313 Abs. 2 Satz 2 StPO). Aus dem Akteninhalt ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass mit der Berufung ein vom amtsgerichtlichen Urteil abweichendes Ergebnis erzielbar wäre.
Gegen diesen Beschluss, der keine Rechtsmittelbelehrung enthält und der Angeklagten mit einfachem Brief zugeschickt worden ist, hat die Angeklagte durch Schriftsatz ihres Verteidigers am 16. Dezember 2005 beim Landgericht sofortige Beschwerde eingelegt.
2.
Das Rechtsmittel ist zulässig, hat jedoch keinen Erfolg.
a) Die sofortige Beschwerde der Angeklagten ist statthaft.
Zwar ist die Entscheidung über die Nichtannahme der Berufung grundsätzlich nicht anfechtbar (§ 322 a Satz 2 StPO). Dies gilt jedoch nur dann, wenn es sich tatsächlich um einen Fall des § 313 Abs. 1 StPO handelt. Sinn der Vorschrift ist es, die Bewertung der Erfolgsaussichten der Berufung in den von § 313 Abs. 1 StPO erfassten Bagatellfällen einer weiteren richterlichen Kontrolle zu entziehen. Eine darüber hinaus gehende Beschränkung der Anfechtbarkeit der Entscheidung wäre mit § 322 Abs. 2 StPO, der die Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung in allen anderen Fällen der sofortigen Beschwerde unterwirft, nicht in Einklang zu bringen (PfzOLG Zweibrücken, NStZ 1994, 601). Besteht wie hier zwischen den Verfahrensbeteiligten Streit darüber, ob die Voraussetzungen einer Annahmeberufung vorliegen, ist deshalb der Beschluss der Berufungskammer, mit dem sie die Annahme abgelehnt und damit eine Annahmepflicht bejaht hat, gemäß § 322 Abs. 2 StPO mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar (KK-Ruß, StPO, 5. Auflage, § 322 a Rdnr. 1 m.w.N.).
Die sofortige Beschwerde ist fristgerecht eingelegt worden. Mangels förmlicher Zustellung des angefochtenen Beschlusses wurde der Lauf der Beschwerdefrist nicht in Gang gesetzt (§§ 322 Abs. 2, 311 Abs. 2 StPO).
b) In der Sache hat die sofortige Beschwerde keinen Erfolg.
Mit der Strafkammer geht der Senat davon aus, dass ein Fall der Annahmeberufung gegeben ist. Die Bestimmung des § 313 StPO wurde durch Art. 2 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 (BGBl. I S. 50) in die StPO eingefügt, um die Strafgerichte im Bereich der Bagatellkriminalität zu entlasten. In den Fällen, in denen eine verhängte oder vorbehaltene Geldstrafe 15 Tagessätze nicht überschreitet oder der Angeklagte zu einer Geldbuße verurteilt wurde, ist die Zulässigkeit der Berufung von der Annahme durch das Berufungsgericht abhängig. Nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes muss dies über die in § 313 Abs. 1 Satz 1 StPO aufgeführten Fällen hinaus auch gelten, wenn die Schuld des Täters ebenfalls im unteren Bereich einzuordnen ist und die Rechtsfolge im Vergleich zu den in § 313 Abs. 1 geregelten Fällen ein „Weniger“ darstellt. Dies ist der Fall, wenn - wie vorliegend - gemäß § 49 Abs. 2 StGB von Bestrafung abgesehen wurde (vgl. KK-Ruß a.a.O., § 313 Rdnr. 2; LG Bad Kreuznach, NStZ-RR 2002, 217, für den Fall, dass ein Schuldspruch wegen eines Aussagedeliktes erfolgte, jedoch gemäß § 158 Abs. 1 StGB von der Strafe abgesehen wurde).
Der Beschluss des OLG Oldenburg vom 12. März 1998 (NStZ-RR 1998, 309) steht dem nicht entgegen. Danach liegt ein Fall der Annahmeberufung nicht vor, wenn gemäß § 60 StGB von der Verhängung von Strafe abgesehen wurde. Diese Bestimmung knüpft aber nicht an das geringe Verschulden des Täters, sondern an die schweren Folgen der Tat an, die die Verhängung einer Strafe entbehrlich machen. Dies ist auch außerhalb des Bagatellbereiches möglich (vgl. LG Bad Kreuznach aaO).
10 
Die Strafkammer ist danach zu Recht von einer Annahmeberufung ausgegangen. Eine weitergehende Überprüfung des angefochtenen Beschlusses ist wegen dessen Unanfechtbarkeit nicht vorzunehmen (§ 322 a Satz 2 StPO).

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(1) Erachtet das Berufungsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Berufung nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. Andernfalls entscheidet es darüber durch Urteil; § 322a bleibt unberührt.

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Das Gericht sieht von Strafe ab, wenn die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, daß die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre. Dies gilt nicht, wenn der Täter für die Tat eine Freiheitsstrafe von mehr als einem

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(1) Das Gericht kann die Strafe wegen Meineids, falscher Versicherung an Eides Statt oder falscher uneidlicher Aussage nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von Strafe absehen, wenn der Täter die falsche Angabe rechtzeitig berichtigt. (

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(1) Wer einem Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter oder ein anderer Beteiligter eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
der Täter durch eine Gewalttätigkeit den Angegriffenen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
3.
die Tat mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangen wird.

(3) Die Tat ist nicht nach dieser Vorschrift strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Dies gilt auch dann, wenn der Täter irrig annimmt, die Diensthandlung sei rechtmäßig.

(4) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig an, die Diensthandlung sei nicht rechtmäßig, und konnte er den Irrtum vermeiden, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder bei geringer Schuld von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen. Konnte der Täter den Irrtum nicht vermeiden und war ihm nach den ihm bekannten Umständen auch nicht zuzumuten, sich mit Rechtsbehelfen gegen die vermeintlich rechtswidrige Diensthandlung zu wehren, so ist die Tat nicht nach dieser Vorschrift strafbar; war ihm dies zuzumuten, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen.

(1) Ist der Angeklagte zu einer Geldstrafe von nicht mehr als fünfzehn Tagessätzen verurteilt worden, beträgt im Falle einer Verwarnung die vorbehaltene Strafe nicht mehr als fünfzehn Tagessätze oder ist eine Verurteilung zu einer Geldbuße erfolgt, so ist die Berufung nur zulässig, wenn sie angenommen wird. Das gleiche gilt, wenn der Angeklagte freigesprochen oder das Verfahren eingestellt worden ist und die Staatsanwaltschaft eine Geldstrafe von nicht mehr als dreißig Tagessätzen beantragt hatte.

(2) Die Berufung wird angenommen, wenn sie nicht offensichtlich unbegründet ist. Andernfalls wird die Berufung als unzulässig verworfen.

(3) Die Berufung gegen ein auf Geldbuße, Freispruch oder Einstellung wegen einer Ordnungswidrigkeit lautendes Urteil ist stets anzunehmen, wenn die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten zulässig oder nach § 80 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten zuzulassen wäre. Im übrigen findet Absatz 2 Anwendung.

(1) Erachtet das Berufungsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Berufung nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. Andernfalls entscheidet es darüber durch Urteil; § 322a bleibt unberührt.

(2) Der Beschluß kann mit sofortiger Beschwerde angefochten werden.

(1) Ist der Angeklagte zu einer Geldstrafe von nicht mehr als fünfzehn Tagessätzen verurteilt worden, beträgt im Falle einer Verwarnung die vorbehaltene Strafe nicht mehr als fünfzehn Tagessätze oder ist eine Verurteilung zu einer Geldbuße erfolgt, so ist die Berufung nur zulässig, wenn sie angenommen wird. Das gleiche gilt, wenn der Angeklagte freigesprochen oder das Verfahren eingestellt worden ist und die Staatsanwaltschaft eine Geldstrafe von nicht mehr als dreißig Tagessätzen beantragt hatte.

(2) Die Berufung wird angenommen, wenn sie nicht offensichtlich unbegründet ist. Andernfalls wird die Berufung als unzulässig verworfen.

(3) Die Berufung gegen ein auf Geldbuße, Freispruch oder Einstellung wegen einer Ordnungswidrigkeit lautendes Urteil ist stets anzunehmen, wenn die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten zulässig oder nach § 80 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten zuzulassen wäre. Im übrigen findet Absatz 2 Anwendung.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

(1) Das Gericht kann die Strafe wegen Meineids, falscher Versicherung an Eides Statt oder falscher uneidlicher Aussage nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von Strafe absehen, wenn der Täter die falsche Angabe rechtzeitig berichtigt.

(2) Die Berichtigung ist verspätet, wenn sie bei der Entscheidung nicht mehr verwertet werden kann oder aus der Tat ein Nachteil für einen anderen entstanden ist oder wenn schon gegen den Täter eine Anzeige erstattet oder eine Untersuchung eingeleitet worden ist.

(3) Die Berichtigung kann bei der Stelle, der die falsche Angabe gemacht worden ist oder die sie im Verfahren zu prüfen hat, sowie bei einem Gericht, einem Staatsanwalt oder einer Polizeibehörde erfolgen.

Das Gericht sieht von Strafe ab, wenn die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, daß die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre. Dies gilt nicht, wenn der Täter für die Tat eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verwirkt hat.